Erotikedition
Frank C. Mey
Band IV
Überarbeitete Auflage
Text Copyright © 2016/ 2020 Frank C. Mey
Erfurt, Germany
Alle Rechte vorbehalten
Inhalt Band IV
Mutterliebe – Teil I
Erotischer Roman
Personen und Handlung dieses Romans sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten, lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig
Im Buchhandel als Taschenbuch erhältlich unter ISBN 9798624497511
Dunkle Perlen – Erotiknovellen 2. Buch
Du kannst in deinem Leben nicht mit allen Frauen schlafen, aber du solltest es wenigstens versuchen (polnisches Sprichwort)
Im Buchhandel als Taschenbuch erhältlich unter ISBN 9781091339309
Ausführliche Leseproben zu allen meinen Büchern in meinem Blog
„Wird dein schöner Kamin eigentlich der neuen EU-Richtlinie gerecht, Karl?“ Paul lehnt sich grinsend im Sessel zurück. Er nippt an seinem Whiskyglas. „Könnte ja sein, du verursachst ein paar Gramm Feinstaub zu viel, die gerade von einer vorbeigehenden Oma eingeatmet werden. Morgen schließt sie für immer die Augen. Dein Feinstaub war das Zünglein an der Waage. Ohne dem hätte sie vielleicht einen Tag länger gelebt …“
Karl, der gerade zwei Holzscheite nachgelegt hatte, die sich in diesem Moment laut knisternd entzünden, schaut seinem Gegenüber nachdenklich ins Gesicht.
„Der Witz mit der Oma bringt mich in aller Welt nicht zum Lachen“, er greift zum Glas, bevor er fortfährt: „Aber jetzt wirst du lachen. Nachdem ich letzten Monat für steigende Umsätze bei den Herstellern von Rauchwarnmeldern gesorgt habe, werde ich demnächst meinen zuständigen Schornsteinfeger anrufen, um ihn zu einem Beratungsgespräch einzuladen.“ Er nimmt einen kräftigen Schluck, danach setzt er das Glas mit dumpfem Knall auf den Holztisch zurück.
„Ich dachte, die Dinger seien nur für Mehrfamilienhäuser vorgeschrieben?“, entgegnet Paul überrascht.
„Na und? Wo liegt der Unterschied, ob du schlafend in einem Ein- oder Mehrfamilienhaus verbrennst oder im Rauch erstickst?“ Karl schlägt mit beiden Handflächen auf seine Oberschenkel. Die graue Mähne schüttelnd, stößt er ein bellendes Lachen aus. „Wir sind doch schließlich pflichtbewusste Staatsbürger, oder?“ Dann gießt er nach.
„Meinst du nicht, dass wir inzwischen überreguliert sind?“ Paul prostet seinem Gegenüber zu, der antwortet trocken:
„Klar sind wir das. Setze einen Beamten an einen Schreibtisch und vergiss, ihm einen klar umrissenen Auftrag zu erteilen. Zwei Möglichkeiten stehen zur Wahl: die erste, er schläft acht Stunden lang den Schlaf der Gerechten, die zweite, er sucht so lange, bis er etwas findet, das er verändern kann.“ Bevor er fortfährt, nimmt er einen kräftigen Schluck aus dem Glas:
„Verdammt guter Stoff, oder?“ Genüsslich zieht er den Whisky über die Zunge, ein leises Gurgeln. „Nein also, Spaß beiseite, in Brüssel arbeiten ausschließlich unsre Besten, die Creme wenn du so willst. Weil die aber so viele Fragen sprechen, hapert es manchmal mit der Verständigung. Dolmetscher stehen selten gleich zur Verfügung. Und wenn ein Sachse anfängt englisch zu reden, da weißt du, was dabei herauskommt!“ Durch den Rest des Getränks in seinem Glas hindurch blinzelt er in Richtung Kamin, bevor er den Satz abschließt:
„Ob Sachse oder Schwabe, was macht das schon für einen Unterschied?“
Zwei ältere Herren. Der eine, Karl, gerade siebzig geworden, sein Freund Paul kurz vor der Altersrente. Sie sitzen in schweren Ledersesseln vor dem Kamin in Karls Arbeitszimmer.
„Seitdem du nicht mehr im Landtag sitzt, kannst du es doch ruhiger angehen mit der Treue zum Gesetz.“ Paul hebt das bis zur Hälfte gefüllte Glas vor die Augen. Durch die hellbraune Flüssigkeit betrachtet er die Flamme, wie sie sich züngelnd in das frische Holz hinein frisst. Karl reagiert mit einem müden Lächeln.
„Ich gehe es ruhiger an, aber du kennst doch die Menschen.“ Mit einem Arm kreist er durch den Raum. „Besonders hier, wenn du mitten hinein in ein gewachsenes Dorf gebaut hast. Da zeigen die ohne zu zögern mit dem Finger auf dich, wenn ein einziges Rußflöckchen aus dem Schornstein tanzt.“ Mit einem zur Grimasse verzogenen Gesicht äfft er entsprechende Worte seiner Nachbarn nach: „Gugge ma, Friedl, de Bolidigar …!“
„Was glaubst du wie sich hier einige die Mäuler zerfetzt haben, nachdem mich ein Dorfbewohner zufällig an der Spitze der jährlichen Schwulen-Parade gesehen hat. Das war nach wenige Stunden in der Nachbarschaft rum“, fährt er später, nach einem weiteren Schluck, fort.
„Jetzt erzähl` mir aber nicht, dass dich ein solches Gerede sonderlich aufregt.“ Der Angesprochene schüttelt abermals den Kopf, er lacht laut auf. „Nach mehr als vierzig Jahren Politik hast du entweder ein dickes Fell oder bist reif für die Anstalt …“ Weit in den Sessel hinein gelehnt, richtet er den Blick beklommen zur Decke. „Manchmal war ich mir nicht sicher, woran ich näher stand“, fügt er wenig später nachdenklich hinzu.
„Ich habe an dir stets bewundert, wie du dich allzu oft in eurem konservativen Haufen gegen den Strom bewegt hast. Für die Homo-Ehe gekämpft, als die Mehrheit deiner Parlamentskollegen das Thema weiter mit spitzen Fingern angriff …“
„… und wie ich als junger Mann im Westen gegen den Abtreibungsparagraphen gerungen habe und mich heute noch für die Abschaffung des 219a einsetze“, unterbricht ihn Karl grinsend. Paul hebt anerkennend den Kopf, bevor er weiter redet:
„Jetzt ist es Gesetz, das Werbeverbot wird ebenso bald fallen und wann fällt endlich dieser leidige Paragraf 173?“
„Du meinst den Inzest?“ Karls Augen blitzen auf, Paul nickt:
„Genau den meine ich.“
„Wenn es nach mir ginge, eher heute als morgen“, antwortet der Gefragte prompt. „Das Problem liegt allein darin, dass dieses Thema zu wenig Öffentlichkeit besitzt. Um es kurz zu sagen: kein Schwein interessiert sich wirklich dafür.“ Er ereifert sich: Einmal im Jahr gäbe es in irgendeiner Zeitung irgendeinen ellenlangen Artikel darüber. Ein weiteres Mal einen Beitrag in irgendeinem Fernsehmagazin, damit sei das Thema abgehakt. Der Ethik-Rat spreche sich seit Längerem für die Abschaffung aus. Seit der Entscheidung des Verfassungsgerichts vor fast zehn Jahren, das Verbot sei verfassungskonform, seit der Bestätigung des Urteils durch den Europäischen Gerichtshof, liege das Problem wie in Blei gegossen in den tiefsten Schluchten deutscher Beamten-Schreibtische verborgen. Keiner wolle es anrühren.
„Ja, aber das war doch bei den Schwulen bis vor wenigen Jahren ähnlich. Nicht mehr strafbar, dennoch …“
„Dennoch was?“ Karl unterbricht den Freund. „Gesellschaftlich verpönt, ja! So lange, bis sich ein paar Prominente zu ihren Neigungen bekannten. Schließlich kam Bewegung rein.“ Er trinkt einen Schluck.
„Ja, genau das wollte ich sagen“, setzt Paul fort. „Ich bin überzeugt davon, dass irgendwo, selbst in unserer westlichen Welt, schon ein prominenter Vater mit seiner Tochter geschlafen hat.“
„Oder umgekehrt …“, fällt Karl ihm ins Wort. „Eine prominente Mutter mit ihrem Sohn …“, abweisend hebt er die Hand. „Nur würde das keiner von denen jemals zugeben … Nicht allein weil es strafbar wäre … “ Nach jedem Satz denkt er einen Augenblick nach.
„Zu weit weg von unserem Wertesystem, zu weit entfernt von unseren Vorstellungen von Moral. Wobei ich den Schutz vor genetisch bedingten Erkrankungen bei Kindern, die aus solchen Verbindungen hervorgehen könnten, in der Tat inzwischen für überholt halte. Im selben Falle müsste man Menschen, die an Behinderungen leiden, an Behinderungen, die ein hohes Vererbungsrisiko beinhalten, das Zeugen von Kindern ebenfalls verbieten. Das wäre beinahe die Rückkehr zur Rassenhygiene.“
„Die Moral eben“, wendet Paul ein. „Wenn es nur darum ginge, müsste man ebenso per Gesetz verbieten, dass Mütter mit ihren Töchtern schlafen oder Väter mit ihren Söhnen.“
„Ich habe ja nicht gesagt, dass ich diese moralischen Bedenken vorbehaltlos teile.“
„Doch, hast du!“, unterbricht Paul den Freund.
„Nein, habe ich nicht!“ Beide lachen. „Ich habe lediglich zu erklären versucht, warum dieses Thema in der öffentlichen Debatte weniger beliebt ist“, versucht Karl sich zu verteidigen. „Oder hast du schon jemals eine Demo erlebt, die die Aufhebung des Paragrafen 173 gefordert hat?“ Er schüttelt mehrmals den Kopf.
„Ich glaube das Ganze wird sich dereinst im Stillen regeln“, fährt er überzeugt fort, nachdem er ein weiteres Mal die Gläser nachfüllte. „In einigen EU-Staaten gibt es kein gesetzliches Verbot mehr, in einigen Bundesstatten der USA ebenso. Vielleicht kommt eines Tages eine EU-Regelung, der sich der Bundestag in der letzten Stunde einer Sitzungswoche, wenn nicht mehr als zehn Hanseln im Plenum sitzen, ohne Debatte anschließt …“ Er lacht laut auf. Darauf berichtet er vom Urteil eines bayrischen Amtsgerichts, von dem er gelesen habe. Ein Vater schwängerte seine siebzehnjährige Tochter. Das Gericht habe ihn lediglich zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Die treibende Kraft sei die Tochter gewesen, die ihren Vater erst mit fünfzehn Jahren kennen lernte. Es habe keine Gewalt, keinen Zwang gegeben.
„Ja, ich habe von einem ähnlichen Fall gelesen, ein Artikel im New York Magazine“, unterbricht ihn Paul, Karl prostet ihm zu, bevor er an Leonhard Franks Roman „Bruder und Schwester“ erinnert.
„Warum zum Teufel soll sich ein Vater nicht in seine Tochter verlieben dürfen oder umgekehrt … oder die Schwester in den Bruder?“, fährt Paul fort. „Solange alles einvernehmlich abläuft, solange der oder die Minderjährige selbstbestimmt handelt … Ich weiß von zwei ähnlichen Geschichten, die eine kürzer, die andere ein Stück länger.“ Für einen Augenblick schaut er nachdenklich ins Kaminfeuer, bevor er leise weiter spricht:
„Ich meine sogar einen Verdachtsfall aus meiner engsten Umgebung zu kennen, aber …“
„Was aber?“, unterbricht ihn Karl. Paul hebt nachdenklich die Schultern. „Du weißt wie das ist mit diesem heiklen Thema, wenn man sich nicht sicher sein kann, ob es so war oder nicht …“ Karl schaut ihn eine Weile prüfend an, bevor er lachend fortfährt:
„Dann erzähl` die andere, die Kürzere.“
Paul erzählt von einer um mehrere Jahre jüngeren Bekannten aus seiner Geburtsstadt, die im Alter von sechzehn Jahren ein Kind von ihrem Vater zur Welt brachte.
„Es soll nach einer Faschingsparty passiert sein. Beide waren angetrunken. Er Lehrer, sie Schülerin in derselben Schule, in der der Vater unterrichtete. Das Mädel war als flotter Feger bekannt. Manche meinten sogar, sie könne der treibende Keil gewesen sein. Sie hätte nach seinerzeit in der DDR geltendem Recht das Kind mit Zustimmung der Mutter abtreiben lassen können. Sie wollte es behalten! Ein Junge, er kam mit Down-Syndrom zur Welt. Das war in dieser Zeit während der Schwangerschaft noch nicht erkennbar.“
„Hat man ihn eingesperrt, den Vater?“
Paul schüttelt heftig den Kopf. „Nein, hat man nicht. Man hat ihn lediglich weit weg versetzt. Die Ehefrau ließ sich von ihm scheiden.“
„Nun erzähl mir aber nicht, dass Inzest und sexueller Missbrauch in der DDR nicht strafbar waren.“
Paul schüttelt ein weiteres Mal aufgeregt den Kopf. „Selbstverständlich war das strafbar. Doch was nicht sein durfte im moralisch sauberen Sozialismus, das fand nicht statt. Das kennst du doch.“
„Vielleicht lag der Sachverhalt ähnlich wie bei dem Fall in Bayern. Vielleicht hat die Tochter zugegeben, dass sie es wollte?“, gibt Karl zu bedenken.
Paul zuckt mit den Schultern. „Über solche Vorfälle gab es keine Presseberichte. Die Leute schwiegen … Gerüchte … Wer weiß, in wie vielen anderen Familien ähnliches vorkam? Da wollte sich keiner zu weit hinaus lehnen.“
***
Ein Samstagmorgen in Deutschland.
Für sie, die Heldin dieser Geschichte, könnte es ein Morgen sein wie so viele andere, allein er ist es nicht. Ende Juni, glühende Hitze bereits am frühen Morgen. Das Frühjahr total verregnet, zog sich das nasskalte Wetter bis weit in den Juni hinein. Plötzlich dieser Umschwung wenige Tage zuvor, geradezu über Nacht. Noch bedrückender: die Uhr zeigt erst ein paar Minuten nach acht. Ungewöhnlich für einen freien Tag, in den man regelkonform eher hinein feiert. Ob zu Hause, bei Freunden oder in einer der vielen Kneipen und Diskotheken.
Der Himmel dehnt sich in tiefstem Blau zwischen den Horizonten. Die Sonne sendet ihre unanständig heißen Strahlen durch das weit geöffnete Fenster eines Einfamilienhauses in einem Vorort der Stadt. Das Fenster gehört zu einem Kinderzimmer. Gehörte, besser formuliert, inzwischen wurde ein Mädchenzimmer daraus oder, noch treffender, das Zimmer einer jungen Dame.
Das schmale Bett wich vor einiger Zeit einer Doppelliege, nicht ganz so breit wie ein klassisches Ehebett, doch breit genug, um an der Seite einer zweiten Person bequem darauf liegen zu können.
„Könnte ja sein, es kommt mal jemand zu Besuch, der über Nacht bleiben möchte“, merkte die Mutter beim Kauf an, ein freundliches Zwinkern folgte. Manchmal kommt tatsächlich jemand. Die Freundin, Vera ihr Name, die gelegentlich über Nacht bleibt. Früher schlief Vera auf einer Matratze neben dem Bett. Hin und wieder drängelten sie sich beide im schmalen Bett, das früher dort stand. Die meiste Zeit schläft sie allein, man kann sich breit machen, ein angenehmes Gefühl.
Mit dem „Jemand“ war sicher nicht die Freundin gemeint, die sie schon seit dem Kindergarten kennt. Wohl eher ein junger Mann, ein Freund, ein Lover. Warum zerbrechen sich eigentlich Eltern ständig die Köpfe ihrer Kinder? In ihrem Falle kommt das allein von der Mutter, die von allen anderen, ihres ungeliebten Vornamens wegen, mit Su angesprochen werden möchte.
Sonst veränderte sich nicht viel: Schrank, Kommode, zwei Sitzelemente an einem kleinen Klubtisch, daneben der Schreibtisch mit allerlei Utensilien, den obligatorischen Computer nicht zu vergessen.
Die Poster an den Wänden wurden regelmäßig erneuert, abhängig von Alter, Zeitgeschmack wie von der jeweiligen Popularität der abgebildeten Personen. Pop-Gruppen, Sänger, Sängerinnen, Schauspieler. Oft richtete man sich nach dem Geschmack anderer: „Was, den hast Du noch an der Wand hängen, diesen Typen? Der ist doch völlig out, hey, den will niemand mehr sehen …“
Neben der aktuellen Lieblingsband kleben zwei Poster, von denen das erste einen fast nackten Mann mit halb über den Po herunter gelassener Jeans zeigt. Ein straffer, muskulöser Po, die eine Backe nahezu frei liegend. Auf dem Zweiten eine leicht bekleidete Frau in einem knappen T-String. Beide von hinten aufgenommen, ohne Gesichter. Unbekannt, aus dem Baumarkt mitgenommen nach der letzten Renovierung. Beide schlank und drahtig.
Die Aufnahme in Chrome taucht die verschiedenen Körperpartien in Licht und Schatten. Die, auf die es ankommt, hervor gehoben. Die ausbeulenden Muskeln, die kräftige Po-Backe des Mannes, die frech über den Rand der Jeans lugt. Dazwischen im Dunkel die Wirbelsäule, die sich in einen tiefen Spalt hinein verliert. Seine linke Hand am Saum der Hose verrät in ihrer Haltung nicht, ob er dieselbe fest hält oder ob er gerade dabei ist, sich ihrer zu entledigen. Während die Rechte mit weit abgespreiztem Arm auf seinem Hinterkopf liegt, was seinen Bizeps auffällig in Szene setzt.
Obgleich es sich um zwei voneinander völlig unabhängige Bilder handelt, scheinen beide auf ein gemeinsames Ziel zu blicken. Vielleicht entstanden die Bilder zu ein und demselben Zeitpunkt bei einem namenlosen Fotografen, irgendwo in Amerika.
Sie schaut gern hin, der Mann reizt sie. Nicht selten erregt sie der Anblick. Lieber wüsste sie, wie er von vorn aussieht. Manchmal versucht sie, es sich vorzustellen. Wie er vor ihr steht, wie er sie mustert, wenn sie nackt in ihrem Sessel sitzt. Wie er langsam, mit Bedacht die enge Jeans nach unten schiebt. Wie er sich vor ihr entblößt, wie er ihr mit frech forderndem Blick in die Augen schaut, wie sein Penis tänzelt, nachdem der aus der Hose schnellte. Jedes Mal erregt sie dieser Gedanke. Dann verleiht sie ihm das Gesicht, das auf diesem Foto fehlt. Er wird zu dem, den sie gern hätte, zu dem Mann, den sie sich wünscht, dessen Figur dem Bild ähnelt, als sei er das Modell gewesen. Vielleicht nahm sie gerade deshalb dieses Poster mit.
Die Frau hat zu viele Muskeln. Das fiel ihr erst später auf, nachdem das Bild bereits an der Wand klebte. Sie wird es irgendwann austauschen, überkleben. Frauen mit derart ausgeprägter, mit solch auffälliger Muskulatur flößen ihr Angst ein. Ihr weibliches Schönheitsideal sieht anders aus. So wie die Mutsch, die sie sich gern anschaut. Seit einiger Zeit öfter, intensiver. Nicht wie Töchter ihre Mütter ansehen. Doch wie schauen Töchter ihre Mütter an? Die Freundin Vera kann sie nicht fragen. Die hasst die „Alte“, wie sie, Vera, ihre Mutter nennt. Zu anderen jungen Frauen ihres Alters fehlt ihr die enge Bindung, die man benötigt, will man sich über solch intime Themen austauschen. Dass sie in der Mutter seit einiger Zeit mehr die Frau sieht, bereitete ihr anfangs Sorgen, jetzt nicht mehr.
Ein Fernseher fehlt im Zimmer. Vera beschwert sich ständig darüber, wenn sie zu Besuch kommt. Sie sieht gern fern, die Freundin. Die Mutsch bot ihr mehrfach an, einen Fernsehapparat zu kaufen, sie lehnte stets ab. Claudia, auf den Vornamen hört unsere Heldin, hört lieber Musik oder sie liest in ihrer Freizeit. Oft sitzt sie am Computer. Ab und zu chattet sie mit unbekannten Typen von irgendwoher. Sie macht sich gern lustig, weil es meist nicht lange dauert, bis die üblichen Anspielungen kommen.
„Hast du eine Web-Cam?“
„Ja!“
„Warum machst du die nicht an?“
„Wenn du deine anmachst.“
„Die ist kaputt … Die Software spielt verrückt …“ Antworten älterer Männer, die nicht gesehen werden wollen. Solche die sich in Scharen in den Chats herumtreiben. Jüngere schämen sich öfter zu sagen, worauf sie aus sind.
Ihr gefallen Männer über zwanzig. Einer, vierundzwanzig, schrieb ihr, er säße gerade nackt vor dem PC.
„Zeig!“, ihre Antwort, woraufhin er die Cam startete. Er sah gut aus, nicht so gut gebaut, wie der Mann auf dem Poster. Weniger noch wie der, dessen Gesicht sie dem Poster-Mann gelegentlich verleiht. Nachdem er sich aus seinem Sessel erhob, drehte er sich mehrmals um die eigene Achse, bevor er wieder an den Tisch zurückkehrte. Sein Penis war weder steif, noch völlig schlaff. Er zeigte schräg nach unten, er wippte und hüpfte auf und ab, als ihr Chat-Partner sich bewegte.
„Warum zeigst du dich fremden Menschen nackt?“, fragte sie ihn. Das gefalle, das errege ihn, erwiderte er.
„Jetzt bist du dran“, forderte er Claudia vom Sessel aus auf. Sie schüttelte den Kopf.
„Warum nicht?“
„Darum …“ Er bat sie, wenigstens ein paar Knöpfe ihrer Bluse zu öffnen. Sie tat ihm den Gefallen, sie öffnete sogar alle Knöpfe, darauf bedacht, dass die Brustwarzen bedeckt blieben. An den Bewegungen seines rechten Oberarms meinte sie zu erkennen, was seine rechte Hand hinter der Tischkante gerade vollzog.
„Willst du mir zuschauen?“
„Wobei soll ich dir zuschauen?“
„Wenn ich es mir mache …“ Nach kurzem Zögern sagte sie zu.
„Sagst du mir wenigstens was Versautes, wenn du dich schon nicht ausziehst?“ Sie schüttelte abermals den Kopf.
Dennoch drehte er den Sessel zur Seite, ein Stück vom Tisch abgerückt, so dass sie das Geschehen beobachten konnte. Sein Penis inzwischen steif dauerte es nicht lange, bis es ihm kam. Es gefiel ihr, wie er mit schnellen Bewegungen sein Glied massierte, bis sein Sperma in mehreren Stößen auf seinen Bauch spritzte. Wie sein Penis zuckte, wie er laut stöhnte. Dass sie eine Hand währenddessen hinter ihrem Schreibtisch versteckt zwischen ihre Schenkel legte, bemerkte er nicht.
„Jetzt du …“, sagte er, nachdem er sich ihr wieder zuwandte. Sie schüttelte erneut den Kopf, darauf drückte sie ihn weg, später blockierte sie sein Profil. Anschließend brachte sie das an sich selbst Begonnene zu Ende, ohne den Zuschauer. Im Bett fragte sie sich, warum sie ihm den Wunsch nicht erfüllte. Ein Fremder von Irgendwo. Sie würde ihm nie im Leben begegnen.
Ein einziges Mal chattete sie nackt mit einer Frau. Es dauerte lange bis sie beide bei intimen Themen ankamen. Der Nick der Chatpartnerin, Joana, das sei sogar ihr richtiger Name, zweiundzwanzig, verriet die ihr nach einem längeren Gespräch über Gott und die Welt. Dass sie starke Zuneigung zu Frauen verspüre, sich allerdings nicht traue, ihren Wünschen im richtigen Leben nachzugehen. Daher lebe sie dieselben via Internet aus. Mit Männern könne sie nichts anfangen.
„Wie ist das bei dir?“, fragte Joana.
„Mir gefallen Männer wie Frauen“, erwiderte Claudia.
„Hattest du schon was mit Frauen?“, fragte Joana. Claudia nickte, zu diesem Zeitpunkt nicht einmal eine Lüge. „Und mit Männern?“, auf die Frage gab sie keine Antwort.
„Ich würde dich gern nackt sehen“, sagte Joana plötzlich völlig unverblümt. Diese Frau am anderen Ende der Leitung war ihr sympathisch. In ihrer Stimme lag ein Timbre, das sie, Claudia, an etwas erinnerte, das sie allerdings nie zu deuten wusste. So sehr und so oft sie später darüber nachdachte. Vorsorglich drehte sie den Schlüssel im Schloss ihrer Zimmertür um.
„Wenn du willst, spielen wir Strip-Poker“, schlug Joana vor. Unter dem Schreibtisch zauberte sie ein Rommè-Blatt hervor.
„Da brauchen wir nicht lange zu pokern“, antwortete unsere Heldin. „Ich trage nur T-Shirt und Slip.“ Nach dem letzten Wort zog sie das Shirt über den Kopf. Woraufhin die Andere sich stehend vor der Web-Cam entkleidete.
„Ich möchte ein einziges Mal dein Unten-herum nackt sehen“, sagte Joana, nachdem sie beide Beine gespreizt auf den Schreibtisch gelegt hatte. Claudia zog das Höschen aus, um ihr den Wunsch zu erfüllen. Anschließend nahm sie dieselbe Haltung ein wie ihre Chat-Partnerin.
„Das genügt schon“, sagte Joana nach wenigen Sekunden. „Hast du Lust es dir gemeinsam mit mir zu machen?“ Claudia stimmte ohne zu überlegen zu.
„Du kannst hinter dem Schreibtisch bleiben. Mehr interessiert mich dein Gesicht wenn du einen Orgasmus bekommst, mehr deine Gefühle, mehr die Fantasie und die Art und Weise wie du den erreichst. Ich will nicht sehen, was deine Finger gerade tun, ich will es nur ahnen …“
Beim ersten Mal blieb es dabei.
„Führst du dir Finger ein?“, fragte Joana. Ihre Stimme zitterte bereits. Claudia schüttelte den Kopf. „Nein …“
„Ich auch nicht“, antwortete Joana. „Ich führe mir nie Finger ein …“
Sie kamen beide im selben Moment. Anschließend beschrieb Joana ausführlich, wie und an welchen Stellen sie sich am liebsten berühre und wie sie am heftigsten komme. Die Stimme und die Art wie sie sprach, erregte Claudia so heftig, dass sie um ein zweites Mal bat.
„Joana, darf ich dieses Mal deine Finger sehen, wie sie …, wie du …?“, fragte sie zaghaft. Es gefiel ihr, die schier unendlich verschiedenen Formen der weiblichen Scham zu betrachten. Gelegentlich schaute sie sich Bilder im Internet an.
„Warum willst du das sehen?“, fragte Joana, worauf Claudia ihr den Grund erklärte. Joana stimmte zu, sie einigten sich auf ein paar Minuten Pause.
„Ich muss ins Badezimmer, mich erfrischen“, sagte Joana. Sie selbst ging ebenfalls ins Bad.
Beim zweiten Mal dauerte es länger. Sie liebt es, wenn es lange dauert. Wenn sich das Beben ankündigte, legte sie eine Pause ein, um sich in dieser Zeit auf ihre Chat-Partnerin zu konzentrieren. Die bekam bereits einen zweiten Orgasmus. Eine trübe Flüssigkeit, die fast wie Sperma aussah, rann Joana zwischen den Fingern hindurch, nachdem sie zum zweiten Mal kam. Dennoch hielt sie nicht inne. Zwischendurch sprachen sie ein paar Worte miteinander.
„Du hast eine wunderschöne Fotze“, sagte Joana mit heiserer Stimme, nachdem sie sich beide füreinander präsentiert hatten. „Ich hätte nicht gedacht, dass mich das Zuschauen dermaßen anmacht.“ Das Wort „Fotze“ hätte sie, Claudia, in einer anderen Situation gestört, doch ihre Erregung war bereits so weit, dass sie es in Kauf nahm.
„Was läuft da zwischen deinen Fingern heraus?“, fragte sie Jona.
„Das passiert wenn ich heftig und mehrmals aufeinander komme …, wenn …“, die letzten Worte erstickte ein lautes Stöhnen. Joana kam zum dritten Mal in schneller Folge.
Sie chatteten beide bis spät nach Mitternacht, ohne sich ein weiteres Mal zu zeigen. Dennoch blieb eine dauerhafte Erregung. Joana sprach all diese Worte aus, die sie, Claudia, bis dahin allein von der Freundin kannte. Das erregte sie mittlerweile, ohne dass sie selbst ein einziges davon wiederholte.
„Wenn du willst, lass dich einfach gehen …“, sagte Joana. Sie ließ sich gehen, mehrmals, bis die Augenlider schwer wurden. Zwei Tage später war Joana aus ihrer Liste verschwunden. Unter dem Namen fand sie niemanden mehr.
Inzwischen hegt sie keine Zweifel mehr, dass sie sich zu beiden Geschlechtern hingezogen fühlt. In ihren Fantasien spielen Männer wie Frauen eine Rolle. Stets sind beide, Mann wie Frau dabei, manchmal mehrere. Man kann die nackten Leiber kaum voneinander unterscheiden. Von ihren Wünschen und Träumen weiß allein Vera, die einzige Person, mit der sie solche Fantasien austauscht. Nicht einmal die Mutter, vor der sie wenige Geheimnisse hat.
Ein großer Spiegel ziert den Raum. In einem Gestell aufgehängt, kann man ihn kippen. Neu zur Einrichtung gekommen, ein solcher Spiegel darf im Zimmer einer jungen Frau nicht fehlen.
Die Mutsch lächelte hintergründig, während sie ihren Kommentar sprach: „Jetzt kannst du dich von Kopf bis Fuß betrachten, mein blonder Engel …“ Schwer zu überhören, der Hintergrund der Bemerkung.
Die Jalousie am Fenster nach oben gezogen, stehen beide Fensterflügel weit offen. Doch die angenehme Kühle der Nacht wich bereits den drückend warmen Strahlen der Morgensonne.
Hier muss man sich nicht verstecken. Hinter dem Haus sowie an zwei Seiten, wird das Grundstück von einer hohen Hecke gesäumt. Dahinter eine Wiese, an beiden Seiten größere Gärten. Es gibt keine neugierigen Nachbarn, die ihre Nasen in den Wind halten oder Spanner, die abends wenn es dunkel wird, mit gierigen Blicken die erleuchteten Fenster absuchen. Eine kleine, heile Welt, die, so sprichwörtlich, in bester Ordnung zu sein scheint.
Ein Samstagmorgen, keiner wie viele andere für Claudia. Auf diesen Tag fällt ihr achtzehnter Geburtstag.
Wie es sich für eine Achtzehnjährige an einem freien Tag gehört, liegt sie um diese Zeit auf ihrer Doppelliege. Allein, denn am Vortag gab es wieder einmal Streit mit dem Freund. Den letzten, sie hat die Nase gestrichen voll. Wenn es ihr zu anstrengend wird, kennt sie nichts, dann geht sie einfach ihrer Wege. Genau so geschah es an diesem Freitagabend. Und weil sie sich, entgegen aller Gewohnheiten an den Wochenenden, bereits ungewöhnlich früh zur Ruhe begab, endete die Nacht sehr viel früher als sonst.
Das Bett unter ihr nass vom Schweiß, flog die Bettdecke in der Nacht oder am Morgen, sie weiß es nicht mehr, zum Fußende. Wohl erst, nachdem die morgendliche Hitze gnadenlos ins Zimmer hinein drang oder nachdem sie dieser Traum besuchte. Der Traum, der stets aufs Neue ihren Körper erhitzt, der ihr ein glühendes Fieber schickt, der ihr den Atem raubt. Dieser Traum, den vom Mädchen bis zur reifen Frau alle mehr oder weniger oft träumen, Männer ebenso. Der angenehme, der geliebte Traum, der zumeist in einer wohltuenden Entspannung endet.
Bei ihr verläuft diese Art Träume seit geraumer Zeit heftiger als gewohnt. Besonders seit einigen Monaten, während derer sich ihr Leben völlig veränderte. Nicht an diesem Morgen, da brach er plötzlich ab, wer weiß warum? Warum? Die Frage hätte sie am liebsten in die morgendliche Hitze hinein geschrien, soweit sie schon war. Aus dem Halbschlaf wurde peinliche Realität, gern hätte sie ihn zu Ende geträumt.
Vielleicht ein Geräusch, das sie vorzeitig weckte? Ein Knarren der Treppenstufen, klirrende Tassen in der Küche oder ein bellender Hund in einem der umliegenden Gärten? Egal, ein Blinzeln aus müden Augen zur Uhr, die Erkenntnis, dass diese gerade einmal kurz nach acht Uhr morgens anzeigt, löst keine Freudentänze aus, sondern ringt ihr lediglich ein leises Knurren ab:
„Oh Shit aber auch, erst um Acht, was soll das denn?“ Sie reibt sich die Augen, bevor sie die Bettdecke über ihren nackten Körper bis hinauf über den Kopf hinweg zieht. Verärgert dreht sie sich auf die Seite, versucht zurück in den Schlaf zu finden.
Sie schläft ständig nackt, wenigstens in dieser Jahreszeit. Das kennt sie nicht anders. Aber so ungemütlich heiß wie an diesem Morgen nützt selbst nackt nicht viel. Da wird es unter der Decke unerträglich. Genervt fliegt dieselbe zurück an das Fußende des Bettes. Sie rekelt sich, sie gähnt, sie zieht das Kopfkissen über den Kopf, um im Dunkel zu liegen, doch nichts hilft. Die Nacht vorzeitig zu Ende, weiß sie nicht, was sie an einem derart frühen Samstagmorgen anfangen sollte, dazu allein.
Das morgendliche Ritual der Mutter mit deren Lebensgefährten Georg an den Wochenenden kennt sie bereits zur Genüge. Sie weiß, dass sie an gemeinsames Frühstück oder andere Unternehmungen vor neun Uhr oder gar später nicht denken darf. Um diese Zeit, acht Uhr, schlafen die wahrscheinlich oder vergnügen sich bereits miteinander. Wenn sie abends spät zu Bett gehen, wird es manchmal zehn oder elf Uhr, bis es Frühstück gibt. Normalerweise kommt ihr das entgegen, weil Freitag und Samstag oft Party angesagt und somit langes Schlafen, oft bis in die späten Morgenstunden hinein, dazu gehört. Aber heute? Zwei Stunden können zur Ewigkeit werden. Außerdem hat sie heute Geburtstag, dessen Verlauf anders vorgesehen war. Das geplante Hinein Feiern, eine regelrechte Pleite. Die beiden Mitbewohner eine Etage tiefer wissen nicht, dass sie in ihrem Bett liegt, schlafen außer Haus war angesagt.
Schlaf erzwingen funktioniert nicht, schon gar nicht unter diesen unerträglichen Bedingungen. Den eben unterbrochenen Traum zu Ende träumen? Nicht als Traum, sondern bewusst? Nein, danach ist ihr nicht zumute an diesem Morgen. Der Streit mit dem Freund am Abend zuvor lähmt die Lust. „Freund?“ Sie lacht missmutig in ihr Kopfkissen hinein, während ihr das Wort durch den Kopf geht. Bekannter, Blindgänger, Depp, die treffenderen Bezeichnungen, egal, Vergangenheit. Nüchtern überlegt wollte sie ihn nie wirklich. Ebenso wenig wie sie andere Jungs ihres Alters interessieren. Die gehen ihr auf die Nerven mit ihrem spätpubertären Gelaber. Alberne Schwätzer oder zu schüchtern. Oder solche, die nichts weiter als ihren Penis ausprobieren wollen, um sich in ihren Cliquen damit zu brüsten, welche Tussi sie schon gepoppt haben, Spinner! Manche von denen bezeichnen sie als eingebildete Zicke, weil sie sich nicht mit ihnen einlässt. Vielleicht ist sie ja wirklich ein Stück weit arrogant, jedenfalls behauptet Vera das gelegentlich.
„Sei einfach cool, ganz normal, so wie ich …“, muss sie sich bisweilen anhören. Schon als Kind, sie erinnert sich, sagte die Mutsch des Öfteren zu ihr, sie sei etwas ganz Besonderes, sie sei nicht wie andere. Was immer die Mutter damit meinte, sie, Claudia, hinterfragte nie, es gefiel ihr einfach.
Sie wälzt sich von einer Seite auf die andere. Der Traum war schön. Die ersten Ansätze dieser den Körper verzaubernden Erregung, gepaart mit der Hitze des Morgens, trieben ihr den Schweiß aus den Poren. Ein erstes leichtes Zittern ergriff ihren Körper, Spannung vom Hals bis hinab in den Bauch, die Befreiung hingegen blieb aus. Zu Ende, zu schnell, es fehlte etwas, so wie ihr stets etwas zu fehlen scheint, seit geraumer Zeit. Es fehlt etwas, selbst wenn sie es bis zum Ende bringt. Sie weiß inzwischen wie man die Lust ins schier Endlose hinauszieht, wie man diesen Höhepunkt vor sich her schiebt. So lange, bis sie ganz weit oben ankommt. Der Sturz in die Tiefe dauert länger, bis er von Keuchen begleitet und schwerem Atem auf dem Bett endet.
Es nutzt nichts, der Schlaf kehrt nicht zurück, der Traum bleibt aus, Fortsetzung Null. Ärgerlich verlässt sie ihr Bett, um sich einen kräftigen Schluck aus der Wasserflasche zu gönnen, die wie gewohnt neben dem Bett steht. Mit der Fernbedienung startet sie den CD-Player, vorher schließt sie die Kopfhörer an. Sie will nicht, dass jemand die Musik hört, noch nicht. Später vielleicht, wenn der Hunger nagt, wenn ihr Magen unaufhaltsam nach Frühstück verlangt. Dann wird sie die Bässe aufdrehen, so weit, dass die Decke vibriert, so weit, dass die da unten vor Schreck aus dem Bett fallen.
Allein frühstücken findet sie langweilig. Sie will mit beiden am Tisch sitzen, in deren Augen lesen. Ein Stück von dem entdecken, was sie wenige Minuten zuvor im Bett trieben. Beide, die Mutsch wie Georg, machen kein Hehl daraus, dass sie gern, dass sie oft miteinander schlafen. Manchmal fallen versteckte Bemerkungen, die sie in der Anfangszeit der Beziehung nie wirklich verstand, jetzt schon. Ganz so dumm ist sie nicht mehr, im Gegenteil. Nicht zuletzt dank der Freundin Vera, die, ein ganzes Stück weiter in Sachen Männer, ihr einige Lektionen beibrachte. Die blanke Theorie, allein ihr fehlt die Praxis. Trotz der Achtzehn, die sie an diesem Tag vollendet.
Im Player laufen Latin-Rock, Reggea und Funk, ein Mix mit Carlos Santana, Jennifer Lopez, dem King Bob Marley, Cool and The Gang und anderen. Sie liebt das, sie tanzt gern nach dieser Musik.
Mit sechzehn besuchte sie einen Kurs für lateinamerikanische Tänze, die sie zwar nie lupenrein erlernte, doch die Körperbetonung, die Bewegungen, die diesem Tanzstil eigen sind, reizen sie besonders. Die beherrscht sie mit einer Bravour, die die Blicke der Männer in jeder Diskothek einfängt.
Jetzt dringen die Beats in ihren Bauch hinein, Karibik, so heiß wie dieser Morgen. Halbnackte, in Schweiß gebadete Tänzer, die mit ihren Partnerinnen zu verschmelzen scheinen. Hände, überall Hände, im Tanz wippende Brüste, gierige Blicke. Wenn sie die Augen schließt, erscheinen ihr solche Bilder. Es erregt sie, in ihrem Geiste zu zuschauen. Sie nimmt ihnen Stück für Stück die Kleider ab, den Männern wie den Frauen, die ihrerseits mit ihr dasselbe tun. Gegenseitig, nach jedem Schritt, nach jeder Drehung ein Stück mehr. Sie beobachtet wie sich am Ende alle in Ekstase am Boden wälzen. Sie dazwischen, von Frauen wie Männern gleichermaßen begehrt. Sie gefällt sich darin, begehrt zu werden. Wenn sie sich selbst berührt, verwandeln sich ihre Hände in die der anderen, zehnfach, zwanzigfach. Der Auftakt beim Reggea klingt wie ein versetztes Stöhnen, das der Berührung folgt. Die Punktierung, die Berührung, das Anhalten des Atems, darauf folgt der erste leise Seufzer. Es wiederholt sich, neue Hände, frische Hände, die sich nach ihr ausstrecken. Sie denkt an ein Ballett, das sie vor einiger Zeit sah. Bolero von Ravel, im Musikunterricht behandelt. Die Klasse sah davon ein Video.
Zuerst Dunkel, ein gedämpfter Spot auf die Mitte einer großen Trommel gerichtet, in dessen fahlem Schein eine Frau liegt. Mit zunehmendem Drive in der Musik beginnt sie sich zu bewegen, zuerst im Liegen, später im Tanze, lasziv, zunehmend ekstatisch. Schließlich fällt ein breiter Lichtstrahl auf die Ränder der Trommel, auf die nackten Oberkörper einer darum herum versammelten Männergruppe, die zuerst ihre Hände, in der Folge ihre Körper zur Tänzerin hin recken. Die Musik gewinnt an Dynamik, die Leiber ebenso in wilder Begierde. Im brodelnden Finale, als man meint, die Tänzer würden sich alle miteinander auf die Frau stürzen, fällt plötzlich alles in sich zusammen, Dunkel.
Blöde Bemerkungen der Jungs in der Klasse nicht weiter erwähnt. Die Musik drang in ihren Bauch ein, die Bilder in ihr Hirn. Die Kopplung zwischen Hirn und Bauch genügt, um dieses berauschende Gefühl im Schoß zu erzeugen. Sie bemerkte nicht, dass, während sie zuschaute, ihr Atem schneller ging. Die Komposition von Musik und Ballettchoreografie wie deren Folgen zwangen sie, nach der Unterrichtsstunde die Toilette aufzusuchen.
„Was meint ihr warum diese Musik lange Jahre nach ihrem Erscheinen im 19. Jahrhundert in Frankreich nicht gespielt werden durfte?“ fragte die Lehrerin nach der Vorstellung erwartungsvoll. „Puffmusik!“ Unter lautem Gelächter entfuhr dem langen Bernd das Wort, nach einer längeren Pause. „Ja, richtig“, antwortete die Lehrerin unbeeindruckt. Das Lachen, besonders das der Jungs, wollte nicht verstummen.
„Puffmusik“, flüstert sie vor sich hin. Dann ist Reggea auch Puffmusik. Sie lacht leise, während sie sich zu „No woman, no cry“ langsam dreht, nackt vor dem großen Spiegel.
Weniger in Trance, eher gelangweilt, tänzelt sie vom Spiegel zum Fenster hinüber. Die Sonne steht bereits hoch über dem Horizont, einer der längsten Tage des Jahres, eine der kürzesten Nächte. Jetzt schützten einzig geschlossene Jalousien. Doch sie gewöhnte sich mittlerweile an das Licht, an Schlaf will sie ohnehin nicht mehr denken. Sie genießt die Wärme, die ihre nackte Haut verwöhnt, die sich wohlig vom Hals über den Bauch in ihren Schoß hinein ausbreitet. Wie eine große, sanfte Hand, die ihren Körper umfängt oder ein Tuch, das alle Glieder umschließt. Jeder Sonnenstrahl ein unsichtbarer Finger, der auf ihrem Körper tänzelt. Auf und ab zwischen den gierigen Lippen, die sich nach dem Kuss sehnen.
Sie lehnt sich weit zurück, die Schultern in den Rücken gezogen bis es fast schmerzt. Die Beine gespreizt für die unsichtbaren Finger. Sie drückt ihre Brüste so weit heraus, dass sich die rosa Warzen aufrichten. Diese Hügelchen, die nach ihrem Geschmack zu klein ausfallen, ganz im Gegensatz zu denen der Mutter. Körbchen-Größe B streitet sich mit C plus, sagte sie, Claudia, einmal, als sie beide wenige Wochen zuvor wieder einmal gemeinsam in der Wanne saßen. Als die Mutter gerade die ihren mit einem Schwamm bearbeitete.
„Sei froh, du musst niemals zwingend einen BH tragen“, wurde sie beruhigt.
„Und wenn du keinen BH trägst, so wie jetzt, sind sie trotzdem gut geformt“, Claudias trotzige Antwort.
„Das hält nicht ewig“, erwiderte die Mutter vergnügt. „Spätestens ab Mitte vierzig setzen die Probleme ein, da fordert die Schwerkraft ihren Tribut. Selbst wenn du die Muskulatur regelmäßig trainierst, das verlangsamt den Prozess, kann ihn aber nicht aufhalten.“
„Lifting!“, rief Claudia ihr zu.
„Na klar, Lifting, Botox, der ganze Firlefanz. Da werde ich lieber in Ruhe alt und runzlig, ehe ich mir so etwas antue!“ Das Wasser schwappte über, als die Mutsch mit Schwung die Wanne verließ. Irgendwie klangen die Worte nachdenklich.
Sie schüttelt das lange blonde Haar, das ihr inzwischen bis über die Schulterblätter reicht. Nach vorn gelegt umspielt es ihre Brustwarzen wie ein Vorhang aus Tüll. Die Spitzen von dunklen, etwas wulstig wirkenden Höfen umgeben. Erregt werden sie steif, fast doppelt so lang. Es steigert ihre Lust, sie sanft zwischen den feuchten Fingerkuppen gleiten zu lassen, wie einen Penis, den man streichelt. Leicht zudrücken, ein Stück drehen, biegen, von der Fingerspitze schnippen lassen. Manchmal genügt ihr das, um ihre Erregung so weit nach oben zu treiben, dass ihr Atem stockt. Dann hält sie kurz inne, um das Ganze mehrmals zu wiederholen, so lange bis ihr Bauch nach mehr verlangt.
Blase den Luftballon vorsichtig auf. Wenn er prall genug ist, lege eine Pause ein. Willst du, dass er endlich platzt, stoße einen letzten, kräftigen Atemzug hinein. Der Satz gefiel ihr, sie las ihn vor einiger Zeit in einer Jugendzeitschrift.
Tagsüber trägt sie meist einen Zopf, früher zwei. Das wirkt ihr inzwischen zu infantil. Sie bindet die Haare zusammen oder steckt sie nach oben. Stets nach dem Waschen, dem anschließenden ewigen Trocknen, Kämmen und wieder Kämmen, beschließt sie deren radikale Kürzung. Doch wenn sie fertig ist, gefällt sie sich in einem Maße, dass der Plan verworfen wird. Außerdem redet ihr die Mutter ständig zu, die Frisur zu belassen wie sie ist.
„Mein blonder Engel mit Haaren wie Seide, Engelshaar“, sagt die Mutsch, wenn sie im Badezimmer hinter ihr steht. Wenn sie ihr zuschaut, wie sie die langen Strähnen trocknet. Wenn sie, Claudia, währenddessen schimpft wie ein Rohrspatz. Am meisten nachdem der Kamm die ersten Bahnen beginnt. Oft nimmt die Mutter die Tochter in den Arm, drückt sie an sich, küsst sie, die Hände in der Mähne vergraben oder sanft darüber streichelnd. Die beste Mutter, lieb, zärtlich, solange sie sich erinnern kann.
Am Ende der Wiese, nahe am Horizont, dreht ein Traktor auf einem Acker seine Runden. Leise hört sie das Motorengeräusch aus der Ferne. Ansonsten liegt die Welt ruhig zu ihren Füßen, nicht einmal ein Hund bellt. Wahrscheinlich haben sich alle Hunde des Ortes bereits irgendwo im Schatten verkrochen, in ihren Hütten oder unter einem der zahlreichen Bäume oder unter einer überdachten Terrasse, Hauptsache Schatten.
Der Mann auf dem Traktor sitzt sicher in einer klimatisierten Kabine. Alle moderneren Traktoren verfügen über derartigen Komfort. Manchmal besucht sie gemeinsam mit der Mutter Georg auf einer seiner Baustellen. Wenn es so heiß ist wie heute, streiten sich die Männer. Die Gerätefahrer, so nennt man die, die einen Bagger oder eine Raupe bedienen, sitzen in ebensolchen gekühlten Kabinen. Denen hingegen, die im Freien arbeiten, läuft der Schweiß über die oft nackten Oberkörper.
„Schrei hier nicht so herum, du sitzt im Trocknen und im Kühlen“, antwortete einer der Arbeiter, nachdem ihm der Fahrer eines LKW bei herunter gelassener Seitenscheibe einen warnenden Satz zugerufen hatte. Der Mann stieß kurz zuvor einen Pfiff aus, als sie beide auf der Baustelle erschienen.
„Da muss einem doch heiß werden“, dessen Antwort, bevor alle verstummten, nachdem Georg aus dem Bürocontainer heraus im Freien erschien.
„Männer eben, so sind die“, knurrte die Mutter ihr grinsend zu.
„Männer, die den ganzen Tag auf solch einem Bock sitzen, Traktor oder LKW, die können mehrmals täglich, die haben Bums dahinter. Das kommt von den Vibrationen aus dem Motor …“, belehrte sie die Freundin Vera später, nachdem sie der das Erlebte berichtete. Die Freundin Vera, die alles und mehr über das männliche Geschlecht zu wissen scheint. „Wenn du mal so einen abfasst, hast du den Hauptgewinn im Bett.“
Ein weiterer, einer ihrer zahlreichen Träume. Männer mit schweißbedeckten, nackten Oberkörpern, wie die Tänzer in der karibischen Nacht. Sie tanzen plötzlich alle über die Baustelle, im Reggea-Sound. Wenn sie an einem vorüber geht, schaute er sie lüstern an, die Arme nach ihr ausgestreckt wie beim Bolero. Von einer Seite Rock, von der anderen Klassik. Alles vermischt sich, es dröhnt in ihren Ohren. Sie fühlt sich nackt, den Blicken ausgesetzt. Soll sie sich schämen oder freuen über die Begierde, über die Lust, die sie auslöst bei Männern, die ihr völlig fremd sind. Gefühle der Angst wechseln sich ab mit Neugier. Einer packt sie an den Hüften, kräftige Hände, muskulöse Arme. Sie schließt die Augen, sie will sich hingeben, sie ergibt sich, ja, jetzt. „Nimm mich jetzt …“, flüstert sie, ohne dass sie es bemerkt. Georg, sie erwacht. Er war zwischen sie und die Mutter getreten, um sie anschließend, beide Hände an den Hüften, in Richtung des Containers zu schieben.
Alles ruhig, rund herum, Grabesstille. Was war es dann, das sie weckte? Egal, warum nachdenken? Sie ist wach.
Im Kopfhörer dröhnt Santanas „Oye como va“. Ein geiler Rhythmus während dessen man schwer still stehen kann. Sie dreht Fenster, der Sonne wie dem Traktor in der Ferne den Rücken zu. Im Takt der Musik wippt sie zurück zu ihrem großen Spiegel. Drei Schritte nach vorn, einen zur Seite, zwei zurück. Die Bässe dringen in ihren Körper ein, hinab durch die Schenkel, bis zu den Füßen, von da aus zurück. In kurzen Stößen, bu bum, bu bum, bu bum, immer heftiger, immer fordernder. Wie ein Geist, der in sie einzudringen versucht, den sie keuchen hört, dicht an ihrem Ohr. Dessen heißer Atem ihre Haut überzieht, wenn sein Mund abwärts gleitet, bis in den Schoß hinein. Der Missmut von vorhin weicht dem Tagtraum. Sie denkt an nichts mehr als nur an diese Musik, die sie hinab zieht.
Einer der karibischen Tänzer trägt nicht mehr als einen knappen Lendenschurz, der seine Erregung spärlich verbirgt, der Latz steht weit ab. Er trägt seine Männlichkeit wie eine Lanze voller Stolz vor sich her. Er kommt auf sie zu, sie streckt sich ihm entgegen, kurz darauf flieht sie, bis sie sich erneut von ihm einfangen lässt. Genauso, wie sie sich intuitiv bewegt wenn sie diesem Moment entgegen fliegt, dem Augenblick, der allein diesen einen und einzigen Zweck erfüllt: die aufgestaute Spannung aus dem Körper zu entlassen. Jetzt genügte sanfte Nachhilfe mit einem Finger. Sie wäre so weit, wo zum Teufel bleibt der Mann mit dieser Lanze?
Tanzpartner im Latin-Kurs war ein schüchterner Junge, der stets in den Ausschnitt ihres Kleides schielte. Währenddessen versuchte er, im unteren Bereich ihrer beider Körper einen hinreichenden Abstand zu wahren. Dabei tanzte er sehr gut, war zudem zwei oder drei Jahre älter als sie. Nicht so ein Angeber wie andere. Bescheiden, sprach er kaum ein Wort. Vielleicht wollte er es sich nicht anmerken lassen, dass sie ihn beeindruckte. Ihr war das völlig gleichgültig, da sie, außer mit ihm zu tanzen, nicht die Spur eines Interesses an ihm verspürte. Dass dieser Junge später eine Rolle in ihrem Leben übernehmen würde, daran dachte sie damals mit keiner Silbe.
Sie dreht sich mehrmals vor dem Spiegel. Außer mit ihren gefühlt zu kleinen Brüsten, gibt sie sich mit dem Rest dessen, was ihr die Natur verlieh, zufrieden. Eine schmale Taille, ein flacher Bauch gehen über in ein nicht zu breites Becken. Die eher sanfte Wölbung endet in einer harmonischen, leicht geschwungenen Linie bis zu ihren Knien hinab, wie ein spitz nach unten gezogenes „O“, dessen Scheitelpunkt von einer Öffnung geziert wird, an deren oberem Ende wie ein dickes Brötchen ihre, wie sie sich sicher ist, harmonisch geformte Vulva harrt.
Das Wort „Brötchen“ blieb in ihrer Erinnerung zurück, weil der Freund einer Bekannten der Mutter diese Bezeichnung vor einigen Jahren verwendete. Damals wusste sie nicht, dass dieser Teil des Körpers einer Frau in den Wünschen und Fantasien der Männer eine ganz andere Funktion erfüllt, als die eine, Wasser zu lassen. Dass dort die Kinder heraus kommen, erklärte die Mutter ihr ein andermal.
Die Maße eines Neugeborenen waren ihr seinerzeit bereits bekannt. Sie besaß eine Puppe in der Größe, eine dieser Baby-Puppen, die man jungen Mädchen schenkt, um sie unterschwellig auf ihre Rolle als Gebärmaschine und Mutter vorzubereiten. Niemand sagt ihnen das, doch man erwartet es. Nachdem sie erfuhr woher die Babys kommen, flößte ihr allein die Vorstellung, wie dies von Statten gehen sollte, stets eine panische Angst ein. Manchmal hielt sie abends im Bett die Puppe zwischen ihren Schenkeln, den Kopf an ihren Schoß heran gedrückt. Vielleicht vergrößert sich dieser Körperteil später wenn man älter wird, dachte sie. Doch bei der Mutter sah es nicht viel anders aus als bei ihr. Sie konnte das genau erkennen, wenn letztere nach ihr in die Wanne hinein oder vor ihr aus der Wanne heraus stieg, wenn sie ein Bein anhob oder spreizte. Ein verstohlener Blick, es musste geheim bleiben. Alles schien zwar etwas größer zu sein als bei ihr, der Spalt um etwas breiter. Dafür war die Mama schließlich erwachsen. So erheblich, gemessen an der Größe des Kopfes der Babypuppe, empfand sie den Unterschied jedoch bei weitem nicht.
Über dem „Brötchen“ wölbt sich ihr Schamberg in die Höhe, der weiter nach vorn steht, als sie das bei anderen Mädchen ihres Alters kennt. Der Spiegel ist Zeuge dafür, dass sie sich diesem Anblick hin und wieder gerne hingibt. Es macht ihr Spaß, sich selbst zu betrachten. Zudem gefällt es ihr, wenn sich am Strand die Blicke der Männer gerade auf diesen Teil ihres knappen Bikini-Höschens richten. Wenn sie auf dem Rücken liegt, kommt dieser Hügel besonders deutlich zur Geltung. Wenn sich das Höschen von den höher liegenden Beckenknochen getragen, darüber spannt, bleiben zwei Schlitze zwischen Bund und Bauch, in die ganz bequem eine Hand hinein passen würde. Wahrscheinlich weckt allein dieser Umstand die Fantasien der Männer. Frauen schauen manchmal neidisch, manche vielleicht neugierig, sogar lustvoll, anders als die Männer, doch selbst das gefällt ihr.
Die pralle Männer-Freude sagt Vera. Selbst wenn sie nicht erregt ist, so wie jetzt, heben sich die beiden Wülste deutlich ab. Dazwischen ein Spalt, der oben in einem leicht hervor stehenden Kreis endet. Wenn sie mit dem Finger die Haut darüber zurück zieht, hebt sich das weiße Köpfchen, eingebettet in Zart-Rosa heraus. Der Ort der größten Lust, wie sie seit einigen Jahren weiß, weil dort Millionen Nervenstränge zusammen laufen, über die Hirn und Schoß miteinander kommunizieren. Die Klitoris füllt sich mit Blut wie ein Penis, wenn man sanft daran rührt. Man spürt den Puls wie eine Pumpe. Dass es schmerzen kann, das Köpfchen, wenn man es übertreibt, das erfuhr sie ebenfalls.
Dabei war sie eine totale Spätentwicklerin. Mit zwölf, dreizehn Jahren wie Schneewittchen, dünn, unscheinbar. Da wo ihren Schulfreundinnen bereits Brüste wuchsen, standen zwei kleine Nippel, mehr nach innen als nach außen gerichtet. Die Jungs machten sich lustig über sie. Die Mädchen feixten im Umkleideraum, weil sie sich stets in eine Ecke verdrückte, während die anderen mit ihren neu gewonnenen körperlichen Reizen Schaulaufen veranstalteten. Allein Vera hielt sich zurück. Meist stand sie ihr bei wenn andere sie zu ärgern versuchten.
Im Vierzehnten explodierte sie, ein Jahr später gewann sie einen kleinen Schönheitswettbewerb. Es gab ein paar Angebote für Fotos, die sie nicht annahm, trotz Zuredens der Mutter. Ein Jahr später, sie war gerade sechzehn geworden, nahm sie ein solches Angebot an. Georg bat sie darum. Die Mutsch unterstützte ihn mit aller Kraft. Einer seiner Bekannten fotografiere, sagte er eines Tages beim Frühstück.
Georg erzählte hin und wieder von ihm, von Paul. Eigentlich sei der mit seinem Vater befreundet, bereits aus der Zeit vor der Wende. Der Vater habe mit seinem LKW gelegentlich Fahrten für die Firma übernommen, zu deren Leitung Paul gehörte. Bevorzugt wenn deren vorletzter funktionierender Lastwagen gerade wieder einmal in der Werkstatt stand. Schwarz, versteht sich, Volkseigene Betriebe durften offiziell keine Aufträge an Privatfirmen vergeben. Letztere seien für die Bevölkerung zuständig gewesen. Bezahlt wurde mit Naturalien. Ein paar Säcke Zement, eine Palette Steine, ein paar Pakete Fliesen, eine Fuhre Sand, alles sei knapp gewesen, besonders für die wenigen privaten Unternehmer.
Nach der Wende habe Paul dem Vater mit ersten Aufträgen auf die Beine geholfen.
**
Freitagnachmittag, ein schmuddeliger Spätherbsttag. Menschen rennen mit hoch geschlagenem Kragen durch die Gegend. Ein feiner Nieselregen, vermischt mit ersten Schneeflocken, kriecht in alle Öffnungen der Kleidung hinein.
Georg tritt aus einer Bank heraus auf die Straße. Ein schwieriger Termin liegt hinter ihm. Weil er ein paar Leute eingestellt hatte, brauchte er einen Kredit für zusätzliche Geräte. Der wurde ihm verweigert, trotz guter Auftragslage. Zu wenige Sicherheiten, auf dem Haus lastet bereits eine Hypothek. Wütend schlägt auch er den Kragen hoch.
„Georg, hallo!“ Er dreht sich um. Paul kommt quer über die Straße gerannt.
„Alles gut bei dir? Wie geht es dem Alten? Ich muss ihn mal wieder besuchen“, begrüßt der ihn mit einem Schlag an den Oberarm.
„Alles gut?“ Georg zeigt mit dem Daumen über die Schulter zu seiner Bank. „Wenn man auf die angewiesen ist, kann nichts gut sein.“
„Wolltest wohl einen Kredit? Da musst du mehr Geld mitbringen als die dir anschließend heraus geben“, erwidert Paul lachend. „Ich brauche die nicht mehr, Gott sei Dank. Ich kaufe nur noch das, was ich allein bezahlen kann. Da muss man verzichten lernen.“ Er zündet sich eine Zigarette an.
„Privat mag das gehen, für die Firma reicht` s nicht immer“, erwidert Georg aufgebracht. „Da stellst du Leute ein, schaffst Arbeitsplätze, dann klemmt die Säge, wenn` s ums liebe Geld geht. Muss ich die Geräte eben anmieten.“
„Und, wie geht es deinem Vater?“, erneuert Paul seine Frage.
„Der ist gesund, soviel ich weiß. Wir sehen uns ja kaum noch. Wenn er die Zahlen des Vormonats auf den Tisch bekommt, ruft er mal an, mosert über dies und jenes. Doch solange das Geld stimmt, bleibt er ruhig.“
„Ja, das ist wirklich schade“, antwortet Paul trüben Blickes. „Wieso macht der bloß so ein Theater wegen deiner Beziehung. Ich verstehe das wirklich nicht.“
Georg winkt ab, betroffen sagt er: „Eine Frau, zehn Jahre älter, die eine Tochter mitbringt. Die nutzt dich aus. Die reißt sich alles unter den Nagel, wenn der Tag kommt. Keine Enkel. Du bist unser Einziger, wer soll die Firma übernehmen …, bla, bla, bla, das kennst du doch.“
„Ja, dasselbe habe ich mir anhören müssen, als ich ihn das letzte Mal traf. Ich habe ihm die Meinung gesagt, doch der bleibt stur.“
„Hör mal, Paul, was anderes, gut dass wir uns treffen. Ich wollte dich nämlich schon länger was fragen“, wechselt Georg schnell das Thema.
„Lass uns irgendwohin gehen, ein Glas trinken, oder zwei. In der Kälte bleibe ich hier ungern stehen.“
„Ich bin mit dem Auto in der Stadt“, entgegnet Georg.
„Ruf deine Perle an, die kann mit der Bahn oder mit dem Bus reinfahren und uns anschließend mit dem Auto nach Hause bringen. Das käme mir sogar entgegen. Wir haben ein Stück gemeinsamen Weges.“ Paul greift Georg an die Schulter, der nickt.
Sie gehen zu einem Italiener, wenige Meter von der Bank entfernt.
„Was wolltest du mich fragen?“ Kaum am Tisch angekommen, fragt Paul neugierig.
„Du kennst doch den Schirrmacher, den Geschäftsführer der (er nennt den Namen der Firma). Soviel ich weiß, ist das eine hundertprozentige Tochter der Stadt, oder?“
Paul nickt: „Und wie ich den kenne. Genau, der Laden gehört der Stadt.“
„Müsste der nicht alle Bauleistungen, die er vergibt, ausschreiben?“, fragt Georg mit aufgeregter Stimme. Der Kellner stellt gerade die bestellten zwei Bier, dazu zwei Grappa auf den Tisch. Georg trinkt den Grappa zur Hälfte aus, er schüttelt sich. „Ich komme da nicht ran, ich komme da einfach nicht ran …“, flucht er, anschließend stellt er das Glas mit Schwung auf den Tisch zurück.
„Ausschreiben ja und nein“, antwortet Paul nachdenklich. „Soweit ich mich erinnere, darf er bis fünfundzwanzigtausend freihändig vergeben, darüber folgen die kleinen Tricks. Ist die Leistung größer, wird sie in kleinere Lose gesplittet und danach einzeln freihändig vergeben ...“
„Ständig an dieselben und der hält jedes Mal die Hand auf“, unterbricht Georg Pauls Worte. Der hebt die Schultern, während er spricht: „Ich weiß es, andere wissen es. Der war schon als Dezernent in der Stadtverwaltung korrupt.“ Er trinkt einen Schluck, bevor er erzählt wie derjenige im Dezember 89 am Rande einer Demo an ihn herangetreten sei. Wie er ihm gesagt habe, er würde gern in die neu gegründete Partei eintreten wenn er einen Posten bekäme. Wie er später in den Wirren, im Durcheinander des Frühjahres 90, sogar zu dem Posten kam. Wie ihn schon im Sommer 91 ein Unternehmer glaubhaft darauf hinwies, dass der Dezernent soundso gern die Hand aufhalte. Wie er seinerzeit mit dem Fraktionsvorsitzenden im Stadtrat und einem befreundeten Anwalt in einem Biergarten saß und wie er denen davon berichtet habe. Wie der Fraktionschef erwiderte, so etwas dürfe man nicht an die große Glocke hängen. Was sollten denn die Leute über die Partei denken? Paul lacht auf, bevor er fortfährt:
„Es ist nicht lange her, da kam mein früherer Geschäftspartner zum Kaffee. Er erzählte, er habe die Lizenz zum Gelddrucken. Der Dings da hat mich in der Stadtfirma zum Haus- und Hofprojektanten ernannt. Ich bekomme pro Monat pauschal fünftausend Mark, ob ich was zu tun habe oder nicht. Aus dem versteuerten Geld muss ich ihm monatlich tausend unter der Hand in seine Privattasche zurück stecken. So läuft das.“
Paul wischt sich den Schaum vom Mund. „Ja!“ sagt er ein weiteres Mal aufgeregt. „So läuft das. Hin und wieder grinst diese Dreckfresse sogar aus der Zeitung heraus. Da bekomme ich jedes Mal Sodbrennen.“
Georg schüttelt den Kopf. „So läuft das also, mit schmieren …“ Paul lehnt sich nachdenklich zurück.
„Ich weiß nicht. Ich habe nie Schmiergeld bezahlt und habe nie welches angenommen. Vor der Wende nicht, nach der Wende ebenso wenig. Vielleicht fahre ich gerade deshalb einen vierzehn Jahre alten Citroen?“
Indes zieht Georg sein Handy aus der Tasche. „Moment, entschuldige, ich muss Bescheid geben.“ Er wählt, zuerst die Festnetznummer, weil niemand abnimmt, anschließend Sus Handynummer.
„Sie nimmt nicht ab“, Georg zuckt mit den Achseln.
„Vielleicht hat sie gerade Besuch?“ Paul zwinkert Georg zu. Der schüttelt heftig den Kopf. „Und wenn dann irgendein Nachbar, nicht das woran du wahrscheinlich gerade denkst.“ Georg zwinkert zurück.
„Ich habe euch im Sommer in der Stadt gesehen. Dich, deine Frau mit Tochter“, nimmt Paul das Gespräch wieder auf, nachdem Georg das Handy einsteckte. „Das sind ja zwei Raketen. Das sind keine Frauen, das sind zwei Kriegserklärungen. Kaum zu glauben, das Su zehn Jahre älter sein soll als du. Und die Tochter, auweia … Ich hatte den Eindruck, bei euch läuft alles ganz gut?“ Georg nickt zustimmend.
„Su schmeißt den Laden. Die musst du mal erleben wenn wir Verträge abschließen. Und mit der Zahlungsmoral. Wenn die Leute nicht pünktlich zahlen, fährt die hin. Zwei Tage später liegt das Geld auf dem Konto.“ Er trinkt sein Bier bis zur Neige. Lachend fährt er fort:
„Ich hab` sie mal gefragt, ob sie mit den Typen vögelt, damit die bezahlen.“ Er winkt ab. „Scherz am Rande, nee also, ich bin rund herum zufrieden. Genau genommen ist Su der Boss, zu Hause wie in der Firma. Ich bin froh darüber, weil ich mich um meine Baustellen kümmern kann. Kein Schreibkram mehr.“ Er reibt sich nachdenklich am Kinn.
„Mit der Kleinen gab es am Anfang viel Zoff. Die war vierzehn, als wir uns kennen lernten, schwieriges Alter ohnehin. Bis dahin hing die nur an der Mutter. Plötzlich schleicht sich da einer ins Schlafzimmer. Inzwischen verstehen wir uns ganz gut.“
Die nächste Runde kommt, zwei Bier, zwei Grappa.
„So wie sich das anhört, scheinst du gar nicht auf die Aufträge von diesem Schirrmacher und seiner Mischpoke angewiesen zu sein“, kehrt Paul zum anfänglichen Thema zurück.
„Nein, bin ich nicht. Es ist nur so: die zahlen pünktlich, die Preise stimmen. Was meinst du, was bei den Großen abgeht, wenn wir als Subunternehmer für die arbeiten.“ Georg winkt erneut ab.
„Das was die dir raus zocken würdest du an die anderen an Schmiergeld zahlen. Wenn mal einer erwischt wird bist du mit dran.“ Paul lacht laut auf, er schüttelt den Kopf, bevor er weiter spricht:
„Wenn auch die Gefahr gering ist, weil die sich gegenseitig decken, aber man weiß ja nie …“ Anschließend erzählt er von einem weiteren Dezernenten, für den Ähnliches zuträfe:
„Die andere Pappnase aus unserer Partei, der sich nach der Wende einen Dezernenten-Posten an Land zog, rannte sogar durch die Gegend und brüstete sich damit, sein Grundstück in diesem Künstlerdorf im Norden zum halben Marktpreis gekauft zu haben. Das wussten wahrscheinlich sogar seine Mitarbeiter.“
Er erzählt wie eine der engeren Mitarbeiterinnen des Dezernenten vor seinem Schreibtisch saß, weil sie bei ihm Grundstück mit Haus kaufen wollte. Wie sie über den Grundstückspreis nörgelte.
„Wahrscheinlich fehlte nicht viel daran, dass die mich fragen wollte, ob ich ihr nicht auch einen Nachlass gewähren könne. Zumindest erwähnte sie mehrmals, wie wichtig ihr Dezernat sei. Und ihren Chef, den kenne ich doch schließlich.“ Paul nimmt einen Schluck Bier, bevor er fortfährt: „Das sind eben die Kehrseiten solcher gravierenden Veränderungen. Einige sind unter dem Motto angetreten: bislang haben sich andere die Taschen gefüllt, jetzt sind wir dran. Nicht alle, Gott sei Dank.“
„Aber sicher einige“, fügt Georg nachdenklich hinzu.
„Ja. Am besten, man macht mit solchen Leuten keine Geschäfte, weil die dich an die Wand nageln, bevor es ihnen an den Kragen geht. Nicht unbedingt, weil sie besonders schlau sind, eher dummdreist.“ Paul lacht verächtlich, während er zum Grappa greift.
„Nimm den mit dem billigen Grundstück. Nachdem er aus dem Rathaus flog, richtete man für ihn einen zusätzlichen Geschäftsführerposten in einer städtischen GmbH ein. Als der Letzte in der Firma bemerkte, dass der völlig unfähig ist, wurde er plötzlich krank.“
„Aha … Er wurde krank?“, Georg mit gespielter Neugier.
„Ja, stell dir vor“, Paul lehnt sich zurück. „Er wurde krank, genau … Rannte allerdings quietsch gesund durch die Gegend. Vier Jahre lang bis zum Eintritt in die Vollrente kassierte der sein Geschäftsführergehalt.“ Paul lässt eine Pause, während Georg grinsend die Worte wiederholt: „Er wurde also krank, so, so.“
„Ja. Und jetzt rate mal, wer vor gut einem Jahr, nachdem der alte Oberbürgermeister seinen Stuhl räumte, nachdem er sich selbst zum Geschäftsführer einer städtischen GmbH ernannte. Rate mal, wer da am lautesten gekräht hat?“
„Der Kranke …“ Georg schlägt lachend mit der flachen Hand auf den Tisch.
„Genau, der Kranke …!“, erwidert Paul. Beide prosten sich mit den Resten im Bierglas zu. Georg wackelt ungläubig mit dem Kopf. „Der Kranke, ich glaub` s ja nicht.“
Anschließend lehnt Paul sich über den Tisch. „Ich sag dir eins: soviel auch über diese untreue Anstalt geschimpft wurde, die, die das so genannte Volkseigentum abgewickelt hat. Unter dem Strich können wir froh sein, dass es die gab. Sonst hätten wir Nullkommanichts dieselben Oligarchen am Hals gehabt, wie die Russen und andere im ehemaligen Ostblock.“
Georg hebt die Hand. „Aber …“
„Moment, lass mich bitte ausreden. Solche korrupten Typen wie die beiden, über die wir gerade sprachen, die wären nach jeder Pfeife getanzt. Ein paar der alten Genossen haben es geschafft, sich Partei- und Stasi-Millionen unter den Nagel zu reißen. Ich kann dir auf Anhieb mehr als zehn allein in unserem näheren Umfeld nennen. Makler, Bauträger, Baufirmen, einige kennst du mit Sicherheit. Hätte den Laden keiner kontrolliert abgewickelt, würdest du heute dieses ganze alte Bonzen-Pack im dicken Benz vorfahren sehen.“
„Und die wären?“ Georg lehnt sich ebenfalls über den Tisch, als er die Frage stellt.
„Du willst jetzt nicht wirklich wissen, wen ich meine, oder?“, fragt Paul ungläubig, doch Georg nickt energisch. Nach kurzem Zögern geht Paul auf die Frage ein:
„O. k., ich nenne dir einen, weil ich neulich auf einer deiner Baustellen eines seiner Werbeschilder gesehen habe.“ Er spricht den Namen einer Firma aus, Georg reagiert entsetzt: „Was der? Das ist doch einer der schärfsten Kapitalisten, die ich je erlebt habe.“
„Siehst du? Vor der Wende ein strammer Genosse. Pfiff jeden Morgen, während er sich rasierte, die Internationale. In der Wendezeit hat er eine dieser Schalk-Firmen geleitet, die die Stasi- und Partei-Kohle um geschaufelt haben. Später hat er mit zwei Österreichern seine Firma gegründet. Österreicher, wohlbemerkt. Die Scheinfirmen der Stasi hatten ihren Sitz überwiegend dort, dort und in Dänemark.“
Georg lehnt sich zurück, er gibt einen leisen Pfiff ab. „Der also, nicht zu fassen.“
„Und der Schwiegersohn sitzt im Bundestag, was ich allerdings für einen Zufall halte“, fügt Paul zwinkernd hinzu.
Sie schweigen einen Moment. Vorher bestellte Georg die dritte Runde. „Nur Bier, keinen Grappa mehr, so viel vertrage ich nicht“, ruft Paul dem Kellner nach.
„Aber um nochmal auf diese Anstalt zurückzukommen“, will Georg das Gespräch fortsetzen, doch Paul hebt die Hand.
„Lass uns lieber über die Frauen und die Liebe reden“, unterbricht er grinsend Georgs Worte. „Du bist ja nun bestens ausgestattet, wie du selbst sagst.“ Der Kellner stellt das Bier ab, Georg nimmt einen kräftigen Schluck, kaum dass die Gläser auf dem Tisch stehen. Ein lang gezogenes „Ja“ folgt, nachdem er sich den Schaum von den Lippen wischte. „Das kann man so sagen. Jetzt willst du aber sicher keine Details wissen, oder?“
„Nein, keine Details, nur so im Allgemeinen … Du weißt schon.“
„Wie ich sagte, alles ist gut, ja …“, Georg zögert einen Moment. „Ja, und eine Rakete ist Su wirklich, in verschiedener Hinsicht. Also wir sind jetzt fast drei Jahre zusammen, nichts hat nachgelassen, im Gegenteil …“ Er wiegt den Kopf, ein versonnenes Lächeln, bevor er weiter spricht:
„Ja klar, auch im Bett, das ist wichtig, alles gut. Die Kleine hat sich inzwischen an mich gewöhnt, sie macht mir öfter mal schöne Augen. Wie sie eben sind, die Teens, wenn die Hormone zu rumoren beginnen … Ich bin ja nicht ihr Vater, nicht einmal Ersatz, das stand nie im Programm. Su freut sich darüber.“
„Da läuft aber nichts zwischen dir und der Tochter, ich meine, wenn ich jetzt so in deine Augen gucke?“ Schmunzelnd kneift Paul Georg in den Arm. Der bläst die Backen auf.
„Su würde mich umbringen, die würde mir den Schwanz abschneiden und zugucken, wie ich verblute. Ihre Tochter, ihr ein und alles, eine Heilige. Da sitzt die wie eine Glucke drauf, obwohl wir mit vielen Dingen sehr freizügig umgehen. Wenn Claudia mir schöne Augen macht, lacht Su darüber. Sie sagt keinen Ton, weder zu mir, noch zur Tochter. Jedenfalls nicht wenn ich dabei bin. Manchmal ist das schon ein bisschen komisch. Es gibt kaum Streit, außer den üblichen Banalitäten, warum sollte ich mir einen Kopf machen?“
„So ganz einerlei scheint dir die Tochter aber nicht zu sein, wenn ich dich so reden höre. Ich meine jetzt nicht das Verhältnis Erwachsener zur Tochter der Lebensgefährtin, eher Mann zu Frau?“
Georg überlegt einen Moment, bevor er ruhig antwortet:
„Ja, wie gesagt, sie ist nicht meine Tochter. Sie ist auch nicht bei mir aufgewachsen. Da siehst du das eine oder andere schon etwas anders. Wir sonnen uns nackt im Garten, wir gehen an den FKK. Da liegt so ein gut gebautes Mädel vor dir auf dem Bauch oder auf dem Rücken, die Beine nicht ständig zusammengepresst. Da guckst du mal hin, ohne dass du es willst, hinein in so eine frische, pralle Schnecke. Und dann denkst du eben auch mal: Hm, na ja, unter anderen Umständen, warum nicht?“ Er reibt sein Kinn, während er ein weiteres Mal überlegt.
„Manchmal begegnet man sich im Haus, nicht ständig unter alltäglichen Bedingungen …“ Weil er den Satz abbricht, fragt Paul nach, doch Georg winkt ab: „Die Kleine hat eben eine Top-Figur. Su ist schon perfekt, aber bei der ist alles zwanzig Jahre frischer.“
„Das habe ich gesehen“, unterbricht ihn Paul. „Sie trug kurze, knappe Hot Pants … Die Beine, mein lieber Scholli.“
„Die gehen beide manchmal so intim miteinander um.“ Georg winkt ab. „Was soll`s, die hatten vierzehn Jahre lang nichts als sich selbst, da steckst du nicht drin. Ich habe mich nie eingemischt. Su fährt ihre Linie. Sie liebt mich, sie liebt ihre Tochter, über alles, wie ein Heiligtum eben. Es gibt kaum Zoff. Ich schaue sie mir gern mal an …“ Abermals reibt er sich verlegen am Kinn. „Lieber wenn sie nichts auf der Haut trägt, die junge Elfe … Herz, was willst du mehr!“, beendet er mit einem Lachen.
„Kann ich nachvollziehen“, antwortet Paul knapp.
„Und was läuft bei dir? Wie ich hörte bist du geschieden seit ein, zwei Jahren. Deine Frau soll ewig jünger gewesen sein als du, wie der Alte mir mal erzählt hat?“
„Zwanzig Jahre, zwanzig Jahre jünger. Ich kümmere mich, soweit und so oft es geht, um unseren Sohn, wenn sie mir nicht gerade mal das Leben schwer macht und ihn nicht zu mir lässt. Manchmal, wenn sie einen neuen Lover hat, bleibt er zwei, drei Wochenenden in Folge bei mir. Hat sie keinen, erfindet sie ständig neue Gründe, um ihn von mir fern zu halten. Da kipp ich mir die Birne zu vor lauter Wut. Für Frauen bleibt da wenig Platz. Außerdem ist meine Wohnung für zwei zu klein auf Dauer. Woanders hin ziehen kommt für mich nicht mehr in Frage. Und das Geld ist zu knapp, das schreckt viele Frauen von vorn herein ab.“ Paul gähnt, als langweile ihn das Thema, anschließend reckt er sich.
„Bei Damen über fünfzig habe ich außerdem, von wenigen Ausnahmen abgesehen, Erektionsprobleme. Ich fotografiere hin und wieder schöne junge Frauen. Also, was bleibt?“ Er reckt sich abermals, leise seufzend. „Dich würde ich übrigens auch gern einmal fotografieren, du bist ein schöner Mann.“
„Dazu müsstest du aber schwul sein“, entgegnet Georg mit breitem Grinsen.
„Wieso schwul? Der Blick für die Schönheit menschlicher Körper hat doch nichts mit der sexuellen Orientierung zu tun.“
„Komisch, so ähnlich spricht Su auch manchmal“, erwidert Georg lachend.
„Das zeugt von gutem Geschmack“, Pauls Antwort, beide prosten sie sich zu.
„Vielleicht bist du ja …“ Paul wedelt mit der Hand, nach einem Wort ringend, schnippt er mit den Fingern. „Wie hieß das nochmal …“ Er denkt laut nach: „… metrosexuell, ja, metrosexuell, jetzt fällt es mir ein!“ Er atmet erleichtert durch.
„Wie dieser englische Fußballer etwa … Na komm!“ Georg windet sich mit einem verdrießlichen Lächeln auf den Lippen.
„Demnach musst du einen übergroßen Penis besitzen“, setzt Paul seine Vermutungen fort. „Die Metros sind nämlich deshalb metro, weil sie sich nicht auf ihre Schwanzgröße reduzieren lassen wollen.“
„Vielleicht hast du ja Recht“, entgegnet Georg nach vorn gebeugt. „Bei der Schwanzgröße fällt mir ein, dass ich zu Hause anrufen muss.“ Er zieht zum zweiten Mal das Handy aus der Tasche. Diesmal nimmt Su gleich ab.
„Hallo Schatz, habe dich vorhin leider nicht erreicht.“ Er erklärt die Situation. Ein Lachen ertönt vom anderen Ende.
„Sag Su einen schönen Gruß, unbekannterweise“, trägt Paul ihm auf.
„Gruß zurück, du sollst uns mal besuchen kommen.“ Georg zieht die Augenbrauen nach oben. Offenbar bekommt er ein paar Verhaltensregeln aufgetragen.
„Nein, Schatz, wir betrinken uns nicht. Ja, ein, zwei Stunden werden wir hier sitzen.“ Georg schaut auf die Uhr. „Komm so gegen Sieben … Küsschen.“
*
Die Mutter steht mit dem Telefon am Ohr im Flur, als Claudia gerade die Treppe herab gesprungen kommt.
„Ich war bei Claudia im Zimmer, da habe ich nichts klingeln gehört … Ja, grüß ihn zurück, er soll uns doch mal besuchen kommen … Und trink nicht zu viel, sonst sperren wir dich aus für die Nacht“, hört sie einen Teil des Gesprächs mit.
„Wer soll uns besuchen kommen?“, fragt Claudia neugierig, nachdem Su das Gespräch beendete.
„Nicht so wichtig … Ein Bekannter Georgs. Die betrinken sich gerade. Georg hatte bereits ein paar Sprachprobleme“, antwortet die Mutter entspannt.
„Da lachst du? Wenn ihm etwas passiert? Oder … Oder … wen er hier herum randaliert?“ Ihr fallen gelegentliche Bemerkungen Veras über deren Vater ein.
Die Mutter nimmt sie in den Arm. „Georg randaliert doch nicht“, antwortet die Gefragte mit sanfter Stimme. „Und Sorgen musst du dir keine machen, ich hole die beiden Jungs gegen Sieben mit dem Auto ab.“ Danach gibt sie der Tochter einen Kuss auf die Stirn, einen weiteren an den Hals, dicht neben dem Ohr.
„Seit wann machst du dir Sorgen um Georg?“, flüstert die Mutsch mit zärtlicher Stimme. „Das ist ja ganz etwas Neues. Schön, ich freue mich.“ Mit beiden Händen fährt sie sanft durch das lange blonde Haar der Tochter. „Ich freue mich wirklich darüber, dass du ihn inzwischen zu mögen scheinst.“
Claudia wird verlegen. Das erste Mal seit Langem dass sie über Georg reden. Wenn sie früher ihre Spitzen abließ, lächelte die Mutsch, Georg ebenso. Hin und wieder bekam sie eine Schranke gewiesen, nie bösartig.
„Ich … Ich meine ja nur … Er muss sich ja nicht unbedingt betrinken“, stottert sie. Die Mutter lehnt sich lachend zurück, anschließend ergreift sie beide Hände der Tochter. „Komm mit in die Küche, ich mache uns eine Kleinigkeit zu Essen.“
Einen Arm um die Schulter gelegt, schiebt sie die Tochter durch die Küchentür, anschließend auf einen Stuhl. Sie selbst begibt sich zur Anrichte. Während sie die Zutaten aufbereitet, erzählt die Mutter aus ihrer Jugendzeit. Davon, dass in der DDR viel mehr getrunken wurde. „Und was für einen Fusel die in sich hinein gekippt haben.“
Davon, dass ihr Vater wenigstens drei- oder viermal die Woche betrunken nach Hause gekommen sei. Dass er manchmal herum krakeelte, dass es bei vielen Männern üblich gewesen sei, nach
Publisher: BookRix GmbH & Co. KG
Publication Date: 05-25-2015
ISBN: 978-3-7368-9683-3
All Rights Reserved
Dedication:
Dunkle Perlen - 2. Buch - Das Buch widme ich Sharon