Fasan mit Wintermantel
Nach einem netten informativen Telefongespräch bekomme ich auch schriftlich an einem Novembermorgen eine Einladung zu einem "Geschäftsessen" mit "Partner/Partnerin" in´s Berliner Sage Restaurant in Kreuzberg an der Spree. Die Einladung ist auf feinstem handgeschöpften graufarbigem Büttenpapier gedruckt. Das Wachs beschichtete mattschwarze Kuvert der Einladung, das auch noch einen Auszug der Speisekarte enthält, duftet nach Pinienholzrauch und Wildbienenwachs.
Gleich zwei Bücher auf einen Schlag will ein bekannter Berliner Verlag von mir veröffentlichen. Einen dicken Eintausendfünfhundertseitenroman mit dem Titel "SALZZUNGEN" und ein Bildband "Die Engel fliegen wieder!" mit meinen Fotos von Friedhofsengelskulpturen in Berlin.
"Wahnsinn, Wahnsinn!", jubele ich zu meiner Frau. "Wir haben es geschafft, wir werden reich, ich werde berühmt!" "Was soll ich zu dem Anlass anziehen?" Ist die knappe Antwort. Meine überschäumende Reaktion, "Geh ins KAADEEWEE, das tut uns nun nicht mehr weh!"
Sie schnappt meine Kreditkarte und ist nach vier Stunden wieder zurück mit einem "Kleinen Schwarzen" für nur Siebenhundert Euro und einem flauschigem super leichten schwarzen Kaschmirwintermantel für Dreitausendsiebenhundertsechsundzwanzig Euro. An ihrem kleinen Finger baumeln zwei Kartons. In einem sind schwarze Schuhe für Vierhundertfünfunddreißig Euro und im anderen ein weißer Schal aus Seide und Kaschmir.
Zwei Tage später setzen wir uns in eine schwarze VIP-Großraumtaxe und lassen uns gegen Neunzehn Uhr ins Sage Restaurant kutschen. Als wir in der Köpenicker Straße aussteigen, ist es kalt in Berlin. Ein Nieselregen besprüht meine Brille und ich kann am Eingang des Restaurants nicht sehen, dass es da eine kleine Stufe nach unten gibt. Beide bewegen wir uns fallend nach unten und landen weich auf einen rotem Teppich. Beim Aufstehen erinnere ich mich, dass es als Entrée SCHWARZWURZELSÜPPCHEN MIT MARINIERTER FOIE GRAS gibt. Passend nun zum ein wenig staubig befleckten schwarzen edlen Mantel meiner Frau. Nach dem Öffnen der Eingangstüre empfängt uns eine nette langbeinige engelhafte Dame vom Service und begleitet uns lautlos wie ein Engelchen, nachdem sie unsere Garderobe auf gehangen hatte, zu einem festlich gedeckten Tisch, an dem uns stehend eine im schwarzen Kostüm gekleidete junge Dame Anfang der Dreißig und ein Mittvierziger herzlich begrüßen. Der grau mellierte Mittvierziger in einem dunkelgrauen edlen Anzug hat eine wahnsinnig interessante Brille mit leicht grauen Gläsern auf. Meine schwarz umrandeten Brillengläser sind dagegen vier mal so schwer. Das Dekolleté der jungen Dame ist vier mal so offen, wie das meiner Frau.
Im Hintergrund des wie ein Fabriksaal aus dem Neunzehnten Jahrhundert anmutendem Restaurants dudelte dezent und leise Musik. Die hohen Räume verschlucken die Gespräche der Gäste an den anderen Tischen. Das Sage Restaurant mutet räumlich wie eine mittelalterliche Kathedrale, welche man in´s einundzwanzigste Jahrhundert gebeamt hat. Das Lichtkonzept hat die höheren Weihen der indirekten Beleuchtung erhalten und direkt funkeln auf den Tischplatten kleine LED´s, mit denen man seinen Daumen jetzt und sofort durchleuchten kann, ob da vom letzten Barbecue im Sommer ein Holzsplitter hängen geblieben ist.
Nach der Begrüßung geleitet man uns in einen Kaminraum, der voll verglast vom Gastraum aus zu sehen ist.
Unter einem wolpertingerartigem Büffelkopf knistern im Kaminfeuer dicke Buchenholzscheite und es duftet angenehm nach diesem Buchenholz. In voluminösen Ledersesseln nehmen wir Platz und bekommen neben dem üblichen Smalltalk ein Glas Champagner vom langbeinigem Service kredenzt. Die Dame vom Service entschwebt wieder wie ein Engelchen durch die große hochpolierte Glaspendeltüre.
Ich werde gefragt, ob ich bitte vor oder nach dem Essen eine Zigarre rauchen möchte. Ich entscheide mich ganz unbescheiden für die Variante vor- und nach dem Essen, wenn ich schon mal da bin. Im Kaminraum steht ein Humidor, aus dem ich mich für die dickste und größte Kuba-Zigarre entscheide.
Dann im dickem Sessel die dicke Cohiba Esplendidos Var schmauchend klingen dicke Komplimente über mein dickes "SALZZUNGEN" Manuskript in meine für Komplimente empfänglichen Ohren. Es würde mit Sicherheit der Schelmenroman des Einundzwanzigsten Jahrhunderts werden und Beziehungen zu Filmstoryrechten - Agenturen hätte man auch schon angekurbelt. Der Film zum Buch könnte Mitte übernächsten Jahres schon fertig sein!
Die Augen meiner Frau glänzen. Sie hüstelt wohl ein wenig, wegen meiner Rauchringe, die ich elegant gekonnt und oft geübt in die Luft des Kaminraumes puste. Und hüstelt wohl auch, weil ich der Frau vom Verlag immer wie gebannt in den Ausschnitt schiele.
Ich will dieses denkwürdige Ereignis auch fotografisch dokumentieren und zücke meine Digitalkamera und lasse mich, den zukünftigen berühmten Berliner Autor mit dicker Zigarre im dicken Ledersessel ablichten. Meine Engel werden gelobt, die jetzt schon wieder fliegen in alle Welt, von meiner Website rhebs.de mit dem Button auf meine MYGAL-GALERIE.
"Mein Engel mit dem blauen Hintergrund vom Westendfriedhof hängt inzwischen hinter dem
Sessel des Verlagschefs im A-NULL Format quer!", tönt lautstark der Mittvierziger. Die Augen meiner Frau glänzen wie die Champagnergläser, in deren Glaskelchen sich die Lichter des Raumes wie Weihnachtsbaumkerzen widerspiegeln.
Mir ist wie Weihnachten und Neujahr zusammen an einem Tag, als ich die wahrscheinlichen Erlöse meiner Bücher vor gerechnet bekomme. Von dem Verkaufspreis der Auflage eines der Bücher bekäme ich Siebenkommafünfunddreißig Euro. Das macht schon bei einer Zehntausdender Auflage Dreiundsiebzigtausendfünfhundert Euro Brutto! Nach Abzug der Steuern und Krankenkasse wären das Fünfzigtausend Euro Cash für fünfzig schwarze Nächte, in denen ich den Roman geschrieben habe. Tausend Euro in einer Nacht verdienen, wo kann man das heute noch! Ich wähne mich gedanklich schon im avisierten kommenden saukalten Berliner Januar im warmen Thailand an einem weißpulvrigem Sandstrand, wo ich befächelt mit Palmenzweigen von einer mandeläugigen Thailänderin in rosa Badelatschen mit einem lichtstarken Laptop auf den Knien mein nächstes Jahrhundertbuch "JAHRHUNDERWINTER" schreiben werde.
Ich muss husten. Meine Frau hüstelt nicht mehr und betrachtet mich wie den lieben Gott. Sie rechnet sich schon im Kopf die Hunderttausender Auflage durch.
Dann werden wir zum aufgedeckten kerzenbeleuchtetem Tisch gebeten. Ich habe mir "FASAN IM SPECKMANTEL MIT LORBEERBIRNEN UND POMMES DAUPHINES" gewünscht und die anderen haben sich meiner Wahl angeschlossen. Dazu 007er Rothschild Carménère Reserva. Ich bin absolut begeistert vom Fasan im Speckmantel. Zart, trotzdem nicht trocken, wie der Fasan oft mir bisher woanders serviert wurde. Die Lorbeerbirne zerschnippel ich in kleine Häppchen und zelebriere die Schnippel zu jedem Gabelbissen, die dann zusammen mit der feinen leckeren dunklen Soße an meinem Gaumen größere kulinarische Explosionen erzeugen. "Wer weis, ob ich so etwas feines in Thaiand essen kann".
Begeisternd renne ich mit meiner Digitalkamera zur Küche und fotografiere den Küchenchef Joe Pommering mit seinem Soßenchef, die ich am liebsten abknutschen könnte.
Als ich zurück komme, öffnet der Mittvierziger die dritte Flasche 2007er Rothschild Carménère Reserva. Mir fällt zu meinem Gedicht "Die Engel fliegen wieder" eine Melodie ein und ich beginne zu singen: "Sie flogen noch nie, sie träumten, Tag und Nacht unter knorrigen Bäumen. Im grellen Licht der Sonne und von der Kälte gegeißelt bleiben sie stumm und in Stein gemeißelt..."
Der Mittvierziger zückt aus einer feinen weichen ledernen schwarzen Aktentasche die Vertragsunterlagen und blättert mir mit kühnem Schwung die letzte Seite eines jeden Vertrages zur Unterschrift vor. Ich bekomme einen schwarzen schweren Füllfederhalter in die Hand gedrückt und sehe als erstes den Vorschussbetrag "Zehntausend Euro"! Zahlbar innerhalb von Zehn Tagen nach Vertragsunterzeichnung. Der Mittvierziger nickt freundlich dazu und bemerkt "Respekt! Chapeau! Sie haben es nun endlich geschafft!"
Meine Frau hatte sich inzwischen, nachdem sie vorher wie immer wieder mal sinnlos auf ihrem Handy herumgesimst hatte, die anderen Blätter gegriffen und flüstert mir dann erst ins Ohr und dann laut sie müsste dringend auf die Toilette, "Mir ist schlecht, begleite mich, ich glaube ich habe es mit dem Kreislauf und kippe wohl gleich hier um!"....."Sofort!"
Verstört schnappe ich sie unter den Arm und bringe sie schwankend zur Toilette. Dort vor der Tür sagt sie mir klipp und klar, "Den Vorschuss von Zehntausend Euro bekommst du Dussel nicht bezahlt, den musst du dem Verlag bezahlen. Es ist ein Druckkostenvorschussverlag! Das W-Lan ist hier im Restaurant für Gäste offen, ich habe im Netz nachgesehen, der Verlag ist nicht kosher!"
"Schade, schade um die zweite Zigarre!" denke ich, als wir bewaffnet mit unseren Mänteln flink wie die Wildfasane dem gemütlichen Sage Restaurant entfliehen. Es ist immer noch kalt und es nieselt vor dem Restaurant. Eine gelbe Taxe steht auf der Köpenicker Straße mit eingeschalteten hektischen Scheibenwischern. Für Acht Euro fahren wir zum Ostbahnhof und mit der S-Bahn Ruck-Zuck nach Hause.
Es war trotzdem alles in allem ein schöner Abend!
© rhebs.de November 2009
Text: Fotos © Richard Hebstreit
Publication Date: 12-02-2010
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Für Petra!