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1. 1. Kapitel
Ich rutschte unruhig auf dem harten Plastik herum. Deutlich spürte ich das Rütteln der Räder auf den Schienen. Ich hatte keine Lust auf diesen Umzug, denn ich vermisste mein altes zu Hause jetzt schon.
Meine Mutter war mit dem Auto vorgefahren, weil ich mich noch von meinen Freundinnen verabschieden wollte.
„Geh jetzt ins Bett! Geh jetzt ins Bett!“ Ich zuckte zusammen. Erst als die Stimme zum dritten Mal ertönte, bemerkte ich, dass das mein Handy war. Nervös kramte ich in meiner Tasche.
Alle Leute, die sich im selben Abteil wie ich befanden, starrten mich amüsiert an.
„Alice Stix“, meldete ich mich leise am Telefon, um nicht noch mehr aufzufallen.
„Hey, ich bin' s. Wo bleibst du denn, Alice?“, fragte mich meine Mutter besorgt.
„Ich sitze noch im Zug. Der hat sich wegen einem Streik eine Stunde verspätet“, erklärte ich genervt.
Auf einmal konnte ich meine Mutter nicht mehr hören. Ich schaute auf mein Handy und bemerkte, dass das Display schwarz war. Der Akku war leer. Ich hatte gestern wahrscheinlich vergessen, es auf zu laden.
Ich steckte mein Handy zurück in die Tasche.
Müde lehnte ich meinen Kopf zurück und schlief ein.
Eine vorsichtige Stimme drängte sich in mein Bewusstsein, ich fuhr hoch und starrte erschrocken in das Gesicht eines Jungen. Der Junge wich ein wenig zurück, als ich die Augen öffnete, aber ich konnte seinen warmen Atem noch an meiner Haut spüren.
Ich musterte seine Züge.
„Hi“, hauchte ich verwirrt.
„Wie viel Uhr haben wir?“, fragte er kalt.
Ich starrte ihn einen Moment an. Ich konnte meinen Blick nicht von ihm lassen. Sein zerzaustes, schwarzes Haar glänzte im trüben Licht, das von der Decke aus herab strahlte. Seine dunkelblauen Augen waren geheimnisvoll und verschlüsselt, von ihnen ging eine solche Kraft aus, dass sie mich in ihrem Blick festhielten. Der Fremde wandte seine Sicht ebenfalls nicht von mir. Sein eindringlicher Blick bohrte sich in meinen. Meine Knochen zerschmolzen wie warme Butter und ein Lächeln umspielte meine Lippen, während ich den Jungen bestaunte. Sein Gesicht war wie das, von jedem anderen Jugendlichem. Vielleicht hatte er nicht mehr ganz wie die Jungs meiner Klasse diese noch immer Kindlichen Züge, bei ihm verblassten sie schon langsam und sein Gesicht wurde kantiger. Aber seine Augen machten dieses so gewöhnliche Gesicht so überaus unmenschlich schön. Würde man ihm die Augen verdecken, wäre er niemand besonderes – aber so? Es war kaum zu beschreiben, ich glaubte es nicht einmal, als ich diesen Blick direkt vor mir hatte, aber die Wärme, die von ihm ausging, versicherte mir, dass mir meine Fantasie nicht nur einen Scherz spielte. In seinen Augen glänzte etwas glückliches, normalerweise hätte ich mit Sicherheit sagen können, er würde lächeln. Aber in seinem Gesicht lag kein Lächeln. Sein Gesicht war eine harte Maske ohne Emotionen.
„Wie viel Uhr haben wir?“, wiederholte der Junge ungeduldig.
Ich schüttelte kurz meinen Kopf und senkte dann den Blick. „Ich habe keine Uhr dabei.“
„Und dein Handy?“
„Der Akku ist leer.“
Der Junge stöhnte genervt. „Wo musst du raus?“
„Noch fünf Haltestellen“, sagte ich benommen.
„Da muss ich auch raus.“ Mit diesen Worten ließ er sich neben mir fallen und starrte gedankenverloren aus dem Fenster, sein Blick glitt dabei an mir vorbei.
Nach ein paar Minuten brach in das Schweigen. „An welcher Schule bist du?“
„Das geht dich nichts an!“, zischte er.
„Tut mir Leid“, flüsterte ich mit tonloser Stimme.
Normalerweise hätte ich ihn – dank meiner Fähigkeiten – beruhigen können. Aber ich war zu verirrt dazu.
Die Macht Gefühle anderer Menschen beeinflussen zu können, war mir in jeder möglichen Situation sehr hilfreich gewesen. Ich hatte mir schon immer sehnlichst gewünscht, ein normales Mädchen zu sein. Denn das war ich nicht, und würde es auch niemals sein. Äußerlich war ich schon immer wie die Anderen, aber innerlich war ich nie das Mädchen, das ich zu sein schien. Es war, als würde ich eine Maske tragen. Ich erinnerte mich zurück an den Tag, als ich so wurde wie nun war.
Es war der 6.Juli 2006. Mein Geburtstag. Den Tag hatte ich mit meiner besten Freundin Cheyenna verbracht. Wir hatten ein Konzert besucht, und jetzt war ich auf den Weg nach Hause. Meine Freundin wurde nach Hause gebracht, doch meine Eltern waren über das Wochenende hinweg verreist und ich musste die Strecke allein laufen.
Ein eiskalter Windzug streifte mein Gesicht. Ich blieb stehen und starrte in die Dunkelheit. Ich spürte die Kälte im ganzen Körper. Ein Rascheln lies mich zusammen zucken.
„Alice“, meinte ich zu hören.
Ich fuhr herum. Jedoch war keine Gestalt zu erkennen. Der eisige Wind nahm meinen Beinen die Kraft. Mit einem Male viel ich zu Boden. Meine Handflächen schürften über den rauen Asphalt.
Ein Motorengeräusch lies mich aufschauen. Das Auto kam mit überhöhter Geschwindigkeit auf mich zu. Das Licht der Scheinwerfer erfasste mich.
Ich wollte schreien, doch über meine Lippen ging kein Ton.
Plötzlich wurde ich von etwas weggerissen. Eine raue Hand verdeckte meinen Mund. Ich hörte ein grauenhaftes Reißen. Dann erklang ein schmerzerfülltes Stöhnen.
„Sei jetzt still!“, befahl der Mann bestimmt. Er nahm seine Hand von meinem Ohr.
Im ersten Moment wollte ich schreien. Aber dann ließ ich es, immerhin hatte er mir das Leben gerettet. Jedoch war mir sein Auftreten nicht geheuer. „Was wollen sie von mir?“, fragte ich ängstlich.
Bevor ich eine Antwort bekam, plätscherte Wasser auf mein braunes Haar. Ich hielt mir meine Hände zum Schutz über den Kopf und drehte mich zu dem Mann.
Ich sah, wie er seine Hand an sein Handgelenk presste. Ich erinnere mich noch heute, an sein furchtbares Stöhnen.
Das Wasser brannte auf meinen offenen Händen und ich zog sie zurück. Erschrocken warf ich einen Blick auf meine Hände, das Wasser zog sich in die tiefe Wunde.
Der Mann folgte meinem Blick und der Schreck trat in seine Augen. „Nein!“
Sein aufgelöster Schrei hallte durch die leere Straße.
„Trockne deine Hände ab, bevor es zu spät ist!“, flüsterte er mit panischer Stimme.
Ich tat, was er mir befahl und rubbelte mit meinen Handflächen über die Hose.

Imprint

Text: Idee sowie Charakter und Personen stammen von uns
Publication Date: 06-15-2010

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Dedication:
Larissa Leiendecker widmed sich das Buch selbst

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