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Bei Nacht und Nebel


Es war Ende der 1960er Jahre und wir waren ein lustiger Haufen von ungefähr 10 jungen Menschen, die vor allem Spaß am Leben haben wollten. Das hieß nicht, dass nicht gearbeitet oder studiert wurde, aber die Aufbruchstimmung, die damals herrschte, kann sich heutzutage ein junger Mensch wohl kaum mehr vorstellen.

Ich war 18 und unsterblich in einen der jungen Männer verliebt, dass diese Liebe allerdings 50 Jahre später noch funktionieren würde, daran verschwendeten wir beide damals keinen Gedanken, war es doch die Zeit des Partnertausches und des freien Kommunenlebens. Unsere Gruppe heckte auch so manchen Streich aus, doch zumeist saßen wir zusammen und redeten uns die Köpfe heiß, wie wir die Welt verändern könnten.

Eines Tages schlug einer von uns eine Nachtwanderung auf die Rax vor.

Zur Erklärung: die Rax, 80km südlich von Wien, hat ca. eine Höhe von 2000m ü.M. und gehört zum Schneeberggebiet. Diese Berggruppe liegt an der Grenze zwischen Niederösterreich und der Steiermark und wird allgemein als Wiener Hausberge bezeichnet, ein überaus beliebtes Wandergebiet. Die Rax ist dafür besonders geeignet, da sie als Hochplateau zum Wandern direkt einlädt und einige Schutzhütten zum Rasten einladen.

 

Wir nahmen alle die Idee begeistert auf und da bestes Wetter vorausgesagt war, es war Sommer und ziemlich warm, verbrachten wir erst mal den nächsten Samstag in einem Schwimmbad und fuhren am späten Nachmittag los. Wir fuhren mit einigen Autos und auch Motorrädern auf das Preiner Gscheid, ein Pass mit 1000 ü.M. in der Nähe der Rax und Ausgangspunkt der Wanderung. Unser 2CV mühte sich redlich, mit seinen 16 PS die Passstraße zu bewältigen, aber mit 5 Insassen (4 waren nur erlaubt) und der Wanderausrüstung tat er sich ziemlich schwer.

Ausgerüstet mit festen Schuhen, Pullover, Anorak und Rucksäcken mit Proviant und Getränken, marschierten wir um ca. 21.00 Uhr los. Einer war so klug und hatte Fackeln mitgebracht, also konnte ja nichts schiefgehen. Wir wollten auf eine der Schutzhütten, die 300m höher lag und die man gut in einer Stunde erreichen konnte. Den Weg kannten wir alle gut, denn wohl jeder Wiener ist diese Strecke schon mehrmals abgewandert, auch ich war schon als Kind mit meinen Eltern dort unterwegs.

Anfangs führte der Weg durch einen Wald und dann Wiesen, die, je höher wir kamen, immer mehr den Charakter einer Alm annahmen. Der Mond schien so hell, dass wir die Fackeln gar nicht brauchten und so kamen wir gut voran. Der Weg wurde karstiger, steiler, das Gras spärlicher und es wurde auch kälter, der Mond verschwand im Dunst, die Sicht wurde schlechter und dann fiel auch noch Nebel ein. Wir versuchten die Fackeln anzuzünden, doch es war zu feucht und sie gingen immer schon nach ein paar Minuten aus. Wir gingen etwas langsamer weiter und auch die Unterhaltung war spärlicher geworden. Mein späterer Mann hatte mich fest bei der Hand und ich war froh darüber, denn auch wenn ich damals noch besser sah, wurde mir doch etwas mulmig zumute, ich wusste, dass der Weg im letzten Drittel zur Schutzhütte entlang eines Abgrundes ging und ich nicht unbedingt abstürzen wollte.

Der Nebel wurde so dicht, dass wir nur noch mit Zurufen feststellen konnten, wer noch da war. Ich stolperte und spürte, wie ich abzurutschen drohte, doch mein Freund zog mich glücklicherweise wieder hoch, Glück gehabt! Ich wusste natürlich nicht, ob es da wirklich runter ging, aber schon die Vermutung reichte mir, um einen ordentlichen Schreck zu bekommen.

Wir nahmen uns an den Händen und bildeten so eine Kette, damit keiner verloren ging. Dass wir inzwischen trotz Anorak und Pullover froren und auch durchnässt waren, machte es nicht besser und dem Gefühl nach waren wir schon viel länger unterwegs, als es hätte sein dürfen.

„Vielleicht sind wir im Nebel an der Hütte vorbeigelaufen“, vermutete einer.

„Bloß nicht“, sagte eines der Mädchen erschrocken, „ich will in eine warme Stube und das möglichst bald!“

„Und ich nicht abstürzen“, wandte ich ein, ich wollte es nicht zugeben, aber mir reichte es, diese Nachtwanderung war eine bescheuerte Idee!

„Solange wir noch bergauf gehen, sind wir nicht auf dem Hochplateau und demnach auch nicht an der Hütte vorbeigelaufen“, beruhigte mich mein Freund.

„Vielleicht sollte der Erste die Hände vorstrecken, damit wir uns nicht den Kopf einrennen, wenn wir auf die Hütte stoßen“, schlug Peter vor.

Wir lachten und spaßeshalber streckte der vorderste, Michael, wirklich seine Hände aus. Besser gelaunt machten wir Schritt für Schritt weiter…

„Autsch!“ fluchte Michael plötzlich, „jetzt hätte ich mir fast die Hände gebrochen!“

Wir blieben stehen und er tastete das Hindernis ab.

„Das ist die Schutzhütte!“ rief er erfreut und wir applaudierten ihm freudig, ob seiner Tüchtigkeit, auf die Hütte im wahrsten Sinn des Wortes gestoßen zu sein.

Wir tasteten uns die Wand entlang, bis wir die Eingangstür fanden. Dort klopften wir, aber nichts rührte sich…

„Sag nicht, dass da gar niemand ist“, maulte Monika.

Aber da hörten wir, wie jemand einen Schlüssel drehte und dann ging die Tür auf. Ein äußerst missmutiger aussehender Mann mit einer Taschenlampe kam zum Vorschein.

„Spinnts ihr?“ blaffte er uns an, „jetzt hier aufzutauchen? Es ist halb zwei durch und alle schlafen schon!“

Halb zwei? Wir waren um 21.00 Uhr losmarschiert, das hieß, wir waren statt einer Stunde 4 ½ Stunden unterwegs! Kein Wunder, dass wir alle zum Umfallen müde waren!

„Wir haben uns im Nebel verlaufen“, versuchte Peter den Wirt gnädig zu stimmen.

„Tut mir leid, alle Schlafsäle sind besetzt“, wehrte er ab.

„Aber Sie können uns doch nicht hier draußen lassen!“ sagte Monika entgeistert.

Der Mann sah sie kurz an.

„Na gut, ihr könnt in die Gaststube, aber seid leise“, gab er noch immer unwillig nach und ließ uns ein. Er zeigte uns noch wo die Gaststube war und verschwand dann wieder. Gut, nun waren wir wenigstens im Trockenen und es waren auch alle noch da. Leider gab es in der Hütte keinen elektrischen Strom und auch Kerzen waren im Dunklen nicht zu sehen. Wir bauten im Schein von Feuerzeugen (damals war das Rauchen ja noch in) aus vorhandenen Aschenbechern eine Halterung für eine Fackel und zündeten diese an, um wenigstens ein wenig Licht zu haben. Dann blieb uns nichts anderes übrig, als uns zum Schlafen auf den Boden zu legen, was wir, müde wie wir waren, auch taten. Leider hatte die Hütte auch keine Heizung und so war es erbärmlich kalt in der Gaststube und wir froren in unseren feuchten Sachen ziemlich. Einer schlug vor, dass wir uns schichtweise übereinander legen sollten, um uns zu wärmen und nach einigen Versuchen, klappte diese Sandwich Version sogar ziemlich gut und wir dösten zumindest ein.

 

Stimmen weckten uns am Morgen auf und wir sahen in einige verwirrte Gesichter der Übernachtungsgäste, die in der Gaststube aufgetaucht waren, um zu frühstücken. Wir rappelten uns hoch, jeder Knochen tat vom harten Boden weh, aber zu unserer Freude sahen wir durch die Fenster, dass draußen der Nebel gerade dabei war, der Sonne zu weichen. Wir kauften uns Getränke, mehr gab es nicht und packten unseren Proviant aus, den wir hungrig verschlangen. Dabei entdeckten wir auf dem Tisch, wo wir die Fackel aufgestellt hatten, dass diese zwar ausgegangen, aber sichtlich noch heiß umgefallen war und ein ziemliches Loch in die Tischplatte gesprengt hatte.

„Geschieht dem Wirt ganz recht, so unfreundlich, wie der ist“, brummte Richard und wir waren alle seiner Meinung, trotzdem legten wir ein paar dieser Getränkeuntersetzer, die in jedem Gasthaus herumliegen, auf das Loch und beeilten uns, zu verschwinden, bevor noch jemand das Unheil sah.

 

Als wir aus der Schutzhütte traten und deren Namen oberhalb des Eingangs lasen, wurde uns klar, dass wir bei einer anderen Hütte gelandet waren als wir vorgehabt hatten, nämlich doppelt so weit! Sichtlich waren wir im Nebel doch irgendwo falsch abgebogen, umso erfreulicher war es im Nachhinein, dass wir praktisch in die Schutzhütte hineingelaufen sind!

Auf dem Rückweg waren wir bestens gelaunt, denn die Sonne schien und je weiter wir den Berg runterkamen, desto wärmer wurde es und unsere Sachen konnten endlich trocknen.

Bei unseren Fahrzeugen angekommen, beschlossen wir, nicht nach Hause, sondern nochmals in ein Schwimmbad zu fahren, die Badesachen hatten wir ja noch in den Autos liegen.

 

Ich nehme allerdings an, dass sich an diesem schönen Sonntagnachmittag einige Badegäste über die Gruppe junger Leute gewundert hatten, die, statt zu schwimmen, wie tot im Gras lagen und ganz einfach seelenruhig schliefen!

 

 

 

Imprint

Text: Margo Wolf
Cover: Pixabay
Publication Date: 02-07-2020

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