Die Traumpille schenkt dem Menschen seine Träume. Das aus dem Gewinn entstehende Pharmaimperium verändert nicht nur das Gesundheitswesen, sondern auch die Industrie, das Wirtschaftsleben, die gesamte Zivilisation. Aber das Paradies bleibt nicht ohne Nebeneffekte: Die entfesselte Kreativität hat ihren Preis. Nun hängt das Schicksal der Menschheit von einer Unterschrift ab. Wird sie vom Privatleben des Monopols beeinflusst?
Ich bin ein Monopol. Nicht Monopolist, wie mir oft vorgeworfen wurde; Monopol, Angelpunkt, Eckstein. Und jetzt hängt weitgehend das Geschick der gesamten Menschheit von meiner Unterschrift ab.
Eigentlich bin ich Arzt. Zumindest habe ich Medizin studiert. Dann aber in Biochemie promoviert, später leitete ich einen Lehrstuhl für Pharmazie. Ich bin unbescholten, meine Hände sind sauber. Ein einziges Mal habe ich nur etwas leicht gedreht: Man könnte auf die Idee kommen, die Universität hätte die Rechte auf die Ergebnisse meiner Forschung bekommen sollen. Aber in der Zwischenzeit habe ich ihr das Vielfache davon zukommen lassen was sie daraus je hätte herausholen können. Meine Stiftungen finanzieren fast die Hälfte ihres Budgets und das Stipendium von dreiviertel ihrer Studenten. Wie an hunderten anderen Hochschulen weltweit. Ja, Bildung ist eine meiner großer Wohltaten: Ich habe erreicht, dass kaum jemand auf einen Abschluss wegen Finanzen verzichten muss. Aber nicht das war das Großartigste: Ich habe dem Menschen seinen Traum geschenkt.
Das Ganze fing schon in der Schule an, als ich mit vierzehn in eine neue Klasse kam. Innerhalb von zwei Wochen habe ich mich in eine Klassenkameradin verliebt. Die Sympathie war gegenseitig, aber wir wurden erst zwei Jahre später ein Paar und dann gleich nach dem Abitur ein Ehepaar. Wir absolvierten zusammen unser Studium und galten immer als unzertrennlich.
Obwohl wir ganz unterschiedlich sind. Meine Frau hat eine unglaubliche Menschenkenntnis, von der ich keine Ahnung habe. Ich trete von einem Fettnäpfchen ins nächste – sie bügelt die Folgen meiner Unsensibilitäten aus oder warnt mich vor dem nächsten Fehltritt. Was aber die Wissenschaft betrifft, da bin ich ihr meilenweit voraus. Ohne mich hätte sie ihr Studium kaum geschafft, höchstens weil sie so unwahrscheinlich fleißig ist. Ich bin faul, begreife die Dinge aber sehr schnell, stelle sofort die Zusammenhänge her und ziehe Schlüsse, die anderen nie einfallen würden. Das Auswendiglernen fürs Physikum war für mich eine Qual, die meisten Multiple-Choice-Fragen habe ich eher (aus meiner Logik heraus) geraten – sie hat diese Prüfung souverän gemeistert. Aber dann, wo es um unsere Doktorarbeiten ging, habe ich für sie das meiste ausgedacht. Texte ausformulieren, einleuchtende Abbildungen malen, Thesen einander gegenüberstellen – das kann ich hervorragend. Sie hat aber für meine Arbeit herausgefunden, was mein Professor von mir überhaupt erwartet. Es kam ihm zwar komisch vor, dass zu den Sprechstunden meine Frau auch immer mitkam, aber – wie gesagt – wir galten als unzertrennlich.
Besonders nützlich erwies sich unsere gegenseitige Ergänzung, als wir noch als Studenten gemeinsam Übungen von Studienanfängern betreuten. Es war eine Ehre, weil so etwas typischerweise Lehrassistenten vorbehalten ist, aber wir hatten (dank ihr) das Vertrauen des Dozenten gewonnen und waren (dank mir) gut genug dafür. Das war unsere erste gemeinsame Erfahrung in Menschenführung. Ich sah immer sofort, was einem Studenten fehlt und sie wusste, wie wir es ihm beibringen können. Ich konnte der Übungsgruppe die Dinge sehr gut erklären, aber sie merkte, wo meine Erklärungen nicht ausreichten oder überflüssig langatmig gerieten. Im Endeffekt schafften unsere Studenten weit überdurchschnittlich ihr Fach und der wiederholte Erfolg im nächsten Semester sicherte uns beiden eine Assistentenstelle an der Uni eher als unsere gute Noten und Diplomarbeiten.
Wie gesagt, wir promovierten in Biochemie, diesmal beim selben Chef und im letzten Jahr übernahm ich auch die Vorlesungen meines Doktorvaters. Judith betreute seine Doktoranden ein ganzes Stück besser als er das selber getan hätte und dank ihres Auftretens waren wir populär auf Campus-Festen, Partys und Kulturabenden. Wir musizierten zusammen, wenn auch nur amateurhaft, aber auch da erlebten wir, wie gut wir uns ergänzten: Ich lese präzise Noten und habe ein absolutes Gespür für Rhythmen, Akkorde und Texte; ohne sie wäre aber meine Musik kaum anders als eine computergenerierte. Sie bringt die Seele hinein, dass es den Leuten gefällt. Obwohl wir es nie vorhatten, auch nur ein bisschen professionell zu werden, lud man uns immer wieder zum Vorspielen ein und wir hatten Freude daran, uns auf unsere Auftritte gemeinsam vorzubereiten.
Aber wir wollten doch bei der Wissenschaft bleiben. Warum nicht an der Universität? Weil wir unmöglich zwei offene Stellen am selben Ort finden konnten. Auch in der Industrie: Diese unsere unabdingbare Bedingung war fast unerfüllbar. Nur ein großes Pharmalabor hatte genügend Ressourcen, gleich zwei promovierte Wissenschaftler einzustellen, die eine gleich schwanger. Wir zogen also um, kauften unser erstes Haus und ließen uns bis zum vierten Kind in einer Schlaf- und Hausfrauensiedlung nieder. Unsere festen Stellen gaben uns alle Freiheiten und ermöglichten, dass Judith ihren mütterlichen und beruflichen Anforderungen gleichermaßen genügen konnte: Es gab keine Differenzierung zwischen ihrer Leistung und meiner Leistung – wir galten ja als unzertrennlich.
Nicht als ob ich sie nicht immer wieder
Publisher: BookRix GmbH & Co. KG
Publication Date: 12-20-2017
ISBN: 978-3-7438-4697-5
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