Proseccoküsse prickeln frecher!
„Um bei den Veranstaltungstipps für das kommenden Wochenende zu bleiben … unsere heutigen Live-Studiogäste – die Augsburger Hardrocker Zerberus - nehmen selbstverständlich am großen Rosenheimer Sommerfestival teil. Mit dabei sind außerdem die Newcomer aus Frankfurt The True Colours, die Ingolstädter Alternativ Rock-Band French Nails, ebenso internationale Künstler wie die Liongates, die Crossover-Band Dark Angels und und und … Wer mehr dazu wissen möchte, klickt bitte auf die Homepage der Stadt Rosenheim, unter Events werdet ihr fündig. Und nicht vergessen: Wir verlosen noch bis achtzehn Uhr zwei Konzertkarten für das ausverkaufte Musikfestival.“
Der Countdown im Computer verriet Valentina, wie viele Sekunden sie noch sprechen konnte, bevor die Musikredaktion den nächsten Song einspielte. „Es ist siebzehn Uhr vierzig, ich bin Valentina Landi vom Freien Rockradio Paradiso; und weiter geht es mit einem Klassiker von Linkin Park – 'What i've done' …“
Die Moderatorin nahm zufrieden die Kopfhörer ab, während einer ihrer Lieblingssongs über den Äther ging. Mit einem aufgesetzten Lächeln nahm sie sich Zeit, sich so freundlich wie möglich von ihren Gästen zu verabschieden, obwohl der Zerberus-Leadsänger sie praktisch mit seinen Blicken ausgezogen hatte. Eigentlich war der tätowierte Ziegenbartträger ja ein ganz ansehnlicher junger Kerl, doch seine Art, sie anzustarren, ging ihr gehörig gegen den Strich. Mit einem leisen Seufzer hielt sie sich vor Augen, dass morgen ihr langersehnter Urlaub beginnen würde. In zwanzig Minuten würde sie ihrem Arbeitsplatz den Rücken kehren und in die fast dreiwöchige Auszeit starten. Nur sie alleine im sonnenverwöhnten Süden Italiens … Sie würde lesen, sonnenbaden, schwimmen und einfach nur die Seele baumeln lassen. Das war auch dringend nötig, um nach dem vorangegangenen Beziehungscrash ihre innere Balance wiederzufinden. Zudem würde sie sich Zeit für ein lange vernachlässigtes Hobby nehmen und endlich wieder malen. Obwohl sie bereits in Urlaubsfantasien schwelgte, brachte sie die letzten Minuten ihrer Sendung souverän hinter sich und übergab anschließend an ihren Kollegen Jan Drechsler, der wie üblich in den kommenden zwei Stunden die Happy Hour moderieren würde. Unter großem Hallo verabschiedete sie sich von den Mitarbeitern in der Redaktion und verließ flotten Schrittes mit einem befreienden Gefühl das Gebäude des Rundfunksenders.
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Den restlichen Abend verbrachte sie mit Kofferpacken und dem Aufräumen ihrer kleinen, aber gemütlich eingerichteten Mansardenwohnung. Bereits auf dem Nachhauseweg hatte sie sich zu einem längst überfälligen Entschluss durchgerungen, den sie voller Elan umgehend in die Tat umsetzte: Alles, was sie bisher schmerzlich an ihren Exfreund Leon erinnert hatte, wurde rigoros in Tüten verbannt und mit einem schadenfrohen kleinen Lächeln in den nächsten Altkleidercontainer geworfen. Irgendein Bedürftiger würde sich über die schicke Markenkleidung sicherlich freuen. Das noch zur Hälfte gefüllte Rasierwasser von Paco Rabanne, die blaue Zahnbürste, die unschuldig neben ihrer orangenfarbenen im Zahnputzglas einparkte, und Leons teures Haargel wanderten indessen schnurstracks in den Müll. Ein weiterer, wichtiger Schritt, um sich den untreuen Mistkerl endlich aus dem Herzen zu reißen. Die Säuberungsaktion beflügelte sie regelrecht, sie hätte damit wirklich nicht so lange warten sollen. Wenigstens besaß sie nach dem Beziehungsaus die Kraft, Leon auf allen Social-Kanälen, auf denen sie sich herumtrieb, umgehend zu blockieren und seine Telefonnnummer zu sperren. Seine zahlreichen Entschuldigungsmails wanderten ungelesen in den Spam-Ordner. Kurz erwog sie sogar, den lange - eigentlich gemeinsam - geplanten Urlaub zu stornieren, kam dann aber zu dem Schluss, die Reise eben als Single anzutreten und nicht wie vorgesehen als stolze Verlobte des smarten Mediengestalters. Wenigstens hatte er sie in Bezug auf seinen Beruf nicht auch noch angelogen, resümierte sie zynisch und bearbeitete energisch seine ehemalige Nachtischschublade und seine Schrankseite mit Desinfektionsmittel. Wohlweislich hatte er ihr allerdings verschwiegen, dass er bereits seit fünf Jahren mit der Tochter seines Chefs liiert war und in absehbarer Zukunft gar eine Hochzeit in Erwägung zog. Dass er ihr, Valentina, praktisch ohne ihr Wissen die undankbare Rolle der Geliebten zugedacht hatte, erzeugte immer noch eine irrationale Wut in ihrem Inneren. Wie konnte sie nur auf diesen – zugegebenermaßen verdammt gut aussehenden - Vollpfosten hereinfallen und in den zwei gemeinsamen Jahren nichts von seinem Doppelleben ahnen? Hätte es sie schon viel früher stutzig machen müssen, dass er seine eigene Wohnung nicht aufgeben wollte und es an drei oder vier Abenden die Woche vorzog, in seinem eigenen Appartement zu übernachten? Und sie war noch dankbar für seine Rücksichtnahme, da der arme Mann ja bis spät in die Nacht arbeiten musste und sie nicht zu stören gedachte! Nie wieder würde sie sich von Amor Scheuklappen aufsetzen lassen und wegen eines Typs ihren gesunden Menschenverstand ins Abseits stellen. S
eitdem Valentina die beiden Transportkäfige aus dem Keller ins Wohnzimmer gebracht hatte, beäugten ihre beiden Katzen Cleo und Rasputin die Aktivitäten ihrer Besitzerin mit argwöhnischen Blicken. Später würde sie sie beiden Racker in die Boxen locken und sie zu ihrer Freundin Kerstin bringen. Siebzehn Tage waren einfach eine zu lange Zeit, um die Tiere alleine in der Wohnung zu lassen, auch wenn täglich für frisches Futter und Wasser gesorgt wäre. Kerstin war wie Valentina eine Tiernärrin und freute sich schon auf ihre Schützlinge.
"Vielleicht lernst du ja einen feurigen Italiener kennen", scherzte Kerstin und füllte Valentinas halbleeres Proseccoglas auf. "Ein heißblütiger Latin Lover wäre doch das Urlaubshighlight. Und komm mir nicht mit deinen antiquierten Moralvorstellungen, von wegen, als Frau soll man sich durch vornehme Zurückhaltung interessant machen und nicht durch ungeniertes Ranmachen. Die Zeiten haben sich geändert, meine Liebe. Wir leben schließlich nicht mehr im Mittelalter. Klar, Männer sind nach wie vor Jäger und Sammler, doch genauso gerne wollen auch sie mal gepflückt werden wie eine reife Frucht. Manchmal kommst du mir wirklich vor wie der letzte lebende Dinosaurier. Gönn dir doch mal zur Abwechslung eine unkomplizierte Liebelei und lass es ordentlich krachen!"
Valentina verzog genervt das Gesicht. "Nein danke, nach der Sache mit Leon bin ich für die nächste Zeit bedient!"
Die Freundin schnalzte ungeduldig mit der Zunge. "Na komm schon, Süße - dieses Desaster liegt doch schon bald zwei Monate hinter dir. Leon ist Geschichte. Du musst deinen Geist und deine Sinne öffnen für neue Herausforderungen. Ein unverbindlicher Urlaubsflirt -"
"Ich fühle mich aber pudelwohl als Single!"
"Ich sagte doch: unverbindlich. Eine kleine Liebschaft, die in Kalabrien bleibt und nichts mit deinem realen Leben in Deutschland zu tun hat. Glaub mir, eine heiße Romanze, die nur auf Sex basiert, verleiht Flügel."
Valentina kicherte. "Da bleibe ich lieber bei Red Bull. Oder bei Prosecco." Sie prostete ihrer Gastgeberin zu und nippte an ihrem Schaumwein.
"Du bist unverbesserlich". Kerstin streichelte Rasputin, der sich endlich aus seiner Transportbox gewagt hatte und ihr nun schnurrend um die Beine strich. Cleo indes inspizierte mit vorsichtiger Neugier Kerstins Wohnung. Valentina beobachtete die Katzen mit liebevollen Blicken. "Danke nochmals, dass du die beiden in Pflege nimmst. Du musst aber aufpassen wie ein Schießhund, damit sie dir nicht entwischen."
"Ich weiß schon, deine Sofatiger würden keine Stunde draußen überleben. Keine Sorge, ich werde sie bewachen wie eine Glucke", beteuerte Kerstin und hob die Samtpfote zu ihren Füßen auf den Schoß. "Wir drei Daheimgebliebenen werden uns schon eine schöne Zeit machen, nicht wahr, Rasputin?"
Estella Reuter arrangierte die frisch geschnittenen Rosen in der gläsernen Vase und stellte sie auf den Beistelltisch neben dem gemütlichen Sessel am Fenster. Noch ein letztes Mal sah sie sich prüfend in dem hübsch eingerichtetem Raum um und vergewisserte sich, dass alles vor Sauberkeit glänzte. Zufrieden schloss sie die Türe und begab sich nach der Reinigung des Badezimmers wieder in ihre eigenen Räumlichkeiten.
Vor wenigen Monaten hatte sie sich ihren Lebenstraum erfüllt und ihr eigenes Bed&Breakfast eröffnet. Dies war ihre erste Sommersaison mit der neuen Aktivität, die sie auf den Namen Il giardino delle rose, zu deutsch Rosengarten getauft hatte. Sie hoffte, dass ihre Gäste sich wohl fühlen würden in der kleinen, liebevoll eingerichteten Pension.
Wie so oft in letzter Zeit dachte sie an den vergangen Sommer zurück, als sie mit gebrochenem Herzen gemeinsam mit ihrer Tochter Lara Urlaub in Kalabrien, der Heimat ihrer Vorfahren, machte und ausgerechnet dort die Liebe ihres Lebens fand. Daraufhin hatte sie kurzentschlossen den Sprung ins kalte Wasser gewagt und ihr bisheriges Leben abgeworfen wie ein frisch geschlüpfter Schmetterling seinen nutzlos gewordenen Kokon. Bisher hatte sie keinen Tag lang bereut, nach diesen schicksalsträchtigen Ferien alles aufgegeben und von Deutschland in das kleine kalabrische Städtchen Cassandria ausgewandert zu sein. Sie hatte einen Kredit aufgenommen und das Haus ihrer verstorbenen Großmutter in wenigen Monaten soweit umgestaltet, dass im Erdgeschoss, der früheren Garage, vier hübsche Gästezimmer mit jeweiligem Zugang zum Garten sowie ein Gemeinschaftsbad zur Verfügung standen. Sie selbst wohnte den Sommer über mit ihrem Verlobten Roberto in der ersten Etage.
Zwei Gästezimmer waren bereits belegt. Das nette Ehepaar mittleren Alters aus Österreich war vor einer Woche angereist und würde noch weitere sieben Tage bleiben, und Zimmer zwei, die größte der vier Einheiten, bewohnte seit vorgestern eine dreiköpfige holländische Familie nebst Dackel. Estella hatte sich von Anfang an dafür ausgesprochen, dass Haustiere ebenso gern gesehene Gäste wären – vorausgesetzt, ihre Besitzer achteten auf die Hygiene. Der gepflegte Rasen im Garten war für die Notdurft der mitgebrachten Vierbeiner tabu. Am Nachmittag würde außerdem ein weiterer Gast eintrudeln, eine junge Dame aus Augsburg. Der neue Gast, den es später am Flughafen Sant´Anna abzuholen galt, hatte ursprünglich in männlicher Begleitung anreisen wollen - ein Plan, der sich allerdings vor einigen Wochen zerschlagen hatte. Doch der weibliche Part der Buchung wollte den Urlaub trotz Beziehungschaos antreten und sich im ruhig gelegenen Cassandria eine Auszeit nehmen. Dafür ist dieser kleine Ort wirklich wie geschaffen, dachte Estella. Und sollte sich ein Gast doch nach mehr Unterhaltung sehnen, konnte man mit dem Auto innerhalb einer Viertelstunde am Ort des Geschehens sein und sich in die Touristenmassen von Le Castella oder Botricello stürzen. Doch auch in Cassandria selbst war im August viel los, denn in diesem Monat kehrten die berufsbedingt auswärts lebenden Bürger der Stadt in ihre Heimat zurück. Cassandria platzte in diesen Wochen aus allen Nähten, doch es war eine andere Art Trubel als der von Touristen hervorgerufene Ansturm.
Es war bereits später Vormittag. Estellas Gäste hatten von sieben bis halb elf Uhr Zeit, heraufzukommen und sich im Wohnzimmer am Frühstücksbuffet zu bedienen. Heute waren beide Familien bereits ausgeflogen, sodass Estella nun den Tisch abräumte und die Lebensmittel wieder im Kühlschrank verstaute. Nachdem sie durchgewischt und ihre eigene Wohnung ebenso wie die Gästezimmer auf Vordermann gebracht hatte, setzte sie sich an den Computer und stellte erfreut fest, dass in der Zwischenzeit eine weitere Zimmerbuchung eingegangen war. Ein Herr namens Benedikt Rothenfels wollte sich gerne für die kommenden drei Wochen anmieten. Nachdem alle Formalitäten erledigt waren, sandte Estella ihm online die Buchungsbestätigung, lehnte sich entspannt zurück und tätschelte den Kopf ihres Adoptivhundes Nuvola, der sich schwanzwedelnd zu ihr gesellt hatte. Noch ein weiterer Tag und sie war voll bis unters Dach. Es könnte nicht besser laufen.
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Auf dem Weg zum Flughafen Sant´Anna machte Estella einen kurzen Abstecher zum Tierasyl Angeli a quattro zampe, welches von ihrem Verlobten und dessen Schwester Simona ins Leben gerufen wurde und einer Vielzahl heimatloser und hilfsbedürftigen Tieren für eine gewisse Zeit ein neues Zuhause bot. Ihre zukünftige Schwägerin freute sich, Estella mal wieder zu Gesicht zu bekommen.
"Hallo meine Liebe, wir haben uns ja lange nicht mehr gesehen!", wurde sie von der Tierschützerin begrüßt.
"Das stimmt, aber mit der Pension bin ich momentan total eingespannt. Es läuft besser als erwartet, die Zimmer sind bereits ausgebucht." Sie löste sich aus der freundschaftlichen Umarmung. "Gut siehst du aus", stellte sie fest und musterte ihr Gegenüber genauer. Irgendwas war anders als sonst. Sie kam auch gleich dahinter, an was es lag: Simonas schokoladenbraune Augen blitzten spitzbübischer denn je.
"Ach was, sieh doch nur, wie zerzaust ich bin. Ich habe soeben den Schuppen ausgemistet und fühle mich total staubig", winkte Simona verlegen ab. Dabei schien sich eine feine Röte in ihren gebräunten Teint einzuschleichen.
Ein wissendes Lächeln zupfte an Estellas Mundwinkeln. "Mir kannst du nichts vormachen. Es ist doch was im Busch, oder irre ich mich? Komm schon, raus mit der Sprache."
Simona zögerte und gab dann mit einiger Zurückhaltung die Neuigkeit preis, die ihr Gesicht glücklich erstrahlen ließ. "Na schön, aber du darfst Roberto nichts verraten, hörst du? Es ist alles noch ganz frisch, und ich will so lange wie möglich vermeiden, dass mein Bruder Wind von der Sache bekommt. Er hat einen unglaublichen Beschützerinstinkt, wie du vielleicht gemerkt hast ... Also, ja, du hast es im Endeffekt schon erraten – ich habe jemanden kennengelernt!"
"Das ist ja toll!", freute sich Estella. Beinahe hätte sie in die Hände geklatscht. Soweit sie wusste, war Simona seit dem frühen Tod ihres Mannes Single geblieben und hatte ihre beiden Söhne unter Entbehrungen alleine großgezogen. "Wer ist es denn? Und wie habt ihr euch kennengelernt?"
"Nun ja, ganz klassisch beim Einkaufen." Simona kicherte mädchenhaft. "Aber mehr wird heute nicht verraten. Wir waren schließlich erst ein paar Mal miteinander aus und müssen uns noch besser beschnuppern."
"Verstehe", lenkte Estella mit leichter Enttäuschung ein und warf dann einen Blick auf ihre Uhr. "Ich muss sowieso gleich wieder los – einen Gast vom Flugplatz abholen. Aber sobald ich es einrichten kann, komme ich dich besuchen und dann quatschen wir ausgiebig, so wie früher, okay?"
"Gerne. Und denk dran: Kein Wort zu Roberto!"
"Versprochen." Estella stieg wieder in ihren Wagen und winkte Simona zum Abschied zu, bevor sie die lange, unbefestigte Einfahrt entlang zuckelte und sich schließlich in den fließenden Verkehr der strada statale 106 nach Sant´Anna einreihte.
Valentina war nach einem ereignislosen Flug froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren. Zum Glück litt sie nicht unter Flugangst, dennoch fühlte sie sich auf der Erde wohler als über den Wolken. Trotzdem genoss sie die Aussicht aus luftiger Höhe. Ihr Sitzplatz am Fenster ermöglichte es ihr, die gesamte Reise über hinauszuschauen und auf die mehrere Kilometer unter ihr liegende Landschaft zu blicken, sofern diese sich nicht unter einer Wolkendecke versteckte. Sie liebte es, auf Flügen den normalen menschlichen Lebensraum aus einem anderen Blickwinkel zu bewundern. Stets musste sie dann an das Lied von Reinhard Mey denken und musste sich beherrschen, um 'Über den Wolken' nicht lauthals anzustimmen. Vor allem heute fühlte sie sich herrlich frei und blickte den kommenden Wochen erwartungsvoll entgegen.
Als sie mit ihrem Gepäck dem Ausgang des Terminals zustrebte, entdeckte sie eine Frau mit einem selbstgemachten Schild, auf dem der Name Valentina Landi stand. Winkend machte sie auf sich aufmerksam.
"Hallo Frau Landi, ich bin Estella Reuter, Ihre Pensionswirtin", stellte sich die Fremde vor, als sie sich gegenüberstanden und sich zur Begrüßung die Hand reichten. "Willkommen in Kalabrien. Hatten Sie eine gute Reise?"
Valentina war begeistert. "Na, das ist ja ein Service! Die Chefin des Hauses holt mich persönlich ab! Danke, es war ein sehr ruhiger Flug", versicherte sie und nahm ihre Koffer wieder auf.
"Warten Sie, ich helfe Ihnen." Schon nahm ihr Estella ein Gepäckstück aus der Hand. Seite an Seite verließen sie den Flughafen.
"Bei uns im Ort gibt es einen Autoverleih. Ich bin gut mit dem Besitzer bekannt, denn normalerweise ist in der Urlaubssaison kein Leihauto mehr zu bekommen", erzählte Estella, nachdem sie die beiden Koffer im Gepäckraum verstaut hatten und sich auf die Rückfahrt nach Cassandria machten. "Doch wenn Sie möchten, organisiere ich für Sie einen Mietwagen, damit Sie unabhängig sind, falls Sie ans Meer wollen oder Lust haben, die Gegend zu erkunden."
"Das wäre wirklich nett, vielen Dank! Ich werde bestimmt darauf zurückkommen, doch in den ersten Tagen gedenke ich, mich bei Ihnen im Garten zu erholen. Im Moment ist mir noch nicht so nach dem Getümmel am Strand, auch wenn ich das Meer eigentlich liebe. Auf Ihrer Homepage habe ich den schönen Pool gesehen. Ich glaube, dass ich mich dort mit Sicherheit sehr wohl fühlen werde."
"Das hoffe ich sehr." Estella versuchte, das Gespräch während der Fahrt in Gang zu halten. "Sagen Sie, Sie sind nicht zufällig Italienerin? Der Nachname Landi klingt jedenfalls italienisch."
"Mein Vater ist Schweizer."
"Ach so. Meine Familie väterlicherseits stammt von hier. Ich bin vor einem Jahr praktisch zu meinen Wurzeln zurückgekehrt und habe mir hier mit dem B&B einen Lebenstraum erfüllt."
Valentina sah sie überrascht an. "Sie haben alle Brücken hinter sich abgebrochen und sind auf gut Glück in den tiefsten Süden Italiens gezogen? Respekt!"
"Nun ja, es kam eben eines zum anderen. Eigentlich bin ich ja der Liebe wegen hier gestrandet", erklärte Estella vergnügt.
Ihre Beifahrerin nickte verständnisvoll. "Aha, das erlärt vieles. Ich ziehe in der Liebe leider immer nur die Arschkarte, wenn man so will. Entschuldigen Sie bitte die Wortwahl."
Estella lachte und weihte kurzentschlossen ihre Leidensgenossin in die eigene Geschichte ein. "So erging es mir auch. Mein damaliger Mann und meine ehemals beste Freundin haben hinter meinem Rücken ihr Herz füreinander entdeckt und mich monatelang hintergangen, bis ich durch Zufall dahinterkam. Heute haben sie einen gemeinsamen Sohn, gehen aber mittlerweile wieder getrennte Wege", fügte sie mit einer gewissen Zufriedenheit hinzu.
"Wow. Zum Heiraten hat es bei mir nie gereicht. Irgendwie lerne ich immer die falschen Männer kennen. Ich war die Betrogene und stand sogar selbst schon mal auf der anderen Seite – als Geliebte. Allerdings ohne mein Wissen. Ich habe sofort den Schlussstrich gezogen, als ich herausfand, dass er bereits an eine andere vergeben ist."
Estella fühlte eine seltsame Seelenverwandtschaft zu ihrem Gast. "Sie werden schon noch dem Richtigen begegnen", tröstete sie. "Ich dachte auch, mit den Männern durch zu sein, doch dann trat mein jetziger Partner in mein Leben und ... naja – für mich ist ein Märchen wahrgeworden."
"Ich glaube nicht an Märchen. Für meinen Teil können mir die Herren der Schöpfung den Buckel runterrutschen", erklärte Valentina mit hörbarer Enttäuschung in der Stimme. "Für mich heißt es jetzt erst einmal meinen Urlaub zu genießen und mich von den Strapazen der vergangenen Monate zu erholen."
"Und ich werde mein Bestes geben, um Ihnen den Aufenthalt zu angenehm wie möglich zu gestalten", versicherte Estella und bog in die Straße zu ihrer Adresse ein. "Wir sind da."
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An ihrem ersten Abend in Cassandria spazierte Valentina in den Ortskern und nahm am draußen aufgestellten Tisch einer Trattoria ein leichtes Abendessen zu sich. Ganz schön was los hier, dachte sie bei sich, als sie bei einem Glas Weißwein die Mengen an Mitmenschen beobachtete, welche die Gehwege verstopften. Zum Glück lag die Pension Rosengarten nicht zentral, sondern abseits in einer ruhigen Zone des Städtchens. Dennoch konnte man innerhalb weniger Minuten Fußmarsch die Stadtmitte aufsuchen und in den zahlreichen Geschäften stöbern. Estella hatte sie schon größtenteils über das Leben in Cassandria aufgeklärt. So wusste Valentina bereits, dass in drei Tagen ein großer Markt stattfinden würde, bei dem sie von Unterwäsche über Schuhe bis hin zu Lebensmittel und Küchenutensilien so ziemlich alles erstehen konnte, was das weibliche Herz begehrte.
"Gibt es auch einen Stand, der Traummänner veräußert?", hatte sie gutgelaunt gefragt.
"Diese Geschäftsidee hatte wohl noch niemand", erwiderte Estella grinsend.
Überhaupt hatte sie unglaubliches Glück mit der netten Pensionswirtin. Das Ambiente erschien sauber bis in den kleinsten Winkel, ihr Zimmer war hell und freundlich eingerichtet. Ein kleiner Kühlschrank enthielt fünf gekühlte Wasserflaschen, Pappbecher standen ebenfalls bereit. Der Rosenstrauß aus dem Garten parfümierte den kleinen Raum, der Valentinas neue Bleibe für die kommenden drei Wochen darstellte. Hier wurde wirklich Liebe fürs Detail gezeigt.
Estella war ihr auf Anhieb sympathisch gewesen. Dass sie so offen über ihr Privatleben geplaudert hatte, gab Valentina sogleich das Gefühl, die Frau schon ewig zu kennen. Mittlerweile waren sie beim Du gelandet, denn, wie Estella erklärte, im Süden Italiens herrschten viel lockerere Umgangsformen als im steifen Deutschland.
Sie bestellte sich noch ein Glas Wein und schrieb eine Whatsapp-Nachricht an Kerstin, um die Freundin über die Ankunft am Urlaubsort zu unterrichten und sich nach ihren Katzen zu erkundigen.
>Den beiden geht´s wunderbar, antwortete Kerstin und fügte mit einem augenzwinkernden Smiley hinzu: Wahrscheinlich werden sie gar nicht mehr wegwollen, wenn du sie abholen kommst.
>Mach dir nur keine Hoffnungen. Die zwei wissen schon, wer ihnen jeden Wunsch von den Augen abliest. Die würden ihre langjährige Bedienstete nie und nimmer verlassen.
>Du triffst den Nagel auf den Kopf. Du bist doch der Kuli von den beiden. Es grenzt schon an ein Wunder, dass die zwei Rabauken ihrem Personal freigegeben haben.
>Sehr lustig. Auch wenn meine Stubentiger manchmal etwas launisch sind, lieben sie mich mindestens ebenso wie ich sie. Katzen haben eben Charakter.
>Vielleicht solltest du in Zukunft ein bisschen durchsetzungsfreudiger sein. Regeln haben noch niemandem geschadet.
>Es sind Katzen, keine Hunde. Ich liebe sie so, wie sie sind. Immerhin haben die zwei mich noch nie enttäuscht, was man von Menschen nicht gerade behaupten kann. Dich natürlich ausgeschlossen.
>Ich weiß, Süße. Wir zwei gehen ja schon ewig geminsam durch Pech und Schwefel. Hey, heute ist dein erster Urlaubstag. Was hast du denn schon alles angestellt?
Valentina setzte Kerstin über ihren Tag ins Bilde und kehrte dann frisch gestärkt zur Pension zurück. Sie hatte vor, sich noch eine Weile im Liegestuhl neben dem Pool zu entspannen und auf ihrem Kindle zu lesen. Irgendwo über den umliegenden Dächern erschallte das monotone Rufen eines Käuzchens, doch Valentina, die von dem neuen Roman gefesselt war, gelang es nach kurzer Zeit, das nervige Geräusch auszublenden. Lange blieb sie nicht alleine in der Dunkelheit. Die Familie mit dem übergewichtigem Dackel, die sie schon am Nachmittag kennengelernt hatte, wollte ebenfalls im Garten den Tag ausklingen lassen und nahm an einem runden Tisch Platz, der unter einer Laterne stand. Ein Kartenspiel wurde gezückt und vom kleinsten Familienmitgleid gut durchgemischt. Mit einem Stirnrunzeln beobachtete Valentina, wie der Hund in der Zwischenzeit etwas Wasser aus dem Pool schlabberte. Seitdem sie als Kind vom Nachbarspischer in den Finger gebissen wurde, konnte sie Hunden nicht viel abgewinnen. Sie war nun mal eher ein Katzenmensch, fand diese Tiere auch viel hygienischer und konnte deren unvorhersehbarem Charakter mehr abgewinnen als den gefallsüchtigen Hunden und ihrer bedingungslosen Hingabe an ihre Besitzer.
Sie las noch eine Weile, bis ihr gegen Mitternacht fast die Augen zufielen und sie sich müde in ihr Zimmer zurückzog.
Zeus streckte hechelnd seinen Kopf durch das Beifahrerfenster und hielt seine lackschwaze Nase gierig in den vorbeirasenden Luftstrom.
Benedikt Rothenfels streichelte schmunzelnd über das flauschige Fell seines Huskies. "Das tut gut, alter Junge, was?", fragte er seinen vierbeinigen Begleiter, der ordnungsgemäß angegurtet neben ihm saß und mit jeder verstreichenden Stunde ungeduldiger wurde. "Wir sind bald da", versicherte er dem Hund. "Das letzte Stück schaffen wir auch noch, oder musst du etwa nochmal pinkeln?"
Der Husky zuckte mit der Schwanzspitze und wandte Ben fragend den Kopf zu. Dieser schloss mittels Tastendruck das Beifahrerfenster, damit Zeus vom Fahrtwind keine Bindehautentzündung bekam.
"Na schön, dann halten wir eben ein weiteres Mal", seufzte er und suchte bereits mit den Augen nach einer Möglichkeit, gefahrlos am Straßenrand zu parken. Nach einer Weile fand er eine Stelle, die er für geeignet hielt und ließ den großen Hund seine Notdurft verrichten. Zeus mochte Autofahren, doch er musste währenddessen viel häufiger Wasser absetzen als zu Hause. Ben war diese Eigenart schon von zahlreichen Reisen gewohnt.
Er streckte sich ausgiebig, während der Hund eifrig an den verdorrten Gräsern schnupperte. Seit zwanzig Stunden waren sie unterwegs, wenn man die fünf Stunden Schlaf mitrechnete, die er sich an einer Autobahnraststätte gegönnt hatte. Langsam werde ich wohl zu alt für solche Strapatzen, dachte er bei sich, als er seine Bandscheibenmuskulatur durchknetete. Vielleicht sollte er nächstes Mal ein Flugzeug nehmen oder eben nicht mehr so weit weg Urlaub machen. Zeus mutterseelenallein, eingepfercht in einer engen Transportbox, im Frachtraum eines Fliegers konnte und wollte er sich allerdings nicht vorstellen, und ohne seinen Schützling Ferien zu machen kam für ihn nicht in Frage.
Er gab der Leine einen Ruck. "Komm Zeus, bringen wir auch noch die letzte Wegstrecke hinter uns!"
Der Hund sprang bereitwillig ins Auto, und Ben startete den Motor. Eine Stunde noch, so lautete seine Berechnung, und sie sollten endlich die Pension Rosengarten erreicht haben. Wurde ja auch Zeit.
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Estella drehte nach dem Frühstück eine Runde mit Nuvola, bevor es zu heiß wurde, um nach draußen zu gehen. Der große, gutmütige Hütehundmischling mit dem elfenbeinfarbenen Fell erwies sich als sehr pflegeleicht in der Haltung, obwohl er sein Leben bis zu seiner Adoption auf der Straße zugebracht hatte. Mit Nuvola hatte vor knapp einem Jahr alles angefangen. Wenn der damalige Freund ihrer Tochter Lara den Streuner nicht angefahren hätte, hätte sie Roberto Arcuri, den behandelnden Tierarzt, niemals kennen- und liebengelernt. Und Nuvola hätte einem ungewissen Schicksal als Straßenhund entgegengeblickt. Trotz aller vorausgegangenen Dramatik hatte sich schlussendlich alles in Wohlgefallen aufgelöst. Sie und der aufopferungsvolle Veterinär wurden ein Paar, und Nuvola bekam bei Estella ein liebevolles neues Zuhause.
Estella sammelte mit dem entsprechendem Beutel die Notdurft ihres Vierbeiners ein und entsorgte das schwarze Säckchen im nächsten Müllcontainer. Danach ging es auch gleich wieder zurück, da sie die Gästezimmer aufräumen und den Garten gießen musste. Zudem würde am Vormittag Benedikt Rothenfels sein Zimmer beziehen. Auch wieder jemand, der seinen Hund mitbrachte. Nuvola behielt sie in diesen Wochen des Urlaubsbetriebs ausschließlich bei sich im Obergeschoss, und sie konnte nur hoffen, dass sich der vierbeinige Neuankömmling mit dem bereits anwesenden Dackel der Holländer vertrug.
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Valentina hatte sich vorgenommen, sich einen faulen Tag in der Pension zu gönnen. Nach dem Frühstück schwamm sie eine Weile im Pool und ließ sich anschließend von der morgendlichen Sonne bescheinen. Zum Glück hatte sie heute den Garten für sich alleine. Vorhin bekam sie mit, wie die Holländer einschließlich Hund ans Meer gefahren waren. Auch die Österrreicher waren ausgeflogen.
Estella betrat das Grundstück und winkte ihr flüchtig zu.
"Ein herrlicher Tag, nicht wahr?", rief sie und rollte den Gartenschlauch aus.
Valentina nickte lächelnd. "Ja, ein wahres Bilderbuchwetter." Träge sah sie zu, wie die Pensionswirtin die Blumen und den Rasen bewässerte. Die Anlage war wirklich ein Traum. Von drei Seiten war sie mit bunt blühenden Rosenbüschen eingefasst, doch auch Hibiskussträucher, Palmen und ungewöhnliche Nadelbäume bildeten einen Blickfang. Der saftiggrüne Rasen war akurat geschnitten. Um den Pool, der zwar nicht besonders groß war, seinen Zweck aber erfüllte, waren blaue Sonnenschirme und blau-weiß gestreifte Klappliegestühle aufgereiht und Tische samt Stühle gruppiert.
Valentina döste ein, bis es ihr zu heiß wurde und sie sich in den Schatten eines Sonnenschirms zurückzog. Zum Lesen fehlte ihr irgendwie die Lust, doch die Idee, sich heute bereits mit ihrem Hobby, der Aquarellmalerei, zu beschäftigen, gewann immer mehr die Oberhand. Die dazugehörigen Utensilien hatte sie in den Urlaub migebracht. Der grandiose Ausblick von hier wäre ein Gemälde wert.
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Der Navi führte Benedikt ohne Zwischenfälle zur Pension Rosengarten.
"Zeus, wir sind angekommen!", informierte er seinen bepelzten Fahrgast mit zufriedener Miene.
Er parkte seinen Renault Cenic im Schatten vor dem Anwesen und ging um den Wagen herum zur Beifahrerseite, um seinen Freund herauszulassen. Dann klingelte er an der Haustür und wartete geduldig, bis ihm geöffnet wurde. Derweil ließ er seinen Blick über die Umgebung schweifen. Ein typisches süditalienisches Ambiente, dachte er bei sich, als er die aneinandergereihten Häuser mit der über die Balkonbrüstungen aufgehängten, im Wind flatternden frischgewaschenen Bettwäsche und Strandhandtüchern betrachtete.
Die Tür wurde geöffnet und eine attraktive Frau im Sommerkleid bat ihn mit einem herzlichen Lächeln herein.
"Herr Rothenfels? Hallo, ich bin Estella Reuter. Schön, dass sie da sind. Kommen Sie, wir gehen einen Augenblick hoch in mein Büro." Mit einem herzlichen Lächeln bat sie ihn herein. "Wie heißt denn der Hübsche hier?", fragte sie, als er ihr mit Zeus im Schlepptau die Treppe hinauf folgte, um die Aufnahmeformalitäten abzuschließen.
"Sein Name lautet Zeus."
"Er passt zu ihm. Er hat so eine majestätische Aura mit seinen weisen blauen Augen." Zeus wedelte mit dem Schwanz, als ob er jedes einzelne Wort verstehen würde. Benedikt musste grinsen und berührte seinen Freund stolz an den Ohren.
"Wissen Sie, ich habe selbst einen Hund, Nuvola", informierte ihn seine Pensionswirtin. "Außerdem gehört noch ein Dackel zu unseren Gästen. Übrigens – und das gilt auch für meinen eigenen Vierbeiner – der Garten ist für die Geschäfte der Hunde tabu." Sie warf ihm einen beinahe entschuldigenden Blick zu.
"Das versteht sich ja von selbst", beruhigte Benedikt sie.
"Zeus wird keinen Ärger machen."
Zehn Minuten später passierte es dann.
"Ah, es ist wirklich herrlich hier, was, alter Junge?" Benedikt nahm sein Zimmer in Augenschein und war angenehm überrascht über die Detailliebtheit, die sich durch den Raum zog. Der Chefin lag das Wohl ihrer Gäste wirklich am Herzen.
Zeus schnupperte sich mit gespitzten Ohren durch den Raum und inspizierte sein neues Reich. Ben holte die Wasserschüssel seines Hundes aus seinem Gepäck, ging durch den Flur ins Badezimmer und befüllte den Napf. Zurück im Zimmer stellte er die volle Aluminiumschüssel in eine Zimmerecke und öffnete die Terrassentüre, die in den Garten führte. In diesem Moment drängte Zeus sich an Bens Beinen vorbei und trabte in den Garten hinaus. Ben seufzte und eilte ihm hinterher. Nicht, dass der erwähnte Dackel draußen herumstrich. Man konnte ja nicht ausschließen, dass er Zeus blöd anmachte. Der Husky war zwar ein sehr vertäglicher Vierbeiner, doch er konnte auch grantig werden, wenn ihm ein anderer Hund blöd kam.
Der Rüde verschwand um´s Eck. Ben runzelte die Stirn. Dann fiel ihm der Pool ein, den er auf der Webseite des Gästehauses schon gesehen hatte. Zeus würde doch nicht -
Im selben Moment erklang ein lautes Platschen, gefolgt von einem spitzen Aufschrei. Ben hetzte um die Hausecke. Er sah zwei Dinge gleichzeitig: seinen schwimmenden Hund und eine junge Frau im Bikini, die am Beckenrand stand und wie ein Rohrspatz schimpfte.
"Ist das Ihr Hund?", fuhr sie Benedikt mit blitzenden Augen an, als er den Ort des Geschehens erreichte und gerade noch rechtzeitig abbremste, bevor er auf den Gartenfliesen ausrutschte und zu seinem Vierbeiner ins kühle Nass schlitterte.
"Ja, das ist meiner." Er hob beschwichtigend beide Hände, als ihn ihr wütender Blick aufspießte. "Hören Sie, Sie brauchen sich nicht vor ihm zu fürchten. Er ist ein bisschen temperamentvoll, sonst aber ein ganz Lieber", versuchte er die Aufgeregte zu besänftigen.
"Darum geht es doch gar nicht! Ihr unerzogener ... Hund hat mein Bild ruiniert!"
Sie hielt ihm anklagend einen Zeichenblock entgegen. Diverse Wasserspritzer verunzierten ein im Entstehen begriffenes Aquarellgemälde. Erst jetzt fielen ihm auch die Malutensilien auf dem Tisch neben dem Pool auf.
"Das tut mir leid. Es war wirklich keine Absicht", entschuldigte er sich zerknirscht. "Zeus ist mir entwischt, als ich die Türe zur Terrasse geöffnet habe. Wahrscheinlich hat er das Wasser gerochen. Er ist eine richtige Wasserratte, wissen Sie? Zeus, komm jetzt endlich raus da!"
"Zeus? Was für ein dämlicher Name für einen Hund!"
Ben runzelte die Stirn. Die Schöne schien immer noch wütend. Doch ihre abfällige Bemerkung über den Namen seines Hundes hätte sie sich ruhig sparen können. Plötzlich hatte er Lust, sie ein wenig zu ärgern.
"Finden Sie?", fragte er honigsüß.
"Ja, das finde ich in der Tat. Wie kann man einen Hund nach dem mächtigsten Gott der griechischen Mythologie benennen? Das grenzt doch an Größenwahn."
"Nun, da gehen unsere Meinungen aber gehörig auseinander." Er grinste sie an und streckte ihr die Hand hin. "Ach, entschuldigen Sie, wie unhöflich von mir. Ich habe mich Ihnen ja noch gar nicht vorgestellt. Gestatten, mein Name ist Rothenfels. Adonis für meine Freunde."
"Das hätten Sie wohl gerne!", fauchte die Fremde, drehte sich auf dem Absatz um und ließ ihn stehen, um ihre Malsachen einzusammeln.
Ben wusste selbst nicht, was ihn ritt, doch der Schalk hatte die über seine Vernunft gesiegt. "Nun, mein Hund und ich haben eben ein Faible für die griechischen Gottheiten", sagte er achselzuckend und setzte noch eins drauf: "Und auch wenn wir einen schlechten Start hatten - sagen Sie nicht, dass ich kein schöner Jüngling bin, der seinem Namen gerecht wird?" Er zwinkerte ihr zu, als sie an ihm vorbei rauschte, ernete aber nur einen ungehalteten Blick.
"Als was auch immer Sie sich ansehen – ich bin jedenfalls nicht Aphrodite. Und nun lassen Sie mich endlich in Ruhe."
"Wer ist denn diese Kratzbürste?", wollte Ben beeindruckt wissen, als Estella in den Garten kam und ihn fragend ansah.
"Sie meinen Frau Landi?", antwortete sie. "Das ist eigentlich eine ganz Nette." Dann erblickte sie Zeus, der sich soeben heftig schüttelte, so dass das Wasser aus seinem Fell im hohen Bogen herumspritzte. Gutgelaunt tobte er durch den Garten, warf sich auf den Rücken und rollte sich auf dem Rasen hin und her.
Estella schaute ihren Gesprächspartner mit großen Augen an. "Er war doch nicht etwa im Pool, oder?"
Ben schenkte ihr einen entwaffnenden Blick. "Er ist mir ausgekommen", gab er zu. "Kommt aber nicht wieder vor."
"Das sollte es wirklich nicht, Herr Rothenfels. Es ist meine Aufgabe, auf das Wohl aller meiner Gäste achten, und auch wenn ich persönlich nichts gegen einen Hund im Schwimmbad einzuwenden habe, ist das vielleicht nicht jedermanns Sache. Es gehört in meinen Verantwortungsbereich, dafür zu sorgen, dass sich niemand belästigt fühlt."
"Ich verstehe. Wirklich, es tut uns leid, nicht wahr, Zeus?" Der Hund hatte sich an die Seite seines Besitzers gesellt und eine Unschuldsmiene aufgesetzt, die Estella ein Schmunzeln entlockte.
"Na, das ist vielleicht ein Schlawiner. Also, Herr Rothenfels -"
"Benedikt, aber nennen Sie mich doch Ben."
"Also gut, doch nur, wenn Sie mich Estella nennen. Also, Ben, kann ich mich darauf verlassen, dass so etwas nicht mehr vorkommt?"
"Sie haben mein Ehrenwort. Zeus, entschuldige dich bitte bei Estella."
Als der Hund ihr tatsächlich die Pfote reichte, musste Estella hellauf lachen. "Nicht bei mir sollst du dich entschuldigen, du Schlingel, sondern bei Frau Landi!"
"Das haben wir als Nächstes geplant", gestand Ben freimütig. "Doch zuerst lassen wir sie ein bisschen abkühlen, nicht dass sie uns noch die Köpfe abreisst."
"Na dann – viel Glück." Estella nickte ihm freundlich zu und ließ Hund und Herrchen alleine im Garten zurück.
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Valentina baute ihren Zorn nur allmählich ab. Allerdings ärgerte sie sich auch über sich selbst: Sie hätte sich wohl besser informieren sollen, was die Hausregeln betraf. Das nächste Mal würde sie eine Pension auswählen, die keine Hunde gestattete. Und am besten auch keine Männer.
Sie trank einen großen Schluck direkt aus der eisgekühlten Wasserflasche und bemühte sich um Gelassenheit. Dieser Rothenburg, oder wie er hieß, und sein unerzogener Hund waren die Aufregung doch gar nicht wert. Schade nur um ihr Gemälde. Die Arbeit von zwei Stunden für die Katz. Naja, sie hatte ja noch den ganzen Urlaub vor sich und würde bestimmt noch so einige Bilder anfertigen, bevor der Alltag sie wieder einholte.
Es ging bereits auf Mittag zu. Valentina bekam langsam Hunger, da sie heute morgen sehr zeitig gefrühstückt hatte. Sie beschloss, sich umzuzuziehen und ein ortsansässiges Restaurant zu besuchen. Nachdem sie sich frischgemacht hatte, war ihre gute Laune zurückgekehrt. Beschwingten Schrittes und mit steigendem Appetit verließ sie das Anwesen.
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Ben lag in Boxershorts im abgedunkelten Zimmer auf dem Bett und versuchte, sich nach der langen Reise zu entspannen. Dabei konnte er allerdings nicht aufhören, an die keifende Bikinischönheit zu denken, die ihn und Zeus gehörig zur Schnecke gemacht hatte. So eine Xanthippe war ihm schon lange nicht mehr untergekommen. Normalerweise knüpfte er vor allem wegen seines imposanten Hundes schnell Kontakt zu Frauen, die dem treuen Hundeblick aus Zeus´ eisblauen Augen nicht widerstehen konnten. Das Herrchen gefiel dann auch meistens, obwohl ihn des Öfteren das Gefühl beschlich, gerade so eben neben seinem wolfsähnlichen Rüden zu bestehen. Aber eine, die sowohl Zeus als auch ihn rigoros ablehnte, war ihm noch nie begegnet und reizte sein Ego. Vor allem, da diese Frau Landi genau in sein Beuteschema passte: Langes schwarzes Haar, dunkelblaue Augen, einen Schmollmund, der zum Küssen einlud und eine Figur, bei der einem Mann ganz anders wurde. Zahlreiche, schön gearbeitete Tattoos auf Schultern und Oberarmen unterstrichen nur ihre aparte Schönheit. Es waren gerade so viele, dass sie das Auge des Betrachters zum Verweilen reizten. Er hätte gerne die Gelegenheit, sie nach den Bedeutungen ihres auffälligen Körperschmucks zu fragen, sah aber für den Moment schwarz, mit der Dame eine unbeschwerte Unterhaltung zu führen.
Zeus, der neben ihm auf dem Fußboden lag, schnarchte selig vor sich hin und störte ihn in seinen Überlegungen. Ben gähnte ausgiebig und langte mit der Hand nach unten, um den Schläfer zu wecken. Der Hund bewegte sich leicht und nahm dann eine andere Schlafposition ein. Auch Bens Augenlider wurden immer schwerer, doch sein Gehirn wälzte noch immer Möglichkeiten durch, das temperamentvolle Fräulein zu besänftigen und für sich zu gewinnen. Er musste sich bei ihr für sein grenzdebiles Auftreten entschuldigen. Sie hielt ihn bestimmt für den Deppen der Nation. Adonis, so ein Schmarrn! Unbedingt musste er seinen schlechten ersten Eindruck bei ihr revidieren. Eine als Entschuldigung vorgebrachte Einladung zum Abendessen wäre doch die ideale Gelegenheit, sich in einem besseren Licht darzustellen und sich gegenseitig kennenzulernen. Über diese Gedankengänge schlief Ben schließlich doch noch ein und schnarchte leise im Takt mit seinem vierbeinigen Freund.
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Estella, die sich auf dem Weg zum Einkaufen befand, gabelte Valentina unterwegs auf. Sie hielt am Straßenrand neben der in Richtung Zentrum spazierenden Frau und ließ das Beifahrerfenster herunter. "Hallo, wohin soll´s denn gehen?"
Valentina trat überrascht näher an den Wagen und beugte sich zum offenen Fenster hinein. "Hallo Estella! Das trifft sich ja wunderbar. Ich bin auf der Suche nach einem guten Restaurant."
"Dann kann ich dir das Sale e pepe empfehlen. Komm ,spring rein, ich bringe dich hin."
"Danke, das Angebot nehme ich gerne an." Schon saß sie im Wagen und lächelte Estella dankbar zu. "Aber nur, wenn du mir beim Mittagessen Gesellschaft leistest."
"Eine gute Idee", lachte Estella. "Ich komme bereits um vor Hunger!"
Estella entschied sich für die selbstgemachten Gnocchi alla Sorrentina, während Valentina sich für Spaghetti carbonara erwärmte und danach noch einen zweiten Gang orderte. Eine knappe Stunde später saßen die beiden Frauen vor ihren leergegessenen Tellern.
"Also, hier war ich nicht zum letzten Mal", erklärte Valentina. "Das Essen war wirklich sehr gut."
"Ja, hier gibt´s noch die gute alte Hausmannskost. Die Ware kommt vom Feld frisch auf den Tisch, und die Chefin ist eine hervorragende Köchin. Nehmen wir noch einen Espresso?"
"Ja, sehr gerne."
Estella bestellte zwei Caffé und fragte dann beiläufig: "Sag mal, was war heute Vormittag eigenlich los? Mir war, als ob ich dich im Garten rufen gehört habe."
Ein ärgerlicher Ausdruck huschte über Valentinas ebenmäßige Gesichtszüge. "Ach, dieser neue Gast ist unmöglich. Rothenfels oder wie er sich nennt. Er ist genauso ungezogen wie sein Hund."
Estella ließ sich den Vorfall aus Valentinas Sicht erzählen und versuchte, vermittelnd auf sie einzuwirken. "Ich habe ihm schon untersagt, den Hund im Pool baden zu lassen. Er wird sich dran halten."
"Wenn du ihm auch noch gute Manieren im Umgang mit seinen Mitmenschen beibringen könntest, wäre mein Urlaub gerettet. Es ist nicht schön, veräppelt zu werden, schon gar nicht von einem Fremden."
Die Pensionswirtin, die das Wortgefecht der beiden eigentlich ganz witzig fand, äußerte sich mit Feingefühl. "Ich bin
Publisher: BookRix GmbH & Co. KG
Text: Belinda Grimaldi
Cover: Vorlage pixabay.com
Publication Date: 11-12-2018
ISBN: 978-3-7438-8623-0
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