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Es ist Montagmorgen, der 23. Juli.

6:45 Uhr, Fahrt zur Arbeit, ca. 1 Stunde, wie immer.

Angekommen in der Firma, ich sitze im Auto, sollte jetzt aussteigen und ins Büro gehen.

Sollte Laptop-Tasche und Samsonite-Bürotasche unter den Arm nehmen und in eine neue Woche starten.

Es geht nicht!

Ich sitze immer noch im Auto und denke, was soll ich jetzt nur machen?

Was hält mich davon ab, einfach arbeiten zu gehen, wie in den letzten 27 eigentlich doch recht erfolgreichen Jahren?

Mittlerweile habe ich Tränen in den Augen und weiß nur, dass ich da nicht reingehe. Ganz kurz will ich überlegen, was jetzt passiert, wenn ich nicht mit der Arbeitswoche starte.

Ich kann aber gar nicht überlegen, deshalb starte ich das Auto und fahre vom Hof!


Ich fahre durch die Stadt Krefeld, der Tag startet gerade für alle. Es ist schon recht warm und der Himmel ist blau. Es ist 8 Uhr morgens und ich fahre sinnlos durch die Straßen. Ich bekomme Kopfschmerzen, die Haare fühlen sich an wie unter Strom, ich sehe alles etwas verschwommen.

Zum ersten Mal denke ich: Soll ich jetzt wirklich… sterben?!



An einem Stadtpark steige ich aus und schnappe frische Luft.

Was mache ich jetzt?

Noch kann ich zurück in die Firma und keiner hätte richtig etwas gemerkt.

Nein, auf keinen Fall !

Schon jetzt merke ich, dass ich nicht zurück kann.

Es wirkt wie eine Befreiung, aber was um Gottes Willen soll ich

als nächstes tun?

Meine Gedanken fangen an zu kreisen: Ich bin verantwortlich für die Geschäftsleitung Logistik und IT. Wenn ich jetzt wegrenne, brauche ich gar nicht erst wieder zu kommen.

Ich bekomme Angst.

Wie soll ich das jemandem erklären?

Was passiert zu Hause, wenn ich jetzt zurückfahre?

Ich fahre auf die Autobahn zurück Richtung Essen. Wie in den vergangenen Tagen schon, betrachte ich Brückenpfeiler, die zulaufenden Leitplanken bei Abfahrten und abgestellte LKW als Möglichkeit mich aus dem Leben zu verabschieden. Alles rauscht an mir vorbei, auch diese Gelegenheiten.

Gerade überquere ich die Ruhrtalbrücke, als mich etwas zum wunderschönen Baldeneysee zieht.

Ich parke in Essen-Werden, es ist ca. 9 Uhr und ich trage Business-Kleidung als ich zur großen Staumauer am Wehr gehe. Mein Blick geht starr geradeaus, ich sehe Niemanden, ich spüre, dass ich mich heute entscheiden muss.

Ich will nicht mehr!

Mein Blick geht hinunter auf den Baldeney-See. Kaum ein Mensch zu sehen. Wer soll auch am Montagmorgen Zeit für einen Spaziergang haben?

Gedanken machen sich in mir breit:

Ich bin gescheitert, ich bin geflüchtet, ich kann das nicht erklären, ich schäme mich.

Allen habe ich erklärt, dass es nur mit kompromisslosem Einsatz im Job funktioniert. Dass man immer erreichbar sein muss, dass man auch am Wochenende seine Mails checken und beantworten muss und mit gutem Beispiel für alle Mitarbeiter voran gehen soll. Auslandsreisen, wochenlang weg von der Familie im Osten Europas unterwegs, das ist heute halt so.

Meine Gedanken werden konkreter: Heute Morgen wird sich alles entscheiden.

Ein junges Paar steht an der Ruhr umarmt sich innig. Ich schaue traurig weg. Wir waren auch mal ein junges Paar.

Oh, mein Gott ! Wie soll ich das meiner Frau erklären, meinen beiden Kindern?

Ich kann es nicht!

Also werden meine Gedanken intensiver.

Wenn jetzt alles vorbei wäre.

Vom Stauwehr springen?

In den See springen und in die Mitte schwimmen, bis mich die Kräfte verlassen?

Wie lange dauert das?

Mit Anzughose und Hemd ?

Soll ich das Portemonnaie in der Hose lassen oder besser zusammen mit dem Handy ans Ufer legen, damit man weiß, wer ich bin?

Versucht mich jemand zu retten?

Wer findet mich?

Wie sehe ich als Wasserleiche aus?

Wer ruft meine Frau an?

Wie reagiert sie?

Tränen stehen mir in den Augen. Sieht mich denn niemand? Interessiert sich überhaupt jemand für mich? Offenbar nicht. Leider nicht. Warum eigentlich nicht ?

Der Weg führt mich zurück zu meinem Auto. Plötzlich winkt und hupt ein Autofahrer. Meint der mich? Ich versuche durch die Scheibe zu blicken.

Das kann doch nicht sein. Es ist ein alter Schulkollege, den ich in den letzten fast 30 Jahren vielleicht fünf Mal gesehen habe. Vermutlich fährt er gerade zur Arbeit.

Ich denke an Gott.

Hat er den Schulkollegen geschickt?

Ich denke an Gott.

Möchte er mich abhalten von den furchtbaren Planungen, die sich in meinem Kopf breit machen.

Ich denke an Gott und danke ihm für die kurze Unterbrechung meiner negativen Gedanken.


Mein Auto führt mich nun zu einer der meistbefahrensten Straßen in Essen, der Ruhrallee. Ich steige aus und gehe die Straße entlang. Noch etwa 8 Kilometer bis nach Hause, aber da fahre ich jetzt nicht hin.

Die B 227 ist hoffnungslos überfüllt. Endlose Schlangen von LKW und PKW ziehen ihren Weg nach Essen.

Sich jetzt einfach kurz zur Seite fallen lassen und überfahren werden?

Bin ich dann sofort tot?

Oder nur schwer verletzt, womöglich gelähmt?

Wäre das noch schlimmer als heute?


Ich steige wieder ins Auto und fahre nach Bochum-Dahlhausen.

Dort kann ich entweder in die Ruhr gehen oder auf der anderen Seite der Wiese führen die Bahngleise entlang….

Nach 20 Minuten bin ich da. Es ist mittlerweile sehr warm und einige Spaziergänger sind mit oder ohne Hund unterwegs.

Mit Stoffhose und Seidensticker-Hemd passe ich nicht ganz zum Publikum.

Ich gehe den Weg entlang und schaue zur Ruhr.

Auf einer Bank finde ich Platz und Ruhe. Ich schreibe eine SMS an die Firma, dass es heute nicht klappt, ich zum Arzt gehe und ich mich später melde.

Da kann sich jeder was ausdenken…

Ich setze meinen Weg fort und komme nach einer Rechtskurve zu den Bahngleisen. Eine kleine Böschung hoch und ich stehe dort.

Warum stehe ich hier?

Ich will Schluss machen, da ich die Arbeit nicht mehr schaffe, alles keinen Spaß mehr macht, ja, ich keinen Sinn mehr im Leben überhaupt mehr sehe.

Und weil ich mich schäme, es nicht geschafft zu haben.

Ich will das aber niemandem erklären müssen. Ich bin schuld daran, und bin fest davon überzeugt, dass ich meinen Job überhaupt nicht kann, eigentlich nie konnte. Aber das heißt auch, dass ich arbeitslos werde, kein Geld mehr habe, nie mehr einen neuen Job finde, alle mitleidig über mich reden und Frau und Familie riesig von mir enttäuscht sind und unter allen von mir verursachten Folgen leiden müssen. Es wird also noch anstrengender als jetzt schon.

Nein, ich muss das jetzt beenden!

Eine S-Bahn kommt an. Laut und mit gefährlichem Luftzug ist sie nach ein paar Augenblicken schon wieder vorbei.

Also, die nächste Bahn.

Wie sehe ich aus, wenn ich mich jetzt vor den Zug werfe?

Werde ich zerteilt in der Gegend rumliegen?

Wie sieht mich meine Familie danach?

Der Lokführer. Habe ich nicht gelesen, dass sich mehr als 500 Menschen pro Jahr vor den Zug werfen, aber die Zeitungen eigentlich nie darüber berichten. Und dass die Bahn riesige Probleme hat, die Zugführer mit diesem Trauma zu versorgen.

Ich denke darüber nach, dass ich niemanden mit ins Verderben reißen möchte.

Wie ferngesteuert rufe ich per Handy meinen Hausarzt an. Es ist viertel nach elf. Die Sprechstundenhilfe sagt freundlich, dass viel zu tun wäre und die Praxis nur bis 12 Uhr geöffnet sei. Ich antworte, dass es mir überhaupt nicht gut gehe und ich einfach kommen möchte.

Wie ein Häufchen Elend sitze ich beim Arzt und berichte in groben Zügen von dem Vormittag und den Wochen davor.

Er sagt mir, dass ich vermutlich das sogenannte Burnout-Syndrom hätte und erst einmal drei Wochen krankgeschrieben werde. Ich solle mich erholen, nur Dinge tun, an denen ich Spaß habe und dann wiederkommen.

Ich könnte heulen vor Freude, dass ich einen Namen für meine Krankheit bekommen habe, der sich auch noch gut anhört. Am Liebsten würde ich dem Arzt um den Hals fallen, dass ich nun endlich Schlafen gehen kann.

Ich bin so müde!

Ich gehe noch am Friedhof vorbei, der in unmittelbarer Umgebung der Praxis liegt und besuche die beiden Omas, die im stolzen Alter von 99 und 89 Jahren in den vergangenen Monaten gestorben sind. Am Doppelgrab stehend bete ich zu Gott und danke ihm, dass ich mich nicht selbst getötet habe.

Aber jetzt muss ich erst einmal nach Hause und Schlafen.

Ich rufe von unterwegs meine Frau an, da ich sie nicht völlig verschrecken möchte, indem ich einfach gegen Mittag zu Hause auftauche, da ich sonst nicht vor 19 bis 20 Uhr nach Hause komme. Sie ist etwas erstaunt, aber fragt auch nicht richtig nach.

Ein paar Minuten später fahre ich in die Garage.

Niemand bemerkt es.

Ich gehe ins Haus. Beide Kinder sind auch da. Mit ihren 17 und 12 Jahren haben sie Sommerferien und genießen den sehr warmen Tag.

Meine Frau schaut mich etwas verwirrt an, sagt aber, dass wir doch gut etwas auf der Terrasse trinken könnten.

Wir setzen uns in den Schatten, die Gespräche laufen, als ob es normal wäre, dass ich schon so früh zu Hause bin. Das wird mir in der Zukunft häufiger passieren. Man denkt immer, alle Menschen nehmen die kleinste Veränderung an einem wahr und machen sich unentwegt Gedanken über einen.

Das ist völlig falsch.

Die wenigsten Menschen interessieren sich für ein persönliches Schicksal.

Vor allen Dingen aber möchten sie erst gar nicht mit negativen Ereignissen im persönlichen Umfeld konfrontiert werden. Lieber mit sicherem Abstand aus dem Fernsehen oder aus der Zeitung erfahren und darüber im Bekanntenkreis diskutieren oder sogar lästern.

In den folgenden Tagen erfahre ich viel Verständnis für meine Entscheidung.

Ehefrau, Schwiegereltern, mein Bruder – alle sagen, dass es doch so auch nicht weitergehen konnte.





Was war eigentlich passiert?

Im Zeitraffer gehe ich die Stationen durch, die mich dahin geführt haben, wo ich jetzt stehe. Meine berufliche Karriere begann nach einem eher durchschnittlichen Abitur mit einer Ausbildung zum Industriekaufmann bei einem sehr großen Bekleidungshersteller. Nach meinem Weiterkommen zum stellvertretenden Importleiter, wurde mir klar, dass ich ohne Studium keine großen Schritte mehr schaffen würde. Insbesondere die Gehaltsentwicklung steuerte auf eine Sackgasse zu.

Ich begann ein Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie in Essen. Berufsbegleitend Studieren bedeutete nach einem vollen Arbeitstag von 18 bis 21:15 Uhr dreimal in der Woche an der Uni zu studieren und am Wochenende zu lernen. Dazu den heißen Sommer mit der Diplomarbeit zu verbringen und auf eine Menge Zeit, mit dem im letzten Studienjahr geborenen Sohnemann, zu verzichten.

Mit maximalem Einsatz erreichte ich einen tollen Abschluss.

Im Unternehmen wurde ich fortan als „high potential“ geführt und durfte in diversen Projekten mitarbeiten. Knapp zwei Jahre nach dem Studium wurde mir angeboten, die Leitung der Logistikabteilung zu übernehmen.

Die Arbeit machte Spaß, die Verantwortung für den Frachteinkauf umfasste über 12 Mio. Euro, und ich sparte knallhart hohe sechsstellige Summen ein.

Meine Mitarbeiter führte ich an der relativ kurzen Leine, aber Mitarbeiterführung hatte einem ja auch niemand detailliert beigebracht.

Es folgten zehn erfolgreiche Jahre, in denen die Firma leider immer wieder Mitarbeiter entlassen musste, ich aber glücklicherweise nicht betroffen war.

Das sollte sich ändern!

Diverse Abteilungen wurden outgesourced, Firmennamen wechselten und trotzdem saß man immer an der gleichen Stelle.

Als aktiver Sportler im Bereich Fußball und Joggen hatte ich während dieser anstrengenden Phase immer meinen Ausgleich gefunden.

Auch das sollte sich ändern!

In den ganzen erfolgreichen Jahren, ob privat oder beruflich, hatten wir immer recht sparsam gelebt. Urlaub und zwei Autos haben wir uns gegönnt, aber einen Teil immer für die beiden Kinder gespart, vier Altersvorsorge-Verträge bedient und zusätzlich monatliche Beträge zurückgelegt. Alles für eine ungewisse, weit entfernt liegende Zukunft.

Und auch das sollte sich ändern!


Der Aufzug nach unten - Krankheit

Im August 2010 fuhren wir mit der ganzen Familie nach Binz auf die wunderschöne Insel Rügen. Am fünften Urlaubstag fand ein Fußball-Turnier am Strand statt.

Da ich früher einmal ganz gut spielen konnte, wollte ich es noch einmal allen zeigen. Also meldete ich mich mit meinem damals 15-jährigen Sohn an, der auch schon jahrelang im Verein war. Es nahmen überwiegend Jugendliche bis maximal 18 Jahren teil, die auf dem Sand gut zurechtkamen.

Ein etwa 14-jähriger Junge ärgerte mich die ganze Zeit indem er mich Opa rief.

Jetzt wollte ich es erst Recht wissen. Ich hatte zwar schon länger Rückenprobleme, aber eigentlich war ich ganz gut in Form.

Ein Spiel ging ganz gut, beim zweiten spürte ich starke Rückenschmerzen und schließlich konnte ich nicht mehr weiter mitspielen. Besser gesagt, ich brach auf dem Sandspielfeld zusammen und konnte mich kaum bewegen.

Der Urlaub dauerte insgesamt zwei Wochen, aber für mich war er vorbei.

Vorwürfe, warum ich unbedingt am Turnier teilnehmen musste bis hin zur Verantwortung für das eher durchschnittliche Ostsee-Wetter vermiesten mir den Tag. Nach Hause zurückgekommen, wurde ich vom Orthopäden zur MRT-Untersuchung „in die Röhre“ geschickt und landete schließlich aufgrund eines diagnostizierten Bandscheibenvorfalls auf dem OP-Tisch.

Es war nicht einfach wieder auf die Beine zu kommen, aber ich kniete mich richtig rein, um schnell wieder arbeiten zu können, da mir dies sehr, sehr wichtig war.

Nach ca. 10 Tagen wurde es plötzlich wieder erheblich schlimmer mit den Rückenschmerzen. Der linke Fuß wurde plötzlich fast taub, ich war fix und fertig.

Nach einer weiteren, sehr kurzfristigen MRT-Untersuchung wurde ich an einem Samstagmorgen notoperiert, da die Gefahr bestand, dass sich der Nerv sonst nicht mehr erholen kann.

Es war der blanke Horror!

Ich wollte mit niemandem mehr sprechen.

Ich fühlte mich nur noch furchtbar alt und krank.

Für Monate musste ich auf Sport verzichten und mit Sicherheit konnte ich anschließend auch nicht mehr so weiter Fußball spielen, Joggen usw., wie bisher.

Und wann konnte ich wieder arbeiten gehen?

Ich hatte vor ein paar Monaten meine erste Gleitsichtbrille bekommen, meine Haare wurden dünner und im Spiegel war seitlich schon ein leichter Bauchansatz sichtbar. Auch der regelmäßige Sex war für mich nicht mehr zwingend notwendig.


Oh, mein Gott. Wie sollte es weitergehen?

Es ging weiter!

Nach weniger als vier Monaten, in denen ich auch eine ambulante Reha absolvierte, startete ich mit der Arbeit. Meine Orthopädin riet mir mehrere Male davon ab, alles derart zu beschleunigen, nur um etwas früher arbeiten zu können, aber so war ich nun einmal.

In der Zwischenzeit hatte sich einiges geändert. Auch wenn ich mehrmals wöchentlich telefonischen Kontakt zur Abteilung hatte, wurde ich mit vielen negativen Dingen überhäuft. Es hatte mehrere schwere Krankheitsfälle während meiner Abwesenheit gegeben. In einer Gruppe der Zollabteilung, mit der wir intensiv zusammenarbeiteten, erkrankte ein Mitarbeiter an einem Hirntumor. Ein weiterer Mitarbeiter erlitt 8 Wochen später einen Herzinfarkt.

Niemand hatte mehr die Oberaufsicht geführt und die Geschäftsführung ließ alles laufen. Schließlich erlitt noch eine Mitarbeiterin einen Nervenzusammenbruch. Erst dann reagierte die oberste Heeresleitung.

Meine Kraft war längst nicht mehr die alte, sodass ich die Entwicklung nur mit großer Trauer begleitete. Man glaubte, es wird sich schon zum Guten wenden.

Aber es kam ganz anders!


Der Aufzug nach unten - Kündigung

Im Januar 2011 hatte ich nach den Bandscheiben-Operationen wieder mit der Arbeit begonnen und so langsam wieder Spaß daran gefunden.

Frachtausschreibung in Millionenhöhe hatten mir immer Spaß gemacht. Auf höchster Unternehmensebene mit Dienstleistern verhandeln, Verantwortung tragen und Entscheidungen treffen, das war wieder meine Welt.

Ende Februar 2011 erhielt ich die betriebsbedingte Kündigung!

Nicht nur ich, sondern der gesamte Dienstleistungsbereich erhielt am selben Tag die Kündigung. Angeblich gab es keine Aufträge mehr.

Da es sich um eine Servicegesellschaft im Konzern handelte, konnte man die Arbeit problemlos zu einer der Tochterunternehmen verlagern. Ein klassisches Outsourcing im Karussell, bei dem man ältere, verdiente und sicher auch gut bezahlte Mitarbeiter loswerden wollte.

Am Ende erfolgreich, denn mein Anwalt riet mir dazu, besser eine Abfindung anzunehmen, als eine Wiedereinstellungsklage bis zum Ende durchzukämpfen.

Als Führungskraft kann es unerträglich werden, gegen den eigentlichen Willen des Arbeitgebers weiter beschäftigt zu werden. Da bin ich auch seiner Meinung gewesen und so kam es zu einer abschließenden Verhandlung vor dem Arbeitsgericht, bei der man eine hart umkämpfte Einigung erzielte.

Um nicht zu schnell als arbeitslos zu gelten, wurde der Kündigungszeitraum nach hinten verschoben. Ich erhielt also weiter mein volles Gehalt, aber diese Zahlung wurde von der eigentlichen Abfindung in Abzug gebracht.

Nach Zahlung einer leider sehr hohen Einkommenssteuer konnte man immerhin einen ordentlichen fünfstelligen Betrag an die Seite legen.

Heute frage ich mich, ob ich mehr hätte kämpfen sollen.

Aber man darf nicht vergessen, dass die lange Freistellung vor der Gerichtsverhandlung dazu geführt hat, dass die Bindung zu meinen Mitarbeitern mehr und mehr verloren ging. Ich konnte mir am Ende überhaupt nicht mehr vorstellen, wieder an den alten Arbeitsplatz zurückzukehren.





Auf der Suche nach dem Neubeginn

Unvorstellbares war passiert!

Seit 27 Jahren war ich ununterbrochen beschäftigt.

Arbeitslosigkeit kam in meinem Wortschatz nicht vor.

Natürlich hatten immer wieder Kollegen im Umfeld ihren Job verloren, und natürlich hieß es immer, dass dies heute kein Weltuntergang mehr wäre.

Vor allem bräuchte man sich nicht zu schämen, da es in der heutigen veränderten, immer schneller werdenden Zeit einfach dazugehörte.

Bullshit !

Ich fühlte mich aber nicht so, wie ich mich fühlen sollte.

Es war mir unangenehm, plötzlich so lange zu Hause zu sein.

Das konnte und wollte ich doch keinem Nachbarn erklären.

Heute weiß ich, dass man es auch nicht erklären muss.

Aber damals war es eine ungeheure Belastung, nicht zu wissen, wie es weitergeht. Nur meine engsten Freunde wurden eingeweiht und diese boten auch jederzeit ihre Unterstützung an. Aber ich musste natürlich wieder den Einzelkämpfer spielen, und nahm nur wenig bis gar keine Hilfe an.

Stattdessen stürzte ich mich in den Bewerbungs- und Fortbildungskampf!

Ich stand genauso früh auf wie bisher. Frühstückte, las die Zeitung und schloss mich ein, um das Thema Bewerbung professionell zu bearbeiten.

Literatur aus der Buchhandlung und der Bücherei und natürlich das Internet sorgten für ein riesiges Arbeitspensum. Auch bei gutem Wetter ging ich nicht vor 17 Uhr in den Garten. Immerhin konnten die Nachbarn so denken, dass ich von zu Hause aus arbeiten würde.

Als zweites großes Beschäftigungsstandbein fand ich die Weiterbildung.

Business English bei Berlitz, sehr teuer aber professionell und durch einen Bildungsgutschein kräftig unterstützt. Zusätzlich 20 Vokabeln täglich durch eine Vielzahl von Online- und Bücherei-Kursen, ich hatte richtig zu tun.

Dabei wuchs leider auch das schlechte Gewissen, dass man in den letzten Jahren wirklich sehr wenig getan hatte, um sich weiterzubilden.

Eigentlich eher gar nichts !

Aber die Gemütlichkeit mit Mitte 40 hatte sich nun einmal eingeschlichen und so war ich auf jeden Fall selbst verantwortlich für den plötzlichen Absturz.



Imprint

Publisher: BookRix GmbH & Co. KG

Publication Date: 09-27-2015
ISBN: 978-3-7396-1579-0

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