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Das Pusteblumenfest

Noch war die Sonne nicht aufgegangen, aber der Himmel leuchtete schon hell und die goldene Morgenröte lag über der großen Wiese am Waldesrand. Dort, unter den Büschen und kleineren Bäumen versammelte sich die Schar der Blumenelfen. Aufgeregt flogen sie hin und her.

„Sieht man die Sonne denn immer noch nicht?“

„Wann beginnt es denn endlich?“

„Sei nicht so ungeduldig. Es geht bestimmt gleich los.“

So tönten ihre feinen Stimmen durcheinander. Ein etwas größerer Elf, nun ja, minimal größer, ein Mensch würde den Unterschied nicht bemerken, flog auf einen der niedrigen Äste und stellte sich in Positur.

„Hört mir kurz zu!“, rief er laut.

Es wurde still. Alle Elfen blickten erwartungsvoll zu ihm.

„Also“, begann er, wurde jedoch von einem schrillen Krächzen unterbrochen.

„Kr kr kr, gägägägägägägägägä!“, gellte eine Elster genau über ihm.

„Hmpf! Bist du wohl ruhig?“, schimpfte der Elf und sah zu ihr hinauf.

Der schwarzweiße Vogel war größer als der Blumenelf und spottete: „Was willst du kleiner Wicht denn? Pass auf, dass ich nicht nach dir picke.“

„So eine Frechheit“, empörte der Elf sich und reckte sich so hoch er konnte. Seine kleinen Äuglein funkelten wütend. „Mit dir werde ich doch allemal fertig.“

Er hob die Hand, konzentrierte sich auf seine Elfenkräfte und jagte einen heftigen Luftstoß zu dem Vogel. Die Federn der Elster wurden zerwühlt, fast wäre sie von ihrem Ast gefallen. Erschrocken flatterte sie mit den Flügeln und verschwand eilends.

Der Elf lachte hinter ihr her und wandte sich dann wieder an seine Gefährten: „Nun wird uns hoffentlich niemand mehr stören. Wie ihr alle wisst, wollen wir heute unser geliebtes Pusteblumenfest feiern. Ihr kennt die Regeln, also achtet darauf, dass nicht zu viele auf einmal auf den Stängeln tanzen, damit die Blumen nicht zu schaden kommen.“

Er blickte zur Sonne, die endlich ihre ersten direkten Strahlen über die Wiese schickte. Auf dieser wuchsen mindestens mehrere hundert Löwenzahnpflänzchen. Die Blumen spürten die Wärme und öffneten ihre hellgelben Blütenkelche. Innerhalb von Sekunden sah die Wiese aus, als leuchteten überall kleine Sonnen mit der großen am Himmel um die Wette. Und doch war das strahlende Gelb nicht die vorherrschende Farbe. Denn die meisten der Pflanzen waren schon verblüht und zu Pusteblumen geworden. Ihre hauchfeinen, zu Bällen geformten Fallschirme, an denen die Samen hingen, glitzerten wie Schnee in dem Morgenlicht.

„Und los geht es!“, gab der große Elf das Startzeichen.

Sofort schwärmten sämtliche Blumenelfen aus und verteilten sich auf der Wiese. Ihre durchsichtigen Flügel schimmerten in allen Regenbogenfarben. Die kleinen, glasartigen Fäden an ihren Rändern klangen wie Glöckchen – zumindest in den Ohren der Elfen. Je nachdem, wie sie die Flügel bewegten wurden daraus wunderschöne Melodien.

Immer drei oder vier der Elfchen schwangen sich auf den starken, kräftigen Stängel einer Pusteblume und tanzten anmutig hinauf. Ihr Gewicht bog diese wie eine Brücke. Mit den Flügeln hielten sie das Gleichgewicht, denn der runde Untergrund schwankte stark und war zudem auch noch recht glatt.

Zierlich setzten sie die Füße im Takt ihrer eigenen Flügelmusik auf die grünen, schmalen Pflanzenstiele, während sie, Balletttänzern gleich, Pirouetten drehten und sich so langsam immer weiter nach oben und vorne bewegten.

Eines der Elfchen sprang ein wenig in die Höhe, zog dabei anmutig das Knie an und kam mit den Zehen zuerst wieder auf den Stängel. Zwei, drei Schrittchen wie eine Primaballerina nur auf den Spitzen laufend folgten. Doch dann glitt das Elfchen aus, wild ruderte es mit den Armen und versuchte sich mit kräftigen Flügelschlägen zu halten.

Doch bei diesem Fest durfte während des Tanzes nicht wirklich geflogen werden und das Elfchen hielt sich daran. Mit einem quietschenden „Ihh!“ fiel es von dem Löwenzahn hinunter. Natürlich tat es sich nicht weh, der Wiesenboden war ja weich. Aber es ärgerte sich. Und noch ehe es sich wieder aufgerappelt hatte, nutzte ein anderer Elf die Chance und sprang auf die Blume hinauf, um sich den anderen Tänzern anzuschließen. Das Elfchen musste sich eine andere Pflanze suchen.

Immer öfter erklang nun ein erschrockenes „Oh!“ und „Uff!“, wenn die kleinen Elfen auf den Stängeln ausglitten. Vorsichtig balancierten auf einem besonders schmalen Stiel balancierten zwei vor Vergnügen lachende Elfchen. Sie verbeugten sich kichernd wie vornehme Edelleute, richteten sich wieder auf und sprangen ein Stückchen weiter in Richtung der weißen Samenschirme.

Das vordere Elfchen stolperte über einen Blattansatz und stürzte kopfüber hinunter. Automatisch griff es nach dem Stiel, um sich daran festzuhalten und hing nun mit baumelnden Beinen ein gutes Stück über dem Boden.

„Nicht! Du knickst ihn!“, warnte der zweite Elf erschrocken.

Die Stelle, an der sich das Elfchen festklammerte, bog sich nach unten. Es knirschte, als die Pflanzenfasern zu reißen begannen. Oh nein! Auf keinen Fall durfte eine der wunderschönen Blumen verletzt werden! Der Elf ließ los und fiel das letzte Stück auf die weichen Gräser am Boden.

Wie ein Trampolin schnellte der Stängel wieder hoch und warf das noch stehende Elfchen in die Höhe. Mit einem kichernden Quietschen stürzte auch dieses hinunter, während die umstehenden Elfen in Lachen ausbrachen.

Doch immer mehr der Blumenelfen schafften ihren grazilen Tanz bis zu den feinen, weichen Fallschirmchen, der eigentlichen Pusteblume.

Sie griffen nach ihnen und zogen sie von der Blume. Erst dann benutzten sie ihre Flügel, um sich in die Lüfte zu schwingen. Hoch über der Wiese ließen sie die Samen an ihren feinen Schirmchen dann los. Die Luftbewegungen durch die Flügelschläge der Elfchen reichten aus, um diese weiter zu treiben.

Schon bald war über der Wiese ein weißleuchtender Teppich aus fliegenden Pusteblumensamen zu sehen. Dazwischen flogen die Elfen, deren glitzernde Flügelchen das Licht der Sonne brachen und unzählige kleine Regenbögen entstehen ließen.

Dieses Schauspiel lockte die neugierigen Spatzen an. Eine große Gruppe von ihnen kreiste über den Elfchen. Verblüfft beobachteten die Vögel das Geschehen.

„Ihr stört uns“, riefen die Elfen. „Bitte, seht ihr nicht, dass wir in der Sonne tanzen wollen?“

„Aber wozu treibt ihr die Samen vor euch her?“, wollte ein Spatz wissen. Er blinzelte kurz, als eines der Fallschirmchen direkt an ihm vorbeiflog. „Schmecken die?“

„Nein!“, behaupteten die Elfen rasch. „Wir sorgen dafür, dass sie weit fortgetragen werden, dann können sie auf anderen Wiesen landen und nächstes Jahr dort wachsen. Wir lieben die sonnenhellen Blüten und möchten, dass sie überall zu finden sind.“

Ganz überzeugt war der Spatz nicht, die dunklen Samen sahen sehr appetitlich aus. Aber er kannte die Elfen und wusste, dass es nicht ratsam war, diese Geschöpfe zu verärgern.

„Na gut“, zwitscherte er. Dabei zwinkerte er seinen Genossen zu. Die piepsten ein paar Mal kichernd. Sie würden einfach warten, wo die Pustedinger landeten und sich dann an ihnen gütlich tun.

Erleichtert blickten die Elfen dem Vogelschwarm nach, als dieser wieder verschwand. Dann tanzten sie weiter, bis alle Blütenstängel von ihren Fallschirmen befreit waren und mit dem Wind weggeweht wurden.

 

Imprint

Cover: Elfen: Bild von SilviaP_Design auf Pixabay, Wiese: Bild von Dietmar Johlen auf Pixabay , Löwenzahnsamen: Bild von Michael Schwarzenberger auf Pixabay
Publication Date: 11-04-2021

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