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Diese Kurzgeschichte entstand zum Thema "Angst". Sie wurde durch Fotos ergänzt und kann hier angesehen werden:

 

Bitte fahr nicht!



Für ihn stand bereits bei der Buchung der Reise nach Kappadokien in der Türkei fest, dass er es dort machen würde – eine Fahrt mit dem Heißluftballon.
Natürlich war ihm klar, dass seine Frau erneut alles versuchen würde, ihn davon abzuhalten. Bisher war ihr ja auch immer gelungen, dass er nachgegeben hatte. Doch nun stand für ihn felsenfest: Wenn er auch dieses Mal nachgeben würde, dann käme er wohl nie mehr dazu. Er hörte schon ihre Standardfloskel, die sie fast jedes Mal sagte, wenn er etwas Gewagteres unternehmen wollte: „Das kannst du machen, wenn ich nicht mehr bin. Das ist viel zu gefährlich! Ich habe Angst, dass dir etwas passieren könnte und ich dann allein zurück bleibe.“ Sie hatten einander fest geschworen, dass er nicht vor ihr gehen würde und damit war klar, dass er jedwede risikovollen Aktivitäten unterlassen sollte. Und Ballonfahren gehörte unbestritten dazu.

Schließlich konnte man immer wieder von tragischen Unfällen lesen, wenn Ballons mit Stromleitungen in Berührung kamen oder unsanfte Landungen vollführten. Eine solche hatte vor einigen Jahren das Ehepaar mit eigenen Augen beobachtet. Erst waren sie noch erleichtert, dass der Ballon gerade noch so um die Baumkrone herum kam. Doch die Landung ging voll daneben: Der Korb kippte um und schleifte mit den durcheinander gefallenen Insassen mehrere Meter am Boden entlang. Zum Glück hatten sich alle am Korbrand festgeklammert, sonst wären sie unweigerlich heraus geschleudert worden…Seitdem stand für seine Frau fest, dass sie beide NIE mitfahren würden.

Und nun wollte er es doch wahr machen. Sie sahen auf dem Reiseprospekt ja auch zu verführerisch aus, die schwebenden Ballons über der einmaligen Landschaft der Feenkamine, wie riesige Steinpilze aus dem Boden gewachsen. Relikte einer längst
vergangenen Zeit, in der lavaspeiende Vulkane die Region prägten und dann die jahrhundertelange Erosion wahre Wunderwerke schuf.

Und als dann der türkische Reiseleiter während der langen Busfahrt nach Kappadokien von der einmaligen Schönheit einer Ballonfahrt schwärmte – aber nicht ohne Hinweis darauf, dass es sich nicht um einen Bestandteil der gebuchten Reise handele und man sie auf eigenes Risiko unternehme – stand für den Mann fest, dass er sich als Teilnehmer melden würde. Da brauchte der Reiseleiter gar nicht zu ergänzen, dass im vergangenen Jahr sich ein Ehepaar zu spät entschieden und damit die Fahrt verpasst hatte. Sie seien dieses Jahr extra nur für diese Ballonfahrt noch einmal gekommen – und wären völlig verzaubert davon gewesen…

Die Ehefrau hatte nicht verhindern können, dass ihr Mann die Hand hob, als die Frage nach Interessenten gestellt wurde. Nach Ankunft im Hotel würde jemand von dem Ballon-Unternehmen da sein und die je 150 ¤ für die Fahrt - am kommenden frühen Morgen - kassieren. Die gesamte restliche Busfahrt sprach die Frau kein Wort mehr. Von Angst davor erfüllt, dass etwas Schlimmes passieren könnte, malte sie sich sogar aus, ihren Mann zu verlieren. Im Hotel angekommen, stand für sie fest, dass sie ihn nicht allein lassen könne: Sie würde ihn begleiten und wenn etwas passierte, dann beiden! So wurde dann der Preis für beide bezahlt.


Es muss wohl nicht näher geschildert werden, wie die Nacht für die Frau verlief?
Die Angst vor dem gefährlichen Vorhaben am Morgen raubte ihr fast den gesamten Schlaf. Und die Nacht war sowieso sehr kurz, denn zur späten Hotelankunft kam noch, dass das Handywecksignal schon um 3 Uhr ertönte, damit die Abholung um 4 Uhr nicht verpasst wurde. Mit dem Jeep holpert man durch den dunklen Morgen zum Startplatz, wo ein zünftiges Ballonfahrer-Frühstück aufgebaut war und die Ballonhüllen mit den Gasgebläsen aufgeheizt wurden.
Schließlich wurden alle 24 (!) für einen bestimmten Korb ausgewählten Mitfahrer aufgefordert, einzusteigen. Je 6 in einer Korbecke; in der Mitte der Ballonpilot, ein junger Mann aus Ägypten, der jedoch seine Instruktionen nur englisch vermitteln konnte. Zum Glück war jemand in der Lage, für die deutschen Insassen zu übersetzen. Auch für den Mann – aber erst recht natürlich für seine Frau - kam noch eine etwas mulmige Situation, weil geübt wurde, dass man bei einer Notlandung schnell in die Hocke gehen und sich am Korbrand festklammern müsse. Das kam beiden sehr bekannt vor…die Angst war somit wieder an Bord.


Und dann hob sich langsam der Ballon von der Erde ab…

…die Landung nach über einer Stunde unglaublich schöner Fahrt im Morgenrot über die fantastische Landschaft Kappadokiens übertraf alle Erwartungen: Der Pilot schaffte es doch tatsächlich – mit tatkräftiger Hilfe des Bodenpersonals – den Korb gleich auf den Lastenanhänger hinter einem Traktor zu dirigieren. Er setzte butterweich auf. Der Mann hörte seine Frau spürbar erleichtert aufatmen. Dann bei
der Ballonfahrertaufe mit -alkoholfreiem – Sekt sagte sie ihm ins Ohr: „Das war das schönste Erlebnis meines Lebens! Es war richtig, dass ich meine Angst überwunden habe und mit dir mitgekommen bin…“


Tue das, wovor du Angst hast, und die Angst stirbt einen sicheren Tod.


(Unbekannt)

http://snack.to/fdxjshtd

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Imprint

Text: Yety.2008
Images: Coverfoto: Yety.2008
Publication Date: 12-10-2012

All Rights Reserved

Dedication:
Allen erfahrenen Ballonpiloten gewidmet

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