Ein ganz normaler Tag in der Schule: Keith geht seine große Runde. Der achtzehnjährige Schüler hatte hier schließlich das Sagen. Niemand widersetzte sich ihm. Dafür herrschte zu viel Angst vor Konsequenzen, denn der junge Mann schlug gerne zu. Niemand wusste etwas von ihm, er war wie ein Phantom und doch so nah. Die Menschen, die von seiner Existenz wussten, kannten ihn nur als einen Schläger, Player und Tyrannen. Das hatte seine Vergangenheit aus ihm gemacht. Wenn man ihn danach fragte, wurde er aggressiv und wie diese Nachfrage endete, kann man sich ja denken.
Kurz vor seinem Geburtstag hatte er sich schon eine eigene Wohnung gesucht, denn er wollte so schnell wie möglich weg von seinem Vater. Jahrelang hatte der junge Mann gespart und in seiner Freizeit die verschiedensten Jobs gemacht und damit schon sein eigenes Geld verdient. Somit hatte er viel mehr Freiraum und konnte das machen, was er wollte, ohne dass ihn jemand das Leben zur Hölle machte. Denn jetzt, so fand er, war er selbst am Zug und das kostete er auch mit Freude aus. Das machte er aber richtig, egal ob in der Schule oder bei seinen Freunden. Am Liebsten tat er es jedoch bei Mädchen, so wie auch jetzt. “Wie bitte? Ich dachte, dass du mich liebst!”, sagte Miriam unter Tränen. Keith lachte höhnisch und meinte: “Das glaubst du doch wohl selber nicht oder? Ich brauchte Ablenkung, aber du bist langweilig”. Klatsch! Der junge Mann spürte einen Schlag an seiner rechten Wange. Das höhnische Lachen verschwand und Keith schlug mit seiner Faust zu. Miriam fing bitterlich zu weinen an und spürte Blut aus ihrem Mund herunter laufen. Ja, so war nun mal Keith. Er ist brutal, gefühllos und verbittert. Niemand kam mehr an ihm heran. Ihm bedeutete die Welt nichts mehr, nicht einmal sein Leben interessierte ihn. Keith lebte in die Tage hinein, ohne etwas zu verändern. Er hatte einen Ruf als Player und Schläger. Jeder wusste das und dennoch hatte Keith viele Freundinnen, die naiv genug sind, um sich von ihm einlullen zu lassen. Im Gedanken zog der junge Mann Grimassen. Er fragte sich wie man nur so dumm sein und an Liebe glauben könne. “Wenn du mich noch einmal schlägst, dann kannst du was erleben!”, schrie Keith Miriam an, die daraufhin bestürzt weglief.
Der junge Mann grinste und sah sich um. Überall liefen Schüler herum, er sah viele kleine Grüppchen und stieß einen herablassenden Ton von sich. Immer wieder wurde der Große angsterfüllt angeguckt und das fand er natürlich sehr witzig. Keith konnte überhaupt nicht verstehen, wie man nur Angst vor jemanden haben konnte, der nicht einmal zehn Jahre älter als man selbst war. Dafür nutzte er dies in vollen Zügen aus. “Hey Kleiner, ja genau du! Bleib stehen!”, schrie er und hielt einen kleinen Jungen am Arm fest. Der Kleine hatte es nicht mehr geschafft, wegzurennen. “Dein Taschengeld”, grinste K - so war sein Spitzname - und hielt den Fünftklässler im Schwitzkasten. Der Junge fing an zu weinen und sagte: “Aber das brauche ich für mein Pausenbrot”. Streng wurde er angesehen und meinte: “Okay okay, warte, ich hole mein Geld”. Keith ließ ihn los und der Kleine holte fünf Euro aus seiner Hosentasche. “Ist das alles?”, fragte der Große und sah ihn eindringlich in die Augen. Er nickte und entfernte sich ein paar Schritte. Keith wollte auch gehen, doch dann hielt er inne. Er hörte ein Rascheln. Der Kleine wollte wegrennen, hatte sich aber damit noch mehr verraten. Keith lief ihm hinterher und packte ihn erneut. “Gut, du wolltest es nicht anders!”, rief er und fing an, auf den Jungen einzuprügeln. Immer wieder traf er ihn an Bauch und Gesicht. Selbst als sein Opfer schon weinte und sich krümmte, hörte Keith nicht auf. Schon bald hatte sich um sie herum ein Kreis aus anderen Schülern gebildet. Anstatt einzugreifen, sahen sie nur zu, denn sie wussten, was für ein Mensch K ist. Niemand traute sich, etwas gegen ihn zu sagen oder ihn daran zu hindern. Nicht einmal die Lehrer griffen ein. Sie ließen Keith das machen, was er wollte. Selbst die Lehrer hatten Angst vor ihm und konnten nichts gegen ihn ausrichten. Jetzt aber ertönte ein Gong und die Schüler gingen.
Die Pause war hinüber und nun stand Mathematik auf den Stundenplan. “Keith, kannst du bitte die Aufgabe lösen?”, bat Herr Müller. Der Angesprochene stand auf und maulte: “Das heißt Sie und nicht Keith oder du!”. Ja, er bestand drauf, gesiezt zu werden. Trotzdem rechnete der Achtzehnjährige die ihm gestellte Aufgabe mit Bravour. Eigentlich war Keith sehr intelligent, doch die Vergangenheit hat ihre Spuren hinterlassen und so strengte er sich nur an, wenn er Lust dazu hatte. Und gerade machte es ihm Spaß etwas zu lernen. “Gut gemacht, Herr White!”, lobte der Lehrer. Keith grinste und setzte sich auf seinem Platz im linken Eck am Fenster. Gelangweilt sah er auf das düstere Wetter. Düster war auch er. Dies konnte man unschwer an seiner Kleidung erkennen. Er trug stets schwarze Klamotten, eine Erinnerung an seine Vergangenheit, selbst im Sommer. Und jetzt war es Sommer, um genau zu sein der letzte Schultag vor den Sommerferien. Keith freute sich schon höllisch darauf, endlich sechs Wochen Party, Party und noch mal Party. Und dort ließ er es sich natürlich nicht nehmen ein Mädchen nach dem anderen anzubaggern oder Schlägereien zu haben. Doch zuerst musste er noch eine weitere Mathestunde überstehen. Selbst am letzten Schultag wurde an dem Gymnasium Unterricht gemacht. Das fiel ihm aber nicht schwer, der junge Mann liebte es, Stillarbeit zu machen, denn da konnte er sich austoben. Die meiste Zeit langweilte er sich jedoch, da er den anderen um Einiges voraus war. “Sag mal Keith, was sollte das in der Pause wieder?”, fragte auf einmal Herr Müller und stand vor ihm. K sah zu seinem Lehrer hoch ohne dabei seine ernste Miene zu verziehen. Doch dann huschte ein kleines Grinsen über sein Gesicht und er antwortete: “Sie, wie oft soll ich es noch sagen? Ich möchte gesiezt werden! Außerdem wissen Sie doch, was das sollte”. “So kann es mit Ihnen nicht mehr weitergehen!”, meinte Herr Müller ernst. “Aha, das entscheide immer noch ich”, widersprach Keith schnippisch. Der Lehrer seufzte und ging an das Pult. Dann sagte er laut: “Meine Damen und Herren, Ihr könnt aufhören. Kommen wir nun zur Zeugnisausgabe. Ein paar sollten sich für das Abschlussjahr sehr anstrengen”. Dies galt aber nicht für Keith. Der junge Mann hatte einen Schnitt von 1, 9. Er könnte sogar noch besser sein, wenn er mehr aufpassen würde und nicht immer solche enormen Stimmungsschwankungen hätte. “Ich verstehe wirklich nicht, warum ausgerechnet Sie so gute Noten haben”, meinte Herr Müller und stand erneut vor ihm. K sagte ruhig: “Ich auch nicht, aber das kommt mir natürlich nur zu Gute”. “Macht dass Ihr wegkommt!”, rief der Lehrer laut und die Schüler wurden in ihre Sommerferien entlassen.
Schon sechs Wochen sahen sich alle in der dreizehnten Klasse wieder. Nicht nur das, sie alle hatten eine neue Schülerin: Dawn. Der Klassenleiter kam in das Klassenzimmer und meinte: “Schön, dass ihr wieder da seid. Ihr wisst, das ist das letzte Schuljahr und ich habe das Vergnügen euch durch die Prüfungen zu führen, die ihr hoffentlich erfolgreich abschließen werdet. Also solltet ihr schon jetzt sehr gut aufpassen, auch wenn wir erst Anfang September haben. Außerdem haben wir eine neue Schülerin”. Kaum hatte er das gesagt, betrat ein außerordentlich hübsches Mädchen den Raum. Ein Staunen hallte durch das Zimmer, Keith, der an seinem Stammplatz saß, stand ruckartig auf und schrie: “Wie kannst du es nur wagen, Julia!”. Nun sahen alle zu ihm und die Neue sagte: “Du musst Keith sein, ich habe schon viel von dir gehört. Freut mich Bekanntschaft mit dir zu machen, aber mein Name ist Dawn und nicht Julia”. Die gesamte Klasse sah nun zu ihr und ehe Keith etwas erwidern konnte, sagte Herr Müller: “Herzlich Willkommen”. Lächelnd meinte Dawn: “Danke” Danach setzte sie sich auf ihrem Platz, der in dritten Reihe war. Immerhin hatte sie eine Banknachbarin, aber Dawn saß direkt vor K. Dieser stieß einen tiefen Seufzer aus und konnte seinen Blick nicht von ihr nehmen. Sie schaut genauso aus wie sie, dachte sich Keith und in ihm kam Schmerz auf. Er wusste es nicht einmal, er konnte nicht einmal mehr sagen, was Wut und was Schmerz ist. Aber was er sicher wusste ist, dass er Dawn verarschen wollte. So machte er es immer und so wird es immer sein.
Beim Stundenwechsel versammelte sich die halbe Klasse um die Neue. “Woher kommst du? Wie alt bist du? Was ist dein Lieblingsfach? Was hörst du für Musik? Hast du einen Freund?”, fragten die Schüler kreuz und quer. Dawn lächelte wieder und antwortete: “Ich komme aus München, aber meine Mutter und mein Vater haben hier in Hannover eine gute Arbeit gefunden und dann sind wir mit der ganzen Familie umgezogen. Ich bin siebzehn Jahre alt und mein Lieblingsfach ist Geschichte, am Liebsten höre ich japanischen Rock und ich habe keinen Freund”. Aufmerksam wurde ihr zugehört, jeder wollte etwas sagen, doch alle wurden sie von Keith übertönt. “Nicht dieses Thema!”, sagte er scharf. Niemand verstand was er damit meinte und Dawn fragte: “Was meinst du?”. “Halt einfach deinen Mund!”, rief K genervt. Sofort entfernten sich die anderen. Dawn verstand und entgegnete: “Verstehe, du bist hier wohl der Obermacker, aber nicht mit mir!”. “Pass auf, was du zu wem sagst!”, schrie Keith. Er sah sich in seiner Position als Chef der Klasse sehr bedroht. Als Dawn ihn nur mit einem Blick der hätte töten können ansah, stand er wieder auf. Auch die Neue erhob sich von ihrem Platz. Gespannt beobachteten die Klassenkameraden was im Anschluss passierte. Keith sagte zum Schluss: “Damit eins klar ist: Du wirst es hier bestimmt nicht leicht haben! Dafür werde ich schon sorgen”. “Viel Erfolg”, erwiderte Dawn ohne auch nur annähernd genervt zu klingen. Glücklicherweise kam Herr Müller zurück in das Zimmer und nun war Ruhe.
“Das war echt toll, niemand hat sich zuvor getraut, so richtig etwas gegen ihn zu sagen”, meinte Stefanie, die Banknachbarin von Dawn, leise zu ihr. Diese fragte: “Warum lässt ihr euch von ihm so unterdrücken?”. “Er ist ein Schläger und ein Player. Keith schreckt nicht einmal davor zurück, Mädchen zu schlagen oder mit ihnen zu spielen. Da musst du echt aufpassen, dieser Kerl ist ungenießbar”, antwortete Steffi. “Alles klar”, rief Dawn.
Beide konzentrierten sich nun auf das Gerede um das neue Schuljahr. Die Schüler bekamen gesagt was sie in welchem Fach brauchten und selbst vom Wandertag in drei Wochen war schon die Rede. Es gab so vieles zu besprechen. “Ich würde vorschlagen, wir gehen in den japanischen Garten”, meinte Dawn. Dieser Vorschlag löste bei fast allen Begeisterung aus. Die einzige Person, die dagegen war, war - wer auch sonst - Keith. Er selbst fand Japan zwar faszinierend und mochte ebenfalls die Musik, aber auch dieser Ort löste ihn ihm düstere Erinnerungen aus. “Was wollen wir denn da? Dort ist es so öde, lasst uns lieber in die Stadt gehen, da ist es viel aufregender!”, rief K dazwischen und sah in die ängstliche Menge. Eigentlich hätte er schon längst von der Schule gehen müssen, doch die Lehrer konnten nicht zulassen, dass so ein intelligenter Mensch wie er keinen Abschluss bekam. Dawn entgegnete: “Da könnte man aber mal abschalten”. Auch ein starkes Argument, selbst Keith sah das ein. In ihm stiegen jedoch noch mehr Erinnerungen an seine Vergangenheit hoch. “Ach, macht doch was ihr wollt!”, brüllte er und legte seine Füße auf den Tisch. Danach fing er an mit seinem Stuhl zu kippeln, wobei dieser sich nur wenige Zentimeter von der Wand entfernt aufhielt und Keith daher kaum umkippen konnte. “Keith, würdest du bitte deine Füße vom Tisch nehmen?”, bat der Klassenleiter und K antwortete: “Nö und das heißt immer noch Sie”. Der junge Mann bestand nach wie vor darauf, gesiezt zu werden. “Wenn Sie wollen, dann kann ich Ihnen noch heute einen Verweis nach Hause schicken lassen!”, drohte Herr Müller und Keith musste höhnisch lachen. “Nun, das wertlose Stück Papier können Sie mir auch in der Schule geben. Ich bin achtzehn, also kann ich das auch selbst unterschreiben und außerdem hab ich eine eigene Bude”, rief er und fiel vor lauter lachen auf den Boden. Plötzlich schrie der Lehrer: “Gut, dann schreiben Sie mir fünf Seiten über Verhalten im Unterricht!”. “Nö, Sie haben mir gar nichts zu sagen”, widersprach Keith und grinste noch immer als er aufstand und sich wieder hinsetzte. “Was wollen Sie eigentlich hier auf dem Gymnasium, wenn Sie gegen alle Regeln verstoßen!”, brüllte der Lehrer weiter. “Sag mal, geht das hier in der Klasse immer so ab?”, fragte Dawn und Stefanie nickte. Oje dachte sich die Neue, wo bin ich da nur gelandet? Wenigstens klingelte es und somit konnten alle nach Hause gehen was sie auch taten.
So ging das die nächsten Tage, glücklicherweise hatte sich Dawn relativ schnell daran gewöhnt. Dazu kam auch noch der restliche Umzugsstress, den sie daheim hatte. Das hübsche Mädchen hatte ihr Zimmer auf den Dachboden und somit viel Freiraum. Bis ihre ganzen Dinge dort oben waren, vergingen einige Treppenstufen. Dawn hatte eine Familie, eine Familie die zusammenhielt. Ihr großer Bruder war bereits ausgezogen und somit war sie das einzige Kind der Eltern, das noch bei ihnen zu Hause wohnte. Das machte ihnen aber nichts aus, im Gegenteil die Mutter von Dawn wollte nicht, dass sie jetzt schon auszieht. Auch der Vater war dagegen, die beiden wollten ihre Tochter so gut es ging unterstützen, also sahen sie sich nach Studienplätzen um. Denn das Dawn im Moment am Wichtigsten: Bildung. Sie lernte gerne, sehr gerne und wollte unbedingt Geschichte und Psychologie studieren. Doch dafür brauchte sie erst mal ihr Abitur.
“Dawn, Schatz, kannst du mir kurz bitte helfen?”, bat ihre Mutter, die eine der noch wenigen herumstehenden Kisten ausräumte. “Natürlich”, antwortete die Tochter. In dem Karton befanden sich Bücher und Fotoalben. Mutter und Tochter verbrachten viel Zeit miteinander, das war ihnen besonders wichtig und auch der Vater war stets da, dieser war jedoch im Moment arbeiten. Ihre Mutter hatte heute frei. “Schau mal, da warst du gerade mal zehn”, meinte Frau Wendel. Dawn packte noch schnell die restlichen Bücher in das Regal und setzte sich neben ihre Mutter. Die beiden ruhten sich nebenbei aus, es war schon ziemlich stressig. Genauso wie Schule. Keith hatte seine Drohung wahrgemacht und bombardierte Dawn gerne mal mit Sprüchen. Diese wusste aber damit gut umzugehen und außerdem hatte sie bereits viele neue und vor allem gute Freunde gefunden. Das freute sie sehr.
Am nächsten Tag stand der Wandertag auf dem Stundenplan. Die Klasse hatte sich für den japanischen Garten entschieden, was Keith überhaupt nicht gefiel. Schon als er den Ort betrat hatte er ein komisches Gefühl im Körper. Seine Vergangenheit schien ihn ein zu holen, denn kaum sah er Dawn, lief er schon neben ihr umher. Mit verdrehten Augen fragte sie, was er wolle und er antwortete: “Was ich will? Ich will deinen Spielchen ein Ende machen!”. “Was für ein Ding?”, fragte das Mädchen verwirrt. “Ist doch offensichtlich: Du bist neu hier, jeder rennt dir hinterher und du genießt das in vollen Zügen und nutzt das aus! Weißt du, ich kann solche Weiber wie dich nicht leiden”, sagte K kühl. “Geht es dir noch gut? Ich habe dir doch gar nichts getan! Außerdem kennst du mich überhaupt nicht”, verteidigte sich Dawn. “Jaja, ihr seid doch eh alle gleich!”, meinte Keith und harkte sich bei Dawn ein, die ihre Hände in ihre Manteltaschen hatte. “Was soll der Scheiß?”, fragte sie und nahm Abstand von ihm. Keith wunderte sich darüber, sonst hatte noch nie jemand etwas dagegen gehabt, die Mädchen liefen ihm nämlich wie kleine Küken ihren Eltern hinterher. Doch das ließ er sich nicht ansehen, stattdessen antwortete er: “Lass mich doch, du kannst eh nichts gegen mich ausrichten”. “Vielleicht will ich das ja auch nicht, schon mal daran gedacht?”, stellte Dawn eine geschickte Gegenfrage. “Hey Dawn, guck mal: Da ist eine Nachbildung des Shinto-Schreins”, meinte Stefanie und riss ihre neue Freundin aus dem Wortgefecht. Ein etwas erstaunter Keith blieb zurück.
“Sag mal, was läuft da zwischen dir und unserem Schulschläger?”, wollte Steffi sofort wissen, als sie schon ein paar Meter von ihm entfernt voran liefen. Dawn riss die Augen weit auf und sprach etwas lauter: “Eh … nichts! Ich lasse mir nur nicht gefallen, dass er so tut als ob er der Größte ist. Hübsch ist er zwar schon, aber das war’s auch schon. Ich habe schon selber gemerkt, wie mies er ist”. Das reichte Stefanie und sie genossen den restlichen Tag mit japanischem Flair.
Ende Oktober, Anfang der unterrichtsfreien Tage. Endlich hatte Dawn den ganzen Umzugsstress hinter sich gelassen, dennoch wurde sie nach wie vor von Keith schikaniert. Das machte ihr nichts aus, mittlerweile hatte sie viele neue Freunde gefunden, mit diesen sie auch schon viel unternommen hatte. Doch nun wollte Dawn eine bestimmte Schule aufsuchen: Die Kendokas. Das hübsche Mädchen machte seit gut drei Jahren Kendo und hatte große Freude daran. Als sie ihre Tasche und Schwert gepackt hatte, machte sie sich auf dem Weg.
Knacks! Ein lautes Absplittern von Holz hallte durch die Wiese. Keith trainierte gerade. “Keith, wir haben Zuwachs bekommen und das junge Fräulein ist auf dem selben Niveau wie du, daher werdet ihr ab jetzt ein Duo bilden”, meinte sein Trainer, der eine der wenigen war, der ihn duzen durfte. Keith fielen fast die Kinnladen hinunter. Schnell drehte er sich um, damit Dawn nicht merkte, wie überrascht er war. “Du?”, fragte sie und er meinte: “Tja, sieht so aus, als ob wir zusammen trainieren müssen, Süße!”. Er ließ keine Gelegenheit aus, sie anzubaggern. Der Trainer ging, da er sah, dass die beiden sich bereits kannten.
“Ich bin bestimmt nicht hier, um mit dir zu diskutieren, lass uns trainieren!”, weichte Dawn erneut geschickt aus. Und wieder war Keith darüber verblüfft. Er sagte nichts mehr und ging zurück. Beide verbeugten sich respektvoll voreinander und dann ging es los. K ging gleich härter an die Sache heran, er wollte testen, wie standfest das Mädchen wirklich war. Er musste zugeben, dass sie wirklich gut kämpfte. Dawn war auf demselben Level wie er und weichte blitzschnell aus oder ging ebenfalls in die Offensive. So wie auch jetzt. Sie schwang ihr Schwert mit vollster Geschwindigkeit um und stand direkt vor ihm. Die Waffen prallten aufeinander, so sehr das bereits Funken sprühten. Keith erschrak und in einem Moment der Unachtsamkeit schlug Dawn ihm das Schwert aus der Hand. Es flog einige Meter seitlich von ihnen und traf schließlich mit einem lauten Schlag in das Gras. Verdattert sah K dorthin und wusste nicht, auf was er sich konzentrieren sollte und auf was nicht. Stattdessen sagte er kühl und herablassend: “Für eine Tussi kämpfst du gar nicht mal so schlecht”. Er hatte erwartet, dass das Mädchen heftig gegen seine Aussage protestierte, doch sie lachte nur und meinte in einem ironischen Ton: “Danke für die Blumen”. Keith kehrte ihr den Rücken zu um sich sein Schwert zu holen. Während er es aus dem Gras mit einiger Kraft herausziehen musste, fragte er sich, wie man nur so gut kämpfen konnte. Was ihn aber am Meisten störte war, dass Dawn so ruhig geblieben war. Jedes Mädchen wäre schon längst ausgeflippt, aber sie nicht. Mal schauen wie weit ich bei ihr gehen kann, dachte sich der junge Mann und musste höllisch grinsen. Er liebte es Sprüche abzulassen und damit zu provozieren. Doch bei Dawn stieß er auf Granit. Was denkt die sich dabei, sie wird schon noch sehen, was sie davon hat, dachte K sich weiter.
“Wie lange willst du da noch stehen bleiben?”, hörte er auf einmal seine Trainingspartnerin fragen. Er hatte nicht gemerkt, dass er seit fünf Minuten auf sein Schwert starrte und stehen geblieben war. Blitzschnell drehte Keith sich um und sah Dawn an. Ihr Blick lag auch auf ihm und sie fragte sich, was er so dachte. Die Art und Weise wie er sie ansah machte ihr schon ein wenig Angst. K dagegen konnte nicht aufhören in ihre braunen Augen zu starren. Viel zu sehr erinnerte diese ihn an seine Exfreundin und genau das ließ ihn wütend werden. Auf einmal rannte er in Angriffsposition auf Dawn zu, die mal wieder ruhig blieb und einen Schritt nach links ging. Damit wich sie geschickt aus. Keith schlug in die Leere und fiel unsanft zu Boden. In seiner blinden Wut hatte er nicht ihre Züge ablesen können. Als ihm die Hand gereicht wurde, schlug er diese von sich weg und stand auf. Wie kann sie es wagen, dachte er. Ihm gefiel es überhaupt nicht, wenn ihm jemand auf der Nase herumtanzte und schon gar nicht wenn es ausgerechnet ein Mädchen war. Das Dawn auch noch fast genauso aussah wie Julia war die Krönung des Ganzen.
Wenigstens war das Training vorbei und Keith konnte sich so schnell wie möglich aus dem Staub machen. Denn am Abend hatte er noch einiges vor.
Es fand eine Halloweenparty statt. Keith hasste zwar Feste, aber auf Feten sah man ihn fast immer. Er ging dort auch nur hin, um sich die Kante zu geben oder sich mit fremden Leuten zu schlagen. Am Wichtigsten war ihm jedoch Mädchen abzuschleppen. Seine lockere und kontaktfreudige Art kam bei dem anderen Geschlecht immer gut an. K hatte keine Probleme, irgendwelche Menschen anzusprechen. Ihm war es auch egal, ob er alleine ging oder mit seinen Freunden. Er würde so oder so immer angesprochen werden. Genau das trat jetzt ein. “Hey du. Du bist doch nicht wirklich alleine hier?”, fragte ein Mädchen und tippte ihm auf die Schulter. Keith drehte sich um und sah in dem dunklen Licht eine Blondine. Sofort musterte er sie. Heiß schaut sie aus, dachte er sich innerlich feixend und lächelte. “Doch bin ich, ist das schlimm?”, meinte er. Das Mädchen ging auf dem Flirt ein und antwortete: “Nein ganz und gar nicht. Solche süßen Jungs wie dich trifft man selten. Ich heiße übrigens Chantal”. Was für ein Scheißname, dachte sich der junge Mann und fuhrt fort: “Schöner Name und du schaust toll aus. Mein Name ist Keith”. Ja, er schmierte den Mädchen jede Menge Butter auf dem Mund und selbst das erkannten die naiven Mädels nicht. “Keith? Wahnsinn, der Name passt perfekt zu dir. Du scheinst wohl ein außergewöhnlicher Mensch zu sein”, rief Chantal strahlend und schmiss sich ihm geradezu um den Hals. “Und du bist eine Bitch”, säuselte K leise vor sich hin. Seine Bewunderin bekam nicht mit, was er genau gesagt hatte. In der Disco war es so laut und daher fragte sie: “Was hast du gesagt? Ich habe dich nicht verstanden”. Mit Metalmusik war es nun mal nicht leise. Keith lächelte sie scheinheilig an und begann sie zu küssen. Die ahnungslose Chanty - so war ihr Spitzname - ging darauf voll ein und schon bald waren die beiden auf der Toilette verschwunden. Keith ging immer etwas härter heran, das mochten die Mädchen auch. Als sie wieder auf der Tanzfläche auftauchten, lobte Chantal ihn sehr: “Du warst bis jetzt der Beste, den ich je hatte”. K musste sich zurückhalten um nicht laut los zu lachen. Natürlich bin ich das, ich bin auch der Erste mit dem du Sex hattest, dachte er. Ja, der junge Mann kannte sich auf jedem Gebiet perfekt aus. “Danke, du warst aber auch nicht schlecht”, meinte K grinsend. Seine Begleitung sagte: “Du, ich muss gehen. Meine Eltern holen mich ab und warten schon draußen auf mich”. Na endlich, dachte sich Keith und verabschiedete sich von ihr.
Kaum war sie weg, ging er an die Bar. Von da aus hatte er einen guten Überblick auf die gesamte Anlage. Immerhin saß der junge Mann im größten Club Hannovers und der hatte Platz für gut fünfhundert Menschen. Hier war es also richtig voll, das reinste Paradies für Keith, der sich bereits nach anderen Mädchen umsah. “Keith! Warum sagst du uns nicht, dass du auch da bist?”, hörte er auf einmal Maurice fragen. Dieser ist sein bester Freund. K drehte sich und sah seine Gang. “Sorry, war eine spontane Entscheidung, was geht ab?”, antwortete er. “Kein Problem, wir sind auch nur hier, weil so ein Typ meinte, dass Katharina eine Schlampe sei”, meinte Maurice. Der beste Freund führte im Gegensatz zu Keith seit vier Jahren eine glückliche Beziehung. K konnte nie verstehen, warum Maurice etwas von Liebe hielt. Umgekehrt war es genauso, aber er wusste nicht, was Keith schon alles erlebt hat. Dieser grinste seinen besten Freund an, denn er wusste, was als Nächstes passieren würde. “Ich komme mit, das kann ich mir nicht entgehen lassen”, feixte Keith und ging mit seinen Freunden nach draußen. Sie hatten extra einen abgelegenen Ort gewählt, an dem kein Mensch vorbeikam. Dort warteten die Widersacher schon auf ihnen. Als sie sahen, wer da voranschritt, mussten Philipp, der Anführer der gegnerischen Gruppe und seine Kameraden schlucken. Auch sie kannten den Ruf, den Keith hatte. Sie wussten aber nicht, dass Maurice mit ihm befreundet war. “Also? Wer will hier Stress? Ihr paar halbe Portionen etwa?”, fragte K und sah auf ihnen herunter. Er war schon ziemlich groß, fast zwei Meter und daher größer als die meisten Menschen, die er sah. Dennoch hatten Phil und seine Leute keine Angst vor ihm, eher Respekt. Der Anführer ging auf ihn los, oder besser gesagt wollte er es. Philipp schlug zwar zu, traf Keith aber nur an der Brust. Dieser fackelte nicht lange und packte ihn am Shirt. Danach gab er ihm einen Kinnharken und schlug ihm mit dem rechten Knie in den Magen. Phil fiel daraufhin zu Boden und als ob das nicht genug wäre, fing auch Maurice an, auf ihn einzuprügeln. “Kathi ist keine Schlampe!”, schrie er ihn an, doch sein Gegner lachte unter den Tränen des Schmerzes. Dann sagte Phil: “Woher willst du das wissen? Ich habe doch selber mit ihr geschlafen!”. Das langte Allen und so gingen die sieben restlichen Jungs von Maurice und seinem besten Freund auf die anderen elf los. Philipp ließen sie in Ruhe, da er im Gras lag und sich krümmte. Die anderen dagegen traf es härter. Mehrere hatten einen gebrochenen Arm oder ein gebrochenes Bein, viele bluteten aus der Nase und hatten blaue Augen. Manch einer hatte sogar Zähne verloren und wurde bewusstlos. Die Gruppe von Maurice dagegen hatte kaum Kratzer abbekommen und Keith schon gar nicht. Schließlich war er der Anführer und wusste sich am Besten zu wehren. Zwar war die Gang von Maurice in der Unterzahl, dennoch bezwangen sie ihre Gegner mühelos. Der Sieg musste gefeiert werden und daher gingen sie zurück zur Disco.
Angekommen bestellten sich die Erwachsenen sofort Wodka. “Los Leute, wer die meisten schafft”, grölte Keith durch die Runde. Sofort tranken alle so viel sie konnten. Die Bedienung kam kaum nach und stellte schon mal mehrere Flaschen vor den Jugendlichen hin. “Es darf auch gern etwas anderes sein”, rief K und der Barkeeper fragte: “Denkt ihr nicht, dass Wodka reicht?”. Keith schüttelte den Kopf und meinte: “Wir sind erwachsen und keine Kinder mehr, wir kennen unsere Grenzen. Whisky, Tequila und Schnaps, das war auch schon”. Der Barkeeper seufzte und stellte ihnen alles hin. Dieser wunderte sich, dass Keith noch normal reden konnte. Denn kurz bevor er weg war, fragte K in die fröhliche Runde: “Na, wie viel habt ihr schon?”. Maurice antwortete angetrunken: “Fünfzehn und du?”. Der Anführer lachte vergnügt und sagte: “Dreiundzwanzig”. Die anderen hatten allesamt weniger als zehn. Sie ließen es ruhiger angehen. Es war kurz nach Mitternacht, noch immer war Keith klar im Kopf. Er war es gewohnt, viel Alkohol zu trinken und daher dauerte es bei ihm immer viel länger, bis er betrunken war. Um ihn herum roch es nach Alkohol und die meisten Gäste gingen schon oder waren dicht. “Sag mal Kleiner, du verträgst echt viel. Woher kommt das?”, fragte auf einmal der Barkeeper. Der Gefragte antwortete: “Ich bin nicht klein! Wenn man jedes Wochenende feiern geht, dann ist man nach einiger Zeit abgehärtet. Hast du noch was da?”. “Hier, den kannst du austrinken, aber dann reicht es”, meinte der Barkeeper und reichte Keith einen Kasten Rum. Sechs Flaschen hatte er also noch, aber Rum hatte mehr Alkoholinhalt und daher war das ein perfekter Kontrast. “Hast n Flaschenöffner?”, fragte K und bekam eine Gegenfrage: “Kannst die nicht selbst öffnen, was? Bist wohl doch nicht so ein Harter wie du tust”. “Ach Quark, das hat damit nichts zu tun. Ich mag das Geräusch, wenn die Deckel durch die Gegend fliegen”, rief Keith. Peng! Mittlerweile hatte er einen Flaschenöffner bekommen und schon fing er an zu trinken. “Ihr habt schon nen guten Rum”, lobte er und der Barkeeper kümmerte sich um die anderen Gäste. “Lebt ihr noch?”, schrie Keith seine Freunde an, die auf den Boden lagen und schliefen. Allesamt schreckten sie auf und Maurice fragte: “Du bist immer noch wach? Und noch so gut beieinander?”. K nickte, aber auch er fing an zu schwanken. “Na toll, wir schlafen alle und du bist kein bisschen betrunken. Aber kaum sind wir wieder wach, fängst du damit an”, meinte Aaron. Keith lachte und sagte lallend: “Isch hab … e gewonnen. Gegschen eusche alle. Vierlunfünschzisch”. “Er hat genug … “, fing Maurice an, doch im nächsten Moment übergab sich sein bester Freund. “Hui, issch fühl misch … so, so mir schlescht”, säuselte K während er kotzte. “Das war wohl doch zu viel”, meinte auf einmal der Barkeeper hinter ihnen. Maurice entschuldigte sich für seinen besten Freund: “Sorry, das machen wir weg”. Ein Nicken verriet ihm, das sie bleiben konnten. Wobei, es war schon halb drei in der Nacht, in fünfeinhalb Stunden würde der Unterricht wieder anfangen. Für Grübeln hatte Maurice keine Zeit, denn Keith legte sich auf den Boden und lag genau in seiner Kotze, die widerlich nach Alkohol stank. “Komm Keith, gehen wir nach Hause”, meinte er und zog seinen Freund da raus. “Okay, aber issch wollte doch noch Mädschen … du weischt scho”, fing K an. “Jaja, komm mit”, unterbrach ihm Maurice und stützte ihn auf dem Weg nach Hause.
Angekommen, deckte Maurice Keith mit einer Decke zu, damit er nicht unterkühlte. Die anderen Freunde konnten alleine zu ihren Wohnungen zurückkehren, da sie geschlafen hatten und somit klarer im Kopf waren. “Isch will zurück, wo sin die Mädels?”, sprach K durcheinander. “Ruh du dich erst mal aus, wir müssen später noch in die Schule”, meinte Maurice. Immerhin war er vernünftiger als sein bester Freund und überredete Keith, liegen zu bleiben. “Geht’s dir schon besser?”, fragte Maurice. “N bisschen”, antwortete K leise. Wenigstens das und von da an schwiegen sich die beiden an.
Erst auf dem Weg in die Schule sprachen sie wieder, noch immer war Keith etwas angetrunken. In der Schule bekamen das alle mit. Leicht schwankend betrat er das Klassenzimmer. Alle sahen ihn mit aufgerissenen Augen an. “Das ist nicht sein Ernst oder?”, fragte Dawn Stefanie. Diese antwortete: “Oh doch, ich habe mich schon gefragt, wann er so in die Schule kommt”. Damit war klar, dass Keith ein Dauertrinker war und das wusste nun die Neue, die sich mittlerweile gut in der Klasse eingefunden hatte. “Was gehtn? Habsch was gemacht? Will jemand Stress?”, fragte Keith durcheinander. Herr Müller, der seine Abschlussklasse in allen Fächern unterrichtete, nahm Abstand von K. Selbst die Lehrer hatten Angst vor ihm. “Geh nach Hause und schlaf deinen Rausch aus!”, sagte Dawn. Sein Blick lag nun auf ihr und der junge Mann meinte: “Wilsch mit mir anlegen? Isch fick dich so lange, bisch ruhig bischt”. Ja, selbst wenn er Alkohol zu sich genommen hatte, musste Keith sie weiterhin provozieren. Er hatte erwartet, dass ihr wenigstens jetzt der Kragen platzt, aber Dawn sagte: “Nein danke, das wäre ja ätzend!”. Das hatte gesessen und der erfolgsverwöhnte Keith ging wütend auf sie zu.
Bis er sie jedoch erreichen konnte, hielt ihn Maurice zurück. “Lasch mich los!”, schrie er und keiner der Menschen im Raum nahm den Blick von ihm. “Keith! Du hasst Mädchen, also verschwende deine Zeit nicht an ihnen”, meinte Maurice und sah Dawn entschuldigend an. Diese verstand. “Oke, wird erledigt”, sagte K und setzte sich auf den Boden. Die gesamte Klasse lachte nicht oder sagte etwas. Zu groß war die Angst, angegriffen zu werden. Glücklicherweise wusste der beste Freund was zu tun war und ging mit Keith aus dem Raum.
Als K die frische Luft einatmete, wurde er schlagartig wieder klar im Kopf. Maurice ging mit ihm zu einer Bank, die ganz oben auf einem Hügel stand. Von da aus hatten sie einen Blick über den gesamten Pausenhof. “Was sollte das denn?”, fragte Keith. Sein Freund antwortete: “Das könnte ich dich fragen, war deine Vergangenheit so schlimm, dass du so bist?”. “Nicht dieses Thema! Das Prügeln, Anbaggern und Saufen habe ich immerhin in der Zeit gelernt!”, fauchte der Dunkelhaarige. Aha, dachte sich Maurice. Er hatte nun eine ungefähre Vorstellung von den Erlebnissen seines besten Freundes und trotzdem konnte Maurice nicht mit ihm fühlen. Nicht einmal mit ihm hatte Keith je darüber gesprochen. “Vergangenheit, du sagst es. Lass sie doch endlich hinter dir und schau nach vorn”, versuchte Maurice K einen Vorschlag zu machen. Dieser sah ihm düster in die Augen und meinte: “Nein, niemals!”. Wie kann man nur so stur sein, dachte sich der Blonde und seufzte. “Weiber sind echt fürn Arsch, sie belügen und betrügen einen wie es nur geht”, sprach Keith weiter und vernahm ein Kopfschütteln seines Gesprächpartners. “Ich schwöre dir, ich werde dir noch beweisen, dass diese ach so lieben Weiber Dämonen sind!”, drohte K. Maurice fragte: “Wie willst du das anstellen? Willst du jetzt mit jedem Mädchen rummachen, das nicht bei drei auf den Bäumen ist?”. Keith lachte höhnisch. “Das mache ich doch eh schon und du wirst schon noch sehen zu was Weiber fähig sind. Danach wirst du mir Recht geben, aber sag mir dann nicht, dass ich dich nicht gewarnt habe”, sprach er. “Wenn du meinst”, sagte Maurice lediglich. Immerhin hatte er es geschafft, dass Keith ruhiger wurde und nicht mehr so in Rage war. Somit konnten sie zusammen in das Klassenzimmer zurückkehren.
Keith hatte großen Ärger bekommen und sah im Inneren ein, dass das nicht richtig war, was er getan hatte. Vor den anderen jedoch spielte er sich weiterhin auf. Dawn ließ er weiterhin nicht in Ruhe und sie ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Es war nun Mitte November und Wochenende. Das Mädchen erkundete die Gegend und hätte das auch weiterhin getan, wenn es nicht Keith sah, der in den japanischen Garten ging. Verwundert sah sie ihm hinterher. Was will der denn da? Und auch sonst war er schon ziemlich komisch drauf. So ruhig und nachdenklich. Was für ein komischer Kauz, dachte sich Dawn und ging ihm in einem größeren Abstand nach. Keith merkte nicht, dass er verfolgt wurde. Ihm gingen so viele Dinge durch den Kopf. Er konnte seine Vergangenheit nicht ruhen lassen. Immer wieder hallte der Schlag, durch den seine Mutter getötet wurde, durch seinen Kopf. Am Liebsten würde er das abschalten, aber es ging nicht. So sehr sich Keith auch anstrengte, er konnte nicht vergessen. Selbst das mit seiner ersten und bisher einzigen Liebe. Hier hatte sich alles abgespielt. Keith legte sich auf das Gras und sah dem Sternenhimmel entgegen. Die Laternen ließen ihn etwas sehen, dennoch wusste er nicht, dass ihn jemand verfolgte. Dawn hatte sich hinter dem dicken Baum versteckt, unter dem Keith auf der anderen Seite lag. Sie drehte sich nach links, damit sie sehen konnte ob er noch da war. Dabei splitterte etwas Rinde ab und Keith drehte sich blitzschnell um. Erschrocken sah er sie an und ihr Blick lag auf ihn, aber eher aus Ängstlichkeit. “Was machst du denn hier?”, fragte K. Dawn meinte: “Ähm … nichts”. “Ist ja auch egal … “, seufzte Keith abwesend und leise murmelnd. Das hübsche Mädchen sagte: “Du scheinst sehr nachdenklich zu sein”. Und schon sah sich der junge Mann ein wenig bedroht. Er hatte seine kühle Fassung etwas verloren, daher sagte er kühl: “Red keinen Scheiß”. Danach ergriff er hastig und aufgewühlt die Flucht.
Dawn ging ihm nicht mehr hinterher, da sie merkte, dass er allein sein wollte. Von wegen, dachte sie sich, bestimmt ist er nicht das, was er zu sein scheint. Lange starrte sie zu der Richtung, in der ihr Klassenkamerad verschwunden war. Sie war geradezu entsetzt, dass sie Keith so erlebt hatte. Dawn dachte immer, dass er gefühllos und voller Wut war. Dieses kurze Gespräch hatte sie aber vom Gegenteil überzeugt. Als sie später in ihrem Bett lag, musste sie lange daran denken. Wie kann man nur so widersprüchlich sein, dachte sie sich. Nein, Keith ist kein schlechter Mensch, nur verschlossen, aber nicht dumm. Dawn konnte es sich nicht erklären, aber sie fand ihn intelligent und auch irgendwie nett. Ihrem Nachdenken wurde ein Ende gemacht, als sie müde einschlief.
Wenigstens fuhr die Klasse am nächsten Tag zur Abschlussfahrt. Somit müsste es entspannter zugehen. Dawn wollte mit Keith reden, doch er ließ sie in Ruhe und aus diesem Grund hatte sie nicht den Mut ihn anzusprechen. Daher hatte sich das Mädchen auf die Fahrt konzentriert, die jetzt stattfand. Es ging nach Frankreich, um genau zu sein nach Nizza. “Boah, wie öde! Können wir nicht endlich mal wieder anhalten?”, fragte Keith, der ganz hinten im Bus saß, genervt durch den ganzen Bus. Niemand sagte etwas, daher ergriff Dawn, die vor ihm saß, das Wort: “Wenn dir so langweilig ist, dann frage ich mich, warum du mitfährst. Du weißt doch genau, dass die Fahrt 14 Stunden dauert und du wirst doch wohl noch die restlichen drei Stunden aushalten?”. “Warum ich mitfahre? Süße, das muss ich, schließlich will ich jede Menge neue Weiber kennenlernen und die bei uns sind so prüde. Außerdem habe ich dort Verwandte”, antwortete Keith feixend. Dawn fragte während sie sich umdrehte: “Du bist Franzose?”. Ihr Kontrahent sagte: “Nee, meine Großeltern sind nach Nizza ausgewandert”. “Wow, sprichst du französisch?”, wollte Dawn als nächstes wissen. Genervt meinte Keith: “Wie viele Fragen willst du mir noch stellen, Püppchen?”. Na toll, dachte sich Dawn, da rede ich endlich wieder mit ihm und dann muss er mir nach kurzer Zeit wieder so kommen. “Hey! Ich rede mit dir!”, holte Keith das Mädchen aus ihren Gedanken zurück. Sie überlegte und sagte schließlich: “Schon … schon gut”. Doch damit wollte sich der junge Mann nicht zufrieden geben: “Sag! Sofort!”, zischte er. “Also ich finde, dass Frankreich ein sehr interessantes Land ist”, antwortete Dawn schließlich und wurde überrascht angesehen. “Aha”, sagte Keith nur. Daher wollte sich das Mädchen umdrehen, doch ihr Gesprächspartner hielt sie an der Schulter fest. Dann kam er ihr bedrohlich nahe und flüsterte ihr folgendes ins Ohr: “Ich würde in der Nacht dort aufpassen. Es kann nämlich sehr gefährlich sein”. Seine Stimme klang dabei verschwörerisch und begehrend. Dawn erschrak fürchterlich und fragte: “Da-das hast du nicht wirklich vor?”. “Was ist nur heute mit dir los, Baby? Sonst bist du doch auch immer ruhig und nur weil ich dich warne, drehst du gleich am Rad ab”, sagte Keith kühl. Dawn wurde lauter: “Du hast sie ja nicht mehr alle!”, schrie sie. Kaum hatte sie das gesagt, kam Herr Müller und meinte: “Was ist denn hier los? Könnt ihr nicht mal auf einer Busfahrt normal miteinander umgehen?”. “Er…”, fing Dawn an, doch Keith unterbrach sie: “Schon gut, Alter. Alles chillig”. Streng wurde er angesehen und der Klassenleiter sagte: “Es reicht. Am letzten Abend vor der Abreise veranstalten wir ein Lagerfeuer. Ihr seid dafür zuständig, dass das Feuer ausgeht und sich nicht verbreitet”. “Aber …”, wollte Dawn erneut anfangen zu reden, dieses Mal wurde sie von ihrem Lehrer unterbrochen: “Es tut mir leid, dass ich dich auch mit verdonnern muss, aber vielleicht bessert sich eure Lage dann”. Danach ging Herr Müller. Als er außer Reichweite war, meinte das Mädchen pampig: “Klasse, das hast du ja wieder toll hinbekommen!”. Keith lachte und meinte: “Was denn? Ist doch cool, wird bestimmt lustig. Dann kann ich dich vor den schwarz gekleideten Männern beschützen. Allerdings nicht ohne eine Gegenleistung”. “Was denn für eine?”, wollte Dawn wissen. Keith sah ihr in die Augen und hauchte ihr ins Ohr: “Eine Nacht”. Das Mädchen sah den jungen Mann angewidert an und sagte: “Nein danke, lieber lass ich mich von dunklen Gestalten töten, als das ich mich von dir abschleppen lasse”. Keith musste lachen und erwiderte: “Tja, dann halt nicht”. Dawn drehte sich wortlos um und steckte sich Ohrstöpsel ins Ohr.
Zwei Stunden später waren sie endlich im Hotel. Die Schülerinnen und Schüler packten ihre Sachen aus und sahen sich im Gebäude um. “Wo ist unser Zimmer überhaupt?”, wollte Maurice von Keith wissen. Der Schulschläger antwortete: “Neben das meiner Süßen”. Dabei sah er zu Dawn, die gleich widersprach: “Du hast ja mal voll den Knall!”. Keith musste lachen und sein bester Freund sagte: “Na das ist aber schön, dass du extra ihre Nähe suchst”. “Ich wollte nur nett sein und sie beschützen. Kaum sagte ich, dass ich als Gegenleistung eine Nacht mit ihr will, drehte sie sich um. Keine Ahnung warum. Echt jetzt, ungelogen. Deswegen sind wir auch neben ihr. Falls sie doch will”, stellte sich Keith dumm und musste sich das Lachen verkneifen. “Wie niveaulos”, sagte Dawn und das Grinsen aus dem Gesicht ihres Klassenkameraden verschwand. “Wie war das?”, wollte er wissen und das Mädchen meinte: “Da hast du schon richtig gehört”. Keith packte sie etwas hart am Arm. “Dieses Mal muss ich dich wohl warnen: Finger weg oder ich schlage zu!”, sagte Dawn gefährlich ruhig. Augenblicklich später ließ K sie los, nicht aus Angst, sondern aus Affekt. Das Mädchen wusste das zwar, dennoch sagte es: “Ich war schließlich nicht umsonst über fünf Jahre im Karateverein”. “Damn“, meinte Maurice, “bist ja richtig gefährlich”. “Na und? Das soll mich nicht aufhalten, ich habe bis jetzt jedes Weib rumgekriegt, also werde ich dich auch noch bekommen”, sagte Keith trotzig. Dawn rief: “So, heute hat der Herr mal wieder seine harte Schale aufgelegt? Und trotzdem schimmert das Wasser immer hindurch!”. Danach ging sie und Keith sah ihr erstaunt hinterher. Was für ein tolles Wortspiel, dachte er sich. Fürs Nachdenken hatte er aber keine Zeit, denn den ersten Tag verbrachte die Klasse damit, ihre Zimmer einzurichten und die Stadt zu erkunden.
Als sie schließlich am Abend alle in ihre Zimmer waren, gingen die Gespräche untereinander los. Dawn, Mareike und Stefanie unterhielten sich über Keith. “Der ist voll der Psycho”, sagte Steffi und Mareike meinte: “Da hast du voll Recht, ich frage mich wirklich, wie man nur so abgehoben sein kann”. Dawn sagte als Einzige nichts dazu, sie ertrug es nicht, dass ihre beiden Freundinnen so über den jungen Mann redeten. Sie überlegte, ihnen davon zu erzählen, dass er eigentlich ein ruhiger Mensch war. Diese Überlegung verdrang Dawn jedoch wieder, denn dann müsste sie sich wieder die unmöglichsten Sachen anhören. Von wegen Keith wäre ein Scheusal und abgrundtief böse. Lieber ging sie zum Fenster und sah auf das Meer herunter. Es war ein wunderschöner Anblick und sie musste sich dabei ertappen, daran zu denken mit Keith am Strand entlangzugehen. Allmählich wurde ihr klar, dass sie ihn angefangen hatte zu mögen. “Dawn?”, fragten auf einmal Stefanie und Mareike aus einem Munde. Das Mädchen erschrak und wollte wissen, was los sei. “Was sagst du denn zu diesem Kerl? Du bist total ruhig”, meinte Steffi. Dawn drehte sich zu ihnen um und sagte: “Ähm … ja. Ich finde ihn gar nicht so schlimm”. Danach wurde sie mit aufgerissenen Augen angesehen. “Ich weiß, dass er mich rumkriegen will und die Sprüche nerven schon, aber was soll’s. Vielleicht ist er ja eigentlich ein ganz anderer Mensch”, fuhr sie fort und biss sich auf die Lippe. Verdammt, jetzt habe ich ja doch etwas anderes gesagt, dachte sie sich und ein gemeiner Kommentar ließ nicht lange auf sich warten. “Das ist gutgläubig, verdammt gutgläubig von dir”, sagte Mareike und Stefanie meinte: “Aber wie! So ein Mensch hat keine guten Seiten”. Dawn sagte dazu gar nichts und sah wieder aus dem Fenster.
Auch in dem Zimmer von Keith, Maurice, Ben und Joshua wurde getuschelt. “Hey, wollen wir nicht die Stadt unsicher machen? Es ist gerade mal Mitternacht durch und mich ödet das hier sehr an”, schlug K vor. Josh antwortete: “Da gibt es nur ein kleines Problem: Ben ist doch noch siebzehn”. Keith gab einen genervten Ton von sich und meinte grinsend: “Ist doch egal und wenn doch jemand was sagt, sagen wir einfach er ist mein Bruder. Die werden mir schon glauben, niemand schätzt mich auf achtzehn”. Schließlich gaben seine drei Genossen nach und dann schlichen sie sich aus dem Hotel. Kaum waren sie einige Meter vom Hotel entfernt, lachten die vier auch schon laut los. “Tja, und jetzt?”, fragte Ben. “Party!”, sagte Keith sofort und steuerte auf die erste Disco zu. Da er so oder so das Sagen in seiner Gang hatte, sagte auch niemand etwas dagegen. “Und was machen wir, wenn uns jemand auf französisch anquatscht?”, wollte Joshua wissen, als sie an der Bar saßen. Keith musste lachen, ehe er jedoch antworteten konnte, sagte Maurice: “ Das ist kein Problem, Keith spricht die Sprache fließend”. Erstaunt wurde er angesehen. “Echt jetzt?”, fragte Ben und K meinte nickend: “Oui, oui”. Danach musste der Anführer noch mehr lachen. Die Leute um die vier herum sahen ihn schon an. “Aber jetzt ist gut, ich will endlich saufen”, sagte er daraufhin und bestellte sich das erste Glas Wodka. Die anderen taten es ihm gleich. Zusammen tranken sie ein Glas nach dem anderen und ehe man sich umschauen konnte, waren die vier schon angeheitert, selbst Keith. Der hatte auch jede Menge anderen Alkohol zu sich genommen, er war da sehr aufgeschlossen. Die Stimmung wurde immer lauter und unkontrollierter. Es ging sogar schon so weit, dass Keith und seine drei Freunde aus der Disco geschmissen wurden. Das machte ihnen aber nichts aus, lieber brüllten Ben, Maurice, Joshua und K rum. “Nizza! Nizza! Nizza!”, schrie der Anführer völlig von der Rolle und musste lachen. Maurice meinte lallend: “Alsooo, hier issch des gar nich mal so übel”. “Hasch recht”, stimmte Ben ihm zu. “Mensch schon drei Uhr, wir sollten echt mal zurück zum Hotel gehen”, sagte auf einmal Josh, der der vernünftigste aus der Gruppe war. “Isch gut”, sagte Keith und schwankte in die richtige Richtung, doch dann machte er: “Muuuuh! Muuuuhuuu”. “Hoch soll er leben, hoch sollsch unser Anführer lebeeeeben”, schrie Maurice durch die leeren Straßen. Falls sie mal doch auf Menschen trafen, wurde sie von diesen komisch angestarrt. “Mir san da”, lallte Ben. Zu viert gingen sie die Treppen hoch, immer wieder fiel jemand von ihnen auf die Knie und sah verdutzt auf die nächsten Treppen. “Kann mir jemand nisch helfen?”, fragte Keith und Josh, der nur etwas angetrunken war, stützte seinen Kumpel. Sie machten schon alle Krach, glücklicherweise begegnete das Quartett niemanden. Trotzdem wurden sie von einer Person gehört: Dawn. Das Mädchen konnte noch immer nicht schlafen und wunderte sich sehr über die Geräusche. Sie ging dem nach und als sie sah, wer ihr da so entgegenkam, wollte sie umkehren. “Hey Dawn. Was machst du denn hier?”, fragte Ben und sie antwortete: “Ihr seid schon ziemlich laut. Sag mal, wart ihr trinken?”. Nickend bejahte ihr Klassenkamerad und sie verdrehte die Augen. “Alkoholiker”, sagte sie nur. Ben meinte: “So kannst du gerne die drei bezeichnen, aber lass mich da raus”. “Höy, Baby!”, schrie auf einmal Keith und Dawn flüsterte: “Sei leise, du Idiot!”. “Ich helfe dir, deine bekloppten Freunde ins Bett zu bringen und werde den Lehrern auch nichts sagen, aber dann ist Ruhe”, fuhr das Mädchen fort und Ben ging darauf dankend ein. Zu zweit schafften sie es, Keith, Maurice und Joshua leise in ihr Zimmer zu bringen. “Danke, das war echt nett von dir. Gute Nacht”, sagte Ben und Dawn ging.
Kaum lag sie in ihrem Bett, musste sie an Keith denken. Das Mädchen merkte nicht, wie schnell die Zeit verging, denn ehe es sich versah, setzte die morgendliche Dämmerung ein. Daher richtete sich Dawn auf und schlich sich aus dem Zimmer. Zuvor hatte sie einen Block und einen Stift genommen. Müde ging sie damit schließlich zum Strand und ging am Meer entlang. Sie sah die Sonne, die noch nicht einmal richtig aufgegangen war und fing die ersten Strahlen ein. Freudig rannte das Mädchen und wurde von tiefster Zufriedenheit erfüllt. Dass es beobachtet wurde, nahm es überhaupt nicht wahr. Keith saß auf einen der Felsen und sah auf sie herab. Wie glücklich sie ist, dachte er sich und musste seufzen. Er musste an die vorherige Nacht denken und fragte sich, wieso sie geholfen hatte. Sie hätte uns genauso an die Lehrer verpfeifen können, warum hat sie das nicht getan? Keith stieß einen tiefen Seufzer von sich und sein Blick lag weiterhin auf Dawn, die fasziniert zum Meer sah. Auf einmal stand der junge Mann auf und merkte, wie er in ihre Richtung lief. Keith konnte das gar nicht so richtig kontrollieren, denn ehe er etwas machen konnte, fragte er: “Warum hast du uns nicht an die Lehrer verpfiffen?”. Das Mädchen erschrak fürchterlich und wich geschockt zurück. Selbst ihre Materialien ließ sie fallen. Davon wurde auch Keith unruhig und er sagte: “Habe ich dich erschreckt? Entschuldige, dass wollte ich nicht”. Seine Stimme klang dabei sanft und ruhig. “Ähm … was machst du hier? Ich, ich … ich habe, keine Ahnung warum ich euch nicht an die Lehrer ausgeliefert habe!”, antwortete Dawn sichtlich verwirrt. Keith erkannte, dass sie sich bemühte, Fassung zu bewahren und meinte: “Ich musste raus und frische Luft schnappen, aber ich hätte nicht gedacht, dass ich dich hier treffe”. “So kann man sich täuschen. Ich bin gerne in der einsamen Natur, ich wundere mich eher darüber, dass ausgerechnet du hier bist”, entgegnete Dawn. Diese Worte lösten in Keith etwas aus. “Warum sollte ich nicht hier sein?”, fragte er und das Mädchen antwortete: “Ich habe dich als einen Sprücheklopfer kennengelernt”. “Fein, wie denn auch sonst?”, wollte Keith etwas verunsichert wissen. Dawn sah ihm in die grünen Augen und sagte: “Als einen netten und lieben Menschen. Wobei ich denke, dass du ganz tief in deinem Inneren auch so bist”. Ihr Gegenüber sah sie völlig perplex an. “Da bist du die Einzige, die so denkt”, sagte er abwesend. “Na und? Was macht das schon? Dann bin ich eben die Einzige, die so denkt”, beharrte das Mädchen nach wie vor. “Aber wieso?”, hackte Keith weiter nach. Dawn wusste nicht so ganz, ob sie ihm nun antworten sollte oder nicht, schließlich rang sie sich dann doch zu einer Antwort durch: “Eigentlich kenne ich dich doch gar nicht so richtig. Klar, in der Schule und vor deinen Freunden bist du echt ein Macho, aber deswegen musst du doch nicht auch sonst so sein. Manchmal hast du so einen nachdenklichen und abwesenden Blick, ich frage mich woran das liegt”. Keith hatte keine Ahnung, was er antworten sollte, daher bückte er sich und meinte, während er Block und Stift aufhob: “Sag mal, was wolltest du damit?”. Danach übergab er dem Mädchen das Zeug. Dawn wurde nervös und sagte: “Ich … ich schreibe Gedichte und … naja, einsame Orte inspirieren mich. Da kann ich viel besser nachdenken”. Wahnsinn, dachte sich der junge Mann und sah abwechselnd vom Block zu seiner Klassenkameradin. “Kann ich eins lesen?”, fragte er. “Ähm, ja. Ich sage dir gleich, dass ist nicht das beste Gedicht”, antwortete Dawn noch unruhiger. Interessiert schlug Keith das Deckblatt um und begann laut zu lesen:
“Mir selbst sagend dass ich nichts kann,
zogst du mich in deinen Bann.
Nur Idioten denken so an dich,
dazu gehöre nun auch ich.
Als ich anfing an dich zu denken,
konnte ich meine Gefühle noch lenken.
Leider habe ich zu viel an dich gedacht,
mit dir stets gelacht.
Ich fing an dich mit anderen Augen zu sehen,
wie weit willst du noch gehen?
Du bist nicht dumm sondern intelligent,
aber auch enorm eloquent.
Warum willst du das wegwerfen?,
du kannst auch anderes als nerven.
Die Anderen sind blind,
deine Worte tanzen im Wind.
Ich sehe dir in die Augen,
du kannst mir meine Kälte rauben.
Die Dunkelheit erhellst du wie ein Stern.
dabei bist du von mir so fern.”
Schweigend sah Keith auf das Stück Papier, was ihm mit einem Mal viel bedeutete. Er erkannte auch ein Stück von sich selbst in der Poesie. Wie gut sie mit der Macht der Worte umgehen kann, dachte er sich. Sie hat Talent, ich frage mich für wen sie das geschrieben hat. Keith wollte es nicht ansehen lassen, dass ihn das Gedicht erreicht hatte. Trotzdem waren seine Augen erfüllt von Begeisterung, gleichzeitig konnte Dawn aber auch Betroffenheit in ihnen sehen. “Unglaublich, das ist der absolute Hammer!”, gab der junge Mann schließlich doch zu. “Meinst du das ernst?”, fragte seine Klassenkameradin und er musste schlucken. Mal wieder hatte er seine Maske aus Stahl abgelegt und sein weicher Kern kam zum Vorschein. Daher meinte Keith cool: “Natürlich, sonst würde ich das nicht sagen”. Dawn konnte gar nicht so schnell bis zehn zählen und schon hatte sich wieder diese Kälte um sie gelegt. “Du solltest zurück ins Hotel gehen, kann ja sein, dass jemand deine Abwesendheit bemerkt und dann gibt’s Ärger. Das willst du doch nicht, oder?”, fuhr Keith fort. Traurig sagte Dawn: “Alles klar, ich verstehe. War trotzdem nett, mit dir geredet zu haben”. Danach ging sie und ein betroffener Mensch blieb zurück. Dieses Mal war er es, der am Strand entlang ging. “Verzeih mir, aber ich musste das tun”, sagte er laut und vernahm ein leises Rausches des Wassers. “Du bist so … anders. Jede Person, die ich kenne, ist nicht einmal halb so … so rein wie du”, fuhr er sehr nachdenklich fort. Dann merkte er, dass er noch den Block von ihr in seiner Hand hielt und schlug diesen erneut auf. Keith musste einfach immer wieder das Gedicht lesen. Umso mehr er es las, umso schöner fand er es. Er hätte hier noch Stunden bleiben können, doch als er auf seine Uhr schaute, bekam er einen Schrecken. Halb zehn! Oh man, dachte er sich und ging schließlich zum Hotel. Als er dort ankam bemerkte niemand seine Abwesendheit, denn an diesem ersten richtigen Tag hatte die Klasse viel vor.
Daher verging die Zeit relativ schnell, Tag Zwei allerdings schien für manche Personen ewig zu dauern, was auch kein Wunder war, da die Veranstaltung bis zehn Uhr abends ging. Es ging zum Hochseilgarten. Die Lehrkräfte teilten die sechsundzwanzig Schüler in Teams ein. Ein Team bestand aus zwei Personen. “Steffi, gehst du bitte zu Janina?”, bat Frau Schmitt und Dawn stand alleine da. Keine zehn Sekunden später stand Keith neben ihr. “Oho, sieht so aus, als ob wir zwei uns dem Parkour stellen müssen”, sagte er und das Mädchen sah gequält um sich. So schön auch der erste Morgen gewesen war, so schrecklich war der Zweite. Keith war wieder so zu ihr, wie er immer war, wenn er nicht gerade nachdenklich war. Daher sagte Dawn: “Das ist doch Ihr Ernst Frau Schmitt!”. Die Lehrerin antwortete: “Doch, Dawn, du bist die Einzige, die mit ihm irgendwie klarkommt und keine Angst vor ihm hat. Die anderen sind schon weggelaufen vor Angst”. Ja, so schrecklich war Keith. Niemand, aber auch nur niemand traute sich etwas mit ihm zu unternehmen. Seinen besten Freund hatte man aus Absicht mit jemand anderem in ein Team gesteckt. Die Lehrer wollten damit bezwecken, dass sich Maurice auch mal mit mehreren Klassenkameraden befasste und das ohne Keith. “Also meine Damen und Herren. Dieser Parkour ist ungefährlich und erstreckt sich über fünf Kilometer. Wie alles funktioniert wurde euch bereits gezeigt. Damit es aber trotzdem keine Unruhen gibt, werden die Pärchen alle halbe Stunde hier beginnen. Wegweiser findet ihr an den Baumstämmen. Frau Schmitt und ich werden am Ziel auf euch warten. Falls es doch Probleme gibt, bitten wir euch Frau Schmitt oder mich zu kontaktieren. Dafür habt ihr unsere Handynummern. Wenn ihr am Ziel, der Hütte, seid, dann wartet ihr bis alle da sind. Hierbei geht es darum, Teamgeist zu zeigen. Ihr müsst aneinander vertrauen um ans Ziel zu gelangen. Gibt es noch Fragen?”, meldete sich Herr Müller zu Wort. Niemand sagte etwas, daher sagte der Lehrer zum Schluss: “Okay, dann sehen wir uns nach und nach”. Danach fuhren die Lehrkräfte los.
Nun waren die Schüler auf sich alleingestellt. Zügig begannen die ersten mit dem Parkour. Die anderen sahen ihnen dabei zu und merkten sich das Absichern und einige Techniken, damit es nicht zu lange dauerte. Keith saß gelangweilt auf einem Baumstamm. Sein bester Freund setzte sich neben ihn und fragte: “Hey Bro, was ist los?”. “Was los ist? Ich hab überhaupt kein Bock auf den Scheiß hier!”, antwortete K pampig. “Bei der Partnerin kein Wunder”, sagte Maurice und sein bester Freund musste grinsen. Dann meinte Keith ernst: “Wir sind als letzte dran”. “Haha, ich bin vor dir dran. Dann könntest du sie voll killen”, feixte Maurice und konnte sich das Lachen absolut nicht verkneifen. Sein Gegenüber blieb stumm und sah starr zum See, der am Wald gelegen war. Keith wusste, dass er angesehen wurde. Dennoch sagte er: “Ich glaube du bist an der Reihe”. Kaum war Maurice in der Luft und außer Sichtweite, stand Keith auf und ging oder besser gesagt, er wollte es. “Wohin willst du? Wir müssen bald los!”, sagte Dawn und hielt ihn damit auf. Der junge Mann drehte sich um und widersprach: “Ich bin achtzehn, ich kann machen was ich will”. “Ach ja? Ich bin das aber noch nicht! Und alleine kann ich wohl kaum fünf Kilometer gehend in der Luft ausharren!”, entgegnete Dawn. “Wie ist das so?”, fragte Keith und das Mädchen sah ihn verwirrt an. “Wie ist das so wenn man Angst vor den düsteren Gestalten hat? Es wird bald dunkel, die Dämmerung setzt schon ein und dann werden sie kommen. Sie werden dich holen”, ging Keith einen Schritt weiter auf sie zu. Auch wenn Dawn Angst hatte, sagte sie ruhig: “So? Na dann lass uns mal schnell den Parkour machen!”. Danach stieg sie schließlich auf die Startplatte des Baumes und sah auf ihn herab. Widerwillig ging Keith ihr hinterher, aber auch nur, weil er sich sonst kleiner vorkam. “Sollte ich nicht lieber vorangehen?”, fragte er. Der junge Mann sah seinen Anführerstatus sehr gefährdet. Dawn antwortete: “Nein, du hast getrödelt. Selber Schuld. Du musst mich jetzt absichern, das erste Hindernis naht”. “Jaja, schon gut”, sagte Keith und hielt das Sicherungsseil fest in seinen Händen. Gelangweilt sah er dem Mädchen zu, wie es auf die dünnen Holzscheiben zum nächsten Baum balancierte. Er musste zugeben, dass sie ziemlich gut war. Was für ein Supergleichgewicht, dachte er und ertappte sich dabei, wie er jeden Schritt des Mädchens beobachtete. “Du bist dran”, hörte Keith auf einmal Dawn sagen und er fragte: “Hä? Was?” Doch dann fing er sich wieder und meinte: “Aso … ja”. Keine zwei Minuten später war er auf derselben Platte wie Dawn. Wie verwirrt er doch war, dachte sich das Mädchen. Fürs Nachdenken hatte aber keiner mehr Zeit, denn sie waren schon etwas in Eile. Daher sagten sie kaum etwas mehr und beeilten sich.
Im Laufe der Zeit wurden die Hindernisse immer schwieriger und höher. Keith wurde immer mulmiger zumute, doch nie wollte er das vor einem Mädchen zugeben. Als sie nach zwei Stunden am letzten Parkourteil waren, sagte Dawn: “Krass wie hoch wir jetzt schon sind”. “Ja ... schon zu hoch”, murmelte Keith vor sich. Die beiden standen vor einer Wand, die mit vielen Steinen zum Festhalten versehen war. An sich nicht schwer, aber keiner wusste, wie hoch sie war. “Und ... jetzt?”, fragte der junge Mann stammelnd und strich sich nervös über die schwarzroten Haare. Hat er Angst? fragte sich Dawn, doch diese Frage bestand nur in ihrem Kopf. Sie hatte überhaupt keine Lust darauf, eine sinnlose Diskussion mit Keith zu haben. “Ich würde vorschlagen, dass du vorausgehst und mich von oben dann absicherst”, sagte Dawn. Betroffen meinte ihr Klassenkamerad: “Was? Ich zuerst? Wieso jetzt auf einmal? Sonst bist du auch immer vorausgegangen”. “Ja, aber dort oben muss größere Arbeit verrichtet werden und du schaust schon ziemlich stark aus”, antwortete das Mädchen mit einem Blick auf seine Armmuskeln. Scheiße, dachte sich Keith und begab sich zur Wand. Die ersten Meter meisterte er ohne Schwierigkeiten, aber Dawn fiel auf, das er immer wieder zum Seil sah. Er hat kein Vertrauen, dachte sie sich, überhaupt Keins. “Du, du hast mich doch oder? Also … ähm alles ist sicher oder?”, fragte Keith stammelnd. Diese Fragen waren für das Mädchen Beweise für eine Höhenangst, daher antwortete es: “Vertrau mir. Ich beobachte dich und du bist in Sicherheit”. Diese Antwort traf den jungen Mann direkt. “Woher…?”, fing er an, doch dann erwischte er den nächsten Stein mit seiner linken Hand nicht und rutschte auch mit den Füßen ab. “Ach du scheiße! Hilfe!”, schrie Keith panisch und begann zu zittern. Umso erstaunter war er, dass er nur wenige Meter abgerutscht war und Dawn ihn festhielt. Dann sagte er: “Fuck man, ich dachte es ist vorbei! Gott sei Dank bist du so stark”. “Ich sagte doch, dass ich aufpasse”, meinte das Mädchen und sah zu ihm hoch. Auch der Blick von Keith lag auf ihr. “Ver-vertrauen…”, sagte er leise. Mittlerweile hielt er sich an der Wand fest und trotzdem nahm er nicht seinen Blick von dem Mädchen. Dawn dagegen bekam leichte Tränen in den Augen. Sie ahnte, dass er nicht das ist, was er zu sein scheint. “Warum um alles in der Welt versteckst du dich hinter dieser Maske aus Stahl?”, fragte sie traurig. Er antwortete, als er sich langsam zu ihr fallen ließ, folgendes: “Weil ich es aufgegeben habe, Menschen zu vertrauen. So viel wie ich erlebt habe, hat nicht einmal die ganze Klasse zusammen erlebt. Überhaupt: Was geht dich das an?”. “Vergiss es, könntest du nun bitte die Wand hochklettern?”, weichte Dawn aus und Keith sah sich überrascht an. Danach machte er sich erneut auf den Weg und auch wenn es ihm hundeelend erging, eine halbe Stunde später waren sie beide sicher oben.
Mittlerweile war es dunkel geworden. “Man wo wart ihr? Das hat ja ewig gedauert!”, sagte Stefanie, die mit einer Taschenlampe herumleuchtete, als sie die beiden erblickte. Dawn nickte entschuldigend und begab sich mit ihrer Freundin in die Hütte. Dort warteten bereits die Lehrkräfte. Keith ging den Mädchen hinterher. Er musste daran denken, wie er mit Dawn den Parkour überwältigt und ihr ansatzweiße vertraut hatte. Für ihn war es ein besonderes Erlebnis gewesen. “Keith?”, hörte er auf einmal Herr Müller fragen und wurde damit aus seinen Gedanken gerissen. “Was gibt es denn?”, stellte er genervt eine Gegenfrage. Frau Schmitt antwortete: “Okay, ihm geht es gut”. Er sagt ja gar nichts, weil er mit seinem Namen angesprochen wird, dachte sich Dawn. Der wird ja immer komischer. “Ihr könnt gehen”, sagten die Lehrer schließlich. Später war dann endlich Ruhe. Für die ganze Nacht.
Der nächste Tag dagegen sollte fast genauso aufregend sein wie der vorherige. Die Klasse begab sich in das etwa zwanzig Kilometer entfernte Monaco. “Wow, hier zu sein, das ist eine Ehre!”, sagte Dawn staunend, als sie die Formel 1 Strecke von Monte Carlo betrat. Ihre Klassenkameraden guckten sie schief an. “Sagt bloß, ihr kennt die Strecke nicht? Die muss man doch kennen!”, meinte das Mädchen weiter und hörte ein Lachen. Es war das Lachen von Keith. Dieser sagte: “Natürlich haben wir davon schon einmal gehört, Süße! Wir fragen uns nur, was ein Weib mit Rennsport will”. “Es mag vielleicht sein, dass ich ein Mädchen bin, aber das heißt noch lange nicht, dass ich nicht auf Geschwindigkeiten stehe!”, widersprach Dawn sehr stark. “Soso, du magst es also schnell”, feixte Keith und sah, wie seine Klassenkameradin die Augen verdrehte. “Ganz lustig der Herr mal wieder. Gestern warst du nicht so locker”, sagte das Mädchen und das Lachen von K verstummte. Als er nichts sagte und die ganze Klasse ihn angaffte, sprach Dawn erneut: “Ich bin dann mal die Strecke begehen, schließlich will ich hier jeden Flecken erkunden und das lasse ich mir bestimmt nicht von so einem komischen Kerl wie dir vermiesen!”. Danach ging das Mädchen mit ihren Freunden. “Ohaa! Bro, du musstest wieder was einstecken, also langsam hat sie echt die Oberhand!”, meinte Maurice lachend und sein bester Freund sagte: “Ach was! Sie kann mir gar nichts!”. Daraufhin entfernte sich Keith von seinen Klassenkameraden und ging alleine die Strecke entlang.
Immerhin war am nächsten Tag Ruhe. Keith sagte nichts mehr zu Dawn und umgekehrt war es genauso. Erst am letzten Abend trafen sie wieder so richtig aufeinander. Die Lehrer hatten wahrgemacht, was sie am Anfang der Abschlussfahrt sagten. Also saßen die halben Streithähne nun am Lagerfeuer. Alle anderen waren in ihre Zelte, die ein Stückchen entfernt waren.
“Tja, da sitzen wir zwei”, sagte Keith und zündete sich eine Zigarette an. Dann sagte er: “Ach ja, pass auf, hier könnte es mal knacken”. “Dann wirst du mich wohl beschützen müssen”, meinte Dawn kühl. Ihr Gegenüber grinste und erwiderte: “Nicht ohne die Gegenleistung”. “Du würdest wohl alles tun, nur um mich rumzukriegen. Selbst deine Seele würdest du dem Teufel überlassen”, widersprach das Mädchen. “Wie … wie bitte? Ich … nein!”, stammelte Keith davon überrascht und wurde knallrot im Gesicht. “Oh doch”, sagte Dawn und fuhr fort: “Sei lieber froh, dass ich den anderen nichts von deiner Höhenangst erzählt habe”. Ihr Gegenüber musste lachen und meinte im Schein des Feuers: “Ich und Höhenangst? So ein Mist”. “Oh, dann hab ich mir das wohl nur eingebildet, dass du total nervös warst und gezittert hast, als wir vor dem letzten Hindernis standen. Tut mir leid, konnte ich ja nicht wissen”, sagte Dawn ironisch. Ihr Klassenkamerad hatte erneut den Kürzeren gezogen und meinte: “Pass auf, pass auf Mädchen, pass auf was du sagst. Du weißt genau zu was ich fähig bin”. “Klar, ich erwarte von dir auch nichts anderes. Hoffentlich bist du stolz drauf”, flüsterte Dawn mit einer gewissen Spur an Traurigkeit. Das entging dem Schulschläger auch nicht und umso mehr traf es ihn. Daher blieb er stumm und sah dem Himmel entgegen. Er erkannte hunderte von Sternen und hörte das leise Rauschen des Windes. Während er einen Zug von seiner dritten Zigarette nahm, meinte er: “Ich glaube, ich habe lang nicht mehr so entspannt zum Himmel geblickt”. Dawn hustete und wedelte mit der rechten Hand den Rauch weg, dann sagte sie: “Warum das denn?”. “Hm, gute Frage. Das kann ich dir nicht sagen, Stress einfach”, antwortete Keith und drehte die Zigarette an dem Baumstamm, auf dem er saß, aus. “Das hättest du nicht tun brauchen, aber trotzdem danke. Wieso hast du so viel Stress?”, wollte Dawn wissen. Der junge Mann sah das Mädchen an. Dieses bekam heftiges Herzklopfen und fragte sich, warum er wieder so anders war. “Hängt mit meiner Vergangenheit zusammen”, antwortete Keith stumpf ohne den Blick von ihr zu nehmen. “Oh … okay”, meinte Dawn und stand auf. Sekundenspäter merkte sie, dass sie am Arm festgehalten wurde. “Bleib hier, dass hier nachts dunkle Gestalten rumlaufen war mein ernst”, bat Keith sanft und das Mädchen wollte weiterlaufen. Doch dann stolperte es genau in die Arme ihres Klassenkameraden. “Ent …. entschuldige, ich …”, begann Dawn von dieser Nähe überrascht und brach ab, als sie flitzende Geräusche wahrnahm. Umso mehr klammerte sie sich an Keith, der sich umsah. “Wer ist da?!”, fragte er laut durch die dichten Bäume. Nebenbei hielt er Dawn behutsam in seinen Armen. Das Mädchen lehnte an dem jungen Mann und krallte sich in dessen Rücken. Keith verspürte zwar schon etwas Schmerz, aber er sagte nichts und schrie auch nicht auf. Er biss tapfer die Zähne zusammen und wartete. Nebenbei musste er auf das Feuer aufpassen, dass noch immer nicht ganz erloschen war. Das Geräusch kam immer näher. “Ich schrei gleich los …”, meinte Dawn und Keith sagte beruhigend: “Du brauchst keine Angst haben, ich bin bei dir”. Er ist also doch anders, dachte sich Dawn während sie zu ihm aufsah und seinen wilden Herzschlag spürte. Davon wurde sie ungeheuer nervös, sie hätte nie gedacht, dem Schulschläger einmal so nahe zu sein. Selbst der Blick von Keith lag auf ihr, er selbst fand das ungeheuer schön. Er konnte dank dem Feuer ihr Gesicht leicht sehen. Der Blickkontakt wurde jäh unterbrochen, als jemand Dawn aus den Armen von Keith riss. “Was soll das?”, fragte das Mädchen erschrocken und versteckte sich hinter ihren Klassenkameraden. Der Unbekannte antwortete: “Man sollte hier nie alleine rumlaufen”. “Hey, ich bin auch noch da! Verschwinde und lass sie in Ruhe!”, mischte sich Keith ein. Erst jetzt erblickte der Mann so richtig den Begleiter von Dawn. Dieser bereitete sich schon auf eine rasche Verteidigung vor und sah, wie der Unbekannte die Flucht ergriff.
“Alles in Ordnung?”, fragte Keith vorsichtig. Das Mädchen ging zitternd zu Boden. Sofort ging der junge Mann zu ihr und Dawn ließ sich fallen. Sie landete in seinen starken Armen und sagte: “Dan- danke, ich hatte echt Angst”. Sie hat einen Schock, dachte sich Keith und sah besorgt zu den Sternen. Er konnte sie auf keinen Fall im Zelt übernachten lassen. “Meine Großeltern wohnen hier ganz in der Nähe. Sie sind im Urlaub und ich habe einen Schlüssel für ihr Haus. Lass uns dort übernachten”, sagte Keith schließlich. “Okay”, sagte Dawn und stand auf. Als ihr Begleiter sah, wie wackelig sie auf den Beinen war, legte er ihren Arm auf seinen Nacken und stützte sie. “Danke … schön.”, meinte Dawn und Keith erwiderte: “Du brauchst dich nicht andauernd zu bedanken. Es ist klar, dass du jetzt Angst hast”.
Keine fünf Minuten später waren sie da. “Bist du sicher, dass niemand da ist?”, fragte das Mädchen, als sie das Haus betraten. Keith nickte und führte sie in ein Zimmer im zweiten Stock. Dann sagte er: “Mach es dir gemütlich”. “Danke”, sagte sie erneut und ließ sich ins Bett fallen. “Brauchst du Schlafsachen oder was anderes? Kann ich dir irgendwas bringen?”, fragte Keith. Wie höflich, dachte sich Dawn und antwortete: “Nein danke, wirklich sehr nett von dir, aber ich will jetzt einfach nur, dass es hell wird”. In ihrer Stimme lag eine gewisse Angst und so bot ihr Klassenkamerad an: “Soll ich im Raum bleiben? Du scheinst noch sehr verstört zu sein”. Dawn sah ihn überrascht an und brachte kaum etwas Anständiges zustande: “Ähm … oh, okay! Ja … bitte”. Keith ging zum gekippten Fenster und sah den wolkenlosen Himmel. Er stand ziemlich lange an der gleichen Stelle, ehe er sich umdrehte und ihr in die Augen blickte. “Es tut mir leid”. “Was tut dir leid?”, wollte Dawn verwundert wissen. “Als ich sagte, dass hier dunkle Gestalten sind, habe ich das nur gemacht um dir Angst einzujagen. Sicher stimmt das, also dass hier echt komische Menschen sind, aber das nur zu sagen um jemanden …”, begann er und brach seufzend ab. Dawn sagte: “Ist schon okay. Ich frage mich nur, warum du so bist”. Obwohl Keith wusste, was das Mädchen meinte, sah er es verwirrt an. “Meistens bist du so flegelhaft, aber im nächsten Moment wieder so … so anders. Nett, höflich und lieb, aber auch sorgsam”, meinte Dawn. Sie traf ihn mit den Worten mitten ins Herz. Davon berührt drehte Keith sich um und öffnete das Fenster. Er atmete nervös und ihm wurde wärmer. Der junge Mann dachte schon an Fieber, doch der kühle Wind holte ihn in die Wirklichkeit zurück. In seinem Kopf hörte er eine Symphonie. Eine Symphonie mit trauriger Melodie und düsterem Klang. Sie erweckte in ihm den Drang nach ein wenig Nähe. Stattdessen summte Keith ein Lied. “Snuff von Slipknot”, sagte Dawn leise und stand auf. Während sie zu ihm ging, meinte das Mädchen: “Du hast zwei Seiten und die sind sehr verschieden”. Noch immer sah Keith aus dem Fenster. Als das Mädchen schließlich neben ihn stand, sprach auch er endlich: “Es tut ehrlich gesagt gut hier. Lange war mir Ruhe nicht so wichtig wie jetzt. Einfach mal alles vergessen und die Seele baumeln lassen. Ich sollte öfters hier sein. Mit dir”. Den letzten Teil betonte er unbewusst. Dawn bekam davon Gänsehaut und wurde rot im Gesicht. Genau in dem Moment sah Keith sie endlich an. “Du schaust müde aus. Geh lieber schlafen, ich pass auf dich auf”, sagte er und kurz darauf lag Dawn wieder im Bett.
“Im Lichte der Sterne und des Mondes sehe ich, wie du in deinen Träumen lächelst. Ich wusste von Anfang an, dass in dir eine Schönheit schlummert. Du hast dich in so kurzer Zeit direkt vor meinen Augen verändert”, sagte Keith nach einiger Zeit, als er sah, wie Dawn ruhig schlief. Seine Stimme klang dabei sehr nachdenklich. Er hatte die Röte in dem Gesicht von Dawn sehr wohl bemerkt und das bereitete ihm beinahe schon Kopfzerbrechen. Noch nie hatte ihn jemand mit einem Blick so sehr getroffen wie sie. Irgendwoher wusste er, dass dieser Augenkontakt aus dem Herzen kam und doch kam wieder seine Bitterkeit zum Vorschein. Er konnte einfach nicht glauben, dass Dawn ihn ernst nahm. “Du erweckst einen sehr starken Eindruck, der aber auch auf einmal zerbrechlich wie ein Schmetterling sein kann, den man zu unsanft einfangen wollte. Schon bald wirst du merken, dass die Zeit keine Wunden heilen kann”, fuhr der junge Mann traurig fort und sah kurz zum Fenster. Als sein Blick wieder auf dem Mädchen lag, sprach er weiter: “Ich erzähle dir das nur, weil du schläfst und ich nicht möchte, dass du ahnst, was ich alles durchmachen musste. Also betrachte ich lieber deine schlafende Schönheit und vergesse für kurze Zeit, dass ich nichts weiter als ein verbitterter Mensch bin, der überhaupt nichts auf die Reihe bekommt”. Er konnte nicht sehen, dass über die Wangen von Dawn Tränen liefen, da er auf der anderen Seite saß. Das Mädchen war im Halbschlaf und doch konnte es ihn sehr gut hören. Was für schöne Worte, dachte sich Dawn und ertappte sich dabei, wie sie am Liebsten etwas gesagt hätte. Stattdessen blieb sie weiterhin liegen und weinte mit geschlossenen Augen. “Ich bin nicht ein kalter Mensch, der keine Gefühle hat. Ich bin nur verschlossen und habe keine Ahnung, was richtige Liebe ist. Aber du, du schon. Du hast Menschen, die dich lieben. Deine Freunde, Familie und vielleicht auch einen Freund. Du bist wie ein Bild, das nur die Zeit zaubern kann. Die Farben, die dich umgeben, strahlen heller als Sonne, Mond und Sterne zusammen. Das habe ich noch nie bei einem Mädchen wahrgenommen. Ich glaube, dass du eine aufrichtige Person bist, aber manchmal sehe ich in dir auch sie. Das macht es mir so schwer, dir von meiner Vergangenheit, die voller Geheimnisse ist, zu erzählen”, sagte Keith seufzend und sah aus dem Fenster. So war es auch für die nächsten Stunden.
“Au revoir, Nizza”, sagte die Klasse 12 und fuhr mit dem Bus los. Niemand hatte bemerkt, dass Dawn und Keith die Nacht nicht in ihren Zelten verbracht hatten. Beide waren um sechs Uhr in ihre Zelte. Im Bus sagte niemand der beiden etwas. Sie dachten über die Nacht nach. Besonders Dawn. Sie sah aus dem Fenster und musste andauernd an die Worte denken, die Keith gesagt hatte, als sie schlafen wollte. Noch immer flitzten sie durch ihren Kopf hin und her. Überhaupt alles, was in der Abschlussfahrt mit Keith zu tun hatte, schoss ihr durch den Kopf. Wer ist sie? fragte sie sich im Gedanken. An wen erinnere ich ihn so? In welcher Beziehung stand er einmal mit diesem Mädchen? Und was habe ich damit zu tun? Er ist für mich wie ein Rätsel, das ich lösen muss, dachte Dawn. Warum sagt er solche Sachen zu mir und über mich, wenn er im nächsten Moment und auch sonst wieder ein Sprücheklopfer ist? Ich verstehe die Zusammenhänge nicht, aber ich werde die einzelnen Puzzleteile zu einem Puzzle zusammenfügen, ob er will oder nicht. Ich muss herausfinden, was ihn so aus der Bahn geworfen hat. Moment mal! Seine Vergangenheit, das ist es! Er sagte selber, dass das mit ihr zu tun hat. Nur was hat er erlebt? Ist das erst vor Kurzem passiert oder sogar in seiner Kindheit? Ja genau, wie war Keith eigentlich als Kind? War er schon immer so kalt und doch so warm? Das Mädchen konnte sich auf nichts konzentrieren und war auch sonst sehr still. Es merkte nicht einmal, dass es immer und immer wieder angesprochen wurde. Erst als Stefanie sie am Arm stupste, rührte sich Dawn. “Was ist?”, fragte sie völlig geschockt. Steffi antwortete: “Das könnte ich dich fragen. Du bist heute so komisch”. Dawn seufzte und meinte: “Schon gut, heute ist einfach nicht mein Tag”. Die Mädchen merkten nicht, dass Keith ihnen zugehört hatte. Normalerweise hätte er etwas gesagt, doch auch er machte sich Gedanken, vor allem um die gestrige Nacht. Außerdem war er sehr müde, da er kein bisschen geschlafen hatte. “Man Bro, du bist aber auch seltsam”, hörte Keith Maurice sagen. Falsch lächelnd meinte K: “Aber nein, mir geht es super”. Von wegen dachte er sich und starrte aus dem Fenster. Seit der Sache mit Julia vor fünf Jahren bin ich keinem Mädchen mehr so nahe gekommen. So richtig nahe, ohne irgendwelche hinterhältigen Hintergedanken. In diesen Momenten wollte ich sie wirklich beschützen. Ich habe in ihr diese immense Angst gespürt, als ob ich durch sie hindurch blicken kann. Ich konnte unmöglich zulassen, dass sie davon in totale Panik gerät. Wer weiß, vielleicht hat sie gemerkt, dass ich anders bin. Moment mal! Scheiße, das kann ich nicht so offen stehen lassen! Kaum war dieser Gedanke in seinen Kopf, grölte Keith auch schon los: “Genau, rede doch mal, Süße!”. Alle blickten ihn verwundert an und da meinte K weiter: “Es ist immer voll interessant, Weibergespräche zu belauschen”. “Keith … “, sagte Dawn, doch dann kamen ihr die Tränen. “Oh mein Gott, jetzt heul doch nicht gleich los! Ich habe dir nichts getan”, sagte der Achtzehnjährige genervt. Zutiefst berührt davon sah er aus dem Fenster und rührte sich die ganze restliche Busfahrt über nicht.
Am Abend kam die Klasse an ihrer Schule an. Alle waren froh, endlich wieder in der gewohnten Heimat zu sein. Besonders Dawn. Sie ertrug es einfach nicht, Keith zu sehen. Wie er lachte und nicht einmal einen Gedanken an die Nacht im Haus seiner Großeltern zu hegen schien. Daher war sie auch eine der Ersten, die man nicht mehr sah. Sie wusste nicht, dass auch ihr Feind sich Gedanken machte. Keith wusste zwar, dass er ihr sehr wehgetan hatte und ihm tat das ja auch irgendwie leid, aber er konnte und wollte nicht, dass sie herausfand, welch grausame Geheimnisse sich hinter seiner kühlen Fassade verbargen.
Im Laufe der Zeit gestand sich Dawn, dass sie sich in den paradoxen Keith verliebt hatte. Sie musste viel an ihn denken, eigentlich wollte sie das alles nicht, aber gegen Liebe konnte man nichts machen. Entweder man wurde mit ihr glücklich oder eben nicht. Das hübsche Mädchen war es kein bisschen. Sie musste andauernd an die Abschlussfahrt denken. Dort hatte er sich so anders gezeigt. In der Schule war es am Schlimmsten. Ständig war Keith in ihrem Kopf. Am Liebsten würde sie sich immer zu ihm umdrehen, aber das ging natürlich nicht. Niemand wusste, dass sie Gefühle für den übelsten Jungen überhaupt hatte. Am Wochenende stand der erste Advent vor der Türe, sie dachte auch darüber nach, ihm einen schönen Tag zu wünschen.
“Hey, du musst lesen, Süße!”, hörte sie ihn auf einmal hinter sich sagen. Dawn merkte dadurch, dass sie sich in der Schule befand. “Oh, tut mir leid”, entschuldigte sie sich und fing an zu lesen: “Du hast nichts verloren, sondern noch nie etwas besessen. Du leidest an …” Auf einmal wurde sie von Herr Müller unterbrochen. “Was ist denn heute mit dir los? Du meldest dich kaum und liest auch noch an der falschen Stelle”, meinte ihr Lehrer. Der mit dem Stuhl kippelnde Keith mischte sich natürlich in das Gespräch ein und sagte: “Tja, unser Streber muss wohl richtig erzogen werden”. Jeder wusste genau, was der Klassentyrann damit meinte. “Keith!”, rief Dawn und drehte sich um. Dieser sah zu ihr hoch und stand auf, da er sich ihr untergeordnet sah. Somit fühlte K sich wieder stärker. “Und jetzt? Denkst du, dass du mir damit Angst machen kannst?”, fragte Dawn. Die anderen bewunderten sie dafür, dass sie sich nicht, so wie der Rest der Klasse, von ihm herumschubsen ließ. Keith beugte sich über seinen Tisch, sah ihr tief in die Augen und antwortete: “Ich werde dir schon noch zeigen, wie es ist, wenn man Angst hat. Du kannst ja mal gerne zu mir kommen und dann nehme ich dich noch härter ran! So lieb wie ich bin, wärme ich das Bett schon mal vor!”. Selbst im Schlagaustausch baggerte er Dawn wie noch mal was an. Er wollte sie unbedingt rumkriegen, da er bisher jedes Mädchen sofort hatte. “Weißt du was? Ich verstehe echt nicht, warum du dich so machomäßig und gleichgültig gibst!”, sagte Dawn und sah ihn mit einem Blick an, der ihn hätte durchbohren können. Das machte ihm Angst und nach ihrer Aussage war er so sehr überrascht, dass er kaum ein vernünftiges Wort herausbrachte. “W- wie bitte?”, stotterte Keith. Durch den Raum hallte Staunen. Noch nie hatten sie den emotionslosen Schläger und Player so sprachlos erlebt. “Du weißt genau, wovon ich rede! Ich verstehe es einfach nicht!”, wiederholte sich Dawn.
Keith kippte zur Seite und hätte bei seinem Flug auf den Boden fast seinen besten Freund mitgerissen. Selbst dort waren seine Augen groß und voller Erstaunen. “Dem hast du es ja ganz schön gegeben”, flüsterte Stefanie zu Dawn, die sich daher umdrehte und nickte. Wenigstens gab ihr Widersacher nun Ruhe und nicht nur die Stunde, sondern die restlichen zwei Schulstunden und den darauffolgenden Tagen.
Erst im Kendoverein trafen die beiden wieder so richtig aufeinander. Es war Mitte Dezember, auch wenn schon Schnee vom Himmel fiel, konnten sie sich das Training nicht entgehen lassen. Keith hatte gedacht, dass Dawn ein verwöhntes Mädchen ist und daher in der eisigen Kälte daheim blieb. Umso erstaunter war er, als er sie vor sich sah. Schweigend verbeugten sie sich wie immer voneinander. Dawn wunderte sich darüber, sagte aber nichts, da sie nicht wollte, dass sie sich wieder in einer Diskussion hineinsteigerten. Außerdem wollte sie ihm das Wort überlassen. Sanft schlugen die Schwerter aufeinander. “Ganz schön viel Schnee, nicht wahr?”, fragte auf einmal Keith. Seine Stimme klang dabei völlig normal. Dawn antwortete: “Ja, schaut echt faszinierend aus”. “Das stimmt”, gab er ihr Recht. Was ist denn mit dem los, fragte sich das Mädchen glücklich. Er konnte also auch mehr als ein Mal mit ihr reden, ohne dumme Sprüche abzulassen. Das fand sie sehr toll und strahlte ihn gerade zu an. Keith sah sie verwirrt an, denn dieses Lächeln war nicht gespielt oder mit einem Flirt verbunden, sondern ganz natürlich und so etwas hatte er noch nie gesehen, außer bei seiner Mutter. Das war jedoch Jahre her. Er ließ sein Schwert fallen und stand mit gesenkten Armen vor ihr. “Du schaust genauso aus wie sie”, sagte Keith traurig. Seine Trainingspartnerin fragte: “Wie wer?”. Er ging jedoch nicht darauf ein und meinte: “Schon gut, bitte lass uns weiter trainieren”. Er hat bitte gesagt, dachte sich das Mädchen und freute sich wieder. Es wunderte sich eh darüber, dass Keith noch nicht gemerkt hatte, dass es sich in ihn verliebt hatte. Auf dem ersten Blick ist er so verbittert, wenn man genauer hinsieht ist er richtig nett. Was für ein Junge, dachte Dawn weiter und im nächste Moment lag sie auf etwas Weichem. Erschrocken sah sie sich um und erkannte, dass sie im Schnee gelandet war. War er etwa wieder wütend? Geschockt sah sie hoch und sah eine Hand. “Alles in Ordnung? Habe ich dir wehgetan? Entschuldige, ich habe nicht bemerkt, dass du nicht ganz bei der Sache bist”, meinte Keith. Dawn griff dessen helfende Hand und er zog sie mit links hoch. “N- Nein, alles okay”, stotterte sie. Das Mädchen ermahnte sich dazu, konzentrierter zu sein und gab sich Mühe. Und Keith dagegen merkte nichts davon, er war schon etwas aufgewühlt. Das, was Dawn gesagt hatte, ging ihm bis ins Mark. Selbst als der Dunkelhaarige daheim war, musste er daran denken, bis er eingeschlafen war.
“Wir machen heute einen Lernzirkel”, sagte Herr Müller am nächsten Tag und die gesamte Klasse sah den Lehrer gespannt an. Keith aber nicht. Er starrte wie immer aus dem Fenster und sah die düsteren Wolken an. Wie schön, dachte er sich, was für ein tolles Gewitter. Ein Blitz nach dem anderen erhellte den Himmel und natürlich konnte man auch den kräftigen Donner hören, der manch einer Person das Blut in den Adern gefrieren ließ. Auf einmal wurde Keith angestupst. “Was gibt es denn?”, fragte er cool, aber auch leicht abwesend. Maurice sah ihn an und antwortete: “Der Lernzirkel. Wir müssen mit deinem Liebling und ihrer Banknachbarin arbeiten”. Dabei sah er zu Dawn und Stefanie, die sich umdrehten. Er musste an das gestrige Training denken und daher passte es ihm gar nicht, dass er mit Dawn zusammenarbeiten musste. “Muss das sein?”, wollte K genervt wissen. “Ja, muss es”, sagte Dawn und ging die Materialien durch. Keith grinste wie immer in seiner spielerischen Art und meinte: “Ach Schatz, mit dir gehe ich das Zeugs doch gerne durch”. Danach nahm er dem Mädchen ein laminiertes Stück Papier aus der Hand. “Haha, selten so gelacht”, erwiderte Dawn. “Was denn? Schatz, was ist los?”, stellte Keith mit gespielter Besorgnis eine Frage. Seine Klassenkameradin lehnte sich ruhig zurück und antwortete: “Mit gefällt es überhaupt nicht mit dir zusammen zu arbeiten, also bringen wir das schnell hinter uns”. “Aber ich liebe dich doch!”, entgegnete Keith feixend. Dawn musste lachen, woraufhin der Schulschläger anfing in seinem Rucksack zu kramen. Nebenbei sagte er: “Ich habe sogar ein Armband für dich, warte einen Moment”. “Komiker, dein Papier und Plastik kannst du behalten”, widersprach Dawn. “Jetzt warte doch mal, ich finde es nur nicht”. Was für ein hirnloser Idiot, dachte sich das Mädchen und erstarrte. Er hatte tatsächlich Armbänder! “Also, welches willst du?”, fragte Keith und hatte auf den Tisch drei Stück verteilt. Sie hatte die Wahl zwischen weiß, braun und beigebraun. Hm, er scheint recht normal drauf zu sein, mal sehen wie er reagiert, wenn ich mitspiele, dachte sich Dawn weiterhin und sagte: “Das da”. Sie zeigte auf das beigebraune Armband. “Hier”, feixte Keith und legte es auf ihrer Hand. “Das musst du aber immer tragen mein Baby”, fuhr der junge Mann fort. “Klar”, sagte Dawn und hatte das Schmuckstück über ihr Handgelenkt gestreift. Dann fing das Mädchen an, die Aufgaben vom Lernzirkel zu bearbeiten.
Keith, der natürlich nichts tat, beobachtete sie. Je mehr er sie ansah, desto mehr musste er lächeln. Es war kein gespieltes oder übertriebenes Lächeln, sondern ein ganz Normales. Nicht ganz. Als Dawn aus den Augenwinkeln sah, wie der Blick von Keith auf ihr lag, erkannte sie eine gewisse Herzlichkeit. Davon überrascht, ließ sie ihren Füller fallen und starrte ihren Feind an. “Warum kannst du nicht immer so schön lächeln?”, fragte sie ihn und Keith, der das überhaupt nicht realisiert hatte, antwortete trotzig: “Ach was, ich habe nicht gelächelt. Du spinnst ja total”. “Ich habe es doch mit eigenen Augen gesehen”, verteidigte Dawn sich und ihr Gegenüber widersprach noch einmal in seiner gewohnten kühlen Stimmelage: “Red keinen Scheiß, ich mache das nie”. “Doch, du hast gelächelt!”, meinte das Mädchen hartnäckig und der junge Mann zuckte ganz leicht zusammen. Natürlich hatte Dawn das bemerkt, aber als sie gerade etwas sagen wollte, stand Keith ruckartig auf. “Herr White, was machen Sie da?”, schaltete sich Herr Müller ein und stellte sich dem Klassentyrann in den Weg. K ging einfach an seinem Lehrer vorbei und meinte: “Sorry, aber ich muss hier wirklich mal raus und frische Luft schnappen”. Dann verließ er ohne auf eine Antwort zu warten das Klassenzimmer.
Wie abwesend er wieder gewirkt hatte, dachte sich Dawn und musste von nun an nur noch mit zwei Personen an den Zirkel arbeiten. Das machte ihr aber nichts aus, denn lieber verzichtete sie auf Keith, der sie immer wieder mit den unmöglichsten Sachen nervte. Dennoch konnte sie ihren Blick nicht von dem Armband nehmen, das seit einer halben Stunde um ihrem linken Handgelenk hing. Keith dagegen zog es zu seinem Geheimplatz an der Schule. Er betrat ein verlassenes Klassenzimmer, da dieses bald renoviert werden würde. Hier hatte der junge Mann immer seine Ruhe, denn kaum ein anderer Schüler wagte es, die Absperrung zu ignorieren. Er aber schon und das war natürlich klar. Keith setzte sich auf den Boden und lehnte sich an die Wand, an der man ihn von außen nicht sehen konnte. Nachdenklich raufte er sich durch die Haare. Ich und lächeln, nein das passt nicht zu mir, überhaupt nicht, dachte er sich. Warum habe ich dann trotzdem gelächelt? schoss es ihm durch den Kopf. “Es war dumm von mir, sie zu beobachten und ihr eines der Armbänder zu schenken, verzeih mir Mutter”, flüsterte Keith. In ihm kamen leichte Tränen auf, die er versuchte zu unterdrücken. Er musste an seine Vergangenheit denken, seine schlimme Vergangenheit. Sie ließ ihn nicht los und ebenso der Gedanke, seine Mutter nicht beschützt haben zu können. Der junge Mann wischte sich die aufkommenden Tränen aus den Augen und atmete lange aus, um sich ruhig zu stellen. Eine Ewigkeit verging, ehe Keith das Klassenzimmer und die Schule verließ. Es verschlug ihn in seine Wohnung, denn dort hatte er, was er dringend brauchte: Ruhe.
Endlich war die Weihnachtszeit so richtig gekommen. Es waren Ferien, die alle richtig genossen. Stefanie lud Dawn zu einer Neujahrsparty in der größten Disco Hannovers ein. Zusammen liefen sie in der Dämmerung los. Sie hatten noch einen weiteren Weg vor sich und waren kurz davor, einen großen und überdachten Parkplatz zu passieren, als sie aufgehalten wurden. Wenigstens leuchteten hier Glühbirnen, ansonsten hätten die Mädchen das bestimmt unheimlich gefunden. “Was ist?”, fragte Dawn und ein Junge antwortete: “Die Unterführung ist jetzt gesperrt”. Mehr kam nicht aus seinem Munde. Die Mädchen blickten sich an und meinten: “Ehm, hier fährt aber kein einziges Auto”. “Na warum wohl? Wie dumm seid ihr eigentlich? Hier findet gleich ein Rennen statt. Wenn ihr mir nicht glaubt, dann bleibt hier und schaut zu. Zur Not geht ihr einfach den Pfeilen entlang, schließlich muss die Runde ja auch markiert sein”, sagte der Junge mit einer gewissen Unfreundlichkeit in der Stimme. Anscheinend fanden in diesem Parkplatz öfters Rennen statt, denn sonst hätte der Unbekannte sie niemals als dumm bezeichnet. Außerdem waren hier noch mehr Jugendliche und eine Anlage, für laute Ansagen oder für was auch immer, war auch aufgebaut worden. Sogar direkt vor den Mädchen. Überhaupt war diese Gegend recht verlassen, also ideal für solche Rennen. Dawn fragte: “Mit was wird denn gefahren? Mit Auto, Skateboard oder was?”. “Sehr witzig, Kleines. Mit Motorrädern. Übrigens heiße ich Toni, ihr könnt mich aber auch nur Toto nennen”, meinte der Junge. “Ah okay, ich heiße Dawn und meine Freundin Stefanie”, sagte Dawn. Toni wollte gerade etwas sagen, als man von Nahem laute Motorgeräusche vernehmen konnte. “Es beginnt!”, sagte er voller Begeisterung. Tatsächlich sahen die Mädchen fünf Motorradfahrer, die sich kurz von ihren geliebten Fahrzeugen trennten. Somit standen ihre Räder auf einer weißgestrichen Linie, der Start- und Zielgeraden.
“Willkommen liebe Fahrer und Zuschauer, ich brauche ja nicht viel sagen. Wie jedes viertes Wochenende findet natürlich auch heute ein Rennen statt”, kam es auf einmal aus Lautsprechern. Dawn und Steffi kannten diese begeisterte Stimme, es war ihre neue Bekanntschaft. Sie stellten sich neben ihn und hörten weiterhin zu. Beide mussten zugeben, dass das Rennen ziemlich professionell gestaltet wurde, denn alle Fahrer trugen Overalls. “Begrüßt mit mir unsere Nummer Eins: Kay”, meinte Toni und eine ziemlich große Gestalt stellte sich kurz auf den Sitz seines Motorrades. Dawn musterte diese Person. Was für ein sicheres Auftreten, dachte sie. Sein Fahrzeug war mit einer neonroten 1 gekennzeichnet. Die Menge applaudierte, immerhin befanden sich hier gut hundert Jugendliche. “Rob, unsere Nummer Zwei”, sagte Toto dieses Mal nur kurz und knapp. Sein Motorrad hatte eine neongrüne 2. Bei diesem Teilnehmer gab es schon weniger Pfiffe. Dieser blieb auf seinem Fahrzeug sitzen und winkte der Menge. “Duc, unser Asiate, Nummer Drei”, fuhr Toni fort und auf der Vorderseite des Fahrzeuges konnte man sehr deutlich eine gelbe 3 erkennen. Da wurde die Menge wieder lauter. Der Fahrer verbeugte sich respektvoll vor Allen, was bei diesen recht lustig wirkte, da er ziemlich klein war. “Ist der nicht süß?”, fragte Steffi kichernd und Dawn antwortete: “Äh …”, doch dann wurden sie von der Stimme von Toto übertönt. Dieser machte nämlich weiter: “Andy, unsere Nummer Vier”. Eine hellneonblaue 4 markierte das silbernen Motorrad. Dieser Fahrer war kontaktfreudiger als alle Anderen vor ihm. Er ging zu nahestehenden Zuschauern und diese langten nach ihn. “Geh zurück”, tönte die gelangweilte Stimme von der Nummer Eins. Dawn und Steffi schauten sich an. Kann es denn sein? Doch sie konnten sich keine Gedanken machen, denn Toni kam endlich zum letzten Fahrer: “Zu guter Letzt gibt es da noch Jack”. Sein Motorrad hatte eine schrille 5 in Orange aufgeklebt. Alle Fahrer trugen den Overall in der Farbe, in der ihre Nummer hinterlegt war.
“So das war’s kurz zu den Fahrern, macht euch bitte bereit. Isi, unser bezauberndes Teilzeitgroupie, gibt das Startsignal”, meinte Toni und die Fahrer setzten sich auf ihre Fahrzeuge. Dann schalteten sie ihre Motorräder ein. Die Motoren dröhnten schon laut. Hinter den Jungs stand ein Mädchen, Isi. Sie trug einen ultraknappen Minirock und eine Bluse. Beides in Rot. Selbst ihre sehr hohen Stiefel, die ihr über die Knie gingen, hatten die auffällige Farbe. Ihre Haare dagegen waren ein grelles, helles Blond. Ihr Gesicht hatte sie extrem geschminkt. In der Hand hielt sie eine schwarz-weiß karierte Flagge. Somit war sie diejenige, die das Startsignal gab. Das Mädchen ging ein paar Schritte auf die Motorräder zu und man konnte deutlich die Absätze ihrer Schuhe klicken hören. “Bereit ihr heißen Fahrer?”, fragte sie mit verführerischer Stimme. Die Jungs drehten noch mehr auf, die Menge wartete endlich auf den Start. “Na dann, drei …”, begann sie. Die Aufregung wurde immer höher. “…zwei…”, fuhr sie fort. “… und eins! Los!”, schrie sie und wedelte mit der Flagge. Ein Startschuss durfte natürlich nicht fehlen. “Oh mein Gott, die haben hier sogar Waffen!”, sagte Dawn aufgebracht und Steffi fragte: “Was hast du gesagt? Ich versteh dich nicht”. Kein Wunder, denn die Fahrer fuhren mit ohrenbetäubenden Motorgeräuschen los und die Menge grölte wie in einem Fußballspiel.
Auf einem Bildschirm, der in der Unterführung angebaut worden war, konnte man die Stände sehen. Eine rote 1 flackerte ganz oben in der Liste. Die anderen vier Fahrer lieferten sich einen heftigen Kampf. Schließlich waren sie ein gutes Stück von Kay entfernt. Die Strecke ging aus dem Parkplatz hinaus auf eine leere Straße. Diese führte geradewegs in einem Wald und selbst dort konnte man die Teilnehmer noch sehen. Wie gut hier doch alles organisiert ist, dachte sich Dawn. “Unser Nummer Eins ist nach wie vor die Nummer 1,”, begann Toni, “dagegen sind alle anderen machtlos. Wie immer. Da ist die größte Frage natürlich, wie das Rennen für unsere Nachzügler endet”, fuhr er fort. Wahnsinn, dieser Kay muss ja wirklich ein Profi sein, schoss es Dawn durch den Kopf. Doch dann schreckten alle auf: Die Nummer Vier, also Andy, war schwer gestürzt. Für ihn war dieses Rennen also schon vorbei, da die Anderen natürlich an ihm vorbeirauschten. Wenigsten kümmerten sich sofort Helfer um ihn. Selbst daran hatten sie gedacht. Man sah, wie Andy humpelt mit ihnen mitging. Mittlerweile waren Kay, Rob, Duc und Jack wieder aus dem Wald gefahren. “Wow, die fahren ja sogar auf normalen Straßen”, platzte es aus Steffi heraus. Dawn, die zum Bildschirm sah, bekam ganz große Augen. “Was ist denn los?”, fragte Stefanie und das Mädchen antwortete: “Am, am anderen Ende der Straße ist mein Haus!”. Jetzt bemerkte es auch ihre beste Freundin. Glücklicherweise fuhren die Fahrer nur am Anfang der Straße entlang. Der Menge um den Mädchen herum interessierte das herzlich wenig. Sie wollten alle diesen Nervenkitzel und diesen bekamen sie auch.
Das Rennen dauerte schon zehn Minuten, dann hörten die aufgeregten Jugendlichen endlich ein Motorgeräusch. Es war die Nummer Eins unter den Fahrern, schließlich sahen alle die neonrote 1. Isi wedelte mit der Flagge, als Kay die Ziellinie überfahren hatte. Sofort wurde der Fahrer von vielen Mädchen umzingelt. “Kay hat gewonnen! Mal wieder kann ihm keiner das Wasser reichen! Er ist ja auch ein großartiger Fahrer! Ein Hoch auf unsere Nummer Eins!”, brüllte Toni begeistert. Dawn und Stefanie sahen zu dem Sieger. Dieser legte seinen Helm ab. Kaum sahen die Mädchen, wer sich unter dem Helm verbarg, lief es ihnen eiskalt über den Rücken. Sofort drehten sie sich um und wollte gehen, doch dann wurden sie aufgehalten. Es war die Nummer Eins höchstpersönlich. “Süße! Was machst du denn hier? Warum sagst du mir nicht, dass du da bist? Dann hätte ich dir natürlich einen Ehrenplatz angeboten”, meinte Keith und legte seinen Arm um Dawn. Er sah einfach nur sexy aus! Das schwarzrote Haar von Schweiß durchtränkt, ein lässiges Lächeln auf den Lippen und diese Figur im Overall! Selbst Dawn, die Keith größtenteils nicht so wirklich mochte und doch liebte, musste zugeben, dass er ein atemberaubendes Auftreten hatte! Sie war natürlich nicht die Einzige, die dieser Meinung war. Sofort wurde das Mädchen mit eifersüchtigen Blicken zutiefst bestraft und die Menge war augenblicklich verstummt. “Nimm sofort deinen widerlichen Arm von mir und lass mich in Ruhe!”, forderte Dawn scharf, aber auch völlig durch den Wind und befreite sich aus dieser unerträglichen Nähe zu ihm. Keith meinte: “Komm schon, ihr kleinen hinterfotzigen Weiber steht doch auf Sieger!”. Was ist das denn für eine Bemerkung? schoss es Dawn durch den Kopf. Sie sagte: “Oh Keith, du bist so geschmacklos!”. Die Zuschauer sahen die beiden entgeistert an. K, oder auch Kay geschrieben, meinte: “Wie war das? Ich und geschmacklos? Nimm das sofort zurück!”. “Ich werde jetzt gehen und du wirst mich nicht aufhalten! Komm Steffi, lassen wir den selbstverliebten Idioten denken was er will”, sagte Dawn nur. Sekundenspäter hatten die Mädchen Keith vor versammelter Mannschaft bloßgestellt und stehen gelassen.
Danach machten sie sich doch noch auf den Weg zur Disko. Kaum hatten die Mädchen das Grundstück nach langem Laufen betreten, staunte Dawn. Sie war hier noch nie gewesen, da sie eigentlich Clubs hasste. Sie hielt nichts von Alkohol, aber auf Partys war das Gang und Gebe. Dawn hatte absolut keine Lust, besoffene Menschen um sich zu haben und deren Rauch einzuatmen. Steffi hatte sie gerade so überreden können, trotz des vorherigen Geschehens, mitzukommen. Beide saßen ruhig an der Bar und schlürften an ihre Getränke, als sie eine Gang sahen. Nicht nur irgendeine, es war die Gang von Keith. Dieser hatte sich wieder mächtig zugedröhnt. “N Vudka”, lallte K völlig betrunken. Dawn dachte, sie sehe nicht richtig und konnte nicht ihren Blick von ihm nehmen. Ihre Augen wurden immer größer und schließlich sah sie, wie er weißes Pulver schnupfte. Das war natürlich eine Droge. So etwas hatte sie Keith wirklich nie und nimmer zugetraut. Es traf sie schon schwer. Zumal sie sich wunderte. Er hatte vor einer Stunde noch ein Rennen gewonnen und schon war er in einem Club. Nach genauerem Überlegen wunderte sie sich dann doch nicht mehr über sein Verhalten. Schließlich hatte Dawn schon sehr oft gehört, dass Keith gerne trank und mit Drogen experimentierte. Dass das wahr ist, konnte sie dennoch nicht glauben. Ihr Gesicht wurde kreidebleich, sie war geradezu darüber bestürzt. So etwas konnte man doch nicht einfach durchgehen lassen!
Den Betreibern der Disco war es dagegen egal, was die Besucher so machten, ihnen ging es nur ums Geld. Überall sahen sie weg. Leicht benebelt, aber dennoch fast klar im Kopf, sah Keith in die Menge und wurde angerempelt. “Ey du Spast! Was sollte das?”, schrie er nicht klar bei Sinnen. Der Unbekannte sagte: “Entschuldigung, war keine Absicht”. “Ja ja und isch bin König von Deutschland!”, widersprach K und begann auf den Jungen einzuprügeln. Seine Freunde taten es ihm gleich. Der Boden bekam viele Bluttropfen ab, der Junge schrie schon vor Schmerz und wurde bewusstlos. “Sag mal spinnt ihr?”, schrie auf einmal Dawn und stellte sich schützend vor dem Opfer, das davon aber nichts mitbekam. “Geh uns aus dem Weg!”, meinte Maurice drohend und das Mädchen meinte: “Den Teufel wird ich tun! Wie kann man sich nur so die Kante geben, Drogen nehmen und dann auch noch eine Schlägerei anzetteln?”. Damit meinte sie eine ganz bestimmte Person. Längst war sie in Tränen ausgebrochen und weggerannt. Keith, der das alles beobachtet hatte, wurde schlagartig klar, was er getan hatte.
Er rannte dem Mädchen in der Kälte hinterher, das in dem nahegelegen Wald geflüchtet war. Keith musste sie sogar richtig suchen, da er noch ein wenig angeheitert war. Immerhin war er nicht mehr so angetrunken, denn die kühle Luft hatte das Gefühl der Ohnmacht weggeweht. An einem See fand er sie schließlich. Dawn hatte den Kopf auf ihre Knie gelegt und weinte weiterhin. Er musterte das Mädchen stumm und wollte wissen, ob es sein Armband trug, doch leider hatte es einen Mantel an, was bei diesen Temperaturen nicht ungewöhnlich war. Zuerst nahm es gar nicht wahr, dass ihr jemand gefolgt war.
“Warum weinst du?”, fragte Keith auf einmal und Dawn erschrak. “Warum ich weine? Weil du völlig neben der Rolle warst. So bist du also wirklich, ich hätte nicht gedacht, dass du noch schlimmer sein kannst. Weißt du, in der Schule schikanierst du mich und beim Training redest du normal mit mir, bist gar richtig nett. Und jetzt? Jetzt trinkst du dich zu, nimmst Drogen und schlägst zu”, sprudelte es aus Dawn heraus. Keith war überrascht und sagte: “Ähm, das macht man heute so”. “Ach ja? Man geht also mit mehreren Menschen auf einen Einzelnen los und prügelt so lange auf diesen ein bis dieser bewusstlos ist und will auch noch weiter machen?”, meinte Dawn fassungslos. Keith war etwas überfordert mit der Situation und bemühte sich ruhig zu bleiben. Als er gerade etwas sagen wollte, sprach seine Klassenkameradin weiter: “Ich kann es echt nicht verstehen! Du bist nicht dumm oder Ähnliches, sondern intelligent. Warum bist du so? Was verleitet dich dazu, solche Taten zu begehen? Hast du denn gar kein schlechtes Gewissen?”. Diese Aussagen und Fragen verwirrten Keith noch mehr. Innerlich war er so zerrissen. Er musste an diese Worte denken und bekam tatsächlich ganz leichte Gewissensbisse. Noch nie hatte sich jemand für ihn so richtig interessiert. Doch dann kam Dawn, sah fast genauso aus wie seine Ex, brachte nichts aus der Ruhe und redete mit ihm über solche Dinge. Er setzte sich neben ihr, nachdem er seine Hand auf ihre Schulter gelegt hatte. “Hat … hat dich das so sehr geschockt?”, fragte er und nahm sanft ihre linke Hand. Er musste einfach herausfinden, ob sie das Armband nun trug oder nicht. Leider ging diese Taktik nicht auf, da sie ihre Hand zurückzog und auf seine Frage antwortete: “Ja, so etwas habe ich einfach noch nie erlebt. Ich halte überhaupt nichts von Alkohol und Drogen. Gewalt mag ich schon gar nicht und … naja, ich halte davon Abstand. Es ist nicht gut für mich und allgemein bringt es nur Stress”. “Entschuldige, aber das ist meine Natur. Ich bin so ein Mensch, der … “, fing Keith an, doch Dawn unterbrach ihn. “Das ist nicht deine Natur und so bist du eigentlich nicht! Ich finde, dass du eigentlich ein ganz netter und lieber Mensch bist. Ich frage mich schon die ganze Zeit, wie man nur so werden kann”, sagte sie und traf ihn schwer. Er sah nachdenklich zu den Sternen und schließlich zu ihr, als er merkte, dass ihr Blick auf ihn lag.
Er wollte etwas sagen, doch Dawn fiel ihm ins Wort. “Was sind das überhaupt für Rennen, die du fährst?”, fragte sie. Keith sah sie überaus erschrocken an. Wie kann sie mich zuerst nur so aus dem Gleichgewicht bringen und dann wieder so sachlich sein? fragte er sich im Gedanken. Als er merkte, dass sie ihn anstarrte, antwortete Keith: “Rennen halt. Sie finden allen vier Wochen an diesem Parkplatz statt. Das Gebäude ist baufällig und da ist eh niemand, da können wir noch so viel Krach machen. Zu unserem Glück gibt es einen Stromanschluss und den Rest erledigen dann die Techniker. Hast du mit gewettet?”. Dawn sah ihm weiterhin an und schüttelte mit dem Kopf. “Schade, dann hättest du jetzt ein Vermögen gewonnen, wenn du auf mich gesetzt hättest”, meinte Keith nur kühl. Die Pupillen von seiner Klassenkameradin weiteten sich und entsetzt wollte sie wissen, ob die Gruppe rund um ihn das alles legal veranstaltete. Keith musste laut lachen. Und wie er lachte! Es war geradezu mörderisch und so antwortete er auch: “Legal? Was denkst du nur von uns. Wenn unser Hauptquartier auf offener Straße wäre und nicht an dem verlassenen Parkplatz, dann hätten uns die Bullen schon längst erwischt”.
“Ich hab kein Bock, noch mal im Knast zu landen”, fuhr Keith fort. Die Augen von Dawn wurde immer größer und ihr Klassenkamerad kam ihr bedrohlich nahe. Daher wollte das Mädchen wegrennen, doch der junge Mann lief ihr hinterher und drückte es gegen eine Wand. Seltsamerweise sanft und nicht mit Gewalt, wie das Mädchen es vermutete. Eindringlich sah er auf Dawn herab, die sagte: “Mach mir den Weg frei!”. “Immer schön mit der Ruhe, Süße. Ich dachte, du magst es, wenn man mit überhöhter Geschwindigkeit die Straßen unsicher macht. An der Abschlussfahrt warst du noch total fasziniert von der Formel 1 - Strecke”, meinte Keith lässig und blieb wo er war. Dawn sagte: “Natürlich mag ich Formel 1, diese Rennen sind ja auch legal”. Er rührte sich nach wie vor nicht und sie versuchte es auf eine andere Tour. “Warum warst du im Knast?”, fragte sie. Er lachte und antwortete: “Lass mal überlegen … ah jetzt fällt es mir wieder ein: Zuerst illegales Rennen gefahren mit nicht ganz erlaubten Einsätzen. Es ging um Geld und Drogen, okay und um eine Nacht mit Isi. Naja, ich habe natürlich gewonnen und wir haben wie auch heute gesoffen. Damals habe ich mehr getrunken als heute Abend. Meine Gang und ich habe daraufhin eine Schlägerei angezettelt, in der wir auch Sachbeschädigung begangen haben. Ich war fünfzehn oder sechzehn”. Dawn wären fast die Kinnladen hinuntergefallen. Immer wieder überraschte Keith sie mehr. “Oha … das ist wirklich …, krass. Wie lange musstest du denn sitzen?”, lautete ihre Reaktion mit erstickter Stimme. Keith ging einen Schritt zurück, damit sie besser atmen konnte und sagte: “Hm, Illegales Rennen, Drogen, eine Frau als Einsatz, Hardcoretrinken unter achtzehn, Körperverletzung und Sachbeschädigung. Ich möchte ehrlich sein: Ich bekam ein halbes Jahr mit Auflagen und all dem Schrott. Dreihundert Sozialstunden auf einer Baustelle. Damit nicht genug, ich hatte immer einen Bewährungshelfer bei mir. Mein Gott, der war so was von lästig! Hat mir andauernd von Gerechtigkeit philosophiert und wie ich ende, wenn ich so weiter mache wie bisher”. Er hat das erste Mal Frau gesagt und nicht Weib, schoss es Dawn durch den Kopf. “Und was war danach?”, fragte Dawn neugierig, aber noch immer zutiefst geschockt. Damit beendete sie ihren kurzen Gedankengang. Keith antwortete: “Nichts. Ich habe brav meine Stunden abgearbeitet, den ganzen Schaden bezahlt und so weiter. Danach ging ich zu den Opfern und habe mich bei ihnen entschuldigt, sie aber auch gleichzeitig gewarnt”. Das Mädchen wollte wissen, vor was die Opfer gewarnt worden waren. Grinsend sagte Keith auch dazu etwas: “Davor, dass ihnen das gleiche Schicksal noch mal blühen könnte. Meine Klasse kannte das eh schon von mir, die gehorchen mir so wie ein Rudel seinen Führer”. “Wieso, wieso tust du das?”, fragte Dawn völlig verstört und Keith kam ihr wieder bedrohlich nahe. Dann meinte er: “Ich habe hier alles unter Kontrolle und ich räume nicht freiwillig den Platz, da müsste mich jemand schon zur Strecke bringen. Anders kannte ich das Zusammenleben nie. Nie”. Ist das etwa ein Hinweis auf seine Vergangenheit? fragte sich Dawn vertieft im Gedanken.
“Hör auf nachzudenken, das bringt dir eh nichts. Ich bin nun mal ein Kerl, der weiß was er will und der dazu steht. Ich habe keine Probleme so zu sein wie ich bin”, meinte Keith, als er sah, dass seine Klassenkameradin nachdachte. Ehe Dawn dazu etwas erwidern konnte, ging er zurück und sagte: “Machs gut”. Ohne auf eine Antwort zu warten ging er. Dawn wusste nicht wohin, da sie nach Hause ging.
Nach diesem Abend dauerte es nicht lange, bis die Schule wieder begann. Keith wartete schon mit Katharina ungeduldig auf seinen besten Freund, der noch nicht ahnte was er vorhatte. K stand mit Kathi an den verlassenen Fahrradständen, da er wusste, dass Maurice sich dort immer mit ihr traf. “Warum bist du überhaupt mitgekommen?”, fragte das Mädchen. Keith grinste und sagte: “Na ja, ich wollte dir sagen, dass ich dich echt süß finde. Sonst geht das ja nicht, weil dein Freund immer dabei ist”. Katharina starrte ihn an und meinte: “Du, du interessiert dich für mich? Wow!”. Sie war sichtlich überrascht. “Ja, so ist das eben. Findest du das schlimm? Hätte ich nichts sagen sollen? Entschuldige, ich wollte dich nicht überrumpeln oder verletzen”. “Na ja, so ein hübscher Junge wie du hat sich noch nie für mich interessiert”, meinte Kathi lächelnd. Keith begann sie zu küssen. Zuerst etwas zärtlich, aber dann immer wilder. Er hatte mittlerweile seine Hände auf ihren Po gelegt und sie ihre Arme um seinen Hals. Ihre Zungen berührten sich wieder und wieder. Irgendwann saß Keith auf einem der Fahrradständer und Kathi auf seinem Schoß. Beide fummelten aneinander herum, bis Maurice kam.
“Was macht ihr denn da? Kathi!”, rief dieser entsetzt. Ehe Katharina etwas sagen konnte, funkte ihr Keith dazwischen: “Erinnerst du dich, wie ich dir sagte, dass ich dir noch beweisen werde, dass alle Weiber gleich sind? Da hast du es. Ich musste deiner ach so tollen Freundin nur sagen, dass sie süß ist und schon hatte ich sie”. Verdattert sah Maurice abwechselnd zu seiner halbnackten Freundin und zu seinem besten Freund. “Wie jetzt? Das hast du nur gesagt, damit du mich für deine Machenschaften ausnutzen kannst?”, fragte Kathi. Keith stieß sie weg und stand auf. Dann sagte er: “Du Blondchen bist so naiv! Du lässt dich doch von jedem einlullen, vielleicht hatte Philipp ja Recht und du bist echt mit ihm in die Kiste gestiegen. Wobei, mit mir hättest du auch gefickt, daher bin ich überzeug davon, dass Phil die Wahrheit gesagt hat”. Beide sahen Keith an und weinend meinte Kathi: “Glaub ihm kein Wort! Er hat mich dazu gezwungen und will dich nur unglücklich machen!”. Keith packte Katharina hart und sah ihr eindringlich in die Augen. “Wie kannst du nur wagen, so etwas über mich zu behaupten? Ich kann wirklich nichts dafür, dass du eine Schlampe bist!”, schrie er sie an. Endlich sprach Maurice: “Er hat Recht, du bist wahrhaftig so wie alle Anderen! Und mit dir war ich fast fünf Jahre zusammen, das hätte ich echt nicht von dir gedacht. Es ist aus, du billiges Miststück!”. Kathi brach weinend zusammen, ihrem Exfreund ließ das kalt. “Heul nicht so rum, nächste Woche hast du eh wieder einen Anderen”, meinte Keith. “Du hast alles kaputt gemacht nur weil du selbst nichts auf die Reihe bekommst!”, schrie Katharina. “Pass auf was du sagst!”, brüllte K und sah ihr sehr streng in die Augen. Daraufhin ergriff sie bestürzt und noch immer weinend die Flucht.
“Tut mir leid, dass ich dir nicht geglaubt habe”, meinte Maurice und reichte ihm die Hand. “Kein Problem, ich öffne gern Freunden die Augen”, sagte Keith und schlug ein. Sein bester Freund rief: “Ich bin schon schwer enttäuscht von ihr, aber wenigstens weiß ich, was für eine fiese Schlange sie wirklich ist”. “Ja, es muss schwer sein, das einzusehen”, stand K ihm bei. Maurice nickte: “So ist es, ich habe viel Zeit in meinem Leben verschwendet. Ab jetzt werde ich genauso handeln wie du”. Keith freute sich wie die Axt im Wald und fragte: “Du bist mir aber nicht böse, oder?”. “Nein, nein! Wie kommst du darauf? Du wolltest mir nur die Augen öffnen und das hast du auch getan. Dafür danke ich dir mein bester Freund. Auf dich kann ich mich Voll und Ganz verlassen, das ist viel mehr wert als so ein dahergelaufenes Mädel”, antwortete Maurice. K schlug vor: “Na los, hauen wir ab. Auf Schule habe ich jetzt echt keinen Bock”. Zu zweit entfernten sich die Freunde vom Pausenhof.
Dawn hatte von dem Vorfall nichts mitbekommen, doch schon am nächsten Tag, merkte sie, dass etwas nicht stimmte. Keith war ungeheuer gemein zu ihr. “Ohh Keith, du bist eigentlich total nett und lieb! Dass ich nicht lache, solchen Stuss habe ich noch nie gehört!”, lachte er hinter ihr und sein bester Freund fragte ihn, wer das gesagt habe. “Sie sitzt genau vor mir, genial oder? Wie naiv die Leute doch sind!”, grölte K und auch Maurice riss darüber Witze: “Niemand ist so dumm und glaubt, dass du ein anderer Mensch bist. Ich finde das schon ziemlich lustig”. “Trotzdem würde ich sie gerne mal flachlegen”, meinte Keith und sah sie von hinten an. Sie hatte sein Armband an, aber das interessierte ihn gerade überhaupt nicht. Dawn, die das alles mit anhören musste, fühlte sich benutzt. Sie dachte an dem Abend nach, an dem sie mit dem miesen Jungen unter vier Augen sprach und selbst die Abschlussfahrt war nach wie vor in ihrem Kopf. Habe ich mich etwa so sehr in ihn getäuscht? Hat er mir nur alles vorgespielt um mich abzuschleppen? Wie kann man nur so sein? fragte sich das hübsche Mädchen. “Komm nicht auf die Idee, das wir über dich reden, Süße!”, sagte auf einmal Keith und berührte sie an die Schulter.
Sie schlug ihm die Hand weg und sagte: “Ich finde es toll, dass ihr mich zum Mittelpunkt eures Gespräches macht. Redet ruhig weiter”. Das darf doch nicht wahr sein, dachte sich Keith und verdrehte die Augen. “Schlagfertig bist du, ich frage mich woher du so eine große Klappe hast”, meinte Maurice. Dawn lachte und rief: “Das kommt davon, wenn man Geschwister hat. Und stell dir mal vor: Ich habe nicht nur eine große Klappe, sondern auch etwas dahinter”. Dieses Mal waren beide Jungs baff und verärgert. “Du bist schon so ein Weib”, meinte Keith und stieß einen Seufzer aus. “Was bin ich denn für Eins?”, wollte Dawn wissen. K antwortete: “Ein ziemlich nerviges und dumm finde ich dich noch dazu”. “Dann frage ich mich allerdings, warum du das erst jetzt sagst”. Das hatte gesessen, der junge Mann schlug mit den Fäusten auf den Tisch und wurde fuchsteufelswild. “Ich klatsch dir gleich eine!”, drohte er. Dawn ließ sich davon nicht beängstigen und meinte: “Feini und dann? Denkst du, dass ich dann ruhig bin? Bestimmt nicht und eine Anzeige bekommst du dann auch”. “Du nervst!”, schrie Keith. Das Mädchen blieb weiterhin ruhig und sagte:” Ach mach ich das? Das ist aber schön”. Die anderen aus der Klasse schwiegen und sahen gespannt dem Gespräch zu. “Süß, wenn ich dich erst einmal ins Bett bekommen habe, dann bist du ruhig”, rief K cool. “Zu dumm, dass ich nicht freiwillig mit dir in die Kiste steige und du willst ja nicht als Vergewaltiger dastehen, oder?”, entgegnete Dawn gelassen. Mit diesen Worten hatte sie ihn vor versammelter Mannschaft bloßgestellt. Keith wäre ihr am Liebsten an die Gurgel gegangen, stattdessen sagte er voller Wut: “Es reicht! Ich warne dich nur einmal: Ich weiß genau wo du wohnst und es kann sein, dass ich mal in deinem Garten lauere und dann bist du dran!”. “Wir sehen uns ja dann, nicht wahr?”, fauchte Dawn.
“Schluss jetzt!”, hörten alle auf einmal Herr Müller sagen, der das Klassenzimmer betreten hatte. Allen gingen zurück auf ihre Plätze und sahen zum Lehrerpult. Der Lehrer bekam nicht mit, was sich zuvor abgespielt hatte. Er wollte einfach nur seinen Unterricht machen, zu mal dieser auch ungeheuer wichtig für die Prüfungen war, die schon in einem halben Jahr stattfanden.
Dawn dachte sich nichts dabei, als Keith sagte, er werde zu ihr kommen und ihr etwas antun. Immerhin war es Mitte Januar und zwei Wochen waren bereits vergangen, als ihr größter Widersacher ihr damit gedroht hatte. Dieser war in der untergehenden Sonne auf dem Weg zu ihr. Er wollte Taten sprechen lassen und sie verprügeln. Im Kopf ging Keith schon alles durch und stand im Garten ihres Hauses.
Danach ging er vor die Haustür und klingelte. Ihre Mutter ging an die Tür und sah ihn fragend an. “Hallo, ist Dawn zu Hause? Sie wollte mit mir in die Stadt gehen”, fragte Keith leicht verunsichert. Er musste an Katja denken, diesen Gedanken vertrieb er jedoch, als Frau Wendel sagte: “Einen Moment, geh doch in den Garten. Sie wird gleich da sein”. Ihre Mutter hatte keine Ahnung, wen sie da vor sich hatte. Während Keith zurückging musste er sich das Lachen verkneifen.
Als er Schritte wahrnahm, sagte er: “Ich habe dir ein Versprechen gegeben und das möchte ich hiermit einlösen. Guten Abend auch, Süße!”. “Ich fass es nicht! Du weißt echt wo ich wohne und du bist auch noch hierhin gekommen”, meinte Dawn kühl. Schon wieder strahlte das Mädchen Ruhe aus, was Keith gar nicht gefiel. “Wie kannst du nur immer so gechillt bleiben?”, fragte er. Sie antwortete: “Das ist gar nicht schwer, solche Player wie dich gibt’s schließlich an jeder Straßenecke”. “Wie bitte?”, wollte er als Nächstes wissen. Dawn sah ihm in die Augen und wich aus: “Du bist nicht der, der du sein willst. Diese impulsive Art passt kein bisschen zu dir, ich frage mich wirklich, was passieren musste, dass du so voller Wut bist”. Dieses Mal unterdrückte Keith den Zorn, er musste sich nicht einmal anstrengen, denn diese Worte hatten ihn getroffen.
Er stand direkt vor ihr und sank zu Boden. Dabei fielen ihm seine Geldbörse und sein Schlüssel aus den Hosentaschen, das jedoch bemerkte niemand der beiden. “Du weißt gar nichts über mich, du hast keine Ahnung was ich durchmachen musste!”, meinte Keith gefangen zwischen Wut und Trauer. Dawn sah ihm in die Augen und erkannte Schmerz, sehr großen Schmerz. Ihr tat es schon leid, dass sie so mit ihm redete, trotzdem gab sie nicht nach. “Mag vielleicht sein, aber das gibt dir noch lange nicht das Recht so ein Mensch zu sein”, sagte das Mädchen und traf ihren Gesprächspartner damit schwer. Keith sah sie an und sein Blick ging schließlich zum Armband. Der junge Mann sank den Kopf noch mehr und wurde unruhig.
“Ich werde diesen Tag nie vergessen, an dem sie starb. Da war ich gerade mal elf”, fing er schließlich an. Dawn konnte nicht glauben, dass er anfing zu reden. Sie fragte: “An … an dem wer starb?”. “Meine Mutter. Sie war eine bildhübsche Frau und so zärtlich. Keiner kann diesen Schmerz nachempfinden, außer man steckt genau in derselben Situation”, antwortete Keith und starrte auf das Gras. Er hob erst seinen Blick, als er merkte, dass sie ihn umarmte. “Das tut mir so leid für dich”, meinte Dawn traurig und er fügte hinzu: “Mein Vater hat … hat sie erschlagen”. Betroffen ging das Mädchen zurück sagte: “Er hat sie vor sieben Jahren ermordet, aber warum das denn?”. “Sie hatte ihn verlassen und … und er wollte mich bei sich haben, aber Katja ließ das nicht zu”, antwortete Keith traurig. Sie sah ihm in die Augen und erkannte im Geiste der Dämmerung, dass diese Tränen beinhalteten. Darüber sprach sie kein Wort, lieber wollte Dawn ihn darzubringen, noch mehr zu reden. “Es muss sehr schlimm gewesen sein, mit elf Jahren keine Mutter mehr zu haben”, sagte sie. Keith rief: “Für mich war das die Hölle”.
Schließlich lehnten sie sich an einem Baum und sahen zur Sonne, die am Untergehen war. “Ich habe so etwas zwar noch nie mitgemacht, aber dennoch kann ich mir vorstellen, wie schmerzhaft das ist”, flüsterte Dawn leise. “Das kann ich gar nicht so richtig beschreiben, für mich ist es das grausamste Erlebnis, was ich je hatte”, widersprach Keith mit brechender Stimme. “Du willst doch damit nicht sagen, dass du die Tat mit ansehen musstest oder?”, fragte Dawn. Wieder starrte Keith auf den Boden und konnte somit nicht sehen, dass der Blick des Mädchens auf ihn lag. “Doch. Roland wollte mit Katja reden und daraus - wie man es nicht anders erwarten kann, wenn man meinen Vater kennt - entwickelte sich ein heftiger Streit. Sie hatten im Kühlraum seiner Metzgerei diskutiert und dann hatte er sie mit einer Fleischkeule … du weißt schon. Er hat sie damit brutal erschlagen. Ich werde nie vergessen, wie meine Mutter da lag und mein Vater ihr die Pulsadern aufschnitt. Damit nicht genug hatte sie die Augen weit aufgerissen. Anstatt sich der Polizei zu stellen, zerstückelte Roland Katja und verkaufte sie an den verschiedensten Orten Deutschlands. Danach meldete er sie als vermisst an und tat so, als ob er der beste Vater der Welt sei und mich zwang er zu schweigen. Die Polizisten glaubten ihm und so musste ich bei ihm wohnen bis ich endlich erwachsen genug war, um eine eigene Wohnung zu haben und damit auf eigenen Beinen zu stehen”, antwortete Keith und obwohl er nicht wollte, kullerte ihm eine Träne die Wange hinunter. Sanft strich Dawn diese weg und legte ihre rechte Hand auf die besagte Wange. Dann sagte sie aufgelöst: “Grausam, es musste grausam für dich gewesen sein das mit anzusehen. Nein, das hat niemand verdient, nicht einmal du”. “Und warum ist es dann trotzdem passiert?”, fragte Keith leise und strich ihr über die Hand. Dawn sah ihm in die Augen und meinte: “Das kann ich dir auch nicht genau sagen, aber weißt du, es passieren viele Dinge im Leben, die man nicht beeinflussen kann und das gehört leider dazu”. “
Ja … danke”, stotterte Keith und als sie ihn fragend ansah, fuhr er fort: “Bis jetzt habe ich das niemanden erzählt und es hat sich auch niemand für mich so richtig interessiert. Du kannst ziemlich gut zuhören”. Seine harte Schale hatte mächtige Risse bekommen, daher stand er auf und meinte: “Das tat echt gut mit dir darüber zu reden, vielen Dank. Aber ich denke, ich sollte jetzt gehen, deine … Mutter wird sich vielleicht schon Sorgen machen, wenn du so lange wegbleibst”. Sie nickte und begleitete ihm bis an die Eingangstür. “Machs gut und wenn etwas ist, kannst du gerne immer zu mir kommen”, verabschiedete sich Dawn und Keith nickte sie etwas gequält an.
Als Keith vor seiner Wohnung stand, bemerkte er, dass er seinen Geldbeutel und seine Schlüssel nicht mehr bei sich trug. Glücklicherweise hatte er einen zweiten Schlüssel in einem Blumentopf vergraben, der vor seiner Wohnungstür stand. Auch das noch, dachte er sich, als er sich in sein Bett legte, jetzt habe ich das wichtige Zeug verloren. Erst jetzt realisierte Keith, dass er Dawn, das Mädchen, dass er eigentlich hasste, einen Bruchteil seiner Vergangenheit erzählt hatte. Ihm war nicht wohl dabei. Er fragte sich, warum er das getan hatte, bestimmt würde es ganz schnell die gesamte Schule wissen und über ihn lachen. Sein Ruf als Schläger und Player wäre verloren und niemand hätte mehr Respekt vor ihm.
Daher beschloss er, eine Woche nicht in die Schule zu gehen. Er hatte Angst, dass es bereits die ganze Klasse wusste und er ausgelacht werden würde. Denn das gehörte auch zu seiner Rolle als Chef dazu: Kalt sein und nicht über die Vergangenheit reden. K hasste es, Gefühle zu zeigen und dennoch hatte er es getan. Seltsamerweise hatte er sich dabei ziemlich gut und befreit gefühlt.
Dawn dagegen machte sich große Sorgen um ihn. Jeden Tag der Woche blieb der Platz von Keith leer. Sie vermisste ihn und konnte nicht aufhören, an ihn zu denken. Nicht einmal im Training war der Kendobegeisterte Klassenkamerad erschienen und so musste Dawn alleine trainieren. Das fand sie sehr schade, denn auch dort war Keith anders. Sie hatte sogar Gefallen an seine zwei verschiedenen Seiten gefunden. Dennoch zeigte sie das nicht, dafür kannte sie ihn zu schlecht.
Keith dagegen hatte ungeheure Sehnsucht nach Dawn. Er rechnete ihr sehr hoch an, dass sie eine Woche zuvor so viel Verständnis für ihn zeigte. Das Mädchen klang dabei weder genervt noch so, als ob es seine Vergangenheit ins Lächerliche zog. Denn der junge Mann mit den schwarzen Haaren und roten Strähnen kannte niemanden, der so wie Dawn war. Zumal ihn immer wieder ihre ruhige Art faszinierte. Wo bist du? fragte er sich im Gedanken. Er wollte, dass sie bei ihm war. Mittlerweile brauchte er jemanden, mit dem er über solche Dinge reden konnte. Bei dem er seine weiche Seite zeigen konnte. So viele Gedanken schossen ihm durch den Kopf, er wollte sie wieder sehen, jetzt. Sofort. Egal wo, das Wichtigste war ihm, dass es Dawn war.
Betrübt sah Keith sich um und hätte fast laut geschrien, als er sah, dass Dawn vor ihm stand. Das darf nicht wahr sein, dachte er sich. Zuerst dachte er, dass er sich einbilde, dass sie da war. “Nett hast du es hier”, hörte er sie sagen und da realisierte er, dass das keine Einbildung, sondern pure Realität war. Überrascht sah Keith das Mädchen an. “Was … was machst du denn hier? Woher weißt du überhaupt wo ich wohne und wie bist du hier reingekommen?”, fragte er völlig durcheinander. Sie setzte sich auf die Seite seines Sofas und antwortete: “Naja, als du mir letztens über deine Vergangenheit etwas erzählest, hattest du deinen Geldbeutel und deine Schlüssel in meinem Garten verloren. Ich habe das gar nicht bemerkt, meine Mutter hat mir das Zeug gegeben. Eigentlich hatte ich gar nicht vor, dir das vorbei zu bringen, weil ich dachte, dass du am nächsten Tag in die Schule kommst. Damit lag ich ja gänzlich falsch und jetzt bin ich hier, um dir das zu bringen. Zum Glück war dein Personalausweis in deinem Geldbeutel, sonst hätte ich wohl kaum gewusst, wo du wohnst und Maurice wollte ich das auch nicht geben, schließlich wäre dir das vielleicht peinlich gewesen”. Was für ein toller Zufall, dachte sich Keith.
“Dankeschön, aber sag mal, wie haben die anderen darauf reagiert?”, wollte er wissen. Fragend wurde er angesehen, Keith harkte genauer nach: “Ich meine das, was ich dir erzählte”. “ Wie sollen sie etwas dazu gesagt haben, wenn sie das nicht einmal wissen? Glaubst du wirklich, dass ich das weitererzählt habe? Deswegen gab ich das Zeug ja auch nicht deinem besten Freund”, entgegnete Dawn. Keith strahlte sie an und sagte: “Du hast es also nicht weitergesagt? Gut, danke. Das sollte nämlich eigentlich niemand wissen”. “Ich weiß, worüber ich schweigen sollte und worüber nicht. Weißt du das denn auch?”, entgegnete das Mädchen. Er wusste, was sie meinte und dachte nach. “Nein”, gab er ehrlich zu und sprach weiter: “mein Vater sagte zu mir, wenn ich den Mord auch nur irgendjemanden sagen würde, dann würde er dafür sorgen, dass ich noch härtere Strafen bekäme. Ja, du vermutest richtig: Er schlug gerne zu. Wenn ihm etwas nicht passte, dann prügelte er auf mich ein. Ich habe viele Narben und Blessuren davon und trage deswegen auch nur langärmlige Kleidung. Und das Schwarz ist eine Erinnerung an meine Vergangenheit, die mich wie mein eigener Schatten verfolgt und dieser ist ja auch schwarz”. “Er hat dich unterdrückt?”, fragte sie und er nickte. “Ich fange langsam aber sicher an zu verstehen”, murmelte Dawn vor sich hin. “Hast du etwas gesagt?”, fragte Keith und sie schüttelte mit dem Kopf. Nebenbei sagte das Mädchen: “Ist nicht so wichtig, bist du deswegen nicht in die Schule gegangen, weil du dachtest, dass ich das weitersage?”. Beschämt meinte Keith: “Ja, ich habe schließlich einen Ruf zu verlieren”. Dawn sank den Kopf und wurde gefragt was los sei. “Das passt einfach nicht zu dir”, sagte sie nur und traf ihn mit diesem kurzen Satz sehr. Als er sie wortlos anstarrte, meinte das Mädchen: “Du, es wird Zeit für mich zu gehen, morgen schreiben wir doch eine Mathematikklausur und ich kann überhaupt nichts”. Sie wollte schon gehen, doch Keith hielt sie am Arm fest. Nicht brutal, sondern sanft. “Bleib bitte noch”, bat er und sie tat es.
“Sag mal, willst du vielleicht etwas zu trinken oder essen?”, fragte Keith und wechselte geschickt das Thema. Dawn antwortete: “Wenn es dir keine Umstände machen würde, hätte ich gerne das Erstere. Was hast du denn alles da?”. Keith stand auf und führte sie in seine Küche. “Weißt du was mir aufgefallen ist? Du bist ein sehr ordentlicher Mensch”, lobte das hübsche Mädchen und bekam ein Glas Cola. “Bedank dich bei meinem Vater. Wobei das schwierig werden könnte, ich habe keine Ahnung was er gerade macht. Ich weiß nicht einmal, ob er noch lebt und möchte es auch nicht wissen”, meinte Keith nur kühl. Plötzlich lag wieder diese gewisse Kälte um ihn. Dawn hatte damit gerechnet, dass er sie hochkantig aus seiner Wohnung warf, aber das tat er nicht. Daher gönnte sie sich einen Schluck Cola. “Wenn du schon einmal hier bist, dann zeige ich dir auch gleich die restlichen Zimmer”, sagte Keith und Dawn hegte einen Verdacht. Aha, dachte sie, er will mich rumkriegen. Gefasst ging sie hinter ihm her und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Keith hatte wirklich Talent für das Gestalten von Räumen. Als sie schließlich in seinem Schlafzimmer standen, das mit den Farben gelb, orange und rot gestaltet war, meinte Keith: “Das war’s, mehr hat meine kleine Hütte nicht zu bieten”. Dawn war baff, denn sie hatte geglaubt, dass ihr eigentlicher Widersacher einen dummen Spruch abließ. Konnte man sie wirklich noch als Feinde bezeichnen?
Sie sah auf ihre Uhr. Es war schon fast Mitternacht durch. Wie schnell die Zeit doch verging! “Du, ich glaube, ich sollte jetzt echt mal nach Hause gehen. Ist schon ziemlich spät. Die Schule ruft und schließlich auch der Schlaf”. “Schlaf doch hier, deine Schulsachen kannst du morgen früh holen, ich fahr dich auch”, bot Keith ihr an. Dawn war noch immer ziemlich erstaunt, dass sie mit so einem Schläger normal reden konnte. Skeptisch sagte sie: “Meinst du echt? Ich wollte mir eigentlich noch die Aufgaben anschauen, denn ich verstehe das kaum”. “Natürlich und das mit Mathe ist auch kein Problem, das kann ich dir erklären”, meinte Keith. Das Mädchen willigte ein und so fingen sie an gemeinsam zu lernen.
Das Lernen beanspruchte die halbe Nacht. Beiden hatte es großen Spaß gemacht, auch wenn sie es dem Anderen nicht zeigten. Um kurz vor drei Uhr war es geschafft: Dawn hatte mit der Hilfe von Keith den Mathematikstoff verstanden. Und wie sie das tat! Das Mädchen ist in den wenigen Stunden viel sicherer geworden und war ihrem Klassenkameraden sehr dankbar.
“Kannst du mir bitte eine dickere Decke bringen?”, fragte Dawn, als sie mit Keith auf dem Sofa saß. Verständnislos sah er sie im fahlen Mondlicht an. Stammelnd meinte seine Besucherin: “Wenn ich hier schlafen soll, brauche ich auch etwas dafür. Auf den Boden und ohne Wärme ist das schon etwas hart und kalt”. “Na ist doch sonneklar. Du schläfst auf meinem Bett mit der dicken Decke und ich auf den Sofa mit der dünneren Decke”, widersprach Keith und musste lachen. In der Dunkelheit bekam Dawn eine ungeheure Röte im Gesicht, die der junge Mann zum Glück nicht sehen konnte. Völlig erstaunt sagte das Mädchen: “Danke, das ist echt nett! Dann gehe ich mal schlafen, so ganz müde will ich dann doch nicht in den Unterricht in fünf Stunden sein”. “Mach’s gut. Ich wecke dich um halb sieben, wenn es dir passt. Ach ja, wenn du etwas zum Schlafen brauchst, dann bedien dich einfach bei meinem Kleiderschrank”, meinte Keith und Dawn sah ihn im schwachen Licht lächeln. “Ähm, danke! Du bist echt nett! Gute Nacht”, verabschiedete sich das Mädchen endgültig.
In seinem Schlafzimmer angekommen, sah sich Dawn sofort um. Immer wieder lobte sie Keith innerlich in den höchsten Tönen. Du kannst also auch dauerhaft anders sein, schoss es ihr durch den Kopf. Sie legte sich auf sein Bett und kuschelte sich in die wärmende orangenfarbene Decke, die etwas nach ihm roch. Dawn dachte, dass sie im Himmel wäre! Der Geruch von Waschpulver und Lotus stieg ihr in die Nase. Moment mal! Lotus?! Was wollte Keith denn mit so einer zarten Blume? Ach egal, dachte Dawn müde und schlief bald darauf zufrieden ein.
Währenddessen lag Keith entspannt auf seinem Sofa, auch wenn entspannt das falsche Wort war. Und zwar gänzlich! Unruhig und im Halbschlaf drehte er sich immer wieder hin und her. Dies lag nicht daran, dass er nicht auf seinem Bett schlief. Es lag wohl eher daran, dass Dawn nur zwei Zimmer von ihm entfernt war. Nein, so konnte er nie und nimmer seinen verdienten Schlaf bekommen. Daher beschloss Keith, nach ihr zu sehen. Irgendwie machte er sich Sorgen um das Mädchen.
Leise stand er etwas schlaftrunken auf und tapste den längeren Gang entlang zur hintersten Tür. Ebenso ruhig öffnete er diese. Der junge Mann sah wahrhaftig ein Märchen vor sich. Ein wunderschönes Mädchen lag mit geschlossenen Augen auf ein großes Bett und hatte sich an eine wärmende Decke gekuschelt. Noch immer spendete der Vollmond ein wenig Licht und genau das machte es so schön.
Wie ruhig sie schläft, dachte er sich und musste schwer schlucken. Er erinnerte sich an seinen Schlafrhythmus, der sehr unruhig war. Fast hätte Keith laut aufgeschrien, doch im letzten Moment konnte er sich besinnen, schließlich wollte er auf keinen Fall seinen Gast wecken. Er beobachtete das Mädchen weiterhin, das auf der anderen Seite seines Bettes lag und setzte sich neben das Bett. Seinen Kopf legte er sanft auf den weichen Bettbezug. Solche Minuten liebe ich, dachte sich Keith und musste lächeln. Leider setzte allmählich die morgendlich Dämmerung ein und so bereitete der junge Mann das Frühstück vor, welches er seiner Klassenkameradin versprochen hatte.
Keine halbe Stunde später kam auch schon Dawn in die Küche, die sich sichtlich müde die Augen rieb. Verwirrt starrte sie Keith an, der sich schon fertig gemacht hatte und auf sie wartete. “Guten Morgen”, sagte er und grinste verschmilzt. Das Mädchen meinte: “Morgen”. Dann sah es sich um. Allmählich realisierte es, wie nett ihr Klassenkamerad auch an diesem Tag war. “Das schaut echt lecker aus, danke”, fuhr Dawn fort und fing an, sich ein Nutellabrot zu schmieren. Nebenbei wurde ihr Tee eingeschenkt. “Ist doch in Ordnung, oder? Also ich trinke das immer in der Früh”, hörte sie Keith etwas unsicher sagen. Sie nickte und meinte: “Vielen Dank, du bist ein Schatz”.
Im nächsten Moment biss sich Dawn auf die Zunge. Oh mein Gott, was habe ich da eben gesagt?! Was denkt er denn jetzt von mir? In ihrem Kopf gab es eine Reihe von Reaktionen, aber mit dieser Aussage hätte das Mädchen nie und nimmer gerechnet: “Ach was. Ist das nicht eigentlich eine Selbstverständlichkeit?”. Sie spürte die Funken in ihrem Herzen nur so sprühen und doch konnte Dawn eine derbe Gefühlsexplosion verhindern. Schließlich sah sie auf ihre Uhr und war der Zeit ziemlich dankbar. Es war an der Zeit, die Sachen zu packen und zu ihrem Haus zu fahren.
Zusammen gingen sie zu seinem Auto und Dawn bewunderte den feinstlackierten schwarzen Lack. Keith ging zur Beifahrertür und hielt dem Mädchen die Tür auf. “Darf ich bitten?”, fragte er lächelnd und seine Klassenkameradin antwortete sichtlich gut gelaunt: “Darfst du”. Danach stieg sie ein. Kurz nach sieben Uhr fuhren sie los. “Ist ja doch eine etwas längere Strecke zu dir”, meinte Keith und bog mit seinem Wagen links ab. “Ja, aber wir sind jetzt da. Bis gleich”, sagte Dawn und verschwand in ihrem Haus.
Fünf Minuten später kam sie mit ihrer gepackten Schultasche und einem neuen Outfit wieder. “Jetzt ab in die Schule”, meinte Keith mit einem belehrenden Ton und beide mussten lachen. Wieder hielt er Dawn die Wagentür auf, was dieser natürlich sehr gefiel. Daher war die Fahrt schon recht gemütlich, vor allem weil selbst Keith dieses Mal die Ruhe selbst war und gerne schwieg.
Zusammen betraten sie das Klassenzimmer. Keith ließ dem Mädchen sogar den Vortritt. Durch den Raum hallte mal wieder Staunen. “Morgen”, meinte der junge Mann und setzte sich auf seinem Platz. “Guten Tag”, sagte Dawn und saß vor Keith. “Sag mal, seit wann geht ihr so friedvoll miteinander um?”, fragte sofort Stefanie. Ihre Banknachbarin ging darauf nicht ein: “Kannst du überhaupt Mathe?”. Diese Frage lenkte gut ab, denn Steffi antwortete: “Es geht schon und wie schaut es bei dir aus?”. “Nachdem ich eine ganze Weile mit leerem Kopf da saß, konnte ich die Übungen allesamt ohne Schwierigkeiten”, sagte Dawn. “War klar”, kicherte Stefanie.
Auch Keith wurde mit Fragen bombardiert. “Scheint so, als ob du sie flachgelegt hättest, aber findest du es nicht etwas übertrieben, gemeinsam mit Tusnelda in die Schule zu gehen?”, fragte Maurice. K verdrehte die Augen. Wenn du wüsstest, dachte er sich und sagte stattdessen: “Das bleibt mein kleines Geheimnis”. Für seinen besten Freund war dies eine klare Zustimmung.
In der Pause war es am Schlimmsten. Dawn und Keith gingen jeweils zu ihren Freunden, die es sich nicht nehmen ließen, sie auszufragen. Beide waren sehr schnell genervt und blockten ab. “Nun sag doch mal, was läuft denn da nun mit dir und unserem Schulschläger?”, harkte Karina noch immer nach. Dawn meinte: “Was soll schon zwischen uns sein?”. “Zwischen euch sprüht ein Funke nach dem anderen!”, entschied Johanna. “Oh bitte, das ist so was von absurd! Könnt ihr nicht einfach damit aufhören?”, rief Dawn genervt und verdrehte weiterhin die Augen.
Bei Keith waren die Fragen dagegen gewagter. “Wie ist unsere Chillerin denn so im Bett?”, fragte Joshua. K dachte, dass er nicht richtig höre! Was dachten die anderen von ihnen, nur weil sie gemeinsam das Klassenzimmer betraten hatten? “Nervt mich nicht mit euren überflüssigen Fragen, sonst gibt’s eine aufs Maul!”, drohte Keith brüllend. Seine Freunde unterwarfen sich ihm aus purer Angst und ließen ihn mit solchen Fragen in Ruhe. Aufgrund dieser Sprüche gingen sich die beiden gänzlich aus dem Weg. Dennoch sahen sie sich ab und zu an.
An diesem Abend fand jedoch wieder ein Rennen statt. Keith war nach wie vor die Nummer Eins. Toni kommentierte das Geschehen: “Kay ist jetzt im Wald und kurz davor, die Straßen unsicher zu machen”. Die Menge im Parkplatz jubelte wie immer und wartete auf die anderen vier Starter. “Da kommen endlich Luc, Jim, Patrick und Sebastian, das wird ein harter Kampf um die besseren Plätze”, kam es aus den Lautsprecher. Gespannt sahen sie dem Geschehen zu, doch dann passierte etwas, was niemand für möglich gehalten hat: Keith stürzte. Und wie er stürzte! Er war auf der Straße gelandet und doch nahm ihm dieser Sturz die Chance auf den Sieg. Geschockt sahen die Zuschauer, wie er sich auf sein Fahrzeug setzte und in eine völlig andere Richtung fuhr. Ihm verschlug es zu einer bestimmten Person.
“Sind Sie nicht ein Klassenkamerad von Dawn?”, fragte Frau Wendel, als sie den sichtlich verletzten Keith erblickte. Dieser lächelte gequält und antwortete: “Ja, ist Dawn da?”. Natürlich war sie das. Das Mädchen hatte gerade gelernt, als es hörte, wie Schritte immer näher kamen. Ein Klopfen ließ es endgültig wissen, dass jemand etwas von ihr wollte. “Herein”, sagte Dawn. Sie hörte eine Gestalt zaghaft zu ihr kommen. “Ah, verdammt! Mein Bein und meine Arme”, hörte sie Keith von Schmerzen geplagt sagen. Erschrocken drehte sie sich um und musterte ihren Klassenkameraden: Der neonrote Overall passte ihm nach wie vor hervorragend. Keith sah in Diesen himmlisch aus. Wenn er noch einmal so aufkreuzt, hat er mich sofort, dachte sich Dawn und starrte ihn voller Bewunderung an. Er stand einfach nur wie ein Model da. Sein volles Haar verwuschelt und die grünen Augen auf Dawn gerichtet. “Äh sorry, wenn ich hier einfach so reinkomme, aber deine Mutter hat mich reingelassen”, begann Keith etwas verstört. Ihm entging nicht, dass seine Klassenkameradin sein Outfit ziemlich sexy fand. Dawn antwortete nach einer halben Ewigkeit: “Hä, was… Verstehe. Du bist mal wieder so ein illegales Rennen gefahren und bist gestürzt. Und jetzt willst du dich hier pflegen lassen”. Ihre Stimme klang zum Schluss sehr gleichgültig, das traf Keith. “Bitte Dawn. Wenigstens eine Dusche und einen Verband”, bat der junge Mann. Dawn fand das ziemlich unhöflich und sagte säuerlich: “Ehm, findest du nicht, dass das etwas zu hochgesteckte Ziele sind? Du weißt genau, wie bescheuert ich diese Veranstaltungen finde”. “Ja, das weiß ich. Ich dachte, dass du so nett wärst und mir das gewährst. Die aus der Klasse müssen das ja nicht wissen und wenn dich der Scheiß so nervt, dann höre ich eben auf damit. Oder mache zumindest beim nächsten Rennen nicht mit”, argumentierte Keith. “Okay, abgemacht. Du pausierst im Februarrennen”, ging Dawn darauf ein.
“Danke. Hast du vielleicht auch Klamotten da, die ich mir ausleihen könnte?”, wollte er als Nächstes wissen. Das Mädchen ging zu ihrem Schrank und öffnete diesen. “Äh…”, fing Keith an, doch dann warf Dawn einige Kleidung auf den Stuhl, vor dem er stand. “Hier haste schon mal eine Auswahl zwischen den drei Boxershorts. Tut mir leid, wenn sie dir nicht gefallen, aber was Anderes hab ich grad nicht da und die müssten dir passen, da ich es daheim eher lässiger mag. Ein Hemd brauchst du nicht. Die anderen Klamotten passen dir nicht. Ich hätte sonst nur noch Kimonos, die mir zu groß sind, dir aber eigentlich passen müssten. Wenn dir nichts gefällt, dann frag meinen Vater nach Kleidung ”, sagte Dawn ohne mit einer Wimper zu zucken. Keith gaffte sie mit offenem Mund an und auch da gab das Mädchen keinerlei Regung von sich. Ihr Klassenkamerad entschied sich nach kurzem Überlegen für eine Boxershorts, die die Grundfarbe schwarz und rote japanische Zeichen hatte. Keith nahm wirklich einen Kimono von Dawn entgegen: den mit einem Kirschblütenmuster. Danach ging er duschen.
Keine halbe Stunde später war er wieder bei ihr. Als er in ihr Zimmer trat, musste Dawn schlucken. Denn auch in diesem Outfit gab Keith eine majestätische Figur ab. “Tschuldige, aber kannst du bitte meine Ellenbögen verbinden? Ich kann das ja schlecht, mit zwei halb geschroteten Armen”, meinte der junge Mann und Dawn wurde höllisch rot im Gesicht. Das macht er doch mit Absicht, dachte sie sich und holte schließlich einen Verbandskasten. “So, dann mal los”, sagte sie, als sie wieder zurück war, doch Keith hielt sie zurück. Sekundenspäter saß er vor ihr nur in Boxershorts. Wie muskulös doch sein Körper war! Dawn konnte nicht anders und starrte seinen Sixpack an. Ihr fielen aber auch die zahlreichen Narben und Blessuren auf, die seinen Körper zierten. Sie wurde davon sehr unruhig und konnte nicht den Blick von ihm nehmen. “Könntest du nun bitte…?“, fragte auf einmal Keith und lächelte sie an. “Ähm, ja klar”, antwortete das Mädchen stotternd. Was für ein Spiel spielt er? fragte sich Dawn und begann, seinen linken Arm zu desinfizieren und einen Verband um die heftigen Wunden zu wickeln. Während sie das machte, fiel ihr auf, wie gut er roch. Und Keith, der wusste, dass Dawn davon ungeheuer nervös wurde, hatte ein Grinsen auf den Lippen. Natürlich hatte er all das mit purer Absicht gemacht. Außerdem wollte er ihre Nähe, auch wenn er sich das nicht richtig eingestehen wollte. Er sah, wie zittrig Dawn zu Werke ging und musste sich das Lachen verkneifen. Was für ein cleverer Schachzug von mir, dachte er sich im Gedanken. Im nächsten Moment spürte er jedoch Schmerz. “Ehm… sorry”, stotterte Dawn völlig neben der Spur. Keith sah ihr in die Augen und sagte: “Halb so schlimm, Frau Doktorin Dawn Wendel”. Das Mädchen musste lachen und meinte: “Du Scherzkeks, halt lieber still, nicht dass dir dein rechter Arm auch noch wehtut”. Keith hörte auf seine Klassenkameradin und nach fünf Minuten hatte sie es geschafft.
“So, soll ich jetzt im Kimono nach Hause fahren?”, fragte Keith und Dawn musste erneut lachen. Fragend wurde sie angesehen, woraufhin sie meinte: “Ich stell mir grad vor, wie du so auf die Straße fährst”. “Da kann ich ja von Glück reden, dass es dunkel ist”, entgegnete Keith. Dann fuhr er fort: “Ich bring dir morgen die Sachen frisch gewaschen mit und vielen Dank”. “Schon gut, vergiss aber deinen … Overall nicht”, sagte Dawn und musste sich dabei ertappen, wie sie daran dachte, wie gut er doch darin aussah. Keith nickte und dann fuhr er los.
Am nächsten Tag kam er wirklich zurück. “Na?”, fragte er das Mädchen, das ihm die Tür öffnete. Verständnislos wurde er angestarrt. “Ich habe deine Sachen dabei. Die hast du mir doch Freitag ausgeliehen”, half Keith ihr auf die Sprünge. Dawn sah ihn überrascht an, denn sie hätte absolut nicht gedacht, dass er sein Wort hält. Daher meinte sie: “Oh, ja … Daran habe ich gar nicht mehr gedacht. Wie war es denn, im Kimono auf dem Motorrad zu fahren?”. Wieder lachte sie und setzte sich kurz mit ihm auf die Treppen, nachdem er ihr die Sachen übergab. “Mich hat niemand gesehen, war aber trotzdem sehr amüsant”, antwortete Keith und lehnte sich superlässig gegen das Gerüst. Wie gut er dabei ausschaut, schoss es Dawn durch den Kopf und musterte ihn: Er trug schwarze Jeans mit Ketten daran und eine Lederjacke, seine Schuhe dagegen waren bunte Chucks. Bei dem Wetter? fragte sich Dawn. Seine Haare waren total verwuschelt. Pure Absicht natürlich, doch daran dachte das Mädchen nicht einmal im Traum.
“Habe ich irgendetwas an mir oder warum starrst du mich immer wieder so an?”, fragte auf einmal Keith und Dawn spürte, dass ihr Herz einen Salto nach den anderen machte. “Jemand da?”, wollte ihr Klassenkamerad als Nächstes wissen und hielt seine rechte Hand auf ihre Stirn. Damit holte er Dawn aus ihren Gedankengängen zurück. Erschrocken stieß sie ihn von sich und entschuldigte sich daraufhin. “Ehm, tschuldige”, sagte sie und er meinte: “Ich hätte gerne eine Antwort auf meine Frage”. Sie sah ihn an und wollten wissen, auf welche Frage er gerne eine Antwort hätte. Keith wiederholte sie: “Warum starrst du mich immer wieder so an?”. Verdammt, dachte sich Dawn, er hat mir sie eiskalt noch einmal gestellt. “Äh … mir gefällt dein Style”, gab sie schließlich doch zu. Der junge Mann neben ihr lachte. Dann meinte er: “Ich werde aus euch Frauen nicht schlau”. Das Mädchen wollte sofort wissen, warum. “Ihr himmelt solche Typen wie mich immer an, immer. Dabei achtet ihr nur auf das Aussehen und Auftreten”, antwortete Keith sehr ehrlich. Dawn stand auf und sah ihn etwas wütend an. “Das ist gar nicht wahr! Zumindest bei mir nicht. Natürlich mustere ich meine Mitmenschen, aber deshalb sage ich noch lange nicht, ob die gut sind oder böse”, sagte sie etwas scharf. Ihr Gesprächspartner zog sie zu sich hinunter und Dawn landete genau neben ihn und berührte ihn dabei. Was soll das denn jetzt? fragte sie sich. Mit einem ironischen Lächeln auf den Lippen meinte Keith: “Das ist ja schön und gut, aber ich weiß ganz genau, dass du dich meinem Charme nicht mehr lange entziehen kannst”. “Welchen Charme denn? Bist du nur hier her gekommen, um mich mal wieder zu schikanieren oder um mir meine Sachen zu bringen, die ich dir trotz Allem geliehen habe?”, wollte Dawn kess wissen. Keith sah sie erstaunt an und flüsterte: “Natürlich nur um mich zu bedanken, Kleines”. Das Mädchen konnte kaum reagieren, da hatte Keith auch die letzte Distanz zwischen ihre Lippen lahmgelegt und gab ihr einen überstürzten Kuss. Ohne auf eine Reaktion von Dawn zu warten, machte er sich auf und davon.
Sie blieb allein zurück und hatte ihm hinterher gesehen. Das Mädchen fuhr sich mit ihren Fingern über die Lippen und spürte diese Hitze. “Keith White, was hast du nur vor?”, fragte es in die Nacht und sah den sternenklaren Himmel. Es war Vollmond. Er weiß also, dass ich mich für ihn interessiere, schoss es Dawn durch den Kopf. Warum musste ich mich auch in ihn verlieben? Ich sollte mich vielleicht wirklich von ihm distanzieren, wer weiß was dann noch alles passiert. Ich kann diesen Kerl einfach nicht vergessen, dachte Dawn, seine Anziehungskraft ist immens und wie er mit mir umgeht, oh man, was denke ich da nur? Er ist ein Player, Schläger und was weiß ich. Hätte er mir nie von seiner Vergangenheit erzählt, dann wäre mir sein Verhalten gleichgültig. Ach Herr White, was haben Sie da nur angerichtet?
Wer jetzt denkt, dass das Eis zwischen den beiden endgültig gebrochen ist, irrt sich da gewaltig. Selbst Anfang Februar gingen sich Dawn und Keith noch aus dem Weg. Sie dachten zwar viel über den Anderen nach, doch das war es auch schon. Keith stand wartend an den Fahrradständern. Er wollte sie sehen und mit ihr reden. Denn das konnte Dawn gut, wie Keith mittlerweile wusste. Gedankenverloren merkte er nicht, dass sein bester Freund sich neben ihm gestellt hatte. Dieser erinnerte sich an dem Tag, als Katharina ihn betrogen hatte. “Sag mal, warum schaust du so zum Eingang?”, wurde Keith auf einmal gefragt. Dieser erschrak und fühlte sich ertappt. Er meinte nur kurz und knapp: “Mir ist langweilig”.
Maurice sagte: “Ich würde an deiner Stelle aufpassen mit wem ich Zeit verbringe”. Fragend wurde er angesehen, woraufhin er fortfuhr: “Denkst du, ich habe noch nicht bemerkt, dass du eigentlich ganz gut mit ihr auskommst? Diese Dawn soll es faustdick hinter den Ohren haben. Vor den Lehrern tut sie so als ob sie lieb und vorbildlich wäre, dabei ist sie das ganz und gar nicht. Weißt du was sie einmal gemacht haben soll? Sie soll Geheimnisse ihrer angeblich besten Freunde auf Papier gedruckt und diese in der gesamten Stadt verteilt haben. So etwas geht gar nicht, zumal ihre Freunde dann total verarscht wurden”. Was für ein Vertrauensbruch, dachte sich Keith und im nächsten Augenblick schreckte er auf. Moment mal! Er hatte ihr ebenfalls Geheimnisse von sich erzählt, was ist, wenn sie nur so tut, als ob sie niemanden etwas sagte und es dennoch tat um ihn irgendwie bloßzustellen? “Sag mal, woher weißt du das überhaupt?”, wollte Keith geistesabwesend wissen. “Was ist denn mit dir auf einmal los?”, fragte Maurice und Keith antwortete: “Ich habe ihr angebliche Geheimnisse über mich erzählt um sie rumzukriegen, wenn die an die Öffentlichkeit geraten, bin ich im Arsch”. Ja, er hatte teilweise gelogen. Er wollte es sich nicht ansehen lassen, dass er wirklich bitter enttäuscht von dem hübschen Mädchen war. Selbstverständlich glaubte K seinem besten Freund. “So eine miese Bitch, die mach ich heut Nachmittag fertig!”, schwor Keith Maurice, der zufrieden den Himmel anlächelte. “Aber beantworte mir mal meine Frage. Woher weißt du das überhaupt?”, wiederholte K seine Frage erneut. Sein bester Freund antwortete: “Es gibt immer so gewisse Dinge, die herumerzählt werden und die man beiläufig aufschnappt”. “Komisch, dass ich davon noch nichts gehört habe”, meinte Keith. Maurice lachte und sagte: “Warum wohl? Die Leute haben Schiss vor dir”. Grinsend gab K ihm Recht und konnte sich folgende Worte nicht verkneifen: “Das stimmt, sonst würden sie nur eine Faust nach der anderen kassieren”. Dabei ballte Keith seine Fäuste, da er richtig wütend auf Dawn war.
Als ob das schon nicht genug wäre, sagte Maurice: “Bro, bitte pass auf dich auf”. Verwundert wurde er angesehen, woraufhin er meinte: “Ich habe mit ihr ein Gespräch gehabt. Sie ist noch gefährlicher”. Keith sah ihn mit großen Augen an und fragte: “Was? Um was es ging es?”. Sein bester Freund begann daraufhin zu reden: “Sie fragte mich, ob du ehrlich glauben würdest, dass du sie mit deiner Art beeindrucken könntest und sie darüber lache. Außerdem sagte sie, dass du gutgläubig seiest. Ich fragte sie, warum sie sich dann überhaupt mit dir abgibt und ihre Antwort war, dass sie eine Wette verloren hätte und so einen Typen wie dich verarschen sollte. Dann wurde sie richtig eingebildet. Sie meinte verachtend, sie gäbe sich bestimmt nicht ernsthaft mit so Jemanden wie dir ab und sie sei unerreichbar für dich, da sie solche Kerle wie dich verabscheue. Was ich persönlich mit am Krassesten finde ist die Aussage, dass sie noch nie so herablassend auf Jemanden wie dich geblickt hätte”. Keith konnte nicht glauben, was er da gehört hatte und konnte sich kaum erholen, da Maurice noch etwas sagte: “Da gibt es noch eine Sache. Sie sagte zum Schluss, dass sie es geliebt hätte, dir lächelnd in die Augen zu blicken und dich dabei eiskalt falsch anzustrahlen”. Als Keith das hörte, fühlte er sich mit einem Mal zutiefst verspottet.
Daher war er den ganzen Schultag über ziemlich mies drauf und das bekamen einige umherlaufende Schüler zu spüren. Keith musste sich anstrengen, um Dawn nicht schon in der Schule an die Gurgel zu gehen. Sie dagegen hatte nicht mitbekommen, was Maurice da über sie erzählt hatte und war überrascht, als er am späten Nachmittag vor ihrer Haustür stand.
“Was machst du denn hier?”, fragte sie und ihr Besucher fackelte nicht lange. Er zog sie brutal aus ihrem Haus hinaus und schloss die Tür, dann ging er mit ihr ans andere Ende des großen Gartens, der von Bäumen nur so wimmelte. “Was soll der Scheiß?”, fragte Keith fuchsteufelswild, das Mädchen hatte keine Ahnung wovon er sprach. “Was meinst du?”, antwortete es mit einer Gegenfrage. Er sagte: “Tu nicht so unwissend, ich habe dir verdammt viel von mir anvertraut und habe echt keine Lust, dass das bald die ganze Stadt weiß!”. Noch immer verstand Dawn nicht, was er wollte. “Entschuldige, aber ich sagte doch bereits, dass ich Geheimnisse nicht weitersage! Deine schon gar nicht”, meinte sie scharf, aber ruhig. “Achja? Mir wurde da etwas ganz anderes erzählt. Ich sage nur München und Freunde vor versammelter Mannschaft bloßstellen!”, fauchte Keith sie an. Dawn schüttelte mit dem Kopf und wollte wissen, wer das gesagt hatte. Statt zu antworteten, warf er ihr jede Menge Dinge an den Kopf: “Wie kannst du nur?! Ich dachte, dass man wenigstens dir etwas vertrauen kann! Du bist genauso wie der jämmerliche Rest!”. “Ich verrate keine Freunde und schon gar nicht solche wie dich”, meinte Dawn. Keith sagte: “Wer sagt, dass wir je Freunde waren? Wir sind keine Freunde, sondern Feinde!”. “So? Und warum hast du dich dann bei mir ausgeheult?”, fragte das Mädchen und entfachte damit noch mehr Wut in dem jungen Mann.
Dieser drückte sie gegen den Baum. Dann legte er seine rechte Hand fest um ihren Hals. Wollte er sie erwürgen? Dawn erschrak und bekam kaum Luft. Längst weinte sie und versuchte sich aus dem festen Griff zu befreien. Egal wie sehr sie versuchte, aus der brutalen Situation herauszukommen, Keith hielt spielend dagegen. Dadurch wurde er sogar noch aggressiver. “Hör … hör auf damit, ich … ah ich “, stammelte sie, doch in seiner blinden Wut bekam Keith überhaupt nicht mit, dass Dawn kaum Luft bekam. In seinem Kopf gab es nur Rache.
“Glaube mir doch!”, bat Dawn stockend und er sagte zutiefst von der Wut kontrolliert: “Niemals! Niemand verspottet mich vor versammelter Mannschaft, auch nicht du! Du kleines Miststück hast nur mit mir gespielt!”. Dawn sank lang langsam zu Boden und versuchte verzweifelt sich zu befreien. Immerhin hatte Keith seine Hand von ihrem Hals genommen und so bekam sie mehr Luft “Das ist nicht wahr”, sagte sie leise und hustend. Er beugte sich zu ihr und kam ihr bedrohlich nahe. Dann fragte Keith: “Warum sollte Maurice mir dann das erzählen?”. Sein Gesicht glich einer Bestie und auch wenn Dawn die pure Panik packte, antwortete sie: “Gegenfragen: Warum sollte ich so etwas Hinterhältiges machen? Wovon genau ist überhaupt die Rede? Warum schreie ich jetzt nicht, obwohl ich weiß, dass du voller Wut bist und mir immer wieder wehtust?”. “So läuft das nicht bei mir!”, brüllte er und zog sie mit einem kräftigen Ruck hoch. Zwar erschrak Dawn, doch bemühte sie sich Fassung zu bewahren und sagte: “Ich dachte, dass du mir vertraust”. “Ich und dir vertrauen? Du bist so naiv!”, schrie er sie an. Dann passierte etwas, womit Keith nie gerechnet hatte: Dawn erhob die Hand und gab ihm eine Ohrfeige. Eine ziemlich kräftige Ohrfeige, die natürlich sehr an seinem leicht verletzbaren Ego kratzte. Er ging aus der Sicht von Dawn nach links und hätte fast das Gleichgewicht verloren, doch Keith konnte sich gerade noch rechtzeitig fangen. “Du wagst es!”, brüllte Keith und packte Dawn hart an den Haaren. Sie sagte von Schmerzen geplagt: “Bitte lass mich los”. Als ihr Klassenkamerad nichts machte, trat das Mädchen dem jungen Mann in den Magen. Zusätzlich kratzte es ihm über die linke Wange. Und wie sie ihn gekratzt hatte! “Argh!”, machte Keith und fiel unsanft zu Boden. Dabei hielt er sich die besagte Gesichtshälfte. Als er das Blut auf seiner Hand sah, stand Dawn vor ihm und sagte weinend: “Tut mir leid, dass ich Karate an dir anwenden musste …”, doch sie wurde unterbrochen. Keith ließ sie heftig stolpern und Sekunden später landete Dawn im Gras. Sie konnte sich nicht erholen, da Keith sich auf ihre Hüften setzte und ihre Handgelenke brutal auf den Boden drückte. “Was … was hast du vor?”, fragte Dawn voller Angst. Dabei sah sie ihn an und bekam einen Schrecken: Auf seiner Wange hatten sich fünf heftige Blutstreifen gebildet. Noch immer sagte Keith nichts, er sah nur wütend auf sie herab.
Dann legte er beide Hände erneut um ihren Hals und drückte zu. Wieder versuchte Dawn ihn zu kratzen, doch Keith wich immer wieder aus und so griff sie wahllos in die Leere. Das Mädchen war nicht in der Lage sich richtig zu wehren, da es noch immer völlig von der Brutalität des jungen Mannes überrascht war. Dawn versuchte weinend zu schreien, doch das trieb die Wut von Keith weiter an. Als die ersten Tränen auf seine Haut trafen, ließ er endlich ab. Der junge Mann sah, dass sie Augen von dem Mädchen geschlossen waren. “Dawn?”, fragte er leise, doch sie rührte sich nicht. Er sagte erneut ihren Namen und stand auf. Sie blieb noch immer stumm. “Dawn!”, schrie Keith geschockt und schüttelte das Mädchen so fest er konnte. Keine Reaktion, er sah nur wie das Armband ins Gras fiel. Abwechselnd lag sein Blick auf Dawn und auf das Armband. Mit Tränen in den Augen sagte er: “Ich … ich habe sie getötet!”. Danach ergriff Keith zutiefst geschockt und verstört die Flucht
Nächster Tag in der Schule. Kaum betrat Keith das Klassenzimmer, ging sein Blick sofort zu dem Platz von Dawn. Dieser war leer. Er konnte sich nicht einmal ruhig hinsetzen, denn seine Klassenkameraden sahen ihn völlig erschrocken an. “Bro, was ist da denn passiert?“, fragte sofort Maurice mit einem Blick auf die linke Wange von Keith. Dieser strich sich abwesend über die Wunden und musste an den gestrigen Tag denken. Was ist, wenn ich sie nie wiedersehe? Was bin ich nur für ein Scheusal, dachte er sich und musste die Tränenflut, die ihn mit einem Mal überkam, unterdrücken. “Bro?”, fragte Maurice und der junge Mann erschrak. “Was ist?”, wollte K wissen und sein bester Freund sagte: “Ich dachte, dass ich eine Antwort auf meine Frage bekomme”. “Und ich dachte, dass es normal ist, wenn man sich mal verletzt”, konterte K. Damit war dieses Gespräch beendet.
Keith saß nämlich die ganze Zeit ungeduldig auf seinem Platz, denn er hatte unheimliche Angst, dass er Dawn wirklich umgebracht hatte. Was bin ich nur für ein Mensch, dachte er sich und musste immer wieder zur Tür starren. “Ey Bro, was ist los? Du bist so komisch”, sagte auf einmal Maurice neben ihm. Keith überlegte. Sollte er antworten oder nicht? Vielleicht hatte Dawn Recht gehabt und er hat das nur erfunden, ging es Keith durch den Kopf. Trotzdem antwortete er: “Ich bin nicht komisch, ich bin müde und mir ist hier langweilig”. Danach sagte sein bester Freund nichts mehr.
Keith war sogar schon so betroffen von dem gestrigen Abend, dass er aufstand und das Klassenzimmer verließ, oder besser gesagt: Er wollte es verlassen. An der Tür wäre er beinahe mit jemanden zusammengestoßen. Es war Dawn, die ihn zur Seite schob und sich zu ihrem Platz begab. Wie von einer Tarantel gestochen sah Keith ihr hinterher und merkte, wie unruhig er wieder war. Als er schließlich das Halstuch um ihren Hals sah, war er sichtlich erleichtert. Sie hat immer noch das Armband, dachte er sich mit einem Blick auf ihrer linken Hand und freute sich. Doch dann kam etwas Enttäuschung in ihm hoch, sie würdigte ihm keines Blickes. Ihm war auch klar warum und diese Ignoranz traf ihn. Er spürte das Gefühl der Reue.
Daher ging er in der Freistunde zu ihr, denn beide waren Atheisten. “Dawn”, sagte er und tippte ihr sanft auf die Schulter. Sie drehte sich nicht um und fragte: “Was?”. Ihre Stimme klang schon etwas zickig, aber auch traurig. “Ich muss mit dir reden, drehst du dich bitte um?”, fragte Keith vorsichtig. “Damit du mich wieder fast erwürgen kannst?”, meinte Dawn. Er ließ sie los und sagte: “Nein, tu es einfach. Bitte, ich ertrag das nicht”. Na gut, dachte sie sich und tat es. Mit einer gewissen Trauer sah sie ihm in die Augen. Verunsichert davon begann Keith zu reden: “Es tut mir leid, dass … dass ich dich gestern so angegriffen habe!”. “Wie kommst du darauf, dich bei mir von allein zu entschuldigen?”, fragte sie ihn. Mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet und so sagte er: “Na ja, das war gemein von mir, dir solche Sachen zu unterstellen”. Skeptisch sah sie ihn an und meinte: “Ich weiß nicht, ob ich dir das glauben kann”. “Wie jetzt?”, fragte Keith enttäuscht. “Glaubst du im allen Ernst, dass es mit einer Entschuldigung getan ist?”. Dann fuhr sie fort: “Weißt du was? Ich hätte nicht gedacht, dass du mich fast umbringst! Du hast großes Glück, dass ich zu diesen Zeitpunkt sturmfrei hatte und meine Eltern erst kurz vor Mitternacht kamen”.
Erstaunt sah Keith ihr in die Augen und fragte: “Warum um alles in der Welt hast du nicht gesagt, was vorgefallen ist?“. “Weil ich wissen will, was Maurice für Unsinn über mich erzählt hat und das ja schlecht ginge, wenn ich dich der Polizei ausgeliefert hätte. Außerdem … mag ich dich“, antwortete Dawn. Keith war völlig überrascht und fragte den Tränen nahe: “Wie, wie kannst du mich nur mögen?”. “Weil ich verdammt noch mal weiß, dass du ein ganz anderer Mensch bist!”, antwortete Dawn. “Können … können wir das nicht jetzt sofort woanders bereden?”, wollte Keith wissen. Sie sah ihn nur an, woraufhin er meinte: “Ich finde sonst keine Ruhe und du sicherlich auch nicht”. “Warum sollte ich mit dir mitgehen? Damit du mich töten kannst?”, fragte Dawn und traf ihn damit mitten ins Herz. Ihm wurde immer klarer was er da eigentlich getan hatte. Ehe Keith jedoch etwas sagen konnte, nahm sie ihr Halstuch vom Hals und sagte: “Siehst du das hier? Das habe ich dir zu verdanken, deinetwegen habe ich blaue Flecken!”, meinte Dawn. Und dann sah auch er, was er Dawn angetan hatte. Geschockt und beschämt nahm er sofort seinen Blick von dem Mädchen. “War … war das wirklich ich?”, fragte er stammelnd. “Natürlich, wer sonst macht so was?”, antwortete Dawn schnippisch. Diese eine Frage blieb an ihm hängen wie seine Vergangenheit. Lange und schweigend sah Keith sie an, ehe er sprach: “Und was kann ich machen, damit du mir verzeihst?”. “Dich ändern!”, rief das Mädchen. Er wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Als Dawn keine Antwort bekam, ging sie und sah ihn traurig an. Ein sehr enttäuschter Keith blieb zurück.
Die ganze Woche über sprachen die beiden Streithähne kein Wort miteinander. Dawn ging ihm aus dem Weg und er sah nicht ein, sich zu ändern. Wie sollte er das auch anstellen, wenn er nicht einmal wusste wie das ging? Die ganzen Jahre über war Keith nun so, er hatte nie ansatzweise daran gedacht, sich zu ändern und schon gar nicht für ein Mädchen.
Erst beim Training sahen sie sich wieder und selbst dort herrschte noch immer eisiges Schweigen zwischen ihnen. Er musterte das Mädchen stumm und wollte wissen, ob es das Armband noch immer trug oder nicht. Dummerweise sah er natürlich nichts, da sie beide ihre Rüstung anhatten. Am Liebsten hätte Keith sie direkt nach dem Armband gefragt, doch dann würde er sich komisch vorkommen. Er musste sich bemühen, sich zu konzentrieren. Daher Keith ging etwas sanfter zur Sache, was Dawn sehr gefiel. Sie musste aufpassen, sich nicht davon beirren zu lassen. Am Liebsten hätte sie schon längst mit dem jungen Mann ein Gespräch angefangen, doch dann würde es wohl ewig mit ihm so weitergehen und Keith würde denken, dass er noch immer das machen könne was er wolle. Genau das wollte Dawn nicht, sie wollte ihn ändern. Und das ging nur, wenn ihm klar werden würde, was für ein Mensch er eigentlich ist. Sie war sich nicht sicher, ob er das wusste. Eigentlich war ihr das auch egal, Keith war nun einmal so ein Mensch, bei dem man sehr hart durchgreifen musste. Er hatte eine eiskalte und eine warme Seite. Die Letztere kam nur selten zum Vorschein und jetzt war er so wie er nun mal war: Eiskalt. Er sagte nichts und half ihr nicht, wenn sie zu Boden fiel. Dawn fragte sich, wie man nur so sein kann, denn obwohl Keith nicht sprach, lächelte er ab und zu unter seiner harten Schale. Das fand das Mädchen ungeheuer süß. Am Liebsten würde es ihm gestehen, dass es sich in ihn verliebt hatte. Das ging jedoch auf keinen Fall, sie befanden sich auf halbem Kriegsfuß. Jeder für sich fand das schade, aber niemand wollte anfangen zu reden. Die meiste Zeit im Training ging Keith gleichgültig mit Dawn um. Er wollte, dass sie zu ihm angekrochen kam, aber das konnte er vergessen und genau das störte ihn. Auch der Trainer merkte das angespannte Verhältnis zwischen den Zweien und wunderte sich, dass sie überhaupt gemeinsam trainierten. Dafür ließ er die beiden früher gehen.
Im Laufe der Zeit, es war bereits Ende März, hatten sie sich noch immer nicht zusammengerauft. In der Schule wurde nicht mehr getuschelt, die Umstände zwischen dem Mädchen und Jungen ließen alle Gerüchte untergehen. Viele dachten nämlich, dass sie ein Paar seien oder sich zumindest mochten. Da hatten sie sich getäuscht. Das sahen die vierundzwanzig anderen Schülerinnen und Schüler daran, dass Dawn und Keith nicht miteinander sprachen und der junge Mann das Mädchen in Ruhe ließ. Er klopfte nicht einmal einen einzigen Spruch über sie. Dafür litt Keith zu sehr.
Der Tyrann hatte sich etwas eingestehen müssen, was ihm einen gewaltigen Strich durch die Rechnung machte: Er hatte tatsächlich angefangen, Dawn zu mögen. Umso schwerer traf ihn die Situation. Sie lachte und machte mit ihren Freunden einen Spaß nach den anderen und er? Er zog sich vom Unterrichtsgeschehen und seinen Kameraden zurück und verbrachte die meiste Zeit in der Schule allein. Selbst in seiner Freizeit war Keith nirgends zu sehen. So wie auch jetzt.
Eigentlich würde er jetzt mit Dawn trainieren, aber der junge Mann saß alleine in seiner Wohnung und stocherte mit Essstäbchen in Reis rum. Nebenbei sah er aus dem Fenster zur Sonne, die am Untergehen war. Wie gerne hätte er Dawn bei sich und würde mit ihr reden. Keine Person auf dieser Welt versteht mich so gut wie sie, dachte er und wurde traurig. Er erinnerte sich daran als sie zusammen die ganze Nacht durchlernten und schließlich an ihr Lachen. Sie hatte gelacht, sehr schön gelacht und es war vor allem so natürlich. Außerdem ist ihre Ruhe etwas auf ihn übergegangen, auch eine Sache, die Keith nicht so richtig verstehen konnte. Er war es gewohnt, ein Sprücheklopfer und Schläger zu sein. Niemand hatte ihn bis jetzt dazu gebracht, nachzudenken.
In ihm fand sogar schon eine gewisse Veränderung statt, davon bekam er jedoch nichts mit. Immerhin fühlte sich Keith nicht mehr ganz so stark wie vorher. Sein Selbstbewusstsein war ins Schwanken geraten, glücklicherweise bekam das niemand mit. Er ging kaum noch auf Partys und hatte das Gefühl des Hungers verloren. Selbst Mädchen baggerte Keith nicht mehr an, selbst für Flirts war er nicht mehr zu haben. Wenn ihn jemand ansprach, ging er wortlos weiter. Bekam er mal wieder einen Anruf von Verehrerinnen, drückte Keith diese weg. Zum größten Teil hatte er sogar die tausenden von Nummern gelöscht.
Wo bist du nur? fragte er sich im Gedanken. Warum habe ich nur angefangen dich zu mögen? Keith stellte das Essen weg und ging zum Fenster. Er sah die ersten Sterne, die ganz schwach leuchteten und das Orange der untergehenden Sonne. Keith kam zu dem Entschluss, dass er sich von Dawn distanzieren müsse und doch konnte er nicht aufhören an sie zu denken. Aus einem plötzlichen Impuls verließ er seine Wohnung.
Keith wollte Dawn sehen, sofort. Daher fuhr er fast bis ans andere Ende der Stadt und selbst das dauerte. Als er endlich vor ihrer Haustür stand, ging nur ihre Mutter ran und wusste nicht, wo ihre Tochter war. In dem jungen Mann stiegen leichte Tränen auf, er sagte, dass er sie heimbringen werde und rannte zu seinem Wagen. Keith wusste nicht, wo er anfangen sollte zu suchen und beschloss, die ganze Stadt zu erkunden. Ihm war klar, dass es Stunden, nein Tage, dauern würde, bis er ganz Hannover abgeklappert hatte, aber das war ihm egal. Er machte sich, warum auch immer, Sorgen um das hübsche Mädchen.
Dawn ahnte von all dem nichts. Sie war auf dem Weg nach Hause, nachdem sie das Training alleine absolvieren musste. Nebenbei fragte sie sich, warum Keith nicht erschienen war. Das Mädchen wusste keine Antwort darauf und war auch traurig. Es vermisste den paradoxen Jungen sehr. Dawn sah der Sonne entgegen und vernahm Schritte, die immer näher kamen. Sie dachte sich nichts dabei. Dennoch bekam sie Angst, als diese schneller wurden. Das Mädchen bog gerade die Ecke ab, als es von hinten gepackt wurde. “Loslassen! Was soll das?”, fragte Dawn und drehte sich um. Vor ihr standen drei Männer, die sie angrinsten. Ein Blonder meinte: “Was hast du denn in deiner Tasche? Ist das ein Schwert?”. Dawn sagte nichts, doch als der Kleinste ihre Tasche auf den Boden schmiss, rief sie: “Hey, lasst das! Das war teuer! Hat Keith euch geschickt?”. “Keith? Wer ist das? Nie den Namen gehört. Niemand hat uns geschickt, wir mögen nur so kleine süße Mädchen wie dich”, sagte der Dritte. Sie erschrak. Ihr wurde schlagartig klar, dass sie sich in Gefahr befand. Erst recht, als der Größte sie am Arm packte und meinte: “Komm mit, Süße. Im Wald sind wir ungestört”. “Lasst mich los! Ich will mit euch nicht mitgehen!”, schrie Dawn in Panik und riss sich weg. Danach rannte sie auf die andere Straßenseite, worüber ihre Peiniger sehr überrascht waren. Binnen weniger Meter wurde das Mädchen wieder eingeholt. Dieses Mal gingen sie grober mit ihr um: “Bleib hier, Püppchen! Es wird auch nicht wehtun”, sagte der Blonde. Dawn, die nicht wusste, wie sie sich aus dieser Lage befreien könnte, rief völlig durcheinander: “Mein Freund kommt gleich und wenn er das sieht, dann könnt ihr was erleben”. Die drei lachten und schliffen sie Richtung nahegelegenem Wald. Immer wieder schrie das Mädchen um Hilfe, doch niemand hörte es.
Keith dagegen suchte noch immer nach ihr. Gelangweilt, aber auch traurig fuhr er durch die Gegend. Er fragte sich, wo sie war und vor allem welche Gegenden sie bevorzugte. Keith kam zu dem Entschluss, in ruhigere Gebiete zu suchen und wurde unruhiger. Zwei Stunden waren bereits vergangen, seitdem er angefangen hatte, mit dem Auto alles Mögliche abzuklappern. Von seiner Klassenkameradin fehlte jede Spur. Bald würde es stockdunkel werden und dann würde er gar nichts mehr sehen können. Verdammt, dachte sich Keith, ich habe ihrer Mutter doch versprochen, sie nach Hause zu bringen. Wenn er jedoch ehrlich zu sich selbst war, dann war das sein kleinstes Problem. Keith hatte nicht einmal die Handynummer von Dawn, das erschwerte alles nur noch mehr.
Der junge Mann bog in eine Straße ab, die Richtung Wald ging und seine Augen flitzten. Er wollte schon weiter fahren, doch dann sah er die weiße Schwerttasche seiner hübschen Klassenkameradin. Keith hielt an und hob die Waffe auf. Skeptisch sah er sich um und wusste nicht so genau, was das sollte. Daher ging er zurück zum Auto und fuhr weiter. Aus einem Gefühl heraus, wusste er, dass Dawn ganz in der Nähe war und damit sollte er Recht behalten. Kurz bevor der Wald begann, sah er sie mit drei Männern in weniger als hunderte Meter Entfernung. In seinem Inneren überkam ihm zuerst Wut, da er dachte, dass das mit Rechten Dingen zuging. Seine Dawn mit anderen Männern! Das konnte er unmöglich durchgehen lassen und wollte sie zur Rede stellen. Als er jedoch merkte, dass sie sich wehrte und die Männer nicht aufhörten sie zu berühren, klingelten in ihm die Alarmglocken. Erst recht als er sah, dass sie jemand am linken Arm festhielt. Das Armband, dachte er sich. Er schaltete von sechzig Stundenkilometer auf einhundertfünfzig, schneller ging es nicht. Mit einer Vollbremsung dicht neben den Geschehen hielt er an und stieg mit dem Schwert aus, ehe sein Auto überhaupt vollständig zum Stehen gekommen war.
Die Männer erschraken und auch Dawn konnte ihren Augen nicht trauen. “Lasst sie los, sofort!”, meinte Keith und näherte sich ihnen. Der Größte fragte: “Wer bist du denn? Außerdem geht dich das hier gar nichts an! Kümmert euch um ihn”. Und schon standen die anderen beiden Jungen vor ihm und wollten ihn angreifen. Keith war gerade dabei, das Schwert ziehen, doch er bekam einen empfindlichen Schlag in den Magen. Mit einem lauten Scheppern ließ der junge Mann das Schwert fallen und fiel auf seine Knie. Das überraschte Keith zwar, dennoch stand er sofort wieder auf. In Rage griff Keith den Blonden an und trat diesen ins Schienbein. Laut jaulend drehte dieser sich um sich selbst, doch dann bekam Keith einen Hieb auf den Kopf. Er schwankte und eine Faust traf ihn genau auf seine Nase. Keith landete auf den Boden und fiel genau auf das Schwert. Die ersten Bluttropfen verschmutzten die weiße Tasche. Ihm wurde keine Pause gegönnt, denn der Kleinste hatte ihn an den Haaren gepackt und zischte überlegen: “Du hast die Wahl: Entweder du haust jetzt ab oder du schaust zu und wirst danach getötet!”. Keith war geschockt, doch ans Weggehen war nicht zu denken. Er sah auf sich herab und nahm das Schwert, das unter ihm lag. Dann schlug er es, so stark er rückwärts konnte, dem anderen auf den Kopf. Der Kleine fiel bewusstlos zur Seite. “Scheiße, John, er hat Jojo ausgeschaltet!”, sagte der Blonde aufgebracht.
Keith hielt inne und sah zu dem Mann, der Dawn ins Geäst schleppen wollte. Kann es denn wirklich sein? “Glotz mich nicht so an, Kleiner”, sagte auf einmal der Größte und dann wusste Keith, wer er war. Keith wollte zu ihm rennen, doch der Blonde hatte ihm das Bein gestellt. Er konnte sich kaum davon erholen, denn ehe er aufstehen wollte, wurde er angegriffen. Dawn sah dem ganzen Geschehen wortlos zu und ihr wurde klar, dass der Schulrowdy an ihr hing. Zum Nachdenken hatte das Mädchen, aber auch keine Zeit, denn John wurde immer brutaler zu ihr. Keith dagegen packte die Wut. Er wurde immer unkontrollierter und gab dem Blonden eine Faust nach der anderen. Längst standen die beiden jungen Männer und schlugen sich Angesicht zu Angesicht. “Nimm die Finger von ihr!”, brüllte Keith wütend. John lachte, anscheinend hatte er erkannt, wer da sich um eine Frau prügelte. Er blieb stehen und meinte: “Du bist groß geworden, sehr groß, aber immer noch so schwach wie damals!”. “Nein, du lügst!”, schrie Keith und schlug auch den Blonden bewusstlos. Er atmete schwer, denn das war für ihn schon eine gewisse Herausforderung gewesen.
Ausruhen konnte er sich nicht, er wollte Dawn retten und schubste John zur Seite. Dieses Mal war es John, der auf dem Boden lag. Schützend stellte sich Keith vor seiner Klassenkameradin und hatte dessen Schwert in der Hand. Er sagte zu Dawn: “Geh schon mal in den Wagen, da bist du sicherer“. Das Mädchen sah den jungen Mann kurz an und erkannte Sorgen, große Sorgen. Dann rannte es zum Wagen, oder besser gesagt es versuchte es. Kaum setzte sich Dawn in Bewegung, verspürte sie Schmerz. Großen Schmerz. “Autsch! Ahh, was ist das denn?”, fragte sie und sah auf ihren rechten Fuß. Sie war in eine gefährliche Stacheldrahtfalle getappt. Ihr Bein war schon längst blutverschmiert, da der Draht sich tief in ihre Haut gebohrt hatte. Sie ging zu Boden und versuchte sich zu befreien. “Oh mein Gott, Dawn!”, schrie Keith, als er das sah und wollte zu ihr, doch John sagte: “Nana, lass es sein. Kleiner, die Falle habe ich ihr gestellt und jetzt gehört sie mir!”. “Ich dachte, dass du Julia hast. Musst du dich dann noch nebenbei an Mädchen vergreifen?”, fragte Keith und wischte sich mit seinem Ärmel über die noch immer blutende Nase. John lachte und antwortete: “Das mit ihr ist doch schon lange vorbei, sie ist umgezogen und seitdem habe ich mich nie mehr bei ihr gemeldet. Außerdem ist dieses Exemplar tausendmal geiler”. Mädchen als Objekt ansehen? Das war viel zu viel für Keith. “Du bist das Allerletzte, ein Widerling! Sie ist ein Mensch wie du und ich und nicht irgendeine Maschine, mit der man machen kann was will!”, schrie er und stürzte sich in voller Rage auf John.
Keith verspürte verschiedene Gefühle: Rache, Trauer, Betroffenheit. Nicht einmal er, der kälteste Mensch überhaupt, hatte je so gehandelt. “Ich hätte dich schon damals am Liebsten verprügelt, danke, dass du mir jetzt dazu die Gelegenheit gibst!”, sagte auf einmal John und der Kopf von Keith ging gegen das harte Holz. Dawn schossen Tränen in die Augen, noch nie hatte sie so etwas erlebt. Erst wollten sie drei Männer anfassen und dann setzte sich der Schulschläger für sie ein. Sie wusste nicht was sie machen sollte, daher versuchte sie sich zu dem Wagen von Keith zu schleppen, doch irgendwann konnte sie nicht mehr. Die Schmerzen waren einfach zu groß und so stand sie in einiger Entfernung da und sah zu. Keith lag auf den Rücken und schlug mit voller Wucht auf den Magen von John ein. Dieser ging mit einem schrillen Schrei zurück und als ob das schon nicht genug wäre, musste er einen Kinnharken von Keith einstecken. “Ich bin nicht mehr so klein wie damals und kann mich mittlerweile prächtig wehren. Verschwinde und hör auf, Mädchen zu etwas zu zwingen, was sie nicht wollen!”, schrie Keith wütend und packte John. Er ließ seinen Rivalen keine Zeit zum Ausruhen oder Zurückschlagen, sondern schlug immer weiter zu. Die Schläge wurden immer härter.
Für John sah die Situation daher sehr schlecht aus, nicht mehr klar bei Sinnen lag er auf den Boden. Keith nahm die Schwerttasche von Dawn in die Hand und stand vor ihm. “Du hast die Wahl: Ich kann dich damit in Stücke schneiden oder dich begnadigen, aber dann hör auf mit solchen Taten!”. John sah ein, dass er keine Chance mehr hatte und meinte: “Na … gut, du kleiner Wicht hast … gewonnen”. Keith grinste und sagte: “Na fein”. Dennoch ließ er es sich nicht nehmen mit der Schwertscheide auf die Magenkuhle seines Gegners zu schlagen. John verlor daraufhin wie seine zwei Kameraden zuvor das Bewusstsein.
Keith warf die blutüberschmierte Schwerttasche auf den Boden und wäre fast selbst auf den Boden gelandet, doch im letzten Moment konnte er sich auf den Beinen halten und nahm auch die Waffe von Dawn wieder in die Hand. Dann ging er zu seiner Klassenkameradin und legte ihren Arm auf seinen Nacken. “Komm mit”, sagte er, “ich fahr dich nach Hause”.
Zusammen gingen die beiden etwas zittrig auf den Beinen in das Auto von Keith. Behutsam setzte er Dawn auf den Beifahrersitz ab. Danach kümmerte er sich um ihren rechten Fuß. “Das wird jetzt sehr wehtun, aber ich versuche vorsichtig zu sein”, sagte er und seine Hände gingen zum Stacheldraht. Mit aller Kraft versuchte Keith den Draht auseinander zu biegen. Er musste schon sehr hart kämpfen, bis er schließlich wenige Zentimeter zwischen dem Fuß seiner Klassenkameradin und dem Stacheldraht gebogen hatte. Dawn unterdrückte Schmerzensschreie, was Keith sehr gefiel. Wie stark sie doch ist, dachte er sich und nahm seine letzte Kraft zusammen. Mit einem Ruck schaffte er es, Dawn vom Leid zu befreien. “Puh, ich dachte schon, dass das gar nicht mehr geht”, sagte Keith schnaufend. “Danke … “, sagte das Mädchen und er meinte: “Ich bin noch nicht fertig, ich muss das noch behandeln”. “Du bist … Arzt?”, fragte Dawn erstaunt. Er nickte stumm und verband den Fuß, nachdem er ihn desinfiziert hatte. “Naja, nicht direkt Arzt, aber früher … da, da musste ich viele Wunden versorgen und da lernt man sehr viel”, murmelte Keith.
Dann setzte er sich auf den Fahrersitz und selbst dort waren beide noch geschockt. Keith konnte nicht fahren und blieb vor dem Steuer sitzen. Dawn verstand das und die Tränen kullerten ihr eine nach der anderen über das Gesicht. “Danke, … wenn du nicht gewesen wärst … dann hätten die Schweine mich … “, sagte sie weinend und er unterbrach sie: “Alles ist gut, ich war da”. Danach hustete er und wischte sich abermals über die Nase. Er legte seine Hände auf das Steuer und vergrub darin sein Gesicht. Auch ihn hatte das alles mitgenommen.
“Dieser Mistkerl wollte es schon wieder tun”, sagte Keith wütend, aber betroffen. Hatte er schon einmal die gleiche Situation erlebt? Dawn fragte: “Wieder? Du kennst ihn doch. Was war denn in der Vergangenheit?”. Keith ging nicht darauf ein, sondern wollte wissen, ob es ihr soweit gut ginge. “Ja, ich bin nur geschockt. Warum warst du überhaupt in der verlassenen Gegend?”, antwortete das Mädchen. Keith sah noch immer auf das Steuer und überlegte, ob er die Wahrheit sagen sollte. Eine Ewigkeit verging, ehe er antwortete: “Ich... ich wollte dich sehen und fuhr zu dir. Deine Mutter ging an die Tür und sagte, du seiest nicht da. Dann bin ich auch schon losgerast”. Dawn lächelte unter ihren Tränen und meinte: “Du magst mich, nicht wahr?”. “Kann sein, aber das ist im Moment unwichtig”, rief Keith gelassen und sah ihr in die Augen. In ihnen konnte das Mädchen sehr deutlich lesen, dass der junge Mann sich ungeheuer Sorgen gemacht hatte. “Oh Keith”, sagte Dawn und umarmte ihn.
Davon überrascht wusste dieser nicht, was er tun sollte und regte sich nicht. Überhaupt war Keith von der gesamten Situation dermaßen überwältigt, dass er total überrascht und verwirrt war. Er fühlte sich total leer und schwach und konnte sich auf nichts konzentrieren. Dennoch schmiegte sich Keith etwas an seine Klassenkameradin und fragte erneut, ob es ihr gut ginge und wieder bejahte Dawn. “Aber du, wer ist Julia?”, wollte sie wissen und der junge Mann erstarrte. “Sie war meine erste und letzte Freundin”, antwortete Keith stumpf und strich ihr sanft übers Haar. Das Mädchen fragte nicht weiter nach, es wusste, dass das einer der wunden Punkte ihres Klassenkameraden war und außerdem wollte es die Atomsphäre nicht kaputt machen. “Ich bin froh, dass dir nichts passiert ist”, sagte Keith und Dawn meinte: “Und ich bin froh, dass du da warst”.
“Nun denn, ich würde vorschlagen, dass ich dich nach Hause fahre. Das habe ich deiner Mutter schließlich versprochen”, schlug Keith kühl vor. Dawn ging zurück und lehnte sich an die Rückenlehne ihres Sitzes. “In Ordnung, aber ich habe da eine Bitte. Kein Wort zu meiner Familie”, sagte sie. Er verstand: “Geht klar, wir haben einfach Zusatzstunden mit dem Schwert verbracht”. “Danke, aber du warst bei meinen Eltern. Wie wollen wir denen erklären, dass du nach mir gesucht hast und die Sache mit meinem Bein?”, fragte Dawn und er antwortete: “Hm, gute Frage, mir fällt grad nichts ein”. “Ach, wir sagen einfach, du hattest noch etwas zu besprechen und ich ging schon mal zu dir, habe mich aber verirrt und bin dabei in dem Stacheldraht gestiegen”, meinte das Mädchen und der junge Mann nickte. Danach fuhren die beiden los.
Gut eine halbe Stunde fuhren sie, ehe sie an dem Haus von Dawn ankamen. Es war bereits vollständig dunkel. Glücklicherweise sahen sie etwas, denn in der Küche des Hauses brannte Licht. Zusammen liefen sie zur Haustür, oder besser gesagt Keith. Er trug Dawn auf seinen starken Armen, da ihr Bein, besonders ihr Fuß, noch mehr schmerzte. Mittlerweile hatte Keith wieder seine kühle Fassung bekommen und meinte, während er sie sanft auf den Boden gehen ließ: “So, da wären wir. Wir sehen uns morgen”.
Er wollte schon gehen, doch Dawn hielt ihn am Arm fest und er drehte sich um. “Danke, danke für alles”, sagte sie und stellte sich auf die Zehenspitzen, nachdem sie sich an ihm festhalten musste. Dann küsste sie ihn zart an die rechte Wange. Keith, der davon völlig überrascht war, merkte, wie sein Puls in die Höhe schoss und sein Herz anfing, wild zu schlagen. Dass er nervös wurde, merkte er nicht, das Einzige was er mitbekam war, dass er seine Coolness wieder verloren hatte. Als Dawn zurückging und sich ihre Blicken trafen, war es dieses Mal Keith, der ihre Nähe suchte. Er sah auf sie herab, nahm ihr Kinn in die Hand und küsste sie. Lange und sanft, Keith hatte schon leichte Tränen in den Augen, weil er diesen Schritt getan hatte. Außerdem war es kein jämmerlicher Versuch, ein Mädchen anzubaggern, sondern ein richtiger Kuss. Das war ihm nicht klar, für ihn war überhaupt nichts klar, er wusste kaum noch, wer oder was er war. Trotzdem hatte er Gefallen daran. Dawn dagegen wusste, dass dieser Kuss viel mehr an Bedeutung hatte als irgendetwas sonst und auch, dass Keith verwirrt war. Ihr gefiel das und auch ihr ging das bis ins Mark. Mittlerweile hatte sie die Arme um ihn gelegt, nachdem er nach einer kurzen Pause auf sie herab sah.
Schließlich ging Keith einen Schritt zurück und lächelte. Dawn tat dies ebenfalls und merkte, wie sie knallrot wurde. Verlegen sah sie in eine andere Richtung und er meinte stammelnd, aber lächelnd: “Du solltest jetzt wirklich hinein gehen, bis morgen”. “Ja … “, sagte sie und wollte gehen. Doch sie knickte um und wäre auf die harten Treppen gefallen, wenn Keith nicht rechtzeitig reagiert hätte. Er hielt sie stark in seinen Armen und wieder trafen sich ihre Blicke. Mit einem sanften Grinsen sagte er: “Ich glaube, ich sollte dich in dein Zimmer tragen”. Dawn wurde knallrot im Gesicht und wollte sich herausreden, doch Keith meinte: “Gibst du mir bitte die Schlüssel?“.
Das Mädchen übergab ihm nervös die Schlüssel. Kaum schloss Keith die Tür auf, kamen ihm schon die Eltern von Dawn entgegen. “Was ist denn mit dir passiert?”, fragte sofort ihre Mutter, als sie ihre Tochter auf den Armen eines gutaussehenden jungen Mannes sah. “Mama, das ist Keith”, sagte Dawn. Ihr Klassenkamerad wurde gemustert und Keith streckte für eine kurze Zeit seine linke Hand aus. “Freut mich”, sagte er höflich und lächelte. Frau Wendel meinte besorgt: “Sie schauen aber auch ziemlich fertig aus. Was ist denn passiert?”. Oh scheiße, dachte sich Keith, daran habe ich überhaupt nicht gedacht. “Ich würde vorschlagen, wir bringen Dawn ins Bett und dann besprechen wir alles”, schlug der junge Mann vor. Damit wollte er natürlich Zeit schinden.
Fünf Minuten später saß er also mit den Eltern seiner Klassenkameradin am Küchentisch. “Dann erzählen Sie mal”, bat Herr Wendel. Keith holte tief Luft und sagte: “Ich war schon vor ein paar Stunden vor Ihrer Tür und habe Dawn gesucht. Sie ging schon mal zu meiner Wohnung, weil das näher am Kendoverein ist. Sie müssen wissen, dass wir beide Partner sind. Also im Training”. Den letzten Teil hatte er stammelnd und nervös gesagt, als er sich wieder gefangen hatte, fuhr er fort: “Naja, Dawn hatte sich verlaufen und stieg in einen Stacheldraht”. Die Eltern sahen ihn geschockt an und Herr Wendel fragte: “Warum bluten Sie dann?”. “Ich habe den Stacheldraht entfernt und bin unglücklich abgerutscht”, antwortete Keith und als er sah, dass er nur mit großen Augen angestarrt wurde, sagte er noch: “Ist aber halb so schlimm”. Dabei lächelte er und hoffte im Gedanken, dass seine Gesprächspartner ihm diese Geschichte abkauften. Tatsächlich taten sie es, denn die Mutter von Dawn sagte: “Vielen Dank, dass Sie unserer Tochter da geholfen und sie sogar noch nach Hause gefahren haben”. “Kein Problem, das ist nicht der Rede wert. Dawn hätte ja schlecht laufen können”, meinte Keith. “Wie können wir das wieder gutmachen?”, wollte der Vater wissen. Der Besucher meinte dankend: “Gar nicht. Es ist schon okay, das Wichtigste ist, dass das Bein von Ihrer Tochter verheilt”. “Wollen Sie vielleicht einen Kaffee?”, fragte Frau Wendel und Keith ging dankend auf das Angebot ein. Das tat er auch nur, damit die Eltern nicht doch an der Glaubhaftigkeit der Geschichte zweifelten. “Wie haben Sie es überhaupt geschafft, so gut zu reagieren? Der Verband schaut sehr professionell aus”, meinte Herr Wendel interessiert. Oh man, dachte sich Keith, wie lang geht dieses komische Kreuzverhört denn noch? Lächelnd sagte er: “Ich habe einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert, da ich viel mit dem Wagen fahre und es schadet nie, sich weiter zu bilden”. “Sie sind ein echt charmanter und überaus höflicher Junge, da kann Dawn sich richtig glücklich schätzen”, wurde Keith gelobt und gönnte sich einen Schluck Kaffee. Danach sagte er: “Man sollte guten Freunden immer helfen, selbst Fremden”. Dabei betonte er das dritte Wort und wurde von beiden Elternteilen angelächelt.
Plötzlich hörten alle ein Geräusch und ehe sie reagieren konnten, stand Dawn in der Küche. “Dawn, du solltest dich doch lieber ausruhen”, sagte Keith besorgt und ging sofort zu ihr. Sie strahlte ihn an und meinte: “Das ist nett, danke. Ich konnte nicht schlafen”. Danach setzte sie sich zu ihren Eltern. So saßen sie zu viert an dem Tisch. Es ging sogar schon so weit, dass Keith und Dawn zusammen mit ihren Eltern zu Abend aßen. Es herrschte eine lockere Stimmung, die bis in die Nacht andauerte. Um kurz vor Mitternacht meinte Keith: “Ich sollte jetzt gehen, immerhin ist morgen Schule. Dawn, ich werde dir morgen alles vorbeibringen. Frau und Herr Wendel? Vielen Dank für das köstliche Essen, es hat mich sehr gefreut”. Danach gab er beiden Elternteilen die Hand und schloss die Tür hinter sich.
Keith starrte diese mit gemischten Gefühlen an. Im nächsten Moment sah er zum Fenster. Dawn wurde von ihren Eltern in den Arm genommen und der sonst besorgte Gesichtsausdruck verwandelte sich in einem Erleichterten. Sehnsüchtig und mit Schmerz konnte er den Blick nicht von dieser Szene nehmen. Er selbst hatte nie eine richtig heile Familie gehabt und war stets allein. Umso mehr traf es ihn, als er die glücklichen Gesichter sah. “Mutter … “, sagte er in die Stille und sank den Kopf, doch dann lag sein Blick auf den sternenklaren Himmel. In ihm kam die Frage auf, ob man an Glück glauben sollte oder nicht. Selbst nach so einer Vergangenheit kann man doch noch glücklich werden? fragte er sich und hatte keine Antwort darauf. Trotzdem wuchs in ihm der Glaube danach, doch zuerst müsste er sich ändern.
Plötzlich fiel ihm auf, dass er die Schwerttasche von Dawn noch in seinem Auto hatte. Er könnte sie ihr jetzt noch schnell bringen, um sie erneut zu sehen, doch dann fiel ihm ein, dass diese über und über mit Blut verschmiert war und daher nahm sich Keith vor, ihr die Schwertasche erst morgen zu bringen. Außerdem müsste er eh noch alles waschen. Eine Ewigkeit stand Keith noch da und sah die glückliche Familie, ehe er sich in sein Auto setzte und erschöpft, aber mit gutem Gefühl nach Hause fuhr und sich schließlich in sein Bett fallen ließ.
Am Nächsten Tag ging Keith gleich nach der Schule zu Dawn. Er klingelte und wartete darauf, dass jemand die Tür öffnete. Glücklicherweise war es seine Klassenkameradin, die ihn überrascht ansah. “H-hey. Ich … ich wollte dir dein Schwert vorbeibringen! Den Unterrichtsstoff habe ich auch dabei”, stotterte Keith, als er das Mädchen erblickte. Sie sah einfach umwerfend aus! Der lindgrüne Kimono und das hochgesteckte Haar passten perfekt zu ihr. Selbst sein Armband, das nach wie vor an ihrem Handgelenk war, ließ sie wunderschön aussehen. Keith sah auf sie herunter und blieb schließlich wie angewurzelt stehen. “Danke, daran habe ich gar nicht mehr gedacht. Und dass du das Schwert auch noch saubergemacht hast finde ich auch sehr nett”, meinte Dawn mit einem Blick auf ihre Waffe und ertappte sich dabei, wie sie an den Kuss von gestern dachte. Keith, der noch immer nicht seinen Blick von ihr nehmen konnte, lächelte gequält. “Möchtest du nicht reinkommen?”, fragte auf einmal das Mädchen und er erschrak, ließ es sich aber nicht ansehen. Stattdessen antwortete er: “Ähm ja, wenn du willst”. “Hätte ich sonst gefragt? Nein, komm rein”, meinte Dawn schmunzelnd und schloss die Tür.
Danach ging sie die Treppen hinauf zum Dachboden, in dem ihr Zimmer lag. Keith sah sich interessiert um. Ihr Zimmer war einfach unglaublich gestaltet: Poster von der Landschaft Japans, Manga und japanischen Bands. Selbst die Flagge des Landes hing an ihrer Wand und anscheinend interessierte sich das Mädchen für Formel 1, denn ihr Zimmer war auch davon dekoriert. “Wow, ich glaube du hast großes Talent, Räume zu gestalten”, meinte Keith sichtlich überrascht. Dawn lachte und sagte: “Du warst doch schon mal hier“. Damit sprach sie den Abend nach einem seiner letzten Rennen an. Keith meinte: “Ja klar, aber da habe ich doch nicht auf die Gestaltung geachtet. Das hast du echt toll dekoriert“. “So wie du deine Wohnung eben schön gestaltet hast. Willst du vielleicht etwas trinken?”. “Tee”, antwortete Keith und Dawn führte ihn in die Küche. “Sag mal, wie geht es deinem Fuß?“, fragte Keith besorgt, während sie die Treppen hinuntergingen und Dawn meinte: “Dem geht’s gut, tut zwar noch weh, aber ich kann laufen”. “So und jetzt sagst du mir, welchen Tee du gerne hättest. Du hast die Wahl von Ananas bis Zitrone oder kurz gesagt: von A bis Z“. Er musste lachen und auch Dawn sah ihn schmunzelnd an. Daraufhin zeigte sie ihm verschiedenste Teesorten und er staunte über die gigantische Auswahl. Er entschied sich für Kirschblütentee, da er den noch nie getrunken hatte. “Sind deine Eltern gar nicht da?”, fragte er, als Dawn Wasser aufkochte. Sie schüttelte mit dem Kopf und fragte sich, ob der junge Mann etwas vorhatte.
Diese Sorgen waren aber völlig überflüssig, denn als sie fünf Minuten später wieder in ihrem Zimmer waren, setzte sich Keith an das Fenster und sah über einen Teil der Stadt. “Nett hast du es hier, wirklich nett”, meinte dieser und fragte: “was haben deine Eltern eigentlich dazu gesagt, dass auf einmal in ihrer Küche ein blutüberströmter Typ mit ihrer Tochter auf den Armen stand?”. Sie lachte und antwortete: “Du Scherzkeks. Was meine Eltern gesagt haben? Oh man, die sind sehr neugierig! Sei froh, dass du nicht dabei warst”. “Na los, erzähl schon. Ich will alles wissen”, sagte Keith grinsend. Dawn begann zu erzählen: “Sie denken, dass wir uns daten. Die haben mich voll nach dir ausgefragt. Woher du bist, dein Alter, wie lange wir uns kennen und so weiter”. “Ich habe gesagt, dass wir uns nicht daten, sondern zusammen trainieren. Dann habe ich ihnen gesagt, dass wir seit dieses Schuljahr in eine Klasse gehen und du achtzehn bist. Natürlich mussten meine Eltern wissen, wie du so drauf bist”, fuhr Dawn fort. Keith sah sie mit riesengroßen Augen an und wurde ungeheuer nervös. “Ich habe ihnen nichts von deinem Angriff erzählt, keine Sorge. Ich habe nur gesagt, dass du ein Sprücheklopfer bist, dich aber mit mir komischerweise gut verstehst”.
“Darum ging es mir nie. Nie. Ich stehe zu meiner üblen Tat und wenn du mich fragst, hätte ich mich der Polizei und deinen Eltern stellen sollen. Das wollte ich auch machen, aber da keine Anzeige oder sonst was kam und selbst deine Eltern sehr nett zu mir waren, habe ich es gelassen”, meinte Keith sehr ernst. Dawn fragte: “Du hättest das echt getan?”. “Ja hätte ich und ich stand auch kurz davor. Du weißt ja, dass ich schon öfters aufgefallen bin, selbst da wollte ich mich stellen. Das Einzige, was mich davon abgehalten hat, war meine Angst”. “Meine Angst vor meiner Vergangenheit. Ich wollte nie so werden wie mein Vater und dennoch bin ich so geworden”, fuhr Keith fort. Als Dawn etwas dazu sagen wollte, sagte ihr Gesprächspartner: “Du hast dein Zimmer echt toll gestaltet”. Dabei sah er sich erneut um. Damit versuchte er abzulenken.
Sie verstand und sagte: “Das kommt davon, wenn man stets Langeweile hat”. Er drehte sich um und sah sie überrascht an, denn er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie die ganze Zeit Langeweile hatte. So hübsch wie Dawn war, musste sie doch viele Verehrer haben, oder nicht? “Du und Langeweile? Schwer vorstellbar, dir müssen die Jungs doch hinterherlaufen wie noch mal was”, sagte Keith ernst und sie drehte sich verlegen zur Seite. “Nun ja, stimmt schon, aber die wollen doch eh nur alle das Eine. Außerdem gibt es nur einen Jungen für mich”, entgegnete Dawn. Keith fragte sich wer das wohl war, traute sich das aber nicht laut auszusprechen und meinte: “Gut, geh mit mir Essen. Dann hast du nicht mehr so viel Langeweile”. Wie geschickt er doch zur Sache geht, dachte sich das hübsche Mädchen und sagte lächelnd: “Da sage ich nicht nein”. “Sehr gut, dann diesen Freitag in einer Woche, das müsste der Siebte sein, also Anfang April”, schlug Keith vor und Dawn sagte zu. Eine Woche und vier Tage müssten also noch vergehen, bis sie sich schließlich am Abend sahen.
Die zehn Tage vergingen wie im Flug und nun saßen die beiden um zehn Uhr Abends in einem kleinen, aber dennoch eleganten Lokal. “Du hast dich ja richtig schick gemacht, der weiße Anzug steht dir gut”, meinte Dawn und war überrascht. Sie hatte eher gedacht, dass Keith in seinen gewohnt schwarzen Klamotten erschien, aber da hatte sie sich sehr getäuscht. Der junge Mann sagte mit einem kühlen Unterton: “Tja, kannst du mal sehen. Selbst ein so abgehobener Kerl wie ich kann sich fein machen. Ich muss aber zugeben, dass du in deinem blauen Kleid toll ausschaust”. Er ist so süß, dachte sich Dawn, ständig versucht er cool zu bleiben und kann es dann schließlich doch nicht. “Warum grinst du so?”, fragte Keith auf einmal und musste lächeln. Das Mädchen antwortete: “Wenn ich daran denke, dass wir uns am ersten Schultag fast an die Gurgel gegangen wären und jetzt hier friedlich Essen gehen, dann muss ich lachen”. Das tat sie auch und Keith lachte mit. Die beiden amüsierten sich prächtig und unterhielten sich über alles Mögliche.
“Was hörst du eigentlich so für Musik?”, fragte Dawn und trank einen Schluck aus der Tasse Tee. “Metal. Naja, aber eigentlich mag ich eher Ruhigeres”, antwortete Keith. Ein Hinweis mehr, dass er nicht das war, was er zu sein scheint. Daher meinte das Mädchen zwinkernd: “Dann hör doch einfach das was dir gefällt”. Er musste erneut lächeln. Danach nahm er einen kräftigen Bissen von seinem Schnitzel. Über das Gesicht von Dawn huschte ein Lächeln, sie hatte bereits geahnt, dass Keith keinen Hunger mehr hatte. Sein Körper bestand nämlich fast nur noch aus Haut, Knochen und Muskeln. Umso mehr freute sie sich, dass er sich den Bauch richtig voll schlug. Sie sah sich um: Vom Lokal aus hatte man einen wunderbaren Blick auf einen See und sie stellte sich vor, wie sie mit ihm im Gras lag und zu den Sternen sah. Das wird aber nie so sein, schoss es ihr durch den Kopf, dafür ist er wohl doch zu verbittert. “An was denkst du?”, hörte sie Keith auf einmal fragen und erschrak. Hatte sie ihre Gedanken so sehr schweifen lassen, dass es auffiel? Anscheinend schon, sonst hätte ihr Gegenüber nicht danach gefragt. Dawn antwortete: “Ich habe mir vorgestellt, am See zu den Sternen hinauf zu sehen und die Seele baumeln zu lassen”. Richtig, sie hatte nicht erwähnt, dass er mitkommen sollte, dennoch konnte man diese Antwort nicht als Lüge durchlassen, sie hatten den Teil mit Keith nur weggelassen. Dieser meinte: “Das hab ich schon oft gemacht, nicht gerade dort, aber … im japanischen Garten. Früher, doch den meide ich jetzt. Aber du hast Recht, hier kann man auch seine Ruhe haben. Was haltest du davon, wenn ich schnell die Rechnung bezahle und wir zum See gehen?”. Ein Gentleman war er auch noch. “Ja … “, sagte das hübsche Mädchen überrascht.
Zwei Minuten später saßen sie also tatsächlich am See und sahen zu den Sternen. Es war ungeheuer romantisch und Dawn ertappte sich dabei, wie sie immer wieder zu Keith blicken musste. Dieser hatte das natürlich bemerkt, sagte jedoch nichts, sondern lächelte die Sterne an. In ihm lief diese gewisse Veränderung weiterhin ab. Beide schwiegen und genau das machte es so besonders. In diesem Augenblick war sich Dawn sicher, dass Keith eben doch nicht so ein verbitterter Mensch war. “Das tut wirklich gut”, meinte der junge Mann und sah zu dem Mädchen, das ihm Recht gab. Ich würde sie so gerne küssen, dachte er sich und doch konnte er es nicht. Für ihn war es überhaupt ein Rätsel, warum er mit einem Mädchen über seine Vergangenheit sprach und dann auch noch hier war. Er konnte nicht verstehen, warum er das alles überhaupt tat. Nur die Tatsache, dass ihn das glücklicher machte, veranlasste ihn dazu, das zu tun. “Woran denkst du?”, fragte Dawn und dieses Mal war es also umgekehrt. Im Lokal hatte er sie noch gefragt, an was sie denke. “Nun ja, ich habe mich lange nicht mehr so gut gefühlt”, antwortete er. Freudestrahlend wurde er angesehen und das Mädchen sagte: “Das ist doch toll”. Keith nickte und gab zu: “Ich kann es mir nicht erklären, aber es ist so, als ob man mir meinen Schmerz allmählich wegwäscht. Das wird zwar noch seine Zeit dauern, doch ich merke das jetzt schon und wenn ich ehrlich bin, glaube ich, dass das an … dir liegt”. Danach sah er erneut zu den Sternen, er konnte aber aus den Augenwinkeln erkennen, dass Dawn ihn wieder anstrahlte. “Lass uns gehen, es ist schon ziemlich spät”, meinte Keith nach langem Schweigen und sie liefen zu seinem Wagen.
So schön der Abend auch war, zwei Wochen später schien das wieder der Vergangenheit anzugehören. Keith gab sich mal wieder als Sprücheklopfer, er schikanierte nicht Dawn, sondern den Lehrer. “Vektorenrechnung, also bitte. Das kann doch jeder! Ich frage mich wirklich, warum ich noch in die Schule gehe, wenn ich da eh immer denselben Schwachsinn lerne”. “Niemand zwingt dich dazu … “, fing Herr Müller an, doch Keith unterbrach ich: “Sie oder Herr White, wie oft soll ich das noch sagen? Also in meiner zweiten Heimat England hat man noch Respekt vor den Schülern”. “Er ist Englänger?”, fragte Dawn leise Stefanie, die antwortete: “Ja, naja seine Großeltern. Wusstest du das nicht?”. “Nein”, schüttelte ihre Banknachbarin mit dem Kopf, doch nun konzentrierten sie sich weiterhin auf das Geschehen.
“Warum gehst du dann nicht zurück nach England, wenn es dir hier nicht passt?”, fragte Herr Müller und Keith schrie wütend: “Nazi!”. Der Lehrer meinte: “So habe ich das auch nicht gemeint, aber du … Sie stören hier permanent den Unterricht”. K warf sein Mathezeug durch die Luft. Einige Schüler wurden davon getroffen und wichen zurück. “Was soll ich denn sonst machen?”, fragte Keith schnippisch und sprach weiter: “Euch Lehrern interessiert es doch n Scheißdreck, ob wir Schüler unser Abi bekommen oder nicht! Ihr wollt nur euer Geld und das war’s auch!”. Dawn hatte Tränen in den Augen und verließ wortlos das Klassenzimmer. Stefanie erhob sich von ihrem Platz, um Dawn nicht alleine zu lassen. Keith sah ihnen etwas bestürzt hinterher und setzte sich wortlos auf seinem Platz.
“Was ist denn mit dir?”, fragte Steffi und lief neben ihrer besten Freundin. Dawn setzte auf eine Bank und vergrub das Gesicht in beide Hände. “Ich weiß wirklich nicht, ob ich mich noch mit ihm abgeben soll. Immer wenn ich denke, dass er die Kurve kriegt, kommt so was”, sprudelte es aus dem hübschen Mädchen heraus. Stefanie wollte wissen, ob sie ihn näher kenne. “Die Menschen sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen”, sagte Dawn lediglich. “Das stimmt schon, aber dem abgehobenen Typen kann man nicht mehr helfen. Er ist ein Tyrann, geradezu ein Monster”, meinte Stefanie und ihre Freundin widersprach energisch: “Nein! Ist er nicht, nicht Keith!”. “Warum nimmst du ihn in Schutz? Er quasselt dich doch auch immer voll und du weißt doch mittlerweile, wie er drauf ist”, entgegnete Steffi.
“Hör zu, mag sein, dass er es vielleicht manchmal übertreibt, aber ich weiß Dinge von ihm, die kein anderer sich je erträumen kann. Außerdem … “, fing Dawn an und als sie fragend angesehen wurde, sprach sie weiter: “habe ich mich unsterblich in ihn verliebt!”. Mit großen Augen wurde sie angesehen, woraufhin sie knallrot anlief. “Das ist nicht dein Ernst, oder? Mensch Dawn, das ist wirklich der schrecklichste Kerl auf der Welt! Ich hätte nicht gedacht, dass du so naiv bist und auf ihn hereinfällst!”, meinte Stefanie geschockt.
Beschämt sah Dawn auf den Boden und meinte: “Ich weiß doch auch nicht, wie mir das passieren konnte, aber ich kenne ihn auch anders. Das musst du mit beachten”. “Wie anders?”, wollte Steffi wissen. “Das kann ich dir nicht sagen, es gibt Dinge, die einen so werden lassen und dann kann man nicht mehr aus diesem Teufelskreis heraus finden”. “Alles klar”, meinte Stefanie und Dawn sagte:” Das bleibt unter uns. Das ganze Gespräch bleibt unter uns, okay?”. “Natürlich, immerhin weinst du nicht mehr”, rief ihre beste Freundin.
Dawn stand auf und zu zweit gingen sie zurück zum Klassenzimmer, in dem sie bereits erwartet wurden. Niemand sagte etwas, Herr Müller fuhr mit dem Unterricht fort, ohne etwas über den Vorfall zu sagen.
Den ganzen Tag über sagte Keith nichts mehr und auch Dawn war still. Wieder machte sie sich Gedanken um den Jungen, der so widersprüchlich war. Eigentlich liebte sie ihn viel zu sehr, um sich von ihm zu distanzieren, doch sie sah keinen anderen Ausweg. Deshalb ging sie auch nicht zum Training, was Keith sehr verletzte.
Daher machte er sich auf dem Weg zu ihr. Er kam im halbdunklen bei ihr an und klingelte. Eine halbe Ewigkeit schien zu vergehen, ehe ihm jemand öffnete. Es war ihr Vater, der meinte: “Schön, Sie mal wieder zu sehen. Was gibt es denn?”. Keith wollte zuerst die Flucht ergreifen, doch er hielt sich zurück und lächelte freundlich. Dann sagte er: “Hallo, ja das stimmt. Ist Dawn da?”. “Einen Moment bitte”, rief Herr Wendel und keine Minute später stand Keith mit dem Mädchen unter dem Baum an dem alles begann.
“Was willst du?”, fragte Dawn sichtlich genervt, als sie ihren Klassenkameraden erblickte und er antwortete: “Ich muss wissen wie es dir geht”. “Wie soll es mir schon gehen? Immer wenn ich denke, dass du einigermaßen stabil bist, bringst du solche Sachen”, rief Dawn traurig. Keith setzte sich auf das Gras, lehnte sich an einem bestimmen Baum und sah zur Sonne, die schon fast untergegangen war. “Ich … ich kann meine verdammte Vergangenheit nicht ruhen lassen”, sagte er stammelnd und legte sein Kopf auf seine zittrigen Knie. Beruhigend, aber dennoch etwas enttäuscht, strich Dawn ihm über den Rücken und meinte: “Lass es raus, es bringt dir nichts, wenn du deine wahren Gefühle die ganze Zeit in dir hineinfrisst. Und einen Aufstand nach dem anderen zu machen, macht es auch nicht besser. Im Gegenteil, es wird nur noch schlimmer”.
Neben dem Mädchen war es nun still, doch nach einer gefühlten Ewigkeit sprach er: “Denkst du es macht mir Spaß so zu sein? Denkst du, dass ich das noch immer will? Ich will das doch schon lange nicht mehr, aber ich weiß nicht, wie ich da raus komme. Das ist wie ein dunkler Teufelskreis”. “Ich glaube aber an dich, du schaffst das”, entgegnete Dawn und er sagte: “Ja toll, da bist du die Einzige”. “Auch eine einzige Person kann sehr viel bewirken”. Wie Recht sie doch hat, dachte sich Keith. “Ich … ich kann diesen Schlag nicht vergessen, durch den meine geliebte Mutter starb. Und die Blutlache erst, in der sie lag! Damit nicht genug, mein Vater hat ihre Knochen eiskalt verbrannt und die Asche in den Müll geworfen. Ich träume sogar heute noch von all dem und wache schweißgebadet auf, das ist aber noch nicht alles. Danach schlage ich voller Panik um mich und realisiere erst nach einiger Zeit, dass alles nur ein Traum war”, sagte er mit brüchiger Stimme. “Das ist verständlich und du musstest das auch noch mit ansehen”, stand Dawn ihm bei und er sprach langsam weiter: “Ich wurde die ganzen Jahre über geschlagen, bei jeder Kleinigkeit. Ich musste das alles über mich ergehen lassen, weil ich Angst hatte, dass mein Vater mich umbringt oder seine Freunde damit beauftragt”. Ehe das Mädchen etwas sagen konnte, zog Keith seine Jacke aus und da sah sie es: Seine dünnen Arme waren übersäht von Narben und Blessuren. Geschockt davon umarmte sie ihn.
“Wie war das eigentlich mit den Rennen und dem Knast damals?”, fragte Dawn auf einmal behutsam. Keith sah sie an und antwortete: “Das Grobe habe ich dir ja schon erzählt. Wir veranstalteten wie immer diese Partys, aber dann kamen plötzlich Polizisten. Die Menge lief weg und ich war so betrunken, dass ich überhaupt nicht mitbekam, was sich da abspielte. So nahmen sie mich mit aufs Revier und ich wurde in eine Zelle gesteckt. Am nächsten Tag war ich ausgenüchtert und dann bombardierten mich die Polizisten mit Fragen”. “Traurig, dass du dein Leben so verbracht hast. Erklär mir aber das mit dem Knast genauer. Was war dann mit der Schule?”, sagte Dawn. Auch hierfür hatte Keith eine Erklärung: “Ich fehlte ein halbes Jahr im Unterricht, habe aber in meiner Zelle den ganzen Stoff mir selber beigebracht. Ich musste es, denn mein Vater hat mich dazu gezwungen. Nun, als ich raus kam, musste ich einen Test machen, ob ich für das Erreichen des Klassenziels genug Wissen hatte. Ich bestand ohne einen einzigen Fehler”. “Respekt”, sagte Dawn nur. Keith sah sie traurig an und meinte: “Wenn ich das Jahr nicht geschafft hätte, hätte mich mein Vater bestimmt umgebracht”. Danach zitterte er am ganzen Körper.
“Weißt du, was ich nicht verstehe? Du scheinst schon da sehr stark gewesen zu sein, warum hast du den Terror unter deinem Vater über dich ergehen lassen?”, wollte das Mädchen wissen. Keith sah nachdenklich zu den Sternen und antwortete: “Mein Vater hat einen sehr großen Einfluss auf mich geübt. Er brauchte mich nur mit seinen Augen ansehen und schon tat ich, was er von mir verlangte. Sie waren kalt und grausam, ich werde diese polarblauen Augen nie vergessen. Nie. Manchmal sehe ich sie vor mir, wie sich mich streng und ohne jegliche Wärme mustern. Dann bekomme ich es mit der Angst zu tun. Roland ist der Einzige, der mir das Blut in den Adern gefrieren lassen kann. Kein Mensch ist so grausam wie er. Gegen ihn würde ich niemals die Hand erheben. Ich brauchte nur meine Hausaufgaben nicht zu machen und schon hatte ich blaue Flecken am ganzen Körper. Roland hat alles getan, damit niemand ahnte, wie hart er mit mir umging. Selbst meine Mutter hat er so behandelt, sie ließ sich jedoch eines Tages von ihm scheiden. Doch er wollte das Sorgegerecht über mich für sich, aber Katja hat gekämpft wie eine Löwin. Den Mord habe ich dir schon erzählt. Mein Vater hat das nur gemacht, damit er dem Jugendamt eine Lüge auftischen kann, um mich bei sich zu haben. Das hat er ja dann auch geschafft. Es war die Hölle, unbeschreiblich grausam. Damit fing meine Veränderung an”.
Dawn war darüber sehr schockiert und konnte ihre Tränen nicht länger zurück halten. “Wie, wie kann man nur so mit seinem eigenen Kind umgehen?”, fragte sie weinend und zitterte am ganzen Körper. Keith sagte sichtlich mitgenommen: “Das frage ich mich all die Jahre auch. Ich werde das nie verstehen können, aber ich musste es am eigenen Leibe erleben, was dieser Umgang aus einem macht. Nach einiger Zeit kapselte ich mich mehr und mehr ab, wenn ich vor meinem Vater weinte, prügelte er noch mehr auf mich ein. Daher verschloss ich meine Gefühle und vergaß mich selbst. Aufgrund dieser Haltung kam niemand mehr an mich heran. In mir hatte sich alles angestaut: Schmerz, Trauer, Hilflosigkeit, Verzweiflung, solche Gefühle eben. Die habe ich dann in Hass, Wut und Zorn ertränkt. Ich schlug zu, verbitterte und verhielt mich meinen Mitmenschen gegenüber eiskalt”.
“Das war noch nicht alles. Ich fing an mit Drogen zu dealen und konsumierte auch selbst dieses Zeug. Dazu kam der Alkohol, mit dem ich versuchte alles, was mit meinem Vater zu tun hat, zu vergessen. Das schlug natürlich fehl, aber ich dachte nicht einmal im Traum daran, aufzuhören. Wenn du jetzt denkst, dass ich ein Junkie bin, so irrst du dich gewaltig. Im Gegensatz zu den Menschen mit normaler Persönlichkeit kann ich das sehr gut kontrollieren. Ich mache das auch nur aus meinen Launen heraus. Außerdem konnte ich mit Drogen mein eigenes Geld verdienen, um endlich eine eigene Wohnung haben zu können. Die musste ich ja auch irgendwie finanzieren. Um weiteres Geld für meine ersehnte Selbstständigkeit zu verdienen, nahm ich eine Waffe an mich und brach in den verschiedensten Gebäuden ein. Egal ob Laden oder wohlhabendes Haus, ich raubte alles aus, was mir vielsagend aussah. Wenn mich jemand in meiner Tarnung sah, bedrohte ich die Person mit meinem Revolver, den ich übrigens bei einem meiner Raubzüge geklaut hatte, und gab sogar Warnschüsse ab. Ich tat also wirklich alles, um weg von meinem Vater zu kommen.
Ich habe mir mein Geld aber auch legal verdient, in dem ich Ferienjobs machte oder am Abend jobbte. Naja, nach kurzer Zeit hatte ich wirklich ein kleines Vermögen, da ich aber noch sechzehn war und mein Vater mich nicht gehen ließ, habe ich mir alles angespart und nach einer Wohnung schon mal Ausschau gehalten. Kurz vor meinem achtzehnten Geburtstag fand ich endlich eine geeignete Bleibe. Vorher war ich immer unterwegs, ich wollte vor meinem damaligen Leben weglaufen, doch ich wurde andauernd nach kurzer Zeit gefunden und mit jeder Drohung, die von meinem Vater kam, traute ich mich das nicht mehr und blieb daheim.
Roland war ein perfekter Künstler. Er konnte sich so schnell verstellen, wie man eine Lampe an und ausschalten kann. Wenn wir Besuch hatten, war er stets nett und hat mir all meine Wünsche erfüllt, er beschaffte sogar Drogen und Alkohol für Partys. Ich hing früher immer mit Älteren ab, das ist der Grund für das Beschaffen der für mich damals noch illegalen Produkte”, fuhr Keith fort und holte tief Luft. Dawn verstand, er wollte noch mehr reden und daher überließ sie ihn das Wort. “Ich habe so ziemlich alles getan, um endlich frei zu sein. Selbst die Drogen habe ich mitunter selbst hergestellt. Mittlerweile hatte ich nämlich gute Beziehungen zu Profidealern und die haben mir sehr viel beigebracht und auch auf der Straße lernte ich Vieles. Ich hatte großes Glück, dass man mir keinen Raub oder den Besitz von einer Schusswaffe nachweisen konnte. Sonst hätte ich noch länger im Gefängnis sitzen müssen”, sagte er und brach ab. Seine Stimme wurde im Verlauf der unglaublichen Erzählungen immer leiser und brüchiger. Sofort war Dawn zu Stelle. Sie zog ihn zu sich und hielt ihn einfach nur ganz arg fest.
“Du trägst eines ihrer Armbänder”, sagte er nach langem Schweigen und sie sah ihn überrascht an: “Es gehörte deiner Mutter? Aber wieso hast du es mir dann geschenkt?“ Das Mädchen hatte Eins und Eins zusammengezählt. “Ich … keine Ahnung”, stotterte er. Sofort streifte Dawn das Armband von ihrem Handgelenk und wollte es ihm geben. “Nein, nein … behalte es. Irgendwie will ich, dass du es trägst. Es passt zu dir und ich werde mich dadurch dir immer verbunden fühlen”. “Willst du das echt?“, fragte sie. Er wusste nicht, was er antworten sollte und daher flüsterte er: “Du schaust genauso aus wie sie”.
Dawn fragte: “Wie wer?”. “Julia”, antwortete Keith und sprach: “Sie war meine erste und einzige Freundin, doch sie hatte nebenbei einen Anderen. Du kannst dich sicherlich noch daran erinnern, wie ich dich vor diesen drei Typen gerettet habe. John, der Kerl, der dich die ganze Zeit festhielt, ich kenne ihn von früher. Ich war dreizehn, nein vierzehn, und glücklich mit Jule zusammen, doch das war nur eine Illusion. Sie hatte seit zwei Jahren mit ihm etwas am Laufen und hat mich nur verarscht. Ich habe ihr Einiges von mir anvertraut, doch sie hat nur darüber gelacht und das Ende von der Geschichte war, dass sie sich zusammen mit John darüber lustig gemacht hat. Das alles hat sich im japanischen Garten abgespielt und seitdem meide ich diesen Ort, obwohl dieser mir so viel bedeutet”. “Deswegen hast du so einen Hass auf Frauen, speziell auf mich, und den Garten. Das Mädchen, das so ähnlich ausschaut wie ich, es hat dir das Herz gebrochen”, meinte Dawn geschockt, aber auch überaus traurig und strich ihm über den Kopf. Keith befreite sich aus der heftigen Umarmung und sah ihr sehr tief in die Augen. Dann sagte er ebenso ernst: “Nein, ich habe schon längst aufgehört dich zu hassen. Ich habe begonnen dich zu mögen und dazu stehe ich zum Glück auch mittlerweile”. Das Mädchen strahlte den jungen Mann an. Er lächelte, doch dann brach er in Tränen aus.
Sofort reagierte Dawn und nahm ihn in den Arm, die Situation nahm ihn noch mehr mit, als sie gedacht hatte. Dafür hatte sie aber vollstes Verständnis. Schließlich war die Vergangenheit von ihm wirklich sehr hart gewesen. Keith schmiegte sich ganz arg an ihr, ein Zeichen dafür, dass ihm das jahrelang verwehrt blieb. Weinend sagte er: “Das Einzige was ich will, ist glücklich werden und jemanden haben, der mich versteht, ich will nicht mehr so verbittert sein”. Unglaublich, dachte sich Dawn, er weint tatsächlich. Und wie er weinte!
Zum richtigen Nachdenken hatte sie aber keine Zeit, stattdessen meinte sie tröstend: “Ich weiß, aber wahrscheinlich wäre ich auch so nach deinen schlimmen Erzählungen. Ich wurde noch nie geschlagen und einen Mord habe ich auch noch nie mit eigenen Augen gesehen. Ich kann dich verstehen. Dass du schweigen musstest, ist bestimmt auch ein Grund dafür, dass du so eine eiskalte Schale hast. Ich habe schon oft gesehen, wie du schweigend jemanden verprügelt hast und so in Rage warst. Das kommt von deinem Vater, aber es gibt noch einen anderen Keith”. “Du siehst in mir nicht nur einen verbitterten und kalten Menschen?”, fragte er und Dawn antwortete: “Ja, ich kenne dich auch anders. Sanft und warmherzig, richtig liebenswert und weißt du, was ich mir wünsche? Es wäre schön, wenn du so immer sein würdest”.
Keith sah sie an und erkannte, dass das Mädchen auch Tränen in den Augen hatte. “Ich weiß aber nicht, wie ich das anstellen soll”, gab er schluchzend zu und Dawn schlug ihm folgendes vor: “Wie wäre es, wenn du in Therapie gehst?”. Er schüttelte den Kopf, woraufhin sie meinte: “Ich komm auch mit”. “Das … das würdest du tun?”, fragte Keith staunend. Dawn nickte und der junge Mann sagte: “Danke, du bist ein großartiger Mensch, weißt du das? Ich will mich ändern, ich will nicht der Mensch sein, der ich heute bin, sondern der, der ich einmal war! Allerdings kann ich das alles mit niemanden außer dir bereden”.
Das Mädchen wusste, dass diese Worte nicht nur daher gesagt waren, sondern auch Wille dahinter steckte. Dies sah sie auch daran, dass er sich die Tränen wegwischte und lächelte. Danach legte sich Keith auf den Rücken und hatte den Kopf auf den Schoß von Dawn gelegt. “Ich liebe es die Sterne zu sehen”, sagte er ruhig und atmete die kühle Luft ein. Und ich liebe dich mehr als alles andere auf dieser Welt, dachte sich das Mädchen im Gedanken und ertappte sich dabei, daran zu denken, den Rest ihres Lebens mit dem jungen Mann zu verbringen.
“Macht es dir echt nichts aus, dich mit mir abzugeben und für mich da zu sein?”, fragte auf einmal Keith und Dawn antwortete: “Ich muss zugeben, dass ich dich anfangs für ein Scheusal gehalten habe, das denkt, dass er jedes Mädchen haben und die Menschen nach seinen Ideen manipulieren könne. Naja, ich bin nicht so ein Mensch, der sich vom ersten Eindruck täuschen lässt und habe mir Gedanken über dich gemacht. Das was dabei raus kam, ist das Hier und Jetzt. Und es macht mir nichts aus, es macht mir sogar Spaß, dir zu zuhören”. “Du weißt nicht, wie dankbar ich dir dafür bin”, meinte Keith und lächelte. Dieses Lächeln, dachte sich das Mädchen, bringt mich noch um den Verstand.
Stattdessen sagte es: “Du würdest mir viel davon zurückgeben, wenn du deine Vergangenheit hinter dich lässt und der Mensch immer bist, der du jetzt bist”. “Ich versuche es, kann zwar nicht garantieren, dass das gut geht, aber ich will mich ändern”, beteuerte Keith. Dawn strahlte ihn an und meinte: “Vielleicht kann ich dich ja mal meinen Eltern so richtig vorstellen, die denken nämlich, dass zwischen uns etwas läuft”. Beide lachten und der junge Mann rief: “Ich denke, Freunde sein reicht, aber den kannst du trotzdem behalten. Besuch mich mal ruhig “.
Danach setzte er sich auf das Gras und übergab ihr seinen Wohnungsschlüssel, ein Beweis dafür, dass er dem Mädchen vertraute. Es nickte und nahm den Schlüssel entgegen, auf einmal kam aber die Mutter von Dawn: “Hier seid ihr also. Wollt ihr nicht reinkommen? Dort ist es wärmer”, sagte sie. Keith lächelte, stand auf und gab Frau Wendel die Hand. Dann meinte er: “Vielen Dank für das Angebot, aber ich denke, ich sollte nach Hause gehen”. Danach verbeugte sich Keith und verabschiedete sich von Dawn.
Sie sah ihm hinterher. “Du scheinst ihn sehr zu mögen, kein Wunder so höflich wie er ist”, meinte auf einmal ihre Mutter. Das Mädchen lief knallrot an und sagte: “Äh … ja, er ist sehr höflich. Komm, lass uns gehen. Ich habe Hunger”. Ihre Mutter lachte sie an und dann gingen sie zu Zweit in das Haus.
Schon zwei Wochen später begannen die Pfingstferien. In der Zeit konnte man schon etwas erkennen, dass Keith ruhiger wurde. Dawn fiel das als Einzige auf und daher beschloss sie, ihn gleich am ersten Ferientag zu besuchen. Sie klingelte und wartete. “Hey, du hast doch einen Schlüssel”, begrüßte Keith sie lächelnd und bat sie herein. Seine Besucherin meinte: “Ja schon, aber ich nehme dann doch die höflichere Variante”. “Ich merks”, sagte Keith schmunzelnd und ging voran. Sein Ziel war die Küche, in der er Schweinebraten machte. “Kochen kann der gute Herr auch noch”, grinste Dawn und Keith meinte: “Ja, sogar ziemlich gut. Bis jetzt hat sich noch niemand beschwert. Willst du auch was?”. “Klar, gerne. Muss doch wissen, wie gut das schmeckt”, antwortete Dawn und setzte sich auf den Platz am Tisch, der ihr angeboten wurde. Währenddessen deckte Keith schon einmal den Tisch. Wie süß, dachte sich das Mädchen, er gibt sich sehr viel Mühe. Hin und wieder lächelte er Dawn an und sie lächelte strahlend zurück. Das war schon eine Selbstverständlichkeit bei den beiden geworden.
“Lernst du schon für die Prüfungen?”, fragte Keith später, als sie in seinem Schlafzimmer waren. Dawn nickte. “Ich auch, wobei es schon ungewohnt ist, so viel zu lernen”, meinte der junge Mann und das Mädchen wollte wissen, ob er sonst nie lerne. Sie bekam ein Nicken als Antwort. “Und dann bist du trotzdem noch so gut? Oha, Respekt”, sagte Dawn und Keith meinte: “Ach was, du bist doch auch total gut in der Schule”. “Das auch nur, weil ich später mal Geschichte und … Psychologie studieren will”, entgegnete das Mädchen. Er sah sie mit großen Augen an und rief: “Wow, da hast du was Großes vor. Das passt auch zu dir, du bist ein wahres Geschichteass. Du machst sogar mir Konkurrenz und … Menschen betreuen … das, das liegt dir auch!”. Wie süß er doch ist, wenn er total nervös ist, dachte sich Dawn. “Was willst du später mal machen?”, fragte sie ihn und er überlegte. Dann antwortete Keith: “Das ist mir eigentlich egal, das Einzige was ich will ist glücklich werden”. “Das wirst du, ganz bestimmt”, meinte das Mädchen, doch Keith musste ihr widersprechen: “Na ich weiß nicht. Wie soll ich eine Freundin finden, wenn alle in mir nur einen Schläger und Player sehen?”. “Deswegen sollst du dich ändern, dann werden auch die anderen erkennen, dass du … ein großartiger Mensch bist”, antwortete Dawn leicht abwesend. Keith stand dicht vor ihr und sah dem Mädchen in die Augen, während er meinte: “Ich glaube, es gibt nur Eine für mich. Aber sie ist für mich so unerreichbar wie der Pluto”. Seine Stimme klang dabei so voller Trauer, dass Dawn seinem Blick auswich. Daraufhin ging der junge Mann zum Fenster und sah in die strahlende Sonne. “Ich weiß nicht einmal, ob es Liebe ist. Ich habe das Gefühl verloren, aber in ihrer Nähe spüre ich immer so eine Wärme und ich muss die ganze Zeit an sie denken. Denkst du, dass man das als Liebe bezeichnen kann?”, sagte Keith. Dawn überlegte und antwortete: “Das kannst nur du selbst wissen”. “Ich möchte wieder lieben können. In all den Jahren habe ich nicht ein einziges Mal das Verlangen danach gehabt und jetzt? Jetzt ist es so gut wie mein Lebenselixier geworden”, rief er. Dawn meinte: “Liebe ist auch wichtig”. “Hast du eine große Liebe, bei der du weißt, dass diese dich niemals im Stich lassen wird?”, wollte Keith wissen. Das Mädchen überlegte erneut und antwortete: “Ja, ich glaube schon”. Nun herrschte Schweigen, jeder für sich dachte nach und schließlich war es Dawn, die das Wort erneut ergriff: “Ich kenne ihn schon eine gewisse Zeit und es war wohl Liebe auf den ersten Blick, auch wenn ich das erst später begriffen habe”. “Das ist doch toll und was ist mit ihm? Liebt er dich auch?”, harkte Keith nach. “Keine Ahnung, das ist mir auch nicht so wichtig, glaube ich zumindest. Ich bin einfach nur froh, wenn ich ihn sehen darf”, meinte Dawn. “Schön, sehr schön. Ich bin mir sicher, dass sich das auch noch klären wird”, sagte Keith und seine Besucherin fügte hinzu: “Das hoffe ich”.
In den zwei Wochen Ferien sahen sich die beiden öfters und lernten sich immer besser kennen. Sie unternahmen gerne etwas, man sah sie häufiger im Kendoverein. Ihnen war es egal, wenn sie Klassenkameraden über den Weg liefen, schließlich wollte sich Keith ändern und das tat er auch. Dawn war ungeheuer stolz auf ihn und lobte ihn immer wieder.
Ausgerechnet am letzten Ferientag sollte die gute Gesundheit von Keith einen immensen Dämpfer bekommen. Dawn war ein etliches Mal bei ihm. Sie lachten gerade über ihre eigenen Dummheiten, weil Keith gegen eine Tür gelaufen war, als es an seiner Wohnungstür klingelte. Der junge Mann besinnte sich und sah das Mädchen bittend an. Anscheinend wollte er, dass es mitkommt, also ging Dawn mit zur Tür. Keith öffnete diese und sah einen älteren Mann mit schon einigen grauen Haaren auf den Kopf vor sich. “Hallo Keith, schön dich wieder zu sehen”, sagte dieser und sah zu ihm auf. Verwundert blickte er der kleinen Gestalt in die Augen. Der Unbekannte hatte noch immer den Blick auf ihn und irgendwoher kannte Keith diese Augen. “Nein”, sagte er, “nein, das kann nicht wahr sein!”. Dabei wurde seine Stimme immer brüchiger. Dawn stand hinter ihm und sah den fremden Mann an. Was für aggressive Augen, dachte sie sich und bekam ein komisches Gefühl im ganzen Körper zu spüren. Daher sagte sie nichts und blieb stumm. “Eine hübsche Freundin hast du da. Wie heißt sie denn?”, meinte der Mann und wollte in die Wohnung eintreten. Keith verwehrte ihm den Eintritt und der ältere Herr stieß gegen ihn. “Erkennst du mich denn nicht wieder?”, fragte der Unbekannte. Keith, dem das alles schon sichtlich zusetzte, antwortete: “Natürlich weiß ich das! Wie könnte ich nur diese Augen voller Aggression vergessen!”. Dawn merkte, wie sich blitzschnell diese Kälte um sie herum gelegt hatte. “Keith …”, sagte sie traurig, wurde aber dann von ihrem Klassenkameraden unterbrochen: “Was willst du, Roland? Willst du, dass ich zu dir zurückkomme? Oder bei mir einziehen? Willst du kontrollieren, dass ich geschwiegen habe?”. “Ich bin ein sich sorgender Vater, der seinen Sohn besuchen wollte”, meinte der Mann. Keith merkte, wie er allmählich die Kontrolle über sich selbst verlor. Kalt und wütend sagte er: “Darauf kann ich auch verzichten! Ich dachte, dass ich endlich meine Ruhe vor dir habe, aber nein, nicht einmal ein Jahr ist vergangen und schon muss ich dich wieder sehen!”.
Dawn wusste, dass das der Vater von Keith höchstpersönlich war, der vor ihnen stand. Am Liebsten würde sie sich einmischen, doch das Mädchen hielt sich zurück. Das war einfach eine Sache zwischen den Männern. “Früher warst du nicht einmal halb so groß und vor allem so beherrschend. Ist etwas passiert?”, meinte Roland und Keith fühlte sich provoziert. Er war hin und hergerissen zwischen Wut und Trauer. Mit einem Mal war seine Vergangenheit ihm wieder so bedrohlich nahe. Daher begann er zu zittern und sah seinem Vater wütend in die Augen. Dieser hatte nur ein Lächeln für ihn übrig. Keith sagte gefährlich ruhig: “Du bist halt mein Vorbild”. Das Lächeln verschwand aus dem Gesicht des älteren Mannes und Roland näherte sich seinem Sohn. Er wollte Keith schon schlagen, doch dieser wich nicht aus. Er sah ihm emotionslos in die Augen. Dann streckte er seine rechte Hand aus und hielt den linken Arm seines Vaters. “Willst du etwa eine Strafe bekommen?”, fragte Roland. Keith musste lachen und antwortete: “Ich bin kein kleines Kind mehr!”. Danach stärkte er seinen Griff und sah, wie die kleine Gestalt das Gesicht verzog. Noch war Keith ruhig, doch Dawn sah bereits, dass er sich bald nicht mehr unter Kontrolle haben würde. Daher legte sie sanft eine Hand auf seine rechte Schulter und sagte: “Ruhig, ganz ruhig. Lässt du bitte los?”. Das Mädchen hatte eine lähmende Wirkung auf den jungen Mann, daher streckte dieser seine Hand zurück.
“Warum … warum bist du wirklich hier?”, fragte Keith stattdessen einem Zusammenbruch nahe. Nie hätte er sich zu Träumen gewagt, den Menschen noch einmal zu sehen, den er am Meisten hasste. Und jetzt? Jetzt war das die bittere Realität. “Komm zu mir zurück. Ich habe mein Hab und Gut verloren. Ich musste meine geliebte Metzgerei schließen”, antwortete Roland und traf Keith damit mitten ins Herz. Ihm gingen die Erinnerungen an dem Tod seiner Mutter durch den Kopf. Zittrig hielt er sich an seiner Wohnungstür fest und meinte: “Verschwinde!”. “Könnten Sie bitte…”, fing Dawn an, doch der Vater von ihrem Klassenkamerad unterbrach sie: “Schweig! Mädchen, du hast keine Ahnung also halt dich da raus”. Dawn hätte ihm am Liebsten das Gegenteil bewiesen, doch sie besinnte sich und blieb stumm. “Rede nicht so mit ihr!”, verteidige Keith seine Bezugsperson. “Wie lange bist du schon mit ihr zusammen?”, fragte Roland und wollte damit ablenken. Keith wusste das genau und dennoch machte ihm das alles zu Schaffen. Den Tränen und der Verzweiflung nahe, klammerte er sich an Dawn, die das sehr rührend fand.
Währenddessen wollte sich der Vater von dem jungen Mann Zutritt zu dessen Wohnung verschaffen. Im Zwiespalt der Gefühle hielt Keith ihn zurück und Dawn, die Angst hatte, griff das Schwert ihres Freundes, dass in dem Eingangsbereich lag. Sie versteckte es hinter der Tür, denn einen Angriff starten wollte das Mädchen auf keinen Fall, nur wenn es wirklich soweit kommen sollte. “Geh verdammt!”, schrie Keith völlig von der Rolle und sein Vater brüllte: “Du verleugnest deinen eigenen Vater, du Miststück!”. Das hatte gesessen und die aggressive Stimmung vom Schulrowdy oder wie auch immer verschwand. Ehe der junge Mann in vor seiner Wohnung zusammenbrach, fing Dawn den zittrigen Keith auf. Dieser klammerte sich abermals an das Mädchen, das erneut sagte: “Es reicht! Sehen sie denn nicht, dass er am Ende ist?”. “Ach was, früher hat er auch nichts gesagt”, meinte Roland, Dawn erwiderte: “Sie wissen nicht, was Sie aus ihm gemacht haben”. In ihrer Stimme lag eine Spur von Traurigkeit, die man deutlich erkennen konnte. “Was habe ich denn aus ihm gemacht?”, wollte der ältere Mann wissen. Dawn war sich sehr unsicher, doch als Keith sie annickte, konnte sie endlich sagen was sie wollte: “Sie haben aus ihm einen kalten, geradezu verbitterten und gewalttätigen Menschen gemacht, der Probleme hat, seine Gefühle offen zu zeigen. Er ist eine Marionette seiner Selbst”. Keith musste schlucken, denn genau das entsprach der Wahrheit. “Rede keinen Unsinn, ich kann nichts dafür, wenn er so kriminell ist!”, meinte Roland voller Kälte. Dawn konnte nicht glauben, wie rücksichtslos der ältere Mann war und sagte daher: “So sehen Sie das? Ich bitte Sie! Ich weiß nicht, was Sie in Ihrer Kindheit durchmachen mussten, aber ich kenne die Geschichte von Keith und wissen Sie was? Meiner Meinung nach sind Sie ein Teufel!”. “Ich töte dich!”, schrie der Vater mit einem wütenden Blick auf seinem Sohn. Das Mädchen dachte schon, dass dieser Keith angreifen wollte, doch es blieb bei der Warnung. “An Ihrer Stelle würde ich das lassen. Wenn er tot ist, dann weiß ich genau, dass Sie damit etwas zu tun haben”, meinte Dawn. Keith, der dem Gespräch nur lauschte, wurde mal wieder klar, was für eine starke Persönlichkeit seine Klassenkameradin hatte. Umso elender er sich auch fühlte, desto stärker kam ihm Dawn vor. “Warum mischst du dich überhaupt ein? Außerdem bin ich kein Teufel!”, sagte Roland scharf. “Was sind Sie dann? Ein Engel?”, wollte das Mädchen schnippisch wissen.
Endlich meldete sich Keith zurück zu Wort, zwar etwas wackelig in der Stimme, doch er schaffte es zu reden: “Ronnie, sie hat Recht. Ich bin schon fast etwas froh, dass ich dich wiedersehe. Du sagtest, dass deine Metzgerei pleite gegangen ist. Woran liegt das nur? Ich hoffe, dass die Wahrheit ans Licht gekommen ist!”. Anscheinend hatte Keith seinen Vater früher Ronnie genannt, anders konnte sich Dawn das nicht erklären, denn eigentlich hatte dieser Name nichts mit Roland zu tun. “Nicht daran wo du denkst, du weißt genau, dass die Polizei nie darauf gekommen ist, dass ich das Häufchen Elend damals unschädlich gemacht habe”, sagte Ronnie. Im nächsten Moment schlug Keith mit der rechten Faust zu. Davon überrascht, fiel sein Vater rückwärts um und hielt sich die blutende Nase. Außerdem hatte er einen Zahn verloren. Voller Wut meinte Keith: “Wie kannst du es nur wagen, so über meine Mutter und deiner Exfrau zu reden?! Hast du sie je geliebt? Ich denke nicht, denn sonst hättest du sie nie so behandelt! Ich habe noch nie so herablassend auf jemanden geblickt wie auf dich!”. Keith hätte ihn am Liebsten verprügelt, doch Dawn hielt ihn fest. “Was?!”, fragte der junge Mann völlig von der Rolle und das Mädchen antwortete: “Hör auf, es nützt dir doch nichts, wenn du ihn krankenhausreif schlägst. Ich denke, er hat gemerkt, dass man sich nicht mit dir anlegen sollte”. Keith sah erwartungsvoll zu seinem Vater, der noch immer sein Blut leckte. Aber diese großen Augen stellten Keith schon zufrieden. Lächelnd, aber dennoch völlig von der Wut überschattet, meinte er: “Ich warne dich: Komme nie wieder! Ich will dich nie wieder sehen!”. Danach schlug er die Wohnungstür lautstark zu und rannte aus der Wohnung zum Garten.
Dawn ging ihm hinterher, auch wenn Keith protestierte. Immer wieder riss er sich von dem Mädchen los, das ahnte, dass ihr Klassenkamerad wütend war. Dies konnte sie daran erkennen, dass der junge Mann seine Fäuste geballt hatte und in seinem Gesicht Aggression stand. “Keith…”, sagte Dawn und sie wurde unterbrochen. “Was?!”, fragte er erneut. Das Mädchen hielt ihn an den Schultern fest und drehte ihn zu sich. Ehe sich Keith davon erholen konnte, wurde er umarmt. Wie gelähmt stand er vor ihr und erwiderte weder diese Umarmung noch tat er etwas dagegen. Ihm liefen die Tränen übers Gesicht. “Ich komme mir grad so elend vor”, sagte Keith weinend. Dabei verkrampfte er sich mit den Händen in den Stoff von der Jacke, die Dawn trug. Diese verstand und meinte: “Ich denke, er wird dich jetzt in Ruhe lassen. Alles ist gut, ich bin bei dir”. “Was würde ich nur ohne dich tun? Dann wäre ich immer noch dasselbe Arschloch von früher”, sagte Keith. Das Mädchen sah dem jungen Mann in die Augen und meinte: “So ist es aber nicht, du wirst nie wieder alleine sein. Das muss dir immer klar sein. Ich verspreche dir, ich werde immer für dich da sein”. “Warum tust du das?”, fragte Keith schluchzend. Dawn musste schlucken und überlegte ihm zu gestehen, dass sie sich unsterblich in ihn verliebt hatte. Doch sie tat es nicht, da er eh schon völlig aufgewühlt war. Fragend wurde sie angesehen, anscheinend hatte das Mädchen ihre Lippen bewegt, während es nachdachte. “Ich … ich … “, stotterte Dawn und kam einfach nicht weiter. Erst recht, als Keith ihre Hände nahm. “Ich … ich hab einfach den Drang zu helfen! Au- außerdem … mag ich dich, ähm sehr! Du bist für mich mein bester Freund”, sagte sie schließlich stammelnd.
Der junge Mann lächelte sie unter Tränen an. Dann meinte er: “Weißt du, dass du echt süß bist, wenn du nervös bist? Das ist mir schon früher aufgefallen”. Dawn errötete sichtlich und ihr Herz macht einen Salto nach dem anderen. Das Mädchen wusste nicht, was es dazu sagen sollte und blickte ihren Klassenkameraden verlegen an. “So wie jetzt”, meinte dieser begeistert und sah ihr in die Augen. Ehe Dawn etwas sagen konnte, sprach Keith weiter: “Du bist wie ein Portrait. So lebendig und schön”. Was hat er vor, will er mich weich kochen? fragte sich das Mädchen und dachte sich, dass er genau ins Schwarze getroffen hatte. “Keith … “, sagte Dawn gerührt, da sie wusste, dass der junge Mann aus Liebe sprach. Er sagte: “Dawn…” und legte eine Hand auf ihre Wange. In dem anfänglichen traurigen Gespräch hatte sich ein wenig Verlegenheit und Romantik eingemischt. “Ich bin froh, dich kennengelernt zu haben”, meinte Keith leise. “Und ich, dass wir uns trotz der Vergangenheit so nahe stehen”, erwiderte Dawn. Der junge Mann spürte wie sehr er das Mädchen mochte. Dass es Liebe war, nahm er überhaupt nicht wahr. “Weißt du, dass ich dich mag? Sehr mag?”, fragte er und das Mädchen nickte ihn strahlend an. Er wusste, dass auch sie ihn mochte. Daher kuschelte sich Keith an sie.
Es sah schon wirklich niedlich aus wie sich der junge Mann an Dawn lehnte. Dieser konnte hören, wie das Herz von Dawn raste. “Warum bist du so nervös?”, wollte Keith erneut wissen. Das Mädchen antwortete stotternd: “Weil … weil … weil ich nie gedacht habe, dass wir uns mal so gut verstehen!”. Eigentlich hätte sie sagen müssen, dass sie sich in ihn verliebt hatte, aber sie wusste, dass das noch zu früh war. Viel zu früh. Keith genügte diese Antwort jedenfalls und meinte: “Ich liebe es, dem Schlagen deines Herzens zu lauschen”. Neben ihm war es still, Dawn strich ihm beruhigend über das Haar. Der junge Mann blickte daraufhin zu ihr auf. Dann beugte er sich zu ihr hinauf und sah ihr genau in die Augen. Das Mädchen konnte sich kaum erholen, da Keith ihr einen Kuss auf die Stirn gab. Langsam, lange und mit vollster Ruhe. Es dauerte nicht lange, bis sich ihre Lippen erneut berührten. Beide wollten erneut dieses unverkennbare Gefühl haben. Der erste Kuss an jenem Abend hatte mit einem Schlag alles geändert. Überhaupt seitdem sie das erste Mal alleine aufeinander trafen und selbst die Schule trug ihren Teil dazu bei, dass es jetzt so ist wie es ist. Keith hielt Dawn zärtlich in seinen Armen und dachte, dass er träume. Er wusste, dass er bei dem Mädchen das fand, wonach er immer suchte: Vertrauen und Geborgenheit. Der junge Mann fühlte sich dennoch unsicher. Für ihn war es ein Rätsel, wie ein Mädchen ihn nur mögen konnte, wo er doch so ein schlechter Mensch war. Zumal Dawn ihn schon gemocht hatte, obwohl er der Schulschläger war, der keinerlei Gelegenheit ausließ, seine Stärke zu demonstrieren. Wenn Keith so nachdachte, machte er eine immense Veränderung durch. Plötzlich spürte er eine Hand über sein Herz. Der junge Mann erschrak und sah in das lächelnde Gesicht von Dawn. Er entspannte sich, auch wenn ihm das unmöglich erschien. Überhaupt wusste Keith nicht, was er tun sollte. Eigentlich war er nicht verklemmt, aber bei Dawn seltsamerweise schon. Und wie er das war! Keith bekam kein Wort heraus und fühlte sich unwohl. Normalerweise wusste er immer, was er zu tun und zu sagen hatte, doch jetzt ließen ihn seine Stärken im Stich. Langsam zog er Dawn zu sich, die sich an ihn lehnte. Keith spürte ihre weichen Haare und fing an mit diesen zu spielen.
Lange saßen die beiden schweigend da und selbst als es schon dunkel war, machten sie keine Anstalten zum Aufstehen. Als die beiden schließlich doch irgendwann in ihre Betten lagen, dachten sie nach. Die Ferien waren einfach so abwechslungsreich wie noch nie gewesen und trotzdem veränderte sich Keith weiterhin. Er wurde mehr und mehr zu einem anständigen jungen Mann. Dawn war ungeheuer stolz auf ihn und selbst er, der nie damit gerechnet hätte, sich um einhundertachtzig Grad zu drehen, musste zugeben, dass ihm das ungeheuer gut tat.
Doch kaum sahen sie sich am nächsten Tag in der Schule wieder, zerstörte ein Vorfall alles. Dawn kam gerade ins Klassenzimmer hinein, als sich ein großer Kreis um Keith gebildet hatte.
“Was ist denn hier los?”, fragte das Mädchen. Maurice antwortete: “Er ist besoffen bei Joshua eingebrochen und wollte den kostbaren Familienschmuck stehlen. Als er dabei erwischt wurde, hat er Josh übel zusammengeschlagen”. Dawn dachte sie höre nicht richtig und riss ihre braunen Augen weit auf. “Das stimmt nicht!”, verteidigte sich Keith, sein bester Freund fiel ihm ins Wort: “Josh können wir nicht fragen, du hast ihn ins Koma geschlagen”. “Wie bitte? Woher willst du das überhaupt wissen?”, fragte Dawn erschrocken. “Ich war doch selbst dabei, gleich am ersten Ferientag in der Nacht hat Keith die Tat begangen”, antwortete Maurice. An dem Tag, als ich mit ihm noch so friedlich geredet habe? fragte sich Dawn, das kann doch nicht wahr sein! Er war so ruhig und hätte an diesem Tag niemanden etwas antun können. Habe ich mich doch so sehr in ihm getäuscht? “Warum hast du Tränen in den Augen?”, wollte Maurice auf einmal wissen. “Ich war das nicht!”, schrie Keith dazwischen. Die Mitschüler stellten sich eindeutig gegen ihn und meinten: “Ja klar, wer sollte das sonst gemacht haben?”. Keith zuckte mit den Schultern und Mareike sagte: “Da hast du es. Nur du bist zu so etwas in der Lage und das du das auch noch bestreitest ist wirklich feige”. Keith wäre ihr am Liebsten an die Gurgel gegangen, doch er besinnte sich und dachte daran, dass er sich ändern will und dann meinte er ruhig: “Ich kann dazu nur eins sagen, nämlich, dass ich es nicht war. Dawn war an dem Tag bei mir und das würde keinen Sinn ergeben, wenn ich danach auf einmal so wütend wäre und ausgerechnet bei Joshua eingebrochen wäre. Außerdem sind er und ich Freunde. Ich habe mit diesem Vorfall nichts zu tun!”. Dann sah er zu Dawn, die ihn bitter enttäuscht anstarrte und zu ihrem Platz ging. “Dawn! Du musst mir glauben, ich war das nicht!”, beharrte Keith. Yannick sagte: “Dir ist doch alles zu zutrauen! Sei wenigstens so ehrlich und gib es zu”. “Warum soll ich etwas zugeben, was ich nicht begangen habe?”, fragte Keith und ehe jemand antworten konnte, sagte Dawn traurig: “Lass es gut sein, für immer”. Keith sah sie an und das Mädchen drehte sich zu ihrer Banknachbarin.
So ging das den ganzen Tag und der ganzen Woche über, Dawn ignorierte Keith und dieser litt. Ich habe doch gar nichts gemacht, dachte sich der junge Mann, als er alleine in seiner Wohnung war und im Bett lag. Wer kommt nur auf die Idee, so einen Scheiß über mich zu erzählen? Ich war das nicht, oder etwa doch? Bin ich mittlerweile so abgehoben, dass ich mich an meine Taten gar nicht mehr erinnern kann? Nein, ich weiß sehr wohl, was ich tue und was nicht, aber das Schlimmste daran ist, dass Dawn, die Person, die mir am Meisten etwas bedeutet, denkt, dass ich doch so ein Assi bin. Moment mal! Die Person die mir am Meisten etwas bedeutet, kann es denn wirklich sein? Kann es Liebe sein? Ich muss immer wieder an sie denken, möchte sie immer bei mir haben und kann es nicht mit ansehen, dass sie wegen dieser Sache so down ist. Ja verdammt, es ist Liebe! Ich liebe dieses Mädchen, aber sie hasst mich jetzt. Sie ist enttäuscht und wird mir wohl niemals glauben. Dabei ist Dawn der Grund, weshalb ich mich überhaupt ändern will. Ich kann es nicht ertragen, sie so leiden zu sehen, ich will ihr Lachen sehen und mit ihr alt werden. Aber das kann ich ja wohl voll vergessen. Nun, dann kann ich ja wieder so wie früher werden, ich habe das verloren, was mir am Wichtigsten ist und somit ist alles egal. Es ist egal, was ich tue und es ist egal, wie und vor allem wer ich bin. Trotzdem kann ich nicht mehr so sein, wie ich früher war und außerdem würde das nur noch mehr den Verdacht erhärten, dass ich das wirklich war. Ich sollte lieber meine Unschuld beweisen, nur wie? Ich allein gegen den Rest der Welt, na toll, da kann ich das gleich vergessen.
Der einstige Rowdy schottete sich immer mehr von den Anderen ab und wurde ruhiger. Dennoch bekam er in der Schule immer wieder fiese Sprüche zu hören, die ihn wütend werden ließen. Er musste seinen Zorn unterdrücken, denn jeder Wutausbruch würde mit einem Schlag alles kaputtmachen. Dann hätte es nie wirklich etwas gebracht, sich einer Person anzuvertrauen und dieser auch noch zu versprechen, sich zu ändern. Es war schon ein kleiner Kampf zwischen Dämonen und Engeln in seinem Unterbewusstsein, doch Keith wollte keinen Rückfall erleiden, er wollte so sein wie er war, als seine geliebte Mutter noch lebte: Fröhlich und nett. Das würde er nur schaffen, wenn er irgendwie seine Unschuld beweisen könnte. Trotzdem, die Wut war nach wie vor in ihm und egal wie sehr er sich dagegen wehrte, sie wurde immer größer und unkontrollierbarer. Irgendwann würde sie ihn umbringen, da war sich Keith sicher. Bis es soweit ist, so dachte er, würde er die ihm gebliebene Lebenszeit genießen. Er wollte in Ruhe sterben und Dawn niemals vergessen. Noch nie hatte er so gefühlt, Keith war sich sehr sicher, dass sie keine Schlampe und ehrlich zu ihm war. Er wusste es und genau das war das traurige an der Sache. Eigentlich wollte der junge Mann das Mädchen vergessen, doch wie sollte das gehen, wenn sie sich täglich in der Schule sahen? Oder im Training, so wie auch jetzt?
Keith war überhaupt nicht bei der Sache und auch Dawn fiel das auf, dennoch sagte sie nichts. Sie wollte das Training einfach nur so schnell wie es ging zu Ende bringen. Noch immer war das Mädchen zutiefst verletzt und enttäuscht, sie dachte, dass der junge Mann es nun endlich schaffen würde, seine Vergangenheit hinter sich zu lassen. Und dann kam so etwas.
“Du solltest aufpassen, mein Lieber”, meinte sie und schlug ihm das Schwert aus der Hand. Keith hob es auf und meinte: “Haha, sehr witzig”. In seiner Stimme klang schon eine gewisse Wut, doch das war ihm nicht klar. “Ich mein ja nur, könnte sein, dass du dich daran bitter schneidest”, meinte Dawn. Keith kam ihr jetzt sehr nahe und sah ihr eindringlich in die Augen. “Was soll das heißen, hm?”, fragte er schnippisch und sie antwortete gleichgültig: “Ich wüsste nicht, was an meiner Warnung so unverständlich war”. Frauen, dachte sich Keith, wenn ich die einmal richtig verstehen würde. Dieses sachliche Gespräch ging ihm jetzt schon auf die Nerven. “Deine Technik war auch schon mal besser”, meinte seine Trainingspartnerin, die sich in seine Gegnerin verwandelte, zumindest in seinen Augen. “Wie bitte? Nur weil die Anderen auf mich herum hacken musst du das nicht gleich auch tun”, sagte Keith säuerlich und Dawn widersprach: “Ach, tue ich das? Entschuldigung, wie mag es denn der Herr White am Liebsten?”. Keith fuhr mit dem Kämpfen fort und wurde brutaler. Das Mädchen grinste und meinte: “Na endlich kommt hier mehr Leben rein”. Was soll das, dachte sich Keith, will sie mich etwa wütend machen?
Der junge Mann wollte sich nicht provozieren lassen, doch auf einmal schrie er auf und hatte sein Schwert ganz weit hinten zum Angriff angesetzt. Seine Augen zeigten Wut und Dawn sah ihn angsterfüllt an. Auch der Blick von Keith lag auf dem Mädchen und er sah diese Angst. Er zitterte am ganzen Körper, da er nicht wusste wie ihm geschieht. Plötzlich sah er seinen verhassten Vater vor sich und Keith hätte das Mädchen wohl angegriffen, wenn es nicht so ängstlich gewesen wäre. “Nein, ich will das nicht! Hört auf, ihr könnt mich nicht mehr kontrollieren!“, schrie Keith und versuchte verzweifelt, den Angriff zurückzuhalten. Noch immer stand der junge Mann angriffsbereit, doch auf einmal hörte er Schritte. Schritte, die sich ihm schnell näherten und ehe er sich umdrehte sah er seinen Trainer.
Dieser sagte: “Keith, was machst du da? Also das hätte ich nicht von dir gedacht, leg sofort das Schwert weg!”. “Ich … ich würde ja gerne, aber ich kann nicht!“, meinte Keith noch immer verzweifelt. Sein Trainer ging schon auf ihn zu, als Dawn meinte: “Lassen Sie. Keith, wenn du mich so sehr hasst, dann tu was du nicht lassen kannst. Töte mich, bedenke aber, dass ich dich mag und immer mit dir gefühlt habe”. Danach sah sie ihn etwas ängstlich, aber auch wartend an. Keith haderte weiterhin mit sich und meinte voller Panik: “Ich will das nicht! Wirklich, aber ich … ich, ich verdammt! Hilfe!“. Der junge Mann war nach wir vor nicht wirklich in der Lage zu reagieren und so nahm ihm sein Trainer die Waffe aus der Hand. Keith ging zu Boden und sah geschockt in seine leeren Hände. “Tut mir leid, aber Killer können wir hier bestimmt nicht gebrauchen, ich bitte dich zu gehen”, sagte der Trainer. Es war eindeutig, Keith wurde aus dem Verein entlassen. Er wollte schon gehen, doch dann hörte er Dawn sagen: “Nein, er bleibt”. “Er wollte dich umbringen, das ist dir schon klar, oder etwa nicht? Keith hat zwar großes Talent, aber der Schwertkampf dient nicht zum Töten”, meinte der Trainer. “Wenn er geht, gehe ich auch und Sie haben selber zu mir gesagt, dass ich mit ihm auf einer Ebene bin!”, widersprach Dawn. Der Trainier überlegte, das Mädchen sagte daraufhin: “Ansonsten war er immer die Ruhe selbst und auch total nett, jeder hat mal einen schlechten Tag und das ist ja wohl noch verzeihlich. Werfen Sie ihn nicht raus. Außerdem habe ich gesehen, dass er das nicht wollte”. Keith, der das alles mit dem Rücken zu den beiden Personen mithörte, wurde warm um das Herz. Sie ist unglaublich, dachte er. “Also gut, aber beim nächsten Mal ist er draußen”, gab der Trainer schließlich nach. Danach ging dieser.
“Warum … warum hast du dich für mich eingesetzt?”, fragte Keith stammelnd und erstaunt. Dawn ging zu ihm und sagte, während sie ihm in die Augen sah: “Ich zweifle an deiner Schuld, wenn du wirklich noch so wie früher wärst, hättest du ohne zu Zögern zugeschlagen und wie ich schon sagte, du warst zerrissen. Ich konnte deine Zerrissenheit sehen, du wolltest nicht zuschlagen, konntest dein Schwert aber nicht einstecken. Das heißt aber nicht, dass alles wieder in Butter ist”. “Schon klar, trotzdem danke”, meinte Keith und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Dawn musste ebenfalls lächeln, sagte aber dann: “Naja, du ich muss los. Hab noch einiges vor, wir sehen uns ja dann wieder”. Und dann ging sie ohne auf eine Antwort zu warten.
Keith sah ihr sehnsüchtig hinterher und wurde traurig. Sehr traurig. Sie glaubt also nach wie vor, dass ich das war, dachte er. Kein Wunder, nachdem ich sie fast erschlagen hätte. Der junge Mann fuhr gedankenverloren in der kalten und verregneten Dunkelheit nach Hause. Die Fahrt erinnerte ihn an seine Vergangenheit und schließlich an sein jetziges Inneres. Als er endlich in seiner Wohnung ankam, ging er sofort zum Kühlschrank, in dem er noch einigen Alkohol zu stehen hatte. Eigentlich wollte Keith damit aufhören, doch in seiner Verzweiflung griff er zur ersten Flasche Whisky. Mit der Flasche in der Hand stellte er sich ans Fenster und starrte den Vollmond an. “Niemand glaubt dir, niemand. Nicht einmal du selbst glaubst dir”, hörte er in seinem Inneren eine Stimme sagen. “Ach ja? Und zu welchem Preis? Dafür, dass ich so bleibe wie ich bin?”, fragte Keith laut in die stille Nacht und bekam eine Antwort: “Nein, dafür, dass du ein gebranntes Kind bist”. Ja, der junge Mann führte Selbstgespräche, das half ihm irgendwie und daher machte er weiter. Er wusste nicht mehr, was für ein Mensch er war. “Die Person, die dir am Meisten bedeutet, hat dich fallen gelassen. Was wirst du nun tun?”, hörte Keith die Stimme fragen. Er zuckte mit den Schultern und ließ die mittlerweile leere Flasche fallen. Mit einem lauten Scheppern kam sie auf den Boden auf und zerbrach in tausende von Scherben. “Gar nichts werde ich tun, hörst du. Gar nichts. Ich werde hier auf meinem Tod warten!”, sagte Keith verbittert mit einer Spur von Traurigkeit. Kaum hatte er das ausgesprochen, nahm der junge Mann den restlichen Alkohol aus seinem Kühlschrank und stellte die ganzen Flaschen auf den Küchentisch. Immerhin noch zwei Flaschen Whisky, jeweils einen Wodka und Rum blieben ihm fürs letzte Besäufnis. Wobei ihm einfiel, dass er noch das ein oder andere in den Flaschen aufgelöste LSD hatte. Ihm war das so oder so egal, er hatte nichts mehr zu verlieren. Außer sein Leben. Diese Traurigkeit versuchte Keith mit Alkohol aus seinem Herzen zu brennen. Er hatte sogar Tränen in den Augen und so ging es die nächsten Stunden weiter.
Mittlerweile stieg die Sonne wieder und selbst das bekam der junge Mann kaum mit, da er dachte, dass jemand hinter ihm stünde. Es war nicht nur irgendjemand, sondern sein Vater. Panisch drehte er sich um und schrie: “Lass mich in Ruhe! Ich habe mein eigenes Leben zu leben, verschwinde!”. In seinem blinden Rausch bekam er überhaupt nicht mit, dass das die Nebenwirkungen von LSD waren. Diese bestanden darin, Halluzinationen zu haben. Keith bildete sich ein, dass sein Vater nach ihm griff und schlug um sich. “Fass mich nicht an!”, brüllte er und schlug mit den Fäusten auf den Tisch ein. Nicht einmal den Schmerz nahm Keith wahr, der das mit sich trug. Er verspürte lediglich ein höllisches Pulsieren und trotzdem konnte er nicht ans Aufhören denken. In ihm machten sich die verschiedensten Gefühle breit: Trauer, Rachesucht und Wut.
“Dawn?”, fragte Keith laut. “Du bist verbittert, sehr verbittert und versteckst dich hinter einer Maske aus Kälte und Gewalt. Du könntest mir glatt leid tun, denn eigentlich bist du noch immer ein schwaches und kleines Kind”, hörte der junge Mann eine Stimme sagen. “Das stimmt nicht, du lügst! Ich bin groß und stark!”, schrie Keith und warft eine leere Flasche Whisky gegen die Wand. Seine Wut breitete sich wie die Sonnenstrahlen im Zimmer aus. Torkelnd leerte er seinen Kühlschrank. Kaum war dieser leer, feuerte Keith auch schon Jogurt an den Schrank. Die weiße Masse sank an dem braunen Holz Richtung Boden. Der junge Mann ließ ausnahmsweise alles raus, er hatte auch keine andere Wahl. Er war wütend, sehr wütend und doch war diese gewisse Trauer in seinem Herzen nach wie vor da. Früher hatte er diese Gefühle halbwegs vergraben, doch nun war es an der Zeit, die Dämonen, die zu ihm sprachen, freizusetzen.
Plötzlich spürte Keith, wie ihn jemand in den Armen hielt. Noch so eine Einbildung, er fühlte sich ganz klein und hilflos. Er saß auf den Boden und ging immer weiter zurück. Als sein Rücken schließlich gegen den verschmierten Schrank stieß, stieß er einen grellen Schrei von sich und fing an, mit den Füßen in die Luft zu treten. Nicht einmal das nahm Keith wahr: Niemand war da, er war alleine und bildete sich alles ein. In seinem Trip merkte er eh nichts, nur, dass er nicht mehr klar bei Sinnen war. Sein Kopf schmerzte höllisch und er hielt ihn sich. “Isch, will ... lasch los!”, lallte Keith durch seine leere Wohnung und schlug mit dem Kopf auf dem Boden. Sekundenspäter merkte der junge Mann, dass sein Haar etwas nass war. Mit der Hand berührte er seinen Kopf und sah schließlich das Blut. Danach grinste Keith und schleckte es schließlich weg. “Bluuuhuut”, sagte er laut und freute sich wie ein kleines Kind. Im nächsten Moment fühlte er sich wieder bedroht, denn alles drehte sich um ihn herum. Es fühlte sich so an, als ob man Keith auf einen Drehstuhl gebunden hatte und diesen schnell um die eigene Achse drehte. “Aus… was sollsch dass? Isch seh nichts mehr”, säuselte er vor sich hin und stand auf. Schwankend wollte er sich an dem vollen Tisch setzen, doch Keith stieß mit dem Knie gegen ein Holzbein und wurde wieder wütend. “Aua, Arschlosch!”, schrie er und fuhr mit den Händen quer über den Tisch. Mit lautem Scheppern fiel alles auf dem Boden und damit nicht genug stolperte er quer durch die halbe Küche, weil er in dem Haufen Lebensmittel, den er vor ein paar Minuten aus dem Kühlschrank geholte hatte, gestiegen war. Überrascht darüber konnte Keith sich nicht mehr halten und fiel unsanft zu Boden. Das Chaos war also perfekt. Immerhin hatte er sich nicht verletzt und konnte sich gerade so aufrappeln. “Blöhööhöd”, lallte er und nahm eine halbvolle Wodkaflasche. Mit dieser tanzte er um den Tisch. “Du tanzt mit dieser gewissen Eleganz an Traurigkeit. Willst du die Wunden nun betäuben?”, hörte Keith die Stimme sagen. Sichtlich irritiert meinte er: “Du hasch keine Ahnung mit dein … er scheißperfekschen Famlieee”. Der junge Mann hörte ein Lachen und folgende Worte: “Du schaust gut aus, sehr gut. Ich liebe es wenn du wütend und traurig zu gleich bist. Willst du dich wirklich nicht rächen? Sie alle hassen dich bis aufs Blut”. “Isch will wesch, weit wesch von hier. Isch werde allessch beenden und denn sin alle froh”, antwortete Keith und sein Herz wurde mit Trauer erfüllt. Er dachte zu viel über seine Vergangenheit nach. Daher machte er die letzte Flasche Rum auf und exte diese, auch wenn ihm selbst davon schon schlecht wurde. Sekunden später umgab ihm ein gewaltiges Zucken.
Es war schon Mittag und Keith versuchte vor dem Küchenfenster stehen zu können, aber sein Körper wollte einfach nicht ruhen. “Isch hab eh nisch mehr zu verlieren, lebwoohool”, lallte er und nahm ein Messer in die Hand. Es war das Schärfste, was er hatte. Der junge Mann sah es im Sonnelicht an und musste sogar grinsen. Langsam glitt er damit in seine Haut, die sich aufschnitt wie Butter. Keith ging immer tiefer und tiefer, seine Hand blutete schon heftig. “Es geht, gut, dann …”, fing er an, aber plötzlich musste er sich übergeben. Verdutzt starrte er auf seine Kotze. Das beeindruckte ihn aber nicht weiter, der junge Mann wollte sein Leben ein Ende bereiten. Ein blutiges Ende. Daher widmete er sich wieder dem Messer und schnitt sich damit langsam, aber mit vollem Gefühl, die linke Pulsader auf. Sein Blut tropfte auf den Boden, doch er wollte mehr sehen. Viel mehr. Schnell glitt Keith mit der scharfen Klinge über die rechte Pulsader. Sekunden später quoll auch aus ihr sein Blut. “Die Erlösung ruft, endlisch”, lallte er und musste weinen. Im nüchternen Zustand hätte der junge Mann das nie getan. Im Rausch und Trip tat er dies ohne zu Zögern. Sein Leben bedeutete ihm einfach nichts mehr, er selbst sah sich als vollkommen wertlos und in seiner tiefen Verzweiflung begriff Keith gar nicht, was er da eigentlich tat. Erst als er zusammenbrach und mit dem mittlerweile blutigem Kopf in seine Kotze aufkam, merkte er, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. “Nein”, sagte er “nein…”, er wollte schreien, doch seine Stimme ließ nach, damit nicht genug verschwamm das Bild vor ihm und wurde immer dunkler.
Dawn war auf dem Weg nach Hause. Traurig hatte sie gehofft, dass Keith doch noch in die Schule kam. Na gut, dachte sie sich, dann muss ich ihm den Schlüssel eben nach Hause bringen. Das hübsche Mädchen vermisste ihren Klassenkameraden sehr und machte sich Sorgen. Eigentlich wollte es zuerst ihren Eltern Bescheid sagen, doch die Wohnung von Keith war eindeutig näher gelegen und daher machte sie sich auf dem Weg zu ihm. Angekommen klingelte sie. Dawn wollte ihm gleichgültig kommen und auch schnell wieder gehen, doch erst einmal musste sie warten. Sie wartete gut fünf Minuten, als sie schließlich die Tür aufschloss. Kaum hatte sie einen Schritt in die Wohnung gemacht, hielt sie sich die Nase zu. Alles klar, dachte sich Dawn, er hat wieder gesoffen. Eigentlich wollte das Mädchen den Schlüssel nur auf den Wohnzimmertisch legen, doch sie hielt inne. Irgendwas stimmt hier doch gewaltig nicht und überhaupt, was ist das für Geruch? fragte sie sich und ging vorsichtig in das nächste Zimmer. Dort sah sie wahrhaftig das Grauen vor sich: Keith lag gekrümmt auf den Boden in Kotze. Um ihn herum regierte das Chaos.
“Keith!”, schrie Dawn erschrocken und rannte sofort zu ihm. Danach schüttelte sie ihn durch. Sie merkte, dass er sich schon total kalt anfühlte und sah erst jetzt die riesige Blutlache auf die er lag. Sofort ging sie zum Telefon und alarmierte den Notarzt. Längst vergoss sie Tränen und versetzte ihn in die stabile Seitenlage. Keith konnte eine dunkle Gestalt erkennen und versuchte sich an diese zu klammern. “Hil …f, hilf mir!”, flüsterte er kurz vor der Bewusstlosigkeit. “Der, der Krankenwagen ist schon unterwegs, halte durch!”, sagte Dawn weinend. Keith, der die Stimme irgendwoher kannte, nahm seine ganze Kraft zusammen und sagte: “Ich, ich liebe … liebe dich, Dawn”. Danach verlor er das Bewusstsein.
Das Mädchen hatte die Worte zwar gehört, doch die Sorgen überwiegten. Ohne zu wissen, was es zu tun hatte, nahm es Geschirrtücher und wickelte diese um die offenen Pulsadern. Immerhin versuchte das Mädchen die Blutungen zu stoppen und sah nicht tatenlos durch die Gegend. Dawn wusste nicht, was sie noch tun könnte und daher kauerte sie sich zusammen und sah sich doch um: Er muss sehr gewütet haben. Überall lagen Scherben, an der Wand sah sie braune Flecken und der Schrank zeigte eine deutliche Spur von Jogurt. “Oh Keith”, sagte sie, doch dann hörte sie Sirenen. Das Mädchen rannte an die Tür und winkte. Zwei Notärzte kamen mit einer Trage, als ob sie schon ahnten, was sie erwartete. “Sie haben ihn gefunden. Wann war das?”, fragte ein Assistent, als Keith in den Krankenwagen geschoben wurde. “Vor fü- fünf M-Minuten. Ich ich bin gleich nach der Schule hierher. Er hat nicht aufgemacht und daher b-bin ich rein, hatte Schlüssel…wollte ihm zurückgeben, dann lag lag er da. Er hat sogar kurz, ganz kurz, geredet und und es sah grausam aus!”, antwortete Dawn völlig aufgelöst. Beruhigend strich der Helfer ihr über den Rücken und sie fragte schließlich, ob sie mit ins Krankenhaus könne. Skeptisch wurde sie angesehen, der Mann sagte: “Sie sind keine Verwandte von ihm”. “Bitte! Er ist mein Klassenkamerad und er bedeutet für mich alles! Er hat doch sonst niemanden mehr, seine Mutter ist tot und sein Vater ist irgendwo im Nirgendwo”, flehte Dawn ihn an und musste erneut anfangen zu weinen. Ein Nicken verriet ihr, dass sie die Erlaubnis bekommen hatte. Sofort stieg sie in dem Krankenwagen, der losfuhr.
Die Fahrt war eigentlich sehr kurz, doch für Dawn fühlte sich diese wie eine Ewigkeit an und daher wurde sie immer unruhiger. Sie hatte ungeheure Angst um Keith, vor allem weil sein Puls stetig sank. Als sie endlich im Krankenhaus ankamen, wurde ihr Klassenkamerad sofort in die Notaufnahme gebracht, sie blieb allein zurück und musste warten. Sehr lange warten. Es kam ihr schon wie Jahre vor und doch waren es ganze drei Stunden. In dieser Zeit ging ihr so vieles durch den Kopf. Warum? das war die Hauptfrage. Sie hatte keine Antwort darauf.
“Sind Sie die Dame, die Herrn White gefunden hat?”, wurde Dawn auf einmal von einem Arzt gefragt. Erwartungsvoll sprang sie auf und sah ihn an. Dieser lächelte nett und meinte: “Rettung in allerletzter Sekunde. Er wäre uns beinahe wegverblutet”. Erleichtert atmete das Mädchen auf und fragte: “Darf ich zu ihm?”. “Ja, aber ich bitte Sie ruhig zu sein und es kann sein, dass die Polizei Sie zu dem Vorfall befragt”.
Sie wollte schon losgehen, doch der Arzt stellte schon einige Fragen und erteilte dem Mädchen Auskunft über das, was die Ärzte tun mussten und über den derzeitigen Zustand von Keith. Dawn hörte aufmerksam zu und erschrak immer wieder, zumal sie ihn endlich sehen wollte. Der Moment war näher gekommen, nachdem der Arzt ihr noch Einiges erklärt hatte.
Nickend ging Dawn und suchte das Zimmer auf, in dem Keith lag. Sofort sah sie in ihn an und erneut kamen ihr die Tränen. “Was machst du nur für Sachen?”, fragte sie laut und wusste, dass sie darauf keine Antwort bekommt. Dawn ging auf und ab, sie konnte nicht still da sitzen und Nichtstun. Als ihr Blick mal wieder auf Keith lag, beobachtete sie ihn genau. Das Mädchen sah, wie der junge Mann ruhig atmete und das freute sie sehr, doch die Augen hatte er noch immer geschlossen. Die ganze Zeit über konnte Dawn nicht den Blick von Keith nehmen und setzte sich schließlich neben ihm auf den Boden, nebenbei hatte sie eine Hand auf seine gelegt. Sie vergrub den Kopf in dem weißen Stoff des Bettlakens und schlief ein.
Dawn wusste, als sie aufwachte, dass sie nicht lang geschlafen haben musste, denn alles sah noch so wie vorher aus. Höchstens zwei Stunden hatte das Mädchen geschlafen, sie sah auf ihre Uhr. Kurz vor zwanzig Uhr. Danach nahm sie wieder eine Hand von Keith und drückte diese. Wach auf, dachte sie sich, bitte wach einfach nur auf, damit ich weiß, dass du es wirklich geschafft hast. “Bitte komm zu dir, ich liebe dich doch!”, sagte sie laut und musste wieder weinen. Als die ersten Tränen auf seine Hand trafen, bewegte sich Keith. “Was, was …”, begann er und brach ab, als er merkte, dass seine Arme ihm ungeheuer wehtaten und auch der Rest seines Körpers sich so schlapp anfühlte. Schließlich sah er die Tränen in den Augen von Dawn und noch immer wusste Keith nicht, was passiert war. “Keith?”, fragte das Mädchen und der junge Mann antwortete: “Dawn…”, doch kaum fing er an zu reden, wurde er schon fast von dem Mädchen umgerannt. Was ist denn hier los, dachte er sich, warum umarmt sie mich so heftig? Das klärte sich aber von selbst, da Dawn sprach: “Du hattest eine Alkoholvergiftung und wärst fast verblutet, weil du dir die Pulsadern aufgeschnitten hast. Damit nicht genug wärst du fast erstickt, weil du in deiner Kotze gelandet bist”. Keith wurde rot im Gesicht, ihm war das ungeheuer unangenehm, er dachte, dass er sterbe. “Du, du hast dir Sorgen gemacht?”, fragte er völlig durcheinander und Dawn nickte. “Natürlich habe ich das und mach das nie wieder, das war ein grausamer Anblick”, antwortete das Mädchen. Der junge Mann sah mit den Augen auf die Decke und brauchte ein bisschen Zeit um zu verstehen.
Dawn wich ihm nach wie vor nicht von der Seite. “Deswegen tut mir also alles weh”, stellte Keith von Schmerzen geplagt fest. Das Mädchen wollte wissen, warum er das alles getan habe. Nachdenklich sah er sie an und wusste nicht so recht, ob er darüber reden sollte oder nicht. Nach einer Weile fing er schließlich doch an zu sprechen: “Weißt du, im Inneren bin ich ein gebranntes Kind. Das heißt, mein Herz ist erfüllt von Trauer und Schmerz. Meistens habe ich das unter Kontrolle, doch meine Maske aus Kälte hat gewaltige Risse bekommen. Seit geraumer Zeit. Ich erkenne mich nicht wieder und ertappe mich dabei, wie verzweifelt ich bin. Die Sache mit Josh hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Niemand glaubt mir, ich weiß auch warum, aber selbst Menschen wie ich können sich ändern. Und ich will mich ändern, wirklich. Ich will nicht mehr der sein, der ich einmal war. Aber wie soll ich das schaffen, wenn mir jemand etwas vorwirft, was ich nicht begangen habe? Nun denn, in meiner fatalen Verzweiflung griff ich wieder einmal zur Flasche. Eigentlich hatte ich damit aufgehört, aber ich hatte noch welche im Kühlschrank und damit nicht genug, habe ich dort vor einiger Zeit LSD reingespritzt. Als ich das Zeug eingenommen hatte, hatte ich Halluzinationen und da ergriff die Trauer mich. Alkohol und Drogen sollte man nie zusammen konsumieren und genau das tat ich. Ich bin alleine und werde es immer sein, daher nahm ich ein Messer und schnitt mit die Pulsadern auf. Vorher überkam mich aber auch die Wut, weil ich dachte, dass mein Vater wieder zurück ist und deswegen sah es so schlimm aus. Man könnte meine Gesamtsituation als Kampf zwischen Engeln und Dämonen bezeichnen”.
Dawn wusste zuerst nicht, was sie dazu sagen sollte. Sie nahm sich viel Zeit und meinte betroffen: “Ich frage mich, wie verzweifelt du sein musst, dass du … dich umbringen wolltest. Du kennst, kanntest, keinen anderen Ausweg aus der Straße der Trauer und Verzweiflung, nicht wahr? Lieber wolltest du alles hinwerfen anstatt zu kämpfen”. Diese Worte trafen Keith schwer, sehr schwer. “Was soll ich auch anderes tun? Alles halten mich für einen Player und Schläger, da kann ich mich ändern wie ich will. Ich werde diesen Ruf niemals verlieren, er ist stets da wie mein Schatten und verfolgt mich”, sagte er leise und drückte die Hand von Dawn. Sie starrte darauf, während sie rief: “Ich habe dich aber mit meinen eigenen Augen gesehen und in ihren bist du anders. Ich sehe dich längst nicht mehr als Player und Schläger. Durch deine Vergangenheit musst du dich sehr verändert haben und das tut mir sehr leid. Ich leide mit dir, das musst du wissen. Ein Teil von mir glaubt auch, dass du das nicht warst, aber ich habe einfach Angst, dass es ewig so weiter geht”. Keith horchte auf und fragte: “Dass was ewig so weiter geht?”. “Immer wenn ich denke, dass du die Kurve kriegst, dann … dann bist du eben doch so kalt und verbittert”, antwortete Dawn. “Ich weiß, aber das musst du auch irgendwie verstehen können. Ich habe über drei Jahre so gelebt, ohne an eine Veränderung zu denken und das kann man dann eben doch nicht so schnell vergessen”, sagte Keith und das Mädchen nickte. Sie meinte dann: “Die ganze Situation hat mich schon genug überrascht, ich weiß nicht, ob ich wirklich glauben kann, dass du das nicht warst. Daher werde ich wohl oder übel nach diesem Besuch Abstand von dir nehmen”. “Schon gut, ich versteh schon …”, fing er gleichgültig an, doch dann betrat ein Mann, der Arzt, das Zimmer.
“Hallo Herr White, wie ich sehe, sind Sie wohlauf. Das haben Sie der jungen Dame hier zu verdanken, wenn sie nicht gewesen wäre, wären Sie verblutet und erstickt”, wurde Keith begrüßt und ihm wurde klar, was für ein Glück er da gehabt hatte. Dankend lächelte er gequält Dawn an. Dann sprach er mit dem Arzt: “Das ist richtig, mir geht’s auch schon wieder sehr gut. Vielen Dank”. Daraufhin wollte er schon aufstehen, doch der Schmerz war nach wie vor da und band ihn ans Bett. Der Arzt musste lachen und meinte, während er das Fenster aufmachte: “Ich hätte Sie eh nicht gehen lassen, Ihre Verletzungen sind gravierender als sie aussehen. Sie müssen eine Woche zur Beobachtung bleiben, weil Ihr Magen ausgepumpt werden musste und wir schauen müssen, wie sich das entwickelt”. Keith verdrehte die Augen und fragte: “Muss das wirklich sein? Ich muss mich doch aufs Abitur vorbereiten und hier fühle ich mich unwohl”. Süß, wie er sich versucht rauszureden, dachte sich Dawn und ertappte sich dabei, wie sie schmunzeln musste. Der Arzt schüttelte den Kopf und antwortete: “Tut mir leid, wir lassen Sie da. Sie wären fast gestorben”. “Na gut”, sagte Keith schließlich und fügte hinzu: “aber nur, wenn sie bleiben darf”. Dabei sah er zu Dawn, die errötete. “Sorry, aber ich muss doch in die Schule und und …”, begann sie, doch Keith meinte: “Gut, dann geh ich”. “Nein!”, sagte sie laut und er zuckte zusammen. “Er braucht viel Ruhe, also seien Sie bitte leiser. Und wenn er unbedingt will, dass Sie bleiben, dann tun Sie ihm bitte den gefallen. Er hat zwar überlebt, aber nur knapp und die ersten Tage sind immer die Kritischsten. Ich kann Ihnen auch eine Entschuldigung für die Schule aushändigen”, kam ihr der Arzt sehr entgegen. Juhu, freute sich das Mädchen, dann kann ich die ganze Zeit bei ihm sein. “Dawn?”, hörte sie Keith plötzlich bittend fragen. Sie erschrak und meinte verwirrt: “Was? Aso … ja klar”. Danach lächelte sie. Keith lehnte sich sichtlich zufrieden zurück und der Arzt untersuchte ihn. Als er fertig war, sagte er: “Ihr Werte sind allesamt in Ordnung, machen Sie weiter so”. Danach verließ er den Raum.
“Warum willst du unbedingt, dass ich bleibe?”, fragte Dawn sofort und Keith antwortete: “Weil ich niemanden außer dich habe, der mir zuhört und mein Inneres kennt”. Wie süß, dachte sich das Mädchen und starrte aus dem offenen Fenster. “Weißt du, ich dachte, dass du stirbst und dass wir uns nie wieder sehen”, sagte sie und drehte sich erneut um. Keith merkte diese Spur Traurigkeit in ihrer Stimme und hatte Tränen in den Augen. Er sank den Kopf und starrte auf seine verbundenen Hände, die sich in dem weißen Stoff des Bettbezuges verkrallten. “Ich wollte das nicht, ich wollte nie, dass du dir Sorgen machst”, stammelte Keith. Dawn sah zu ihm und meinte: “Ich wusste nicht, dass du so verzweifelt bist, entschuldige”. Erst jetzt lag der Blick des jungen Mannes auf des des Mädchen. Lange sahen sie sich schweigend an, bis sie sich in der tiefen Nacht endlich schlafen legten.
So ging das die nächsten sieben Tage, die beiden redeten sehr viel und wussten, dass sie das enger zusammengeschweißt hatte. Dennoch war Dawn skeptisch gegenüber Keith. Sie wusste nicht, ob er ihren Klassenkameraden nun ins Krankenhaus befördert hatte oder nicht. In der Klasse hatte man mittlerweile mitbekommen, dass Keith ebenfalls das Bett hüten musste. Viele fragten sich, warum. Doch erst in der Schule würden sie Antwort bekommen. Und dieser Zeitpunkt war nun gekommen. Kaum betrat der Schulrowdy das Klassenzimmer, wurde er auch schon umzingelt. “Hey Bro, was ist passiert? Hast du eine richtig aufs Maul bekommen?”, wurde Keith von Maurice gefragt. “Nee, ist eine andere Geschichte”, antwortete K. Sein bester Freund wollte wissen, was dann losgewesen sei. Der Schulrowdy seufzte gequält und meinte: “Ich hatte eine Alkoholvergiftung”. Mit großen Augen wurde er angestarrt. “Du?”, fragte Mareike und glotzte ihn doof an. Keith verdrehte die Augen und sagte: “Ja, ich. Ist das denn so schlimm?”. Niemand sagte etwas, daher sagte K: “Meine Güte, da hab ich halt mal mir zu viel über die Binde gekippt und schlapp gemacht, davon geht die Welt jetzt auch nicht unter”. Danach setzte er sich ruhig auf seinem Platz, während die ganze Meute ihm hinterher sah. Den Teil mit den aufgeschnittenen Pulsadern hatte der junge Mann bewusst weggelassen, denn niemanden ging es an, was er so machte und vor allem was er fühlte. Daher trug Keith fingerlose Handschuhe, in der heutigen Jugend keine Besonderheit und schon gar nicht bei Solchen wie ihm. Niemand schöpfte Verdacht und das fand K gut.
Schließlich hatte er seinen Ruf zu verlieren. Was würden denn die Anderen von ihm halten, wenn sie wüssten, dass er sich umbringen wollte? Aber halt mal! Was denke ich da? dachte der junge Mann und lauschte dem Unterricht. Ich will mich doch ändern, also ist es egal, was die anderen von mir halten. “Herr White!”, hörte Keith auf einmal seinen Lehrer sagen. Daraufhin schreckte er auf und fragte: “Was gibt’s denn?”. Die Klasse kicherte und Herr Müller antwortete: “Passen Sie lieber gut auf, das ist enorm wichtig für die Abschlussprüfung und mir ist sehr wohl aufgefallen, dass Sie seit Neustem lieber nachdenken und aus dem Fenster starren, anstatt sich auf dem Unterricht zu konzentrieren. Das sieht man übrigens auch an Ihren Noten”. Keith fühlte sich ungeheuer niedergemacht, fast wäre er laut schreiend aufgestanden, doch er besinnte sich und meinte ruhig, aber verärgert: “Das ist mein Problem, aber trotzdem, danke für den Hinweis”. Herr Müller sah ihn verwundert an und Keith musste lachen. Es war kein spöttisches Lachen, sondern ein Natürliches. Dawn bewunderte dies und drehte sich um. Dann lächelte sie ihn an. Der junge Mann verstummte augenblicklich und auch sein Blick lag auf ihr. Maurice beobachtete diese Szene und hatte einen jähzornigen Gesichtsaudruck, den aber niemand bemerkte. Viel lieber sahen alle zu, was sich da zwischen Keith und Dawn abspielte. Als die beiden schließlich schwiegen, sah die Klasse zurück zu ihrem Klassenleiter. Dieser führte seinen Unterricht ohne weitere Zwischenfälle durch.
Zwar hatten sich Keith und Dawn im Klassenzimmer noch angelächelt, dennoch änderte dies nichts an ihrer Situation. Selbst Ende Juni gingen sich die beiden aus dem Weg. Trotzdem lächelten sie sich ab und zu an. Jeder für sich litt nach wie vor unter der Situation. Natürlich litt Keith mehr unter all dem, er hatte sich nämlich sehr in Dawn verliebt und vermisste das Mädchen total.
“Hey, was ist denn mit dir los? So abwesend kenne ich dich gar nicht”, fragte auf einmal Maurice und Keith schreckte auf. Die beiden standen an den Fahrradständern und warteten auf ihre Freunde. “Hm?”, fragte dieser. Sein bester Freund musste lachen. Eigentlich nichts besonderes, doch dieses Lachen wurde immer höhnischer, dies kannte man nur von Keith. Verwundert wurde er angesehen. “Jetzt weißt du wie es ist, wenn man jemanden verliert, an dem einen etwas liegt”, meinte Maurice und wurde geschockt angesehen. Keith wollte etwas sagen, doch sein bester Freund fiel ihm ins Wort: “Deinetwegen bin ich unglücklich, Katharina hätte mich niemals betrogen, wenn du sie nicht angebaggert hättest und ich weiß sehr wohl, dass du etwas für Dawn empfindest. Na, wie ist es denn so? Tolles Gefühl, wenn die ganze Welt gegen einen ist, oder?”.
Dawn, die das Gespräch belauschte, konnte nicht glauben was die da gehört hatte. Keith hat also wirklich die Wahrheit gesagt, wie dumm von mir zu glauben, dass er es war, dachte sie sich und hörte weiter zu. Noch wollte sie nicht aus dem Gebüsch hervortreten, sie musste mehr wissen.
“Sag bloß, du hast das alles eingefädelt um mir eins auszuwischen?”, fragte Keith und Maurice antwortete: “Na das hast du aber früh gemerkt”. Der junge Mann wäre am Liebsten auf seinem Gesprächspartner losgegangen, doch er besinnte sich und meinte: “Das hätte ich dir nie zugetraut, du bist ja abgehobener als ich dachte. Und unsere Freundschaft kannst du vergessen, solche scheinheiligen Menschen wie dich brauche ich nicht”. “Mag sein, dass ich abgehoben bin, aber du, Keith, bist tausend Mal schlimmer als ich und unsere Freundschaft habe ich schon längst vergessen!”, brüllte Maurice. “Gut, dass ich jetzt die Wahrheit weiß, dann kann ich der ganzen Meute sagen, was für ein intriganter Mensch du doch bist”, sagte Keith ruhig und sein ehemaliger bester Freund lachte, daraufhin meinte Maurice: “Du glaubst doch wirklich nicht, dass sie dir mehr glauben oder? Ich erinnere dich daran, dass du seit mehr als drei Jahren unsere Schule tyrannisiert, dich mit jedem Arsch prügelst und ein Mädchen nach dem Anderen verarschst. Ich dagegen habe eine weiße Weste, ich war nur Handlager. Mir werden sie mehr glauben als dir!”. Scheiße, dachte sich Keith, er hat Recht.
Auf einmal schoss ihm auch ein anderer Gedanke durch den Kopf. Er meinte zu Maurice: “Dann hast du bestimmt damals gelogen, als du sagtest, dass Dawn so hinterhältig ist!”. Sein Gegenüber lachte wieder auf und dann weiteten sich die Pupillen vom eigentlichen Schulrowdy gewaltig. “Wow, dass ich das mal erlebe! So blöd hast du ja noch nie geschaut!”, fuhr Maurice belustigt fort. Keith fragte voller Wut: “Wie konntest du mir das nur antun?! Du kennst mich und weißt, dass sie der erste Mensch war, dem ich mich so sehr geöffnet habe!”. “Wie süß, der große und ach so starke K zeigt Gefühle. Das ist ja rührend, doch leider interessiert mich das kein bisschen!”, konterte Maurice lautstark. Von diesen Worten zutiefst verletzt, schrie Keith: “Ich bring dich um!”. Er wollte sich schon auf ihn stürzen, doch dann hörten sie beide ein Geräusch.
Ehe sie etwas sagen konnten, meinte Dawn: “Du bist echt mies, ein toller bester Freund muss ich sagen. Und ich habe tatsächlich geglaubt, dass Keith der Täter ist, wie dumm von mir”. Erstaunt wurde sie angesehen. “Was hast du alles mitgekommen?”, fragte Maurice und sie antwortete: “Genug. Genug um zu sagen, dass du das alles eingefädelt hast um Keith zu schaden. Kurz gesagt: Alles”. Dann fuhr das Mädchen fort: “Dass du den schlechten Ruf von ihm ausnutzt ist noch die Krönung. Überhaupt bist du nur so weit gegangen, weil dich deine Freundin mit ihm betrogen hat. Ja, ich weiß, das war echt mies von Keith, aber Rache zu begehen, ist noch viel mieser”. “Und
wie ich hören musste, hast du auch noch dafür gesorgt, dass Keith mich fast erwürgt hätte! Ich fasse es wirklich nicht, fast hätte ich den Menschen verstoßen, den ich …!”, schrie Dawn und musste wegen aufkommende Tränen einen dicken Kloß im Hals herunter schlucken.
Keith sah das Mädchen erstaunt an und empfand tiefstes Mitleid. Maurice sagte nichts, sondern sah sie mit großen Augen an. Dawn fing sich und sagte daraufhin ziemlich gleichgültig: “Du kannst ja gerne selber sagen, dass das ein Rachefeldzug gegen Keith war, sollte der Herr allerdings zu stolz und feige sein, so werde ich das machen. Ich habe im Gegensatz zu dir einen blendenden Ruf und mir wird man schon glauben”. Maurice biss sich auf die Lippe und ging wütend.
Keith fiel ihr glücklich um den Hals. “Danke, danke, danke!”, sagte er und sie musste unter wässrigen Augen schmunzeln.
Es war Ende Juni und schon nächste Woche würden die Abschlussprüfungen stattfinden. Dawn und Keith gingen zusammen in die Schule. Es war schon eine Selbstverständlichkeit zwischen den beiden geworden, dass der junge Mann das Mädchen mit seinem Wagen abholte. So wie auch jetzt. Keith parkte seinen Wagen an dem gegenüberliegenden Parkplatz. Gut gelaunt machten die beiden sich auf dem Weg ins Klassenzimmer.
Kaum betraten die beiden es zusammen, wurden sie auch schon von allen Seiten angegafft. Egal ob man sich gerade unterhielt oder die Nase in ein Heft steckte - jetzt war es still und alle hatten ihre Augen auf die beiden gerichtet. Ein Platz in der hintersten Reihe war jedoch leer, abgesehen der vom ehemaligen Schulrowdy. Dawn und Keith grinsten sich an. “Was ist?”, fragte das Mädchen belustigt. Ihr Kumpane fuhr fort: “Noch nie Freunde gesehen?”. Die Pupillen der Klasse weiteten sich drastisch und sofort kam auch schon Stefanie zu ihrer Freundin. Dann schrie sie: “Sag mal, spinnst du?! Du kannst dich doch nicht mit diesem Schläger abgeben! Schon vergessen, was der alles macht?”. Schmunzelnd meinte Dawn: “Steffi, beruhige dich. Mit Keith ist alles in Ordnung”.
Kaum wurden diese Worte in den Raum geworfen, brach in der Klasse schon beinahe Panik aus. “Was? Ausgerechnet so eine vorbildliche Schülerin wie du, nimmst ihn in Schutz?”, fragte Mareike aufgebracht. Keith, der dem Ganzen bis jetzt wortlos zusah, schaltete sich sein: “Sie nimmt mich zurecht in Schutz, denn es ist erwiesen, dass ich nichts mit dem Krankenhausaufenthalt von Joshua zutun habe”. Seine Stimme klang dabei ziemlich formal und man konnte aus dieser nicht den geringsten Spott entnehmen. Die Freundin von Dawn sah zu ihm auf. “Pah, dann warst du das eben doch nicht. Das macht deine Bilanz auch nicht besser, Schulrowdy”. Seit wann hat sie den Mut, so mit mir zu reden? fragte sich Keith und musste lächeln.
Mareike dagegen hatte damit nicht gerechnet, sie dachte, dass er sie vor versammelter Mannschaft verprügelt. “Du hast ja Recht. Ich war wirklich das Allerletzte … aber selbst ich kann mich ändern und das möchte ich auch. Das richtet sich jetzt an die gesamte Klasse: ich weiß, dass es dafür nie und nimmer eine Entschuldigung gibt, für all das, was ich euch angetan habe. Ich bitte euch dennoch darum, diese anzunehmen. Mein Verhalten… es… es hat viel, nein sehr viel, mit meiner Vergangenheit zu tun!”, stammelte Keith. Stille. Die Mädchen und Jungen waren total davon überrascht, dass Keith seine Sprache so schlecht bekam. Ben löste sich als Erster aus der Situation und meinte: “Das sollen wir die glauben? Ich bitte dich, du würdest dich von nichts und niemanden so sehr verändern. Früher warst du richtig nett, aber jetzt bist du …”. Weiter kam er nicht, da sich Dawn einmischte. “Ben, bitte. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, dass Keith das mit Joshua nicht war und ich weiß, dass er sich ändern will und wenn ihr alle ehrlich seid, hat er das schon, auch wenn man davon noch nicht so viel merkt”. Nun war es ruhig.
Im nächsten Moment jedoch betraten Maurice und Joshua das Klassenzimmer. Die Überraschung war ziemlich groß, denn eigentlich hätte Josh noch ein paar Tage das Bett hüten müssen. Da er aber darauf bestand, in die Schule zu gehen, war er nun hier. Zwar trug er noch den ein oder anderen Verband, aber es war unheimlich wichtig, dass er da war.
Den anderen entging aber nicht diese Distanz zwischen den beiden. “Leute, ich muss euch etwas gestehen”, begann Maurice. Die Klasse sah nun zu ihm und er fuhr fort: “Keith hat Joshua echt nicht ins Krankenhaus befördert”. “Wer war es dann?”, wollte Karima wissen. “… Ich”, antwortete Maurice und starrte auf den Boden. Das Getuschel ging wieder los. “Hä? Verstehe ich nicht. Ihr wart doch noch an der Abschlussfahrt ein Herz und eine Seele”, sagte Jan. Genervt antwortete sein Gegenüber: “Ich habe Joshua nur benutzt, um Keith eins auszuwischen. Wir sind keine besten Freunde mehr, selbst die Freundschaft existiert nicht mehr. Was der Auslöser dafür war, muss ich euch ja nicht sagen. Jedenfalls habe ich den Verdacht auf ihn gelenkt, obwohl Keith damit wirklich nichts zu tun hatte”.
“Er hat Recht, ich habe Maurice gesehen, wie er sich Zutritt zu meinem Haus verschaffte. Ihr müsst euch also bei unsere Schulrow… äh ehemaligem Schläger entschuldigen”, sagte Joshua. Das taten sie auch, wobei Keith das überhaupt nicht wollte. Ihm war ziemlich unwohl dabei. Dawn, die das Geschehen von ihrem Platz aus beobachtete, musste lächeln. Es hatte sich einfach so viel verändert zwischen ihnen. Sie verstanden sich super, es war einfach nur herrlich.
Auch die Lehrer sollten die Veränderung von Keith mitbekommen. “Ja, Keith?”, fragte Herr Müller. “Die Wurzel von 324 ist genau 18”, antwortete der junge Mann und der Lehrer lobte ihn: “Gut gemacht, sehr gut”. Ja, mittlerweile bestand der einstige Schläger nicht mehr darauf, gesiezt zu werden. In der Klasse herrschte keine Angst mehr, sondern eine lockere Stimmung. Keith verstand sich mich den Leuten einigermaßen gut und das war was zählte. Allen fiel auf, dass er ruhiger wurde, für manche war das sogar schon zu ruhig.
Besonders der Klassenleiter und dessen Kollegen merkten, dass sich der Schüler verändert hatte und das auf einmal. Ihnen war das ein Rätsel, doch ihnen gefiel das natürlich auch. Was ihnen aber am Meisten Freude bereitete ist, dass er freundlich geworden war. Und dahinter steckte keinerlei Ironie. “Danke”, sagte Keith, stand auf und verbeugte sich. Überhaus höflich, dachte sich Herr Müller, was für ein verdammt vorbildlicher Schüler er doch geworden ist. Daran sollte sich auch nichts ändern.
Nach der Schule ging Keith mit Dawn in den japanischen Garten, oder besser gesagt er wollte es. Seine Klassenkameradin hatte gemeint, dass sie noch etwas erledigen müsse, um genau zu sein, musste sie ein Versprechen einlösen. Dies bestand darin mit Stefanie in die Stadt zu gehen. Der Abschlussball näherte sich und daher mussten die Mädels gute Kleider erwischen. Keith wartete schon ungeduldig und musste nachdenken. Ihm gefiel es überhaupt nicht, dass er ausgerechnet hier alleine war.
Der junge Mann hatte sich auf einen Stein, der an einem Teich lag, gesetzt und starrte das ruhige Wasser an. Eigentlich war das Wetter sehr schön, dennoch hatte er nicht die beste Laune. Dieser Ort war für ihn noch immer ziemlich gruselig. “Keith?”, hörte er auf einmal eine unbekannte Stimme sagen. Aufhorchend drehte er sich langsam um und während er aufstand, kam ihm diese Stimme irgendwie doch bekannt vor. Vor ihm stand ein Mädchen, das glatt Dawn hätte sein können, doch sie war es nicht. Das war nicht das Mädchen, in das sich Keith verliebt hatte. Fragend sah er von sich herab und allmählich hatte er eine gewisse Vorahnung. Sein Körper begann zu zittern und Keith spürte etwas. “Erkennst du mich denn nicht mehr? Ich weiß, wir haben uns lange nicht mehr gesehen, wenn du mich fragst, ist das schon viel zu lange her”, sagte das Mädchen.Diese Stimme! Kein Zweifel, dachte sich Keith, sie ist es. “Nö, warum sollte ich auch? Ich werde täglich von vielen Weibern angesprochen”, meinte er ganz cool. Dennoch stieg in ihm der Schmerz hoch. Das Mädchen sah ihm traurig in die Augen, dies hatte eine starke Wirkung auf ihn. “Was ist denn?”, fragte Keith und merkte, wie seine Ruhe verschwand. Er musterte sie: Brünett, klein und vom Aussehen fast genauso hübsch wie Dawn, nur dass seine Klassenkameradin braune Augen hatte und nicht blaue. “Ich bin es, Julia. Wir waren ein Jahr glücklich zusammen”, sagte das Mädchen. Keith wären fast die Kinnladen hinuntergefallen, er hatte also Recht gehabt mit seiner Vorahnung. “Was willst du noch?”, fragte Keith kühl und Julia antwortete noch trauriger als zuvor: “Es tut mir leid, dass ich dich damals so hintergangen habe, das war falsch von mir. Weißt du, ich habe dich all die Jahre nie vergessen und wollte dich fragen, ob wir nicht einen Neuanfang machen können. Vergessen wir die Vergangenheit”. “Das ist doch nicht dein Ernst oder? Du denkst also, dass ich einfach so vergessen kann, was du mir angetan hast?”, antwortete Keith. “Ich will dich wiederhaben, nur dich”, sagte Julia und hatte Tränen in den Augen. Der junge Mann, der allmählich überfordert war, wollte folgendes wissen: “Ich dachte du hast John, was ist denn mit ihm?”. “Du bist stark geworden, sehr stark und außerordentlich hübsch. Ich habe ihn verlassen. Ich habe gemerkt, dass du der bist, den ich vom ganzen Herzen liebe. Klar, die Jahre, in denen ich mit John zusammen war, waren jetzt auch nicht nur schlecht, aber ich liebe dich”, meinte Jule. Was für eine Lügnerin, dachte er sich und wollte gehen. Plötzlich spürte er, dass sie sich an ihm festhielt. Keith drehte sich um und sah die Tränen, die langsam über das Gesicht von Julia liefen. “Bitte…”, sagte sie und sank langsam zu Boden. Der junge Mann wusste, dass etwas nicht stimmte, dennoch reagierte er mit großer Betroffenheit. Erst recht, als er sah, wie Dawn hinzukam.
“Keith? Oh, ich wusste nicht, dass das …”, meinte das Mädchen, doch dann rannte es einfach nur los. Ein Weg führte fast hundert Meter geradeaus und dann bog Dawn nach links ab. Nebenbei wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht und erst recht versuchte sie Fassung zu bewahren, als sie merkte, dass ihr Klassenkamerad ihr gefolgt war. Selbst dieser war von der gesamten Situation überrascht, denn kaum stoppten die beiden, sprudelte es schon aus ihm heraus: “Julia, das ist Julia. Die Julia! Sie, sie will mich zurückhaben und lügt mir ins Gesicht …”, dann wurde er von Dawn unterbrochen: “Dann geh doch zurück zu ihr! Na los, lass dich ruhig noch einmal verletzen! Ist es das was du willst?”. Keith erschrak, solche Wut kannte er nicht von Dawn. Dennoch ging er einen Schritt auf sie zu, während er sagte: “Es wird kein Zurück geben. Das, was sie mir angetan hat, ist mit nichts zu entschuldigen oder zu vergessen. Außerdem gibt es nur ein Mädchen für mich. Ich gebe dennoch zu, dass mich diese Gesamtsituation aus dem Gleichgewicht gebracht hat”. Dawn sah ihm in die Augen. Diese Trauer, Verwirrung und Verletzung war nicht zu übersehen. Er nahm ihre Hände und meinte: “Ich habe Angst, Angst davor noch einmal dasselbe durchzumachen wie damals”. Das Mädchen strich zärtlich über die Haare des jungen Mannes und umarmte ihn, dann sagte es: “Das brauchst du nicht. Du weißt, dass ich immer für dich da sein will, egal für wen du fühlst und egal, was die Anderen dazu sagen”. “Ich weiß nicht, was ich denken soll. Mir ist klar, dass Julia nur mit mir wieder spielen will, aber was ist, wenn ich doch so naiv bin und denke, dass sie es ernst meint?”, wollte Keith wissen.
Dawn wollte gerade etwas sagen, als Julia hinzukam. Diese wetterte sofort drauf los: “Aha, du hast jetzt eine billige Kopie von mir als Freundin! Wie kannst du nur!”. “Ich bin keine billige Kopie! Denn dann wäre ich bestimmt nicht so mies drauf und würde mit Gefühlen von anderen spielen!”, verteidigte sich Dawn sehr stark. Julia erschrak, daraufhin meinte Keith: “Dawn hat Recht. Sie ist nicht so wie du, sondern ein ehrliches Mädchen, das ich … dass mit ihrer Art die Zeit still stehen und mit ihrem Lächeln einen alles vergessen lässt!”. Seine Stimme klang total neben der Spur und das Schlimmste daran war, dass das alle mitbekamen. Eigentlich konnte man das schon als indirekte Liebeserklärung durchgehen lassen, doch dann hatte Keith sich wieder unter Kontrolle und meinte: “Es wird kein Zurück geben. Du hast es schon wieder getan”. “Was getan?”, wollte Julia wissen und der junge Mann antwortete: “Mich angelogen”. Fragend wurde er angesehen, daraufhin holte er mit seinem Rednertalent aus: “Du sagst, dass du John verlassen hast? Oh nein, so war es nicht. Er hat sich bei dir nicht mehr gemeldet, weil du umgezogen bist und dafür danke ich dir. Jetzt muss ich wenigstens deine Visage nur sehr selten ertragen. Du kannst dich sehr glücklich schätzen, denn sonst … “, Dawn unterbrach ihn: “Lass es einfach! Du hast keine Ahnung von Liebe!”. Keith sah sie erstaunt an. Hatte sie bemerkt, dass er für sie Liebe empfand? “Was mischst du dich überhaupt in die Angelegenheiten anderer Menschen ein?”, giftete Julia. Dawn, die die Situation ziemlich kurios fand, meinte: “Ich schaue nicht weg! Schau dich mal an, so wie du gekleidet bist, machst du bestimmt mit jedem Jungen rum! Weißt du eigentlich, was du damals mit Keith gemacht hast?”. Dabei musterte sie Julia ganz genau. “Schluss jetzt!”, zischte auf einmal Keith und fuhr fort: “Kein Wort mehr über die verdammte Sache! Julia, lass mich einfach in Ruhe, du hattest deine Chance. Ich bin nicht für deine Fehler verantwortlich!”. “Du liebst sie oder?”, wollte Julia mit einen Blick auf Dawn wissen. Keith sah überrascht abwechselnd zu den beiden Mädchen, die ihn erwartungsvoll anstarrten. Der junge Mann fühlte sich überfordert und ergriff die Flucht.
Während er rannte, merkte er, wie die Tränen von seinem Gesicht hinunterliefen. Keith war so zerrissen zwischen Freud und Leid. Einerseits freute er sich schon etwas, dass Julia sich bei ihm entschuldigt hatte, aber das hatte auch einen schmerzhaften Nebeneffekt. Er wusste nicht mehr, was er wollte. Ihm war klar, dass es für ihn nur Dawn gab, doch er konnte es nicht zugeben. Nicht vor ihr und auch nicht vor Julia, zumal er wusste, dass seine Exfreundin ihn nur wieder verarschen wollte. Keith legte sich auf eine Wiese und sah dem Himmel entgegen, der mittlerweile sehr düster aussah. Selbst als es anfing zu regnen und sich ihm ein heftiges Gewitter näherte, nahm er nicht seinen Blick von den grauen Wolken. “Keith…”, sagte Dawn auf einmal, doch ihr Kumpel drehte sich nicht um und zuckte auch nicht zusammen. “Was ist?”, fragte er mit einer brüchigen Stimme. Das Mädchen setzte sich neben ihm und nahm seine Hand. Erst jetzt lag sein Blick auf ihr. “Es tut mir leid, was ich vorhin gesagt habe. Ich konnte nicht anders, ich musste ihr einfach mal sagen, was sie für ein Mensch ist”, meinte Dawn entschuldigend und er antwortete: “Schon gut. Du stehst ja nicht zwischen zwei Türen”. “Ich wollte nur verhindern, dass genau das passiert. Sie hat dir schon einmal wehgetan und sie wird es wieder tun. Das weißt du genau”, sagte Dawn und Keith nickte. “Sie hat mir erzähl wie du früher warst”, fuhr das Mädchen fort. “Früher. Früher ist früher und Heute ist heute. Ich war einmal ein sehr netter und fröhlicher Mensch, das ist Jahre her. Manchmal frage ich mich, ob es wirklich besser ist, wenn ich wieder so wie früher werde. Ich will auch nicht zu sensibel sein”, sagte Keith und drückte die Hand von Dawn. Diese lächelte gequält und meinte: “Es ist wirklich besser, wenn du dich änderst. Dann werden auch die anderen Menschen merken, dass du eigentlich ein toller junger Mann bist”. “Wie? Meinst du das ernst?”, fragte Keith verwirrt. Er starrte das Mädchen an, als es antwortete: “Ja”. “Es ist aber nichts wert, sie werden mich immer so ansehen wie ich jetzt bin”, sagte der junge Mann und richtete sich auf. “Dein Schwarm aber vielleicht nicht”, meinte Dawn.
Keith sah sie an und wischte sich Tränen aus dem Gesicht, dann sprach er: “Ich dachte, dass ich Julia nie wieder sehe. Aber sie kommt einfach hier her, spricht mich an und tut fast so, als ob nichts gewesen wäre. Damit nicht genug lügt sie mir ins Gesicht und heult”. Keith wollte es nicht, doch dann liefen ihm erneut Tränen über die Wangen. Dawn zog ihn zu sich und nahm ihn abermals in den Arm. “Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Natürlich weiß ich, dass sie nur wieder mit mir spielen will, aber ich fühle Schmerz. Diesen unverkennbaren Schmerz. Ich habe gedacht, dass das das Ende der ganzen Geschichte ist und ich sie nie wieder sehe. Damit lag ich wohl gänzlich daneben, im Gegenteil, die Wunden wurden wieder aufgerissen”, schluchzte der junge Mann. “Ja … aber du musst dagegen ankämpfen. Ich weiß, dass das total schwierig ist, jedoch kann es so nicht weitergehen. Entschuldige, wenn ich das sage, aber du bist nur noch ein Häufchen Elend”, sagte Dawn. “Weißt du was das Schlimmste ist? Dass das der Wahrheit entspricht”, wimmerte Keith.
Nebenbei hatte er das Mädchen noch näher an sich gezogen. Weinend flüsterte er: “Es tut gut, Wärme zu spüren”. Dawn wusste, dass er dringend jemanden brauchte, der für ihn da war. Ihr Kumpel zitterte am ganzen Körper und das lag nicht nur an das Gewitter, dass noch immer über ihren Köpfen tobte. Sein Inneres war so zerrissen wie noch nie. “Ich pass auf dich auf, keine Sorge”, meinte das Mädchen und gab dem jungen Mann einen Kuss auf das nasse Haar. Keith schmiegte sich an Dawn und wusste, dass sie die Wahrheit sagte. “Tut mir leid, wenn ich dir deinen achtzehnten Geburtstag so versaue”, entschuldigte er sich und sah sie an. Das Mädchen schüttelte mit dem Kopf und meinte: “Das ist unwichtig, aber ein Gutes hat es: Ich kann jetzt sein wo und wie lange ich will”. Dabei hatte sie ihn angezwinkert. Zuerst verstand Keith gar nicht, was sie meinte, doch dann fragte er: “Das würdest du tun?”. Sie antwortete: “Natürlich und ich meine so weit auseinander wohnen wir auch nicht. Außerdem kennen dich meine Eltern auch schon so gut um zu wissen, dass du mich nicht abschlachtest oder sonst was”. Keith musste lachen. “Du bist einmalig. Egal wie schlecht es mir geht, du schaffst es immer wieder mich zum Lachen zu bringen. Dafür danke ich dir zutiefst”, sagte der junge Mann und wischte sich über das nasse Gesicht. Danach stand er auf und reichte Dawn eine Hand, die diese sehr dankend Hilfe annahm.
“Lass … lass uns lernen! Unser Abi kommt nicht zu uns geflogen. Ich bin wie immer mit dem Wagen da und der steht an der Schule”, meinte Keith und Dawn nickte.
Zusammen gingen die beiden zurück zur Schule. “Oje, mein Rucksack ist total durchnässt und ziemlich schwer”, meinte das Mädchen etwas aus der Puste. Keith, der das sah und sich mittlerweile zu einem Gentleman gemausert hatte, blieb stehen und bat Dawn, ihm dem Rucksack zu geben. Verwundert ging sie seiner Bitte nach. Der junge Mann übergab dem Mädchen kurz seine Umhängetasche. Noch immer wusste Dawn nicht, was er vorhatte. Erst als er ihren Rucksack auf den Rücken trug und seine Tasche um die rechte Schulter legte, dämmerte es ihr. Sie wurde knallrot im Gesicht und bedankte sich stammelnd. Der junge Mann sah sie schmunzelnd und strahlend an. Dann fuhren die beiden mit einer gemütlichen Stimmung im strömenden Regen in die Wohnung von Keith.
“Bist du sicher, dass du das verstehst?”, fragte Keith Dawn, als sie zusammen Mathematik lernten. Denn schon morgen würden sie darüber ihre Abschlussprüfung schreiben. Insgeheim hatten beiden keinen Gedanken dafür, aber die Schule ging nun mal vor. Das Mädchen sah sich ratlos um und antwortete: “Nicht wirklich, solche Parabeln sind einfach zu schwer für mich”. Tröstend strich Keith dem Mädchen über den Rücken und meinte: “Das schaffen wir schon”. “Meinst du wirklich?”, wollte Dawn wissen. Ihr Kumpel antwortete: “Natürlich und zur Not sag ich dir was du machen musst morgen”. Dann lachten beide, sie verstanden sich sehr gut und manch ein Mitschüler dachte schon, dass sie ein Paar seien. Damit hatten sie aber nicht Recht, dennoch störte es die Beteiligten nicht, dass darüber getuschelt wurde. Keith und Dawn fanden es eher amüsant und daher dementierten sie dieses Gerücht nicht und eine Bestätigung gab es ebenfalls nicht.
“In drei Wochen ist schon der Abschlussball und nebenbei ist alles vorbei. Denkst du, dass wir uns irgendwann wiedersehen?”, sagte auf einmal Keith und sah Dawn an. “Natürlich werden wir uns sehen, falls ich den Schlüssel noch behalten darf. Ja, da haben wir hoffentlich unser Abitur”, rief das Mädchen und der junge Mann meinte: “Du darfst den Schlüssel für immer bei dir tragen, er ist jetzt dein Eigentum. Klar werden wir unser Abitur haben, das ist nichts anderes als ein paar Seiten Papier, das wir ausfüllen müssen und das schaffst du schon. Ich habe bei dir wirklich keine Bedenken und außerdem sitze ich hinter dir. Da haben wir nämlich Glück, dass die Turnhalle nicht passierbar ist und Klassenzimmermangel in der Schule herrscht”. “Das ist lieb von dir, aber da werden die Sicherheitsmaßnahmen sicherlich erhöhnt und ich möchte nicht, dass du dann auch eine sechs bekommst”, schlug Dawn das Angebot dankend aus.
Keith musste lachen und sagte auch schon: “Darüber könnte ich mich immer wieder amüsieren”. Fragend wurde er gemustert, woraufhin er fort fuhr: “Du bist und bleibst eine vorbildliche Schülerin und auch allgemein bist du das sehr”. Das Mädchen errötete und fuhr sich verlegen durch das lange Haar. “Danke”, stammelte sie nur und legte ihre Hände auf das Mathematikbuch.
Danach zeigte sie ihrem Kumpel eine Aufgabe, die sie nicht verstand. Der junge Mann rückte näher zu ihr, dadurch berührten sich ihre Arme. Sowohl Keith als auch Dawn spürten ein gewaltiges Kribbeln im Körper. Beide hoben sie sehr rasch ihre Köpfe. “Ent- … sorry!”, nuschelten beide gleichzeitig wie aus einem Munde und vertuschten ihre enorme Unsicherheit mit einem Lachen. Leider mussten sie diesen kleinen Moment der Nähe aufgeben, denn das Lernen hatte nun einmal ziemlichen Vorrang.
Es war schon ziemlich alles stressig. Lernen, lernen und noch mal lernen. Nach gewisser Zeit hatte niemand mehr dazu Lust, aber jeder schlug sich tapfer durch und während die Prüfungen geschrieben wurden, wurde auch gerne mal gespickt. So schlimm wurde es allerdings dann doch nicht. Für die Schüler war die Prüfung eher so wie eine normale Schulaufgabe. Hin und wieder wurden Schüler ermahnt, aber nicht Keith und Dawn. Der junge Mann half dem Mädchen und es war ihm dafür sehr dankbar.
Ende Juli war es soweit: die Schüler bekamen ihre Ergebnisse. Zusammen hatten Keith und Dawn ihre Prüfungen gemeistert und das mit Bravour: Dawn hatte eine Schnitt von 2,1 und Keith schaffte sogar 1,4. Glücklich fielen sich die beiden um den Hals. “Siehst du, ich habe es dir doch gesagt, dass du das schaffst”, meinte Keith und beide strahlten sich an. Endlich war der ganze Stress hinüber und man konnte entspannt dem Abschlussball entgegen fiebern, der heute Abend stattfand.
Um acht Uhr abends traf sich die Klasse in der größten Disco Hannovers. Alle waren erstaunt darüber, dass Keith in einem weißen Anzug erschien und konnten nicht aufhören ihn anzustarren und der Barkeeper, der ihn kannte fragte ihn, was denn los sei. “Abschlussball”, meinte der junge Mann lediglich und grinsend fragte der Barkeeper: “Willst n Wodka?”. Dankend schüttelte Keith den Kopf und wurde ungläubig angesehen. “Ich habe mich geändert”, meinte er knapp und sah sich um. Er suchte eine bestimmte Person. Wo ist sie denn nur? fragte sich Keith und bekam höllische Sehnsucht. Der Club war schon ziemlich voll und daher verlor man sich schnell aus den Augen und wenn man Personen suchte, konnte dies seine Zeit brauchen.
Plötzlich tippte ihm jemand an die Schulter. “Was ist? Ich suche … “ begann er während er sich umdrehte und brach ab. Sie sah einfach nur zu toll aus! “Hey”, sagte Dawn und Keith dachte er träume, als er das Mädchen musterte. Das schwarze Kleid saß perfekt und betonte ihre schlanke Figur, die Schuhe ließen ihre langen Beine noch länger aussehen und ihre hochgesteckte Frisur war das Sahnehäubchen des Ganzen. Der dezente Schmuck und das bisschen Schminke, was sie trug, rundete alles schön ab. Was ihm aber am Meisten freute war, dass Dawn nach wie vor sein Armband trug. “Keith?”, fragte das Mädchen und er erschrak fürchterlich. “W-Was was? Ist was passiert?”, fragte dieser völlig durcheinander. Dawn musste lachen und holte ihn damit in die Wirklichkeit zurück. “Du trägst ja wieder deinen schönen Anzug”, meinte sie schmunzelnd und Keith sagte immer noch verwirrt: “Und du schaust einfach nur umwerfend aus! Die anderen Jungs müssen ja neidisch auf den Jungen sein, den du liebst!”. Das Mädchen musste lachen und setzte sich auf die Couch, die neben der Bar war. “Warum hast du gelacht? Ist er hier?”, wollte Keith sofort wissen. Schmunzelnd meinte Dawn: “Ja, ist er”. Sofort sah sich der junge Mann nervös um und wusste nicht, wer es war. Dass er dabei die ganze Zeit angestarrt wurde, merkte er kein bisschen. “Was zu trinken?”, hörten die beiden auf einmal eine Bedienung fragen. “Ja, einen alkoholfreien Cocktail bitte”, antwortete Dawn und sah Keith an, der kurz und knapp sagte: “Für mich dasselbe”. Zwei Minuten später schlurften die beiden gutgelaunt an ihre Getränke.
“Hey Leute, Zeit fürs Tanzen”, schlug ein Mitschüler vor. Keith stand auf und hielt Dawn eine Hand hin, dabei fragte er: “Darf ich bitten?”. Das Mädchen lächelte und antwortete: “Darfst du”. Die passende Musik gab es auch noch: Soul. Keith wurde von seinen Mitschülern beneidet, denn alle sahen sie nur zu Dawn. Sie war auch mit Abstand das hübscheste Mädchen auf der Tanzfläche. Die beiden tanzten den langsamen Walzer und Dawn musste zugeben, dass Keith ein grandioser Tänzer war. Während andere Jungs den Mädchen auf die Füße traten, hielt er einen dezenten Abstand. Später brauchten die beiden sich nicht mehr an Hand und Taille festhalten, es klappte alles wie am Schnürchen. Dawn hatte die Hände um den Hals von Keith gelegt während dieser aufpassen musste, sich davon nicht zu sehr verwirren zu lassen. Sie lächelten sich an und alles Andere um sie herum schien vergessen zu sein. Und ein Kuss ließ nicht lange auf sich warten: Keith zog Dawn zu sich und dann küssten sie sich vor Allen. Sie bemerkten nicht die Blicke, es war ihnen so oder so egal. Die Jungs und Mädchen waren tierisch neidisch auf die beiden. Keith dachte, dass er sterbe. Er wurde total nervös und spürte, wie sein Herz immer schneller schlug.
Aus einem plötzlichen Impuls zog er Dawn sanft von der Tanzfläche. Er wollte endlich Klarheit und daher ging er aus dem Club. Eifersüchtige Klassenkameraden wollten schon hinterher, doch Stefanie sagte: “Nana, ich glaube, die beiden haben da etwas zu klären und da brauchen sie bestimmt keine Zuschauer”. Dabei zwinkerte sie, als ob sie ahnte, was sich draußen gleich abspielen würde.
“Was ist denn los?”, fragte Dawn besorgt. Keith führte sie an dem See, als er sich noch so hat gehen lassen und einen Jungen verprügelte. Der junge Mann sagte noch immer nichts, sondern sah dem Mädchen sehr ernst in die Augen. “Ich weiß, dass ich damit alles zerstören kann, aber ich muss es dir endlich sagen”, meinte er stammelnd. Dawn bekam schon Angst und sah ihn ängstlich an. Keith sprach weiter: “Ich habe keine Ahnung wie mir das passieren konnte, aber ich habe mich unsterblich in dich verliebt”. Ehe das Mädchen etwas dazu sagen konnte, fuhr er fort: “Bei dir fühle ich mich sehr wohl, ich bin glücklich und brauche nichts Anderes. Du hast mir gezeigt, dass man die Hoffnung und vor allem den Glauben nie aufgeben sollte. Du warst immer für mich da und hast mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Dafür bin ich dir sehr dankbar”. Dawn bekam schon Tränen in den Augen und fiel ihm um den Hals. “Oh Keith, du weißt nicht, wie glücklich du mich damit gemacht hast”, sagte sie und er fragte: “Glücklich? Aber was ist mit dem Jungen …?”. Weiter kam er nicht, da sie ihn unterbrach: “Es war die ganze Zeit von dir die Rede, ich liebe dich auch. Ich glaube, es war sogar Liebe auf den ersten Blick”. “Wirklich?”, fragte Keith staunend und sie nickte. Überwältigt von den Worten schossen auch ihm Tränen in den Augen. “Oh oh, nicht weinen. Alles ist gut”, meinte Dawn und strahlte ihn an. Er sagte: “Ich kann nicht verstehen, was du an mir lieben kannst. Du weißt genau, was ich früher alles getan habe und stehst trotzdem hinter mir”. “Früher, du sagst es. Das alles hast du früher getan. Aber wir leben in der Gegenwart und dort hast du dich mir völlig anders präsentiert. Vergiss diese anfänglichen Sticheleien gegen mich, vergiss den Angriff, vergiss alles Schlechte, was du mir getan hast. Ich bin bei dir und lasse dich nie mehr gehen. Sei bereit für einen Neuanfang“, meinte Dawn und Keith vergoss noch mehr Tränen. “Das hast du sehr schön gesagt, entschuldige, dass ich so viel weine. Tut mir leid, aber ich bin so überrascht … weil … weil das zauberhafteste Mädchen der Welt trotz Allem in mich verliebt ist”, sagte er völlig durcheinander. Sie nahm seine Hand und meinte: “Und ich habe den gefährlichsten Kerl Hannovers handzahm gemacht”. Beide mussten lachen.
Dann schmiegten sie sich aneinander und sahen zum Wasser, das still der Windrichtung folgte. “Ich hätte es ohne dich nie geschafft”, meinte Keith und drückte ihre Hand. Diese Geste fand das Mädchen ungeheuer süß und so erwiderte Dawn es. “Was hättest du ohne mich nie geschafft?”, wollte sie wissen und er antwortete: “Ein anderer Mensch zu werden. Ich dachte wirklich, dass das so ewig mit mir geht”. “Ich bin sehr stolz auf dich, du weißt gar nicht wie sehr ich das bin. Außerdem verspreche ich dir, dass ich dir nie wieder von der Seite weiche und stets bei dir sein werde. Du musst nicht mehr alleine sein”, sagte Dawn. Keith strahlte sie an und meinte: “Danke, danke, danke. Das bedeutet mir sehr viel”. “Es ist interessant, wie sehr sich Menschen ändern können”, rief das Mädchen und der junge Mann sah nachdenklich zu den Sternen. “Und es ist interessant, dass sogar die verbitterten Menschen sich durch Andere ändern können. Ich glaube, dass war eine meiner brisantesten Erfahrungen meines Lebens”, sagte Keith. Dawn lehnte sich an ihm und meinte: “Für mich war das auch mal was Neues. So einen besonderen Menschen wie dich habe ich noch nie gekannt und wahrscheinlich war ich deshalb so neugierig auf dich”. Er musste lachen. “Ich hätte nicht gedacht, dass das Interesse erwecken kann”, sagte Keith. Dawn erwiderte: “Hat es aber und wie! Ich wusste schon früh, dass das alles nur Fassade war”. Der junge Mann sah sie neugierig an, woraufhin das Mädchen fortfuhr: “Damals, als ich dich das erste Mal privat gesehen habe. Da hatte ich schon diesen Verdacht, aber die Abschlussfahrt hat mich davon endgültig überzeugt”. “Die Abschlussfahrt?“, fragte Keith und sah sie nicken. “Ja, schon als wir am Meer waren und du mein Gedicht gelesen hast. Das war übrigens über dich. Siehst du, selbst da habe ich mir schon Gedanken um dich gemacht. Dass du mich vor diesem Mann beschützt hast und mit mir in das Haus deiner Großeltern gingst hat auch seinen Teil dazu beigetragen”. “Du hast es schon vorher geahnt?“, wollte Keith wissen. Dawn musste lachen und meinte: “Du bist echt neugierig. Ja habe ich. Als ich geschlafen habe, oder auch nicht. Ich habe nicht geschlafen, ich konnte es nicht. Kannst du dich noch erinnern was du sagtest?“. “Ja und auch wenn ich mir das da nicht eingestehen wollte, ich fand dich schon immer toll”, sagte Keith. Dabei lächelten sie sich in der Dunkelheit an.
Als sie später händchenhaltend in die Disco zurückkamen, wussten alle, dass sie verloren hatten. Und viele gaben auch zu, dass die beiden ein grandioses Paar waren. Jeder für sich oder auch zu Zweit genoss den Ball bis in den späten Morgenstunden und wird diesen auch nicht so schnell vergessen.
Selbst nach drei Jahren waren Keith und Dawn noch so verliebt wie am ersten Tag. Längst hatten sie zusammen eine Wohnung. Das Mädchen hatte sich ihren Traum verwirklicht und angefangen Geschichte und Psychologie zu studieren. Der junge Mann arbeitete als Dekorateur und Techniker. Sie verstanden sich blind und waren stets füreinander da. Es gab niemals Streit.
Die Beziehung zueinander wurde immer enger. An einem warmen Sommertag gingen Keith und Dawn zu dem Ort zurück, an dem sie zusammenkamen. “Hier hat sich nichts geändert”, stellte das Mädchen fest und er meinte: “Doch”. Als er fragend angesehen wurde, meinte Keith: “Du bist hübscher geworden”. Verlegen sah sie ihn an, ihr Gesicht verzog sich jedoch zu einem Staunen, als er vor ihr auf die Knie ging. In der Hand hielt er eine Schatulle. Als er sie öffnete, sagte Keith: “Du hast mir schon die besten drei Jahre meines Lebens beschert und ich weiß, dass du die Frau bist, die ich für immer lieben werde. Ich möchte nie wieder ohne dich leben und daher bitte ich dich, Dawn Wendel, meine Frau zu werden”. Dawn sah zwei Ringe und weinte vor Glück. Keith hatte schon mit dem Schlimmsten gerechnet, doch dann antwortete seine Freundin: “Natürlich werde ich dich heiraten”. Er musste lachen und streifte ihr einen Ring über den rechten Finger und als er ebenfalls einen Ring trug, gab er der Frau einen großen Blumenstrauß, den er hinter einen Baum versteckt hatte. Er hat das also geplant, dachte sich Dawn und strahlte ihn an. “Ich liebe dich”, sagte Keith und Dawn meinte: “Ich liebe dich auch”. Dann küssten sich die beiden voller Liebe.
Zwei Wochen später stand ihnen eine lange Autofahrt bevor . Die beiden gingen zum Auto von Keith, der eine Überraschung für Dawn hatte. Die Frau wusste, dass es zur Verlobungsfeier ging. Den Ort aber hielt ihr Auserwählter nach wie vor geheim. “Würdest du die bitte aufziehen?”, bat Keith und hatte eine Augenbinde in der Hand. Verwundert nahm Dawn diese und sekundenspäter sah sie nichts mehr. “Wohin geht es denn?”, wollte sie kichernd wissen und ihr Verlobter antwortete: “Das wirst du bald merken mein Engel”. Danach fuhr er los.
Die Fahrt war sehr entspannt und zu zweit lachten sie und lachten sie. Für beide war es einfach herrlich, es war so als ob man die Flucht vor der Heimat ergriff um an einem anderen Ort zu entspannen. Stunden und einige Pausen später waren sie am Ziel. Sanft führte Keith Dawn in ein Haus. “Es ist sehr lustig mit einer Augebinde rumzulaufen und die Treppen sind echt das Beste”, sagte Dawn und Keith musste sich das Lachen verkneifen. Endlich waren sie stehen geblieben. Die Frau hörte wie der Mann ein Fenster öffnete und spürte den Wind. Dann nahm er ihre Hand und tanzte den langsamen Walzer. Den konnten die beiden blind. Auf einmal hörte sie eine ruhige Musik. “Wo…?”, begann sie, doch Keith meinte: “Ich habe einmal gesagt, dass ich öfters mit dir hier sein will und das habe ich endlich in die Tat umgesetzt”.
Dann entfernte er die Augenbinde und da sah Dawn es: Sie hatte einen wunderschönen Ausblick zu einem Meer. Der Sonnenuntergang machte alles noch schöner. Der Himmel hatte die Farben rot, orange, lila und gelb, alles in den verschiedensten Tönen. “Das Haus deiner Großeltern”, sagte Dawn laut und vernahm ein Lächeln ihres Partners. “Lächle ich denn immer noch in meinen Träumen?”, fragte sie ihn. Keith antwortete: “Nein, du lächelst immer”. Die Frau schmiegte sich an dem Mann, der seine Arme um sie legte. “Damals habe ich geweint als du das sagtest”, sagte Dawn sehr ernst. Sie wurde fragend angesehen, dann sagte sie: “Es war absolut rührend von dir”. Danach gab sie ihm einen Kuss. “Die Sonne wird vielleicht unter gehen, aber unsere Liebe nie”, meinte Keith voller Überzeugung. Dawn gab ihm Recht. Ihr Verlobter sprach: “Nun denn, es gibt was zu feiern. Komm in den Garten, die Andern warten schon”. Dawn kicherte und dann gingen sie schließlich. Die Verlobungsfeier wurde ein unvergessliches Erlebnis. Zusammen wurde gelacht, angestoßen, gegessen und bis zum Morgen getanzt. Das Einzige was fehlte, war die Hochzeit.
Schon einen Monat später heirateten sie. Das Wetter war einfach wundervoll und vor allem die Zeremonie. Spätestens jetzt erkannten die früheren Mitschüler, dass sie verloren hatten. Und zwar endgültig. Als Dawn und Keith überglücklich in den Flitterwochen nach Japan flogen, sagte der Mann: “Jetzt gebe ich dich nie mehr her”. Dawn musste lachen und widersprach: “Das will ich auch hoffen”. Beide lachten sich glücklich an. Die Vergangenheit von Keith hatten sie längst hinter sich gelassen und auch eine eigene Familie ließ nicht lange auf sich warten, die glücklich bis ans Ende ihrer Tage wurde.
Publication Date: 08-14-2011
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