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Prolog





„Was soll das? Warum um Himmelswillen müssen wir umziehen?“
„Dein Vater hat dort Arbeit gefunden. Du weißt doch, dass es schwierig ist für ihn. Tu es ihm zuliebe.“
„Warum ausgerechnet Amerika? Und dann auch noch irgend so ein kleines Kaff am Ende der Welt?“
„Warst du es nicht, die so unbedingt ihre leiblichen Eltern finden wollte? Wir haben dich damals genau in diesem Ort vor unserem Bungalow gefunden. Die Geschichte kennst du ja. Vielleicht findest du einen Teil deiner leiblichen Familie dort.“
„Natürlich will ich wissen, wo meine Wurzeln sind, aber das heißt doch nicht, dass ich gleich für immer und ewig dort leben will, verdammt!“
„ Saphira-Diamond Jones! Jetzt bekomm dich mal wieder ein! Wir haben es nur gut gemeint!“
„Ja, ihr meint es immer nur gut mit mir.“
Mit einem lauten Knall schlug sie die Haustür hinter sich zu.



Nur einmal fliegen können




Wie ein funkelnder Schleier, legt sich die Nacht über die Stadt. So klar ist sie in London nur selten. Kühler Wind weht ihr ins Gesicht, als wolle er sie streicheln. Die Sterne funkeln am Firmament wie tausend kleine Augen, die wachend auf die Erde blicken. Sie starrt in den Himmel, als hätte sie noch nie etwas Schöneres gesehen. Als sie eine Sternschnuppe aufblitzen sieht, schließt sie bedacht die Augen und fängt an zu wünschen. Ihre Liste ist lang, doch ihr größter Wunsch kommt ihr gleich in den Sinn. Nur einmal mit den Vögeln fliegen, über die Dächer Londons, weit hinaus, wo nur noch kleine Einfamilienhäuser stehen und die Idylle perfekt ist. Sie will nur einmal Freiheit verspüren, weg sein von allen Sorgen, frei, wie ein Vogel.
Sie lässt sich auf eine kleine Bank nieder. Der Straßenlärm klingt in ihren Ohren. Die monotone Melodie der Großstadt, die weder Tag, noch Nacht kennt. Der vertraute Lärm der Autos, Motorräder und Straßenbahnen. Es ist kalt hier draußen. Kühler Dezemberwind zerzaust ihr Haar, an dessen Spitzen sich langsam Reif bildet.
Nicht mehr lange und all das würde der Vergangenheit angehören. Schon Übermorgen geht der Flug nach Amerika. Ein Weg in eine ungewisse Zukunft. Sie wird all das hier vermissen. Tränen laufen über ihre Wangen, als Schneeflocken vom Himmel fallen, wie tausend kleine Diamanten. Sie denkt zurück an ihre Kindheit, an 15 lange Jahre, die sie in dieser Stadt verbracht hat und wünscht sich abermals, einfach davon fliegen zu können.


* * *

„So, was willst du an deinem letzten Tag tun?“
„Am liebsten würde ich einfach weg fliegen. Ich will, dass uns beiden Flügel wachsen und wir einfach abheben!“
„Ich werde deine Tagträume vermissen!“
„Und ich werde dich vermissen, Lea.“
Lea ist seit dem Kindergarten ihre beste Freundin. Sie waren immer unzertrennlich, doch jetzt nimmt alles ein Ende. Es fällt Saphira unheimlich schwer ihre einzige wirkliche Bezugsperson zurück zu lassen.
„Lass uns einfach reden. Über vergangene Zeiten. Über das, was bald sein wird.“
„Du wirst immer meine beste Freundin sein, Phira, das weißt du doch.“
Saphiras Ängste werden von Minute zu Minute größer. Die ganze Nacht unterhalten sie sich. Sie werden Brieffreundinnen bleiben, sich alles erzählen, das schwören sie sich. Doch in diesem Moment weiß Saphira noch nicht, dass sie diesen Schwur schon bald brechen muss.

Ein weiterer grauenvoller Tag beginnt. Bei weiten der Schlimmste von allen. Am Flughafen angekommen, fällt sie Lea erneut in die Arme und beginnt bitterlich zu weinen. Beide schluchzen eine Weile und geben sich eine Menge Versprechen.
„Ich schreibe jeden Tag eine Mail. Ich liebe dich, Maus!“
„Ich dich auch!“
Nur schwer konnten sie sich von einander lösen. Auch Phiras Mutter war den Tränen nahe.
Auf in ein neues Leben, eine neue Welt und eine ungewisse Zukunft. Ihr wird ganz übel, als sie daran denkt.
Im Flugzeug ist es eng. Die Luft macht ihr das Atmen schwer und das monotone Geräusch der Turbinen erinnert sie an den Straßenlärm in London. Tränen fließen über ihre roten Wangen. Sie sieht aus dem Fenster. Von oben sehen die Wolken wunderschön aus.
Sie legt ihren Finger an die Scheibe und beginnt Motive zu zeichnen. Sie erschreckt, denn es ist, als würde ihr Finger in die Wolken einschneiden, obwohl sie sie nicht berührt. Sie schiebt das Ganze auf die Müdigkeit und ihre verheulten Augen. Sie seufzt und versucht zu schlafen.
Als sie die Augen öffnet, ist sie in den Lüften. Der Wind peitscht ihr die Haare ins Gesicht. Schwerelos gleitet sie durch die Lüfte. Sie spielt mit den Vögeln und gleitet höher und höher, bis sie sie Oberfläche der Wolkendecke erreicht. Sie zeichnet Formen in den Himmel. Endlich ist sie frei.
„Wir sind da!“
Die Stimme ihrer Mutter lässt sie aus ihrem Traum erwachen. Sie stutzt. Dieser Traum war verblüffend echt.


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Publication Date: 04-30-2010

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