Die Handlung des Romans ist eine Erfindung des Schriftstellers, orientiert sich jedoch an eine reale US-Bombereinheit im Zweiten Weltkrieg. Die im Buch vorkommenden Charaktere sind fiktiv. Irgendwelche Ähnlichkeiten mit lebenden Personen ist reiner Zufall.
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1943 tobt über Europa ein gnadenloser Luftkrieg. Die United States Army Air Force betreibt in ganz England verteilt mehrere Stützpunkte für ihre Bomber und Jäger, um von dort aus nach Deutschland, Holland, Belgien und Frankreich zu fliegen. Jede Besatzung kämpft ihren eigenen Kampf. Die jungen Männer versuchen ihre fünfundzwanzig Pflichteinsätze unversehrt zu überstehen, bevor sie wieder heimkehren dürfen. Eines der Flugzeuge ist die Diamond Lucy, eine B-26 Marauder, der 323rd Bomb Group...
United States Army Air Force
Nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 und besonders in Hinblick auf die Luftschlacht um England 1940 reifte auch in den USA die Erkenntnis, dass die Luftstreitkräfte eine weitergehende Autonomie benötigten. Mit der Einführung eines Chief of Army Air Forces (Oberkommandierender der Heeres-Luftstreitkräfte), der direkt unter dem Befehl des Chief of Staff of the Army George Marshall stand, wurde dieser Schritt getan. Den Posten erhielt Generalmajor Henry Arnold, der für eine Unabhängigkeit der Luftstreitkräfte eintrat.
Das General-Headquarter der Air Force wurde in das Air Force Combat Command überführt und seine Kampfgruppen in Luftflotten umgewandelt. Organisatorisch wurden die Air Force Combat Command und Army Air Corps unter das Kommando der Army Air Forces gestellt. Am 9. März 1942 wurde Henry Arnold zum Commanding General, Army Air Forces ernannt und das Air Force Combat Command aufgelöst. Damit erhielt die Army Air Force Kontrolle sowohl über die Kampfeinheiten, als auch alle anderen Einheiten.
Unmittelbar nach dem Kriegseintritt der USA erfolgte im Januar 1942 die Aufstellung der 8th Air Force als Verband der United States Army Air Forces in Savannah, Georgia. Das Hauptquartier wurde im Mai des gleichen Jahres in High Wycombe, Buckinghamshire, England, eingerichtet, wo sich ebenfalls das Hauptquartier des RAF Bomber Command befand. Ihr unterstellt waren das VIII. Bomberkommando, das VIII. Luftunterstützungskommando sowie das VIII. Jägerkommando. Der Befehlshaber war Generalmajor Carl Spaatz.
Den ersten Kampfeinsatz gegen Ziele in Europa flogen Bomber der 15th Bombardment Group gemeinsam mit britischen Bombern am 4. Juli 1942, das Ziel waren deutsche Flugplätze in den Niederlanden. Der erste Einsatz mit schweren Bombern wurde am 17. August 1942 geflogen. Der erste Angriff auf das Reichsgebiet erfolgte am 27. Januar 1943, wenige Tage nach dem Beschluss zur gemeinsamen Bomberoffensive (Combined Bomber Offensive) auf der Casablanca-Konferenz.
Ab dem Zeitpunkt, als die erste B-26 von den Vereinigten Staaten verschifft wurde, nahm das Flugzeug den Betrieb für die United States Army Air Force auf. Der Bomber würde für sie bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs in Betrieb sein. Während dieser Zeit wurden die Marauder, mit ihren unterschiedlichen Varianten, von vielen Einheiten betrieben und dienten im europäischen sowie pazifischen Konfliktschauplatz. Erstaunlicherweise beendete die B-26, die einen schlechten Ruf unter den Piloten hatte, den Krieg mit der niedrigsten Verlustrate aller von diesen Streitkräften geflogenen Mittelstreckenbomber.
Diamond Lucy,
Testflug über Schottland,
Vereinigtes Königreich
»Pilot an Heckschütze. Irgendwas Interessantes da hinten?«
Die Stimme von 1st Lieutenant Gene Adams, auch Skipper genannt, schallte über die Bordsprechanlage. In der Leitung rauschte es nur, keine Antwort vom Heckschützen. Nur das übliche statische Knistern im Äther. Und zwischendurch zeugte ein Klacken davon, dass irgendwo in der B-26 ein anderes Mikrofon ein- und wieder ausgeschaltet wurde.
Die Marauder war ein zweimotoriger Mittelstreckenbomber aus amerikanischer Produktion und als Schulterdecker mit einem Dreibeinfahrwerk ausgelegt. Sie konnte eine Bombenlast von eins komma acht Tonnen tragen und die Bewaffnung bestand aus fünf Browing MGs Kaliber fünfzig. Außerdem gab es noch je zwei starre nach vorn ausgerichtete MGs in schmalen Gondeln, die an der Außenhaut angebracht waren. Diese zusätzlichen vier Maschinengewehre hatten bei Tiefflugeinsätzen eine sehr effektive Wirkung.
»Heckschütze an Pilot.«
»Hier Pilot«, sagte der Flugzeugführer und richtete seinen Blick auf die Maschine vor ihm, deren Heck hin und her pendelte.
Seine eigene schwankte ebenfalls im Propellerstrom. Der Heckschütze von der Red Dog winkte ihm lächelnd zu. Adams erwiderte es nicht, denn er war zu beschäftigt, mit seiner eigenen zweimotorigen B-26, nicht das Heck des vorderen Flugzeugs mit seinem zu besteigen. Welcher Idiot hatte diese saudumme Formation erfunden, dachte er sich. Genauer gesagt, war es ein Test. Eine flache Formation, in der die Maschinen der 453rd Bomb Squadron, nicht wie sonst übereinander, sondern nebeneinander flogen.
»Ich glaube, Ben pennt«, erwiderte sein Copilot neben ihm.
2rd. Lieutenant Weldon Allen starrte aus dem Cockpitfenster und schien ein wenig abwesend. Adams schüttelte den Kopf und schob sich die verrutschte Sauerstoffmaske zurecht.
»Verflixt noch mal! Pilot an Heckstand!«, wiederholte der Flugzeugführer genervt.
Es klackte, dann kam die kleinlaute Stimme von Sergeant Ben Driscoll durch die Bordsprechanlage.
»Ja, hier Heck. Ich habe gerade nicht aufgepasst.«
Der Flugzeugführer seufzte, während sein Blick über die Instrumente flog. Beide Motoren liefen rund, Treibstoff war in Ordnung, auch die Flughöhe von sechstausend Metern stimmte, nur der Abstand zur voraus fliegenden Red Dog passte ihm nicht ganz ins Konzept. Seine B-26 war eindeutig zu nahe dran und musste deshalb jetzt die Geschwindigkeit drosseln.
Adams und der Rest seiner Besatzung, befanden sich gerade auf einem Testflug über Schottland, wo das Geschwader gerade neue Formation erprobte. Eine andere Squadron der 323rd Bomber Group, war mit dieser Formation zur gleichen Zeit nach Belgien unterwegs. Am helllichten Tag, mit einer neuen bisher ungetesteten Variante. Die Crew der Diamond Lucy war froh, nicht dabei zu sein. Er konnte dieser Formation nichts abgewinnen. Die Flugzeuge waren wie zusammengepresst und konnte die Gesichter der Besatzungen daneben sowie der davor fliegenden Marauder ohne Probleme erkennen. Und die Windböen der Propeller ließen das Steuer seine eigene Maschine leicht rütteln.
»Ben, was treibst du da hinten, dass du den Skipper nicht hörst?«, fragte der Bombenschütze, 2nd Lieutenant Steve Moffet, der vor den beiden Piloten in seiner Plexiglaskanzel saß, den Schützen im Heck.
»Halt die Klappe, Steve«, antwortete Driscoll offenbar sauer.
»Vielleicht sollten wir Platz tauschen. Immerhin kannst du so deine Füße mal ausstrecken und musst nicht nur faul herumsitzen.«
»Sehr witzig. Wie wäre es, wenn du zu mir nach hinten kommst und das noch mal genau erklärst.«
»Verflucht. Seid still. Ich kann mich nicht konzentrieren«, begann Navigator 2nd Lieutenant Rick Palmer zu nörgeln. »Ich muss uns durch Schottland lotsen. Und das kann ich nicht, mit eurem Gesabbel.«
»Dann sieh einfach mal aus deinem Fensterchen, da siehst du jede Menge Flugzeuge. Und wo die hinfliegen, fliegen auch wir hin«, erwiderte Driscoll.
Sergeant Henry Koury, seines Zeichens Bordfunker, musste natürlich auch seinen Senf dazugeben.
»Du bist ein Besserwisser, Ben.«
Jetzt räusperte sich Adams, denn ihm wurde das Geschwätz seiner Leute zu viel. Er konnte nicht gleichzeitig fliegen, seinen Vordermann und Nebenmann nicht rammen, sowie dieses blöde Geschwätz im Kopfhörer haben.
»Haltet endlich die Schnauze!«, nahm ihm der Copilot die Aufgabe ab. »Gene muss fliegen. Und diese verfluchte Formation ist viel zu eng.«
»Als ob ich das noch nicht gemerkt hätte«, murrte Driscoll. »Der Bombenschütze von der Sad Sack zeigt mir schon wieder seinen Hintern. Und ich kann ihn nur deshalb so gut sehen, weil wir wie die Karnickel aufeinander hocken.«
»Dann solltest du ihm eins verpassen. Munition hast du ja genug.«
Der Bordmechaniker, Sergeant Winston Hunt, der auch als MG-Schütze den oberen Geschützturm bediente, lachte und machte Kanonengeräusche in die Sprechanlage, die Driscoll im Heckstand erschrocken zusammenfahren ließen.
»Vollidiot! Schieb dir dein Gesäusel doch in den Hintern!«
»Ruhe, verdammt!« donnerte Adams durch die Bordsprechanlage. »Das ist ja nicht auszuhalten!«
Sofort herrschte Funkruhe, nur das statische Rauschen in der Leitung, das sowieso immer knisterte.
Driscoll versuchte, sich in eine bessere Haltung zu bringen. Sein MG-Stand war eng und unbequem. Aber er hatte zumindest freie Sicht nach allen Seiten, außer nach vorne. Er konnte ein paar zerklüftete Felsen der Gebirge in Schottland erkennen, über die sie gerade hinweg flogen. Ein silberglänzendes Band durchzog den Rand der Berge und ein kleiner blauer Punkt, ein Bergsee wahrscheinlich, tauchte in seinem Blickfeld auf.
Der Heckschütze streckte sich ein wenig und blickte hinunter auf die ferne Küste, wo sich das Grün der Felder mit dem milchig graue des Himmels verband. Diesen sah er nicht ganz, weil die unter ihnen fliegenden B-26 die Sicht blockierten. Seine beiden Maschinengewehre zeigten nach unten auf die Landschaft. Immerhin war es nur ein Übungsflug, wobei er sich fragte, wieso er dann hier drinnen eingequetscht sitzen und sich den Rücken verrenkte musste.
»Hey, Pilot?«
»Das heißt, Heckstand an Pilot«, antwortete Adams ärgerlich. »Und ja, ich höre dich, Ben. Was gibt es?«
»Skipper, wie lange fliegen wir noch? Mir tut mein gottverdammter Rücken weh. Und Hunger habe ich auch.«
»Du Weichei, wenn wir es den Krauts geben wollen, dann sitzen wir hier bis zu zehn Stunden aufeinander«, mischte sich Moffet wieder in die allgemeine unnütze Diskussion ein.
»Maul halten, Steve! Du sitzt da vorne schön auf deinem Sitz und mir tun die Kniescheiben weh. Ich bin hier eingequetscht, wie eine Sardine in der Dose.«
Driscolls Laune schien weit unter dem Nullpunkt zu rangieren.
»Frag doch den Navigator, wie lang es noch dauert«, meinte Adams. »Wir drehen gerade wieder südwärts. Ich denke, in zwei oder drei Stunden landen sind wir wieder auf der Basis.«
»Ach, wie gern wäre ich jetzt Hause in Kansas«, begann einer zu säuseln, dessen Stimme der Flugzeugführer nicht genau zuordnen konnte. Entweder kam es von Koury oder Hunt. Oder vielleicht doch Moffet, dem schien es offenbar ziemlich langweilig zu sein.
»Ich schieße diesem Heini gleich einen in den Arsch«, fluchte Driscoll und drehte sein MG in die Richtung der Red Dog, die so nah hinter ihnen flog, dass er dem nervigen Bombenschützen jetzt einen ausgestreckten Mittelfinger entgegenhalten konnte und sich sicher war, dieser würde ihn auch sehen.
»Ich schlage vor, du haust dem Typ heute Abend eine in die Schnauze. Ich will mal wieder Action sehen«, sagte Hunt und spähte durch seinen MG-Turm ebenfalls zu der anderen B-26 hinüber. Ein Stinkefinger tauchte hinter der Bugkanzel von der Red Dog auf und wackelte hin und her. Der Bordmechaniker schüttelte den Kopf. Man konnte meinen, sie befanden sich hier auf einem Spazierflug. Dabei machten sie sich gerade bereit, um zu einer Frontstaffel versetzt zu werden, die Bombeneinsätze gegen deutsche Ziele flog.
Noch machten die Besatzungen in ihren B-26 Faxen und amüsierten sich in den Flugzeugen. Moffet bekam ein flaues Gefühl im Magen, wenn er daran dachte, dass sie selbst bald von Flak und feindlichen Jägern beharkt wurden, wenn sie ihren Weg nach Holland, Belgien, Frankreich oder Deutschland bahnen würden, um ihre Bombenlast über irgendeinem Ziel auszuklinken, das strategisch wichtig war, oder schien.
Er sah wieder durch seine Bugkanzel. Eigentlich hatte er den besten Platz von allen. Er konnte viel sehen, bekam die Sonne ab und neben ihm stand der schwere schwarze Kasten des Norden-Bombenzielgeräts, fest am Boden verankert. Darüber befand sich der Lauf seines MGs, nach vorne gerichtet.
Direkt hinter dem Cockpit saß der Navigator an seinem niedrigen Tisch und blickte auf seine Landkarten, auf denen er alle paar Minuten die aktuelle Position der Diamond Lucy eintrug und die Punkte dann mit Strichen verband, um so den Verlauf der geflogenen Strecke dokumentieren zu können. Palmer warf dem Funker, der neben ihm saß, einen genervten Seitenblick zu.
»Was glotzt du so, Mike?«
Koury schnitt eine Grimasse und wandte sich wieder dem kleinen Bordfenster zu. Er sah sich lieber das Heck der daneben fliegenden Sally Lady an, als sich mit den Launen des Navigators anzulegen. Dieser war eigentlich ein umgänglicher Mensch, nur das er hin und wieder von akuter Luftkrankheit geplagt wurde. Für den schlimmsten aller Fälle hatte Palmer ein paar Papiertüten unter seinem Tisch liegen. Koury hoffte nur, dass es dieses Mal nicht dazu kommen würde.
Palmer wischte sich über die Stirn und äugte über die Trennwand in das Cockpit, zu den beiden Piloten. Diese muteten etwas unförmig an, in ihren mit Heizdrähten ausgestatteten Ledermonturen, die sie vor der Kälte schützen sollte, welche in den mittleren Höhen herrschte, in denen sie meist flogen.
Der Funker widmete sich nach einer Weile wieder seinem Funkgerät, das außer den üblichen statischen Geräuschen nicht viel von sich gab. Dann zog er gelangweilt einen von den Groschenromanen, die es zuhauf auf dem Stützpunkt gab, aus seiner Tasche und begann zu lesen. Da träumte er lieber von hübschen Damen, als sich mit dem Navigator abzugeben, der anscheinend nichts Besseres zu tun hatten als zu streiten.
Hinter dem Bombenschacht saß Hunt in seinem drehbaren Geschützturm und beobachtete die zwölf Flugzeuge umfassende Trainingsformation der 453rd Bomb Squadron, die soeben ihren letzten Übungsflug absolvierte. Er drehte langsam den Turm nach links und lugte über das doppelte Browning-MG hinweg zu den anderen Marauders. Ihr linker Flügelmann, die Goatee Hell, fiel ein wenig zurück. Und das schon seit ein paar Minuten. Anscheinend hatte sie Probleme mit dem rechten Motor, wie er vermutete.
Adams und Allen hatten ihre Augen links am Fenster kleben und beobachteten, wie der rechte Motor der Goatee Hell weißen dicken Qualm zu spucken begann. Der Copilot fluchte, als er sah, wie die B-26 jetzt auch noch begann, an Höhe zu verlieren. Die dahinter folgende Maschine scherte geistesgegenwärtig zur Seite, um nicht mit dem Heck der anderen Marauder nähere Bekanntschaft zu machen und schoss dabei den eigenen Flügelmann beinahe aus dem Himmel.
»Ich sage doch, diese Formation ist für die Katz«, hörte Allen die aufgeregte Stimme von Adams. »Wir sollten ganz dringend wieder zur alten Formation übergehen, die wir in den Staaten geübt haben. Das wäre viel vernünftiger.«
Der Flugzeugführer wandte seinen Blick wieder nach vorn, weil seine Diamond Lucy wieder zu nah auf die Sad Sack aufgeflogen war und die Propellerböen abbekam. Und als ob der Lieutenant, die Gedanken seines Copiloten gelesen hätte, vernahmen beide die tiefe Stimme des Geschwaderführers, der die befohlene Funkstille brach und sich an die gesamte Squadron richtete.
»Männer, wie ich weiß, mögt ihr diese Formation nicht sonderlich. Ich habe eben die Mitteilung bekommen, dass der Testeinsatz mit dieser Formation, der nach Belgien gestartet ist, völlig schiefging. Über ein Drittel der 454th wurde in Belgien abgeschossen oder beschädigt. Deshalb werden wir sofort wieder zur üblichen Formation übergehen.«
Es herrschte Stille im Äther. Keiner der Piloten oder Besatzungen wollte dazu etwas sagen. Über ein Drittel abgeschossen. Was für ein Debakel. Und die armen Männer erst. Doch es sagte keiner dazu etwas. Jeder dachte sich seinen Teil. Und wenn man seine Gedanken laut aussprach, schien es zu bedeuten, dann würde das Geschehen auch passieren. Es passierte, aber keiner konnte, oder wollte seine Gedanken damit beschäftigen.
»Formation bilden«, erschallte dann die auffordernde Stimme des Geschwaderführers, als keine der Maschinen Anstalten machte sich neu zu formieren.
Die Goatee Hell hing mittlerweile am Ende der Formation und verlor den Anschluss an den Verband. Mit ihrem kaputten Motor musste deren Pilot den Einsatz abbrechen und vorzeitig zum Stützpunkt zurückkehren. Die Frage war jetzt, ob er dies auch schaffen würde.
Alle Marauders begannen sich in ihre normale Formation aufzuteilen. Die Grundformation bestand aus je drei Flugzeugen in einer V-Formation flogen, die wiederum in eine obere und untere Formationen gestaffelt waren. Diese enge Staffelung ermöglichte eine konzentriertere Feuerkraft zwischen den einzelnen Flugzeugen.
Adams atmete tief durch, als sie langsam wieder über das hügelige, braun-grüne Gelände von Ostengland flogen und schließlich auf den Flugplatz Horham einschwenkten, um noch mindestens zwanzig Minuten ihre Schleifen zu ziehen, bis die Diamond Lucy landen konnte, weil die Goatee Hell als erste herunter musste, wegen ihres kaputten Motors. Die B-26 schaffte die Landung sicher, ebenso wie der restlichen Maschinen der 453rd Bomb Squadron. Obgleich die Besatzungen ziemlich nervös waren, weil es ihr letzter Testflug war, bevor es in den Fronteinsatz ging.
Earls Colne,
US-Bomberflugplatz,
Vereinigtes Königreich
Sergeant Jimmy Heyns, einer von vielen Flugzeugmechanikern, schirmte seine Augen gegen die grelle Sonne ab, als er abwartend in den Himmel starrte, als könne er die vom Einsatz zurückkommenden Flugzeuge dazu bringen, schneller zu fliegen. Sein Blick drehte sich ein wenig nach rechts. Ungefähr eine Meile nach Südosten standen vierundzwanzig B-26 der 452rd Squadron auf ihren Stellplätzen, welche an diesem Tag Einsatzpause hatten. Lediglich die 454rd, die ebenfalls der 323rd Bomb Group angehörte, war zu einer Mission mit ihren mittelschweren Maschinen nach Belgien gestartet.
Heynsblickte wieder nach unten, auf die Abdeckung des Motors der Marauder, auf dem er rittlings saß und ihn reparierte. Eine Ölleitung war beim letzten Einsatz zerschossen worden und hatte die halbe Tragfläche mit der schmierigen, klebrigen Substanz überzogen. Die deutsche Flak hatte das ganze Flugzeug ziemlich in Mitleidenschaft gezogen. Aus diesem Grund war diese B-26 auch nicht bei dem Angriff auf die Ölraffinerie in Rotterdam dabei.
Die sieben Männer der Besatzung, deren Flugzeug den Namen Miss Satan trug, saßen im Gras neben ihrer Maschine, rauchten, erzählten sich schmutzige Witze oder baggerten hin und wieder eine der englischen Frauen an, welche an ihnen vorbeikamen. Diese waren für das Rote Kreuz tätig und unter anderem für die Versorgung auf dem Stützpunkt zuständig.
Nach einer weiteren Viertelstunde, in der Heyns sich die Hände an einer heißen Leitung im Motor verbrannte, den er hin und wieder startete, um zu schauen, ob immer noch Öl austrat. Und zum allgemeinen Vergnügen der Besatzung von der Miss Satan krachte er dabei noch beinahe vor Schreck vom der Tragfläche herunter.
Auf einmal hörten sie alle das vertraute Brummen der noch einige Meilen entfernten Maschinen, welche von Belgien zurückkamen. Über der Platzabgrenzung kam eine qualmende Marauder im Tiefflug heran. Sie schwankte hin und her, wie ein Betrunkener. Dann klappte langsam das Fahrwerk heraus. Zum Entsetzen aller blieb das rechte Rad auf halbem Wege hängen.
Vom Platzrand flog der Ticklish Percy eine rote Leuchtkugel entgegen, ein Signal, das sie nicht landen konnten. Doch die Maschine kam trotzdem herein, schoss ihrerseits eine rote Leuchtkugel aus dem Seitenfenster, als Zeichen für Verwundete an Bord und schwebte langsam zum Landekreuz heran. Dann setzte die B-26 mit dem linken intakten Fahrwerk und dem Bugrad auf, sprang noch mal hoch, wie ein bockiges Rennpferd und kippte dann nach rechts ab.
Die Männer der Miss Satan sprangen entsetzt auf die Beine und beobachteten das ganze Spektakel. Heyns sog entsetzt den Rauch seiner Zigarette ein, die er sich eben angesteckt hatte, als er von dem Motor heruntergeklettert war. Es krachte, als die rechte Tragfläche den Boden berührte, die Luftschraube sich in den weichen Erboden wühlte und dicke Brocken Erde davonflogen. Die Maschine machte einen Ground Loop, eine Drehung auf dem Boden und lag schließlich still auf ihrem Bauch da, wie ein gestrandeter Wal. Kleine weiße Rauchsäulen stiegen von den beiden Motoren auf und es zischte.
»Verdammt, raus da!«, riefen die Männer der Miss Satan und rannten auf das gestrandete Flugzeug zu.
Es herrschte für ungefähr ein paar Sekunden Totenstille auf dem Stützpunkt, dann explodierte ein Treibstofftank der Ticklish Percy mit einem lauten Knall. Feuer schwappte wie eine Welle aus dem linken Motor und verschluckte den Rumpf der B-26 in einer gelb-roten Feuerwand. Eine riesige Rauchsäule stieg in den blauen Himmel auf und verdunkelte das Sonnenlicht, während Feuerwehrfahrzeuge vom Platzrand auf die brennende Maschine zurasten.
Die Besatzung der Miss Satan wandte sich entsetzt ab. Aus dieser Feuerhölle würde keiner der sieben Besatzungsmitglieder mehr rauskommen. Heyes durchfuhr ein anderer Gedanke: Wo blieben die restlichen zehn Maschinen? Was war mit ihnen passiert?
Sie warteten, eine Stunde. Doch es erschienen keine weitere Marauders. Kein Motorengebrumm erfüllte die Luft, wie sonst. Nur gespenstische Stille. Und als es später Abend wurde, tauchten zehn Maschinen über dem Flugplatz mehr auf. Von den vierundzwanzig Maschinen der 454th Bomb Squadron, waren nur zwölf übrig, die Miss Satan sowie die Ticklish Percy mit gerechnet, welche jedoch samt ihrer Crew als verkohlter Schrotthaufen auf dem Flugfeld lag. Der Mechaniker konnte es nicht fassen. Vierzehn Maschinen, einfach so verschwunden, als ob die Erde ihren Schlund aufgetan hätte und alle verschluckt hätte.
Horham,
US-Bomberflugplatz,
Vereinigtes Königreich
Am folgenden Morgen begann die Besatzung der Diamond Lucy mit den Startvorbereitungen für ihren Flug in den Süden Englands. Die sieben Männer waren nach einer Woche Testflügen in den aktiven Frontdienst versetzt worden. Gleichzeitig wurde das ganze Geschwader nach Earls Coine verlegt, um die 94th Bombardment Wing zu ersetzen. Der neue Stützpunkt lag nicht sehr weit von Horham entfernt. Und genau dahin sollte ihre Einheit jetzt starten.
Allen saß, mit einem flauen Gefühl im Bauch, auf dem üblichen Platz im Cockpit, neben dem Piloten. Er starrte auf die Checkliste, die auf seinem dem Schoß lag und die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen. Stattdessen sah er die Silhouetten von deutschen Jagdflugzeugen, die wie eine wilde Horde Bienen auf einen Verband Marauders zuschwirrten und dabei Gebrauch von ihren Bordkanonen machten. Die Geschosse strichen wie feurige Zungen in Richtung der B-26. Einige begannen zu brennen. Eine wurde von einer Flakgranate getroffen und explodierte. Eine andere brach in der Mitte durch, ihr Kugelturmgeschütz löste sich und stürzte zur Erde, mit dem Schützen noch immer darin gefangen. Und eine dritte verlor die rechte Tragfläche, welche wie ein welkes Blatt zur Erde trudelte, wo sie in einem grellen Feuerball zerschellte.
Der Crew war vor ein paar Tagen ein Film gezeigt worden, um sie darauf vorzubereiten, wie es in einem Einsatz zugehen würde. Oder nur um ihnen noch mehr Muffensausen zu bereiten, dachte der Copilot und sah aus dem Kabinenfenster, wo eben die The Flying Dutchmen vorbeirollte und die beiden Piloten ihm zuwinkte. Da spürte er plötzlich eine Hand fest auf seiner Schulter und Adams grinste ihm zu, als er sich zu ihm drehte.
»Wir schaffen das schon«, sagte er. »Immerhin müssen wir unsere Maschine erst einmal nach Earls Colne fliegen.«
Nur nach Earls Colne bringen, war nett gemeint vom Flugzeugführer. Die Diamond Lucy konnte je nach Laune ein ziemliches Biest sein. Mal war
Publisher: BookRix GmbH & Co. KG
Text: Oliver M. Pabst
Images: Oliver M. Pabst
Cover: Oliver M. Pabst
Editing: Korrekturen.de Julian von Heyl
Proofreading: Korrekturen.de Julian von Heyl
Publication Date: 02-09-2023
ISBN: 978-3-7554-3192-3
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