„Ich soll das wirklich ohne Handschuhe machen?“ zweifelnd sehe ich unseren Freund Josef, Joe genannt, an.
„Ja, denn nur so kannst du es richtig fühlen, spüren“, nickt er.
Er macht ein paar Handbewegungen, dann sieht er mich an.
„Schließe deine Augen und fahre mit der Hand über die Stelle, die ich gerade bearbeitet habe, dann wirst du spüren, was ich meine“, deutet er auf die Stelle, an der er sich gerade zu schaffen gemacht hatte.
Ich schließe die Augen und fahre mit den Fingerspitzen darüber. Die Fläche fühlt sich samtig an, glatt wie Seide, meine Finger gleiten ohne jeden Widerstand darüber, es fühlt sich ganz einfach wunderbar an, am liebsten würde ich meine Wange daran legen.
„Ist das nicht ein wenig übertrieben?“ wende ich dennoch ein.
„Ihr habt mehr als zwei Jahre daran gearbeitet, jetzt sollte der Rest auch perfekt sein“, hält er dagegen.
„Ich meine, wir könnten das doch auch mit der Maschine machen“, versuche ich das Unabwendbare abzuwenden.
„Ja, aber ein wenig Unachtsamkeit und schon ist zu viel des Guten geschehen.“
Ich betrachte die große Fläche vor mir.
„Dann wenigstens mit einem Schwamm“, gebe ich den Versuch nicht auf, ihn doch noch zu überreden.
„Den gibt es mit so einer feinen Körnung gar nicht und außerdem spürt man damit ebenfalls zu wenig“, lässt er sich von seinem Vorhaben nicht abbringen.
„Das wird ewig dauern“, seufze ich.
„Das schon und die Finger werden dir auch ziemlich wehtun“, nickt er und grinst, „aber ich helfe dir.“
„Na denn…“, gebe ich meinen Widerstand auf.
Ich nehme das feine Schleifpapier in die Hand, tauche es ins Wasser und dann mache ich mich auch an die Arbeit…
Viele Stunden später sind wir endlich fertig.
„Nun, fühlt sich das jetzt nicht perfekt an?“ fragt mich Joe, „und sieht auch noch sehr gut aus.“
„Das sieht wirklich gut aus“, erwidere ich müde, „aber ob es die Arbeit wert war?“
Ich trete etwas zurück und sehe unser Werk an.
Ja, da steht er nun, unser als Schrott gekaufter und nun neu gebauter Campingbus, gute 7m lang, 2,40m breit und mehr als 3m hoch, innen werkelte noch mein Mann am fast fertigem Ausbau, außen gekittet, mit der Schleifmaschine poliert, wieder gekittet und wieder poliert, dann zweimal Grundlackierung und nun, nachdem wir die riesigen Blechwände bearbeitet haben, ist er bereit zur letzten Lackierung.
Meine Hände fühlen sich geschwollen an, meine Finger kribbeln, als wären tausende Ameisen darin, die Fingerkuppen sind wund, blutig und spielen alle Farben, als hätte ich Ostereier gefärbt und nicht Autowände mit nassem Schleifpapier glatt geschliffen. Obwohl ich die ganze Zeit immer wieder mit den Fingern überprüft habe, ob die bearbeitete Fläche auch wirklich makellos glatt ist, würde ich jetzt gerne über die fertige Fläche streichen, das Ergebnis fühlen, aber es ist sinnlos, ich fühle im Augenblick gar nichts, meine Finger sind ganz taub.
„Also das mache ich nie wieder, egal, wie viele Campingbusse wir noch bauen“, verspreche ich mir selbst, ich sehe Joe an, „jetzt erzähle mir aber nicht, dass ihr das in deiner Autowerkstätte auch so macht“, frage ich ihn.
„Ich schon lange nicht mehr, aber meine Leute schon, zwar nicht ein ganzes Auto, aber gewisse Stellen wie die Motorhaube werden eben nur so wirklich glatt“, erwidert er und beginnt zu grinsen, „das ist die Arbeit für Lehrlinge und ich kann nur sagen, dass du ein sehr braver Lehrling bist!“
„Oh du!“ empört werfe ich das nasse Schleifpapier nach ihm.
„Hey, ich habe doch auch mitgearbeitet, bewirf mich nicht“, wehrt Joe lachend ab, „spendiere mir lieber ein Bier!“
Nachdem sich noch unser Mann zu uns gesellt hatte, gehen wir drei ins Haus, damit Joe zu seiner Flasche Bier kommt und ich einen Kaffee, wobei ich allerdings nicht weiß, wie ich mit diesen Händen eine Tasse überhaupt halten soll.
*****
Das ist nun schon Jahrzehnte her und ich hatte es schon fast vergessen, doch ein Erlebnis der jüngeren Zeit ließ die Erinnerung daran wieder hochschnellen.
Mein Mann und ich brauchten neue Pässe und seit einiger Zeit muss man dafür seinen Fingerabdruck abgeben. Nachdem wir brav unsere alten Pässe und die Fotos für die neuen der zuständigen Beamtin gegeben hatten, bat sie noch um unsere Fingerabdrücke. Mein Mann legte deshalb seinen Finger in die dafür bestimmte Vertiefung und sofort bekam er das o.k., der Abdruck war perfekt. Danach legte ich meinen Daumen darauf, doch nichts.
„Legen Sie den Zeigefinger darauf“, ordnete die Beamtin an, doch auch da war das Ergebnis fast null. Erst nachdem ich alle zehn Finger nacheinander auf die kleine Vertiefung gelegt hatte, meinte die Beamtin: „Es reicht gerade, aber was haben Sie um Gottes Willen mit ihren Fingerkuppen gemacht, dass es da fast gar keine Papillarrillen mehr gibt?“
„Gar nichts“, zuckte ich mit den Schultern, „ich habe nur immer viel mit den Händen handwerklich gearbeitet.“
„Ja, bei Männern, die Handwerksberufen nachgehen, kommt so etwas öfters vor, aber bei Frauen eigentlich nie“, sagte die Beamtin, „und an beiden Händen gleichermaßen ist es wirklich ungewöhnlich.“
„Ich bin eigentlich eine Linkshänderin und wurde als Kind mit einigem Nachdruck umgelernt, deshalb bin ich mit beiden Händen gleich geschickt oder auch ungeschickt, wie man es auch immer sehen will“, erklärte ich lächelnd.
„Meine Frau ist eine sehr gute Handwerkerin, in punkto Lackieren und Schleifen kann ihr keiner das Wasser reichen“, meinte mein Mann dazu stolz grinsend.
„Lass dir nur gesagt sein, dass ich in Rente bin, auch was das Lackieren angeht und das betrifft auch andere ähnliche Dinge, die dir noch so einfallen könnten“, warnte ich ihn leicht murrend, als wir wieder auf der Straße standen.
„Ja, ja“, lachte mein Mann und zog mich an sich, „ich kenn dich doch zu gut, du wirst zwar schimpfen, aber es dann doch wieder gerne machen!“
Leider hat mein Mann recht!
Text: Margo Wolf
Cover: Pixabay
Publication Date: 05-06-2020
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