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Der Pistolenschuss

 



Ein Erlebnis, das man nie vergisst

Ich kann mich noch daran erinnern, wann es war. Es war 1978. Den Monat und den Tag als das geschah, den habe ich leider vergessen.

Na ja, das spielt jetzt im Nachhinein sowieso keine Rolle mehr.

Ich versah damals schon einige Jahre Dienst bei der VP (Volkspolizei) in Leipzig.
An diesem Tag, von dem ich hier berichten möchte hatte ich Nachtschicht von 21:00 Uhr – 06:00 Uhr.
Doch diese Nachtschicht, die sollte noch viel länger dauern.

Die Schicht fing wie immer 21:00 Uhr an.

In der Waffenkammer empfingen wir unsere Pistolen, und danach gingen wir zur Einweisung.
Durch den Gruppenführer wurden die Fernschreiben, über vermisste Personen und entwendete Kraftfahrzeuge vorgelesen, die wir in unsere Fahndungsbücher einschreiben mussten, denn zur damaligen Zeit gab es noch keine Computer in der DDR.

Anschließend kam der Diensthabende der Nachschicht, und wies uns ein.
Er machte uns mit den Schwerpunkten im Revierbereich bekannt. Informierte uns was in den vergangenen Stunden so alles in der Stadt passiert war, denn auch bei uns war die Kriminalität zu Hause.
Danach wurden wir eingeteilt in welchen Streifebereichen des Revierbereiches wir unseren Dienst zu verrichten hatten.
Ich wurde als Fahrer des ersten Funkstreifenwagens eingeteilt. Mein Streifenführer war damals mein Kollege K. der als Lehrmachtmeister für den Dienstanfänger M. verantwortlich war, und der dadurch mit im Funkstreifenwagen saß.

Nach der Einweisung begaben sich alle Genossen, wie es damals hieß, in ihre angewiesenen Streifenbereiche.
Wir drei machten den Funkstreifenwagen (FSTW) fertig, und begannen unsere Streifentätigkeit. Die Nachtschicht fing ganz ruhig an.
Wir hatten bis zu dem Einsatz den ich hier schildern möchte, nur einen Auftrag.
Der Diensthabende schickte uns per Funk zu einer Familie, in der ein unter Alkohol stehender Mann einen heftigen Streit mit seiner Ehefrau hatte. Hier sorgten wir für Ruhe und Ordnung.
Dann zog auch bei uns im Revierbereich Ruhe ein.

Die Nachtschicht, die wird ruhig verlaufen, dachten wir Drei.

Doch das sollte sich als großer Irrtum herausstellen.


So gegen 01:30 Uhr war es, das weiß ich noch ganz genau, da sprach uns unser Diensthabende über Funk an:

„Löwe 08/219 kommen.“ (Das war damals unser Funkkenner).

K. antwortete:

„Löwe 08/219 hört sie am Hauptbahnhof.“

„Löwe 08/219 sie fahren zum Einbruch in die H.-L.-Straße Nr. 07. Dort Einbruch ins Frisörgeschäft. Täter noch im Objekt.
Beachten sie, im Treppenhaus stehen zwei Zeugen.“

K. quittierte den Funkspruch.


Mit angewiesenem Blaulicht fuhren wir in Richtung des Tatortes. Wir waren damals sehr schnell vor Ort.
Kurz vor dem Frisörgeschäft hielt ich an.
Mit gezogener Waffe in der Hand stürmte K. in das Haus, in dem sich dieses Frisörgeschäft befand. M. folgte ihm.
Gegen 01:35 / 01:40 Uhr Uhr, da hörte ich noch im FSTW sitzend, plötzlich ein Geräusch, welches sich so anhörte, als ob jemand mit der flachen Hand auf das Wasser schlug.

Da kam plötzlich ganz aufgeregt M. aus dem Haus gerannt, und rief mir zu:

„Ruf das Rettungswesen. K. hat den Täter angeschossen, nun mach schon.“

Ich nahm meine Funktabelle zur Hand, denn jeder Funkspruch musste damals verschlüsselt durchgegeben werden, und forderte über den ODH (Operativer Diensthabender) der im Volkspolizeikreisamt, (VPKA, übergeordnete Dienststelle) saß, das Rettungswesen an, indem ich die verschlüsselten Zahlen durch gab. Der ODH dachte sicherlich ich hätte mich in der Tabelle geirrt und die falschen Zahlen durchgegeben, denn die nebenstehende Zahl war die Zahl für die Pause.

„Löwe 08/219 beachten sie Die Zahlen“, war seine Antwort. Er nahm bestimmt an, dass ich mich in meiner Funktabelle geirrt hatte.

Ich gab nun alles offen durch, ohne die Zahlen zu benutzen. Ich war in diesem Moment ganz aufgebracht und verstieß gegen die Geheimhalteverordnung, was mir in diesem Falle total egal war, und schrie:

„Ich brauche umgehend das Rettungswesen vor Ort, da Schusswaffengebrauch. Täter liegt angeschossen da und braucht sofortige Hilfe.“

Anschließend berichtete mir M. was genau geschehen war.

K. rannte also wie schon gesagt mit gezogener Pistole in das Haus. M. ihm nach.

Die beiden Zeugen standen oben auf der Treppe und zeigten auf die aufgebrochene Tür.

„Er ist noch drin“, so sollte der Eine meinen Kollegen zugeflüstert haben.

Das muss der Täter aber gehört haben, denn er kam plötzlich mit einer spitzen Schere in der Hand aus dem Frisörgeschäfte auf K. zu gerannt. Er versuchte damit seinen Fluchtweg zu erzwingen, indem er mit der Schere versuchte K. nieder zustechen.
K. konnte gerade noch ausweichen.
Im Rückwärtsfallen löste sich dann ein Schuss aus seiner Pistole und verletzte den Täter im Bauchbereich.


Dann ging alles schnell.

Das Rettungswesen war nach wenigen Minuten vor Ort, kümmerte sich um den Verletzten, und transportierte ihn ab ins Krankenhaus.

Die Kriminalpolizei war Minuten später auch am Ort, und begann mit ihrer Arbeit.
Dann traf auch noch der Leitungsdienst ein. Der Leitungsdienst war immer ein Verantwortlicher des Stabbereiches der VP des VPKA, der Bereitschaft hatte.
Der Bereitschaftsdienst wies dann an, wie es mit uns und den zwei Zeugen weiter gehen sollte.

Für uns war ab da der operative Dienst gelaufen.
K. musste seine Pistole einen Mann von der K. übergeben, der auch anschließend die Patronenhülse suchte und fand.

Wir wurden dann alle drei zur Dienststelle der K. gebracht. Hier wurden wir gleich getrennt von einander befragt.

Die Vernehmungen wurden durch die K I durchgeführt, die wie ich meinte damals alle Fäden in ihrer Hand hielt, die K I arbeitete damals sehr eng mit dem MfS zusammen.

Mir kam es damals wie ein Verhör vor, denn immer und immer wieder stellten sie mir die gleichen Fragen. Ich konnte ihnen aber nichts über den Ablauf im Hausflur mitteilen. Ich war ja nicht dabei.
Nach dem ich alle Protokolle gelesen und unterschrieben hatte, wurde ich entlassen und von einem FSTW zum Revier gefahren.
Anschließend brachte man mich nach Hause.

Gegen 10:30 Uhr war ich endlich zu Hause.
K. und M. konnten erst gegen 14:00 Uhr die K. verlassen, wie ich später erfuhr.

Tage später wurde uns mitgeteilt, dass der Einbrecher im Krankenhaus verstorben ist. Die Ärzte hatten mit allen Mitteln versucht sein Leben zu retten.
Doch die Schussverletzung, die er davon trug, war zu groß.
Der Schuss ging durch das Rückwärtsfallen von K. in den Bauch und blieb schräg oben unter dem Schulterblatt stecken.
Der Täter, der kein unbeschriebenes Blatt bei der Leipziger Polizei war, hat dadurch sein Leben eingebüßt, und das für nur 90 Mark der DDR, die er als Beute in Kleingeld bei sich trug.

Mein Kollege K. war danach lange krankgeschrieben. Er konnte es nicht verkraften, dass durch seinen Schuss, der aus Notwehr abgegeben wurde, ein Mensch sterben musste.

Ja es war Notwehr.

Dank der Zeugenaussagen und der Untersuchungsergebnisse hat sich das heraus gestellt.

Trotzdem ist K. damit nicht klar gekommen und hat dann später die Polizei für immer verlassen. Wir haben uns aus den Augen verloren, und gesehen haben wir uns bis jetzt nie wieder.

M. versieht heute noch Dienst bei der Polizei. Er ist jetzt Ermittler auf einem anderen Revier der Stadt Leipzig.

Jedes mal, wenn wir uns zufällig im Stadtgebiet, oder auf einer Polizeidienststelle trafen, fragte er mich:

„Weißt du noch, damals?“

Auch er wird genauso wie ich diesen Tag wohl nie vergessen können.

Was aus K. zwischenzeitlich geworden ist, werde ich bestimmt auch nie erfahren.

Heute bin ich nun ein Pensionär, und habe dieses Erlebnis von damals hier aufgeschrieben.

Ein Erlebnis, das man nie vergisst.

Imprint

Text: Copyright by Ulf Heimann,
Cover: 2009Cover Copyright by Google-Bilderwww.Google-Bilder.com
Publication Date: 11-12-2009

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