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Der erste Tag

»Nun … ähm«, sagte Matthew McCormick, nickte mit dem Kinn nach links und drehte den Hut in den Händen, »zu meinem Haus geht es hier entlang. Es ist nicht weit. Geben Sie mir doch Ihren Koffer, ich … ähm … ich trage ihn für Sie.«

Julianna nickte stumm, überreichte ihm ihr Gepäck und folgte ihm die Hauptstraße entlang in Richtung Süden. Sie lief einen Schritt hinter ihm, weil sie gelernt hatte, dass sich das so gehörte. Ihr Blick war auf seine rechte Schulter gerichtet, auf die braune Jacke des einfachen Anzuges. Matthew McCormick hatte nicht viel Geld, aber er hatte in den Briefen auch niemals das Gegenteil behauptet, was einen guten Eindruck auf sie gemacht hatte. Er hatte ein kleines Haus gekauft und sparte nun so viel wie möglich, um in ein paar Jahren ein Lebensmittelgeschäft eröffnen zu können. Seit dem Ende des Bürgerkrieges vier Monate zuvor schreinerte er Särge bei einem Bestatter.

Matthew McCormick war 22 Jahre alt und ein hart arbeitender, gläubiger Katholik. Er mochte Truthahn und gestampfte Kartoffeln. Viel mehr wusste sie nicht über den Mann, mit dem sie seit einer Stunde verheiratet war. Aber sie würden sich kennenlernen und sich bestimmt gut verstehen, Julianna war da zuversichtlich. Bisher war sie mit jedem gut zurechtgekommen und Mr. McCormick machte einen anständigen Eindruck.

Ein Jahr zuvor hatte Pater Fitzgerald seine Gemeinde in Fort Worth, zu der auch Julianna gehörte, verlassen müssen und war nach Austin gekommen. Der Pater war ein fleißiger Briefeschreiber und stellte den Kontakt zwischen ein paar jungen, unverheirateten Männern in Austin und ledigen Frauen in seiner ehemaligen Gemeinde in Fort Worth her. Julianna hatte Matthew McCormick drei Briefe geschrieben, er hatte geantwortet und dann per Post gefragt, ob sie sich vorstellen könne, Mrs. McCormick zu werden. Der Pater unterstütze das und wolle sie sehr gerne trauen. Sie hatte zwei Wochen darüber nachgedacht und in die Verlobung eingewilligt. In Fort Worth gab es keinen passenden Verehrer und es sah auch nicht so aus, als würde sich das ändern. Das Leben in der Hauptstadt von Texas erschien ihr aufregender als in dem kleinen, verschlafenen Fort Worth, in dem sie vermutlich versauern musste. Die Reise nach Austin, 200 Meilen gen Süden, verlief recht schnell und problemlos, die Schönheit der Stadt hatte sie beeindruckt, als sie gegen vier Uhr am Nachmittag aus der Kutsche gestiegen war. Doch ein Bummel durch ihre neue Heimat hatte warten müssen. Sie war zu der Adresse gegangen, die ihr Pater Fitzgerald gegeben hatte, hatte ihr Gepäck abgestellt, sich noch ein bisschen hübsch gemacht und dann, vor dem Traualtar, Matthew McCormick getroffen. Die Eheschließung war weniger feierlich als zweckmäßig gewesen, doch Julianna empfand Dankbarkeit darüber, dass es wenigstens Pater Fitzgerald war, der sie traute, an diesem kühlen, aber sonnigen 17. Dezember 1866. Das Weihnachtsfest in der nächsten Woche würde sie nun als verheiratete Frau begehen.

Sie blieb stehen, als Mr. McCormick anhielt und die Tür zu einem schmalen Haus öffnete, das aussah, als hätte man es in die Lücke zwischen die beiden deutlich größeren Nachbarhäuser gequetscht. Die Tür führte direkt in einen Raum, der, so schätzte Julianna, fast das gesamte Erdgeschoss einnahm – und vollkommen leer war.

»Ja«, murmelte Matthew, »also … das ist es. Hier möchte ich ein Geschäft für Lebensmittel eröffnen. Das Hinterzimmer könnte als Kontor und Lager dienen. Dort hinten ist ein kleiner Garten, in dem Sie vielleicht Gemüse anbauen sollten, Miss Imrie. Das wäre praktisch und es ist billiger als das Gemüse zu kaufen. Aber ich denke, das sehen wir uns morgen an. Sie sind sicher müde und erschöpft und es ist schon Zeit für das Abendessen.«

Wieder nickte sie nur und folgte ihm in das Hinterzimmer, von dem aus eine Treppe nach oben in die Wohnräume führte.

Er stieg die Stufen hinauf und hielt auf dem Treppenabsatz an. Eine schmale, geschlossene Tür ging von der kleinen Plattform ab und er murmelte: »Hier ist der Aborterker, Miss Imrie.«

Julianna nickte nur und freute sich insgeheim, einen Abort im Haus zu haben. Ein Häuschen im Garten war bei Weitem nicht so komfortabel.

Oben angekommen legte Matthew McCormick die Hand auf die Klinke der Wohnungstür und schaute über die Schulter: »Es ist ziemlich beengt, wie gesagt. Sehr klein. Ich hoffe, Sie sind nicht allzu enttäuscht.«

»Es ist größer, als ich dachte, Mr. McCormick«, lächelte Julianna und meinte auch, was sie sagte.

»Oh, gut. Dann seien Sie herzlich willkommen, Miss Imrie.«

Er öffnete und betrat den kurzen Flur, von dem zwei Türen abgingen, Julianna folgte ihm und betrachtete den halbdunklen, fast quadratischen Vorraum, in dem es nichts zu sehen gab außer zwei Haken an der Wand neben der Tür. An einen davon hängte Mr. McCormick Hut und Jacke, und deutete dann auf den zweiten Haken.

»Den habe ich heute Morgen noch schnell angebracht. Für Ihre Garderobe, Miss Imrie.«

»Das ist sehr nett, Mr. McCormick, vielen Dank«, antwortete Julianna und beeilte sich, ihren leichten Mantel auszuziehen und ihn an den extra für sie angebrachten Haken zu hängen.

Er nickte nur und schob ihren Koffer mit dem Fuß ein wenig zur Seite.

»Hier links ist die Küche, sie hat ein Fenster zur Straße. Die rechte Tür führt in das Schlafzimmer. Ich habe leider nur eines.«

Matthew McCormick öffnete die linke Tür und Julianna betrat ihr zukünftiges Reich. Die Küche war spartanisch möbliert, an dem kleinen Tisch standen drei Stühle. Sie nickte anerkennend und schenkte ihrem Ehemann ein zaghaftes Lächeln.

»Es ist ausgesprochen hübsch. Ich denke, mir wird es hier gefallen.«

»Das freut mich. Ich habe noch ein wenig Brot und Soße von gestern. Möchten Sie etwas essen?«

»Ja, sehr gerne, vielen Dank.«

Matthew entzündete das Licht und wärmte das Brot und die Soße auf dem Herd. Julianna nahm auf seine Aufforderung hin Platz und schaute sich noch ein wenig um, wobei es nun wirklich nicht viel zu sehen gab. Die Küche wirkte sauber und geräumiger, als sie erwartet hatte. Es dauerte nur ein paar Minuten bis Matthew zwei Schüsseln mit Soße und eine Platte mit dem angewärmten Brot auf den Tisch stellte. Er setzte sich, schlug das Kreuzzeichen, faltete die Hände zum Gebet und sagte leise: »Wir danken dir, Herr, denn Du bist freundlich und Deine Güte währet ewiglich. Amen.«

»Amen«, wiederholte Julianna und bekreuzigte sich ebenfalls.

»Guten Appetit«, wünschte er und rang sich zum ersten Mal ein Lächeln ab.

Sie aßen ungefähr zwei Minuten schweigend, dann legte Matthew sein Brot auf den Tisch und sagte: »Ich hoffe, es schmeckt Ihnen, Miss Imrie.«

»Danke, es ist wirklich gut. Mr. McCormick, darf ich mir eine Bemerkung erlauben?«

»Ja, natürlich.«

»Eigentlich müssten Sie Mrs. McCormick zu mir sagen. Aber vielleicht könnten Sie mich auch Julianna nennen? Wir sind verheiratet und ich denke, es ist nicht ungebührlich, sich mit dem Vornamen anzusprechen, zumindest solange wir alleine sind.«

Matthew McCormick hob den Blick von seinem Teller und dieses Mal sah er sie wirklich an. Nachdenklich und lange. So, als wäre ihm gerade bewusst geworden, dass er den Rest seines Lebens mit ihr verbringen würde.

Sein heller Vollbart war kurz geschnitten, akkurat gestutzt und die Haare der derzeitigen Mode entsprechend ein wenig länger und nach hinten gekämmt. Matthew McCormick hatte blaue Augen und kräftige Arme, breite Schultern und war trotz seiner nur durchschnittlichen Körpergröße ein stattlicher Mann. Wie so viele hatte auch ihn der Krieg altern lassen, sodass er älter aussah als die 22 Jahre, die er zählte. Das alles nahm sie wahr, während er offenbar überlegte, was er antworten sollte.

»Nein, da haben Sie wohl recht, Mrs. McCormick. Julianna. Ich … ähm … heiße Matthew. Aber das … wissen Sie ja schon. Bitte sagen Sie doch Matthew zu mir.«

Sie lächelte und nahm sich eine Scheibe Brot. Diese ganze Situation war seltsam und gänzlich neu, unbekanntes Gelände. Sie waren beide noch nie verheiratet gewesen und hatten ihre Eltern früh verloren. Es mangelte ihnen eindeutig an praktischer Erfahrung und Vorbildern. Julianna hatte tatsächlich keine Ahnung, wie Eheleute miteinander sprachen oder umgingen, wenn sie alleine waren. Und Mr. McCormick wusste das offenbar auch nicht. Sie würden also selbst einen Weg finden müssen, mit dem sie beide leben konnten und der ebenso angemessen wie gottgefällig war. Noch waren sie zwei völlig Fremde, und doch auf ewig miteinander verbunden. Das hieß: Sie hatten Zeit, sich vorsichtig einander zu nähern.

Nach dem Essen übernahm Julianna zum ersten Mal ihre Pflichten und spülte die beiden Schüsseln und den Topf, räumte ein wenig auf und kehrte die Brotkrumen auf dem Boden zusammen. Matthew saß am Tisch und starrte an die Wand. Es war bereits dunkel und er erhob sich, als Julianna den Besen in die Ecke stellte.

»Wir sollten zu Bett gehen. Es ist spät und Sie sind sicher müde von der langen Reise«, sagte er und trat zur Küchentür, hielt sie ihr auf. »Ich warte hier, bis Sie fertig sind.«

»Danke«, antwortete sie, entzündete eine Lampe und nahm sie in die linke Hand, »ich werde Sie rufen.«

Er nickte und starrte auf seine Füße, während Julianna ihren Koffer vom Boden hochnahm und durch die zweite Tür in das Schlafzimmer ging. Das Bett war unzweifelhaft neu und sie nahm an, dass er es selbst gebaut hatte, vielleicht aus Holz, dass er dem Bestatter günstig abgekauft hatte. Die Bretter waren roh und noch ganz hell, dafür war der Schrank schon älter, genau wie der Waschtisch. Das Zimmer war groß genug, um noch eine Wiege und ein Kinderbettchen aufzunehmen, und Julianna fragte sich, ob sie diese Dinge im kommenden Herbst bereits brauchte. Sie schob den Gedanken zur Seite und packte ihren Koffer aus, sortierte ihre wenigen Kleider in den Schrank – aufbügeln würde sie die Sachen am nächsten Tag. Dann verließ sie für ein paar Minuten die Wohnung und ging zum Abort auf dem Treppenabsatz. Zurück im Schlafzimmer schnürte sie ihre Stiefel auf, schlüpfte aus Kleid und Unterkleid und hängte alles ordentlich über einen Bügel an der Außenseite des Schrankes. Für ein Korsett hatte Julianna kein Geld und musste deswegen mit ihrer naturgegebenen Figur leben. Einen Spiegel gab es im Schlafzimmer nicht und sie verschwendete keine Zeit mit einem Bad in Selbstzweifeln. Immerhin hatte sie jetzt einen Ehemann und er schien nett zu sein. Alles Weitere sollte sich mit Gottes Hilfe finden. Sie nahm ein Nachthemd und zog es an, ging zum Waschtisch und wusch sich Gesicht und Hände. Das Handtuch, das neben der Schüssel lag, war aus grobem Stoff und sehr rau, aber es sah sauber aus. Sie löste ihre Frisur und bürstete sich die Haare, flocht sich dann für die Nacht einen Zopf, der bis zur Taille reichte. Julianna war so blond wie ein Straßenköter und zu ihrem Entsetzen fanden sich bereits die ersten grauen Haare auf ihrem Kopf, dabei war sie doch erst 20 Jahre alt.

»Mr. McCormick?«, rief sie, »Matthew? Ich bin fertig.«

Sie setzte sich auf die Bettkante, ans Fußende in die Mitte, da sie nicht wusste, auf welcher Seite sie schlafen sollte. Ihre Hände legte sie züchtig in den Schoß und blickte sie starr an, auch dann, als Matthew ins Schlafzimmer kam.

»Soll ich draußen warten?«, fragte sie und er schüttelte den Kopf: »Nein, nein, nicht nötig.«

Er zog sich aus, nutzte die Tür des Kleiderschrankes als Sichtschutz und streifte sich ein Nachtgewand über, bevor er sich ebenfalls ein wenig frisch machte. Dann setzte er sich neben sie und atmete tief ein.

»Julianna«, flüsterte er und sie hob den Kopf, blickte ihn an: »Ja, Mr. McCormick? Uhm, Matthew?«

»Sie sehen sehr hübsch aus, Mrs. McCormick.«

»Danke.« Sie spürte, dass sie rot wurde, und flüsterte: »Sie auch, Sir.«

Er hob die Hand zur Schleife, die ihr Nachthemd am Hals zusammenhielt, und fragte leise: »Darf ich, Julianna?«

»Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich vorher unter die Decke schlüpfe?«

»Nein. Natürlich nicht.«

Matthew stand auf und deutete auf die linke Betthälfte.

»Danke«, murmelte sie, legte sich hin, deckte sich zu und schluckte schwer.

Er legte sich auf die andere Seite des Bettes und rutschte näher, zog langsam die Schleife auf und entblößte ein kleines Stückchen Haut, kaum mehr, als er im Ausschnitt ihres Reisekleides sowieso schon gesehen hatte.

»Ich weiß nicht, wie man darüber spricht, ohne ungehörig zu sein, aber …«, Julianna brach ab und zuckte hilflos mit den Schultern.

»Ich auch nicht«, bekannte Matthew. »Sagen Sie ruhig, was Sie auf dem Herzen haben. Ich werde es Ihnen nicht übel nehmen.«

»Eigentlich weiß ich nicht, was heute Nacht passieren wird, jedenfalls nicht genau. Darf ich fragen, ob Sie schon einmal …?«

Matthew schüttelte den Kopf und sie fragte sich, ob das eine Verneinung ihrer Frage war oder eine Warnung, dass diese Neugier nun doch zutiefst unangebracht und ungehörig war.

»Darf ich Sie um Geduld mit mir bitten? Und um Zärtlichkeit, sofern es Sie nicht stört?«

»Ja«, wisperte er, öffnete die Knopfleiste des Nachthemdes, schlug den Stoff zur Seite und zog die Decke weg, betrachtete ihre Brüste.

Sie schloss die Augen, als sie fühlte, wie eine raue, harte Handfläche auf ihrer Brust abgelegt wurde. Er rutschte näher an sie heran und seine Lippen trafen auf ihre. Sein Kuss war unbeholfen und zögerlich und sie atmete tief ein. Matthew öffnete das Nachthemd noch ein Stück weiter und streichelte über ihre Brust, runzelte die Stirn, als ihre Brustwarzen hart wurden.

»Gefalle ich Ihnen, Matthew?«, fragte sie leise und hoffte inständig, dass die Antwort positiv ausfiel.

»Ja, das tun Sie. Bitte, ziehen Sie doch das Nachthemd aus. Ich möchte Sie gerne betrachten.«

»Natürlich, Sir.«

Er küsste sie sanft auf die Stirn und schenkte ihr dann ein kleines Lächeln: »Matthew. Das sollte wirklich reichen.«

Sie setzte sich auf und zog das Hemd über den Kopf, bedeckte dann ihre Blöße mit den Händen, die sie an den Handgelenken über dem Brustbein überkreuzte.

»Bitte«, flüsterte er und legte seine Hand auf ihren Unterarm, drückte ihre Arme sanft nach unten.

Er setzte sich auf und schob die Decke noch weiter weg, sodass er sie vollständig betrachten konnte. Matthew atmete tief durch den Mund und sah sie an, regungslos, vielleicht eine halbe Minute. Dann rieb er sich mit dem Handballen über den Schritt und fragte: »Würden Sie mich bitte entkleiden, Julianna?«

Sie nickte langsam und begann vorsichtig das Hemd aufzuknöpfen, zog es ihm über den Kopf und betrachtete zum ersten Mal in ihrem Leben völlig offen eine Männerbrust. Von den Schlüsselbeinen bis hinunter zu den Lenden zog sich die dunkelblonde bis bronzefarbene Behaarung, die auch auf seinen Unterarmen und den Beinen zu sehen war.

Matthew drehte sich von ihr weg und löschte die Lampe, tastete dann im Dunkeln nach ihr und küsste sie noch einmal, diesmal ein wenig länger und ein bisschen sanfter.

»Was wissen Sie von der ehelichen Vereinigung, Julianna?«, fragte er leise und streichelte über ihre Wange.

»Mein Vormund sagte, ich möge tun, was immer Sie verlangen, weil es nun einmal zu den Pflichten als Ehefrau gehört, Ihnen dieses Vergnügen zu schenken. Und die Nachkommen, die daraus, so Gott will, entstehen werden, natürlich auch. Ich darf mich weder beschweren noch mich verweigern, denn das tut eine anständige Frau nicht, genauso wenig wie eine ehrbare Frau ihren Mann bitten darf, ihr beizuliegen. Der Vollzug der Ehe ist alleine Sache des Mannes und ich habe es ihm zu gestatten. Mehr weiß ich nicht.«

»Das haben Sie sehr schön gesagt. Bitte, legen Sie sich doch hin«, flüsterte er und schob sich über sie, kaum, dass sie lag.

Sie spürte seine Hände auf ihren Brüsten und seine Lippen auf ihren. Julianna hatte keine Ahnung, was sie tun sollte und beschloss, dass Nichtstun vermutlich am besten war. Damit machte man am wenigsten falsch. Sie keuchte entsetzt auf, als sie Matthews Hand zwischen ihren Beinen spürte, sein vorsichtiges Tasten, suchend, prüfend, peinlich und unangenehm.

»Ich weiß selbst nicht viel darüber«, bekannte er leise an ihrem Ohr, »aber man sagt, dass es der Frau wehtut. Sie haben das vermutlich auch schon einmal gehört.«

»Ja«, antwortete sie, bemüht, ihre Stimme tapfer klingen zu lassen.

Das Gespräch, das sie mit der Frau ihres Vormundes vor der Abreise geführt hatte, war ausgesprochen vage und verschämt ausgefallen. Die Informationen zum konkreten Ablauf der ehelichen Vereinigung verloren sich in dem genuschelten Gestammel der peinlich berührten Frau. Alles, was sich Julianna daraus hatte erschließen können, war, dass es wehtat und eine für die Frau furchtbar unangenehme, höchst beschämende und demütigende Pflicht darstellte, über die man niemals sprach.

»Ich bete zu Gott, dass ich Ihnen keine Schmerzen bereite, Julianna. Sollte es doch so sein, möchte ich, dass Sie wissen, dass es mir sehr leidtut. Ich würde Ihnen niemals böswillig Schaden zufügen«, sagte er und öffnete ihre Beine noch ein wenig mehr, entblößte ihre intimste Stelle auf eine derart obszöne Art und Weise, dass sie trotz der Dunkelheit die Augen schließen musste.

»Danke, Matthew, das ist nett, dass sie das sagen«, hauchte sie und fühlte ihren ganzen, mühevoll gesammelten Mut schwinden, als er begann sich in sie hineinzudrücken.

Ihre Hände krampften sich in das Bettlaken und sie biss die Zähne zusammen, unterdrückte das schmerzgeplagte Wimmern so gut es ging.

»Jesus Christus«, keuchte Matthew an ihrer Schläfe und hielt still, sodass sie sich ein paar Sekunden entspannen konnte. »Tue ich Ihnen weh, Julianna?«

»Nur … nur ein bisschen«, quetschte sie hervor, weil sie eine gute Ehefrau sein wollte.

Sie war dankbar für die Dunkelheit, die sie umgab, die verhinderte, dass Matthew sah, welche Qualen sie litt. Mit fest zusammengekniffenen Augen sprach sie stumm ein Gebet, versuchte, vollständig in den Worten zu versinken, den Schmerz in ihrer Mitte auszublenden, die unangenehmen Stöße, die ihren Körper erschütterten. Weder sie noch Matthew machten auch nur das leiseste Geräusch, einzig und allein der Bettrahmen quietschte im Rhythmus seiner Bewegungen. Es war ein ausgesprochen eigentümliches Gefühl, nackt in völliger Finsternis und Stille unter einem ebenso entblößten Mann zu liegen, der sich unnachgiebig in ihr Innerstes bohrte. Nach einer gefühlten Ewigkeit, die nur wenige Minuten gedauert haben konnte, erstarrte Matthew auf ihr und gab einen lang gezogenen, erstickten Laut von sich, dann stöhnte er leise und sie fühlte, dass er erschauerte. Der Schmerz verblasste langsam und Julianna atmete tief ein, rang fast schon nach Luft, weil ihr sein Gewicht, das sie in die Matratze drückte, den Atem nahm.

Sie fühlte, wie er sanft aus ihr hinausglitt, spürte eine ungewohnte Feuchtigkeit zwischen den Beinen und vermutete, dass es sein Samen war. Sie tastete nach dem Nachthemd und schlüpfte hinein, merkte, dass er seine Blöße ebenfalls wieder bedeckte.

»Vielen Dank, Julianna«, flüsterte er und legte sich auf seine Betthälfte. »Das war noch schöner, als ich mir vorgestellt hatte.«

Sie zuckte zusammen, als er nach ihrer Hand griff und ihre Finger miteinander verschränkte. Julianna schwieg und schloss die Augen. Vielleicht war es nur beim ersten Mal so furchtbar schmerzhaft. Immerhin war sie nun keine Jungfrau mehr und es wäre nur logisch, dass es schrecklich wehtat, die hochgepriesene Jungfräulichkeit zu verlieren. Zur Strafe. Sie klammerte sich an diese dumme Hoffnung, wusste aber tief im Inneren, dass sie sich damit nur selbst belog. Es tat weh, immer und jedes Mal. Das war die einzige Information, die völlig klar und mehrfach wiederholt bei ihr angekommen war.

»Hat es Ihnen denn wehgetan?«, fragte sie leise nach ein paar Sekunden, weil sie wissen wollte, ob ihrem Mann der Verlust der Unberührtheit ebensolche Schmerzen bereitet hatte wie ihr.

Sie ging fest davon aus, dass er noch nie bei einer Frau gelegen hatte, die Dinge, die er gesagt hatte, sprachen dafür. Das bedeutete, dass sein Kopfschütteln vorhin wohl doch die direkte Verneinung ihrer Frage gewesen war.

»Nein. Überhaupt nicht. Für mich war es sehr schön, sehr befriedigend.«

»Dann bin ich beruhigt, Matthew. So soll es sein«, erklärte Julianna leise und fragte sich, ob sie diese Lüge würde beichten müssen.

Musste sie überhaupt bekennen, was in ihrer Hochzeitsnacht geschehen war? Nein. Sie war verheiratet und sie hatten die Ehe gottgefällig vollzogen, da war sie sich ganz sicher.

»Ja, so soll es wohl sein. Möchten Sie noch ein Nachtgebet sprechen?«

»Sehr gerne«, flüsterte sie und sagte ihr übliches Gebet auf, fühlte mehr, als sie es wusste, dass er sich am Ende gemeinsam mit ihr bekreuzigte.

»Amen. Schlafen Sie gut, Julianna.«

»Danke, Matthew. Sie auch.«

Zu ihrem Erstaunen ließ er ihre Hand nicht los, hatte sie während des Gebetes nicht losgelassen und tat es auch jetzt nicht. Noch mehr erstaunte sie, dass es sie seltsam beruhigte, diese warme, feste Hand zu spüren, die sich um ihre schloss. Obwohl sie einander doch so völlig fremd waren.

 

Der zweite Tag

»Guten Morgen, Julianna«, grüßte Matthew, als er in die Küche kam, die von der Petroleumlampe nur spärlich erleuchtet wurde.

Draußen war es noch finster, aber nachdem es ein ganz normaler Werktag war, musste Matthew zur Arbeit. Und Julianna hatte ebenfalls mehr als genügend Aufgaben, die es zu erledigen galt.

»Guten Morgen. Das Frühstück ist gleich fertig.«

Sie hatte Kaffee gekocht und den Tisch gedeckt. Im Küchenschrank hatte sie neben einem Rest Brot ein Tongefäß mit Butter und je ein Glas mit Fruchtaufstrich und Honig gefunden. Damit waren die Vorräte erschöpft und Julianna würde nach dem Frühstück zunächst einmal einkaufen gehen müssen.

»Ich … ich habe meine Tage bisher mit einem Gebet und einer Lesung aus der Bibel begonnen«, erklärte Matthew zögernd und zeigte auf das schmale Wandregal, auf dem zwei einsame Bücher standen.

Die Bibel und ein Kochbuch, erkannte Julianna und freute sich, dass sie zwei so wichtige Bücher in ihrem Haushalt hatte. Mit den Rezepten würde sie sich so bald wie möglich beschäftigen.

»Oh, bitte, das ist eine wunderbare Art, den Tag zu beginnen.«

Sie reichte ihm die Bibel und stellte dann noch das angewärmte Brot auf den Tisch, bedeckte es mit einem Tuch und nahm Platz. Ihre Hände faltete sie zum Gebet und senkte den Blick. Matthew blätterte kurz durch die Seiten, bis er gefunden hatte, was er suchte.

»Ich würde gerne den Brief des Paulus an die Epheser vorlesen, die Stelle über die christliche Familienordnung.«

Julianna nickte und Matthew begann vorzulesen, seine Stimme war leise und klang voller Ernst dabei.

»Ordnet euch einander unter; tut es aus Ehrfurcht vor Christus. Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter. Ihr zeigt damit, dass ihr euch dem Herrn unterordnet. Denn der Mann ist das Haupt der Frau, genauso wie Christus das Haupt der Gemeinde ist – er, der sie errettet und zu seinem Leib gemacht hat. Und wie die Gemeinde sich Christus unterordnet, so sollen sich auch die Frauen ihren Männern in allem unterordnen. Ihr Männer, liebt eure Frauen! Liebt sie so, wie Christus die Gemeinde geliebt hat: Er hat sein Leben für sie hingegeben, um sie zu seinem heiligen Volk zu machen. Durch sein Wort hat er den Schmutz ihrer Verfehlungen wie in einem reinigenden Bad von ihr abgewaschen. Denn er möchte sie zu einer Braut von makelloser Schönheit machen, die heilig und untadelig und ohne Flecken und Runzeln oder irgendeine andere Unvollkommenheit vor ihn treten kann. Genauso sind nun auch die Männer verpflichtet, ihre Frauen zu lieben und ihnen Gutes zu tun, so wie sie ihrem eigenen Körper Gutes tun. Ein Mann, der seine Frau liebt und ihr Gutes tut, tut sich damit selbst etwas Gutes. Schließlich hat noch nie jemand seinen eigenen Körper gehasst; vielmehr versorgen wir unseren Körper mit Nahrung und pflegen ihn, genau wie Christus es mit der Gemeinde macht – mit seinem Leib, dessen Glieder wir sind. Deshalb wird ein Mann die Eltern verlassen und sich mit seiner Frau verbinden, und die zwei werden ein Leib sein. Jeder soll seine Frau so lieben, wie er sich selbst liebt, und die Frau soll ihrem Mann mit Ehrerbietung begegnen.«

Matthew klappte die Bibel sanft zu und legte sie vorsichtig neben den Teller, faltete die Hände und sprach das Morgengebet. Danach erhob er sich, stellte die Heilige Schrift zurück auf das Wandregal und nahm wieder Platz.

»Guten Appetit«, wünschte er und Julianna flüsterte ein »Danke, gleichfalls«.

Wie am Abend zuvor aßen sie zunächst schweigend, bis sich Matthew noch eine dritte Tasse einschenkte und danach in die Kanne sah.

»Du hast viel Kaffee gekocht, Julianna.«

Sie lächelte ob der vertrauten Anrede und nickte: »Ja. Ich wusste nicht, wie viel du trinkst und wollte nicht zu wenig machen.«

»Zwei Tassen für jeden sollten reichen«, erklärte er und sie beeilte sich mit ihrer Antwort: »In Ordnung. Ich werde es mir merken.«

»Gut. Ich werde um ein Uhr nach Hause kommen und zu Mittag essen.«

»Darf ich um etwas Geld bitten, damit ich Lebensmittel kaufen kann? Der Vorratsschrank ist leer.«

»Ja, natürlich. Ich kaufe die Waren des täglichen Bedarfs in der Sanderson Street bei Mr. Singer.«

Matthew griff in seine Hosentasche und zählte ein paar Dollar auf die Tischplatte. Er erklärte ihr, wie viel sie ausgeben durfte und wie sie Mr. Singers Geschäft finden würde. Dann stand er auf und blieb neben ihr stehen. Julianna legte den Kopf in den Nacken und sah kurz zu ihm hoch, bevor sie den Blick wieder senkte und in ihren Schoß starrte.

»Mr. Brighton, das ist mein Boss, hat … hat mir einmal erzählt, dass er nie ohne Abschiedskuss das Haus verlässt. Ich weiß nicht, ob das die Regel unter Eheleuten ist, aber ich finde, es klingt sehr nett und im Sinne von Paulus. So, als würde ich dir damit etwas Gutes tun. Denn ein Kuss ist doch etwas Gutes, ein Ausdruck von Liebe.«

»Ja, das stimmt wohl«, antwortete Julianna und stand auf, sah ihn an und empfing den Kuss auf die Wange mit einem Lächeln.

Dann küsste sie ihn ihrerseits und flüsterte: »Auf Wiedersehen, Matthew. Ich wünsche dir einen erfolgreichen Tag.«

Er nickte knapp und verließ die Küche, Sekunden später hörte sie seine Schritte auf der Treppe. Julianna schenkte sich den restlichen Kaffee ein, denn zum Wegschütten war er weiß Gott zu schade und das bisschen bis zum Abend aufzuheben, lohnte sich auch nicht. Sie trank die Tasse schnell im Stehen aus, bevor sie die beiden Plätteisen auf den Herd stellte und den Tisch abräumte. Danach begann sie ihr Tagwerk im Schlafzimmer und hielt erschrocken die Luft an, als sie das Bett machen wollte und den Blutfleck auf den Leinen sah, dort, wo sie gelegen hatte. Sie zog das Laken von der Matratze und hoffte, dass sie im Kleiderschrank noch eines zum Wechseln finden würde. Julianna hatte Glück und wenige Minuten später war das Bett ordentlich hergerichtet. In der Ecke neben dem Waschtisch stand ein Weidenkorb, in dem ihr Mann offenbar die dreckige Kleidung sammelte. Sie warf das blutige Laken dazu und beschloss, sich am nächsten Morgen der Wäsche zu widmen. Dann bügelte sie zwei ihrer Alltagskleider auf und zog eines davon gleich an, um das gute Reisekleid zu schonen. Sie machte sich auf den Weg zu Mr. Singer und kaufte ein, schleppte die Waren nach Hause und fand, dass der Vorratsschrank nun wieder eher wie einer aussah. Dann bereitete sie eine Pastete zum Mittagessen zu und besichtigte den kleinen Garten, bevor sie sich mit Feuereifer in ihre weiteren Aufgaben als Ehefrau stürzte.

Als Matthew zum Essen nach Hause kam, hatte sie gerade das untere, leere Stockwerk geputzt. Am Nachmittag wollte sie die Wohnung gründlich sauber machen und ein Brot backen, das hatte sie beschlossen. Dadurch, dass das Anwesen so klein war, war die Arbeit, die sie damit hatte, auch nicht übermäßig groß. Sie würde ihren Haushalt problemlos perfekt in Ordnung halten können.

Abermals verlief das Essen eher schweigsam und wieder küssten sie sich zum Abschied. Julianna machte sich an die Arbeit und hoffte, dass sie alles zu seiner Zufriedenheit erledigte.

 

»Du arbeitest hart«, lobte er dann auch tatsächlich am Abend, »und du kannst gut kochen.«

»Danke«, antwortete sie und freute sich, gestattete sich sogar, diese Freude offen zu zeigen.

»Morgen Abend werde ich dich den Nachbarn vorstellen. Die Frauen treffen sich immer am Donnerstagnachmittag zu einem Handarbeitszirkel im Gemeindehaus. Ich begrüße es, wenn du daran teilnimmst. Ich nehme an, du bist in diesen Dingen ebenso geschickt wie im Haushalt?«

»Ja, Matthew«, antwortete sie, »ich kann stricken, sticken, häkeln, nähen und weben.«

»Sehr schön. Dann wird dir der Handarbeitszirkel hoffentlich ein Vergnügen sein.«

Julianna nickte und freute sich wirklich darauf. Nach dem Essen, während sie die Küche sauber machte und aufräumte, las Matthew die Zeitung vom Vortag. Er las immer noch, als sie fertig war, also nahm sie sich die Bibel und vertiefte sich darin.

»Ich bin sehr froh, eine so gottgefällige Ehefrau gefunden zu haben«, sagte er leise, als er die Zeitung zur Seite legte. »Ich bin ein strenggläubiger Mensch und könnte es nicht ertragen, wenn meine Frau unseren Schöpfer nicht gebührend respektierte.«

Julianna hob den Kopf und lächelte ihn an: »Ich lese den Brief des Paulus an die Kolosser.«

»Die Stelle über die Beziehung zwischen Mann und Frau?«

»Ja. Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter; so ist es für Frauen angemessen, die sich zum Herrn bekennen. Ihr Männer, liebt eure Frauen und geht nicht rücksichtslos mit ihnen um.«

»Das ist ein schöner Leitspruch, für jede Ehe, auch für die unsere.«

»Das finde ich auch.«

»Ich pflege regelmäßig den Gottesdienst zu besuchen, Julianna. Ich gehe davon aus, dass du mich begleiten möchtest?«

»Ja, sehr gerne.«

Matthew schwieg einen Moment und schien zu überlegen, was er noch sagen könnte: »Wie … äh … wie war dein Tag? Bist du hier gut zurechtgekommen?«

»Mein Tag war sehr schön. Ich habe mich zurechtgefunden und mir einen Überblick über alles verschafft. Ich habe das Haus geputzt und mir den Garten angesehen. Außerdem war ich bei Mr. Singer und da fällt mir ein, dass ich noch etwas fragen wollte.«

»Ja? Was denn?«

»Er hat Äpfel im Angebot und ich wollte fragen, ob ich sechs Pfund kaufen darf. Ich kann Mus und Fruchtaufstrich daraus kochen und für den Sonntag einen Kuchen backen, wenn du das gerne möchtest.«

Matthew dachte kurz nach und nickte dann: »Ja, du darfst. Danke, dass du gefragt hast, Julianna, das zeugt von großer Weitsicht.«

»Möchtest du weiterhin bei größeren Einkäufen gefragt werden?«

»Ja. Wenn ich dann mein eigenes Geschäft eröffne, wird das wohl nicht mehr nötig sein. Und sehr viel bequemer werden.«

»Es wird mir Zeit und Wege sparen.«

»Das stimmt«, antwortete er und lächelte knapp. »Nun, dann … sollten wir zu Bett gehen.«

 

 

Matthew löschte das Licht und Julianna wunderte es überhaupt nicht, dass er sofort nach ihr griff. Der Gedanke an die Schmerzen, die ihr vermutlich wieder bevorstanden, ließ sie den Kopf wegdrehen, als er sie küssen wollte.

»Julianna«, flüsterte er eindringlich und streichelte zärtlich über ihre Wange, »bitte denk an deine Pflichten.«

»Verzeih mir«, antwortete sie leise, »ich habe nicht nachgedacht. Es ist noch so neu und ungewohnt.«

»Du wirst es lernen, da bin ich mir sicher. Du bist eine gute Frau.«

Sie ließ sich küssen und küsste ihn zurück, als er es verlangte. Sie öffnete sich ihm und schluckte die Tränen hinunter, erfuhr auf schmerzhafte Weise, dass es auch dann wehtat, wenn man keine Jungfrau mehr war. Damit wurde ihr endgültig klar, warum man von einer Pflicht sprach. Die bisher unangenehmste Pflicht ihres Lebens. Und doch fühlte sie die feste Entschlossenheit, eine gute Ehefrau zu sein und auch diesen Teil des Ehelebens mit so viel Würde wie möglich zu meistern.

»Danke sehr«, presste sie artig hervor, als er fertig war, und sie abermals die Feuchtigkeit zwischen ihren Beinen spürte.

»Ich … ich verstehe jetzt, warum dieser Akt eine Sünde sein kann«, flüsterte Matthew, rollte von ihr herunter und griff nach ihrer Hand.

»Ja«, antwortete sie lahm und wischte sich die Tränen von der Wange. »Darf ich um etwas bitten?«

»Natürlich. Ich werde alle Anliegen und jeden Wunsch an mich gewissenhaft prüfen, Julianna.«

»Ich empfinde kleine Zärtlichkeiten oder körperliche Nähe als tröstlich. Wäre es sehr unangebracht, dich um eine Umarmung zu bitten?«

»Benötigst du Trost, Julianna?«

»Ja.«

»Dann lass dich von mir halten und dich trösten«, sagte er leise und zog sie in seine Arme, küsste sie auf die Stirn und bettete sie an seine Brust. Er streichelte über ihren Rücken, langsam und zärtlich, und flüsterte: »Ist das gut so?«

»Ja. Vielen Dank. Darf ich ein wenig so liegen bleiben?«

»Du bist meine liebe Frau, also ja, natürlich.«

Sie schwiegen eine Weile und der Schmerz verblasste, die fragile Vertrautheit, die sich entwickelte, fühlte sich gut an. Sie waren nur zwei Fremde, die sich festhielten, und doch schien das ganz richtig zu sein.

»Vielleicht wird es besser, wenn wir uns vertrauter sind«, sagte er leise und räusperte sich.

»Ich beschwere mich nicht, Matthew«, flüsterte sie, »bitte glaub mir.«

»Das tue ich. Aber du hast Schmerzen, wenn wir vereinigt sind, nicht wahr?«

»Es ist nicht schlimm, du musst dir keine Gedanken machen.«

Sie fühlte, dass er nickte, und beschloss, diese Umarmung regelmäßig zu erbitten. Sie schien bis jetzt das absolut Beste in ihrer Ehe zu sein. Etwas, auf das sie sich freuen konnte. Eine Zuflucht fern von der wirklichen Welt. Eine Gelegenheit, ihrem ernsten, strengen Mann, der so reserviert, alt und müde wirkte, auf ihre Art ein wenig näher zu sein, auf eine Art, die niemandem Schmerzen bereitete.

»Im Krieg«, erzählte er leise, »lag ich manchmal nachts auf dem Boden und konnte nicht schlafen. Um mich herum schnarchten hunderte Männer und manche sprachen im Traum zu ihren Frauen. Es waren sehnsuchtsvolle Worte, deren Sinn ich erst heute vollständig verstehe. Ich habe mir damals vorgestellt, im Bett zu liegen, so wie wir in diesem Moment. Die Wirklichkeit ist schöner, als ich es mir ausgedacht habe, Julianna.«

Sie schwieg und auch er sagte kein Wort mehr, so als habe er schon viel zu viel von sich preisgegeben. Als sie merkte, dass sie demnächst einschlafen würde, flüsterte sie ihr Nachtgebet.

»Amen«, murmelte Matthew und nahm die Hand von ihrem Rücken, um sich zu bekreuzigen.

Doch, anstatt die Umarmung zu beenden, womit sie fest gerechnet hatte, legte sich seine Hand wieder auf ihren Rücken, und er atmete tief ein.

»Gute Nacht, Julianna.«

»Gute Nacht, Matthew.«

 

 

 

Der 100. Tag

Der Frühlingsanfang in Austin fühlte sich bereits wie der Sommer an, es war warm und der Garten verschlang den größten Teil von Juliannas Zeit. Sie hatte den Vormittag draußen verbracht, gepflanzt und das erste Unkraut gejätet, eines der Beete umgegraben, um säen zu können und die wuchernde Hecke geschnitten. Danach hatte sie sich beeilt, um das Mittagessen auf den Tisch zu bekommen und hatte es gerade noch rechtzeitig geschafft. Matthew war ein korrekter Mensch, dem Unpünktlichkeit oder Unzuverlässigkeit ein Graus war, das hatte sie mittlerweile gemerkt. Der Tag startete um halb sechs mit dem Frühstück, Mittagessen gab es Punkt eins, das Abendessen nahm er um 19 Uhr ein. Von diesem Zeitplan wurde nur sonntags abgewichen, wenn er ihnen beiden eineinhalb Stunden mehr Schlaf genehmigte und das Frühstück erst um sieben auf dem Tisch stehen musste. Julianna hatte nichts gegen diese strengen Tageseinteilungen, im Gegenteil, sie gaben ihr eine gewisse Sicherheit. Andere Männer kamen und gingen, wann immer sie wollten, und wurden wütend, wenn gerade dann, wenn sie Hunger hatten, kein warmes Essen auf dem Tisch stand. Der Ehemann ihrer Nachbarin Rose war von dieser Sorte und sie beklagte sich oft und ausführlich im Handarbeitszirkel darüber. Barbara Miller, die direkt neben Julianna und Matthew wohnte, jammerte schon lange nicht mehr. Sie wusste, dass die ganze Straße über ihre Ehe bestens informiert war. Cody Miller schlug seine Frau bei jeder sich bietenden Gelegenheit, und es gab kaum eine Woche, in der Barbara ohne sichtbare Verletzungen über ihre Handarbeit gebeugt im Gemeindehaus saß. Erst am Abend zuvor hatten sie durch die offenstehenden Fenster gehört, wie Cody seine Frau anbrüllte, weil an einem Hemd ein Knopf fehlte und sie das wohl nicht schnell genug ausgebessert hatte, und sie zur Strafe übers Knie legte. Barbara hatte geschrien vor Schmerz und Julianna hatte kaum noch gehört, was Matthew aus der Bibel vorlas.

Sie hatte im Handarbeitszirkel schnell gemerkt, dass sie ihrem Mann großes Glück gehabt hatte. Bislang hatte er sie nur einmal scharf getadelt, weil ihr eine nasse Steinzeugschüssel aus der Hand gefallen und kaputtgegangen war. Barbara hätte bei so einem Vergehen eine Woche nicht mehr sitzen können, während Matthew ihr nur eine ruhige und sachliche Strafpredigt gehalten und es nach ihrer Entschuldigung dabei belassen hatte. Überhaupt ging es in ihrer Ehe, genau wie in ihrem Leben, sehr friedlich und sachlich zu, was vielleicht auch daran lag, dass Matthew nicht trank, wie es so viele andere taten, die den Krieg überlebt hatten. Unzählige Veteranen suchten Vergessen und Trost im Alkohol, so zum Beispiel auch Cody Miller. Matthew fand Zuspruch und Sinn in seinem Glauben. Das Einzige, das Julianna ein wenig vermisste, war, mit anderen zu lachen. Manchmal lachten sie im Handarbeitszirkel, wenn jemand eine drollige Geschichte von den Kindern erzählte, ab und zu konnte sie nach dem Einkaufen zuhause, nur für sich, über Mr. Singer lachen, der immer einen flotten Spruch auf den Lippen hatte, und über einen unerschöpflichen Fundus an albernen Witzen verfügte. Matthew dagegen lachte nie. Er lächelte ungefähr einmal am Tag, manchmal auch weniger, immer nur kurz und knapp. Wenn er aus der Bibel vorlas und ihr die eine oder andere Stelle erklärte, dann dachte sie oft, dass an ihm eigentlich ein guter Pfarrer verloren gegangen war.

»Julianna?«, riss sie Matthews Stimme aus ihren Gedanken und sie hob den Blick von ihrem noch halb vollen Teller, sah ihren Mann fragend an.

»Ja?«

»Ist noch ein wenig Haferbrei da? Ich möchte noch einen Teller voll.«

»Natürlich«, sagte sie, erhob sich und schöpfte den restlichen Brei aus dem Topf, streute ein wenig Zucker darüber und gab noch ein paar Rosinen dazu.

»Es schmeckt sehr gut«, bemerkte Matthew und Julianna bedankte sich. »Wieso isst du nichts?«

»Oh«, murmelte sie und schüttelte den Kopf, »ich habe keinen großen Hunger.«

»Du hast doch den Vormittag über im Garten gearbeitet.«

»Ja, das habe ich«, antwortete sie und rührte mit ihrem Löffel angeekelt durch den Teller. »Ich kann nichts essen. Ich fühle mich unpässlich.«

Die Übelkeit, die sie den ganzen Vormittag empfunden hatte, wurde stärker, sie konnte einfach nichts essen.

»Vielleicht hast du dich zu sehr angestrengt.«

»Ja, vielleicht«, antwortete Julianna, doch sie hatte den Verdacht, dass es an etwas anderem lag.

An Weihnachten hatte sie das letzte Mal ihre monatliche Blutung gehabt. Nun war Ende März. Sie wusste nicht viel davon, doch das, was sie bisher über Schwangerschaften gehört hatte – hauptsächlich im Handarbeitszirkel, in dem alle beteiligten Frauen reihum schwanger waren, wie sie erfahren hatte –, passte zu dem, was sie fühlte. Ihr war seit ein paar Tagen leicht übel, sie war sehr müde und erschöpft und ihre Brüste spannten. So hatte auch Mrs. Wyman die Symptome ihrer Schwangerschaft beschrieben und die Frauen hatten im Großen und Ganzen zugestimmt. Matthew aß seinen Teller leer, bedankte sich, wie er es immer tat, küsste sie auf die Wange und ging wieder zur Arbeit.

 

Gegen fünf Uhr am Nachmittag schleppte sich Julianna aus dem Garten in die Küche und trank einen Becher Wasser.

Nur eine kurze Pause wollte sie machen, bevor sie mit der Hausarbeit weitermachte. Sie ließ sich auf den Küchenstuhl fallen, trank noch einen Schluck Wasser und fühlte, wie ihr immer und immer wieder die Augen zufielen. Sie war so unsagbar müde, so furchtbar erschöpft. Sie genehmigte sich fünf Minuten Pause, dann ging sie ins Schlafzimmer und bezog das Bett frisch, da sie am nächsten Morgen waschen wollte. Kaum war sie fertig, begann sie zu schwanken, ihr wurde schwindlig und sie musste sich am Bettrahmen festhalten. Das Gefühl wurde zunehmend stärker und sie fiel einfach um, ins Bett. Das flache Liegen half sofort gegen den Schwindel, und immer, wenn sie sich aufsetzen wollte, drehte sich wieder alles. Also beschloss sie, liegen zu bleiben. In ein paar Minuten war dieser Schwindelanfall bestimmt vorbei. Sie hatte einfach nur zu wenig getrunken und das Wasser, das sie gerade zu sich genommen hatte, musste erst vom Körper aufgenommen werden. Nur ein paar Minuten.

Sie schlief innerhalb von Sekunden ein und erwachte, als Matthew vor dem Bett stand und »Julianna!« sagte.

»Ja?«, murmelte sie und wusste überhaupt nicht, wo sie war und warum sie im Bett lag, vollständig angezogen.

»Wieso liegst du im Bett und schläfst? Mitten am Tag? Was soll das, Julianna? Ich komme nach Hause und finde meine Frau im Tiefschlaf vor, es steht kein Essen auf dem Tisch und im Schlafzimmer liegt Wäsche auf dem Boden.«

»Bitte verzeih, mir war so schwindlig und dann …«

»Ich möchte keine an den Haaren herbeigezogene Entschuldigung hören. Ich bin hungrig und will ein Abendessen. Jetzt.«

»Natürlich. Sofort, Matthew.«

Sie erhob sich vorsichtig, doch der Schwindel war verschwunden, genau wie die Übelkeit. Sie richtete ihre Kleider und die Frisur, hob die Wäsche auf und warf sie in den Wäschekorb, betrat die Küche und deckte den Tisch.

»Du wirst ohne Abendessen zu Bett gehen, Julianna. Wer tagsüber schläft, anstatt zu arbeiten, braucht kein Essen. Räum deinen Teller wieder weg.«

»Ja, Matthew«, murmelte sie und der Hunger nagte bereits jetzt an ihr.

Das Frühstück war aufgrund der Übelkeit nur karg gewesen, mittags hatte sie nur eine halbe Portion Haferbrei gegessen. Sie setzte sich auf ihren Stuhl, faltete die Hände im Schoß und starrte auf die Tischplatte, während Matthew schweigend aß.

»Ich glaube …«, sagte sie leise, doch der strenge Blick, den er ihr zuwarf, ließ sie verstummen: »Schweig still.«

Sie nickte zum Zeichen, dass sie gehorchen würde, zählte die Stunden, die sie noch hungern musste und betete darum, am nächsten Morgen keine Übelkeit zu verspüren. Hungern war eine gemeine Strafe.

Nach dem Essen spülte sie seinen Teller und räumte die Reste der Mahlzeit auf, während Matthew die Bibel studierte.

»Komm mit«, sagte er, als sie fertig war, und stand auf.

Julianna folgte ihm ins Schlafzimmer und blieb vor dem Bett stehen, sah zu, wie er sich auf die Bettkante setzte.

»Leg dich über meine Knie.«

Für eine Sekunde war alles still, dann dämmerte ihr, was dieser Satz und der strenge Blick zu bedeuten hatten.

»Nein, Matthew, bitte nicht!«, flehte Julianna leise und trat reflexartig einen Schritt zurück. »Bitte, es kommt nie wieder vor, bitte tu das nicht.«

»Ich will keinen Ton hören, bis deine Bestrafung vorüber ist, Julianna. Danach entschuldigst du dich und wir sind wieder gut miteinander. Leg dich über meine Knie, komm her.«

Sie schluchzte und kam langsam auf ihn zu, Schritt für Schritt.

»Heute noch, Frau! Nimm den Rock hoch und lass es auf dich wirken. Verinnerliche, was du falsch gemacht hast, und lerne daraus. Und merke dir: Kommt ein derart inakzeptables Verhalten noch einmal vor, werde ich einen Rohrstock besorgen.«

Zögernd und vorsichtig legte sie sich über seine Oberschenkel, raffte dabei den Rock und entblößte ihr Hinterteil. Demütigung, Scham und Angst ließen ihr noch vor dem ersten Schlag die Tränen über die Wangen rinnen.

»Du hast mich sehr enttäuscht, Julianna, ich bin sehr unzufrieden mit dir«, sagte Matthew und der erste Schlag klatschte so unnatürlich laut, dass sie das Gefühl hatte, ihre Ohren würden klingeln.

Dann erst kam der Schmerz und sie stöhnte, biss sich auf die Faust, um die Geräusche zu dämpfen. Niemand von den Nachbarn sollte hören, dass sie gezüchtigt wurde. Das wollte sie um jeden Preis verhindern. Nach dem zehnten Schlag konnte sie nicht mehr still weinen, nach dem fünfzehnten Hieb fing sie an zu betteln, kaum verständlich unter all den Schluchzern, von denen ihr Körper geschüttelt wurde.

»Matthew, bitte, bitte, hör auf, bitte!«, schrie sie, doch Matthew, so streng und korrekt er war, so gnadenlos war er auch.

Julianna kämpfte gegen ihn an, als der Schmerz übermächtig wurde, doch er hielt sie mühelos fest. Schlag um Schlag prasselte auf ihren Hintern, bis ihr Widerstand brach, und sie leise schluchzend wie ein nasser Sack über seinen Knien hing. Er züchtigte sie, bis sie verstummte, bis sie die Schläge einfach über sich ergehen ließ, ihre Strafe akzeptierte und sich fügte. Matthew half ihr aufstehen, als er mit ihr fertig war, und nahm sie in seine Arme.

»Entschuldige dich aufrichtig und wir sind wieder gut miteinander«, sagte er leise, strich ihr über die aufgelöste Frisur, schob sie von sich, hielt sie an den Schultern fest und sah sie an. »Ich musste als Soldat auch erst Disziplin erlernen, Julianna, und ich weiß, wie schwierig es ist, sich immer korrekt zu verhalten. Aber ich werde keine Fehler dulden, die unser Zusammenleben so sehr belasten wie das, was du heute getan hast. Ich erwarte Ehrerbietung, Respekt und Gehorsam, du bist mir untergeordnet und dienst mir, wie du dem Herrn dienen solltest. Du kennst die Heilige Schrift gut genug, um zu wissen, was sie dir vorschreibt. Habe ich recht?«

»Ich ka … kann noch … ni … nicht sprechen«, schluchzte sie und Matthew nickte: »Ich habe Zeit.«

Seine Finger befreiten ihr Gesicht von nassgeweinten, aus der Frisur gelösten Haarsträhnen, eine Geste, die so herzzerreißend zärtlich war, dass Julianna noch einmal neue Tränen kamen.

Es dauerte ungefähr zehn Minuten, die sie sich im Schlafzimmer still gegenüber standen, bis sie wieder reden konnte. Sie wischte die letzten Tränen aus dem Gesicht, senkte demütig das Haupt und sagte mit zitternder Stimme, aber immerhin ohne zu stocken: »Bitte verzeih mir, Matthew. Es tut mir sehr, sehr leid. Mein Verhalten war ungehörig und hatte Strafe verdient. Es soll nie wieder vorkommen.«

»Gut. Du solltest dich vielleicht noch bedanken.«

»Danke, Matthew, für die Disziplinierung und … und die Korrektur meines Verhaltens.«

Er küsste sie zärtlich auf die Stirn und flüsterte: »Dir sei verziehen, Julianna. Zieh dich um, wir gehen zu Bett.«

 

Sie konnte nicht auf dem Rücken liegen, das merkte sie sofort, als sie sich auf die Bettkante setzte und ihr ein kleiner Schmerzensschrei entfuhr. Im Stehen schmerzte ihr Hintern schon gewaltig, und darauf liegen konnte sie nicht, auf gar keinen Fall. Sie legte sich auf die linke Seite, denn sie traute sich nicht, ihm den Rücken zuzukehren, ihm die sprichwörtliche kalte Schulter zu zeigen. Er beendete die Abendtoilette, löschte das Licht und legte sich hin, zog sie sofort in seine Arme.

»Matthew?«, fragte sie vorsichtig und er erklärte leise, aber mit fester Stimme: »Ich möchte nichts mehr über den Vorfall hören. Fängst du an zu diskutieren, wird es dir leidtun.«

»Nein, bitte, ich … ich wollte etwas ganz anderes sagen.«

»Dann sprich, ich höre dir zu.«

»Ich glaube, dass ich … dass ich guter Hoffnung bin, Matthew.«

»Glaubst du es oder weißt du es?«

»Ich glaube es. Ich habe ja noch nie ein Kind empfangen und weiß nicht, wie es sich anfühlt, aber Mrs. Wyman hat mir erklärt, woran man es merkt und es passt genau.«

»Woran merkt man es?«, fragte Matthew leise und Julianna spürte, dass er seine Hand zwischen ihre Körper schob, nach ihrem Bauch tastete.

»Zunächst bleibt die monatliche Blutung aus. Ich hatte sie nur ein einziges Mal, seit wir verheiratet sind. Mrs. Wyman sagt, man leidet unter großer Erschöpfung und starker Müdigkeit, Appetitlosigkeit und Übelkeit und die … die Brüste spannen. Und das alles ist bei mir der Fall.«

»Dann bist du vielleicht eingeschlafen, weil du mein Kind unter dem Herzen trägst?«, fragte Matthew und Julianna antwortete nicht verbal, sie nickte nur, wissend, dass er es an seiner Brust spüren würde.

Gar nicht zu antworten kam nicht infrage, aber sie wollte sich auch nicht sagen lassen, sie hätte über den Vorfall gesprochen, nachdem er es so deutlich verboten hatte.

»Das würde mich sehr freuen, sollte das tatsächlich der Fall sein, Julianna. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du so schnell guter Hoffnung sein würdest. Mr. Brighton und seine Frau waren schon drei Jahre verheiratet, als sie zum ersten Mal gesegneten Leibes war.«

»Ich freue mich ebenfalls«, antwortete sie leise, »ich habe mir immer eine Familie gewünscht.«

»Dann sprechen wir jetzt das Nachtgebet und werden auch für unser Kind bitten«, bestimmte Matthew und bekreuzigte sich.

Er sprach ein außergewöhnlich langes, inniges Gebet und Julianna lauschte aufmerksam, schon alleine, um sich von ihrem schmerzenden Hinterteil abzulenken. Außerdem hörte sie Matthew gerne zu, wenn er betete. Er war nie um andächtige Worte verlegen.

»Amen«, schloss er und Julianna flüsterte ebenfalls ihr »Amen«.

»Darf ich in deinen Armen einschlafen?«, fragte sie leise, als sich Matthew ein wenig bewegte.

»Ja«, antwortete er schlicht und Julianna schloss die Augen.

Sie würde eine gute Ehefrau sein. Die Beste von allen. Alleine schon deswegen, um nur nie wieder über Matthews Schoß zu liegen.

 

 

Der 1000. Tag

»Guten Morgen, Julianna!«, rief Rose fröhlich über die Straße und eilte auf sie zu, »Guten Morgen, Mattie, kleiner Mann.«

Julianna, die zugesehen hatte, wie sich Matthew junior einem Tigersalamander, der sich in der Septembersonne wärmte, näherte, hob den Kopf und lächelte: »Guten Morgen, Rose.«

Mattie antwortete nicht, er war in die Betrachtung des Salamanders vertieft. Julianna hatte mit dem Jungen in Mrs. Byrds Kurzwarenladen aufgesucht und Wolle und Garn gekauft. Nachdem Matthew ziemlich genau ein Jahr zuvor sein Lebensmittelgeschäft eröffnet hatte, hatte Julianna nicht mehr viel Gelegenheit, das Haus zu verlassen. McCormick’s Grocery Store lief gut und die Anwohner der umliegenden Straßen waren heilfroh, nicht mehr bis zu Mr. Singer laufen zu müssen. Sie war mit dem Haushalt, dem Garten, Mattie und dem Laden sehr beschäftigt, verließ das Haus fast nur noch am Donnerstag zum Handarbeitszirkel und für die Gottesdienste. Da war jede Besorgung, für die sie an die frische Luft musste, ein echter Segen.

Rose zeigte auf Juliannas unübersehbar gerundeten Bauch und fragte: »Wie geht es dem Kind?«

»Ich denke gut. Es sind nur noch ein paar Wochen. Wir erwarten die Niederkunft vor Weihnachten.«

»Das dritte Kind, pünktlich zum dritten Hochzeitstag«, lächelte Rose und Julianna nickte.

Rose hatte sich zu einer treuen und zuverlässigen Freundin entwickelt, eine Vertraute, mit der sie lachen und weinen konnte. Julianna hatte sehr viel geweint in diesem Jahr. Im letzten Oktober, also vor elf Monaten, hatte sie ein zartes, wunderschönes Mädchen geboren, das sie Margaret genannt hatten. Im Januar war sie sehr krank geworden und nach vier Tagen im Fieber gestorben. Juliannas Blick wanderte zum Friedhof, auf dem ihr kleines Mädchen begraben lag, und der Schmerz überrollte sie wie immer mit Wucht.

»Wie geht es dir denn?«, fragte sie dann, um sich abzulenken, und weil Rose in der Woche zuvor über starke, morgendliche Übelkeit geklagt hatte.

Auch Rose würde ein weiteres Kind bekommen, es war ihr Viertes.

»Wieder besser, zum Glück. Hast du Barbara gesehen? Ihr halbes Gesicht ist blau.«

Julianna schüttelte den Kopf: »Nein, zuletzt am Donnerstag im Handarbeitszirkel. Aber wir haben gehört, dass Cody sie am Sonntagabend gezüchtigt hat.«

»Zeig mir einen, der das nicht gehört hat«, murmelte Rose und rollte mit den Augen. »So ungeduldig Nate mitunter ist, so liebevoll geht er mit mir um. Du hast mit Matthew auch großes Glück gehabt, nicht wahr?«

Julianna nickte und schämte sich, weil sie trotzdem unzufrieden war. Bis auf die Nächte, in denen sich Matthew nahm, was ihm zustand, konnte sie sich nicht beschweren. Doch auch nach fast drei Jahren Ehe war der Vollzug derselben eine lästige, schmerzhafte, unangenehme Pflicht, die ihr mittlerweile verhasst war.

»Ich freue mich immer besonders auf den Samstagabend«, erzählte Rose und lächelte versonnen.

»Wieso das?«, fragte Julianna, für die der Samstagabend ein Abend wie jeder andere war.

»Mrs. McCormick, stell dich doch nicht so dumm!«, schimpfte sie und lachte.

Als sie nur lahm mit den Schultern zuckte und ein ratloses Gesicht machte, beugte sich Rose näher zu ihr und flüsterte: »Nate besucht mich jeden Samstagabend.«

Julianna, die die Freundin um ihr wesentlich größeres Haus manchmal beneidete und manchmal auch nicht, wusste, dass die Eheleute, wie das bei wohlhabenderen Paaren üblich war, in getrennten Zimmern schliefen. Der Mann ging seine Frau dann »besuchen«, wenn er die Ehe vollziehen wollte. Sie runzelte die Stirn und fragte sich, wie um Himmels willen man sich darauf freuen konnte – würde sie so leben wie Rose, würde sie den Samstagabend am meisten von allen fürchten.

»Oh«, machte Julianna, weil sie absolut nicht wusste, was sie darauf antworten sollte.

»Du bist Mutter von drei Kindern und siehst mich an, als wüsstest du nicht im Geringsten, wovon ich spreche, Julianna McCormick«, murmelte Rose und deutete, wie zum Beweis, auf Mattie.

»Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie man sich darauf freuen kann«, flüsterte sie und wurde tiefrot.

»Du freust dich nicht, wenn dein Mann zu dir kommt?«

Oh, Gott, hilf mir, dachte Julianna und suchte verzweifelt nach einer Antwort, die Matthew gerecht werden würde, die unverfänglich und anständig war und nicht verriet, wie sehr sie es hasste.

Doch Rose, die Julianna fast schon entsetzt ansah, enthob sie einer Erwiderung, da sie sehr, sehr leise in ihr Ohr flüsterte: »Aber es ist doch schön, überall gestreichelt und geküsst zu werden und in seinen Armen einzuschlafen. Ich mag es auch, Nate zu streicheln und zu küssen. Es macht ihm so viel Freude, wenn wir zärtlich zueinander sind.«

Julianna zog verwirrt die Augenbrauen zusammen. Matthew streichelte höchstens ganz kurz ihre Brust und küsste sie nur auf den Mund, auf die Wange oder die Stirn. Das Beste an all dem war tatsächlich, in seinen Armen einschlafen zu dürfen. Außerdem, überlegte Julianna, hatte sie selbst Matthew noch nie gestreichelt. Nirgendwo. Sie küsste ihn auch nur auf Wange, zum Abschied.

»Oh, mein Gott!«, flüsterte Rose, zuckte zurück und schlug sich die Hände vor den Mund. »Ihr … Matthew macht das nicht so?« Sie kam wieder näher und wisperte in Juliannas Ohr: »Aber dann tut es dir doch furchtbar weh, wenn man vorher nicht zärtlich zueinander ist.«

Julianna erstarrte und musste schlucken. Das hatte ihr noch nie jemand gesagt und Matthew schien es auch nicht zu wissen. Sie glaubte nicht, dass er es absichtlich so machte, wie er es nun einmal machte, denn er war nicht dumm und wusste, dass sie weinte, dass sie nach fast drei Jahren immer noch Qualen litt, wenn er die Ehe vollzog. Er würde ihr niemals böswillig Schaden zufügen und er betete darum, ihr keine Schmerzen zu bereiten, das hatte er damals gesagt, in ihrer Hochzeitsnacht. Matthew war so unberührt gewesen wie sie und als strenggläubiger Mensch sprach er niemals mit anderen Männern über derart ungehörige Themen. So wie sie eigentlich auch nicht darüber sprechen sollte.

»Rose«, flüsterte sie und schüttelte den Kopf, »ich habe mich schon viel zu lange aufgehalten, ich muss weiter. Wir sehen uns am Donnerstag im Handarbeitszirkel, ja?«

»Ja, natürlich«, antwortete Rose und sah immer noch geschockt aus. »Auf Wiedersehen, Julianna, auf Wiedersehen, Mattie.«

 

 

Die Glocke an der Tür bimmelte und Matthew hob den Blick von seinen Büchern, vertiefte sich aber sofort wieder darin, als er sah, dass es Julianna und Mattie waren, die hereinkamen. Er stand hinter dem Tresen, den Mister Smith aus der Sanderson Street für sie gefertigt hatte, und trug Zahlen in ein Buch ein.

»Was hast du gekauft?«, fragte er und Julianna zeigte es ihm, erklärte, wie viel es gekostet hatte, und zählte ihm das Wechselgeld auf die Tischplatte.

»Gut. Warst du auf dem Friedhof und hast nach Margaret gesehen?«, wollte er wissen und steckte das Geld in seine Hosentasche.

»Ja. Mattie und ich haben ein Gebet gesprochen und ihr erzählt, dass sie noch vor Weihnachten ein Geschwisterchen bekommt.«

Juliannas Stimme zitterte leicht, wie immer, wenn sie über Margaret sprach, und Matthew streichelte ihre Wange: »Es wird alles gut gehen, hab keine Angst.«

Sie nickte und nahm Mattie mit nach oben, bereitete das Mittagessen vor, das nach wie vor, auch wenn Matthew jetzt sein eigenes Geschäft besaß, pünktlich um ein Uhr auf dem Tisch zu stehen hatte. Seit dem unglückseligen Tag im März vor eineinhalb Jahren hatte sie nie wieder über seinen Knien gelegen und Julianna tat nach wie vor alles dafür, dass es so blieb. Matthew war zufrieden mit seiner Frau und lobte ihre Kochkünste regelmäßig, ließ durchblicken, dass er ihre harte Arbeit in Haus und Garten schätzte und anerkannte. Julianna freute sich über jedes Lob, das Matthew ihr schenkte, egal, wie nüchtern und sachlich es vorgetragen war.

Nach zwei Jahren und neun Monaten, die sie mit ihm verbracht hatte, wusste sie, dass er innerlich fast tot war. Er kannte keine Gefühle, keine überschwängliche Freude. Die einzige, echte Regung, die sie jemals an ihm wahrgenommen hatte, war am Abend nach Margarets Tod gewesen. Matthew war ins Schlafzimmer gegangen, um zu beten, und dabei hatte er geweint, Julianna hatte es gehört, als sie sich zur Toilette geschlichen hatte. Er war Mattie ein strenger, unnachgiebiger Vater, doch sie wusste, dass er seinen Sohn von Herzen liebte, dass er auch Margaret geliebt hatte. Er konnte diese Liebe, die so tief in ihm verborgen war, nur nicht zeigen.

 

»Guten Appetit«, wünschte Matthew nach dem Gebet und nahm sich eine Scheibe Brot, riss sie in zwei Hälften und gab die kleinere Hälfte seinem Sohn.

»Danke, Pa«, sagte Mattie und warf das Brot komplett in die Suppe, was Matthew dazu veranlasste, eine Augenbraue nach oben zu ziehen, und Julianna ein kleines, genervtes Stöhnen entlockte.

Sie zog Matties Schüssel zu sich und zerkleinerte das Brot in der Suppe so, dass er es essen konnte. Matthew zeigte seinem Sohn, wie man die Brotscheibe in den Teller eintauchte und gab ihm noch ein kleines Stückchen, damit er es probierte.

»Sehr gut«, lobte er, als Mattie ihn fast perfekt imitierte, »du bist bald ein großer Bruder, Matthew, du musst ein Vorbild sein.«

»Ja, Pa«, antwortete der Junge und baumelte so stark mit den Beinchen, dass er seiner Mutter dabei einen Tritt versetzte.

»Mattie, bitte sitz still«, forderte Julianna und aß einen Löffel Suppe, die, wie sie merkte, ziemlich versalzen war. »Darf ich dir noch ein wenig heißes Wasser in den Teller gießen? Es tut mir leid, dass sie ein bisschen versalzen ist«, wandte sie sich an ihren Mann, doch der schüttelte den Kopf: »Ich finde es gut, danke.«

Sie aß schweigend ein paar Minuten, half Mattie dabei, mit der Suppe zurechtzukommen, und wartete, bis Matthew sein Mahl beendet hatte, bevor sie ihn noch einmal ansprach: »Ich habe ein Anliegen.«

»Ja?«

»Könnte ich wohl ein Heft und einen Bleistift haben, bitte?«

»Wofür brauchst du die Sachen?«, erkundigte er sich, denn er war ein sparsamer Mensch und Verschwendung war ihm ein Graus.

»Ich möchte gerne ein paar Rezepte aufschreiben, die wir im Handarbeitszirkel untereinander austauschen. Es sind mittlerweile so viele, die ich gehört habe, dass ich die meisten schon wieder vergessen habe. Wenn ich ein Heft hätte, könnte ich mir die Rezepte noch am Donnerstagabend notieren und sie immer nachschlagen, wenn ich sie brauche. Ich habe letzte Woche nach einem Rezept von Mrs. Wyman ein Brot gebacken und es hat dir sehr gut geschmeckt, erinnerst du dich?«

»Ja, das war wirklich ein sehr gutes Brot. In Ordnung, die Idee mit dem Heft erscheint mir sinnvoll. Ich werde dir die Sachen aus dem Laden mitbringen, wenn ich zum Abendessen nach oben komme.«

»Vielen Dank, Matthew. Ich werde sorgsam damit umgehen«, sagte sie leise und er lächelte sein knappes, vertrautes Lächeln.

»Nichts anderes erwarte ich von dir.«

 

Am Abend, als sie im Bett lagen und Mattie in seinem Kinderbettchen schon lange schlief, schob Matthew ihr Nachthemd nach oben und fuhr mit der Hand über ihren runden Bauch, ihren Busen. Der Kuss, den sie empfing, war ein wenig länger, als sie es von ihm gewohnt war, und sie merkte, dass ihr das gefiel. Seine Hand streichelte über ihre rechte Brust und währenddessen küsste er sie – das hatte er noch nie getan und Julianna fand, dass es das Angenehmste war, was er jemals im Bett mit ihr gemacht hatte. Ihr fiel Rose und ihr ungebührliches, unanständiges Gespräch wieder ein und sie fragte sich, ob es das war, wovon sie gesprochen hatte. Viel zu schnell war der Moment vorbei und Matthew spreizte ihre Beine, kniete sich zwischen ihre Schenkel und presste sich in sie. Wie immer suchte Julianna Trost im Gebet und unterdrückte das schmerzvolle Wimmern, um Matthew sein Vergnügen nicht zu verderben. Durch den dicken, runden Bauch legte er sich nicht wie sonst auf sie, er blieb in dieser knieenden Position und Julianna fühlte sich durch den fehlenden Körperkontakt einsam und noch schlechter als sonst. Matthew keuchte erstickt, wie er es immer tat, wenn sein Samen seinen Körper verließ und zog sich dann aus ihr zurück. Er bettete sie an seine Brust und seufzte zufrieden, während sie allen Mut zusammennahm und ihre Hand über sein Herz legte. Sie fühlte die dichte, irgendwie weiche und doch harte Behaarung an ihrer Handfläche und streichelte ihn, zum ersten Mal, seit sie verheiratet waren.

»Das ist …«, flüsterte Matthew und sie rechnete damit, dass er »ungehörig« oder »unangebracht« sagte, doch er fuhr heiser fort: »sehr schön.«

»Ja«, antwortete sie und fragte sich, ob sie es wagen konnte, ihm zu erzählen, was Nate und Rose im Ehebett machten, dass sie sich gegenseitig streichelten und küssten, und dass Rose behauptet hatte, es täte einer Frau dann nicht weh. Doch Julianna traute sich nicht.

Vielleicht irgendwann, bei passender Gelegenheit, dachte sie, und wusste gleichzeitig, dass es niemals eine passende Gelegenheit für ein solches Gespräch geben würde.

»Julianna?«, flüsterte Matthew und küsste sie auf die Stirn.

»Ja?«

»Ich habe dich sehr lieb«, sagte er leise und Julianna wusste gar nicht, was sie auf dieses unerwartete Geständnis antworten sollte.

Etwas Derartiges hatte er noch nie gesagt und sie hatte nicht damit gerechnet so etwas jemals aus seinem Mund zu hören.

»Ich dich auch, Matthew«, antwortete sie und wusste, dass es die Wahrheit war.

 

Der 2120. Tag

An einem Nachmittag im Oktober 1872 schloss sich Julianna in der Toilette auf dem Treppenabsatz ein und gestattete sich die Tränen, die sie schon den ganzen Tag zurückhielt. An die Tür gelehnt schlug sie die Hände vor ihr Gesicht und weinte, bis sie keine Tränen mehr hatte. Sie hatte erbrochen. An diesem Morgen, am Morgen zuvor, vor drei Tagen, vor vier Tagen. Sie war ohne jeden Zweifel guter Hoffnung. Schon wieder. Und dabei platzte die Wohnung über dem Laden doch bereits aus allen Nähten. Mattie, der gerade fünf geworden war, teilte sich das Bett mit seiner Schwester Florence, die im Dezember vier werden würde. In der Wiege lagen Catherine, geboren Anfang Januar 1871, und William, dem sie in der letzten Dezemberwoche desselben Jahres das Leben geschenkt hatte. Zwei Kinder innerhalb von elf Monaten hatte sie geboren und die ungefähr achtmonatige Pause, die ihrem Körper gegönnt gewesen war, war einfach zu wenig. Julianna konnte nicht mehr. Und sie wusste auch nicht mehr, wo die Geschwister alle schlafen sollten. Catherine würde aus der Wiege müssen, doch bis das neue Kind geboren worden war, war William auch schon zu groß, um mit dem Säugling zusammen in der Wiege zu schlafen. Florence und Mattie kamen in dem Kinderbett noch ganz gut zurecht, doch wenn sie Catherine dazulegte, war es zu eng. Sie brauchten einen größeren Esstisch und mehr Stühle, aber mit einem solchen Tisch konnten sie kein Kinderbett in die Küche stellen. Der kleine Dachstuhl hatte keinen praktikablen Zugang und war so niedrig, dass es Julianna nicht möglich war, aufrecht zu stehen. Ob man Mattie im Kontor des Ladens schlafen lassen konnte? Seit drei Nächten zerbrach sie sich den Kopf, doch ihr wollte keine Lösung einfallen. Es half nichts, sie musste Matthew erzählen, dass sich das nächste McCormick-Kind angekündigt hatte und dann sollte er, als Haushaltsvorstand, einfach eine Entscheidung treffen.

 

Am Abend, als Julianna in ihrer Verzweiflung Catherine in das Ehebett gelegt hatte, weil William und sie wie eingepfercht in der Wiege lagen, wusste sie, dass sie mit ihm sprechen musste. Die Kinder schliefen und Matthew saß in der Küche. Normalerweise setzte sie sich dazu, wenn er in der Bibel las, und schrieb in ihre Hefte, in die sie längst nicht mehr nur Rezepte notierte, sondern überwiegend ihre Gedanken und Erlebnisse. Matthew hatte vor geraumer Zeit mitbekommen, dass Julianna Tagebuch führte, doch er gab ihr ohne Diskussion ein neues Heft, wenn das alte vollgeschrieben war. Sie hatte das stille Einverständnis, sich diesen kleinen Luxus zu erlauben.

»Matthew?«, fragte sie leise und nahm Platz, »Darf ich kurz mit dir etwas besprechen?«

»Natürlich«, antwortete er, klappte die Bibel sanft zu und schaute sie an.

»Ich bin wieder guter Hoffnung«, sagte sie mit zitternder Stimme und wischte sich die Tränen aus dem Augenwinkel.

Immer, wenn sie ein Kind frisch unter dem Herzen trug, konnte sie von morgens bis abends weinen.

»Ja«, antwortete er und lächelte sein knappes Lächeln, »ich weiß. Mittlerweile erkenne ich die Zeichen.«

»Was sollen wir tun?«, fragte sie und Matthew runzelte die Stirn: »Nun, wir werden noch ein Kind bekommen, ihm ein Zuhause geben und es in Liebe und im Glauben erziehen.«

»Wo sollen William und Catherine schlafen? Ich habe Catherine heute in unser Bett gelegt, weil die Wiege zu klein ist. Wir brauchen einen größeren Tisch und mehr Stühle.«

»Ja, du hast recht. Ich werde mich darum kümmern, Julianna. Sei ohne Sorge. Der Herr gibt uns keine Aufgaben, die wir nicht lösen können.«

»Ja, ich weiß«, antwortete sie und konnte sich der Zweifel doch nicht erwehren.

Sie überlegte, warum Gott Rose ihre Pflichten als Ehefrau als angenehm erleben ließ, ihr ein großes Haus und nur vier Nachkommen gegeben hatte, während sie Schmerzen litt, in einer winzigen Wohnung lebte und bald das sechste Kind gebar.

Noch immer hatte sie nicht den Mut gefunden, Matthew darum zu bitten, sie überall zu streicheln und zu küssen, sodass der Vollzug der Ehe nach wie vor schrecklich unangenehm war. Sie selbst traute sich auch nicht, die Initiative zu ergreifen und ihm mit gutem Beispiel voranzugehen, nicht nachdem er anlässlich der Eröffnung eines Freudenhauses einen ernsten Vortrag über die Todsünde der Wollust gehalten und aus dem Sündenfall zitiert hatte: »Und zum Weibe sprach er: Ich will dir viel Schmerzen schaffen, wenn du schwanger wirst; du sollst mit Schmerzen Kinder gebären; und dein Verlangen soll nach deinem Manne sein, und er soll dein Herr sein.«

Vermutlich würde Matthew es gar nicht erlauben, denn so wie es Julianna verstand, gab sich Rose der Wollust hin, um ihre Kinder ohne Schmerzen empfangen zu können. Niemals würde er zulassen, dass sie beide eine Todsünde begingen. Wobei sie manchmal überlegte, ob Matthew das nicht längst tat, wenn er die Ehe vollzog, obwohl sie bereits empfangen hatte. Ein oder zwei Mal pro Woche entlud er seinen Samen in ihr, nur in der Zeit, in der sie unrein war, tat er es nicht.

»Blutest du noch?«, hatte er keine zwei Monate nach Catherines Geburt gefragt und sie hatte verneint.

Daraufhin hatte er ihr befohlen zu baden und sich zu reinigen, und noch am selben Abend hatte sie William empfangen.

Julianna hätte sehr viel dafür gegeben, wenn sie einmal mit jemanden über dieses schwierige Thema reden könnte, mit einem Menschen, der Ahnung davon hatte und ihr genau erklärte, was Gott erlaubte und was nicht. Mit dem Pfarrer konnte sie das nicht besprechen, mit Matthew auch nicht, zu groß war die Angst, dass er sie wegen ihrer ungehörigen Gedankengänge züchtigte.

Matthew riss sie aus ihren trüben Gedanken und schickte sie in die Schlafkammer, in der fünf Kinderseelchen schliefen. Sie betrachtete die kleine Catherine, die ihm so ähnlich sah, wie sonst keines ihrer Nachkommen – Florence sah aus wie Julianna, die anderen Kinder waren tatsächlich halb Vater, halb Mutter – und lächelte.

 

»Das ist nicht gut«, murmelte Matthew und hob die fest schlafende Catherine ein Stück zur Seite, kniete sich zwischen Juliannas Beine und schob ihr Nachthemd nach oben. »Es stört mich, wenn ein Kind im Bett liegt und ich bei dir liegen will.«

»Es tut mir leid«, flüsterte Julianna und Matthew zuckte mit den Schultern, bevor er das Licht löschte und sich über sie beugte, um sie zu küssen.

Er streichelte ihre Brust und sie genoss diese kleine Zärtlichkeit, wünschte sich, er würde weitermachen.

»William hat nicht getrunken heute Abend«, wisperte er und Julianna flüsterte: »Nein. Er hat unbedingt Catherines Brei probieren wollen, vielleicht war er davon satt. Oder er wacht in ein paar Minuten auf und hat Hunger und Durst.«

»Deine Brüste sind voll.« Matthews Finger streichelten über die Brustwarzen und Julianna fühlte ein schwaches Kribbeln zwischen ihren Beinen.

»Ja«, antwortete sie leise und er strich mit der flachen Hand über die linke Brust, zwei- oder dreimal, fest, mit Druck, und sie hielt die Luft an, als sie fühlte, wie Milch austrat.

»Manchmal frage ich mich, wie das schmeckt«, flüsterte er und wieder streichelte sein Finger über die Warze.

Julianna fühlte Milch an ihrer Brust herablaufen und wisperte: »Dann probier es doch. Ich habe genug Milch.«

»Ich soll …?«, fragte er und das Erstaunen ließ seine Stimme heiser klingen.

»Wer sollte es dir verbieten, Matthew?«

Statt einer Antwort fühlte Julianna, wie er wenig nach hinten ruckte. Sein warmer Mund schloss sich um die linke Brustwarze und er leckte mit der Zungenspitze darüber, auf der Suche nach den Tropfen, die er herausgestrichen hatte. Sie keuchte leise und dieses unbekannte Kribbeln wurde stärker. Es fühlte sich wunderbar an – und dann begann Matthew zu saugen. Reflexartig schlossen sich ihre Hände um seinen Kopf und sie kraulte sein Haar, den Nacken, streichelte ihn, gab sich völlig sprachlos diesem seltsam-guten Empfinden hin, das er auslöste.

Viel zu schnell hörte er wieder auf und rutschte näher, küsste sie und führte ihre Hand an seine Brust.

»Es schmeckt süß und warm«, erklärte er, »kein Wunder, dass es die Kleinen mögen.«

»Du kannst es … gerne öfter trinken, solange ich genug für die Kinder habe.«

»Julianna«, tadelte er leise, »die Milch ist für unsere Babys. Der Herr hat nicht gewollt, dass ich aus deinen Brüsten trinke, sonst würde ich das schon immer tun.«

»Ja, du hast recht. Ich wollte … nur nett sein.«

»Ich weiß. Du bist eine gute Frau. Fass mich an«, flüsterte er und begann sich in sie hineinzuschieben.

Julianna streichelte die behaarte Brust, wie ihr aufgetragen worden war, und merkte gleichzeitig, dass es nicht ganz so furchtbar schmerzte wie sonst. Es tat noch weh, aber es trieb ihr keine Tränen in die Augen.

»Jesus Christus, Julianna«, flüsterte er und zog sich ein Stück zurück.

»Was ist?«, wollte sie wissen, doch er konnte er nicht mehr antworten, weil Catherine aufwachte und »Ma« rief.

»Ich bin hier, Liebes«, antwortete Julianna, nahm die Hand von Matthews Brust und tastete nach dem Kind. »Schlaf weiter.«

»Pa?«

»Ich bin hier, Catherine. Es ist alles in Ordnung«, presste Matthew durch zusammengebissene Zähne hervor und Julianna hörte, wie Mattie im Stockfinstern aufstand und zu Matthews Bettseite lief.

»Pa liegt direkt neben dir, Catherine«, sagte ihr ältester Sohn, der seine jüngste Schwester innig liebte und ihr ein wunderbarer großer Bruder war, beschützend, besorgt und immer für da.

Sie hörte Bettzeug rascheln und dann Matties überraschte Stimme: »Pa? Wo bist du denn?«

Offensichtlich war er ins Bett geklettert und hatte festgestellt, dass Matthew nicht dort lag, wo Mattie ihn erwartete. Aber nachdem er eben gesprochen hatte, musste er ja irgendwo im Zimmer sein.

»Hier. Bei deiner Mutter.«

»Was machst du da?«, fragte Mattie neugierig und sprach so laut, dass Florence und William ebenfalls aufwachten.

»Matthew! Leg dich wieder in dein Bett und gib Ruhe. Du weckst das ganze Haus auf«, sagte er streng und bewegte sich sanft in Julianna, die sich auf die Faust beißen musste, um ein Stöhnen zu unterdrücken.

Offenbar hatte Matthew die Hoffnung auf einen erfolgreichen Vollzug der Ehe noch nicht aufgegeben, zog sich vorsichtig zurück und schob sich langsam wieder in sie, hörte nicht damit auf, eine gemächliche, aber stetige Bewegung. Sie drehte den Kopf und presste das Kissen vor ihr Gesicht, dämpfte das Stöhnen, das sie nicht unterdrücken konnte, jedes Mal, wenn er in sie eindrang. Sie spürte, dass es sich immer besser anfühlte, dass der Schmerz nachließ, dass Matthew zunehmend leichter in sie glitt. War es etwa das, was Rose meinte? Denn auf diese Art empfand sie den Vollzug der Ehe als durchaus erträglich und sie hätte nichts dagegen, wenn es sich immer so anfühlen würde.

»Aber …«, wandte der Junge ein, doch sein Vater fuhr ihm über den Mund: »Ins Bett. Sofort. Und ich will keinen Ton mehr hören.«

»Ja, Pa.« Wieder raschelte es, als Mattie das Ehebett verließ, noch einmal, als er in das Kinderbett zu seiner Schwester kletterte.

»Ma?«, fragte nun Florence und Julianna antwortete: »Ich bin hier, Schätzchen. Schlaf weiter. Catherine hat nur schlecht geträumt.«

William fing an zu weinen und Matthew stöhnte gepresst, als er sich endgültig aus Julianna zurückzog.

»So geht das nicht«, murmelte er und sie entschuldigte sich leise, stand schnell auf und holte William ins Bett, legte ihn an ihre Brust und ließ ihn trinken.

Eine halbe Stunde später war das Haus still und friedlich und sie glaubte, dass nun alle Kinder wieder schliefen. Matthew war noch wach, das konnte sie an seiner Atmung erkennen.

»Bitte züchtige mich nicht, Matthew. Ich wollte ja, aber …«, sagte sie leise, als sie William wieder in die Wiege gelegt hatte.

»Es ist nicht deine Schuld, Julianna.«

»Möchtest du es noch einmal versuchen? Ich denke, jetzt schlafen alle.«

»Nein. Aber ich werde mir etwas überlegen.«

 

Am nächsten Morgen räumte Matthew den Tresen im Laden frei und führte von diesem Tag an, nachts, wenn alle Kinder schliefen und auch der Säugling satt war, seine Frau nach unten in den Laden. Er legte eine alte Decke auf das Holz und befahl ihr, sich auf die Theke zu legen. Je nachdem, wie schwanger Julianna gerade war, eine nicht ganz einfache Angelegenheit. Der Tresen war von draußen uneinsehbar und Matthew konnte somit in Ruhe die Ehe vollziehen, ohne, dass ihn jemand dabei störte. Außerdem baute er einen größeren Tisch und mehrere Stühle, ein zweites Kinderbett und eine neue, etwas geräumigere Wiege. Er wies Juliana an, einen Vorhang zu nähen und die hintere Hälfte des quadratischen Vorraumes damit abzuteilen, und so einen Schlafplatz für die Kinder zu schaffen. Trotzdem würde der Platz nie reichen, das war Julianna völlig klar. Denn sie würde weiterhin jedes Jahr ein Baby bekommen. Und wenn es schlecht für sie lief, sogar zwei.

 

Der 2340. Tag

Ende Mai 1873 hatte Julianna noch nicht wieder zu ihrer alten Leistungsfähigkeit zurückgefunden. Über sechs Wochen lang war sie schwach und abgekämpft gewesen, gerade fähig, das allernötigste im Haushalt und für die Kinder zu tun. Die Geburt der Zwillinge Emma und Daniel Anfang April war die schwerste Prüfung ihres Lebens gewesen. In den Tagen danach blutete sie stärker als bei den vorherigen Geburten, und konnte Matthew beim besten Willen weder im Geschäft, im Haushalt oder bei den Kindern helfen. Rose nahm Mattie und Florence für eine ganze Woche, Mrs. Wyman half stundenweise im Laden, und die Arbeit im Haus blieb einfach liegen. Sie wusste, dass sich Matthew wirklich sorgte, denn er sah in jeder freien Minute nach ihr, hielt in seiner Mittagspause ihre Hand und betete für ihre baldige Genesung. In ihren ersten Lebenstagen wickelte er die Zwillinge und legte sie ihr an die Brust, weil Julianna so schwach war, dass sie kaum aufstehen konnte, ohne das Bewusstsein zu verlieren. Nicht einmal genug Kraft, um einen Löffel zu halten, besaß sie, sodass er sie fütterte, mit Hühnerbrühe, die Mrs. Wyman für sie kochte.

»Bleib bei mir, Julianna«, bat er sie jeden Abend und streichelte ihre Hand. »Ich weiß nicht, was ich ohne dich anfangen soll. Die Kinder und ich, wir brauchen dich.«

»Soll ich nein zu unserem Schöpfer sagen, wenn er mich ruft?«, flüsterte sie eines Tages und spürte, wie er erstarrte.

»Glaubst du, er wird dich rufen?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete sie schwach. »Ich hoffe nicht. Ich bin gerne bei dir und den Kindern, Matthew.«

Das Lächeln, das daraufhin auf seinem Gesicht erschien, hielt länger als sonst, und wirkte ehrlich und freundlich, so strahlend, wie sie es in sieben Jahren noch nie gesehen hatte.

»Sag, dass du mich liebst«, flüsterte er und küsste sie sanft auf den Mund, was er sonst nur tat, wenn er die Ehe vollziehen wollte.

»Ich liebe dich«, antwortete sie und legte ihre Hand an seine Wange, streichelte über den hellen Bart.

Seine Nase, die nur wenige Zentimeter von ihrer entfernt war, kräuselte sich, als sie flüsterte: »Bitte küss mich noch einmal, Matthew. So wie gerade eben.«

»Magst du das?« Seine Stimme war nur ein Hauch, kaum wahrnehmbar in der Stille des Hauses.

»Ja, das ist sehr schön«, antwortete sie und seitdem küsste er sie jeden Abend so, jeden Morgen, immer, wenn er die Wohnung verließ und immer, wenn er sie wieder betrat.

Matthew war ein zuverlässiger Mensch und er vergaß es nie, würde nie davon abweichen, das wusste sie. Diese neuentdeckte Zärtlichkeit führte dazu, dass sie in seiner Mittagspause um ein paar Küsse bat und Matthew, der ihr jeden Wunsch von den Augen ablas, küsste sie ausgiebig und sanft. Er streichelte durch ihre Haare und ließ zu, dass Julianna durch seine fuhr, ihm den Kopf kraulte und sich in seinem Nacken festhielt. Noch nie hatte sie etwas so sehr genossen, wie diese gestohlenen Minuten voller zärtlicher Küsse, wenn die Kinder schliefen oder spielten, und sie alleine in der Küche waren.

 

Doch Julianna schleppte sich nach wie vor schwach durch den Tag, aber sie war wieder fähig, ihre Pflichten im Haushalt zu übernehmen und sich um die Kinder zu kümmern. Die Zwillinge verschliefen die meiste Zeit des Tages und tranken um die Wette. Glücklicherweise hatte Julianna mehr als genug Milch um beide Babys satt zu bekommen. Emma und Daniel, die am Tag ihrer Geburt klein und schwach ausgesehen hatten, wuchsen schnell und holten bald das auf, was die anderen Kinder schon von Anfang an auf die Waage gebracht hatten.

Am Abend fiel Julianna erschöpft ins Bett und schlief eigentlich schon in dem Moment, in dem ihr Kopf das Kissen berührte. Sie zuckte zusammen, als Matthews Hand unter ihr Nachthemd fuhr, kämpfte sich zurück in den Wachzustand.

»Ich habe Sehnsucht nach dir, Julianna«, flüsterte er an ihrem Ohr und ließ seine Hand ihren Oberschenkel hinauf gleiten. »Ich habe seit über zwei Monaten nicht mehr bei dir gelegen. Lass uns nach unten gehen. Die Kinder schlafen alle und die Zwillinge werden nicht so schnell aufwachen.«

Julianna hatte Angst vor diesem Moment gehabt, fast schon Panik. Angst, die sie lähmte, die sie gefügig machte und dafür sorgte, dass sie leise aufstand und Matthew nach unten in den Laden folgte. Sie sah zu, wie er die alte Decke auf die Theke legte und fragte sich, wie sie es um Himmels willen verhindern konnte.

Einladend streckte er die Hand nach ihr aus: »Komm her, ich helfe dir hinauf.«

»Bitte nicht«, flüsterte sie und schüttelte den Kopf. »Bitte tu es nicht.«

Er erstarrte und runzelte die Stirn: »Warum?«

»Ich bin noch so schwach, Matthew, ich weiß nicht, ob ich ein weiteres Kind bekommen kann oder ob mich die nächste Geburt tatsächlich umbringen wird.«

Sie sah, dass er darüber nachdachte, lange und gründlich. Er drehte das Problem im Kopf hin und her, betrachtete es von allen Seiten und suchte nach einer Lösung.

»Du weißt, dass es Unrecht ist, sich seinem Mann zu verweigern«, erklärte er nach ein paar endlosen, stillen Minuten.

»Ja«, antwortete Julianna schlicht und sah zu Boden. »Wenn ich mich recht erinnere, habe ich mich dir noch nie verweigert und werde das auch niemals tun. Ich kenne die Pflichten einer Ehefrau und bin bereit, sie zu erfüllen. Das sollst du wissen, Matthew.«

»Gut. Trotzdem hast du darum gebeten, dass ich darauf verzichte, dir beizuliegen«, sagte er und klang dabei, zu Juliannas Erleichterung, immer noch geduldig und nicht etwa wütend.

»Wenn du es riskieren willst, werde ich mich nicht sperren. Dann lege ich mich hin und lasse dich tun, was dein Recht ist. Ich bitte nur um Rücksicht, Matthew.«

»Ich verstehe«, antwortete er leise und runzelte die Stirn.

»Und bitte züchtige mich nicht dafür.«

Er schüttelte den Kopf und kam noch näher, nahm ihre Hände in seine: »Ich habe große Sehnsucht nach dir. Ich sehne mich nach deinem Körper.«

»Vielleicht könnten wir uns küssen und streicheln. Würde das helfen? Wir sind uns nahe und zärtlich zueinander, aber ich werde kein Kind empfangen.«

»Das ist ein Kompromiss«, nickte er und nahm die Decke von der Theke, »und das können wir sogar oben im Bett machen.«

»Danke, Matthew, vielen Dank. Und du bist auch wirklich nicht böse oder enttäuscht?«

»Nein. Ich werde dich nicht züchtigen, hab keine Angst. Du hast recht. Noch vor wenigen Wochen fürchtete ich, dich zu verlieren, und hätte dich nun wieder dieser Gefahr ausgesetzt. Ich … ich werde warten, bis du vollständig bei Kräften bist, Julianna. Alles andere wäre leichtsinnig und selbstsüchtiger, als ich vor mir verantworten kann.«

Er nahm sie bei der Hand und führte sie wieder nach oben, sie schlichen sich an den Kindern vorbei und legten sich hin.

»Komm her, geliebte Julianna«, flüsterte er und sie rutschte zu ihm.

Matthews Arme schlossen sich um sie und er zog sie an die Brust, küsste ihre Stirn, wie er es so oft tat, eine zärtliche Geste, die seinen Status als auch seine Wertschätzung transportierte. Sie streichelte seinen Oberkörper, erstmals ohne Aufforderung, und er revanchierte sich mit sanften Küssen auf ihren Mund. Sie hielt die Luft an, als er ihr Nachthemd aufknöpfte und eine Hand auf ihre Rundung schob, über ihre Brustwarze strich.

»Das fühlt sich gut an«, hauchte er ihr leise ins Ohr. »Ich mag es, wenn deine Brüste voll und schwer sind. Ich kann mich kaum daran sattsehen.«

Sie fühlte wieder dieses Kribbeln, das sie schon einmal empfunden hatte, immer stärker werdend, als er einfach nicht aufhörte, ihre Brust zu streicheln. Julianna wusste nach insgesamt sieben Kindern, dass ihre Brüste sehr empfindlich waren, wusste, wann es unangenehm war sie zu berühren und wann es sich gut anfühlte.

Was Matthew gerade machte, fühlte sich besser an als alles andere jemals zuvor und sie fragte sich, ob er das ähnlich empfinden würde. Sie beschloss, es einfach auszuprobieren, und tastete nach seiner Brustwarze. Sie spielte mit ihr, so wie Matthew es bei ihr tat, und lächelte in die Dunkelheit, als er leise seufzte. Sie kraulte durch die Brustbehaarung, kehrte immer wieder zu der Brustwarze zurück und liebkoste sie, solange, bis Matthew sie auf den Rücken drehte und ihre linke Brust aus dem Nachthemd holte. Seine Lippen schlossen sich um die Warze und er saugte vorsichtig, leckte immer wieder darüber, ließ die Zunge unaussprechliche Dinge tun.

»Matthew«, stöhnte sie leise und wie beim ersten Mal auch, legten sich ihre Hände wie von selbst auf seinen Kopf, berührten ihn zärtlich.

Er bewegte sich und Julianna fühlte seinen harten Penis an ihrem Oberschenkel – und plötzlich, nur für eine Sekunde, wünschte sie, er wäre in ihr. Sie drückte den Gedanken zur Seite, weil Matthew ihre Hand nahm und sie tatsächlich unter sein Nachtgewand schob. Sie keuchte entsetzt auf, als er ihre Finger um seine Härte schloss.

»Fass mich an«, flüsterte er und hauchte einen Kuss neben dem nächsten, von ihrer Brust zu ihrem Mund.

Sie hatte ihn noch nie dort berührt und wunderte sich, wie seidig und gleichzeitig fest sich sein Penis anfühlte, wie groß er war, wie seltsam hart. Ihre Fingerspitzen wanderten zu den Hoden, und er gab ein Geräusch tiefer Befriedigung von sich, als sie anfing, die zarte Haut zu streicheln. Matthew küsste sie immer weiter, streichelte ihre Brüste, während sie nach wie vor zögernd und unsicher seinen Unterleib erkundete, Hüften und Po vorsichtig berührte. Nach einiger Zeit dirigierte Matthew ihre Hand ein weiteres Mal zu seinem Penis, schloss ihre Faust um ihn und bewegte sie so, als wäre er in ihr, vor und zurück, immer wieder. Julianna verstand, was er tat, was er von ihr wollte, schloss die Augen und lauschte auf die erstickten Geräusche, die er von sich gab.

»Ja«, keuchte er leise, »ja, hör nicht auf, hör nicht auf.«

Das halb erstickte Stöhnen an ihrem Ohr verriet ihr, dass Matthew fertig war, sie spürte die Nässe des Samens an ihrer Hand. Er küsste sie, wieder und wieder, während sie merkte, wie sein Penis kleiner und weicher in ihrer Faust wurde. Vorsichtig ließ sie ihn los, platzierte ihre Hand auf seiner Brust, schloss die Augen und schlief fast sofort ein, hatte gar keine Zeit mehr, sich zu ernsthaft fragen, was sie da eben getan hatte und ob das richtig war. Matthew wusste es bestimmt und sie würde es dadurch erfahren, ob sie ihn zukünftig anfassen sollte oder nicht. Wenn nicht, war es ein Fehler gewesen, eine Sünde. Wenn er nächstes Mal wieder verlangte, sie solle ihn dort unten berühren, konnte es nicht falsch sein. Und für sich selbst erkannte sie, dass sie es als so schön wie noch niemals zuvor empfunden hatte. Wenn man die Ehe so vollziehen könnte, wäre es keine lästige Pflicht, im Gegenteil. Das Kribbeln in ihrem Unterleib war ebenso angenehm wie verzehrend und sie fragte sich, ob es einen ähnlichen Höhepunkt nehmen konnte wie Matthew ihn hatte.

Der 2480. Tag

Im Oktober 1873 hatte sich Julianna endgültig erholt. Sie hatte das verlorene Gewicht zugenommen, arbeitete 14 bis 16 Stunden am Tag und erfüllte ihre Pflichten. Bis auf die ehelichen. Sie wusste, dass Matthew gerne wieder einmal abends nach unten in den Laden ginge. Die Zärtlichkeiten, die sie im dunklen Schlafzimmer, umgeben von den kleineren Kindern austauschten, reichten ihm nicht mehr. Es konnte nur noch wenige Tage dauern, bis er sie aufforderte, sich auf die Theke zu legen, sie hatte gespürt, wie viel Zurückhaltung es ihn in den letzten Nächten gekostet hatte, nicht in sie einzudringen, wenn sie Zärtlichkeiten austauschten. Julianna wusste, dass sie bald wieder empfangen würde. Da sich sowohl Matthew als auch sie selbst als äußerst fruchtbar erwiesen und ihre Kinder als gesund und widerstandsfähig, war der nächste McCormick-Spross schon fast so sicher wie das Amen in der Kirche.

Seufzend beugte sich Julianna über ihre Stickerei und schüttelte den Kopf, als sie den fragenden Blick ihrer Freundin Rose bemerkte, die im Handarbeitszirkel neben ihr saß. Rose hatte nach wie vor nur vier Kinder, das jüngste nun schon dreieinhalb Jahre alt. Sie fragte sich, wie um alles in der Welt Rose das anstellte, wo sie doch jeden Samstagabend von Nate besucht wurde. Vielleicht sogar auch öfter, denn Julianna wusste mittlerweile, dass Männer den Vollzug der Ehe als den größten Vorteil einer solchen Verbindung ansahen. Sie hatte Rose schon lange danach fragen wollen, aber nie den Mut gefunden, denn es hätte ja sein können, dass sie all ihre Kinder nach der kleinen Adele verloren hatte. Allerdings hatte sie niemals traurig oder krank gewirkt, hatte keinen Handarbeitszirkel in den letzten Jahren verpasst. Julianna konnte das Gespräch, das sie vor langer Zeit mit Rose geführt hatte, einfach nicht vergessen. Es war, als rankte sich ein großes Geheimnis um den Vollzug der Ehe, dessen Ergründung so vieles leichter machte. Von der fast unvorstellbaren Möglichkeit, Matthew zu Willen zu sein und trotzdem kein Kind zu empfangen, mal ganz abgesehen. Es musste etwas geben und wenn sie sich überwand und das Geheimnis lüftete, dann … konnte alles nur besser werden. Nachdenklich betrachtete sie die Zwillinge, die auf einer Patchworkdecke auf dem Boden zu ihren Füßen lagen. Sie musste mit Rose reden, und sich gegebenenfalls aufrichtig entschuldigen, wenn sie ihr zu nahe trat.

»Gehen wir zum gemütlichen Teil über, meine Damen!«, rief Mrs. Wyman und klatschte in die Hände, beendete damit die Handarbeitszeit und läutete den gemeinsamen Kaffeeklatsch ein, der Hauptgrund, weshalb die meisten Frauen überhaupt teilnahmen.

»Kann ich alleine mit dir sprechen, Rose?«, fragte Julianna leise und Rose nickte: »Natürlich. Setzen wir uns dort hinten ins Eck, da sind wir ungestört.«

Sie zeigte in die Richtung und Julianna lächelte nervös, packte ihre Handarbeit in den Korb und überlegte, ob sie Emma und Daniel einfach auf der Decke liegen lassen sollte. Beide Kinder waren gerade sehr zufrieden und erkundeten gegenseitig ihre Gesichter. Emma prustete, als ihr Bruder sie am Ohr zog und Julianna lächelte abermals, diesmal von Herzen. Sie liebte ihre Kinder, jedes einzelne. Aber noch mehr bekommen? Sie war sich unsicher, ob sie das schaffte. Ihr Blick fiel auf den Stuhl, auf dem Barbara immer gesessen hatte. Vier Wochen zuvor hatte man sie beerdigt, Seite an Seite mit dem Sohn, dessen Geburt weder Mutter noch Baby überlebt hatten. Cody Miller trank seitdem rund um die Uhr und Julianna war – so grausam es klang – heilfroh, dass Barbara ihren Mann los war. Die älteren Kinder waren bei Barbaras Familie untergekommen, sodass nichts und niemand mehr zwischen Cody und der völligen Selbstzerstörung stand. Julianna empfand Angst, noch größere Angst als jemals zuvor. Sie wusste genau, dass die Geburt der Zwillinge um ein Haar zu ihrem Tod geführt hätte. Ob es an Matthews innigen Gebeten lag oder an ihrem Lebenswillen und daran, dass der Schöpfer noch keine Verwendung für sie hatte –, Julianna war am Leben und wollte es auch gerne bleiben.

Die Frauen stürmten die Kaffeetafel und der Geräuschpegel stieg. Mattie organisierte seinen Geschwistern eine Handvoll Plätzchen und verzog sich dann mit ihnen und ein paar anderen Kindern, darunter Adele, in eine Ecke, um zu teilen.

»Was hast du auf dem Herzen?«, fragte Rose, hakte sich bei Julianna unter und führte sie zu dem besagten Tisch.

»Es ist ungehörig, deswegen verstehe ich, wenn du nicht mit mir darüber reden willst.«

Rose lächelte verschmitzt und flüsterte: »Ich mag ungehörige Dinge, Jules. Wie gut kennst du mich, hm?«

Julianna seufzte und verbarg ihr Lächeln hinter der Hand.

»Also? Was ist es? Raus mit der Sprache, ich sterbe vor Neugier.« Rose beugte sich weiter über den Tisch, um nur ja kein Wort zu verpassen.

»Versprich, dass du das für dich behältst, Rose, bitte. Es ist mir sehr peinlich, verstehst du?«

»Ich verspreche es«, nickte sie und fügte hinzu: »Habe ich dir schon einmal etwas Ungehöriges weitergetratscht? Eben. Ich schweige wie ein Grab.«

»Danke.« Julianna holte tief Luft und sah sich nach unerwünschten Lauschern um. »Ich wollte dich fragen, ob du kein Kind mehr empfangen hast, weil Gott dir keine mehr schenkt oder weil du … weißt, wie man die Empfängnis verhindern kann«, flüsterte sie und wurde tiefrot.

»Zweiteres«, antwortete Rose vergnügt. »Es ist ganz einfach.«

»Wirklich?« Julianna riss erstaunt die Augen auf und fühlte Hoffnung in ihrem Herzen wachsen.

»Ja. Wenn sein Samen nicht in dich hineinkommt, empfängst du auch kein Kind.«

»Aber wie verhindert man das?«

Nun warf Rose ebenfalls einen Blick über die Schulter, um auszuschließen, dass jemand in der Nähe war, der lauschte. Julianna biss sich vor Spannung auf die Unterlippe und krallte die Fingernägel in die Handflächen.

»Er muss ihn rausziehen. Rechtzeitig«, wisperte Rose und Julianna sackte in sich zusammen.

Das konnte sie Matthew niemals sagen und ihn vor allem niemals darum bitten. Dass man nicht schwanger wurde, wenn kein Samen in den Körper gelangte, war ihr klar. Sie hatte ja auch in den letzten fünf Monaten nicht empfangen, und sie war nicht dumm. Der Samen des Mannes musste in sie hinein, am besten direkt in sie fließen. Sie hatte auch verstanden, dass das für Matthew ein sehr, sehr gutes Gefühl war, wenn er sich in ihr ergoss – und genau darauf musste er verzichten, wenn sie kein Kind empfangen sollte. Da standen ihre Chancen auf Matthews Verständnis und seine Einwilligung doch gewaltig schlecht. Und selbst wenn er zustimmte: Sie konnte nichts dagegen tun, wenn er trotzdem in ihr blieb. Allerdings war es müßig, sich darüber Gedanken zu machen, denn sie würde dieses Thema sowieso niemals ansprechen.

»Ich weiß, das ist ein bisschen eklig, weil es dann überall klebt, aber es funktioniert recht zuverlässig. Nate gefällt es trotzdem, es macht ihm nichts aus, den Erguss nicht in mir zu haben«, erklärte sie kaum hörbar und Julianna schüttelte verzweifelt den Kopf.

»Ich möchte nicht noch ein Kind, Rose. Verstehst du das? Erst die schwierige Geburt von Em und Daniel, Barbaras Tod … Wir haben so wenig Platz und können uns kein größeres Haus leisten. Aber Matthew …« Ihre Stimme erstarb und sie wischte sich ein paar Tränen aus dem Augenwinkel.

»Er will nicht darauf verzichten. Kaum ein Mann will das, das ist ganz normal«, sagte Rose tröstend und fuhr dann neugierig fort: »Kannst du es mittlerweile wenigstens genießen? Macht er es schön für dich?«

Wie vier Jahre zuvor schwieg Julianna und wieder huschte das Entsetzen über Roses Gesicht.

»Ich werde Nate bitten, mit Matthew ein Gespräch unter Männern zu führen«, erklärte sie entschieden und ihre Miene spiegelte Entschlossenheit wieder.

»Nein!«, rief Julianna, viel zu laut, und schlug die Hand vor den Mund, als sich die Mitglieder des Handarbeitszirkels neugierig nach ihr und Rose umdrehten. »Um Himmels willen, Rose, ich bitte dich, tu das nicht! Wenn Matthew das erfährt …«

»Wird er nicht. Woher auch, wenn du es ihm nicht beichtest? Nate wird nach dem Gottesdienst ein wenig mit ihm plaudern, das Gespräch unverfänglich in die richtige Richtung leiten und dann, wie das so seine Art ist, ein paar schlüpfrige Dinge zur Sprache bringen. So, dass Matthew versteht, was er meint. Hab Vertrauen, Jules. Nate weiß, was er tun muss. Er hat das schon einmal gemacht.«

»Wirklich? Bei wem?«

»Bei Archie, meinem Schwager. Meine Schwester hatte genau dasselbe Problem wie du. Seitdem Nate mit ihm geredet hat, ist sie sehr zufrieden, in jeder Hinsicht.«

»Rose …«, flüsterte Julianna und verfluchte sich dafür, die Freundin gefragt zu haben. »Bitte nicht.«

»Doch. Du hast etwas Besseres verdient, Jules.«

Vor ihrem geistigen Auge sah sich Julianna bereits über der Ladentheke liegen, heulend und völlig aufgelöst, während Matthew zum ersten Mal in all diesen Jahren zum Rohrstock griff. Er würde sie zwingen, zur Beichte zu gehen und dem Priester ihr wollüstiges Verlangen zu gestehen. Schon Pater Fitzgerald hätte sie damit nicht unter die Augen treten wollen, doch der alte Pfarrer war im Winter an einer Grippe verstorben. Sein Nachfolger, Pater Ruskin, war 27 Jahre alt, also so alt wie Julianna selbst, und sie würde sterben vor Scham, wenn sie ihm etwas Derartiges beichten müsste.

»Ich bitte dich inständig, Rose, bitte sag nichts, zu niemanden«, flehte Julianna und Rose schüttelte den Kopf: »Matthew ist kein Unmensch und wenn du ihm nicht sagst, was er im Ehebett zu tun hat, dann muss es ihm ein anderer sagen.«

Julianna kämpfte die Tränen zurück, sprang auf und verabschiedete sich, zwischen Wut und Verzweiflung schwankend.

 

 

Am Abend, nach dem Gottesdienst, verließ Julianna an Matthews Seite die Kirche, zählte ihre Kinder durch und schickte sich an, nach Hause zu gehen.

»Die Familie McCormick! Euch habe ich gesucht!«, rief Nate und eilte auf sie zu. »Guten Abend, Julianna, guten Abend, Matthew. Sag, gehen wir ein Stück gemeinsam?«

»Gerne«, antwortete er höflich und schenkte Roses Mann ein knappes Lächeln.

Nate zwinkerte Julianna verschwörerisch zu und sie drehte sich weg, bevor er ihr feuerrotes Gesicht sehen konnte. Sie trieb die Kinder zur Eile an und überlegte kurz, ob sie Matthew Emma abnehmen sollte, doch dann müsste sie beide Zwillinge tragen, und hätte keine Hand mehr frei, um die anderen nötigenfalls zu dirigieren oder festzuhalten. Nicht, dass ihre Kinder Probleme machten, sie waren sehr gut erzogen, aber man wusste eben doch nie, ob nicht einmal ein Pferd scheute oder Mattie unbedingt eine Abkürzung nehmen wollte. Nate und Matthew blieben noch ein wenig stehen und folgten ihr dann langsam die Straße hinunter in Richtung McCormick’s Grocery Store.

Schlussendlich war Julianna schon seit einer Stunde zuhause, als Matthew und Emma endlich die Wohnung betraten. Alle anderen Kinder waren bereits in ihren Betten und sie nutzte die ruhigen Minuten um in ihr Tagebuch zu schreiben. Als er mit Emma die Küche betrat, klappte sie das Heft zu und stand auf, empfing seinen zärtlichen, ungewöhnlich intensiven Kuss auf die Lippen, und nahm ihm das Kind ab. Sie war hungrig und Julianna legte sie sofort an die Brust, bemerkte dabei Matthews Blick, der sich auf ihren entblößten Busen heftete.

»So lange hast du noch nie für den Heimweg gebraucht«, sagte Julianna leise und Matthew brummte zustimmend.

»Ich habe mich sehr gut mit Nate unterhalten. Über diese Kabelbahn, die letzten Monat in San Francisco in Betrieb ging, und über Jesse James und die Raubüberfälle auf die Eisenbahnen.«

»Wusste Nate etwas Neues?«, fragte sie und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück, streichelte Emmas Wange.

»Über die Kabelbahn und Jesse James nicht, nein«, antwortete Matthew und schenkte ihr abermals diesen hungrigen Blick, der normalerweise bedeutete, dass er nach ihrem Körper verlangte. »Aber er hat ein paar andere Dinge erwähnt, die ich noch nicht wusste.«

»Welche waren das?«, erkundigte sie sich, fürchtete aber gleichzeitig die Antwort.

»Bring Emma zu Bett und komm nach unten«, sagte er knapp und schüttelte den Kopf. »Ich warte dort auf dich.«

Sie hob den Blick und sah ihn an, fragte leise: »Habe ich etwas falsch gemacht, Matthew?«

»Nein. Aber ich. Glaube ich.«

»Du hast etwas falsch gemacht? Was meinst du damit? Möchtest du … möchtest du darüber reden?«

»Nein. Weder kann ich das noch ist es angebracht. Dieses Thema ist beendet und wird nie wieder angesprochen. Komm nach unten. Ich will dir beiliegen.«

»Ja, Matthew«, flüsterte sie und senkte den Blick demütig auf ihren Schoß.

Julianna fühlte die tiefe Verzweiflung in sich toben, streichelte Emmas Wange und hoffte, dass die Zwillinge im nächsten Sommer, wenn sie das neueste McCormick-Kind gebar, bereits laufen konnten. Das würde vieles einfacher machen. Matthew stand auf, ging nach unten und Julianna tat etwas, das sie vorher noch nie getan hatte, das ebenso falsch wie verzweifelt war: Sie flehte ihren Schöpfer stumm darum an, kein Kind zu empfangen.

Als sie Emma zu ihrem Bruder in die Wiege gelegt hatte, zog sich Julianna das Nachthemd an und löste die Frisur. Matthew mochte es, wenn ihre Haare offen über die Schultern hingen, er mochte ihren nackten Körper und sie gab ihm immer, was er verlangte. Sie war eine gute Ehefrau.

 

 

Der 2481. Tag

»Soll ich nach unten gehen, wenn die Kinder schlafen?«, fragte sie leise, während sie das Geschirr abtrocknete.

Matthew sah von der Bibel auf und betrachtete sie nachdenklich. Seine Miene war ernst und streng und Julianna bereute sofort, ihn gefragt zu haben. Eine ehrbare Frau schlug nicht vor, den Beischlaf zu vollziehen.

»Ich … ich meine nur, weil wir gestern ja nicht … ähm … dazu gekommen sind«, flüsterte sie und wurde rot.

Am Abend zuvor waren sie schon nach dem ersten, sanften Kuss rüde unterbrochen worden, weil es laut und panisch an der Ladentür gehämmert hatte.

»Geh nach oben«, befahl Matthew, da es zutiefst unschicklich war, wenn sich Julianna im dünnen Nachtgewand, mit der schon gelösten Schleife und mit offenen Haaren, einem späten Besucher präsentierte.

Matthew war noch vollständig angezogen und somit keiner kompromittierenden Situation ausgesetzt. Er griff nach der Waffe, die unter der Theke lag, legte sie aber wieder zurück, als der Besucher anfing zu rufen.

»Julianna!«, schrie eine Frauenstimme, »Matthew! Bitte macht auf, es ist dringend!«

Die Türglocke bimmelte, als er öffnete, und Julianna, die auf dem Treppenabsatz wartete, um lauschen zu können, hörte Matthew »Guten Abend, Agnes« sagen.

»Jimmy hat einen Krupp-Anfall und ich habe kein Ipecac mehr. Bitte, habt …«

Den Rest des Satzes hörte sie schon nicht mehr, weil sie die Treppe nach oben rannte, um das Fläschchen mit den Ipecac-Tropfen aus der Küche zu holen.

»Julianna!«, brüllte Matthew, dem die Dringlichkeit der Situation gut bewusst war, »Ipecac!«

»Ich bin schon unterwegs!«

Unter lautem Gepolter rannte Julianna – Schicklichkeit zählte wenig, wenn es um das Leben eines Kleinkindes ging – die Treppe herunter. Sie drückte ihm das Fläschchen in die Hand und sah ihm nach, als Matthew, der ein ausgesprochen schneller Läufer war, die Straße hinunter zum Haus der Robertsons rannte, als sei der Leibhaftige hinter ihm her. Agnes folgte ihm, so schnell es ihre Röcke zuließen, doch an seine Geschwindigkeit kam sie nicht heran.

Matthew blieb fast drei Stunden bei den Robertsons und half Jimmy, die Nacht zu überleben. Als er nach Hause kam, war er zu müde und zu erschöpft, um noch einmal in den Laden zu gehen. Er zog Julianna im Bett in seine Arme und sprach ein Gebet für die Gesundheit seiner Familie und für die Genesung des kleinen Jimmy. Nach dem »Amen« dauerte es keine zehn Sekunden, bis er einschlief.

 

Julianna zuckte zusammen, als Matthew die Bibel zuklappte und aufstand, sich dicht hinter sie stellte und sie seinen Atem an ihrer Ohrmuschel fühlen konnte.

»Es tut mir leid«, flüsterte sie. »Ich wollte nicht ungehörig sein.«

»Bist du nicht, Mrs. McCormick. Ich kenne keine anständigere Frau als dich«, antwortete Matthew leise und küsste sie auf den Nacken, was einen deutlichen Schauer in ihr auslöste. »Sobald die Kinder schlafen, gehen wir nach unten. Vielleicht haben wir heute mehr Glück.«

Noch einmal küsste er ihren Nacken und Julianna lehnte sich gegen ihn, seufzte, als er seine Hände um ihre Taille legte und den dritten Kuss auf die zarte Haut ihres Halses hauchte.

»Was tust du da, Matthew?«, fragte sie leise, weil er dieses aufregende Kribbeln auslöste, weil er sie umarmte und auf den Hals küsste, was er noch nie zuvor getan hatte.

»Ich liebe meine Frau, so wie sie es verdient.«

»Oh«, murmelte Julianna und wusste, dass Nate tatsächlich einige Dinge mit ihm besprochen haben musste.

Aber nicht so, dass sich Matthew nun vorkam wie der letzte Idiot, sondern so, dass er dazulernte, ohne beschämt zu sein. Was auch immer sie besprochen hatten, es konnte ihr nur zum Vorteil gereichen.

»Ich weiß«, flüsterte er an ihrem Ohr und streichelte über ihre Taille, »dass du große Angst davor hast, ein weiteres Kind zu empfangen. Das verstehe ich. Die Geburt von Em und Daniel war schwer, und die Tatsache, dass Cody Barbara verloren hat … nun, das kann ich alles nachvollziehen.«

»Danke, Matthew«, antwortete sie und drehte den letzten Topf in den Händen.

»Aber du musst auch meine Seite sehen, Julianna. Ich habe die Ehe zuletzt im März vollzogen. Das ist ein halbes Jahr her.«

»Es tut mir leid«, flüsterte sie. »Ich wünschte, ich könnte es wiedergutmachen.«

»Dazu gibt es keinen Anlass. Wäre es deine Schuld, hätte ich dich dafür gezüchtigt.«

»Ja, natürlich, Matthew.« Sie unterdrückte ein leises Stöhnen, als er sie abermals auf den Hals küsste.

»Ich werde … ich werde heute Nacht kein Kind zeugen, Julianna. Es ist doch so, dass du nur empfängst, wenn mein Samen in dir auf fruchtbaren Boden fällt, nicht wahr?«

Matthew sprach leise, dicht an ihrem Ohr und sie konnte sich kaum noch auf das Abtrocknen des Topfes konzentrieren.

»Ja, ich denke schon.«

»Ich werde dir beiliegen, aber nicht bis zum Ende, verstehst du?«

»Ja.« Sie nickte leicht und stellte den Topf zur Seite.

Nate. Julianna kamen fast die Tränen vor Dankbarkeit und sie fragte sich, wie sie das Rose und Nate jemals vergelten könnte.

»Sieh nach den Kindern, zieh dein Nachtgewand an und komm nach unten«, flüsterte er und trat von ihr zurück.

 

Als Julianna in den Laden kam, lag die Decke bereits auf dem Tresen. Matthew hatte sein Hemd ein wenig aufgeknöpft und streckte ihr die Hand entgegen. Sie ließ sich zur Theke führen und küssen, nahm allen Mut zusammen und streichelte dabei seine Brust.

»Zieh dich aus. Ganz nackt will ich dich haben«, flüsterte Matthew an ihrem Mund und Julianna zögerte.

Im Laden brannte eine kleine Lampe, damit sie nicht über irgendetwas stolperten, und sie hatte erst ein Mal, in der Hochzeitsnacht, vollständig vor Matthew entblößt. Wenn er ihr sonst befohlen hatte, sich komplett zu entkleiden, war das immer im Dunkeln passiert. In den meistens Nächten jedoch öffnete er nur die Knöpfe des Nachthemdes und schob den Saum bis zur Taille hoch.

»Zieh dich aus, Frau«, wiederholte er nachdrücklich und Julianna folgte dem Befehl nun ohne zu zögern.

Sie wusste, dass er Ungehorsam bestrafte, und diese eine, bittere Lektion über seinen Knien hatte ihr fürs ganze Leben gereicht. Matthew trat einen Schritt zurück und betrachtete Julianna gründlich. Sein Blick wanderte von den mittlerweile graublonden Haaren über ihr Gesicht, die leicht geöffneten Lippen, den sich sanft, im Rhythmus ihrer Atmung bewegenden Brustkorb, über die großen Brüste voller Milch und den nach sechs Schwangerschaften nicht mehr besonders straffen Bauch. Matthew streckte die Hand aus und fuhr mit dem Finger durch die dunkelblonde Behaarung an ihrer Scham, was sie erschauern ließ. Er liebkoste die sanft gerundeten Hüften und betrachtete die vom täglichen treppauf, treppab kräftigen Beine.

»Du bist wunderschön, Julianna«, sagte er leise und sie schüttelte den Kopf, doch Matthew bemerkte es gar nicht, weil er auf ihre Brüste sah, die mit jedem Kind, das sie nährte, größere Faszination auf ihn ausübten.

»Setz dich auf die Theke und mach die Beine breit«, forderte er leise und trat auf sie zu, umfasste sie an der Taille und hob sie hinauf.

»Soll ich mich nicht hinlegen?«, fragte sie und hielt die Beine krampfhaft geschlossen.

Nackt und breitbeinig auf der Ladentheke zu sitzen, war verruchter als alles, was sie sich in ihren kühnsten Träumen vorgestellt hatte. Was in Gottes Namen hatte Nate mit ihrem Mann gemacht?

»Mach die Beine breit, Julianna. Ich will dich ansehen.«

»Da?«, fragte sie entsetzt und Matthew nickte: »Ja.«

Sein Blick war so ernst wie immer und er zog die Augenbrauen nach oben, wartend, missbilligend. Julianna schluckte und öffnete zögerlich die Beine. Er hatte natürlich schon zwischen ihre Beine gesehen, immerhin war er bei jeder Geburt dabei gewesen, aber noch nie hatte er sie betrachten wollen. Es war bisher ein unvermeidliches Muss, ein Unding, eine Peinlichkeit, die eine Niederkunft nun einmal mit sich brachte. Matthew zog die Lampe ein wenig näher und sie wimmerte leise, weil sie sich so unwohl fühlte. Sie schloss die Augen und hielt sich gerade, die Hände flach neben ihren Oberschenkeln auf die Decke gelegt. Seine Hände berührten ihre Knie und er ließ seine Fingerspitzen an der Innenseite ihrer Oberschenkel entlangwandern, langsam und sanft. Sein Mund suchte ihre linke Brustwarze und sie keuchte auf, als das Kribbeln in ihrer Mitte schlagartig erwachte, rasend schnell stärker wurde.

»Matthew«, hauchte sie und er packte ihre Hüfte, zog sie ein Stück weiter an die Kante.

Behutsam streichelte er über ihre Scham und Julianna schlug sich die Hand vor den Mund, als er ihre Schamlippen teilte und betrachtete, was unter den Haaren verborgen lag. Sehr vorsichtig und sanft begann er sie mit rechts zwischen den Beinen zu streicheln, die linke Hand legte sich in ihren Nacken und zog sie nach unten, an seinen Mund. Er küsste sie, lange, intensiv und Julianna entfuhr ein lautes Stöhnen, als sein Finger auf einen Punkt traf, der Blitze durch ihren ganzen Körper sandte.

»Matthew!«

»Ja?«

»Was tust du da nur?«, fragte sie atemlos und bekam als Antwort nur ein Lächeln.

»Bitte, sag, was du da tust, bitte, Matthew!«, flüsterte sie heiser und begann sich hin und her zu winden.

»Ich bin nur neugierig, Julianna. Halt still.«

Sein Finger streichelte sie weiter, immer um diese eine Stelle herum und ihr fiel das Atmen zunehmend schwer. Sie wurde noch unruhiger und konnte ihre Hüfte beim besten Willen nicht mehr stillhalten, ihre Hände krallten sich in die Kante des Tresens.

»Matt … Matthew«, brachte sie heraus und fühlte, dass sie schwitzte, dass sie nicht mehr fähig war zu reden.

»Ist das schön?«, fragte er leise und Julianna konnte nur nicken. »So siehst du auch aus, Liebes.«

Wieder suchte sein Mund ihre Brustwarze und als er saugte, mit der Zunge liebkoste, spannte sich ihr Körper an und sie musste die Augen schließen, das Gefühl wurde unerträglich.

»Matthew, oh Gott, Matt …«, seufzte sie und ihre Fersen knallten an den Tresen, als alles an und in ihr anfing zu zucken.

»Shhh«, machte er und hörte auf sie zu streicheln, wartete kurz, bis sie die Augen wieder öffnete.

Dann spürte Julianna, dass sich etwas in sie schob und aufgrund ihrer exponierten Position erkannte sie, dass es Matthews Mittelfinger war, dort, wo er sonst mit seinem Penis eindrang. Doch es tat überhaupt nicht weh, im Gegenteil.

»Jesus Christus«, flüsterte Matthew, »du bist ganz warm und feucht.«

»Ist das schlimm?«, fragte sie leise und setzte vorsichtshalber noch ein »Bitte entschuldige, Matthew« hinzu.

»Nein. Das ist gut. Das muss so sein, vertrau mir. Ich habe … ich habe das nur nicht gewusst. Bis jetzt. Das tut mir sehr leid, Julianna, denn wenn ich nun bei dir liege, sollte es dir keine Schmerzen bereiten. Ich wollte dir nie wehtun, das … das musst du mir glauben, Liebes.«

Matthew sah gleichzeitig ernst, schuldbewusst und sehr erregt aus, was Julianna veranlasste, sich sofort hinzulegen, als er den Finger aus ihr zog. Er entkleidete sich und kletterte zwischen ihre Beine, beugte sich über sie.

»Sag mir, ob es wehtut«, forderte er und schob sich in sie hinein.

»Matthew!«, keuchte sie und musste die Augen schließen. »Das ist … unerwartet schön, wirklich.«

»Tut es weh, Julianna?«

»Nein, nein, überhaupt nicht, ich schwöre es.«

»Oh, gut. Dann habe ich es richtig gemacht, dem Herrn sei Dank.« Matthew seufzte erleichtert und bewegte sich vorsichtig in ihr. »Ich … ich werde meinen Samen … ähm … nun, ich werde mich auf dir ergießen. Nicht in dir. Verstanden?«

»Ja, natürlich, Matthew. Was immer du möchtest.«

Matthews Stöße nahmen an Kraft und Geschwindigkeit zu und Julianna genoss jede Sekunde. Es fühlte sich besser an als alles, was sie bisher mit Matthew getan hatte. Als er sich aus ihr zurückzog, die Faust um seinen Penis schloss und den Rest mit der Hand erledigte, tat es ihr ein bisschen leid, dass er sich nicht in ihr entladen konnte. Lange, weiße Streifen Flüssigkeit landeten auf ihrem Bauch, während Matthew dieses vertraute, halberstickte Keuchen von sich gab. Niemals zuvor hatte sie seinen Samen gesehen und sie betrachtete die Spuren auf ihrem Oberkörper gründlich, während sich Matthew noch von seinem Höhepunkt erholte.

»Jetzt«, flüsterte er, »geht es mir besser. Lass uns hochgehen und noch ein wenig zärtlich sein.«

Sie nickte und fragte leise: »Darf ich in deinen Armen einschlafen?«

»Du darfst fast alles, geliebte Julianna.«

Er lächelte und sah zum ersten Mal wirklich glücklich aus. Noch glücklicher als er auszusehen pflegte, wenn sie ihm wieder ein gesundes Kind geschenkt hatte.

»Ich liebe dich, Matthew.«

»Ja«, antwortete er, »das weiß ich seit gestern sehr gut.«

»Seit gestern?«

»Seit ich verstanden habe, was ich dir in den letzten sieben Jahren zugemutet habe. Doch ich werde mich bessern.«

»Es ging mir nie schlecht, Matthew.«

»Vielleicht. Aber ab jetzt geht es dir besser. Das verspreche ich.«

 

Der 3555. Tag

Julianna wusste, dass es noch heute so weit war, endlich. Dieser heiße Tag im August 1876 war der letzte Tag ihrer siebten Schwangerschaft sein. Zwei Jahre war es gut gegangen, so lange hatte sich Matthew nicht in ihr ergossen, dann war sie trotzdem wieder schwanger geworden, vielleicht, weil er in einer Novembernacht einen Moment zu lange in ihr geblieben war. Die Zwillinge waren nun schon drei Jahre und vier Monate alt und Julianna hatte durchaus wieder Kraft für einen Säugling. Mattie, der demnächst neun Jahre alt wurde, war seinen Eltern eine große Hilfe. Florence, Catherine und Mattie gingen vormittags in die Schule, nachmittags halfen sie im Haus, im Garten und im Laden. William sollte nun ebenfalls eingeschult werden, damit hatte Julianna vormittags nur noch die Zwillinge und das Neugeborene im Haus. Die Pause von über drei Jahren hatte ihr gutgetan, auch wenn sich das Platzproblem mit der Ankunft des Kindes wieder verschärfte. Eine Wehe riss Julianna aus ihren Gedanken und sie konzentrierte sich auf die Gegenwart, auf das Abräumen des Frühstückstisches, das sich allerdings etwas schwerfälliger gestaltete als sonst. Wehen waren einem geregelten Arbeitsablauf nicht eben förderlich.

»Ist alles in Ordnung, Frau?«, fragte Matthew und legte den Kopf schief.

Knapp zehn Jahre nach ihrer Hochzeit war er immer noch ein attraktiver, stattlicher Mann, streng, unnachgiebig, tief gläubig. Die zurückhaltende Kälte, die ihn anfangs umgeben hatte, wich mit jedem Jahr mehr einer gewissen Herzlichkeit.

Die Ereignisse hatten sich wiederholt und doch war es ganz anders gewesen, weil sich Matthew weiterentwickelt hatte. An einem Vormittag Anfang Januar fand er sie schlafend im Bett vor, während sich die Zwillinge in der Küche beschäftigten und William im Garten mit einem Ball spielte.

Er weckte sie sanft und Julianna schossen sofort Tränen in die Augen – aus Angst vor der Bestrafung. Doch Matthew kniete sich vor das Bett, nahm ihr Gesicht zärtlich in seine Hände und stellte leise fest: »Nun bist du doch wieder gesegneten Leibes, oder, Liebes?«

»Ja, Matthew, ich glaube, das bin ich.«

Er räusperte sich leise und gab zum ersten Mal einen Einblick in das, was er mit Roses Mann auf dem Heimweg besprochen hatte: »Nate hatte recht: Ganz gefeit ist man nicht, aber wenn man Glück hat, kann man die Empfängnis einige Zeit verhindern. Er hat es bei Rose über vier Jahre lang geschafft. Und ich bei dir immerhin zwei.«

»Es tut mir leid, Matthew«, flüsterte sie, doch er schüttelte den Kopf: »Ich freue mich auf unser Kind. Ich nehme Em und Daniel mit nach unten. Schlaf noch ein wenig, Liebste.«

 

»Julianna?«

Matthews Stimme holte sie in die Wirklichkeit zurück und sie seufzte tief, bevor sie antwortete: »Das Kind möchte geboren werden, denke ich. Wenn alles gut geht, werde ich heute noch niederkommen.«

»Ich bereite das Schlafzimmer vor«, antwortete Matthew, wie immer die Ruhe selbst.

Bei Mattie war er noch sehr aufgeregt und ungeduldig gewesen, doch mit jeder Geburt wurde er routinierter. Und doch wusste Julianna, dass ihn die Ankunft von Emma und Daniel sehr mitgenommen hatte. Eigentlich hatte sie erwartet, dass sie mehr Angst haben würde, doch auch ihre Gelassenheit und ihr Gottvertrauen waren in den letzten Jahren stetig gewachsen. Das Leben hatte sie Bescheidenheit gelehrt, ebenso wie die Fähigkeit, das Beste aus allem zu machen und die Dinge so anzunehmen, wie sie waren. Als die Kinder im Januar 1875 an Mumps erkrankten, hatte sie um jede einzelne ihrer Seelen gekämpft – und alle hatten überlebt. Nur Florence war seitdem auf einem Ohr taub. Aber halbtaub zu sein war besser als neben Margaret auf dem Friedhof zu liegen, davon war Julianna fest überzeugt.

Geburten machen mich immer wehmütig, lassen mich in die Vergangenheit schauen, dachte sie und wusste, dass sie sich heute kaum auf ihre Arbeiten konzentrieren können würde. Trotzdem musste sie sich zusammenreißen, um noch ein Essen auf den Tisch zu bringen. Das Abendessen konnte Matthew im Zweifelsfall übernehmen, falls sich die Geburt länger hinzog. Er tat immer, was nötig war, ohne sich zu beschweren.

»Das Bett ist abgedeckt, ich habe die Decken für das Baby und deine Tücher bereitgelegt«, erklang seine Stimme aus dem Flur. »Ich bin im Laden und nehme die Kinder mit nach unten. Ruf mich, wenn du mich brauchst.«

»Danke, Matthew.«

Die nächste Wehe kündigte sich an und Julianna schloss die Augen, hielt sich mit der Hand an ihrem Stuhl fest. Sie gab sich, nachdem die Schmerzen abgeklungen waren, noch fünf Sekunden zum Durchatmen, dann arbeitete sie weiter. Langsam und zunehmend häufiger unterbrochen.

Als Matthew und die Kinder am Mittagstisch Platz nahmen, musste sie die Wehen bereits veratmen, an Essen war nicht zu denken. Julianna lief in der Küche auf und ab, schenkte jedem Kind, das sie verunsichert ansah, ein aufmunterndes Lächeln und beteuerte, dass es ihr gut ginge.

Matthew hob die Tafel auf und nahm die Kinder alle mit nach unten, Mattie sollte seine Geschwister im Hinterzimmer beaufsichtigen und ein Ohr ins obere Stockwerk haben, falls Julianna um Hilfe rief. Die Augusthitze machte alles zäh und träge, die Zeit schlich dahin und sie schwitzte wie verrückt. Nachdem sie den Tisch abgeräumt und das Geschirr gespült hatte – in der dreifachen Zeit wie sonst – zog sie sich ihr Nachthemd an, denn es würde nicht mehr lange dauern.

»Aaaaahhh«, presste sie hervor und hielt sich am Türrahmen des Schlafzimmers fest, fühlte die ersten Tränen der Anstrengung in ihren Augen brennen.

Jede Geburt war anders und hatte sie bei Mattie nur liegen wollen, so konnte sie jetzt nur das Stehen ertragen. Gegen drei Uhr platzte die Fruchtblase und nachdem sie das abgegangene Wasser aufgewischt hatte, ließ sie sich ins Bett fallen, weil die Wehen sie fast von den Füßen zogen. Julianna schrie ihren Schmerz in Matthews Kopfkissen, durchtränkte es mit ihren Tränen. Dann schob sie das Nachthemd nach oben, entblößte ihren Unterleib und wartete auf den Drang zu pressen. Es konnte nicht mehr lange dauern, sie spürte es.

Die Sonnenstrahlen brannten heiß auf ihre Oberschenkel, erhellten das Bett und beleuchteten, was zwischen Juliannas Beinen passierte. Sie richtete sich ein wenig auf, doch der Bauch verhinderte, dass sie etwas sehen konnte. Nach der nächsten Wehe ging die Tür auf und Matthew stand im Schlafzimmer. Sanft klickte die Tür hinter ihm ins Schloss und er blickte direkt zwischen ihre Beine.

»Wie weit bist du?«, fragte er leise und sie stöhnte: »Es dauert nicht mehr lange.«

»Ich bleibe bei dir.«

»Du musst in den Laden, Matthew«, keuchte sie und er schüttelte den Kopf, strich ihr die verschwitzten Haare aus der Stirn.

»Ich habe für heute geschlossen. Mattie kümmert sich um seine Geschwister.«

Matthew zog sich die Schuhe aus und legte sich neben sie auf das Bett, hielt ihre Hand.

»Du schaffst das, Julianna.«

»Hast du etwa Angst?«, quetschte sie hervor und wandte den Kopf, sah ihn an.

»Ja«, bekannte er leise. »Ich habe immer Angst um dich. Du bist ein wichtiger Teil von mir. Wir sind ein Leib, erinnerst du dich? Ich liebe Sie, Miss Imrie.«

Er lächelte und streichelte über ihre Wange, hauchte ihr einen Kuss auf die verschwitzte Stirn.

»Mrs. McCormick«, keuchte sie und sein Lächeln wurde ein wenig breiter.

»Es sind bald zehn Jahre. Ich habe keinen Tag bereut, weißt du?«

Sie nickte und stöhnte laut, als sie merkte, dass sie pressen musste.

 

Keine halbe Stunde später nabelte er routiniert seinen vierten Sohn ab und legte ihn Julianna an die Brust.

»Wie soll er heißen, Matthew?«, fragte sie leise, ließ erschöpft den Kopf in den Nacken sinken und stöhnte gedämpft, als ihr kleiner Junge anfing, an der Brust zu saugen.

Sie stillte ihre Kinder gerne und sie wusste, dass Matthew es liebte, dabei zuzusehen.

»Er soll John heißen«, entschied er und sie nickte: »Gut. Dann sei uns willkommen, John.«

»Willkommen, John«, flüsterte er und schenkte ihr dieses warme Lächeln, das er in den letzten Jahren immer öfter zeigte, insbesondere dann, wenn sie alleine waren. »Danke, Julianna. Für meinen Sohn. Und danke, lieber Gott, dass sie beide bei mir sind, erschöpft, aber gesund.«

Sie nickte, denn sie spürte, dass der Tag glücklich enden würde. Es war eine der einfacheren Geburten gewesen und auch die Nachgeburt sollte keine Probleme bereiten, sie hatte das im Gefühl.

Drei Stunden später, zu einem verspäteten Abendessen, das Matthew zubereitet hatte und das deswegen nicht pünktlich auf dem Tisch stand, erhob sich Julianna endgültig aus dem Bett. Es war bereits frisch bezogen und jeder Hinweis auf die stattgefundene Geburt war verschwunden. Nun war der Augenblick gekommen, John seinen Geschwistern vorzustellen.

 

Die Zwillinge schliefen schon lange, Mattie, der mittlerweile genau wie Florence sein Bett im Kontor stehen hatte, war ebenso erschöpft auf sein Lager gefallen wie alle anderen Kinder auch. Die große Hitze war belastend und machte müde. John schlief in der Wiege, die nun schon so lange nicht mehr gebraucht worden war, und Julianna war noch zu aufgedreht von der Geburt, um überhaupt schlafen zu können.

»Wir werden so weitermachen, oder?«, fragte sie leise und tastete im Dunkeln nach seiner Hand.

»Was meinst du?«

»Mit dem, was … was … wir nachts im Laden tun.«

»Gibt es etwas, das dagegen spricht?«, erkundigte er sich leise und Julianna schüttelte den Kopf: »Ich denke nicht.«

»Gefällt es dir?«

»Ja, Matthew. Es ist viel schöner als früher. Ich mag es wirklich gerne und früher habe ich es nicht besonders gemocht.«

»Weil ich dir wehgetan habe.«

»Nur ein bisschen«, wiegelte sie ab und streichelte über seine Wange.

Nach jeder Geburt erschien das Leben verklärt und weich zu sein, sie war glücklich und schwebte wie auf Wolken. Alles war vergessen und die kleinen Freuden des Alltags brachten sie zum Weinen. So wie jetzt auch Matthew, der so sanft mit ihr sprach, der sich ein bisschen öffnete und seine Liebe zu ihr und zu den Kindern, so gut es ihm möglich war, zeigte.

»Du sollst mich nicht anlügen. Es hat dir mehr als nur ein bisschen wehgetan. Kannst du mir das verzeihen?«, wollte er wissen und drückte ihre Hand.

»Natürlich.«

»Danke. Für alles. Ich hätte das niemals gedacht, vor zehn Jahren. Dass aus ein paar Briefen wirklich Liebe werden kann. Wir haben unserem Schöpfer heute sehr viel zu danken, Frau. Möchtest du das Nachtgebet sprechen?«

»Mach du es bitte, ich fürchte, mir fehlen die Worte.«

Julianna schloss die Augen und lauschte auf Matthews inbrünstigen Dank, auf die schön gewählten Worte, die er so gekonnt benutzte. Tiefes Glück breitete sich in ihr aus und verankerte sich fest in ihrem Herzen.

 

Matthew schlief ungefähr schon eine halbe Stunde, als sich Julianna aus dem Schlafzimmer schlich und sich in die Küche setzte. Wie immer nach einer Geburt war an Schlaf nicht zu denken, und sie würde die Ruhe nutzen, um in ihr Tagebuch zu schreiben. Nachdenklich starrte sie ein paar Sekunden auf das Heft – es war mittlerweile ungefähr das 20., das sie benutzte, und begann dann zu schreiben.

 

16. August 1876

 

Am Nachmittag wurde John geboren. Er wiegt genau sechseinhalb Pfund, sagte Matthew, nachdem er ihn im Laden auf die Waage gelegt hatte. Seine Haare sind ganz hellblond und seine Ohren sehen aus wie Matthews. Auch Füße und Hände sind ein Ebenbild derer seines Vaters. Ich bin sehr dankbar, dass ich auch diese Geburt überlebt habe und dass es mir leicht gemacht wurde, mein Kind auf die Welt zu bringen. Matthew war dabei, wie jedes Mal, und hat seinem Sohn auf die Welt geholfen. Er war so geduldig und zärtlich wie bei allen Geburten zuvor und ich bin sehr glücklich, dass er das jetzt immer ist. Auch, wenn wir gemeinsam in den Laden gehen. Meine Angst davor ist in den letzten zwei Jahren verschwunden, ebenso wie die Angst, noch einmal ein Baby zu empfangen. John war vom ersten Moment an willkommen und jedes weitere Kind wird es auch sein. Matthew ist ein guter Vater, er ähnelt dem meinen, der ebenso streng wie gütig war und Mutter von Herzen geliebt hat. Ich weiß, dass ich großes Glück habe, einen Mann bekommen zu haben, der mich liebt und den ich lieben kann. Denn das tue ich nämlich. Ich weiß um seinen weichen Kern, um seine geschundene Seele und um sein zärtliches Herz. Ich kann in ihm lesen und verstehe, dass man nur tun muss, was er verlangt, um ihn zufriedenzustellen. Und dadurch, dass Matthew so zuverlässig ist, gestaltet sich das Eheleben auch nach fast zehn Jahren sehr einfach. Ich bin glücklich und weiß, dass ich geliebt werde, von meinem Mann und den Kindern. Gibt es etwas Schöneres?

Letzte Woche war ich mit Florence bei einem Arzt, der auf der Durchreise war. Ich wollte eine zweite Meinung hören, doch er hat mir bestätigt, was Dr. Hillerman gesagt hat: Sie wird auf einem Ohr taub bleiben, aber sie wird sich daran gewöhnen. Was sie ja auch schon getan hat. Sie versteckt es ganz gut und es fällt kaum auf. Trotzdem tut mir mein kleines Mädchen sehr leid. Nach dem Arztbesuch waren wir auf dem Friedhof und haben unsere Margaret besucht, außerdem habe ich bei Barbara und Cody vorbeigeschaut. Codys Beerdigung ist noch keine zwei Monate her, doch das Grab wirkt jetzt schon ungepflegt. Ich werde mich zukünftig ein wenig darum kümmern. Neue Nachbarn haben wir noch nicht, aber Rose hat erzählt, dass sich ein junges Ehepaar aus der Connolly Street für das Haus interessiert.

Die Schwiegermutter von Mrs. Wyman ist letzte Woche gestorben und der Handarbeitszirkel ist zum ersten Mal in fast zehn Jahren ausgefallen. Die alte Mrs. Wyman war über achtzig und saß im Winter noch am Webstuhl. Der Teppich in der Küche ist von ihr.

Außerdem hat Matthews ehemaliger Chef, Mr. Brighton, noch einmal geheiratet, nachdem die erste Mrs. Brighton im Winter an der Grippe gestorben war. Seine Frau ist 17 Jahre jünger als er, aber doch schon knapp über 30. Ich kann mir nicht vorstellen, noch einmal zu heiraten, sollte Matthew mich verlassen.

 

Ich schließe für heute. John hat Hunger.

 

J.

 

Julianna klappte das Heft zu und räumte es weg, holte John aus der Wiege und legte sich mit ihm ins Bett. Sie schnürte das Nachthemd auf und dirigierte die Brustwarze in seinen winzigen Mund.

»Wo warst du?«, fragte Matthew leise, »Konntest du wieder nicht schlafen?«

»Ja. Ich war in der Küche. Es ist alles gut.«

»Eine Geburt ist so anstrengend, ich verstehe einfach nicht, warum du in der Nacht danach nicht schläfst wie ein Stein«, murmelte er und sie zuckte mit den Schultern: »Ich weiß nicht. Mach dir keine Gedanken um mich. Schlaf gut, Matthew.«

Er brummte nur und streichelte über ihre Brust, die bald wieder groß und voller Milch sein würde. So, wie er es mochte. Seine Hand, im Halbdunkel gerade noch erkennbar, fuhr zärtlich über das Köpfchen seines Sohnes, dann drehte er sich um und schlief weiter. Julianna lächelte und genoss das Glück, das sie empfand.

 

Der 16.000 Tag

Julianna gähnte und feuerte den Herd neu an, lauschte auf Matthews Schritte im Schlafzimmer. Sie streckte sich nach zwei Tellern und zwei Tassen und trug das Geschirr zu dem mittlerweile viel zu großen Tisch. Julianna und Matthew frühstückten nun wieder alleine, seit zwei Jahren schon. Früh aufstehen mussten sie trotzdem, denn obwohl Mattie den Laden vor fünf Jahren übernommen und modernisiert hatte, stand Matthew immer noch hinter dem Tresen, wenn auch nicht mehr den ganzen Tag. Julianna hing ihren Gedanken nach, während sie darauf wartete, dass das Wasser kochte. Sie goss den Kaffee auf und deckte den Tisch fertig. Sie hörte, wie Matthew nach unten ging um die Zeitung und die Post zu holen und den Abort aufzusuchen. Ihr Blick blieb an der spiegelnden Fensterscheibe hängen und sie betrachtete ihr Abbild. Die Haare waren vollständig grau, schon über ein Jahrzehnt, der Kummer und die Sorgen hatten tiefe Linien in ihr Gesicht gegraben. Nichts erinnerte mehr an die Frau, die vor 43 Jahren und zehn Monaten zum ersten Mal in dieser Küche Kaffee gekocht hatte. Matthew dagegen war immer noch er selbst, fand sie, zwar durchaus gealtert, aber seinem 22-Jährigen Ich sehr ähnlich.

»Guten Morgen, Julianna«, sagte er und betrat die Küche.

Er legte Zeitung und Briefe auf den Tisch und kam dann zu ihr, küsste sie auf den Mund, was ungefähr dem 13500. Guten-Morgen-Kuss nach der Geburt von Emma und Daniel entsprach. Julianna lächelte, wie immer, wenn sie an ihre Kinder dachte.

»Worüber freust du dich? Hast du geahnt, dass ein Brief von Sarah in der Post sein würde?«, wollte Matthew wissen und nahm Platz.

»Ein Brief? Von Sarah?«, fragte sie und spürte die Aufregung durch ihren Körper fluten.

Sie liebte Briefe. Immer noch. Und sie freute sich unbändig, wenn ihre Kinder an sie schrieben. Schnell trat sie an den Tisch und nahm die Post in die Hand. Matthew räusperte sich und zog eine Augenbraue nach oben. Die Zeiten mochten sich ändern, doch manche Dinge änderten sich nie. Er war immer noch der Haushaltsvorstand und erwartete dasselbe Benehmen von seiner Frau wie am Tag der Hochzeit. Julianna murmelte eine Entschuldigung, nahm Platz und lauschte auf Matthews Bibellesung, betete mit ihm gemeinsam ihr Morgengebet und aß dann ihr Frühstück. Zwei Tassen Kaffee für jeden. Nichts hatte sich geändert. Es war wieder wie am Anfang. Nur der Tisch war größer, die Einrichtung ein wenig moderner. Und so oft Matthew ihr auch beilag, sie konnte kein Kind mehr bekommen.

Er beendete das Frühstück und nickte zu den Briefen: »Mach auf und lies vor. Du platzt sonst noch vor Neugier, Frau.«

Sie lächelte ihn dankbar an und nahm das Schreiben ihrer jüngsten Tochter, die zwei Jahre zuvor nach New York geheiratet hatte. Julianna räusperte sich, nachdem sie den Umschlag geöffnet hatte, und las vor.

 

New York City, im September 1910

 

Lieber Vater, liebe Mutter!

 

Heute schreibe ich Euch mit großartigen Neuigkeiten, die Eure Herzen hoffentlich ebenso erwärmen wie die unseren. Gordon ist ganz aus dem Häuschen vor Freude und er erlaubt mir rein gar nichts mehr, er verwöhnt mich und schimpft, wenn ich mich aufrege. Ihr habt es sicherlich schon erraten: Ich bin guter Hoffnung und werde, so Gott will, im Frühjahr niederkommen. Gordon hat fest versprochen, dass wir Euch dann im nächsten September besuchen, sodass Ihr Euer 20. Enkelkind (man mag es kaum glauben, oder, Ma?) kennenlernen könnt.

 

Julianna ließ den Brief sinken und wischte sich die Tränen aus den Augen, spürte Matthews Hand auf ihrer und sah ihn an.

»Sarah ist sehr glücklich, Liebes«, sagte er leise und sie nickte.

»Das bin ich auch, für sie und für uns alle. Trotzdem habe ich Angst.«

»Du hast immer Angst, wenn eines deiner Mädchen ein Kind bekommt«, antwortete er und sie nickte unter Tränen: »Ist das ein Wunder?«

Ihre Gedanken wanderten zurück in die Vergangenheit, zu Margaret und zu Henry, der nach John geboren worden war, viele Wochen zu früh, im Februar 1879, und der zwei Stunden nach seiner Geburt in ihren Armen gestorben war. Sie dachte an ihre süße Florence, die trotz ihres eingeschränkten Hörvermögens ihren Weg gemacht und einen liebevollen Mann geheiratet hatte. Zwei Kindern hatte sie das Leben geschenkt und war dann, drei Wochen nach der Geburt ihrer Tochter, am Kindbettfieber gestorben, gerade einmal 30 Jahre alt. Ein volles Jahrzehnt war das nun her und es schmerzte wie am ersten Tag.

»Wir haben so viel Leid erfahren, Matthew. Wir haben drei Kinder verloren, Margaret, Henry und Florence.«

»Aber wir haben immer noch acht lebende, glückliche Kinder. Und bald zwanzig Enkel. Ist das nichts?«

»Doch, natürlich. Das ist schön, wirklich. Trotzdem wünsche ich mir, dass es meinen Kindern besser geht als uns. Jeder wünscht sich das.«

»Wir hatten einen schweren Start, Julianna, aber nichtsdestotrotz würde ich sagen, dass wir immer das Beste aus allem gemacht haben, oder? Wir haben uns ineinander verliebt und ich empfinde es heute noch als ein Wunder, dass du mich lieben konntest. Damals.«

»Du warst leicht zu lieben, Matthew, schon immer.«

»Nein. Am Anfang sicherlich nicht. Die ersten Jahre waren schrecklich für dich. Erst nach Em und Daniel wurde ich ein guter Ehemann.«

Julianna lachte leise und schüttelte den Kopf: »Du warst immer ein wunderbarer Ehemann, zuverlässig, gütig und gerecht. Ich weiß, dass du mit allen Kindern gesprochen hast, bevor sie sich verheiratet haben. Auch mit den Mädchen. Das war sehr großherzig von dir und sehr mutig noch dazu. Wie könnte ich dich da nicht lieben, bei all diesen guten Eigenschaften?«

Er lächelte das kleine, reduzierte Lächeln, das sie seit fast 44 Jahren beinahe täglich sah, und sie freute sich darüber. Bis zum heutigen Tag war sie sich nicht sicher, ob Matthew schon immer so ernst gewesen war oder ob der Krieg ihm die Freude ausgetrieben hatte. Gelacht hatte er nur selten, doch Julianna hatte sich daran gewöhnt. Sie hatte die Ernsthaftigkeit, die Strenge und die Zuverlässigkeit zu schätzen gelernt und hätte sie gegen nichts eintauschen wollen. Insbesondere auch deshalb, weil ihr Matthew niemals verboten hatte, fröhlich zu sein und zu lachen. Und auch, weil er sie nicht schlug oder anschrie. Julianna hatte früh gelernt, dass sie großes, großes Glück mit Matthew gehabt hatte. Er war ein ebenso guter Ehemann wie Vater und er liebte sie und all seine Kinder, die lebenden wie die toten, mit der gleichen, stetigen und ruhigen Zärtlichkeit. Matthew fühlte, das wusste sie nach fast 44 Jahren Ehe. Nur zeigen konnte er es nicht besonders gut und darüber sprechen erst recht nicht. Trotzdem hatte er mit seinen Söhnen und seinen Töchtern ein »Nate-Gespräch«, wie es Julianna für sich nannte, geführt. Sie wusste das und sie wusste, dass er ebenso mit den Schwiegersöhnen gesprochen hatte. Mit jedem Einzelnen. Und klargemacht hatte, dass er erwartete, dass seine Töchter mit Liebe behandelt werden. Und Liebe, so hatte er erklärt, tue niemals weh. Julianna war völlig klar, was für eine große Überwindung ihn das gekostet haben musste, und sah es als den größten Beweis seiner Liebe zu ihr und zu den Kindern. Er wollte ihnen das ersparen, was er seiner Frau in den ersten Jahren zugemutet hatte.

Sie hatten beide gelernt und es hatte nicht lange gedauert, bis sie Rose endgültig verstanden hatte. Es war schön, wenn man zärtlich zueinander war. Es war etwas, worauf man sich freuen konnte. Julianna hatte schnell aufgehört, ihre beste Freundin um das große Haus zu beneiden, denn sie hatte das, was Rose nicht hatte: Sie hatte Matthew jede Nacht neben sich liegen, durfte sich an ihm wärmen und von ihm trösten lassen. Und Trost war etwas, auf das sich Matthew schon immer gut verstanden hatte.

»Wir waren so dumm, Julianna«, sagte er leise und verbarg das Gesicht in den Händen.

»Wir waren auf uns alleine gestellt. Das ist alles. Woher hätten wir das wissen sollen? Wir wussten am Tag unserer Hochzeit nicht einmal, wie wir uns ansprechen sollten, erinnerst du dich?«

»Ja, Miss Imrie, ich erinnere mich sehr gut. An jedes Detail«, antwortete Matthew und lächelte versonnen.

 

Vor ihrem geistigen Auge sah sie alle Kinder um sie herum an diesem Tisch sitzen. Matthew am Kopfende, sie zu seiner Rechten in der Mitte, die kleinen Kinder neben sich, die größeren ihr gegenüber. Mattie, Florence, Catherine, William, Emma, Daniel, John, Mary und Sarah Jane. Dazu, am Bildrand sozusagen, zwei kleine Gräber auf dem Friedhof, Margaret und Henry. Es war immer laut gewesen, es waren viele Tränen geflossen und trotzdem viel gelacht worden. Manchmal, ganz selten, hatte auch Matthew mit ihnen gelacht. Das waren die schönsten Tage überhaupt.

»Es ist schade, dass es vorbei ist«, flüsterte sie und starrte auf den Brief, den sie immer noch in der Hand hielt.

Mattie hatte Roses jüngste Tochter Adele geheiratet und führte den Laden, war seinen vier Kindern ein nicht ganz so strenger Vater und bekam mittlerweile, mit 43, einen kleinen Wohlstandsbauch.

Florence war bei ihrem Schöpfer und ihr Witwer hatte sich zwei Jahre nach ihrem Tod noch einmal vermählt. Ihre Kinder besuchten Grandma und Grandpa trotzdem regelmäßig und Julianna konnte auch Bobbys neue Frau recht gut leiden. Florence hätte sie sicher gemocht, das spürte sie, und diese Vorstellung tröstete sie ein bisschen, zusammen mit dem Wissen, dass Florences Kinder ihre Stiefmutter gerne mochten und das auch auf Gegenseitigkeit beruhte.

Catherine lebte nur ein paar Straßen weiter, sie hatte Jimmy Robertson geheiratet, dem Matthew damals das Leben gerettet hatte. Drei Söhne hatten sie, die alle drei aussahen wie eine Mischung aus Matthew und Jimmy.

William hatte sich für eine Laufbahn als Soldat entschieden und war bisher unverheiratet und kinderlos. Doch auch das war für Julianna in Ordnung, denn er schien ausgesprochen zufrieden und glücklich zu sein. Zu ihrem Leidwesen war er viel unterwegs und kam nur selten einmal nach Hause, doch dieses Schicksal teilte sie mit allen Soldatenmüttern.

Emma war mit einem Mann aus Dallas verheiratet, den sie bei einem Ausflug der Kirchengemeinde kennengelernt hatte. Sie hatten sich Briefe geschrieben und sich so oft es ging getroffen. Mittlerweile war sie Mutter von drei Kindern – und lebte noch weiter weg als Sarah Jane, denn ihren Mann verschlug es beruflich nach Brasilien. Es schmerzte Julianna, dass sie Emma und ihre Kinder schon vier Jahre nicht mehr gesehen hatte. Doch Emma hatte versprochen, an Weihnachten nach Austin zu kommen, mit ihrer Familie. Nur noch zwei Monate, dann konnte sie ihr Mädchen endlich wieder in die Arme schließen.

Emmas Zwillingsbruder Daniel dagegen lebte mit seiner Frau und vier Kindern nach wie vor in Austin und kam die Eltern mindestens einmal pro Woche besuchen. Julianna wusste, dass Daniel niemals so weit weggehen würde. Er war schon immer ein Mama-Kind gewesen und sie pflegten nach wie vor ein inniges Verhältnis.

John hatte studiert, als der einzige Spross der Familie, und forschte und lehrte an der Universität in Los Angeles. Auf dem Campus hatte er seine Frau kennengelernt, mit der er mittlerweile drei Kinder hatte.

Mary war auf einer Farm ein Stück außerhalb von Austin gelandet. Dort lebte sie seit sieben Jahren und hatte in dieser Zeit zwei Kinder bekommen. Marys Mann Greg war Juliannas liebster Schwiegersohn, vermutlich weil er Matthew am ähnlichsten von allen war, in jeder Hinsicht.

Sarah Jane, ihre Jüngste, geboren im Oktober 1886, hatte nach New York geheiratet, einen Mann, den ihr ihr Bruder John vorgestellt hatte. Gordon stammte aus einer sehr wohlhabenden Familie, lehrte an der Universität in New York und ermöglichte Sarah Jane ein Leben in Luxus, der ihr von ihren Geschwistern mal mehr, mal weniger gegönnt wurde.

Julianna beobachtete insbesondere ihre Töchter sehr genau, hörte auf feinste Nuancen und lebte beständig in der Angst, dass sich einer ihrer Schwiegersöhne als Schläger herausstellen würde. Doch ihre Töchter wirkten alle glücklich, die Briefe von Emma und Sarah klangen niemals traurig oder verzweifelt, im Gegenteil.

»Es war schön, Matthew«, flüsterte sie. »Es war immer schön.«

Noch bevor er etwas antworten konnte, ging die Wohnungstür auf und Mattie betrat sofort darauf die Küche.

»Guten Morgen, Pa, guten Morgen, Ma.«

»Guten Morgen, Mattie. Möchtest du eine Tasse Kaffee?«, fragte Julianna und Matthew brummte ein »Guten Morgen« zu seinem ältesten Sohn, bevor er zur Zeitung griff.

Mattie runzelte die Stirn und sagte: »Das ist deine Tasse Kaffee, Ma. Trink sie ruhig. Ich weiß, dass du nur vier Tassen gekocht hast. Ist das ein Brief von Sarah?«

Julianna blickte auf das Schreiben, das sie immer noch in der Hand hielt, nicht einmal zur Hälfte gelesen, und den sie und Matthew beide völlig vergessen hatten, was sie daran erkannte, dass er zur Zeitung gegriffen hatte.

»Ja, ist es. Aber ich habe ihn noch nicht ganz gelesen. Sarah ist guter Hoffnung, Mattie. Im Frühjahr wird sie niederkommen.«

Er ließ sich auf einen freien Stuhl fallen und kratzte sich im Nacken: »Ich werde mir bald Listen machen müssen. Da blickt ja niemand mehr durch bei so vielen Nichten und Neffen.«

»Deine Mutter hat elf Kindern das Leben geschenkt. Sei froh, dass ihr wisst, wie man die Zahl ein bisschen im Zaum halten kann. Wir hatten damals ja keine Ahnung«, erklärte Matthew und schüttelte den Kopf. »Niemand von euch hat mehr als vier Kinder. Nur vier Kinder zu haben ist schon eine Form von Luxus.«

»Na ja, fast«, antwortete Mattie und wechselte dann das Thema: »Kannst du bitte heute Nachmittag für zwei Stunden in den Laden gehen, Pa? Ich sehe mir mit Adele ein größeres Haus an.«

»Ein größeres Haus?«, fragte Julianna und Matthew schüttelte den Kopf: »Wir haben zu elft in diesem winzigen Haus gelebt und ihr könnt zu sechst nicht in einem Haus leben, das doppelt so groß ist wie dieses?«

»Richtig, Pa. Außerdem …«, Mattie seufzte tief, »sind wir im Frühsommer vermutlich zu siebt.«

»Oh!«, machte Julianna und strahlte über das ganze Gesicht, »Herzlichen Glückwunsch, mein Schatz. Wie geht es Adele?«

»Ganz gut. Ihr ging es immer gut, wenn sie schwanger war und ich hoffe nicht, dass sich das jetzt noch einmal ändert.«

»Wieso denn jetzt noch mal ein Kind? Anne ist doch schon acht Jahre alt?«, fragte Matthew und runzelte die Stirn.

»Es ist einfach passiert. Was soll ich da sagen, Pa? Willst du die Details hören?«

»Nicht, wenn deine Mutter dabei ist«, antwortete er und grinste ein bisschen.

»Matthew!«, rief Julianna und schüttelte fassungslos den Kopf.

»Das war ein Scherz. Wage es nicht, mich mit Details zu belästigen, Junior«, erklärte er und grinste noch ein bisschen mehr. »Ich finde mich auch so damit ab und ich freue mich natürlich für euch. Die McCormicks sind einfach verflixt fruchtbar. Ist es nicht so, Miss Imrie?«

»Ja, Mr. McCormick«, antwortete Julianna und lächelte ihn an.

Sie sahen sich in die Augen und Mattie war vergessen. Der Tisch schrumpfte und statt Zeitung und Briefen befanden sich eine Schale mit aufgewärmten Brot und eine Schüssel mit Soße zwischen ihnen. Matthew griff nach ihrer Hand, drückte sie und Julianna wurde deutlich bewusst, dass sie seit 37 Jahren, seit Emmas und Daniels Geburt, ununterbrochen durch und durch glücklich gewesen war.

 

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Imprint

Text: Cosima Thomas, email: cosima.thomas@es-ist-liebe.de
Images: WoGi, Fotolia
Publication Date: 07-12-2017

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Dedication:
Für Karin, die sich dieses Buch gewünscht hat.

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