Die Handlung des Romans ist eine Erfindung des Schriftstellers. Die im Buch vorkommenden Charaktere sind fiktiv. Irgendwelche Ähnlichkeiten mit lebenden Personen ist reiner Zufall.
Copyright-Hinweis: Sämtliche Inhalte, Fotos und Texte sind urheberrechtlich geschützt und dürfen ohne schriftliche Genehmigung des Verfassers weder ganz noch auszugsweise kopiert, verändert, vervielfältigt oder veröffentlicht werden. ©Oliver M. Pabst
In den australischen Gewässern rund um Darwin sorgt das Patrouillenboot HMAS Newberry für Recht und Ordnung. Aufgabe der Mannschaft ist es, die Küste zu sichern, havarierten Schiffen zu helfen, illegalen Fischfang zu bekämpfen und Schmugglern das Handwerk zu legen. Doch es läuft nicht immer alles glatt. Bei einem Einsatz gegen skrupellose Drogenhändler wird ein Mitglied der Besatzung lebensgefährlich verletzt...
HMAS Newberry,
Marinestützpunkt Coonawarra,
Northern Territory, Australien
Über der nordaustralischen Stadt Darwin tauchte gerade die Morgensonne den Himmel in ein Farbenspiel aus intensiven Rottönen. Mit zufriedenem Gesicht lehnte Lieutenant Commander Sam Finnley, Kommandant der HMAS Newberry an der Reling und genoss den wunderschönen Tagesanfang. Obwohl er es bestimmt schon hunderte Male gesehen hatte, nahm ihn dieser Anblick immer wieder gefangen. Es war einer dieser rundum friedlichen Momente, die es nur allzu selten im Leben gab und die man umso mehr genießen musste, wenn sie einem vergönnt waren. Und er hatte allen Grund, zufrieden zu sein.
Die letzten zwei Jahre waren oft nicht einfach gewesen und gerade privat war es nicht so gelaufen, wie er es sich gewünscht hätte. Vor allem seine schwierige Beziehung zu seinem XO Lisa McGann war ein steter Quell der Verunsicherung und Unzufriedenheit.
Noch milderte eine leichte Seebrise die Hitze des Februartages, aber allzu bald würden die Temperaturen auf 32 Grad Celsius und mehr gestiegen sein. Dagegen halfen auch die heftigen Regenfälle des Monsuns nicht. Im Gegenteil, die hohe Luftfeuchtigkeit machte alles nur noch schlimmer. Zwar hatte sich Finnley im Lauf der Jahre an das Wetter gewöhnt, dennoch freute er sich darauf, wieder in See stechen zu können, denn das Klima war dort wesentlich erträglicher.
Die P97 war ein bewaffnetes Patrouillenboot der Armidale-Klasse. Ihr Auftrag war es, die australischen Hoheitsgewässer gegen illegale Fischerei, Piraten, Drogenhandel, verbotene Einwanderung über dem Seeweg, Schmuggelei und vieler anderen Dinge zu schützen. Diese Aufgaben bewältigte sie überaus erfolgreich, nicht zuletzt dank ihres Commanding Officer und der Crew.
Finnley hatte in seiner Ausbildungszeit schon auf der Newberry gedient und hatte damals immer davon geträumt, einmal der CO dieses Bootes zu werden, denn er liebte es, genauso wie die Navy, die sein Lebensinhalt war. Ein Lächeln glitt über sein Gesicht, die Newberry war mittlerweile das gefürchtetste Boot der ganzen Flotte, keines war erfolgreicher. Mit dieser Tatsache hatten sich die Crew und ihr Kapitän nicht nur Freunde gemacht, sondern auch viele Neider auf den Plan gerufen. Aber es kümmerte ihn wenig, was andere über ihn dachten und sagten. Finley wusste, dass er mit Commander Charles Royce, seinem Vorgesetzten, einen starken Rückhalt hatte.
Der CO beobachtete, wie sich seine Crew nacheinander wieder auf der Newberry einfanden. Seinen einundzwanzig Männer und Frauen war anzusehen, dass ihnen der Landurlaub gutgetan hatte. Er war stolz auf seine Leute und wusste, dass er sich auf jeden Einzelnen blind verlassen konnte. Dazu kamen noch vier Neue, die sich allerdings erst noch einleben mussten.
Die letzten Vorratskisten wurden eben an Bord gebracht und Chief Petty Officer Jeremy Cox überwachte den Vorgang. Er sorgte dafür, dass sie in die richtigen Abteilungen gelangten und dort verstaut wurden. Der Seemann schien offenbar der Einzige zu sein, dessen Urlaub wohl nicht ganz so zufriedenstellend verlaufen war. Finnley hatte eine gewisse Unruhe in ihm gespürt, als sie sich begrüßt hatten. Der CO war aber nicht weiter darauf eingegangen.
Ein Blick auf seine Armbanduhr sagte ihm, dass es Zeit war, auf die Brücke zu gehen. Dort blickte die diensthabende Crew ihrem CO respektvoll entgegen und erwarteten seine weiteren Befehle. Finnley sah sich die aktuellen Wetterdaten an und fragte nach Neuigkeiten. Petty Seaman Kyle Hendricks, der Funkoffizier, meldete ihm, dass keine Meldungen vorlagen. Daraufhin blickte der CO zu Lieutenant Lisa McGann.
»XO, können wir auslaufen?«, fragte der Kommandant in seinem Sessel sitzend.
»Jawohl, Sir. Alle sind an Bord, die Gangway ist bereits eingeholt.«
Nach einem Nicken ihres Vorgesetzten griff McGann zum Bordmikrofon, während der Chief ein Handzeichen von ihr bekam, dass die Motoren gestartet werden konnten.
»Achtung, Deckmannschaft! Bereitmachen zum Ablegen! Leinen los!«, leitete die blonde Offizierin den Vorgang ein.
Sogleich wurden die Taue gelöst. Gleichzeitig kamen die Seitenstrahlruder zum Einsatz und die Newberry löste sich langsam vom ihrem Anlegeplatz.
»Ruder fünf Grad Steuerbord, Geschwindigkeit drei Knoten, Kurs Nord«, befahl Lieutenant Alysia Kano, die Navigatorin.
»Aye, eye«, bestätigte Williams und fuhr das Patrouillenboot zum Hafenbecken hinaus.
Als Steuermann war es sein Privileg, dies zu übernehmen. Er ließ es sich auch in den seltensten Fällen nicht nehmen, wusste er doch, dass es kaum jemand an Bord so gut konnte, wie er.
Als sie den Marinestützpunkt Coonawarra in Darwin hinter sich gelassen hatten, beschleunigte die Newberry auf zwanzig Knoten und fuhr in den Beagle Golf, um danach in den Van-Diemen-Golf zu gelangen, wo dieses Mal ihr zugewiesenes Einsatzgebiet lag.
HMAS Newberry,
Beagle-Golf,
Northern Territory, Australien
Die ersten zwei Tage war die See relativ ruhig gewesen und es gab keine Einsätze. Das war auch gut so, denn die Crew hatte einige Neuzugänge in den Mannschaftsdienstgraden zu verzeichnen. Man musste sich erst aneinander gewöhnen und der Chief nutzte die Zeit, indem er die Mannschaft auf körperliche Fitness drillte. Wer geglaubt hatte, die Flottenakademie sei harter Tobak, der sehnte sich schon bald dorthin zurück.
Aber auch die ‘alten Hasen‘ blieben nicht verschont und es dauerte nicht lange, bis der Bootsmann zum meist verfluchten Menschen auf dem Boot wurde. Besonders der Chefingenieur, der es sich der vierundzwanzig Stunden Urlaub ein bisschen zu gut gehen hatte lassen, musste unter dem strengen Training leiden, das Cox ihm angedeihen ließ. Schließlich durfte der Petty Officer eine gewisse Gewichtsgrenze nicht überschreiten, da er sonst als Boots untauglich eingestuft werden würde. In seiner langen Dienstzeit in der australischen Marine hatte er nicht weniger als vierzehnmal kurz davor gestanden und jetzt war es wieder einmal so weit.
Seltsamerweise schienen weder Diät noch das harte Training ihm diesmal die Laune zu verhageln. Während er sonst wie eine wandelnde Gewitterwolke durch die Newberry schlich, wenn man ihm seine heißgeliebten Schokoladenkekse vorenthielt, hatte er diesmal nichts als ein mildes Lächeln auf den Lippen, wenn Taylor ihm mitleidig einen Salatteller in die Hand drückte.
Seine Kameraden wunderten sich, aber auf ihre Fragen zuckte er nur mit den Schultern und erklärte geduldig, dass auch ein alter Seebär wie er irgendwann einmal vernünftig werden müsse. Selbst die Sticheleien von Leading Seaman Nick Jones prallten an ihm ab, wie Tropfen an einer Öljacke.
Seaman Jessica Bennett machte sich gut in ihrer neuen Funktion als Sanitätshelferin. Bisher hatte sie zusammen mit Petty Officer Matthew Chase außer Sonnenbränden, Muskelzerrungen nicht viel verarzten müssen. Dennoch, sie hatte einiges an Sicherheit hinzugewonnen und der CO hatte Vertrauen in ihre Fähigkeiten.
Am folgenden Morgen saß Lieutenant Commander Finnley in seinem Kommandosessel auf der Brücke und suchte mit seinem Fernglas den Horizont nach Schiffen ab, während die anderen diensthabenden Offiziere ihrer Arbeit nachgingen. Nach einer Weile entschloss er sich etwas Konversation zu betreiben, um die Stimmung zu heben.
»Na, wie machen sich unsere Neuzugänge, Chief?«, fragte der CO beiläufig.
»Ich denke, ganz gut, Sir«, antwortete Cox knapp.
Erstaunt drehte sich der Kommandant um. Es war völlig untypisch, dass der Seemann auf eine einfache Frage so ausweichend antwortete.
»Gibt es mit Probleme?«, hakte er nach.
»Nicht direkt, Sir. Im Allgemeinen fügen sich die neuen Seaman gut ein...«, antwortete der Angesprochene mit unbeweglicher Miene, zögerte jedoch erneut, weiterzusprechen.
Ein Blick auf die übrigen anwesenden Offiziere zeigte Finnley, dass deren Aufmerksamkeit voll auf das Gespräch zwischen ihrem Commanding Officer und Cox gerichtet war. Es lag so etwas wie Spannung in der Luft.
»Was soll das heißen? Stimmt mit den Neuen etwas nicht?«
»Also, die Seaman Cook, Smith und Hastings arbeiten zufriedenstellend. Sie integrieren sich gut in der Mannschaft. Nur Seaman Preston, ist ein wenig merkwürdig.«
»Preston?«, meinte der CO überlegend. »Wie war noch mal ihr voller Name?«
»Caroline Preston, Sir.«
Ihr Vorname klang ihm irgendwie geläufig, aber er kam nicht darauf, warum ihm dieser Namen vertraut vorkam.
»Was meinen Sie mit merkwürdig, Chief?«
»Na ja, sie geht allen aus dem Weg, arbeitet am liebsten allein und gesellt sich niemals zu den Anderen, nicht einmal zum Essen«, teilte Cox seinem Vorgesetzten mit.
»Das ist wirklich seltsam«, erwiderte Finnley mit einem unverständlichen Kopf schütteln, das in ihm auch Besorgnis aufkommen ließ. »Sie teilt die Kabine mit Seaman Taylor, nicht wahr?«
»Ja, Sir.«
Der Kommandant drehte sich wieder zu einem der Brückenfenster, sah hinaus auf das blau-grüne Meer und dachte nach. Es gab immer wieder Leute, die nicht gerne auf einem Patrouillenboot arbeiteten. Er kannte die Hintergründe nicht, die diese Frau auf die Newberry geführt hatten, aber er konnte nicht zulassen, dass irgendjemand die Routine und das Zusammenleben auf seinem Boot störte und durcheinander brachte.
»Ich werde mit ihr sprechen«, entschied er schließlich. »Chief, sagen Sie Preston, dass ich sie in fünfzehn Minuten im Schiffsbüro sprechen will.«
Kaum hatte Cox die Brücke verlassen, ging auch Finnley nach unten, nachdem er seinem XO das Kommando überlassen hatte.
Die Wachhabenden warfen einander Blicke zu.
»John, was hältst du von der Neuen?«, wandte sich Williams an Doyle.
»Kann ich nicht sagen, habe noch nichts mit ihr zu tun gehabt«, antwortete dieser.
»Ach komm, du musst dir doch eine Meinung gebildet haben.«
»Nein, wie denn? Man sieht sie ja kaum.«
»Also, wenn sie nicht immer so missmutig schauen würde, wäre sie bestimmt sogar ganz hübsch«, warf Leading Seaman Andrew Field ein, was ihm einen finsteren Blick von einbrachte.
»Warum müsst ihr auf der Frau herumhacken. Könnt ihr sie nicht einfach in Ruhe lassen?«, meinte Lieutenant Alysia Kano, der Navigatorin. »Nicht jedes weibliche Wesen erliegt dem Charme von euch.«
»Das hat nichts mit Charme oder Anmache zu tun«, erklärte Williams. »Sie grenzt sich aus und macht sich damit unbeliebt.«
»Tut sie ihre Arbeit?«, fragte die junge Frau.
»Ja, allerdings. Und das nicht mal schlecht«, gab Field zu.
»Stimmt«, mischte sich nun Cox ein, der gerade auf die Brücke gekommen war, nachdem er seinen Auftrag ausgeführt hatte. »Sie scheint eine Art Allroundtalent zu sein. Egal, was man ihr aufträgt, sie erledigt diese gewissenhaft.«
»Dann lasst ihr doch mehr Zeit, sich besser an uns zu gewöhnen.«
Kanos Tonfall ließ deutlich erkennen, dass sie die Diskussion für beendet hielt.
Lieutenant Lisa McGann, die sich bisher eines Kommentars enthalten hatte, schmunzelte darüber, wie sich die Männer dem unausgesprochenen Befehl des XO beugten und sich wieder ihren Aufgaben widmeten.
HMAS Newberry,
Beagle-Golf,
Northern Territory, Australien
Auf dem Weg zum Schiffsbüro hörte Finnley im Gang einige Crewmitglieder in der Messe, die sich dort unterhielten. Als der CO eintrat, wurde es plötzlich still im Raum, aber er ergriff die Initiative.
»Doyle, wie laufen die Maschinen?«, meinte er lächelnd und holte sich einen Becher Kaffee bei der Essensausgabe.
»Hervorragend, Sir«, antwortete der Chefingenieur mit einem Grinsen.
»Die medizinischen Vorräte wurden aufgefüllt und kontrolliert, Sir«, meldete sich Chase, noch bevor er angesprochen wurde. »Ich habe mir erlaubt, der Ausrüstung noch einige Wärmekissen und Fangopackungen hinzuzufügen.«
Für diese Bemerkung erntete der Sanitätsoffizier unverständliche Blicke von Seaman Sean Fuller und Tom Davis, während Nick Jones zu grinsen begann.
»In Ordnung, wenn Sie es für nötig halten«, meinte Finley.
Näher der CO nicht darauf ein, aber er konnte sehen, dass die nicht eingeweihten Männer vor Neugier schier platzten.
»Sir, die neue Mikrowelle wurde ebenfalls ausgepackt und angeschlossen«, setzte Chase noch eines drauf.
Er hatte sich diese Zugabe einfach nicht widerstehen können, denn der Anblick seiner Kameraden war einfach zu köstlich.
»Darf man fragen...«, begann Fuller, wurde aber fast rüde unterbrochen.
»Nein, dürfen Sie nicht!«, antwortete der Kommandant. »Diese Witzbolde hier wollen Sie nur aufziehen. Achten Sie nicht darauf und nehmen Sie es einfach hin. Verstanden?«
»Aye, Sir«, bestätigte der Seemann leicht eingeschnappt.
»Sir, die Vorräte für die Kombüse sind aufgefüllt und kontrolliert«, mischte sich nun Able Seaman Kelly Taylor ein, die aus der Kombüse hinzugekommen war, bevor die Stimmung umschlagen konnte. »Für heute Mittag habe ich gegrilltes Hühnchen mit Pommes und Salat vorgesehen.«
»Oh, das hört sich gut an und dürfte wohl allen schmecken«, erwiderte Finnley und warf einen letzten drohenden Blick auf Chase sowie Jones.
Dann verließ er die Messe wieder, um in sein Büro zu gehen.
»Sag mal, Matthew, was sollte das eigentlich mit den Fangopackungen?«, fragte Fuller misstrauisch.
»Und wozu brauchen wir eine Mikrowelle im Sanitätsraum?«, ergänzte Davis.
»Habt ihr nicht gehört, was der Boss eben gesagt hat? Wir wollten euch nur veräppeln«, winkte Jones ab. »Ich habe es selbst gesehen, schließlich schloss ich sie ja an. Also muss auch am Rest etwas dran sein.«
»Jetzt rückt schon endlich raus mit der Sprache«, drängte Fuller, doch die beiden Verschwörer schüttelten nur den Kopf.
»Ihr müsst es schon selbst herausfinden«, merkte Chase noch geheimnisvoll an und ging ebenfalls.
HMAS Newberry,
Van-Diemen-Golf,
Northern Territory, Australien
Preston klopfte an die offenstehende Tür des Schiffsbüros und sah, wie sich der Kommandant zu ihr umdrehte.
»Seaman Caroline Preston meldet sich zur Stelle«, salutierte sie vor Finnley.
»Sie brauchen nicht so förmlich zu sein«, sagte er lächelnd von seinem Schreibtischstuhl sitzend. »Leider hatte ich bisher noch keine Zeit, Sie persönlich kennenzulernen und an Bord zu begrüßen. Das möchte ich nun nachholen.«
Er musterte die junge Frau aufmerksam. Sie trug eine ausdruckslose Miene zur Schau, aus der er nichts entnehmen konnte. Ihre braunen Augen ließen keinerlei Regung erkennen. Er schätzte ihre Größe auf etwa einen Meter siebzig. Sie war nicht gertenschlank, hatte aber eine ansprechende Figur. Ihr Haarschnitt war fast männlich kurz, der Farbton jedoch nicht zu bestimmen. Er schwankte zwischen braun und dunkelblond. Irgendwie kam sie ihm bekannt vor, aber er konnte sie einfach nicht einordnen.
»Entschuldigung, Seaman, sind wir uns schon einmal begegnet?«, fragte er schließlich ein wenig verlegen.
Sie sah ihn mit ernstem Gesichtsausdruck an, bevor sie antwortete.
»Sie haben es sicher vergessen, Sir. Es ist lange her, mehr als zehn Jahre.«
»Über zehn Jahre?«, wiederholte Finnley überrascht, dann fiel der Groschen.
»Caroline McClure? Natürlich, dass ich dich nicht gleich erkannt habe. Du hast dich sehr verändert.«
»Das habe ich wohl«, meinte sie, noch immer ohne jedes Lächeln.
»Du hattest früher schönes, langes Haar. Warum hast du es abscheiden lassen?«
»Ist praktischer so«, bekam er eine knappe Antwort.
»Dein Nachname ist auch anders, deshalb bin ich nicht gleich darauf gekommen. Du hast geheiratet, nicht wahr? Tut mir leid, dass ich damals nicht zur Hochzeit kommen konnte.«
Zum ersten Mal zeigte ihr Gesicht eine Spur von Emotion. Für einen kurzen Moment presste sie die Lippen fest aufeinander, hatte sich aber fast sofort wieder im Griff und setzte ihre regungslose Maske auf.
Kopfschüttelnd sah er sie an.
»Was machst du in der australischen Marine?«
»Tja, das ist eine lange Geschichte und eigentlich völlig uninteressant«, wehrte Preston ab.
Dies konnte er so nicht im Raum stehen lassen. Er erinnerte sich, an einen fröhlichen Teenager, der stets zu Streichen aufgelegt war und seine Schwester nur allzu oft in Dinge verwickelt hatte, die ihren Eltern nicht gefallen hatten. Dennoch war die Tochter seiner Schwester bei den Finnleys immer willkommen gewesen. Immerhin war sie ja seine Nichte.
Zu ihrer Hochzeit mit einem jungen Studenten vor etwa zehn Jahren hatte Preston ihn eingeladen, aber da er auf See gewesen war, hatte der CO es ihr nicht einrichten können. Nun bedauerte er es, denn die junge Frau, die jetzt vor ihm stand, hatte nichts mehr mit der gemeinsam, an die er sich erinnerte.
»Ich habe Zeit. Und als dein Commanding Officer muss ich sogar wissen, was mit dir los ist. Ich kann nicht zulassen, dass die Disziplin auf meinem Boot gefährdet wird.«
»Aber ich habe doch gar nichts Unrechtes getan. Ich halte mich sogar von den anderen fern«, protestierte sie und zeigte damit einen kleinen Anflug der früheren Caroline.
»Genau das ist der Punkt. Du kannst dich nicht völlig absondern, das geht auf einem so kleinen Boot nicht. Wir arbeiten, essen und leben hier zusammen. Da ist kein Raum für Extrawünsche.«
Die Angesprochene ließ den Kopf hängen, schien nachzudenken und sah plötzlich auf.
»Jawohl, Sir, ich habe verstanden. Kann ich jetzt gehen? Es gibt viel Arbeit«, sagte sie forsch.
Hinter dieser Fassade erkannte Finnley jedoch eine Unsicherheit und Verletzlichkeit, die ihn erschreckte. Er sah allerdings ein, dass er im Moment nichts ausrichten konnte.
»In Ordnung, Seaman, gehen Sie. Aber wir haben noch nicht das letzte Wort darüber gesprochen.«
Preston salutierte kurz, bevor sie den Raum verließ. Besorgt sah der CO ihr nach. Er ahnte, dass in der Zeit, in der er sie so aus den Augen verloren hatte, etwas Schreckliches mit ihr geschehen war, das unübersehbare Spuren hinterlassen hatte. Er würde sie von jetzt an beobachten, wusste aber noch nicht, wie es weitergehen sollte. Finnley konnte nur hoffen, dass er eines Tages zu ihr durchdringen würde.
HMAS Newberry,
Van-Diemen-Golf,
Northern Territory, Australien
Als Petty Seaman Robert Hendricks aus der Funkstation über die Treppe auf Brücke geeilt kam, war es mit der relativen Ruhe schlagartig vorbei.
»Sir, wir haben einen Funkspruch von NAVCOM erhalten. Sie bitten um Unterstützung bei einem Fall von Wilderei geschützter Meerestiere. Die Küstenwache hat momentan mit einer größeren Bergung zu tun und wir sind das nächstgelegene Patrouillenboot«, meldete er Finnley, der wieder in seinem Sessel saß.
»Wurde auch eine Position angegeben, wo sich diese Kerle befinden?«
»Ja, Sir. Die letzte Sichtung war bei Burford Island.«
»Kano, setzen Sie einen Kurs dorthin. Wir sehen uns das Problem aus der Nähe an.«
»Aye, Sir. Rudergänger, Steuerbord dreißig, Kurs Nordost, Geschwindigkeit fünfundzwanzig Knoten«, antwortete die junge Frau.
»Verstanden, Ma‘am«, bestätigte Williams und gab die Angaben in das Steuerpult ein.
»Wie lange werden wir brauchen, bis wir dort ankommen?«, forderte Finnley zu wissen.
Die Navigatorin nahm eine schnelle Berechnung vor.
»Bei dieser Geschwindigkeit werden wir in etwa zwei Stunden dort ankommen«, gab die Frau zur Antwort.
»Gut, sagen Sie mir Bescheid, sobald Sie irgendwelche Aktivitäten auf dem Radar haben.«
Sie nickte und konzentrierte sich wieder auf den Bildschirm.
Der CO nahm daraufhin das Mikrofon des Bordsprechgerätes in die Hand und machte eine Durchsage.
»An alle, hier spricht der CO! Am Garig-Gunak-Barlu-Nationalpark jagen Wilderer geschützte Meerestiere. Wir sind jetzt auf dem Weg dorthin, um ihnen das Handwerk zu legen. Das Enterteam soll sich bereithalten. Ende, der Durchsage.«
Anschließend überließ er die Brücke und XO McGann übernahm das Kommando über die Newberry.
HMAS Newberry,
Van Diemen Golf,
Northern Territory, Australien
Nach neunzig Minuten erschien auf dem Radarschirm der Newberry im Seegebiet bei Burford Island ein unbekannter Schiffskontakt und der Navigator rief Finnley über die Bordsprechanlage auf die Brücke.
»Was gibt es, Kano?«, fragte er ohne Verzögerung, als er dort ankam.
»Ich glaube, ich habe etwas entdeckt«, informierte sie ihren Vorgesetzten.
»Sie glauben?«
»Es ist ein nicht identifizierbares Objekt, Sir.«
Sie gab die Koordinaten weiter an Field weiter, der am elektronisch-optischen Gerät, kurz EOG, saß und es sofort die Peilung danach ausrichtete.
»Steuerman, gehen Sie auf langsame Fahrt, wenn wir uns seiner Position nähern«, befahl Kano.
»Jawohl, Ma‘am.«
Finnley hatte sich ein Fernglas geschnappt und begab sich auf das Brückenock hinaus. McGann und Cox folgten ihm. Gemeinsam hielten sie Ausschau nach dem unbekannten Schiff.
»Denken Sie, dass es die Wilderer sind, Sir?«, fragte der XO.
»Ich weiß nicht, alles ist möglich«, antwortete er. »Aber das werden wir ja bald wissen.«
»Sir, ich sehe etwas im Nordosten, etwa zwei Meilen an Steuerbord, auf elf Uhr«, meldete der Chief plötzlich.
Sofort richteten sie ihre Ferngläser in die angegebene Richtung.
»Es sieht nach einem Fischerboot aus«, stellte der CO fest, »aber wir werden es sicherheitshalber überprüfen.«
»Achtung, Entermannschaft bereit machen! Beiboot zu Wasser!«, gab McGann daraufhin über die Bordsprechanlage bekannt.
Die beiden Teams zogen Helme und schusssichere Westen über, Waffen wurden ausgegeben und die Zodiacs klargemacht. Es dauerte nicht einmal fünfzehn Minuten, dann war die Gruppe in den Booten und wurden mit den Kränen zu Wasser gelassen.
Wenig später hörte man über die Außenlautsprecher die Stimme von Kano.
»Schiff auf der Steuerbordseite! Hier ist das australische Patrouillenboot Newberry! Stoppen oder drehen sie bei! Wir haben vor, an Bord zu kommen!«
Sie wiederholt die Aufforderung zweimal, dann wandte sie sich an den CO.
»Sir, sie wollen stoppen nicht, oder können es nicht!«
Verärgert darüber, dass die Fischer dem Aufruf nicht Folge leisteten, gab er seinen nächsten Befehl.
»Thorpe, setzen Sie sich an die Bushmaster. Geben wir ihnen drei Schuss vor den Bug.«
»Aye, Sir!«
Der Navigator wiederholte die gegebene Order an den Chefingenieur, der sofort die fünfundzwanzig Millimeter Bordkanone der Newberry ausrichtete und das Feuer eröffnete. Als drei Wasserfontänen etwa zehn Meter vor dem Fischerboot aus dem Wasser empor stiegen, verlangsamte das andere Boot seine Geschwindigkeit. Inzwischen war die bewaffnete Einsatzgruppe, unter der Führung von McGann, mit einem der beiden Beiboote zu dem Fischer gefahren und ging als Erste an Bord. Es gab kaum Widerstand, nur der Eigentümer schien sich zu wehren.
»Charlie 97 an X-Ray 97. Gibt es Schwierigkeiten?«, fragte Finnley über Funk.
»Nein, wir haben alles im Griff. Der Kapitän war nur der Ansicht, er müsse uns daran hindern, sein
Publisher: BookRix GmbH & Co. KG
Text: Oliver M. Pabst
Images: Oliver M. Pabst
Cover: Oliver M. Pabst
Editing: Korrekturen.de Julian von Heyl
Proofreading: Korrekturen.de Julian von Heyl
Publication Date: 09-04-2022
ISBN: 978-3-7554-2009-5
All Rights Reserved