Dann verfügst du, dank dieser Eigenschaften, über ein großes Talent, was gerade bei Geisteswissenschaften wie dem Philosophieren von Vorteil ist. Natürlich kann ich mir denken, dass so etwas auch zur Qual werden kann, weil man sich aufgrund der Variationsvielfalt, die sich einem mit einem Male erschließt, nur schwer entscheiden kann und ständig hin- und hergerissen wird. Aber jemand, der wirklich tief in die Dinge einzudringen versteht, wird mit Notwendigkeit immer unsicherer, je tiefer/weiter er vorankommt. Um hier mal Nietzsche zu bemühen: wird Erkenntnis zu tief, geht sie durch Parteilichkeit hindurch. Was bedeuten würde, dass am Ende ein völlig wertfreies Urteil steht, was einer absoluten Wahrheit wohl dann sehr nahe käme (falls es sie denn gibt). Aber das ist wieder ein anderes Problem. Du siehst aber, wie schnell man sich in solche Dinge verlieren kann, so dass man am Ende gar keine Verbindung mehr zum Ausgangspunkt – in diesem Falle meine kleine Geschichte – herstellen kann. So sollte es aber auch sein, denn nur so ist ’Tiefe’ zu erfassen.

Das sind wohl in der Tat Aspekte, welche einem Leser eindeutig zu beantworten unmöglich ist, zumal in der Liebe als einem Balanceakte zwischen Vernunft und Emotion, ersteres oftmals den Kürzeren zieht. Es bleiben zwar Vermutungen, welchen man aufgrund der Wahrscheinlichkeit männlichen Empfindens in solchen Situationen favorisieren könnte, doch eine abschließende Antwort könnte nur der Schreiber geben. Mir selbst läge aber die Vermutung einer absolut ehrlichen Meinung seitens des Absenders nahe, weil man in solch emotional gefärbten Situationen oftmals das Herz auf der Zunge trägt und mit solchen unangenehmen Wahrheiten keinesfalls noch traktieren oder intrigieren will. Vielmehr handelt man sicherlich in dem naiven Glauben, aus einer Art Schuldverpflichtung gegenüber des Verehrten/ Geliebten, so etwas einfach gestehen zu müssen. Jedes Verschweigen kämen eher einem Verrat gegenüber dem eigenen Gefühl gleich – ein in solchen Situationen unerträglicher Gedanke. Aber wer weiß schon abschließend zu ergründen, was ein von der Liebe gepeinigtes Herz wirklich bewegt. Es bleibt letztlich ein Geheimnis, und das soll es auch wie die ganze Liebe an sich ein Mysterium ist, und uns vielleicht gerade deshalb so fasziniert. Ich bin daher sicher, dass der Empfänger eines solchen Briefes ihn so schon als das zu deuten weiß, was er ist – das Bekenntnis eine aufrichtigen Verbundenheit, so das es letztlich gar nicht mehr darauf ankommt, was ihn von dem Gerede in Empörung versetzte. Ich staune aber, mir welch psychologischer Schärfe, du dieses Thema geradezu sezierst, und du hast sicher recht, dass man darüber noch so manches diskutieren könnte. ;-)

Spannend, liebe Nachtfalter!
Spannend deswegen, weil es eine unendlich große Palette an Reflektion bietet, und den Leser so ziemlich durchrüttelt.
Vor allem sind die Interpretationsmöglichkeiten interessant, ich fand gleich mehrere.
So kann man die Darstellungen im Brief als ungefiltert reflektierend (intuitiv) bezeichnend, aber auch als das Ausagieren subtiler Aggressionen.
Einerseits zeigt der Autor des Briefes tatsächlich etwas auf, was so 1:1 oft genug passiert, unter anderem die Scheinheiligkeit in einer Gruppendynamik, anderseits kann man auch die Darlegung eben dieser Beschreibungen als scheinheilig interpretieren. Vor allem, da er mittels dieser Analyse andere Menschen klein zu machen versucht.

Was mir auffielt, ist die Heftigkeit, mit der die Empfängerin im Brief mit den Intrigen der Kollegen konfrontiert wird. Zum Beispiel, wie und in welcher Form über sie gelästert wird. Das erscheint mir suspekt, - es macht mich hellhörig, weil damit ja keine Lösungsansätze verbunden sind, und auch als Aggression gegen die Empfängerin interpretiert werden kann.
Jemanden, der sich nicht mehr in der aktuellen Situation befindet, im Nachhinein mit dieser „Ehrlichkeit“ (was auch immer das sein soll) zu konfrontieren, erzeugt höchstens Verletzungen, und ein erdrückendes, vielleicht sogar ohnmächtiges Gefühl, weil die Empfängerin des Briefes keine Chance mehr hat, Klärungen (hier zum Beispiel im Kollektiv) herbei zu führen.
Insofern muss man die Intention des Schreibers hinterfragen. Wieso schrieb er ihr das? Weil er verliebt ist? Besteht Liebe nicht - unter anderem - darin, den geliebten Menschen unnötigen Schmerz, bzw. sinnlose Konfrontationen zu ersparen?

Du siehst, die Interpretations, - und Reflektionsfläche ist groß. Ich könnte sogar noch viele Gedanken mehr einbringen.
Insofern: Kompliment! ;-)

Jeder Mann braucht eine Traumfrau, habe ich mal gehört. Die unerfüllte Liebe eignet sich dazu am besten. In sie projeziert er all seine Sehnsüchte hinein, aber auch die Vorwürfe, die er sich selber macht, kann er ihr unterstellen. Vielleicht ist daran was.

Das ist ja wieder mal ein sehr seltsames Spiel, was den Leser hin- und herwirft. Am Ende fragt man sich betroffen: was ist denn nun? Hat sie oder hat sie nicht? Ich nehme mal an, dass das alles fiktiv ist, dann zolle ich dir meinen Respekt. Wenn nicht, solltest du dich schämen.

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Nachdem ich den ersten Teil schon gelesen habe, bin ich von zweiten doch etwas überrascht. Solch sensible Züge hätte man einem solch kauzigen Einfallspinsel gar nicht zugetraut, und wer weiß, was sich noch in seinem Innern verbarg, dir aber aus Takt vorenthielt. Ich finde diese Studie überaus gelungen, auch wenn ich das fade Gefühl einer gewissen Zwielichtigkeit von seiner Seite aus nicht los werde. Aber vielleicht ist es gerade das, was diesem Werk seine eigenartige Faszination verleiht. Solch subtile psychologische Differenzierungen sind in der Tag nicht einfach zu beschreiben, und ich könnte mit denken, dass du eine ganze Weile daran gearbeitet hast. Jedenfalls war ich mir bis zum Schluss nicht sicher, ob nun die Komik oder die Tragik überwiegt.

Wieder einmal schafft es der intellektuelle Pflastertreter durch Nachtfalters elaborierte Sprache einen Eimer von Beleidigungen so über die Erzählerin auszugießen, dass es wie eine Liebeserklärung wirkt. Genial. Aber bei der verqueren, verschwurbelten Denkweise, gekoppelt mit dieser Eloquenz, mache ich mir Sorgen, wenn solche Typen in natura frei herumlaufen. Angst!