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Titelblatt

Andy S. Falkner

Science Fiction virtuell

Science Fiction Extract

Megalomane und Gigantophobe, Band 21





Text & Bild © Andreas Solymosi

Umschlaggestaltung: Judith Solymosi, nach einem Gemälde-Motiv von Vera Solymosi-Thurzó

Einige Darstellungen stammen aus Wikipedia

Alle Rechte vorbehalten



Klappentext

Schriftsteller der Zukunft arbeiten anders als Thomas Mann: Ihre intelligenten Agenten und Avatare produzieren multimediale Werke, in die man je nach Interesse und Bildungsgrad oberflächlich oder tief eintauchen kann. Auch mitspielen, besonders wenn auch der Schriftsteller selbst in die virtuelle Realität eintaucht.

Science Fiction virtuell

In diesem Roman bin ich Schriftsteller. Ein erfolgreicher, wenn auch keine Weltgröße, nicht einmal weltbekannt. Aber erfolgreich, zumindest so weit, dass ich ganz gut davon leben kann. Freilich muss ich dafür hart arbeiten. Ich schreibe Trivialliteratur, in großer Menge: Jährlich 2-3 voluminöse Werke erscheinen von mir – nicht in Buchform, sondern im Internet, die man auf elektronischem Papier liest und ansieht. Ich lebe nämlich in der Mitte des 22. Jahrhunderts, wo man keine Bücher mehr druckt, wohl aber sie (wieder) liest – oder zumindest hört, lesen lässt (das elektronische Papier ist in der Lage, den Text auch vorzulesen). Meine Bücher enthalten nicht nur Texte, sondern sind multimediale Werke. Mit vielen Bildern, Musik, Videoclips. Diese stelle ich nicht selber her, sondern eine Mannschaft, die von meinem Verlag beschäftigt wird – ich schreibe nur den Text und plane das ganze Buch. Manchmal zeichne ich dies und das, aber das kann ich nicht so gut. Was ich gut kann, ist das Ergebnis meiner intensiven Phantasie und überdurchschnittlichen Produktivität. Dazu gebrauche ich in hohem Maße die moderne Computertechnik: sowohl um mein Werk herzustellen als auch um das Material zu sammeln. Ich setze meine Romane gerne auf historische Szenen, aber ich schreibe oft auch Science Fiction oder Geschichten in besonderen, gar extremen Umgebungen wie im lebensfeindlichen Hochgebirge oder im kochenden Gewässer im Inneren von Unterseevulkanen. Hierzu brauche ich viel Information, die ich aus Datenbanken einsammle, besser gesagt, einsammeln lasse. Im Laufe der langen Jahre meiner Tätigkeit habe ich gelernt, mich verschiedener Dienste und Agenten zu bedienen und sie auf meine Bedürfnisse zu konfigurieren. Oder zum Beispiel schreibe ich meine Romane nicht auf traditionelle Weise von vorne nach hinten, sondern von oben nach unten: Zuerst skizziere ich die ganze Geschichte in groben Zügen, ich schreibe ein Extract, dann fange ich an, sie zu verfeinern; ich baue Notizen ein, springe hin und her im Ganzen, und Stück für Stück komme ich zu den Details. In der Zwischenzeit weise ich meine Agenten (das sind spezielle, manchmal überraschend intelligente Computerprogramme) an, zu bestimmten Themen Daten zu sammeln. Das Ganze tue ich nicht nur tippen, sondern auch diktieren, per Hand steuern. Ich arbeite oft mit komplexen Makros, wobei eine einzige Anweisung eine ganze Reihe von Aktionen auslöst. Die letzten Schliffe erledige ich auch nicht selbst, sondern mein semantisches Prüfprogramm, das nicht nur die eventuellen Rechtschreib- und Stilfehler korrigiert, sondern auch die logischen Widersprüche und Mängel aufdeckt.

Dann, wenn die Textversion (oder ein Kapitel) mehr oder weniger fertig ist, skizziere ich auf ähnliche Weise die visuellen und akustischen Ergänzungen. Weil ich kein bildender Künstler bin, werden diese von anderen Mitgliedern meiner Mannschaft vollendet. Aber ein historisches Foto von der Originalszene, gefunden vom Agenten, oder ein Ausschnitt aus einem (vielleicht 200 Jahre alten) Film mit einem ähnlichen Thema kann viel im multimedialen Aufbau helfen. Der letzte Schritt ist, die Clips zu generieren. Damit kann ich auch ganz gut umgehen, weil ich in die von den Künstlern ausgearbeiteten Szenen meine Avatare (die vom Computer generierten Figuren) einsetze, bewege und meine Texte in ihren Mund gebe. Nur bei sehr erfolgreichen (und für sehr großen Erfolg vorgesehenen) Romanen ist es bezahlbar, einzelne Szenen von echten, lebendigen Schauspielern spielen zu lassen oder gar das Ganze zu verfilmen. Der Sinn der Clips ist sowieso nur, Interesse zu wecken: Wir wollen, dass der Konsument den ganzen (oder fast den ganzen) Text kennen lernt. In welchem Maße er dazu bereit ist, hängt von seinem Bildungsgrad ab – ich liefere ihm auf jeden Fall das komplette Buch. Natürlich nur auf der Ebene der Allgemeinbildung des 22. Jahrhunderts: Mit Thomas Mann oder Dante kann ich nicht, will ich auch nicht konkurrieren.

Also, ich kann davon leben, gar nicht schlecht, obwohl, reich bin ich nicht. Aber was das Wichtigste ist: Ich mag meine Arbeit, weil ich meine erwähnte Phantasie darin ausleben kann, und ich mag auch meine hohe Produktivität. Das zu viele Schaffen wird von meiner glücklichen Natur ausgeglichen, dass ich mich nicht überarbeiten kann: Wenn ich auf einer bestimmten Ebene der Erschöpfung angelangt bin, fällt mir nichts mehr ein. Dann muss ich anhalten, und erst nachdem ich mich mit etwas anderem beschäftigt und erholt habe, setzte ich mich wieder hin zu arbeiten. Ansonsten geht es nicht. Mein Verlag weiß das und sogar auch mein Publikum. Wenn ich mit einem Projekt in Verspätung bin, reklamieren sie nicht.

Außer jetzt. Weil ich die Fortsetzung so sehr an die große Glocke gehängt habe, ist sie schon sehr spät. Ich weiß nicht, warum, aber ich werde immer häufiger erschöpft, und auch nach der Erholung komme ich nicht so richtig in die Arbeit hinein. Ist das schon das Alter? Ich trete in die zweite Hälfte meiner Fünfziger, das wäre noch zu früh. Heutzutage fangen die Menschen erst über 100 an, ihre Lebensenergie zu verlieren. Nach meinem Wissen bin ich gesund, selbst wenn ich vor einigen Jahren kleine Herzbeschwerden hatte, die aber in Ordnung gebracht worden sind. Der regelmäßige Sport, gesunde Ernährung, ausgeglichene Sexualität und mein ganzer Lebensstil hält mich im Grunde genommen in hervorragendem Zustand.

Also, es ist Zeit, der Sache nachzugehen: Ich habe mich an einen Arzt gewandt, der nach einigem Hin und Her, langwierigen Untersuchungen, Konsultationen und Statistiken zögernd zugegeben hat, in mir eine seltene und bösartige Krankheit gefunden zu haben. Irgendeine Krebsart. Die meisten Krebskrankheiten sind heute schon heilbar, aber meine ist gar keine echte, sondern irgendeine Art von Vorkrebs, der jederzeit ausbrechen kann, und dann ist es innerhalb von Wochen zu Ende.

Natürlich, Depression – Arbeitsunfähigkeit, Ratlosigkeit. Ein anderer Arzt sagt dasselbe. Er kennt vielleicht 10-15 ähnliche Fälle: Bei allen kam es zu einem plötzlichen Ende. Was kann man machen? Schulterzucken. Sich auf den Tod vorbereiten.

Ich habe einen Bruder, Pet. Er ist Computerspezialist und hat mir viel geholfen, meine Agenten und Avatare zu programmieren. Jetzt arbeitet er an einem Projekt. Es ist keine öffentliche Forschung, so dass er offiziell gar nichts vom Sinn und Zweck wissen kann, er ist aber intelligent genug, um herausgefunden zu haben: Es ist irgendeine Gehirnforschung oder Gehirnsimulation, wofür er Teilaufgaben übernommen hat. Das Institut befindet sich auf einer Pazifik-Insel, nicht viele kommen hin, auch er nur ein- oder zweimal im Jahr, um seine Teilergebnisse in das Ganze zu integrieren und zu testen. Vor einem Jahr hat er gehört, dass Freiwillige gesucht werden, Todkranke oder Lebensmüde, Unfallopfer, die mit ihrem Leben abgeschlossen haben. Er weiß nicht, ob das etwas für mich ist, aber will sich erkundigen.

Er hat sich erkundigt, aber es ist schon zu spät. Die Freiwilligen wurden gefunden, die Experimente laufen schon, ziemlich erfolgreich, und sie denken sehr vorsichtig über eine geschäftliche Anwendung nach. Das ist nötig, weil sie wenig Geld haben, die Ausrüstung aber sehr teuer ist. Sie suchen genau solche Art von Kunden wie ich: Obwohl ich wahrscheinlich nicht genug Geld dafür habe.

Na ja, Interesse kann ich schon mal bekunden. Nach strengen Sicherheitsvorkehrungen und Pets Empfehlung darf ich hinfliegen. Der Verkäufer empfängt mich mit strahlender Freundlichkeit, als ob die Sache schon entschieden worden wäre. Er erläutert mir aufs ausführlichste die Funktionsweise des Gehirns, wie er sie auch aus meinem Roman von vor drei Jahren hätte

Imprint

Publisher: BookRix GmbH & Co. KG

Publication Date: 12-30-2016
ISBN: 978-3-7396-9098-8

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