Ich war mehr als nur überrascht, als ich meinen Bruder, Yves, am Tag meiner Abreise am Flughafen entdeckte.
„Was tust du hier?“, wollte ich gleichgültig von ihm wissen.
Immerhin hatte ich ihn vor vier Jahren zum letzten Mal gesehen. Yves hatte mir klar gemacht, dass er mich nicht mehr ansehen konnte, weil ich ihn zu sehr an unseren Vater erinnerte. Er konnte die Tatsache, dass sich unsere Mutter seinetwegen umgebracht hatte, nicht ertragen. Folge dessen, konnte er auch mich nicht mehr ertragen.
Mein Bruder hatte mich an meinem achtzehnten Geburtstag aus der Wohnung, in der wir damals zusammen wohnten, geworfen.
„Bist du sicher, dass du das tun willst?“
„Was, Yves? Ein neues Leben anfangen? Es ist ja nicht so, als ob mich etwas hier halten würde“, meinte ich.
Er sah so aus, als ob er noch etwas sagen wollte, aber er schüttelte nur seinen Kopf und vergrub seine Hände in den Taschen seiner Weste. Seine grünen Augen wanderten über meine Gestalt.
In den vier Jahren, in denen ich auf mich selbst gestellt war, hatte ich mich verändert. Meine schwarzen Haare waren schulterlang, meine braunen Augen hatten schon lange ihren Glanz verloren und meine Haut war – dank meiner Vorliebe für lange Spaziergänge und Wanderungen – gebräunt.
„Pass auf dich auf.“ Das waren seine letzten Worte, bevor er sich umdrehte und mich am Pariser Flughafen stehen ließ.
„Le dernier appel pour le vol SFO 156 à San Francisco. S’il vous plaît, mettez-vous à porte d’embarquement C7“, ertönte er aus den Lautsprechern.
Bald würde ich ein neues Leben beginnen, das hoffentlich besser war als jenes, das ich in Paris geführt hatte.
Alle Zweifel, die ich hatte, lösten sich in Luft auf, als ich das Flugzeug bestieg und meinen Platz einnahm.
Drei Monate später…
In den letzten drei Monaten hatte ich mich gut eingelebt. Ich hatte mich an das Leben in San Francisco gewöhnt und genoss die Vielfältigkeit, die diese Stadt zu bieten hatte. Man konnte nicht bestreiten, dass Paris eine gewisse Eleganz besaß, wie keine andere Stadt der Welt, doch Paris war nicht bunt oder so offen, wie San Francisco.
Ich versuchte viel in meiner Freizeit zu unternehmen und so wenig wie möglich an meine Zeit in Frankreich zu denken, seitdem ich hier lebte.
Vier Tage nach meiner Anreise hatte ich einen Job in einer modernen Bäckerei, die Jessica’s Sweets hieß und damit auch zwei neue Freunde, die mir jeden Arbeitstag um einiges versüßten.
„Guten Morgen, Amélie“, begrüßte mich meine Kollegin Cassandra.
Cassandra war eine hübsche Brünette mit blauen Augen, unter denen sich eine kleine Nase und schale Lippen befanden. Sie hatte Kurven, über die sich ihr Freund Nicholas, den ich vor einer Woche kennengelernt hatte, besonders freute.
„Bon matin, Cassandra“, grinste ich.
„Bist du bereit?“
„Wofür denn?“, fragte ich verwirrt.
„Ich liebe deinen französischen Akzent“, seufzte sie. Ich schenkte ihr ein breites Grinsen. „Bist du bereit für die Kuchen, Torten und Cupcakes?“
„Bien sûr.“ Dieses Mal sah mich meine Kollegin verwirrt an. „Natürlich. Du solltest wirklich Französisch lernen.“
„Aber natürlisch, mon ami. Denn isch abe nichts anderes zu tun als Französisch zu lernen“; bemerkte sie mit falschem französischen Akzent.
Lachend sagte ich: „So klinge ich gar nicht.“
„Stimmt, bei dir klingt das auch nicht so gestellt, wie bei mir“, schmunzelte sie.
„Wenn du meinst. Was steht heute an?“
„Jessica hat gesagt, dass es heute viel zu tun gibt, weil wir in zwei Tagen eine Party beliefern müssen. Den einjährigen Geburtstag von Zwillingen, wenn ich mich recht erinnere.“
„Womit sollen wir beginnen?“
„Jessica hat ausdrücklich gesagt, dass keiner außer dir die Torte auch nur ansehen darf. Sie möchte, dass du deinen französischen Zauber spielen lässt“; grinste Cassandra. „Wer die Cupcakes macht ist ihr egal, also werde ich das übernehmen und Jeff wird sich um die Dekoration kümmern.“
Ich nickte. „Bei welcher Torte soll ich meinen Zauber spielen lassen?“, fragte ich grinsend.
„Mir wurde gesagt, dass der Teig in Regenbogenfarben sein und das Innere soll mit einer Buttercreme-Erdbeermischung gefüllt werden.“
„Für die könnte ich ein wenig brauchen, immerhin muss ich jede Schicht einzeln backen. Ich werde euch wohl leider nicht helfen können.“
Drei Stunden später war ich dabei die letzte Kuchenplatte aufzustapeln, als ich die Stimme meiner Chefin hörte. „Amélie, wie weit bist du mit der Geburtstagstorte für die Zwillinge?“
„Es fehlt nur noch die Buttercreme vor dem Marzipan und dann kann auch schon die Dekoration drauf.“
„Das ist gut, es wartet nämlich noch eine Hochzeitstorte auf dich.“ Sie sah mich entschuldigend an.
Mein Blick fiel auf die Uhr, die an der Wand hing. 9:15, das Frühstück musste ich wohl ausfallen lassen. „Okay.“
„Iss vorher aber bitte noch etwas, in Ordnung?“
„Ich werde es versuchen“, lächelte ich.
„Ich meine es ernst, wenn du möchtest, dann hole ich dir noch etwas, bevor ich zu meiner Zehn-Uhr-Termin fahre“, sagte sie.
„Nein, ich werde mir selbst etwas holen, sonst komme ich heute überhaupt nicht mehr hier raus.“
„Ist gut, wir sehen uns dann noch.“ Jessica verschwand mit einem Winken aus der Küche.
„Au revoir.“
„Auf geht’s, Amélie. Du musst etwas essen“, bemerkte Jeff eine Stunde später.
Ich brachte mich mit einem Stöhnen in eine aufrechte Position. Mein Rücken würde mich früher oder später noch umbringen.
„Gleich, ich muss nur noch die Torte in den Kühlschrank stellen, dann kann es auch schon losgehen.“
„Ich hoffe, dass du einen Regenschirm mit hast, denn ich will nicht, dass diese Haarpracht durch das herabfallende Wasser ruiniert wird.“
Jeff war 1,80 m groß, hatte die schönsten blauen Augen, die ich je gesehen hatte und Muskeln, die sich deutlich unter seinem grauen Shirt abzeichneten. Eine Versuchung auf zwei Beinen und eine solche Verschwendung, denn Jeff war wie jeder gute Mann entweder vergeben oder schwul und in diesem Fall traf beides zu. Wäre Jeff nicht so glücklich mit seinem Lebensgefährten Julio, dann hätte ich versucht wenigstens einen von beiden umzustimmen.
„Je suis désolée“, entschuldigte ich mich auf Französisch. „Alles, was ich dir anbieten kann ist eine Regenjacke.“
„Nein, danke“, meinte Jeff und verzog sein Gesicht angewidert. „Einen solchen modischen Fauxpas werde ich mir, auch der Haare wegen, nicht leisten.“
„Wie du meinst.“ Mit den Schultern zuckend versuchte ich die schwere, große Torte vom Tisch zu heben, um sie in den Kühlschrank räumen zu können. Ohne Erfolg. „Könntest du mit bitte eine Hand leihen? Die Torte ist viel zu schwer.“
„Geh mal zur Seite, Süße.“ Ich wurde durch Jeffs Hüfte aus dem Weg geräumt, sodass er das mit Buttercreme gefüllte Monstrum heben und in den großen silbernen Kühlschrank räumen konnte. „Jetzt können wir gehen.“
„Merci beaucoup, monsieur“, grinste ich.
„De rien“; gab er zurück und ich sah ihn erstaunt an.
„Tu parles français?“
„Wir müssen es ja nicht gleich übertreiben, Süße.“
„Ich schwöre es dir, Amélie. Der Typ ist in dich verliebt“, behauptete Jeff, wie jedes Mal, wenn wir uns etwas zum Essen im Supermarkt von gegenüber holten und Hubert abkassierte.
„Non, ist er nicht.“
„Er steht auf dich, wie ich auf heiße, durchtrainierte Spanier stehe.“
Augenverdrehend wandte ich mich an ihn: „Er ist einfach nur nett.“
„Aber natürlich“, fing er an. „Und ich hatte gestern Nacht keinen richtig heißen Sex.“
„Trop d’informations“, murmelte ich und versuchte das nicht gerade jugendfreie Bild zu verdrängen, das sich in meinen Kopf schleichen wollte.
„Es ist wirklich entzückend, wenn du anfängst Französisch zu reden.“
„Bonjour, Amélie“, begrüßte mich Hubert, der etwas verschwitzte, brillentragende Junge mit den zu großen Zähnen.
„Bonjour, Hubert“, lächelte ich, weil ich nicht unhöflich sein wollte, obwohl mit die Tatsache, dass er mich auf Französisch begrüßt hatte, etwas unangenehm war.
„Es klingt schön, wenn du meinen Namen mit deinem französischen Akzent aussprichst.“
„Weißt du, was noch schöner klingt?“, hörte ich Jeff murren, bevor ich antworten konnte. „Das Geräusch, wenn unser Essen über den Scanner gezogen wird.“
„N-Natürlich“, stotterte Hubert daraufhin.
Ich hatte den leisen Verdacht, dass er nicht wusste, dass Jeff schwul war. Vielleicht hielt er ihn sogar für meinen festen Freund? Wenn ihn das auf Abstand hielt, dann hatte ich nichts dagegen.
„Qu’est-ce que tu fais?“, fragte ich Jeff, der über den Tisch gebeugt an etwas arbeitete.
„Ich nehme mal stark an, dass das ‚Du hast einen tollen Hintern, Jeff‘ bedeutet“, grinste er und sah mich über seine Schulter an.
„Nein, es heißt ‚Was machst du?‘“
„Die Dekoration für die Hochzeitstorte, die du hoffentlich fertig hast.“
„Darf ich mal sehen?“
„Nein!“ Er scheuchte mich aus dem kleinen gekühlten Raum, ohne dass ich einen kleinen Blick auf sein neuestes Kunstwerk erhaschen konnte. „Ist die Torte schon fertig?“, fragte er, nachdem er die Tür hinter uns geschlossen hatte.
„Noch nicht ganz. Der Teig der obersten Stufe ist gerade im offen, während die crème noch im Kühlschrank ist. Es ist eine Trüffeltorte, die muss sowieso über Nacht im Kühlschrank kalt gestellt werden.“
„Wie lange brauchst du noch bis du fertig bist?“
„Eine halbe Stunde, pourquoi?“
„Weil wir zwei heute mit Julio und einem Freund etwas trinken gehen werden“, informierte er mich.
„Tut mir leid, aber ihr müsst heute leider ohne mich die Korken knallen lassen. Ich bin so müde, dass ich mich nur auf mein Bett fallen lassen uns bis übermorgen schlafen möchte.“
Er schnalzte mit der Zunge. „Süß, dass du denkst, du hättest Mitspracherecht.“ Er tätschelte kurz meinen Kopf und wandte sich danach wieder seiner Arbeit zu.
Die Tatsache, dass wir uns um fünf Uhr mittags in einer Bar trafen um etwas zu trinken, sprach schon für sich. Mein Lebensstil war einfach nicht gesund.
Als wir am Tisch ankamen, an dem Julio und ein mir unbekannter Mann saßen, lief Jeff förmlich zu seinem Geliebten, um ihn abknutschen zu können.
Zum Glück waren die Leute hier in San Francisco aufgeschlossen und kümmerten sich nicht weiter um das gleichgeschlechtliche Pärchen.
„Amélia, mi hermosa!“, rief er aufgeregt und erdrückte mich beinahe mit seinen Armen. Seit dem Tag an dem wir uns kennengelernt hatten, nannte er mich Amélia. Seiner Meinung nach verlieh das ‚A‘ meinem Namen eine gewisse spanische Würze.
„Julio, du erdrückst mich.“
„Excusa.“ Er ließ wieder von mir ab und legte seinen Arm um Jeffs Schultern. „Das ist Keith. Er ist ein Kunde von mir und völlig straight.“ Den letzten Teil flüsterte er nur noch.
„Hi, Amélie.“
Ich streckte ihm meine Hand entgegen, die er ergriff, aber nur um mich näher an sich zu ziehen. Seine Lippen lagen auf einer und dann auf der anderen Wange, die er küsste. „Ich dachte in Frankreich begrüßt man sich mit einem Kuss auf der Wange.“
Ich bejahte und brachte nur ein schwaches Lächeln zustande. Keith hatte wohl nicht verstanden, dass man sich in Frankreich nur mit Luftküssen begrüßte und niemand wirklich einen richtigen Kuss auf die Wange bekam.
„Ich heiße Keith. Julio hat mir schon viel von dir erzählt, Amélie.“
Keith hatte zwar ein Million-Dollar-Grinsen, schwarze, gepflegte Haare, einen muskulösen Körper und ein tolles Gesicht, aber ich hatte in den letzten zwanzig Sekunden entschieden, dass ich ihn nicht leiden konnte. Bei dem Typen fingen meine Alarmglocken an zu läuten und ich würde dieses Signal gewiss nicht ignorieren.
Ich strafte Julio mit einem giftigen Seitenblick, der ihm zeigen sollte, dass ich verstand, was er vorhatte und ich es ganz und gar nicht gut hieß.
„Was kann ich euch zu trinken bringen?“ Eine hübsche blonde Kellnerin kam an unserem Tisch zum Stehen und ich sah, dass Keith seine Augen nicht von ihrem Ausschnitt nehmen konnte. Augenverdrehend bestellte ich ein Glas Wasser, denn dieses konnte ich schnell austrinken und mich wieder auf den Weg nach Hause machen.
„Möchtest du nichts Stärkeres?“
„Nein, danke.“
Schulterzuckend wandte er sich wieder der Kellnerin zu. „Für mich ein Bier, Süße.“
In der Erwartung, dass der Abend sein baldiges Ende finden würde, hörte ich Keith mit einem Ohr zu, als er über seinen Tag erzählte. Er prahlte damit, dass er 120 Kilogramm auf der Bank stemmen konnte und ich war mir sicher, das letzte Buch, das er gelesen hatte war voll mit Bildern und jede Seite war mit maximal fünf Wörtern bedruckt worden.
Sobald die Kellnerin mir mein Wasser brachte, würde ich es mit einem Schluck austrinken und eine Migräne vortäuschen, nicht dass dies nötig war, denn das leichte Pochen hinter meinem linken Auge wies daraufhin, dass wirklich eine Migräne im Anmarsch war.
Jeff und Julio tuschelten, kicherten und betasteten sich gegenseitig. Womit sie jedoch mit diesem ‚Date‘ für Keith und mich hinaus wollten, verstand ich nicht. Er sah zwar wirklich gut aus, doch der Charakter war ausschlaggebend und Keith hatte keinen, der mir gefiel.
Sobald die Kellnerin, die anscheinend Chelsea hieß, wieder an unserem Tisch war, lag Keiths Aufmerksamkeit wieder auf ihr. Besser gesagt ihrem freizügigen Ausschnitt.
Mein Wasser war schneller weg als Chelsea. Mit einem kurzen „Bye“ in die Runde verschwand ich und hielt draußen Ausschau nach einem Taxi, das ich mich heute gönnen musste, weil ich viel zu erschöpft war, um nach Hause zu laufen.
Wohnen in San Francisco war nicht anders als in Paris. Die Wohnungen waren klein aber teuer, deshalb störte es mich auch nicht, dass ich in einer Zweizimmerwohnung mit einem winzigen Bad lebte, die knapp eintausend Dollar im Monat kostete.
Erschöpft ließ ich mich auf mein großes Bett fallen, in das noch locker zwei weitere Personen gepasst hätten, und das sich schon in der Wohnung befunden hat, als ich eingezogen bin.
Vielleicht lag es an meinem knurrenden Magen, der sich beinahe schmerzhaft zusammen zog.
Doch da ich vergessen hatte einkaufen zu gehen, musste ich mich mit Resten des chinesischen Essens, das ich gestern Abend bestellt hatte, zufrieden geben.
Nach dem kalten Essen, einer heißen Dusche und einem lauwarmen Tee, konnte mein Körper endlich entspannen und ich ins Land der Träume reisen.
„Wie meinst du das?“, fragte ich meinen Bruder, der mich mit Tränen in den Augen und einem angespannten Kiefer ansah.
„Maman hat sich umgebracht“, flüsterte er und die ersten Tränen rollten über seine Wangen.
„Aber wieso?“
„Weil sie erfahren hat, dass papa noch eine andere Familie in Amerika hat“
Meine kleine perfekte-imperfekte Teenagerwelt brach in sich zusammen. Das konnte nicht sein! Mein Vater würde uns so etwas nie antun. Nicht mon papa.
„Nein, nein, nein“, murmelte ich und schüttelte meinen Kopf. Ich konnte – nein, ich wollte – ihm nicht glauben. Weder das unsere Mutter sich umgebracht, noch dass unser Vater eine andere Familie hatte.
Ich wurde fest an den Schultern gepackt und geschüttelt. „Es ist aber so, Amélie!“, schrie Yves mir ins Gesicht. „Papa hat maman betrogen! Er hat uns alle betrogen und angelogen Amélie! Dich, mich, maman und den Rest der Welt! Er ist ein Betrüger, verstehst du das denn nicht?“
„Du lügst“, schrie ich und spürte wie meine Knie unter mir nachgaben und ich zu Boden sank. „Du lügst.“ Meine Stimme war nur noch ein heißeres Flüstern, als mein Bruder über mir stand und auf mich hinab sah.
„Wir sind jetzt alleine, Amélie. Nur du und ich.“
Seit fünf Jahren wachte ich jede Nacht schweißgebadet auf und wurde mit meiner Vergangenheit konfrontiert. Ich hatte schon mit mehreren Psychologen über meine Probleme gesprochen und keiner hatte mir bis jetzt helfen können.
Ich setzte mich auf und blickte auf die Digitaluhr auf meinem Nachtkästchen. 00:31, ich hatte noch dreieinhalb Stunden bevor ich zur Arbeit musste.
Ohne die Schlaftabletten, die sich in der Schublade meines Nachtkästchens befanden, konnte ich nicht mehr einschlafen nach den Albträumen. Da ich schon vorbereitete war, befand sich ein Glass Wasser auf dem Kästchen, sodass ich die Tablette schlucken konnte.
Die Zeit, die das Hypnotikum benötigte um zu wirken, nutzte ich meistens um ein paar Rezepte, die mir durch den Kopf schwirrten, aufzuschreiben. Wenn ich Zeit oder genügend Energie übrig hatte, würde ich sie ausprobieren.
Ich war gerade dabei meine kandierten Rosenblätter für die Hochzeitstorte in den Ofen zu schieben damit sie trocknen konnten, als die Tür zur Küche aufgeschlagen wurde und ein aufgebrachter Jeff hineinstürmte.
„Ich könnte dich umbringen, Amélie!“, wetterte er sogleich los.
„Pourqoui?“
„Du bist gestern einfach verschwunden und als ich versucht habe dich anzurufen bist du nicht rangegangen. Ungefähr eintausend Mal musste ich mir diese Mobil-Box-Lady anhören!“
„Es tut mir leid, aber ich habe mein Telefon ausgeschaltet, weil ich in Ruhe schlafen wollte. Und ich habe ich gestern verabschiedet, bevor ich gegangen bin.“
„Du hättest mir wenigstens eine Nachricht schicken können. Ich hatte schreckliche Angst, dass die etwas zugestoßen ist.“
Es wärmte mein Herz, dass Jeff sich solche Sorgen um mich machte, obwohl wir uns noch nicht so lange kannten.
„Es wird nicht wieder vorkommen.“
„Na gut. Komm her, Kleines.“ Er zog mich in eine enge Umarmung und ich genoss die Sekunden, in denen ich mich an den großen, starken Körper lehnen konnte. „Ich habe Julio gestern noch zur Sau gemacht. Was fällt dem ein? Versucht dich mit so einem Quacksalber zu verkuppeln.“
„Er kann ja nichts dafür, dass Keith ein Idiot ist.“
„Wenn er einen solchen schlechten Männergeschmack hat, was sagt das dann über mich aus!“
Grinsend schlang ich meine Arme um seinen Nacken. „Das er einmal ins Schwarze getroffen hat.“
Glücklich über meine Antwort meinte er: „Wenn ich nicht Stockschwul wäre, dann würde ich dich auf der Stelle vernaschen, Kleines.“
Ich täuschte Entsetzen vor. „Lass das bloß niemanden hören, mon macaron. Sonst glauben alle, dass wir hier die Küche schmutzig machen, anstatt zu arbeiten.“
„Mit dir würde ich mehr als nur die Küche schmutzig machen“, grinste er und ich verpasste seinem Hintern lachend einen Schlag, bevor ich ihn aus meiner Küche vertrieb.
„Pourquoi est-ce que je devais apprendre d’Yves que tu vis aux États-Unis maintenant ?“ Meine Großmutter klang anklagend, als sie mich fragte, wieso sie von Yves erfahren musste, dass ich jetzt in den USA lebte. Wieso? Weil sie, genau wie Yves, meinen Anblick nicht mehr ertragen konnte. Sie hatte mich genau wie er im Stich gelassen, obwohl ich sie so dringend gebraucht hätte.
„Weil wir seit vier Jahren nicht mehr miteinander sprechen.“
„Parle français avec moi, Amélie ! Du lebst z war jetzt nicht mehr in Frankreich, dennoch ist es deine Heimat und du wirst gefälligst die Sprache sprechen, die ich dir vor mehr als zwanzig Jahren beigebracht habe.“ Sie hatte einen sehr starken Akzent und wenn ich kein Französisch sprechen würde, dann hätte ich sie wahrscheinlich nicht verstanden.
„Pourquoi as-tu appelées?“
„Parce que tu ne le fais pas.“
„Weil es nichts mehr zu besprechen gibt, grand-mère. Du und Yves habt mich im Stich gelassen. Ihr wolltet, dass ich aus euer beider Leben verschwinde, genau das habe ich auch getan.“
„Amélie!“
„Au revoir.“ Bevor sie etwas sagen konnte legte ich auf und blockierte ihre Nummer.
Ausnahmsweise durfte ich heute das Zuckergebäck machen, weil es zurzeit keine Bestellungen für Torten gab. Die kleine Küche, die nur mir zur Verfügung stand, wurde vom Aroma des frischgebackenen Gebäcks erfüllt.
Der Duft ließ meinen Magen knurren und mir fiel auf, dass ich heute noch nichts gegessen hatte. Obwohl es schon nach zwölf Uhr war.
Vielleicht konnte ich mich schnell hinausschleichen und einen Salat im Supermarkt gegenüber kaufen.
Bevor ich meine Schürze abbinden konnte, wurde die Tür aufgerissen, sodass sie gegen die Wand knallte, und mir eine schweratmende Cassandra gegenüber stand.
„Es gibt ein riesengroßes Problem, Amélie“, kam es sogleich aufgeregt von ihr.
„Was ist passiert?“
„Jessica hat gerade angerufen und gesagt, dass sie gerade einen Anruf einer heulenden Braut bekommen hat, weil sie bis morgen eine Hochzeitstorte braucht. Angeblich ist ihr Konditor abgesprungen und sie weiß nicht mehr weiter.“
„Aber-“
„Sie hat gesagt, dass sie uns die Überstunden doppelt bezahlt“, unterbrach sie mich. „So eine Chance kriegen wir nie wieder.“
Das zusätzliche Geld konnte ich gebrauchen. Wenn ich genug Geld zusammen hätte, dann könnte ich mir einen eigenen Laden kaufen und eine echte französische Patisserie eröffnen.
„Amélie!“ Cassandra schnippte mit ihren Fingern vor meinem Gesicht herum und riss mich aus meinen Gedanken.
„In Ordnung“, gab ich mich geschlagen.
„Wir hätten sowieso keine andere Wahl gehabt“, meinte Cassandra mit den Schultern zuckend. „Das Problem ist, dass die Torte so verdammt aufwendig ist, dass wir uns heute den Arsch abarbeiten werden müssen. Die Torte selbst ist nicht das Problem, weil die Frau – im kompletten Gegenteil zur Dekoration – eine einfache Schokoladentorte will. Für alle sechs Stockwerke.“ Ich sah Cassandra mit vor Schreck geweiteten Augen an. „Ja, ich weiß. Das eigentliche Problem ist die verdammte Dekoration! Die Frau will verdammte essbare Strass Steine, Perlen, eine Verzierung aus Buttercreme und verflixte Rosen aus Marzipan, die aussehen wie echte!“
„Wieso nehmen wir-“
„Wieso wir keine echten nehmen?“, fragte sie aufgebracht und ich nickte vorsichtig. „Weil sie das nicht möchte.“
„Bien. Beruhige dich, wir werden das schaffen, okay? Denke an die Sachen, die du dir mit dem zusätzlichen Geld kaufen kannst.“
„Okay.“ Sie atmete tief ein, bevor sie mir ein Lächeln schenkte, das sowohl gezwungen als auch müde aussah. „Ich sage, dass du die unteren drei Stockwerke machst und ich die drei oberen, damit ich Jeff dann die Buttercreme und das Marzipan vorbereiten kann. Danach müssen wir Jeff helfen und die Torte dekorieren.“
„Das schaffen wir. Mit welcher Größe fangen wir an?“
„Vierzig Zentimeter, dreißig, fünfundzwanzig, zwanzig, fünfzehn und die letzte zehn.“
„Commençons!“
Ich spürte wie sich eine Migräne aufbaute und wir waren noch nicht einmal zur Hälfte fertig mit der Dekoration und draußen war es bereits dunkel geworden.
Am liebsten hätte ich einfach alles hin geschmissen und dieser Braut gesagt, dass sie entweder ohne oder mit einer halbfertigen Torte feiern musste.
„Es reicht.“ Jeff sprang auf und nahm sein Handy aus seiner Hosentasche. „Wenn wir uns hier schon den Hintern abarbeiten müssen und länger über den Tisch gebeugt stehen müssen als nötig, dann schon mit Musik.“
Im nächsten Moment strömte beruhigende Musik durch den Raum und wir arbeiteten weiter. Zum Rhythmus der Musik.
"Sleep is the golden chain that binds health and bodies together." - Thomas Dekker
Mit insgesamt drei Stunden Schlaf und zwei Espresso intus manövrierte ich den Firmen-Pkw durch die Straßen und versuchte der Stimme des Navis zu folgen.
In zweihundert Metern links abbiegen.
In einhundertfünfzig Metern links abbiegen.
In einhundert Metern links abbiegen.
Jetzt links abbiegen.
Wenn ich nicht schon furchtbare Kopfschmerzen gehabt hätte, dann hätte ich sie jetzt auf jeden Fall bekommen.
Ich hatte das Vergnügen die Torte und die Cupcakes für den Geburtstag der Zwillinge zu liefern, während Jeff und Cassandra die Torte, an der wir bis in die Morgenstunden gearbeitet haben, liefern und zusammenstellen mussten.
Ich war kurz davor mir, wie Mr. Bean, Zahnstocher zwischen die Augenlider zu stecken, weil ich so unsagbar müde war.
Wenigstens war ich nicht spät dran, sodass ich nicht hetzen musste. Dennoch konnte ich mir ein kleines Nickerchen nicht erlauben.
Die Torte und die Cupcakes schnell abliefern und dann so schnell wie möglich wieder weg. Das war mein Vorsatz, ob ich in die Tat umsetzen konnte, wusste ich noch nicht. Vielleicht konnte ich Jessica davon überzeugen, dass es länger gedauert hatte, während ich mich für wenigstens eine halbe Stunde aufs Ohr haute.
Sie haben Ihr Ziel erreicht.
Halleluja.
Vor dem Box-Klub, der sich unauffällig zwischen anderen hohen Gebäuden befand, konnte ich zum Glück einen freien Parkplatz finden.
Dieser kleine Triumph sorgte dafür, dass meine Laune ein wenig stieg und ich hoffentlich ein freundliches Lächeln für die Kunden zustande bringen konnte.
Ein Problem war gelöst und jetzt stand ich vor einem neuen - einem süßen mit Buttercreme gefüllten Problem, das ich alleine nicht raus bekam.
Was machte ich mir hier vor. Die Lösung zu meinem Problem befand sich - offensichtlich - in diesem Box-Klub. Irgendwer dort drinnen würde sich wohl dazu bereit erklären mir eine Hand zu leihen.
"Sind Sie von Jessica's Sweets?" Ich schreckte hoch, als ich die tiefe, männliche Stimme hinter mir hörte.
Vor mir stand ein großer, blonder Mann, der mir mit weißen Zähnen entgegen strahlte. Seine blauen Augen leuchteten mir entgegen und ich kam nicht umhin zu bemerken wie gut der Mann aussah. Er war nicht nur groß, sondern auch sehr muskulös.
"Ja."
"Ich bin John." Er streckte mir seine große Pranke entgegen und lächelte mich freundlich an.
"Amélie", stellte ich mich vor.
"Freut mich Amelie. Ich bin eigentlich hier, weil ich Ihnen helfen möchte, denke mal, dass sie meine Hilfe gebrauchen könnten."
"Das ist richtig."
"Sind Sie Französin?", fragte er.
"Ja, wieso?"
"Wegen dem Akzent. Wie auch immer, sagen Sie mir einfach was ich nehmen soll."
"Sie könnten die Torte tragen, sie ist sehr groß und schwer, also müssen Sie vorsichtig sein."
"Hier drinnen ist es ja eiskalt", bemerkte er, nachdem ich das Kühllager geöffnet hatte.
"Das muss es auch, sonst schmilzt die Buttercreme."
"Verständlich."
"Sie nehmen diesen Karton", ich zeigte auf die große rosafarbene Schachtel auf der unser Logo abgebildet war. "Und ich nehme die Cupcakes."
"Die sehen ja verdammt cool aus. Haben Sie die gemacht?", fragte John, als er die Cupcakes betrachtete, die mit viel Liebe und Geschick verziert wurden.
"Nein, Jeff, unser Marzipankünstler, hat sie gemacht", antwortete ich.
"Dieser Jeff ist echt verdammt begabt."
"Das ist er", stimmte ich zu. Die kleinen Geschenke, die Jeff aus grünem und gelbem Marzipan gezaubert hatte, sahen so süß und zu schade zum Essen aus. Man konnte erkennen welches Fingerspitzengefühl man für eine solche Kreation benötigte.
"Schade, dass die kleinen erst ein Jahr alt werden und nicht wissen was für ein Glück sie mit der Torte und den Cupcakes haben. Ich werde sie auf jeden Fall weiter engagieren und meinen Freunden davon erzählen."
"Sind es Ihre Kinder?"
"Nein, die meines besten Freundes, aber er und seine Frau verbringen so viel Zeit mit den zwei kleinen und hier mit dem Box-Klub, das ich ihnen wenigstens das abnehmen wollte. Immerhin sind es meine Patenkinder", erklärte er stolz.
Ich mochte John, obwohl ich ihn nicht kannte. Aber die Tatsache, dass er so liebevoll über seine Patenkinder sprach und die Last, eine Geburtstagsparty zu organisieren auf sich nahm, sprach für ihn.
"Yo, John! Wo soll der ganze Scheiß hin?", hörte ich eine mir unbekannte tiefe Stimme fragen.
"Martin", seufzte John. "Du weißt, dass du so nicht in der Gegenwart der Kinder reden kannst."
"Die sind ja nicht einmal hier und wenn sie es wären, dann würden sie es sowieso nicht verstehen. Ich verstehe die ganze Aufregung darum nicht", antwortete der Angesprochene.
"Außerdem ist eine Lady anwesend."
Er meinte höchstwahrscheinlich mich, denn soweit ich erkennen konnte, war ich die einzige Frau in dem Raum.
"Ich habe sie nicht übersehen, keine Angst. Wollte mich gerade vorstellen. Hi, ich bin Martin McAlister und du?"
Ich drehte meinen Körper um 180 Grad, sodass ich einem blonden Mann, der etwas kleiner als John und mich dennoch um einen Kopf überragte, gegenüber. "Amélie." Seine großen Hände waren gebräunt und rau. Es fühlte sich gut an seine raue Haut auf meiner zu spüren.
"Du bist also die kleine Fee, die die Köstlichkeiten zubereitet hat?"
"Du weißt nicht, ob sie schmecken", konterte ich.
"Wenn die auch nur halbwegs so schmecken, wie sie aussehen, dann sind es auf jeden Fall Köstlichkeiten."
"Die Dekoration ist nicht von mir."
"Ich bin mir sicher, dass sie trotzdem ganz köstlich sind", grinste er. Wahrscheinlich war er es gewohnt mit Frauen zu flirten.
Gerade in diesem Moment fiel mir ein, dass mein letztes Mal mit einem Mann schon weiter zurück lag, als ich es wahrhaben wollte.
"Dann gibt es wenigstens etwas fürs Geld", meinte ich. Ich wandte mich wieder an John, "Ich würde jetzt gehen, ich hoffe, dass Ihnen die Sachen schmecken. Wir würden uns freuen, wenn Sie uns wieder buchen."
"Natürlich, ich bringe Sie noch raus zur Tür. Ich bin mir sicher, dass die Torte und die Cupcakes, schon wegen des Designs, gut ankommen werden."
Lächelnd nickte ich und wollte mich von Martin verabschieden, als dieser mich unterbrach, "John, ich bringe die Dame zur Tür. Devin und seine Familie werden bald hier sein und die Idioten dort hinten wissen nicht was sie mit den ganzen Luftballons machen sollen."
Seufzend schüttelte John den Kopf. "Christopher und Mike sind eine Katastrophe. Es hat mich gefreut, Amélie."
"Mich auch, John."
Ich spürte eine Wärme, die sich von meinem unteren Rücken ausbreitete. Martin hatte seine Hand dort platziert und schob mich langsam in Richtung Ausgang. "Du siehst müde aus, hat dich dein Freund letzte Nacht wach gehalten?", hörte ich Martin fragen.
"Nein-" Plötzlich knallte ich gegen etwas Großes, Warmes. "Entschuldigung, ich habe Sie nicht..." Die Entschuldigung erstarb auf meine Lippen als ich aufsah und in die schwarzen Augen meines Vaters blickte. Ich wusste, dass es nicht mein Vater war, der mir gegenüber stand, aber dieser Mann sah ihm so verdammt ähnlich.
"Schon okay, ich habe auch nicht hingesehen", meinte er lächelnd und schob sich an uns vorbei.
"Was ist los?"
"Nichts, danke für's raus bringen", winkte ich ab. "Einen schönen Tag noch."
Ich musste so schnell wie möglich weg von dort. Mir war klar, dass der Mann, in den ich soeben rein gelaufen bin, mein Halbbruder war. Einer meiner Halbbrüder. Es war völlig unmöglich, dass dieser Mann meinem Vater zum Verwechseln ähnlich sah und nicht mit ihm verwandt sein konnte.
"Dancing in heels should count as a superpower."
Eine Woche war mein 'Zusammentreffen' mit dem Mann, der meinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten war, her. Seit einer Woche konnte ich ihn nicht vergessen.
Ich musste den Mann vergessen, auch wenn er mein vermeintlicher Halbbruder war. Mit dieser Familie wollte ich nichts zutun haben und ich war mir sicher, dass es Ihnen genauso erging. Mein Vater hatte genug Schaden angerichtet, sie mussten nicht auch noch daran erinnert werden.
"Amélie!" Jeffs Stimme riss mich aus meinen Gedanken.
"Ja?"
"Wo bist du denn mit deinem hübschen Kopf? Ich versuche seit zehn Minuten deine Aufmerksamkeit zu erlangen."
"Tut mir leid, ich habe nicht genug Schlaf abbekommen", entschuldigte ich mich.
"Ich auch nicht, Julio hat mich die ganze Nacht wachgehalten", meinte er mit einem dreckigen Grinsen.
"Danke, mehr muss ich nicht wissen."
"Keine Angst, ich werde dir nicht sagen, wie er mich gestern-"
"Okay", unterbrach ich ihn. "Was wolltest du vorhin von mir?"
"Ich wollte wissen, ob du heute Abend mitkommst."
"Wohin?"
"Cassandra, du und ich. Wir gehen heute Abend aus, nur wir Mädels", grinste er.
"Ich bin dabei." Nicht nur mein Halbbruder schwirrte mir seit einer Woche im Kopf herum, sondern auch ein blonder Boxer mit grünen Augen und großen, rauen Händen.
Es war an der Zeit, dass ich mich wieder von einem Mann berühren ließ. Vorzüglich von einem Nichtraucher. Französische Männer hatten die dumme Angewohnheit sich nach dem Sex eine Zigarette anzuzünden und danach mindestens dreimal den Kosenamen chérie in einem Satz anzuwenden.
"Gut, dann kannst du einen Mann abschleppen und wer weiß, vielleicht ist er ja der Richtige?"
"Jeff, ich suche niemanden für eine Beziehung."
"Das weiß ich, Schätzchen. Ich meinte auch nicht den Richtigen zum Heiraten und Kinder zu kriegen, den triffst du sowieso nicht in einem Klub, sondern den Richtigen, um da unten die Fabrik anzuwerfen und schöne Orgasmen zu produzieren."
"Eine Frau kann nur hoffen", grinste ich.
"Das ist mein Mädchen!"
Die Box, die gut versteckt in der hintersten Ecke meines Kleiderschranks versteckt war, hätte dort bleiben sollen. Wenn ich diese kleine verdammte rote Box nicht geöffnet hätte, dann würde ich mir nicht weinend Bilder meiner Familie ansehen. Alte Bilder von guten Zeiten, die schon viel zu lange zurück lagen.
Obwohl ich erst sieben Jahre alt war, als er plötzlich verschwunden ist, konnte ich mich noch an die raren, süßen Momente mit ihm erinnern. Wie er mir das Fahrrad fahren beigebracht hat, mein erster Urlaub an der Côte d'Azur und mein erster Schultag. Ich hatte so viel Angst vor meinem ersten Schultag gehabt, dass ich mich am nächsten Morgen krank gestellt hatte und mein Vater mich überzeugt hatte doch hinzugehen, indem er mir versprach, dass wir uns nach der Schule so viel Eis holen würden, bis uns schlecht wurde.
Als siebenjähriges Mädchen versteht man nicht wieso der Vater plötzlich nicht mehr da ist, um das blutende Knie zu versorgen oder die verbotenen Kekse vor dem Abendessen zu essen.
Keiner in unserer Familie hatte es verstanden. Meine Mutter dachte, dass er entführt oder schlimmer noch tot war. Sie hatte ihn als vermisst gemeldet und drei Monate lang nicht geredet. Mit niemandem. Meine Tante Adèle hat sich um Yves und mich gekümmert, ich war mehr als nur am Boden zerstört, als sie drei Jahre später bei einem Autounfall ums Leben kam.
Neun Jahre später taucht ein Kommissar vor unserer Tür auf und versucht meiner weinenden Mutter zu erklären, dass mein Vater ein verdammter Betrüger ist.
"Madame, ihr Ehemann war nicht der, der er vorgab zu sein. Ich muss Ihnen auch leider sagen, dass Ihre Ehe nicht rechtsgültig ist, weil ihr Mann vor Ihnen eine andere Frau in den Vereinigten Staaten geheiratet hat und er zusätzlich zu seinen anderen Straftaten, der Polygamie bezichtigt wird."
Die Schultern meiner Mutter zitterten und mein mein Bruder versuchte sie zu beruhigen. Bevor ich weiter hören konnte, was der Mann zu sagen hatte, rannte ich aus der Wohnung.
Zwei Tage später fand Yves unsere Mutter. Sie hatte sich mit dem Kleid, das ihr unser Vater an ihrem ersten Hochzeitstag geschenkt hatte, erhängt. Die leuchtend rote Seide war ihr Lieblingsstück in ihrem Schrank gewesen.
Heute Abend würde ich das engste und kürzeste Kleid anziehen, das ich besaß. Mein Hirn wird vor lauter Alkohol benebelt sein und meine Füße werden mir von den hohen High Heels abfallen wollen.
Die Hauptsache war, dass ich für einen kurzen Moment alles vergessen konnte.
Der Boden, mein Körper und alles um mich herum vibrierte. Die laute Musik, das flackernde Licht würde mich stören, wenn sich nicht schon ein paar Shots Tequila in meinem Kreislauf befinden würden. Mir war unendlich heiß und am liebsten hätte ich mein Kleid auseinander gerissen und meine Schuhe hinter her geworfen, aber so betrunken war ich noch nicht.
Cassandra war schon vor einer Stunde nach Hause zu ihrem Freund gegangen, während Jeff mit mir tanzte.
Er war wohl möglich der einzige Mann in diesem Raum, der keinen Ständer bekam, wenn sich eine Frau so an ihm rieb, wie ich an ihm. Wir tanzten mit dem Rhythmus - mal schneller, mal langsamer.
"Süße, ich kann nicht mehr", brüllte Jeff mir ins Ohr. "Ich hol' mir was zum Trinken."
Nickend gab ich ihm zu verstehen, dass ich ihn verstanden hatte.
Es dauerte nicht lange, bis sich ein anderer warmer Körper an mir rieb. Große Hände legten sich auf meine Hüften und drückten mich gegen einen harten Körper. Vielleicht war ja er derjenige, der meine Fabrik anwerfen würde.
"Ich dachte nicht, dass ich dich hier wieder sehen würde." Diese Stimme kam mir so bekannt vor, aber mein benebeltes Hirn konnte sie niemandem zuordnen.
"Sex with an ex. Same as if you shower and wear your dirty underwear again."
Mein brummender Schädel war nicht das erste, das ich registrierte, als ich am nächsten Morgen aufwachte. Es war eher die Tatsache, dass ich keinen blassen Schimmer hatte wo ich war.
Meine Umgebung war mir fremd.
Das Bett in dem ich lag, war viel weicher als meines. Und ganz bestimmt roch es nicht nach Aftershave, Rauch und Sex.
Dank des Alkohols, den ich gestern in großen Mengen zu mir genommen hatte, konnte ich mich an nichts mehr erinnern. Weder wer der Typ in dessen Bett ich lag war, noch, ob er meine Fabrik gestern anwerfen konnte.
Mit viel Glück schlief er noch und ich konnte mich einfach davon schleichen. Das würde keinem von uns beiden weh tun.
"Morgen", murmelte mir eine tiefe Stimme ins Ohr. Im nächsten Moment lag ein schwerer Arm um meine Hüfte und mein Hals wurde mit Küssen bedeckt.
"M-Morgen." Ich versuchte mich aus dem Griff zu lösen, ohne Erfolg.
"Was ist? Musst du schon gehen?"
"Ja, ähm, ich muss zur Arbeit. Meine Chefin wird verdammt wütend sein auf mich."
"Kannst du dir nicht frei nehmen?", fragte er. Der Mann, dessen Stimme mir bekannt vorkam und an den ich mich dennoch nicht erinnern konnte.
"Nein, das geht nicht. Wir haben viel zu tun, Jeff und Cassandra schaffen das nicht ohne mich."
Als er seine Arme neben meinem Kopf auf stämmte und über mich gebeugt war konnte ich sein Gesicht sehen. Lars Nilson strahlte mir mit seinen blauen Augen und seinen weißen Zähnen entgegen.
Das letzte Mal hatte ich ihn vor zwei Jahren gesehen, als er als Austauschstudent aus Schweden in Paris war. Er hatte sich jeden Tag um die gleiche Uhrzeit eine Apfeltasche aus unserer Bäckerei geholt. Nach sechs Monaten hat er mich nach meiner Telefonnummer gefragt und wir sind ausgegangen. Für ungefähr fünf Monate waren wir in einer Beziehung, bevor er zurück nach Schweden musste und wir waren beide der Meinung, dass eine Fernbeziehung keine Option für uns wäre. Es hat weh getan, als eine weitere Konstante in meinem Leben futsch war.
"Bist du dir sicher? Ich könnte es deine Zeit wert machen", grinste er.
"Das glaube ich dir gerne, Lars, aber ich muss jetzt wirklich gehen." Hoffentlich konnte er mir nicht ansehen, dass ich bis vor ein paar Sekunden nicht gewusst hatte, wer da neben mir gelegen ist.
"Wenn es denn sein muss." Mit einem schwere Seufzen ließ er sich auf seinen Rücken fallen und fragte, "Wann kann ich dich wieder sehen?"
"Ich weiß es nicht, Lars. Es gibt so viel zu tun zur Zeit. Viele Leute heiraten, haben Geburtstag, lassen ihre Kinder taufen oder einfach nur Lust auf eine Torte." Ich wollte ihm nicht sagen, dass aus uns beiden nichts werden konnte. Was gestern passiert ist, war ein Fehler, der nur gemacht wurde, weil ich unter dem Einfluss von Alkohol war.
"Du bist hier her, nach Amerika gekommen, um weiterhin Torten zu backen?"
Seine Stimme klang herablassend. "Was soll das heißen, um weiterhin Torten zu backen? Ich backe Torten, weil ich es liebe. Es ist meine Passion. Lars, was gestern passiert ist, war ein Fehler, okay? Einer, der nicht wieder vorkommen wird, verstanden? Es war schön dich wieder zu sehen und ich denke mal, dass diese Stadt groß genug ist, um sich aus dem Weg zu gehen, findest du nicht? "
"Ich werde nicht in San Francisco bleiben", fing er an. "Am Freitag muss ich zurück nach Stockholm. Mein Vater braucht Hilfe im Unternehmen."
"Dann wünsche ich dir noch viel Spaß in San Francisco und ein schönes Leben noch, Lars."
"Da kommt sie! Die Männermordende Killer-Braut!"
Verwundert sah ich Jeff an, der vor meiner Haustür wartete. Ich hatte eine fünfzehn Minuten mit dem Taxi gebraucht, um nach Hause zu kommen. Es war erst kurz nach acht, was tat er so früh hier?
"Wovon redest du?"
"Na von dir, Dummerchen! Ich wusste gar nicht, dass das in dir steckt", grinste er.
"Was soll in mir stecken?"
"Dieses...dieses Schlampen-Benehmen. Du hast gestern mit drei Typen rum gemacht, bevor du mit dem heißen Schweden abgehauen bist. Sex mit dem Ex, du böses Mädchen."
"Jeff, ich war so am Arsch, als ich aufgewacht bin. Ich wusste nicht wer da neben mir lag, geschweige denn wo ich war."
Lachend meinte er, "Das hast du davon, wenn du dich so zuschüttest und mit irgendeinem Typen nach Hause gehst."
"Wieso hast du mich denn nicht daran gehindert? Ich dachte, dass das dein Job ist. Immerhin bist du mein bester Freund!"
"Natürlich ist das mein Job, aber ich kann doch auch nichts dafür, wenn du mich anbrüllst und mir drohst, wenn ich dir deinen - und ich zitierte - besten Sex, den du bisher hattest, wegnehme, dann werde ich mir dir schlafen müssen, weil du gerade so geil bist, dass du dich wie eine Hündin in Hitze fühlst."
"Das habe ich gesagt?", flüsterte ich beschämt.
Ich sollte die Finger lassen von Alkohol und Klubs.
"Und viel mehr!", kicherte er. "Komm, beste Freundin. Wir werden jetzt einen Kaffee trinken und Frühstücken, während ich dir von gestern Nacht und deinen Eskapaden erzähle. Eine tolle Geschichte für Enkelkinder, wenn sie Drogensüchtig werden möchten. Du kannst dir sicher sein, dass sie danach nichts illegales mehr machen."
Den Rest meines freien Tages verbrachte ich damit die gestrige Nacht und den darauf folgenden Morgen zu vergessen.
Mein blaues Kleid, das ich getragen hatte, landete im Müll. Zusammen mit den Killer-Absätzen, denen ich drei Blasen und schmerzende Füße zu verdanken hatte.
Wenn man für Schönheit leiden musste, dann blieb ich lieber ich so wie ich war. Die Schmerzen sind es sowieso nicht wert.
„Good friends are like stars. You don’t always see them, but you know they’re always there!“
Hätte ich es nicht besser gewusst, dann würde ich sagen, dass Casandra mir aus dem Weg ging. Ich verstand nur nicht warum.
Ist am Samstag mehr passiert als ich dachte? Habe ich etwas Schlimmes gemacht, an das ich mich nicht mehr erinnern konnte?
Jeff war genauso schlau wie ich, obwohl Cassandra ihm zwar per se nicht aus dem Weg zu gehen schien, wechselte sie nicht mehr Worte als notwendig waren. Sie schien überhaupt psychisch nicht ganz anwesend zu sein. Den Teig mischte sie mechanisch – wie eine Maschine.
Jedes Mal, wenn ich nachfragen wollte, was mit ihr los war, kam etwas dazwischen. Entweder sie ging in die andere Richtung oder eine von uns beiden musste Kunden bedienen, weil wir zurzeit keine Bestellungen hatten, die fertig gemacht werden mussten.
„Ihr könnt jetzt beide Mittagspause machen, wenn ihr wollt. Es ist nicht viel los, ich schaffe das schon alleine“, überraschte mich Cassandra gegen zwei Uhr, als sie uns direkt ansprach.
„Willst du denn keine Pause machen?“, wollte ich wissen.
„Nein, ähm, ich wollte heute eigentlich eine Stunde früher gehen, wenn das kein Problem ist.“
„Oh, aber du kannst doch trotzdem Pause machen, aufräumen können Jeff und ich sowieso alleine.“
Wenn ich Cassandra nicht praktisch gezwungen hätte, mit Jeff mitzugehen, um Mittagspause zu machen, dann wäre sie wahrscheinlich nie gegangen.
Dann würde ich aber auch nicht in die grauen Augen von Martin McAlister sehen und versuchen einen Grund zu finden, um nicht mit ihm auszugehen.
Nein. Ich würde mir jetzt keinen Grund suchen, um diesem gut aussehenden Mann abzusagen. Seitdem ich in den Staaten war, hatte ich mein Leben verändert und damit würde ich jetzt nicht aufhören, weil ich kurzen Kontakt mit der Vergangenheit hatte. Lars würde sich nie ändern, zumindest nicht für mich.
„Also, was sagst du? Du und ich. Kerzenschein, ein Abendessen und noch viel mehr romantische Sachen…“
Grinsend sagte ich zu und fragte, „Weißt du denn schon, was wir machen werden?“
„Ich habe keine Ahnung, aber du wirst nicht enttäuscht sein!“
„Bist du sicher?“
„Ja“, meinte er selbstsicher. „Wann hast du Zeit?“
„Am Samstag.“
„Erst? Tut mir leid, aber so lange kann ich nicht warten.“
Vielleicht hatte ich mich auch in Martin McAlister geirrt.
„Deshalb werde ich dich einfach damit überraschen“, warf er ein. „Aber es wird auf jeden Fall vor Samstag sein.“
„Also werde ich darauf vorbereitet sein, dass du jederzeit aus dem Nichts springst und mich entführst.“
„Das klingt gruselig, aber ja“, lachte er. Schneller als ich es registrieren konnte hatte er sich über die Theke gebeugt und mir einen Kuss auf die Wange gedrückt. Die Stelle, die er mit seinen Lippen berührt hatte, prickelte angenehm.
Das Klingeln der Tür ertönte, als er die Bäckerei verließ und erneut, als Jeff eintrat.
„Oh la la, wer war den der heiße Feger?“, wollte er wissen, während er Martin immer noch hinterher sah.
„Das war Martin, ich werde mit ihm ausgehen.“
„Wann?“, fragte er Augenbrauen wackelnd.
„Das weiß ich noch nicht.“
„Wie meinst du das?“
„Wo ist Cassandra?“, wollte ich verwirrt von ihm wissen. War sie nicht mit ihm zusammen in die Pause gegangen?
„Sie kommt gleich, aber ich muss dir sagen, dass sie sich richtig komisch verhalten hat. Wir haben in unangenehmer Stille gegessen. Nicht in angenehmer wir-kennen-uns-und-müssen-nicht-miteinander reden-um-das-Eis-zu-brechen Stille.“
„Das ist mir auch schon aufgefallen, sie war den ganzen Tag schon so ruhig und hat nicht mehr als nötig mit uns gesprochen.“
„Vielleicht haben Nicholas und sie gerade Streit und sie ist deshalb so ruhig?“
„Glaubst du?“, fragte ich zweifelnd nach.
„Es kann doch sein. Die beiden sind schon seit drei Jahren zusammen und er hat sie immer noch nicht gefragt, ob sie ihn heiraten will.“
„Die beiden sind doch noch so jung und müssen noch nicht heiraten.“
„Das kann schon sein, aber drei Jahre sind drei Jahre.“
„Nein, Jeff, es geht nicht darum, dass mir mein Freund keinen Heiratsantrag machen möchte. Er will sich eine Auszeit nehmen, damit er durch die Gegen ficken kann, weil ihm die Sache mit uns beiden zu ernst wird“, hörte ich Cassandras Stimme plötzlich durch die Bäckerei hallen. Wir waren beide wohl so in unser Gespräch vertieft gewesen, dass wir nicht mitbekommen haben, dass Cassandra wieder zurück war.
Es war schlimm genug, dass wir hinter ihrem Rücken über sie geredet haben, aber dabei erwischt zu werden sorgte dafür, dass ich mich richtig schuldig fühlte.
„Oh, dieser Wixer!“, rief Jeff wütend. „Eine Auszeit? Nach drei Jahren? Ich kann dir sagen, wenn Julio den Scheiß abziehen würde, dann würde ich nicht zögern und mich an den nächsten Typen ran zuwerfen und ihm das Hirn aus dem Schädel fi-“
„Jeff!“, unterbrach ich ihn. Gerade als Jeff den vulgären Ausdruck für Geschlechtsverkehr laut aussprechen wollte, betrat eine junge Frau mit einem kleinen Jungen , der wahrscheinlich ihr Sohn war, die Bäckerei.
„Was denn? Wir wissen, dass es nur die Wahrheit ist!“
„Halt den Rand“, zischte ich. Wenigstens konnten wir Cassandra ein Lächeln auf die Lippen zaubern.
„Bonjour. Willkommen bei ‚Jessica’s Sweets‘! Wissen Sie schon was Sie möchten?“, fragte ich mit einer Stimme, die nur für Kunden reserviert war.
„Hallo, wir hätten gerne vier Bagels, drei Donuts und einen Cupcake.“
„Kommt sofort“, lächelte ich die Dame an. „Leute, könntet ihr mir bitte helfen?“
Die beiden machten sich sofort an die Arbeit. Während Cassandra abkassierte, packten Jeff und ich das Gebäck in Papiertüten.
„Also, Mädels! Wie wäre es, wenn wir heute Abend ausgehen? Etwas trinken gehen?“
Ich wusste, dass er das vorschlug, weil er Cassandra von Nicholas ablenken wollte.
„Ich weiß nicht, Jeff“, meinte Cassandra.
„Komm schon, wir müssen nicht ausgehen, wir können auch zu mir fahren. Julio sperre ich einfach ins Zimmer ein, damit wir unsere Ruhe haben.“
„Lieber nicht, eigentlich möchte ich nur noch Nachhause und mich ausruhen. Es war eine kurze Nacht.“
„Na gut“, seufzte Jeff und sah mich danach fragend an. „Wie sieht es mit dir aus?“
„Nein, danke“, lehnte ich ab. „Außerdem redest von unserem Feierabend, als ob wir nicht noch alles aufräumen müssten.“
„Du bist so eine Spielverderberin.“
Schneller als ich es wahrhaben konnte war Samstag und mein Date mit Martin stand bevor. Die ganze Woche über hatte ich darüber nachgedacht, was ich anziehen wollte, doch kein einziges Outfit, das ich gedanklich zusammengestellt hatte, gefiel mir richtig. Es war zum Verzweifeln. Zumal ich mich nicht einmal mehr erinnern konnte, wann ich das letzte Mal so aufgeregt war vor einem Date.
Froh darüber, dass ich samstags frei hatte und mich voll und ganz auf heute Abend konzentrieren konnte. Bei näherer Betrachtung fiel mir auf, dass viel zu tun war und ein Besuch beim Frisör fällig wäre und meine Augenbrauen mussten gezupft werden.
Das Klingeln an meiner Haustür riss mich aus meinen Gedanken und ich sah verwundert durch den Spion und entdeckte Jeff und Cassandra.
„Was macht ihr denn hier?“, fragte ich verwirrt.
„Wir wissen doch, dass heute dein Date mit Martin ist und wir wollten dir helfen“, erklärte Jeff gutgelaunt und drängte sich an mir vorbei in die Wohnung.
„Und deshalb gönnen wir uns heute einen Wellnesstag“, sagte Cassandra. Leider war sie noch immer sehr traurig über die Tatsache, dass Nicholas eine Pause von ihrer Beziehung wollte, obwohl sie es gerne überspielen wollte. Aber ich konnte sie verstehen, nach drei Jahren Beziehung zu hören, dass der Freund eine „Auszeit“ wollte, war hart.
„Ja, ich habe uns einen Termin bei Hair 4 You gemacht. Nicht zu teuer, aber der Service ist spitze“, benachrichtige Jeff uns von seinen Plänen für uns. „Aber wir sollten jetzt los, Mädels, immerhin müssen wir noch shoppen gehen!“
„Woher weißt du, dass ich noch etwas kaufen muss?“
„Bitte“, spottete er. „Nichts, das du in deinem Kleiderschrank hast, ist passend für heute Abend.“
Obwohl er recht hatte, war ich ein wenig gekränkt. Ich war nicht komplett unfähig ein Outfit zusammenzustellen oder für mich selbst einkaufen zu gehen.
Erstarrt sah ich mein Spiegelbild an. Meine dunklen Haare glänzten, nachdem die Frisörin sie glatt geföhnt und ein gutduftendes Öl in die Spitzen gerieben hatte. Meine Haut glänzte dank der Bodylotion, die ich nach süßen Früchten duftete und meine Augen strahlten mir groß und perfekt geschminkt entgegen. Die Augenringe, die sich noch vor einer Stunde dunkel und tief unter meinen Augen befunden hatten, waren wie weggezaubert. Gott sei Dank.
Jeff hatte mich heute während dem Einkaufen fast in den Wahnsinn getrieben und ich war kurz davor das Date einfach abzusagen, weil er einfach nicht zufriedenzustellen war. Aber jetzt, da ich mich selbst sah, war ich froh, dass er so schwer zu überzeugen war. Das weiße Kleid, das unschuldig und sexy zugleich aussah, umschmeichelte meine Kurven und ich wusste, dass die einhundert Dollar eine gute Investition gewesen sind.
„Du siehst verdammt gut aus“, grinste Cassandra und stemmte ihre Hände in die Hüften. Zum ersten Mal konnte ich zu einhundert Prozent zustimmen, denn ich sah heute wirklich gut aus.
„Merci, das habe ich nur euch zwei zu verdanken.“ Ich schlang meine Arme um die Schultern meiner besten Freunde und drückte sie fest an mich.
„Und du dankst uns lieber damit, dass du dein erstes Kind nach uns benennst“, erwiderte Jeff und Cassandra meinte: „Ich möchte die erste Brautjungfer werden, wenn du heiratest!“
„Ich bin leider raus. Ich bin zwar schwul, aber nicht so schwul, dass ich ein Kleid tragen würde“, feixte Jeff und brachte Cassandra und mich zum Lachen.
Bevor ich mich noch einmal bei den beiden bedanken konnte ertönte ein schrilles Klingeln, das wahrscheinlich Martins Ankunft ankündigen sollte.
„Das muss er sein, los!“, sagte Cassandra und schob mich Richtung Ausgang.
Die ungewöhnlich hohen Schuhe veranlassten mich dazu langsamer als sonst zu gehen, weil ich Angst hatte auf mein Gesicht zu fallen.
Er trug ein weißes Hemd, dessen Ärmel er bis zu den Ellbogen hochgekrempelt hatte. Die Bluejeans saß so tief auf seinen Hüften, dass sie sicher herunterrutschen würden, wenn er seine Hände in seine Hosentaschen vergraben hätte.
„Du siehst wunderschön aus“, hörte ich Martin sag und ich wusste, dass ich rot geworden bin.
„Dankeschön.“
Martin hatte mich in ein kleines, romantisches Restaurant gebracht, in das ich mich augenblicklich verliebt hatte. Es waren nicht mehr als dreißig Gäste hier und der einzig freie Tisch befand sich neben uns. Wenn wir Glück hatten, dann würde er auch leer bleiben.
„Gefällt es dir?“
Die Kerze, die zwischen uns brannte, verlieh seinen markanten Gesichtszügen noch mehr Definition.
„Oui, c’est très belle.“
Verlegen grinste er mich an, bevor er sagte: „Tut mir leid, aber ich kann leider überhaupt kein Französisch.“
Lächelnd übersetzte ich für ihn. „Ja, es ist sehr schön.“
„Gut, das ist gut“, antwortete er. Martin schien mir nicht der Typ zu sein, der nervös war während eines Dates, doch es ließ mich nur noch mehr für ihn schwärmen.
„Ich werde mich bemühen von nun an nur noch Englisch zu sprechen.“
„Musst du nicht, ich steh‘ auf deinen Akzent und wenn du Französisch sprichst.“
Und schon wieder glühten meine Wangen. Seine Augen glühten förmlich, als er sie über mein Gesicht wandern ließ. Verschwunden war die Nervosität von vorhin.
Ich spürte wie sich meine Zähne in meine Unterlippe gruben, an der Martins Augen stehen blieben. Gefährliches Terrain.
Als ich seine Aufmerksamkeit auf ein Gespräch lenken konnte, das ungefährlich für uns beide war, zog das Pärchen, das sich neben uns auf den freien Tisch setzen wollte, meine Aufmerksamkeit auf sich. Die Frau hatte schöne lange, dunkelbraune Haare, die in großen Wellen auf über ihren Schultern lagen. Das schwarze, knielange Kleid umschrieb ihre Kurven, wie es ein richtiges Klein tun sollte. Ihr Gesicht hatte ich noch nicht gesehen, aber ich war mir sicher, dass sie sehr hübsch war. Was mich schockierte war ihr Begleiter. Es war der Mann aus dem Box-Klub, der wie eine jüngere Version meines Vaters aussah.
Das Date, das so gut angefangen hatte, schien in einer Katastrophe enden zu wollen.
„Fear is an idea-crippling, experience-crushing, success-stalling inhibitor inflicted only by yourself.“ – Stephanie Melish
„Martin?“
Überrascht sah mein Date auf und ein breites Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Devin, was macht ihr denn hier?“
„John passt auf die Kinder auf, damit wir uns einen schönen Abend machen können“, antwortete der große Mann.
„Oh, ‚tschuldigung. Devin, Fera, diese wunderhübsche Lady ist Amélie. Sie hat die Torte und die Cupcakes für den Geburtstag der Kleinen gemacht. Amélie, das sind Devin und Fera. Devin gehört der Box-Klub, in dem wir uns zum ersten Mal gesehen haben.“
„Freut mich Sie kennen zu lernen.“ Zuerst schüttelte ich die Hand der jungen Frau und mein Herz schlug schneller, als ich diese los ließ, damit ich die Hand des Mannes schütteln konnte. Wenn ich freundlich sein wollte, dann müsste ich ihm in die Augen sehen, aber das wollte ich nicht. Kalter Schweiß bildete sich langsam auf meiner Stirn und ich wusste nicht, was ich tun sollte, um dieses Aufeinandertreffen unserer Augen, zu verhindern.
„Darf ich Ihre Bestellungen aufnehmen?“ Die Stimme unseres Kellners klang wie Engelsgesang in diesem Moment für mich.
„Natürlich, was möchtest du trinken?“
„Haben Sie einen süßen Wein?“, fragte ich den Kellner.
„Natürlich. Rot oder weiß?“
„Überraschen Sie mich.“
Nickend meinte er, „Und Sie, Sir?“
„Einen Gin Tonic, bitte.“
Während unser Kellner sich auf den Weg machte, um unsere Bestellungen aufzugeben, bestellte das Paar neben uns bei einem anderen Kellner.
Ich atmete tief durch und konzentrierte mich darauf meinen Herzschlag wieder zu beruhigen.
„Hat John dir keinen Alkoholverbot aufgetischt?“, hörte ich Devin sagen.
„Verhalte dich einfach als ob wir uns nicht kennen würden, Devin“, meinte Martin ruhig. „Und ruinier mir das Date mit der Lady nicht.“
„Er hat recht, Dev“, hörte ich die Frau des Box-Klub-Besitzers sagen. „Du bist für die nächsten Stunden für niemanden als mich zuständig. Verstanden?“
Der Mann sah seine Frau verliebt an. „Alles was du willst, Liebling.“
„Also, Aélie, seit wann wohnst du hier in San Francisco?“
„Seit ungefähr drei Monaten. Und du? Bist du hier geboren worden?“
„Nein.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich komme ursprünglich aus New York, aber wir sind hierher gezogen, als ich fünfzehn war. Wo hast du früher in Frankreich gelebt?“
„In Paris“, grinste ich. „Aber ich wollte einen Neuanfang wagen, weil ich in meinem Leben Frankreich nicht verlassen habe.“
„Und da hast du aufs Ganze gesetzt?“, fragte er verwundert.
Nickend bestätige ich seine Frage, „Alles oder nichts.“
„Das gefällt mir“, grinste er und beugte sich nach vorne während er seine Ellbogen auf dem Tisch abstützte. Ich sah in seine grünen Augen und bemerkte, dass sich seine Pupillen weiteten. Als ob eine besondere Magie in der Luft und eine magnetisierende Elektrizität zwischen uns wäre.
Der intensive Moment wurde durch den Kellner, der uns unsere Getränke brachte, unterbrochen.
„Wissen Sie schon was Sie essen möchten?“, fragte er.
„Was auch immer die Lady möchte“, wies Martin an.
„Ich hätte gerne Pasta del Mare und eine Flasche Mineralwasser.“
„Gute Wahl, Ma’am. Und für Sie, Sir?“
„Ein T-Bone Steak mit Petersilkartoffeln und bringen Sie bitte eine große Flasche Mineralwasser mit zwei Gläsern.“
„Kommt sofort, Sir.“
„Hast du irgendwelche Geschwister?“
„Einen Bruder“, antwortete ich knapp. Wir begaben uns auf gefährliche Terrain, das ich eigentlich beim ersten Date zu vermeiden mochte. „Aber wir verstehen uns nicht sonderlich gut, seit dem Tot meiner Mutter. Und du?“
„Das tut mir Leid.“
„Schon in Ordnung“, lächelte ich und meinte es auch so. Er konnte nichts dafür, dass Yves mich nicht ausstehen konnte. „Erzähl mir etwas von deiner Familie.“
„Ich habe zwei kleine Schwestern. Kleine Nervensägen und totale Chaotinnen“, grinste er und man merkte, dass es ihm nichts ausmachte.
„Wie alt sind sie denn?“
„Sie sind dreizehn und heißen Lora und Nora. Ich weiß, nicht sehr einfallsreich, aber Hank, der Vater der beiden wollte es unbedingt so und meine Mutter konnte nicht nein sagen. Die beiden stammen aus der zweiten Ehe meiner Mutter.“
„Oh, okay, was ist mit deinem Vater?“
„Er ist einen Monat nach meiner Geburt bei einem Autounfall gestorben.“
„Das tut mir leid.“
„Muss es nicht, Hank war ein guter Vaterersatz. Er hat sich immer bemüht und mich immer wie seinen eigenen Sohn behandelt, das tut er immer noch. Viele haben es schlechter als ich.“ Seine Stimme hörte sich mitfühlend an. „Manche haben einen Vater, der sich nicht wie einer benimmt.“
Ich schluckte hart. Ihm war wahrscheinlich gar nicht klar, wie sehr er ins Schwarze mit seinen Worten getroffen hatte.
Als der Kellner das Essen brachte wusste ich nicht, wie ich einen Bissen runter bringen sollte, ohne mich übergeben zu müssen.
„It is a risk to love. What if it doesn't work out? Ah, but what if it does?" – Peter McWilliams
„Es war wirklich schön heute Abend." Martin und ich standen vor meiner Haustür und verabschiedeten uns voneinander.
„Das finde ich auch. Ich würde mich freuen, wenn wir das wiederholen könnten", meinte er und das Grün seiner Augen schien im fahlen Licht der Straßenlaternen zu strahlen. „Wie sieht es bei dir am Samstag aus?"
„Samstag würde gehen. Kannst du mir sagen wohin es gehen soll oder ist es wieder ein Geheimnis?", wollte ich von ihm wissen.
„Vorerst wird es ein Geheimnis bleiben müssen, denn ich weiß selber noch nicht wohin genau es gehen soll, aber ich habe schon eine Idee", grinste er. „Was ich aber noch dringend bräuchte ist deine Nummer, denn irgendwie sind wir noch nicht dazu gekommen unsere Nummern auszutauschen."
Nach dem Austauschen unserer Nummern standen wir uns gegenüber und ich hatte das Gefühl, dass er genauso wenig wusste, was er jetzt tun sollte, wie ich.
Es war schon eine Weile her seitdem ich das letzte Mal auf einem Date war, aber ich wusste, dass ein Gute-Nacht-Kuss angebracht war. Nicht mehr und nicht weniger, denn wen ich Martin und mir eine Chance geben wollte, dann mussten wir die Sache langsam angehen lassen.
„Du möchtest mich nicht zufällig auf einen Kaffee nach oben einladen?", fragte er grinsend.
„Ich muss morgen früh aufstehen und da wäre eine Tasse Kaffee zu dieser Zeit nicht sehr von Vorteil."
„Ich sehe. Heute komme ich wohl nicht mehr hoch, aber das macht nichts, dann muss ich mich eben hier schon verabschieden."
Es geschah wie in Zeitlupe. Seine große, raue Hand legte sich zärtlich um meinen Nacken, um mich näher an ihn ziehen zu können, während meine Hand sich wie von selbst auf seiner starken Brust platzierte. Die zweite Hand fand ihren Weg zu meiner Hüfte, an der er meinen Körper an seinen zog, während meine andere Hand die kleine Handtasche festhielt, damit sie nicht mit dem kalten Boden Bekanntschaft machen musste. Seine rauen Lippen lagen unerbittlich und doch weich auf meinen.
Funken. Ein Feuerwerk. Eine Explosion.
Als seine heiße Zunge über meine kalte Unterlippe fuhr schnappte ich nach Luft, weil mich das Gefühl der Hitze übermannte. Es war wunderschön und leidenschaftlich. Es war diese Art von Kuss, auf dessen Suche man sich befand, denn nichts schien vergleichbar damit zu sein. Man erhoffte sich mehr, viel mehr. Und dabei versprach der Kuss so viel und es war egal, ob es passieren oder nicht würde.
Wichtig war der Moment, den man genießen konnte.
Sein Griff um meine Hüfte verstärkte sich, sodass ich eine Sekunde später förmlich an seiner Brust klebte. Meine Hände blieben nicht untätig. Meine Hand führ von seiner Brust rauf über seinen breiten Nacken zu seinem blonden Haar, das ich ergriff. Es kam einem Wunder gleich, dass ich die Clutch nicht fallen ließen, als ich meine zweite Hand dazu nutzte um mich an seiner Schulter festzuhalten.
Die Schuhe, die ich trug waren hoch, aber nicht hoch genug. Deshalb stand ich auf Zehenspitzen, während sich seine Lippen gegen meine bewegten und unsere Zungen einen Kampf ausfochten, den sie weder gewinnen noch verlieren konnten.
Ein lautes Johlen brachte uns dazu auseinander zufahren und einander los zu lassen. Ich traute mich nicht ihm in die Augen zu sehen, als ein paar Jugendliche von der anderen Straßenseite „Nimm die Kleine richtig ran, Alter", riefen.
Martin antwortete nicht, aber ich konnte seinen Blick auf mir spüren. Brennend heiß.
„Das war heiß", flüsterte er und ich konnte spüren wie sich ein breites Grinsen auf meinen Lippen ausbreitete.
„Das war es", stimmte ich ihm zu.
„Du solltest jetzt wahrscheinlich rauf gehen, weil ich das hier eigentlich langsam angehen möchte, aber ich bin auch nur ein Mann." Mein Höschen war kurz davor komplett durchnässt zu werden.
Mit einem schnellen letzten Kuss auf seine Wange rannte ich – so schnell es mir möglich war – zu meiner Haustür, um sie aufzuschließen.
***
Schon seit einer halben Stunde versuchte ich einzuschlafen, aber es war einfach nicht möglich.
Ständig musste ich an den Kuss von heute Nacht denken und verglich ihn mit anderen, die nicht einmal in die Nähe davon kommen würden.
Zusätzlich zu dem heißen, brennenden Gefühl in meiner unteren Bauchgegend kamen meine Selbstzweifel und Ausschnitte aus meiner Vergangenheit, die ich zu vergessen versuchte. Yves' Stimme erklang in meinem Kopf und versuchte mir einzureden, dass Martin mich sowieso wieder verstoßen würde, wenn er mich kennen würde. Wenn er wüsste, dass ich schuld am Tod meiner Mutter war.
Ich vergrub meinen Kopf in mein Kissen und versuchte die Stimme auszublenden.
Die Tablette, die sich auf meinem Nachtkästchen befand, war so verlockend, doch ich wollte nur einmal, eine Nacht, ohne sie schlafen. Der Abend hatte so schön angefangen, wieso musste er nur so schrecklich enden?
In diesem Moment wünschte ich, dass ich Martin rauf gebeten hätte. Er hätte mich ablenken können, auch wenn nur für eine kleine Weile.
Das kalte Wasser nach der Tablette hatte eine beruhigende Wirkung auf mich. Aus welchem Grund auch immer.
„You can always find a distraction if you're looking for one. " - Tom Kite
Der hinabprasselnde Regen hatte eine beruhigende Wirkung auf mich, während ich die Geburtstagstorte für eine bald siebzigjährige Frau verzierte.
Ich war froh, dass ich eine Ablenkung von meinen Gedanken finden konnte, die andauernd zu Martin sprangen. Besser gesagt zu unserem Kuss von gestern Abend. Eigentlich wollte ich mir keine Gedanken darüber machen, dass er noch nicht angerufen hatte, aber ich tat es dennoch. Mit der Aussage, dass erst vierzehn Stunden seit unserem Date vergangen waren und er gerade bei der Arbeit war und noch anrufen würde. Ich kam mir wie eine anhängliche Freundin vor, dabei waren wir nicht einmal in einer Beziehung.
„Hey, Amélie." Martins Stimme schreckte mich aus meinen Gedanken.
„He-ey", stotterte ich und versuchte mir nicht durch meine unordentlichen Haare zu fahren. „Was tust du hier?"
„Ich wollte dich zum Mittagessen einladen und ich habe dich vermisst." Er schenkte mir ein verlegenes Lächeln, das ich erwiderte.
„Wir haben uns vor ein paar Stunden das letzte Mal gesehen."
„Lange, schmerzhaft einsame Stunden", meinte er theatralisch. „Wie ich erkennen kann, waren sie für dich nicht halb so schlimm, wie für mich."
Wenn er wüsste, wie sehr ich diese Nacht gelitten hatte.
„Also, wo sollen wir essen gehen?"
„Wohin auch immer die Dame möchte."
„Keine Überraschung?", wollte ich belustigt wissen.
„Nein, dieses Mal nicht. Du darfst aussuchen, ausnahmsweise. Du muss wissen, dass ich sehr herrischen bin, in allen Aspekten meines Lebens."
Es war eine sexuelle Anspielung, so viel hatte ich verstanden. Und ich wusste, dass sich meine Wangen in ein zartes Rot verfärbt hatten.
„Ich hätte Lust auf Chinesisch."
„Ente süß-sauer klingt wie ein Traum", stimmte er mir zu. „Ein paar Frühlingsrollen und gebratener Reis. Lass uns gehen."
„Ich werde meine Tasche und meine Jacke holen, dann können wir auch schon gehen."
Wenn ich ehrlich war, dann hatte ich gar nicht bemerkt, dass ich Hunger hatte, noch dass es bereits Zeit für das Mittagessen war.
Die Ente, das gebackene Huhn, der gebratene Reis und die Frühlingsrollen waren ein Traum. Ich wusste nicht, wie ich mich wieder bewegen sollte, denn mein Magen war so voll, dass ich mich nicht mehr bewegen wollte. Geschweige denn konnte.
Am liebsten hätte ich den Knopf meiner Jeans geöffnet, mich nach hinten gelehnt und vielleicht ein kleines Nickerchen gemacht. Leider musste ich wieder zurück in die Konditorei, um die Geburtstagstorte fertig zu machen.
„Es war wirklich gut", seufzte Martin. „John, mein Coach, wir mich umbringen oder einhundert Sit-Ups machen lassen, wenn er erfährt, dass ich beim Chinese so rein gehauen habe." Grinsend fuhr er sich über den Bauch. „Ich weiß im Moment nicht, was schlimmer wäre."
„Jeff wir mich wahrscheinlich dazu zwingen zehn Torten zu dekorieren, weil ich ihn nicht mitgenommen habe. Vielleicht sollte ich ihm etwas mitnehmen."
„Tu' das, wenn du dir dadurch großes Leid ersparen kannst."
„Was hältst du davon, wenn wir zu Fuß zurückgehen?", fragte Martin. „Das Wetter ist schön und ein Verdauungsspaziergang wäre nicht schlecht."
Ich dachte an meinen vollen Magen und das Unwohlsein, das ich verspüren würde, sobald ich mehr als zehn Minuten stehen musste, um eine Torte zu machen. Deshalb stimmte ich zu.
„Wie lange musst du heute arbeiten?"
„Bis vier, wieso?"
„Ich möchte dich heute gerne entführen", grinste er und griff nach meiner Hand. Seine Hand war groß und rau und sie fühlte sich gut an, als sie meine umschloss. Wie ein kleines Feuer fuhr die Hitze seiner Hand durch meine Haut.
„Du hättest mir nicht sagen sollen, dass du mich entführen willst. Jetzt weiß ich doch Bescheid und kann mich in Acht nehmen", grinste ich.
„Tut mir leid dich enttäuschen zu müssen, aber ich weiß du wohnst und arbeitest. Und bei Jeff kannst du dich nicht verstecken, weil er dich verraten würde, sobald ich ihm mein wunderschönes Lächeln zeige."
„Mein bester Freund würde mich nie für ein einfaches Lächeln verraten. Für eine Dose seines teuren Haarsprays, das er gerne benutzt, sieht es jedoch anders aus."
„Danke für den Tipp, ich werde es mir merken", meinte er amüsiert.
„Ich freue mich, wenn ich helfen kann."
Hand in Hand gingen wir zurück zur Konditorei und beschlossen uns um vier Uhr wieder davor zu treffen.
„Kannst du mir dieses Mal sagen wohin wir gehen?", fragte ich, als wir in Martins Wagen saßen. Er hatte mir erzählt, dass er nach unserem Spaziergang wieder zurück zum chinesischen Restaurant gegangen war, um sein Auto abzuholen.
„Ausnahmsweise, aber gewöhn' dich nicht daran", grinste er. „Ich möchte dich gerne mit in den Box-Klub nehmen, um die eine Privatstunde zu geben. Was hältst du davon?" Plötzlich schien er nervös und nicht mehr so überzeugt von seiner Idee zu sein.
„Okay", war meine Antwort.
„Okay, wie in >>Ja, lass uns das machen<< oder okay, wie in >>Okay, eigentlich habe ich überhaupt keinen Bock drauf, aber jetzt kann ich schlecht nein sagen<<?"
„Okay, lass uns das unbedingt machen. Ich will dich nämlich ins Schwitzen bringen."
„Oh, Baby, dafür müssen wir nicht Boxen gehen. Wir könnten dafür auch zu mir fahren oder zu dir, wenn dir das lieber ist."
Mit gespielt böser Miene schlug ich ihm auf den Oberarm und sah dabei zu, wie er lachend weiter fuhr.
Ich betrachtete sein Profil. Seine Nase hatte einen kleinen Bogen in der Nähe der Nasenwurzel. Die Lippen waren voll, aber nicht zu voll, sodass sie weiblich wirkten. Sein Kieferknochen stach stark hervor und ich würde meine Hand gerne über die Stoppel darüber fahren lassen. Seine Wimpern waren lang und braun und die Augenbrauen über seinen Augen dicht, aber nicht buschig.
„Und wie gut habe ich abgeschnitten?" Seine Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Ich hatte ihn wohl nicht so verstohlen gemustert, wie ich es angenommen hatte.
„Was meinst du?", fragte ich nach einem Räuspern.
„Na, du hast mich gemustert, also nehme ich an, dass du meinem Gesicht eine Note gegeben hast. Zu meiner Verteidigung, mein Gesicht ist nicht gerade meine Stärke, aber dafür diese", meinte er und spannte seine Oberarmmuskeln an. „Oder der hier." Kurz schob er sein Shirt nach oben und mit jedem Zentimeter, den er enthüllte wurde mehr von den harten Muskeln sichtbar.
„Hast du Tattoos?", sprudelte es aus mir raus.
„Äh, nein, wieso?"
Ich war froh, dass er seine goldbraune hat nicht mit schwarzer Tinte bedeckt hatte. Er entsprach überhaupt nicht dem Bild, das ich von einem Boxer in meinem Kopf hatte. So freundlich, gutgelaunt, süß, stellte ich ihn mir nicht vor. Eigentlich dachte ich, dass Boxer fiese Typen sind, die ihre Wut im Ring auslassen und gerne halbnackte Frauen auf dem Schoss hatten. Ich war froh, dass ich mich getäuscht hatte.
„Stehst du auf Tattoos?", fragte er.
„Ich weiß nicht so recht, aber ich bin froh, dass du nicht tätowiert bist", gestand ich.
„Findest du, das steht mir nicht?"
„Nicht wirklich. Du siehst gut aus, wie du bist."
„Danke. Du bist auch ein hübsches Ding. Ein richtig, richtig hübsches Ding." Den letzten Teil hatte er leise vor sich hin gemurmelt, doch ich hatte es gehört. Ein kleines Lächeln bildete sich auf meinen Lippen.
„Stärker, Amélie", befahl Martin, als wir eine Stunde später im Boxring standen. Er hielt zwei große flache Polsterhandschuhe vor seinen Oberkörper und ich trug ein Paar Boxhandschuhe, die meine Knöchel vor Verletzungen schützen sollten.
„Ich kann nicht noch härter zuschlagen, Martin", beschwerte ich mich. Die Luft war mir schon aus den Lungen gedrungen und mein Herzschlag von der Anstrengung erhöht. Ich war mir sicher, dass meine Muskeln in Schultern und Armen schmerzen würden.
„Na gut, ich glaube, dass es genug für heute ist", meinte er nun mit weicher Stimme. Er legte seine Handschuhe ab und machte sich daran mir meine und die Tapes, die sich darunter befanden abzunehmen. „Du warst gut."
„Wohl kaum", schnaubte ich. „Ich habe nicht länger als eine halbe Stunde durchgehalten."
„Hey, du solltest nicht so streng zu dir selbst sein. Viele, die das zum ersten Mal machen, halten nicht einmal zehn Minuten durch, weil es einfach zu anstrengend für sie ist." Er drückte mir einen Kuss auf die Lippen und bevor ich diesen erwidern konnte hatte er seine Lippen von meinen genommen. „Ich werde dir die Schultern massieren, damit du morgen keine Schmerzen hast und weiterhin diese köstlichen Torten machen kannst. Übrigens, Kompliment an dich für diese wundervolle Torte und die Cupcakes für den Geburtstag der Zwillinge."
„Kein Problem, es gehört zu meinem Job Torten gut schmecken zu lassen", grinste ich.
„Ich bin mir sicher, dass du tausendmal besser schmeckst." Wie zum Beweis drückte er seine Lippen wieder auf meine und schlang einen Arm um meine Taille. Ich legte meine Arme um seinen Nacken und spürte wie sich seine freie Hand um meinen Hals legte. Sein Daumen streichelte über meine Wange, als seine Zunge über meine Unterlippe fuhr.
„Hey, Martin- tut mir leid!" Wir fuhren erschrocken auseinander, als eine plötzlich eine männliche Stimme ertönte.
„Hey, Devin. Was ist los?" Oh, nein! Nicht schon wieder. „Du kannst dich doch noch an Amélie erinnern, oder?"
„Aber natürlich kann ich das, wir haben uns ja erst gestern Abend kennen gelernt. Was ist aus der drei-Tage-warten-Regel geworden?"
„Davon halte ich nichts", meinte Martin. „Außerdem konnte ich nicht noch einen Tag warten, bis ich sie wiedersehe." Als er das sagte, sah er mich direkt an.
Wenn meine Wangen nicht schon von einem dunklen Rot durchzogen waren, dann wären sie es nach seinen Worten bestimmt gewesen.
„Hallo, Amélie", grinste Devin. Er konnte mich wahrscheinlich nicht richtig erkennen, da er noch am Eingang stand und wir uns in der Mitte des Raumes befanden.
„Hallo", grüßte ich zurück.
„Ich wollte eigentlich nur fragen, ob du abschließen kannst, wenn ihr geht. John ist schon vor einer halben Stunde gegangen und ich muss jetzt Nachhause zu meiner Frau und meinen Kindern."
„Werde ich machen. Bis Morgen!"
„Danke dir. Bist Morgen und tut nichts, was ich nicht auch tun würde!"
Schneller, als ich es wahrnehmen konnte, lagen Martins Arme um meinen Körper und seine Lippen auf meinen.
"Enjoy the little things."
Ich konnte nicht schlafen. Schon wieder. Aber dieses Mal lag es nicht daran, das mich Albträume oder die Stimme meines Bruders quälte. Martin schickte mir fortwährend süße Nachrichten auf die ich nicht anders, als antworten konnte.
Martin: Kann ich dich morgen wieder sehen?
Es war schön zu wissen, dass nicht nur ich ihn, sondern er auch mich so schnell wie möglich wiedersehen wollte.
Wenn du willst, dann ja.
Martin: Gut, denn ein Nein hätte ich sowieso nicht gelten lassen.
Lächelnd dachte ich an den heutigen Tag, den wir teilweise miteinander verbracht hatten.
Martin: Kannst du schlafen?
Ich bin zwar müde, aber ich kann nicht einschlafen.
Es lag daran, dass ich an ihn denken musste. An seine Küsse. An seine Hände. Seinen Geruch und seine goldbraune Haut.
Martin: Musst du auch ständig an heute denken?
Sollte ich ehrlich zu ihm sein?
Ja.
Martin: Du hast ja gar keine Vorstellung davon, wie glücklich mich das macht.
Er hatte ja gar keine Vorstellung davon, wie glücklich er mich machte.
Martin: Hast du Lust mir am Samstag bei einem Kampf zuzusehen?
Natürlich, wann fängt der Kampf an?
Martin: Der Kampf fängt erst um acht am Abend an, aber wir könnten den Tag zusammen verbringen, wenn du möchtest.
Ich würde gerne den Tag mit dir verbringen. Immerhin muss ich dein Gesicht genießen, solange es noch heil und hübsch ist.
Martin: Mein Gesicht ist immer hübsch und warte bis du den Anderen siehst, Baby.
Grinsend verdrehte ich die Augen und antwortete ihm.
Wenn du dir so sicher bist, dann habe ich eine Wette für dich. Wie sieht's aus? Traust du dich?
Martin: Du gefällst mir immer mehr und mehr, Amélie. Was schwebt dir vor?
Wenn du gewinnst, dann koche ich für dich.
Martin: Und wenn ich verliere?
Ich dachte, dass du gewinnen wirst? Wenn du verlierst, dann musst du für mich kochen.
Martin: Ich weiß nicht, ob das wirklich ein Gewinn auf deiner Seite ist.
Wieso das denn?
Jetzt hatte er mich neugierig gemacht. Konnte er etwa nicht kochen?
Martin: Sagen wir es mal so: Ich bin der Beste, wenn es darum geht Milch zu meinen Cornflakes zu schütten.
Na gut, anderer Vorschlag, wenn du verlierst, dann wirst du kochen lernen müssen.
Martin: Nur, wenn du meine Lehrerin bist.
Ich würde dich niemand anderem anvertrauen. Es wird ganz allein meine Schuld sein, wenn jemand mit einer Lebensmittelvergiftung im Krankenhaus landet.
Martin: Gut, dann ist es beschlossene Sache. Und bevor du fragst, nein, ich werde dir nicht verraten wohin es diesen Samstag geht. ;-)
Hast du ein Faible für Überraschungen?
Martin: Nur wenn es um dich geht, meine kleine Zuckerbäckerin.
Ich bin erleichtert das zu hören.
Martin: Wann kann ich dich morgen abholen?
Um dieselbe Zeit wie heute?
Martin: Meinst du nicht eher gestern? Immerhin ist es schon halb Eins.
Ah du lieber Gott! Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass wir schon seit mehr als einer Stunde miteinander schrieben.
Ich sollte jetzt schlafen gehen, immerhin muss ich morgen wieder früh aufstehen.
Martin: Gute Nacht, süße Amélie. Es tut mir leid, wenn ich dich aufgehalten habe.
Du hast mich nicht aufgehalten. Gute Nacht, Martin.
Dieses Mal musste ich keine Schlaftablette nehmen, um einzuschlafen. Die Vorfreude auf Morgen war groß. So groß, dass ich mit einem Lächeln auf den Lippen einschlief.
„Irgendwie ist es gruselig", flüsterte Jeff am nächsten Morgen.
„Es ist süß, lass sie doch", meinte Cassandra.
„Das Lächeln hat sie sicher wegen Martin im Gesicht."
Mir war klar, dass sie die Beiden über mich unterhielten, aber das konnte mir herzlich egal sein. Ich war damit beschäftigt die Minuten zu zählen, in denen ich Martin wiedersehen würde. Es waren noch genau fünfzehn und je weniger es wurden, desto aufgeregter wurde ich.
„Amélie, Schätzchen, könntest du Cassandra und mir vielleicht sagen wieso du so glücklich bist? Nicht das wir uns nicht freuen würden! Ganz im Gegenteil. Hattet ihr Sex?"
Nun war es wieder an der Zeit für meine Wangen rot zu werden. „Nein!", zischte ich. „Martin holt mich nur zum Mittagessen ab."
„Ihr hattet noch keinen Sex?" Jeff schien schockiert über die Tatsache, dass Martin und ich noch nicht intim geworden sind. Ich wusste ja nicht einmal, ob wir in einer Beziehung waren, oder wir nur miteinander flirteten. „Dabei ist Martin doch so ein süßes Schnittchen", schwärmte er.
„Jeff, Martin und ich hatten genau ein Date und das heißt nicht, dass wir zusammen sind."
„Ihr hattet ein Date, aber ihr seit gestern schon zusammen beim Mittagessen gewesen und heute geht ihr schon wieder. Für mich ist das eine Beziehung."
„Jeff", seufzte ich. „Das ist keine Beziehung, aber vielleicht wird es eine", gestand ich. „Immerhin hat er mich am Samstag eingeladen den Tag mit ihm zu verbringen und ihm anschließend am Abend während seines Boxkampfes zuzusehen."
„Na das klingt doch schon richtig gut, Süße", lächelte er.
„Er hat Recht", meinte Cassandra. „Außerdem scheint Martin ein richtig netter Typ zu sein."
„Er ist ein richtig netter Typ."
Das Klingeln der Eingangstür ließ uns alle hochschrecken. Martin stand in seiner vollen Pracht in der Eingangstür. Er trug ein weißes Shirt und helle Jeans. Seine muskulösen Arme und seine goldbraune Haut stachen hervor.
„Yummy", flüsterte Jeff. Und ich konnte ihm nicht mehr zustimmen.
„Hey Leute!" Breit grinsend kam er auf mich zu. „Hey, süße Amélie", murmelte er gegen meine Lippen, bevor er einen Kuss darauf setzte. „Wollen wir gehen?"
„Ja. Bye."
„Ich hoffe, du hast nichts gegen ein Picknick im Park?"
„Nein, ein Picknick klingt toll. Hast du gekocht?"
Lachend schüttelte er den Kopf. „Ich habe Sandwiches gemacht, so viel kann ich noch. Das macht dir doch nichts aus, oder?"
„Nein, Sandwiches klingen toll."
„Und als Nachtisch gibt es frische Erdbeeren."
„Klingt köstlich."
Die Sonne strahlte vom wolkenlosen Himmel hinab und sorgte für warme Temperaturen. Es war viel los im Park, da die Menschen das tolle Wetter genossen.
Nachdem wir den passenden Platz für unser Picknick gefunden hatten, breitete Martin eine Decke aus, sodass wir Platz nehmen konnten. Die Sandwiches waren gut, aber die Erdbeeren noch besser. Erst recht, als Martin mich damit fütterte und mich nach jedem Bissen küsste.
„Nimm dir deine eigenen Erdbeeren", beschwerte ich mich, als er sie mir aus dem Mund stahl.
„Sie schmecken mir so viel besser", murmelte er mit rauer Stimme. „Süßer."
Dieses Mal war ich diejenige, die ihre Lippen auf seine drückte.
Er schmeckte nach Erdbeere. Nur süßer.
„Give every day the chance to be the most beautiful day in your life." - Mark Twain
Ich wurde am Samstag aus den Federn geworfen, als es an meiner Tür klingelte. Im Halbschlaf taumelte ich durch die Wohnung, um an die Tür zu kommen und mir den Hörer zu schnappen.
„Ja?", murmelte ich.
„Hey, Amélie, kann ich rein kommen?"
Diese Stimme kam mir bekannt vor, nur war mein Gehirn noch nicht in der Lage es jemandem zuzuordnen. Auf den Knopf drückend öffnete ich die Tür und lehnte mich an den Rahmen. Wie spät war es eigentlich?
Martins gutgelaunte Stimme erreichte mich und ließ mich ein wenig gerade dastehen. „Habe ich dich aufgeweckt?"
Nickend beantwortete ich seine Frage. „Es würde mir leidtun, wenn es nicht schon neun Uhr wäre."
„Martin", schmollte ich. „Ich kann nur am Wochenende ausschlafen und neun Uhr ist noch halb in der Nacht."
„Wir wollten zusammen den Tag verbringen. Mein Tag beginnt nun mal so früh und wir haben heute noch viel vor."
Als er so vor mir stand konnte ich ihn seine grünen Augen sehen, die vor Lebensfreude strahlten. Ein breites Grinsen hatte sich in seinem Gesicht ausgebreitet und er sah auch sonst wieder zum Anbeißen aus. Er trug ein grünes Shirt mit V-Ausschnitt, das seine Augen noch mehr zu Geltung brachte. Kurze schwarze Hosen und schwarze Turnschuhe. „Guten Morgen, meine Schöne."
Bevor er mich küssen konnte wich ich seinen Lippen aus. „Ich habe mir noch nicht die Zähne geputzt", erklärte ich, als ich seinen fragenden Blick bemerkte.
Grinsend nahm er mein Gesicht zwischen seine Hände und sagte, „Das ist mir doch egal." Ich kam ihm dieses Mal entgegen, als er mich küssen wollte. Sein großer Körper drängte mich durch die Tür, die er mit dem Fuß zuschlug, und gegen die Wand. Meine Hände fuhren seinen Oberkörper entlang, rauf zu seinem Nacken, wo ich eine Hand festkrallte, während meine zweite in seine weichen Haare vergrub.
Seine rechte Hand fuhr zu meinem Hintern, den er packte und mich keuchen ließ. Seine linke Hand vergrub sich in meinen Haaren und zog daran.
Stöhnend schlang ich mein rechtes Bein um seine Hüfte, um das Brennen zwischen meinen Beinen zu verringern.
Die Küsse, die wir diese Woche über waren nicht so intensiv wie dieser. Sie haben nicht so einen Hunger nach ihm geweckt. Nicht einmal unser Kuss nach unserem ersten Date war so intensiv, wie dieser hier. Wir waren uns körperlich noch nie so nahe gekommen.
Martin hob auch mein zweites Bein hoch, sodass ich es um seine Hüften schlingen konnte, als seine Lippen zu meinem Hals wanderten. Meine Hände vergruben sich in seinen Haaren und zogen fest daran, als seine Lippen meinen Hals mit Küssen malträtierte.
„Martin", seufzte ich. „Bitte." Ich wusste nicht einmal, um was ich da bat.
„Oh, Amélie." Er stieß seine Hüften gegen meine und ließ mich laut aufstöhnen.
Lieber Himmel, das fühlte sich so gut an!
Er war hart, das konnte ich spüren. Als er sich ein wenig von mir zurück zog und seine Stirn an meine lehnte, konnte ich tief einatmen und ein wenig zu Sinnen kommen. „Du solltest dir etwas anziehen."
Nickend stellte ich mich wieder auf meine eigenen Beine. „Ich werde inzwischen tief durchatmen und mich ein wenig beruhigen", meinte er rau.
Mit schnellen Schritten durchschnitt ich meinen Vorraum und schnappte mir meine Jeansshorts und ein weißes Shirt. Der Sommer kam immer näher und die Hosen wurden immer kürzer.
Ein paar Minuten später gesellte ich mich zu Martin, der vor dem Fenster in meinem Wohnzimmer stand.
„Wohin gehen wir?", fragte ich, um seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.
„Frühstücken", grinste er. Sein Blick wanderte meinen Körper entlang, bis seine Augen an meinen Beinen stehen blieben. „Das ist nicht wirklich besser zu dem was du vorhin getragen hast, aber wenigstens ein Anfang. Lass uns schnell verschwinden, bevor ich noch auf dumme Ideen komme."
Er hatte wohl meine kurzen Shorts und das Tank Top gemeint, das ich immer zum Schlafen trug.
„Was hältst du davon, wenn wir nach dem Frühstück einen Spaziergang machen und vielleicht baden gehen?", fragte Martin, als wir auf unser Frühstück warteten, das wir soeben bestellt hatten.
„Und wo wollen wir baden gehen?"
„Meine Eltern haben einen Pool Zuhause und die Familie ist gerade in Colorado Tante Marie-Ann besuchen", erklärte er.
„Und wieso bist du nicht in Colorado und besuchst deine Tante?"
„Weil sie eigentlich Hanks Tante ist und mich die alte Schachtel genauso wenig ausstehen kann, wie ich sie."
„Wieso das denn?", wollte ich verwundert wissen. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass es außerhalb des Boxringes, Menschen gab, die Martin nicht leiden konnten. Er war doch sonst so witzig, entspannt und einfühlsam.
„Ich weiß nicht wieso genau, aber als sie mir zum sechzehnten Geburtstag einen selbstgestrickten Pullover und meinem Cousin Peter ein neues Auto geschenkt hat, da wusste ich, dass sie mich nicht wirklich leiden kann. Aber das Gefühl beruht auf Gegenseitigkeit."
„Wenigstens seit ihr euch darin einig."
„Ja, wir haben so unsere Momente." Er schien amüsiert zu sein von der Tatsache, dass ihn die Tante seines Stiefvaters nicht leiden konnte. Vielleicht auch aus einem gewissen Grund? Ich hatte nicht das Recht mit Vorurteilen um mich zu werfen. „Also was sagst du?"
„Ich weiß nicht", zweifelte ich.
„Komm schon, Amélie. Sie gestern in der Früh losgefahren und heute Morgen angekommen, also besteht keine Gefahr, dass sie mitendrinnen reinplatzen. Keine Angst, du wirst meine Eltern nicht im Bikini kennenlernen", grinste er.
„Na gut", seufzte ich ergeben. „Dann muss ich aber nachhause, um meinen Bikini zu holen."
„Gut, aber erst nach den Pancakes."
Martin würde mich zum ersten Mal mit so wenig Kleidung sehen und ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Was war, wenn ihm mein Körper nicht gefiel? Er hatte einen tollen Körper, von dem ich schon ein wenig gesehen hatte. Mir war bewusst, dass meine Brüste klein waren und mein Hintern zu groß. Die kleinen Küchlein, die ich manchmal während der Arbeit vernaschte, setzten sich leider immer an den falschen Stellen ab.
Mein einziges Problem, war nicht nur die nackte Haut, die er zu Gesicht bekommen würde, sondern auch meine Unterwäsche, in der ich Baden musste, da ich meinen Bikini nicht finden konnte. Martin hatte mich überzeugt in meiner Unterwäsche schwimmen zu gehen, genauso wie er. Überzeugen war wahrscheinlich der falsche Ausdruck, denn der hinterlistige Mistkerl hatte mich einfach mit Küssen an meinem Hals und Lippen umgestimmt.
Das hatte ich jetzt davon!
„Amélie, wenn du jetzt nicht rauskommst, dann werde ich reinkommen und dich in den Pool zerren!", rief er.
Seufzend trat ich raus auf die Terrasse.
Martins Eltern hatten ein wunderschönes Haus, das ein wenig außerhalb von San Francisco lag, aber dafür über einen schönen Garten mit Pool und eine große Terrasse verfügte.
„Ich könnte dich gerade aufessen", raunte er.
Die Entscheidung, ob die Sonne, die auf meine Haut prallte oder der Anblick von Martin in Boxershorts heißer war, war wahrscheinlich eine der schwierigsten meines Lebens.
„Komm, ich könnte eine Abkühlung gebrauchen."
Er hatte ja gar keine Ahnung, wie dringend ich eine Abkühlung benötigte.
Das Wasser war Gott sei Dank kühl, nicht zu kalt und nicht zu warm. Es war einfach perfekt.
„Hab ich dich", raunte Martin, als er seine Arme von hinten um meinte Taille legte und mich an seinen harten Körper zog. Die Gänsehaut, die nun meine Haut durchzog kam nicht vom kalten Wasser, an das ich mich bereits gewohnt hatte, nein, es kam von Martin. Sein Atmen streifte meinen Nacken, als er meine Haare zur Seite schob. „Deine Haut schmeckt so süß, Amélie", murmelte er und drückte mir einen Kuss auf die Schulter. „Ich kann gar nicht genug von dir kriegen."
Ich biss mir auf die Unterlippe, um mein Stöhnen zu unterdrücken, was mit seinen wandernden Händen zunehmend schwerer wurde.
„Martin?" Erschreckt sah ich auf die Frau, die sich vor dem Pool aufgebaut hatte.
„Tante Marie-Ann?"
Oh Mann!
„Life is a series of embarrassing moments wich leave you feeling alone in your confusion and shame." – Miranda Hart
Noch peinlicher konnte es nicht werden.
Hinter Martins schrecklicher Tante Marie Ann standen zwei Teenager-Mädchen und ein Paar, bei dem es sich wahrscheinlich um Martins Eltern handelte.
„Immerhin habe ich mein Versprechen nicht gebrochen."
Ich sah ihn fragend an. „Du lernst meine Eltern nicht im Bikini kennen."
Nein, es war schlimmer. Ich würde seine Eltern und seine Tante in meiner Unterwäsche kennenlernen.
„Vielleicht sollten wir wieder ins Haus gehen, damit die beiden sich anziehen können, um sich mit uns zu unterhalten."
„Mom, hatten die beiden S-E-X in dem Pool?", kreischte das Mädchen mit den braunen Haaren. Sie hatte das Wort buchstabiert, aber wir wussten alle, was es bedeutete. Ihre Schwester machte einen angewiderten Gesichtsausdruck und meine Wangen hatten sich schrecklich verfärbt.
Die Situation war gerade um einiges peinlicher geworden.
„Verschwinde, Lora", zischte Martin, der sich vor mir platziert hatte, um meinen Körper ein wenig zu bedecken. „Wir kommen gleich nach."
„Los, alle rein mit euch!" Martins Mutter trieb alle ins Haus, sodass wir uns anziehen konnten.
„Es tut mir schrecklich leid, Amélie", seufzte er. „Ich habe keine Ahnung, wie sie her gekommen sind, eigentlich müssten sie in Colorado sein. Das sind immerhin mehr als neunzehn Stunden Fahrt." Er fuhr sich mit einer Hand durch seine Haare, die feucht durch das Wasser des Pools wurden.
„Du kannst ja nichts dafür", beteuerte ich.
„Aber es wäre nie dazu gekommen, wenn ich dich nicht zu diesem Schwachsinn überredet hätte", meinte er wütend. „Dabei wollte ich nur einen schönen Tag mit dir verbringen."
Ich fuhr mit meinen Fingern über seine stoppelige Wange und zwang ihn mir in die Augen zu sehen. „Der Tag ist noch nicht vorbei", lächelte ich und streckte mich, um meine Lippen auf seine pressen zu können.
„Weißt du eigentlich, wie toll du bist, Amélie", flüsterte er. „Komm, meine Hübsche, wir ziehen uns jetzt an und dann lernst du meine Eltern kennen. Okay?"
Nickend ließ ich von ihm ab und folgte ihm aus dem Pool.
„Es kann ja nur mir passieren, dass sich mein Neffe eine französische Nutte anlacht", grunzte Martins Tante abfällig. „Es ist eine Farce."
„Amélie ist keine Nutte, du alte Schreckschraube", erwiderte Martin wütend.
„Also wirklich, Marie Ann", rügte Martins Mutter.
„Benimm dich, wenn du die nächste Woche hier übernachten willst."
„Hank, sag' deiner Frau, dass sie mir nichts zu sagen hat", maulte die alte Dame, die ein wenig Extragewicht mit sich mitschleppen musste.
„Tante Marie Ann", fing Hank an. „Alice hat sehr wohl etwas zu sagen und wenn du dich nicht benimmst und nett zu Martins Freundin bist, dann wirst du dir eine andere Bleibe suchen müssen."
„Wie bitte?", kreischte die Dame. „Diese kleine Französin ist wichtiger als ich? Ich bin Familie!"
„Marie Ann, du kannst diese Ausrede nicht ständig benutzen, um dich aus einer prekären Angelegenheit rauszuziehen. Du bist sechsundsiebzig Jahre alt, also musst du wissen, wann es angebracht ist etwas zu sagen und wann nicht."
Die alte Dame murmelte unverständlich vor sich hin, bevor sie sich seufzend in die Kissen des Sofas legte.
„Es tut mir wirklich sehr leid. Ich bin Martins Mutter Caroline. Das ist mein Ehemann Hank und das sind unsere beiden Töchter Nora und Lora. Tante Marie Ann haben Sie ja bereits kennen gelernt." Martins Mutter sah mich mit einem freundlichen Lächeln an, für das ich sehr dankbar war, angesichts der Tatsache, dass sie mich vor ein paar Minuten in Unterwäsche in ihrem Pool erwischt hatte.
„Ich bin Amélie", stellte ich mich vor. „Es freut mich Sie kennenzulernen."
„Ebenfalls."
„Es tut mir wirklich leid", fing Martin an. „Eigentlich sollte euer erstes Zusammentreffen nicht so stattfinden. Jetzt ist es auch egal. Ihr solltet jedoch wissen, dass ich Amélie dazu überredet habe, mit mir schwimmen zu gehen."
„Ist schon in Ordnung, Sohn", beruhigte Hank seinen Stiefsohn. „Auf diese Art werden wir unsere zukünftige Schwiegertochter sicher nicht so schnell vergessen."
Erstarrt sah ich zu Martin, der sich eine Hand in den Nacken legte, seinen Vater jedoch nicht aufklärte. Sollte ich das tun?
„Habt ihr Hunger?", fragte Martins Mutter.
„Es schmeckt wirklich sehr gut, Mrs. McAlister." Die blonde Frau hatte Lasagne für uns gemacht.
„Das freut mich, aber nenn mich doch Alice", lächelte sie und ihre grünen Augen strahlten mir entgegen. „Wie habt ihr zwei euch denn eigentlich kennengelernt?"
„Sie hat die Torte und die Cupcakes für den Geburtstag der Knox-Zwillinge gemacht", erzählte Martin. „Sie war gerade dabei zu gehen, als ich sie erblickt habe. Ganz der Gentleman, habe ich sie natürlich zur Tür gebracht, um dann das Logo der Konditorei, für die sie arbeitet, zu entdecken. Das habe ich mir eingeprägt und sobald sie aus der Tür war, habe ich nach Adresse gesucht und sie innerhalb von vier Sekunden gefunden. Eine Woche später, als ich meinen Mut zusammengenommen habe, bin ich dorthin gegangen und habe sie nach einem Date gefragt."
„Das hättest du wohl besser nicht machen sollen", schnaubte Marie Ann abfällig.
Hank ließ eine Hand auf den Tisch knallen und es wurde ganz ruhig. Sogar die Mädchen, die sich die ganze Zeit unterhalten hatten, sahen ihn nun mimt vor Schreck geweiteten Augen an. „Es reicht, Tante Marie Ann. Du kannst diese Woche auch gerne bei Phil übernachten, wenn du dich nicht benimmst."
„Entschuldige bitte, aber ein bisschen mehr Respekt gegenüber deiner alten Tante wäre vielleicht angebracht, oder etwa nicht?"
„Etwas mehr Respekt gegenüber unserem Gast wäre aber auch nicht schlecht, findest du nicht?"
„Wenn es euch hilft, dann werde ich mich jetzt auf mein Zimmer begeben und dort vor mich hinvegetieren."
„So eine Dramaqueen", murmelte Martin neben mir.
Alice fing an Teller wegzuräumen und fragte: „Wer hat Lust auf ein Eis?"
„Ich helfe Ihnen, Mrs. MacAlister."
„Danke, Amélie."
„Habe ich schon erwähnt, dass du einen wirklich entzückenden Akzent hast?", fragte Martins Mutter, als wir dabei waren die Teller abzuwaschen.
„Danke. Ihr Gast scheint da anderer Meinung zu sein."
„Marie Ann?", lachte sie. „Mach dir mal um sie keine Sorgen. Sie stammt aus dem Süden und lebt noch in den Sechzigern. Sie hat gegen alle was. Als sie mich kennengelernt und erfahren hat, dass ich bereits einen Sohn habe, hat sie mich als ‚die Nutte aus New York' bezeichnet. Hank hat dann auch den Tisch gehauen und ihr gesagt, dass es so nicht weitergehen kann. Seit dem Tag an beschimpft sie mich zwar nicht mehr laut, aber mit mir klarkommen kann sie immer noch nicht."
"Words are how we think; stories are how we link." - Christina Baldwin
„Wie gesagt, es wird sehr laut werden zu Beginn des Kampfes, aber das legt sich mit der Zeit wieder.“
Ich saß zusammen mit Martin in seinem Geländewagen, der uns zur Arena bringen sollte, in der Martins Kampf stattfand.
„Ist es so, wie es im Fernsehen ausgestrahlt wird?“, fragte ich.
„Ja, der heutige Kampf ist nicht so groß, wie die, die im Fernsehen ausgestrahlt werden.“
„Darf ich dann ganz vorne sitzen, um dich anzufeuern?“
„Wenn es erlaubt wäre, dann dürftest du auch im Ring sitzen, um mich anzufeuern, Süße.“
„Und riskieren verletzt zu werden? Nein, danke.“
„Dazu würde es nicht kommen. Niemand wird deinem hübschen Gesicht Schaden zufügen.“ Er strich mit seiner großen Hand über meine linke Wange, während er immer noch auf die Straße sah. Ich betrachtete lächelnd sein Profil und dachte, wie einfach es doch wäre sich in ihn zu verlieben.
Mir kam ein weiterer Gedanke, der für ein flaues Gefühl in meinem Magen sorgte und fragte: „Wer feuert dich denn heute noch an?“
„Mein Trainer, John, und noch ein paar Jungs, die mit mir trainieren. Devin wollte auch kommen, doch seine Tochter hat eine Mittelohrentzündung und seine Frau würde ihn einen Kopf kürzer machen, wenn er ihr nicht mit der weinenden Jillian helfen würde.“
„Nachvollziehbar.“
„Finde ich auch. John wird uns gleich beim Eingang treffen, denn ich muss dich heute früh verlassen, meine Schöne. Bevor der Kampf beginnt müssen noch ein paar Vorbereitungen getroffen werden.“
„Ist denn John nicht auch dabei?“, fragte ich.
„Doch, aber er wird dir deinen Sitzplatz zeigen und dich den Jungs vorstellen, damit du nicht alleine bist. Eigentlich hätte ich das schon tun können, aber wie du heute vielleicht mitgekriegt hast, bin ich nicht wirklich gut darin, wenn es darum geht Leute einander vorzustellen“, grinste er.
„Schon okay. Wenn die anderen auch so gut aussehen wie du, dann werde ich mich schon zurecht finden.“
„Soll das etwa eine Drohung sein?“
„Ich weiß nicht“, meinte ich. „Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.“
„Da ich weiß, dass ich besser als die anderen Jungs aussehe, mache ich mir keine Sorgen.“
Ich schüttelte lächelnd meinen Kopf und sah aus dem Fenster.
„Hallo, Amélie. Es freut mich dich wiederzusehen.“ John streckte mir seine große Pranke entgegen, die ich nahm und zur Begrüßung schüttelte. Seine blonden Haare fingen noch die letzten Strahlen der untergehenden Sonne auf.
„Mich auch.“ Martins Trainer war ein großer, sympathischer Mann, bei dem man das Bedürfnis hatte, die Arme um ihn zu schließen, seinen Kopf auf die Brust zu betten und sich an ihn zu kuscheln, wie an einen Teddybär.
„John, kannst du sie bitte zu ihrem Platz begleiten und sie den Jungs vorstellen?“, fragte Martin. Er legte einen Arm um meine Taille und ich fühlte mich an seiner Seite noch kleiner, als ich bereits war.
„Natürlich. Lass dich bloß nicht von den Jungs einschüchtern. Die haben vielleicht Muskeln, aber nicht so viel in der Birne.“ Grinsend sah John zu Martin, der nur schnaubte und sich mir zuwandte. „Mich natürlich ausgeschlossen. Ich bin mit allem gesegnet worden.“
„Ich bin mir sicher, dass es so ist.“ Da ich hochhackige Schuhe trug, musste ich mich nur ein wenig strecken, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben. „Viel Glück und vergiss unseren Deal nicht.“
„Danke. Werde ich nicht.“
„Das ist Jaxon Twist.“ Jaxon war ein sehr großer Mann. Und mit sehr groß, meinte ich mindestens zwei Meter groß. Er hatte Raspel kurze, schwarze Haare und Tattoos, die sich bis zu seinem Kiefer hochschlängelten. „Das ist seine Frau Olivia.“ Olivias blonde Haare und blauen Augen, hoben sich von der karamellfarbenen Haut und den dunklen Augen ihres Mannes ab. Neben ihm, sah sie wie eine kleine Elfe aus.
„Jaxon, Olivia, das ist Amélie. Sie ist Martins Freundin.“
„Freut mich.“ Olivia reichte mir lächelnd ihre Hand, die ich annahm. „Du musst ihn entschuldigen, er redet nicht so viel“, flüsterte sie und deutete mit einem kurzen Seitenblick auf ihren Mann.
„Schon okay.“
„Bist du Französin?“, fragte sie entzückt.
„Oui.“
„Ich liebe Französisch, leider habe ich es nie gelernt“, seufzte sie. „Naja, was soll man tun? Man kann nicht alles haben.“
„Und das sind Marc und Ian, aber die sind gerade abgelenkt, also kannst du die beiden für heute Abend vergessen.“
Ich wusste nicht, wer Marc und wer Ian war, aber da es sich um eineiige Zwillinge handelte, sollte das nicht so wichtig sein.
„Martins Kampf beginnt in einer halben Stunde und ich muss jetzt nach hinten, um ein paar Sachen mit ihm zu besprechen. Kommst du hier zurecht?“, fragte John.
„Mach dir keine Sorgen, ich kümmere mich um sie“, bot Olivia an und schenkte mir ein freundliches Lächeln, das ich erwiderte. „Setz dich doch“, meinte sie und deutete auf den freien Platz neben sich.
„Wie habt ihr euch kennen gelernt? Also Martin und du.“
„Ich habe die Torte für den ersten Geburtstag von Devins Kindern gemacht und wir haben uns zufällig im Box-Klub getroffen.“
„Wie süß! War es Liebe auf den ersten Blick?“, fragte die kleine Blondine.
„Eher nicht“, gestand ich. „Ich hatte eigentlich nicht mehr damit gerechnet ihn wiederzusehen.“
„Und wie habt ihr euch dann wieder getroffen?“
„Er ist zu mir in die Konditorei gekommen und hat mich nach einem Date gefragt.“
„Zucker. Wirklich, so süß, wie Zucker. Das hätte ich Martin gar nicht zugetraut“, gestand sie.
„Wieso?“
„Er ist ein Mann und ein Boxer, obwohl ich zugeben muss, dass Martin ein wirklich netter Kerl ist.“
„Das finde ich auch.“
„Anders als mein Mann Jaxon. Ich weiß noch, als wir uns zum ersten Mal kennengelernt haben. Damals war ich noch mit meinem Ex-Freund in einem Klub, als Jaxon kam und ihn einfach zur Seite stieß und nach meiner Nummer fragte.“
„Hat doch wunderbar funktioniert“, hörte ich Olivias Mann mit tiefer Stimme sagen. „Wir sind seit vier Jahren verheiratet und waren vorher drei Jahre zusammen.“
„Vergiss nicht zu erwähnen, dass wir davor drei Monate die größten Feinde waren.“
„Das stimmt doch gar nicht. Ich habe die damals schon gemocht, aber du hast mich aus ganzem Herzen gehasst, so wie du mich jetzt aus ganzem Herzen liebst.“
„Zu meiner Verteidigung: Ich dachte damals auch, dass du mit Sylvia geschlafen und sie verarscht hast.“
„Lass uns bloß nicht über dieses hinterhältige Miststück reden“, erwiderte der große Mann.
„Gute Idee.“
„Bevor ich es vergesse“, fing Olivia an. „In welcher Konditorei arbeitest du? Ich habe die Torte gegessen und fand sie fantastisch und ich bräuchte jemanden, der eine Torte für den siebzigsten Geburtstag meiner Großmutter macht. Hast du vielleicht eine Karte mit?“
„Natürlich.“ Schnell fischte ich die Visitenkarte von ‚Jessica’s Sweets‘ aus meiner Tasche und reichte sie ihr. Ich mochte Olivia und war froh, dass ich ihr aushelfen konnte. Vielleicht würden wir in Zukunft Freunde werden.
Publication Date: 06-23-2015
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Dedication:
Danke für die wundervollen Verbesserungsvorschläge und für das Ausbessern meiner Rechtschreibfehler, Chrissi! Du bist die Beste! :)
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