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1. Kapitel
Die flache Hügellandschaft zog an uns vorbei. Ich beobachtete die Sonne, wie sie den Himmel in ein leuchtendes Orange-Rot tauchte.
Ich strich mir eine dünne Strähne auf dem Gesicht und seufzte, während der Wind mir das Haar zurückblies. Aus dem Radio kam leise Musik.
„Ich möchte nicht umziehen, Mom“, sagte ich leise.
Nicole warf einen besorgen Blick auf mich, wandte ihn dann aber wieder ab, ohne mir zu antworten.
Ich wusste, dass dieser Umzug notwendig war. Meine Mutter war ausgebildete Ärztin, und dazu auch noch sehr interessiert an ihrer Arbeit. Schon seit langem Suchte sie nach der perfekten Arbeitsstelle. Und nun hatte sie sie gefunden – weit weg von meinem alten zu Hause. Ich verstand sie nicht, wir hatte es nie nötig gehabt. Wir brauchten nicht mehr Geld, denn der Vater meiner Mutter hatte ihr vor einigen Jahren sein gesamtes Vermögen mit seinem Tod hinterlassen. Mein Vater war zusammen mit ihm bei einem schweren Autounfall verunglückt, als ich noch klein war. Jetzt erinnerte ich mich kaum noch an ihn. Ich hatte mir niemals die Mühe gemacht, zu fragen, wie viel Geld genau wir besaßen, aber das brauchte ich auch nicht. Denn ich besaß das Wissen, dass es so viel war, dass ich höchstwahrscheinlich in Ohnmacht fallen würde, was ein äußerst unangenehmer Gedanke war.
Und jetzt über den Umzug zu diskutieren würde mir wenig bringen. Das neue Haus war bereits renoviert und eingerichtet. Ab dem Moment, als ich in gestern Nacht in den Wagen meiner Mutter stieg, war alles entschieden. Ich hatte keine Wahl mehr und es gab kein Zurück.
Das neue Haus hatte ich noch nicht gesehen, es interessierte mich aber auch nicht. Nicht jetzt. Ich hatte beschlossen, so schnell wie möglich wieder wegzukommen, von diesem Ort der Verdammnis. Denn was sollte ich dort tun – ich war völlig fremd und hatte keine Freunde dort. Aber das, was mich am meisten beschäftigte, war das Problem, dass ich mir zu allererst den Ruf als „Prinzessin der Schule“ erobern musste, an meiner alten Schule hatte ich zwar nicht lange dafür gebraucht, aber wer wusste, was mich dort erwartete. Denn wie als wäre ich vom Teufel geküsst, verfolgte mich in den letzten Wochen das Pech auf Schritt und Tritt.
Die Müdigkeit überfiel mich und meine Lieder schlossen sich.
Als wir in die Stadt fuhren, wurde der Wagen langsamer. Ich hob meinen müden Blick von meinem Schoß und starrte auf die vorbeirauschenden Gebäude. Es waren Häuser, wie man sie nur in einem Dorf kannte – klein, teilweise noch mit alten Balken gehalten und dann und wann ein schmaler Vorgarten. Ich seufzte. Hier würden wir also wohnen. Ich fragte mich, ob es in dieser Gegend überhaupt Leute meines Alters gab, aber es sah nicht danach aus. Die vielen Häuser deuteten alle auf ältere Paare oder allein lebende Personen hin.
„Das ist doch nicht dein Ernst?“, zischte ich etwas verblüfft. Was tat meine Mutter mir hier eigentlich an?
Nicole wandte ihren Blick nicht von der Straße ab, als sie mir antwortete, ein Lächeln lag in ihrer Stimme. „Das ist mein voller Ernst.“ Es sah beinahe so aus, als müsste sie ein Grinsen unterdrücken, ihre Mundwinkel zuckten verdächtig.
Ich wusste nicht, was daran so amüsant war. Ich kam mir so vor, als hätte sie mich ausgelacht. Mich! Wut machte sich in mir breit, aber ich schluckte sie schnell wieder herunter. Es brachte doch sowieso nichts. Warum sollte ich mich über Dinge aufregen, die schon längst eine beschlossene Sache waren.
Ich starrte leblos aus dem Fenster, ohne etwas zu sehen. Vor meinen Augen tanzten flimmernde Lichter und wilde Blitze züngelten sich durch das Schwarz meiner Gedanken. Ich wusste, dass ich kurz davor war, mein Bewusstsein zu verlieren. Ich war zu schwach, um den Kopf zu heben oder meinen Mund zu öffnen, um Nicole auf mich aufmerksam zu machen. Also ließ ich mich einfach immer weiter in die Mächtigkeit des Drucks, der auf mir lag, versinken.
Als die schwere Autotür neben mir zufiel, wurde ich schlagartig aus meiner Benommenheit hinaus gerissen.
Ich krallte meine Nägel fest in das schwarze Leder und biss angespannt die Zähne zusammen.
Nicole öffnete hielt mir die Tür auf.
„Du machst mir noch das teure Leder kaputt. Steig aus und schau dir unser neues Haus an“, forderte meine Mutter lächelnd.
Dass sie sich um ihr wertvolles Auto sorgte war mal wieder typisch für sie. Ihre einzige Tochter hatte ja schließlich keine zweihunderttausend Euro gekostet.
„Nein“, zischte ich. „Ich sehe mir dieses verdammte Haus nicht an!“
„Bitte fange jetzt nicht damit an“, begannt meine Mutter bestimmend. „Bleib im Auto oder komm mit.“
„Ich bleibe hier!“, rief ich ohne nachzudenken.
„Und über Nacht?“ Nicole hob skeptisch eine Augenbraue, so als würde sie es mir nicht zutrauen, dass ich in einem Auto die Nacht überleben konnte.
„Natürlich“, stieß ich wütend hervor. Eine Nacht auf der weichen, mit purem Leder überzogenen Rückbank in einem Luxusschlitten mit Getränken in einem Kühlfach – was war schon dabei? Es wäre mir unangenehmer in einem dieser unbequemen Betten der zweiten Klasse zu übernächtigen.
„Es wird eine kalte Nacht“, wandte Nicole ein.
„Unter dem Sitzt sind Decken.“ Ich blieb stur und lies mir meine Entscheidung nicht ausreden. Dieser Typ von Mädchen war ich noch nie gewesen. Ich bekam immer, was ich wollte.
Nicole seufzte und ließ die Beifahrertür zufallen. Bei dem lauten Knallen zuckte ich unwillkürlich zusammen.
Ich starrte durch die verdunkelte Scheibe und beobachtete meine Mutter einen Moment. Ich wollte es jedoch nicht riskieren, einen Blick auf das Haus zu werfen. Ich hatte Angst davor. Kurz bevor Nicole aus meinem Blickwinkel verschwand, drehte sie sich noch einmal um und winkte mir. Ein Lächeln zuckte für einen Augenblick über mein Gesicht und ich winkte rasch zurück.
Sie kann dich nicht sehen, sagte ich mir und riss meine Hand zurück.
Ich öffnete die Schnalle am Gurt, der quer über meinen Körper verlief, und lies das Band los. Der schwarze Streifen spannte sich neben mir und eine Weile starrte ich einfach darauf.
Ein paar Minuten später hob ich meinen Blick an und kletterte auf die Rückbank. Ich rutschte mit dem Rücken an die Tür, um mich anzulehnen. Mein Blick wanderte aus dem Fenster. Draußen zog die Dunkelheit langsam und gefährlich durch die Straßen und die Kälte bahnte sich einen Weg in den Wagen. Ich schlang mir die Arme um den Oberkörper und beobachtete den Verlauf der Dunkelheit.
Nach mehreren Stunden erst hob ich meinen Arm und tastete die Decke vorsichtig nach einem kleinen Schalter ab. Meine zittrigen Finger berührten ihn sanft, und schon erhellte grelles Licht den Wagen. Ich senkte meinen Blick schnell und blinzelte. Das Licht nahm mir für einige Sekunden die Sicht.
Vor dem Fenster raschelte es leise und ein Schauder lief mir über den Rücken. Mit klopfendem Herzen beugte ich mich schnell vor, um die Tür zu verriegeln. Mein Blick war starr auf die Tür vor mir gerichtet, während meine Hand sich unter dem Sitz entlang tastete. Ich zog steif eine Decke hervor und breitete sie über mir aus.
Gefangen in der Dunkelheit und völlig fremd. Ich biss unruhig die Zähne zusammen. Aber als meine Lieder schwer wurden rutschte ich vorsichtig nach vorn und legte mich mit angezogenen Beinen auf das Leder.
Ich fuhr hoch und starrte an die verschlossene Tür. Beunruhigt zog ich mir die Decke bis zum Hals. Die Müdigkeit war dabei mich einzuholen, aber ich wehrte mich gegen die schweren Lider. Ich hatte Angst, dass der Traum zurückkommen würde.
Ganz allein sitze ich in dem großen Auto. Die Dunkelheit ist überall, man sieht nicht einmal die Hand vor Augen.
Ein leises Rascheln lässt mich aufhorchen. Ich starre mit ängstlichem Blick in die schwarze Nacht.
Schritte. Mit schnellen Bewegungen kommt das Knirschen der Steinchen auf der Straße näher. Ich zucke ein wenig zurück und ziehe die Beine fest an meinen Körper. Ich spüre das Zittern meiner Arme.
Ein leises Knacken - wahrscheinlich ein kleiner Ast, der unter dem Gewicht von etwas zerbrach. Dann Stille. Das einzige wahrnehmbare Geräusch: Mein zittriger Atem.
Vorsichtig taste ich nach meinem Mobiltelefon in meiner Hosentasche. Nichts. Meine Hand zuckt zurück und angespannt verdecke ich mir mit den Armen die Augen. Was auch immer dort herumschleicht – ich will es nicht sehen.
Ich beiße mir auf die Lippen und überlege fieberhaft, was zu tun ist. Was tat man ohne Telefon, gefangen und allein in der Dunkelheit, mit einem unbekannten Angreifer?
Ich reiße meinen Kopf in die Höhe, als ich das Rütteln an der Tür wahrnehme. Von draußen dringt ein angestrengtes Keuchen in den Wagen. Der Hebel zum öffnen der Wagentür wird brutal weggerissen. Ich höre, wie er immer öfter gegen den Lack knallte und leises Ziehen tiefe Kratzer hinterlässt. Ein aufgebrachter Schrei dringt aus meinem Mund. Ich drücke mich mit aller Kraft gegen die Tür, meine bebenden Lippen leicht geöffnet.
Mein Blick schweifte durch den Wagen. Erleichtert atmete ich aus und meine immer noch zittrigen Hände verschränkten sich auf meinem Schoß ineinander. Der Schreck lag tief in mir und ich ballte meine Hände zu Fäusten. Meine Nägel schnitten tief in meine Handfläche ein und mein Arm zuckte kurz vor Schmerz, aber ich selbst nahm es nicht wahr. Konzentriert starrte ich in die gnadenlose Dunkelheit. Für einen Augenblick schielte ich auf die Uhr an meinem Handgelenk.

Imprint

Text: Die Idee sowie die Personen und Charaktere stammen von mir. Zum Bild: Das jetzige Bild stammt aus dem Internet,wird allerdings so bald wie möglich durch ein anderes ersetzt. Es befindet sich noch in Bearbeitung von Katherina Stückle (13)
Publication Date: 06-12-2010

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Dedication:
Ich widme dieses Buch meinen Freunden, die mir die Tage erleichtern und mich glücklich machen.

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