Ich ass gemütlich meinen Salat, den ich mit einem Schuss Bourbon verfeinert hatte. Mein Arzt hatte mir am Morgen empfohlen, mehr Grünzeug zu futtern und weniger zu trinken. Also hatte ich mir im Deli an der Ecke einen dieser ‚ja soo gesunden‘ Salate geben lassen, in den ich – ich soll ja weniger trinken – meinen mittäglichen Whiskey gekippt hatte, damit ich ihn essen konnte (den Whiskey und den Salat). Ob er auf diese Art gesünder als mein üblicher Snack war, kann ich nicht sagen. Habe ihn aber brav aufgegessen.
In diesem Moment hörte ich aus Richtung des Empfanges, von dort, wo unser gemeinsamer Kühlschrank stand, das laute Schimpfen unserer Empfangsdame. Susan, so ihr Name, schimpfte, weil wieder mal ihr Eiersalatsandwich, gemacht mit ‚echter Mayo‘, wie sie es so gerne ausdrückte, aus ihrem Fach verschwunden war. Gibt es ‚unechte Mayo‘? Keine Ahnung was das nun sein sollte. Ich wollte eh nach vorne, mir meine Mittagslektüre holen. Also fragte ich sie nach ‚echter Mayo‘. Wenn Blicke töten könnten, würde mich jetzt wahrscheinlich der Leichenbeschauer betrachten. Dabei mochte ich sie eigentlich – Susan, nicht die Leichenbeschauer. Manchmal konnte sie mitdenken, was garnicht ihr Job war.
Auf jeden Fall lernte ich, dass es sehr wohl ‚unechte Mayo‘ gab. Viele dieser üblichen Salatsaucen nannten sich zwar Mayo, wären aber keine. Nur ihre Mutter kannte das Geheimnis der ‚echten Mayo‘. Sie war stocksauer. Ihre Mutter machte sich immer die Mühe und gab ihr diesen Eiersalat mit nach Hause. Und jeden Morgen danach machte sie sich ein Sandwich fürs Büro. Erst einmal war es ihr während der drei Monate, die sie jetzt sie bei uns war, gelungen, es zu essen. Alle anderen Tage waren diese aus dem Kühlschrank verschwunden. Dabei sässe sie doch genau davor und müsste jedes Mal Platz machen, wenn jemand etwas aus dem Kühlschrank haben wollte. Sie sah also genau, wer was aus ihm herausnahm. Es war ihr ein Rätsel. Das Sandwich hatte doch keine Beine und konnte nicht von selbst verschwinden. Das war wirklich ein Fall nach meinem Geschmack.
Ich zündete mir eine ihrer Zigaretten an und setzte mich auf das Fensterbrett. Da war sie endlich, meine Chance Susan näherzukommen. Doch unser Chef hatte andere Wünsche. In diesem Moment kam er nach vorne und reichte ihr einen Stapel Briefe. Ob denn der Bursche vom Police Headquarter zurück wäre? Er solle sofort diese Briefe zur Post in der 8ten Avenue bringen, und danach einmal zur Penn Station rübergehen, um ihm zwei Tickets nach Philly für Samstag zu kaufen. Danach der Hammer: ‚He, Sam, im Fillmore am Irvine Plaza hat es gestern Nacht Trouble mit der Kasse gegeben. Es sind wohl ein paar Hundert Dollar abhanden gekommen. Sie haben bei uns angefragt, ob wir uns nicht darum kümmern könnten. Versuche mal rauszubekommen, ob sich das für uns lohnt... Und mach‘ die Zigarette aus. Bei uns herrscht Rauchverbot!‘ Er wartete echt, bis ich die Kippe aus hatte.
Ich ging zu meinem Schreibtisch, schnappte mir mein Jacket, nicht ohne mein Handy unter einem Stapel Papiere zu schieben, und machte mich auf dem Weg. Susan versprach ich noch schnell beim Rausgehen, ich würde mich um ihr Sandwich kümmern – wenn ich zurück wäre...
Ich nahm die Subway zum Union Square, während der Rushhour der schnellste Weg. Das kurze Stück zum Fillmore konnte ich laufen. So war ich in der Lage, mir noch schnell bei Subways ein XXL-Meatball-Sandwich zu greifen, um das Loch in meinem Magen, welches der Salat hinterlassen hatte, zu stopfen. Dies nur zu meinen Vorsätzen und wie lange diese an einem normalen Tage üblicherweise halten...
Ich blieb noch Weilchen vor dem Strasberg Theatre and Film Institute stehen, um die jungen Nachwuchsschauspielerinnen zu begutachten. Offensichtlich war gerade einer der Kurse für den Tag beendet. Ich versuchte mein Glück bei einer der knackigen Endzwanzigerinnen. War mir vorher nicht bewusst gewesen, dass ich offensichtlich eine komödiantische Ader hatte. Ihre gesamte Clique lachte sich über meinen Versuch scheckig. Einer der Typen, der mit ihnen offensichtlich im Kurs war, schlug mir vor, mal in den Actor’s Studios vorbeizuschaunen und dort auf die Bühne zu steigen. Unter ihnen wären so wenige wirklich witzige Typen, sie alle hätten sicher viel Spass mit mir. Ich schlug diesen Vorschlag jedoch aus. Für so etwas fehle mir nun echt die Zeit. Ich drehte mich um, und ging zum Seiteneingang des Fillmores.
Ich wurde sofort ins Büro geführt. Einer der Chefs empfing mich – mit einem grossen Meatball-Sandwich in der Hand. Also packte ich meines ebenfalls aus. Obendrein kam noch eines ihrer Mädels und brachte uns zwei Riesenbecher mit dieser süssen braunen Brause vorbei. Er griff in seinen Schreibtisch und goss jeweils einen Schuss vom guten Bourbon dazu. So liebte ich es. Er liess keine Zeit verstreichen und begann sofort - mit vollem Munde - mir ihr Problem mit unserer Detektei auseinanderzusetzen. Gleichzeitig snacken und schnacken, so spart man viel Zeit.
Nachdem es Guiliani, unserem ehemaligen Bürgermeister, gelungen war, mit dem Verbrechen in unserer schönen Stadt kurzen Prozess zu machen, ging es vielen der Detekteien im Big Apple ziemlich mies. Viele hatten zugemacht oder die Stadt verlassen. Vom Rest waren heute ein grosser Teil im Scheidungsberatungsgeschäft und warfen mit den Hörnern anderer um sich. So etwas kam für uns nie in Frage. Wir waren eigentlich immer auf Guilianis Seite gewesen, hatten das Verbrechen bekämpft. Also erweiterten wir unser Geschäftmodell nur minimal. Heute verdienten wir einen Teil unseres Geldes damit, andere vor möglichen Verbrechen zu schützen. Dazu gehörte auch der Sicherheitsdienst in Klubs wie dem Fillmore. Meist sandten wir unsere Azubis zu diesen Diensten. Wer sich dort bewährte, durfte irgendwann auch an die grossen Felle ran – noch schwammen solche auf dem Hudson auf und ab...
Digger, wie sich mein Gegenüber gerne nennen liess, erklärte mir, dass sie ein Problem mit den Burschen hätten, die wir am letztes Wochenende geschickt hatten. Es gäbe immer irgendwelche Differenzen in der Eintrittskasse. Deshalb hätten sie sich ja irgendwann auch einen Kartenleser angeschafft. Doch diese Touries wollten sich auf so etwas nicht einlassen. Deshalb gab es immer noch eine Kasse für die Cashzahler und diese wurde von unseren Leuten bedient. Wenn da mal zwanzig, dreissig Bucks fehlten, so etwas buchten sie unter normal ab. Doch letztes Wochenende hätten da jeden Abend drei, vier Hunderter gefehlt. So etwas dürfe nicht vorkommen. Entweder hatten die Burschen keine Ahnung, wie die einzelnen Scheinchen aussehen sollten, oder sie hatten sich ihr Gehalt gewaltig aufgebessert. Deshalb hatte er mich zu sich bestellt. Wir sollten dies mal in unserer Firma prüfen. Vorerst dürften diese drei vom Wochenende nicht mehr bei ihm aufschlagen. Den Vertrag mit uns wolle er noch nicht kündigen, da unsere Leute bisher immer einen guten Job gemacht hätten. Doch wenn es in der Sache keine Konsequenzen in unsere Agentur geben sollte, käme auch ein Wechsel zu einem unserer Mitbewerber für ihn in Frage.
Ich liess mir die Namen der Drei geben und verabschiedete mich. Das mussten wir echt klären. Einen Mitarbeiter mit klebrigen Fingern konnten wir in unserer Agentur nicht gebrauchen. Ich schaute mir die Namen an, und siehe da, einer der Drei war vor relativ kurzer Zeit zu uns gekommen, etwa vor drei Monaten. Mir fielen die verschwundenen Eiersalatsandwiches von Susan ein. Bestand da ein Zusammenhang?
Unten auf der Strasse holte mich dann noch die Sekretärin von Digger ein. Sie sollte mir von meinem Chef ausrichten, dass ich ihm ein Sandwich mitbringen solle. Ausserdem würde er mir, sollte ich mein Handy weiterhin nicht mitnehmen, Gehalt abziehen. Das hatte er mir bereits hunderte Male ausrichten lassen. Bisher hatte ich immer meinen vollen Scheck am Ende des Monats erhalten, war ja sein Sozius. Immerhin gehörten mir 40 % der Agentur wie auch ihm. Ich mochte diese Dinger einfach nicht. Sie klingelten fast immer im falschen Moment, und einen Vibrator mit Zufallseinschaltung in meiner Hose brauchte ich wirklich noch nicht...
Um wenigstens den Schein einer gesunden Lebensführung zu wahren, kaufte ich für den Chef ein Salatsandwich und mir ein Frischkäsebagel. Wenn er mich ärgert, ärgere ich ihn auch. So machen wir das schon seit Anbeginn aller Zeiten. Nur deshalb läuft unsere Agentur immer noch wie geschmiert. Aufkommender Ärger wird auf diese Weise immer sofort kompensiert. Er liebt diese klugen Batterietelefone, ich hasse sie. Beide lieben wir unsere ungesunde Nahrung und deshalb hauen wir uns immer mal wieder gesündere Varianten um die Ohren. So kommen wir am Ende eigentlich immer zu einer relativ ausgewogenen Ernährung. Und unsere Agentur funktioniert obendrein...
Ich bat Susan uns noch zwei Kaffees ins Büro zu bringen und enterte ohne Klopfen das Büro des Chefs. Susan klopfte – bevor sie eintrat. Beim Herausgehen zwinkerte sie mir noch zu. Nur gut, dass der Kaffee heiss war, da fiel es nicht so auf: Sie hatte zumindest in meinen einen kräftigen Schluck Whiskey geschüttet.
‚Was wollte der Digger denn?‘ Höflichkeitsfloskeln hatten wir uns schon lange abgewöhnt. Ich erklärte ihm das Problem und kam sofort auf meinen Verdacht. Zwei der Drei hatten sich ja ganz gut bei uns eingeführt, mit denen hatten wir bisher keinen Ärger gehabt. Doch dieser Neue war selbst meinem Co in der Zwischenzeit durch viele blöde Bemerkungen mehrfach negativ aufgefallen. Wir beschlossen, uns mal direkt mit ihm zu unterhalten. Doch er hatte das Büro für heute schon verlassen – fast zwei Stunden zu früh. Wir gingen zu seinem Schreibtisch und wollten uns diesen mal genauer anschauen. Dieser fiel immer im Büro auf. Wenn er das Büro verliess, sah sein Platz aus, wie der eines Bankberaters. Pickobello leergeräumt. Nichts lag darauf herum. Sogar seine Ablage war ständig leer. Der Platz machte immer den Eindruck, als würde an ihm niemand arbeiten. Ich rief nach Susan. Sie hatte zu jedem Tisch die Schlüssel.
Das Erste was uns in seiner Schublade auffiel, war ein angebissenes Eiersalatsandwich mit echter Mayo. Susan indentifiziertes es als das ihrige. Dieser Fall war also gelöst. Darüberhinaus schien nichts Ungewöhnliches weggeschlossen. Bis mein Blick auf einen dicken Briefumschlag fiel, ohne Adresse und noch nicht verschlossen. Der Chef nahm ihn heraus und öffnete ihn. Darin befanden sich mehrere hundert Dollar. Er liess Susan das Geld zählen und im Tresor einschliessen. Zur Tarnung steckte er einen entsprechenden Stapel Notizblätter in den Umschlag und legte ihn wieder zurück: ‚Den nehme ich mir morgen früh zur Brust! Soll er sich heute noch in Sicherheit wiegen...‘
Ich nickte und ging mit Susan nach vorne. Dieses Mal störte der Chef nicht beim Rauchen. Ich überlegte immer noch, wie dieser Typ an den Kühlschrank rangekommen war, ohne dass Susan ihn bemerken konnte. Doch sie schien dies garnicht wissen zu wollen. Immerhin müsse auch sie ab und an ihr Make Up auffrischen...
Kurz nach fünf kam Susan an meinen Schreibtisch. Ich hatte versucht, in der restlichen Zeit meinen Schreibtisch in einen jungfräulichen Zustand zu versetzen. Er hat mir keine Chance gegeben. Bei mir hatte sich zu viel angesammelt. Auch wenn ich Vieles in den Schredder packen konnte, es blieb weiterhin zu viel übrig. Ich wollte mich gerade etwas nach hinten lehnen und noch meditieren, als Susan mich zum Essen einlud. Als Dank für die Aufklärung ihres Falles. Hunger hatte ich, also schnappte ich mir mein Jacket, schob das Handy wieder unter meine Unterlagen und verliess mit ihr die Agentur.
Sie führte mich in die 32., zum Korean Way. Ich hatte noch nie koreanisch gegessen. Kann ich nur empfehlen. Es schmeckt weder chinesisch noch japanisch. Einfach toll. Und es ist nur zehn Minuten Fussweg von unserer Agentur.
Aus Dank brachte ich Susan noch nach Hause, wohnte sie doch nicht weit. An der Haustür griff sie sich meine Krawatte und zog mich zu sich herunter, um mich zu küssen. Dabei war ihre andere Hand zwischen meinen Beine – da hatte ich den Salat...
Text: 2018, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Images: 2018, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Cover: 2018, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Editing: 2018, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Publication Date: 08-20-2018
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Dedication:
In memory of all these hardboiled detectives!