Der Autor war in den späten 1960er und 1970er Jahren als Arzt und Gastprofessor an der Universität Bagdad tätig. Er baute dort eine Abteilung für Neuroradiologie auf, hielt außerdem Vorträge an den Universitäten in Basrah und Mossul und unternahm Vortragsreisen an die Universität Damaskus. In seinem Buch „Als Arzt im Orient“ berichtet er sehr eindrucksvoll über diese Zeit, schildert seine Eindrücke, seine Erfahrungen und lässt den Leser an seiner Tätigkeit in einer aufregenden Zeit teilnehmen und interessante Details erfahren. Der Autor lebt seit 1958 in Dresden und wurde 1999 als Direktor des Institutes für Radiologie der Universität Dresden emeritiert.
Als ich junger Assistent in der Facharztausbildung für Radiologie in Dresden war, gab es an der Akademie eine Umfrage, ob man für eine bestimmte Zeit bereit wäre, im Ausland zu arbeiten. Ich habe mich sofort gemeldet. Welcher junge Mensch wollte nicht die Welt sehen und kennenlernen? Ein Kollege aus der Chirurgie, mit dem ich in Leipzig studiert hatte, besuchte uns, als er aus dem Jemen zurückkam, wo er sechs Monate als Chirurg tätig war. Begeistert berichtete er über seine Erfahrungen, die er als Operateur in dem noch unterentwickelten Land, in Aden, erlebt hatte. Er sagte mir, dass bei seiner Rückmeldung im Ministerium für Gesundheitswesen, gerade darüber beraten wurde, einen Radiologen für den Irak zu finden. Er hat dort gesagt, dass er einen Radiologen in Dresden kenne, der sehr daran interessiert sei, diese Stelle einzunehmen und hinterließ dort meinen Namen. Daraufhin hat sich das Ministerium bei mir gemeldet.
Ich war Feuer und Flamme und teilte es meinen Chef mit. Der war darüber nicht begeistert, weil ich gerade zum leitenden Oberarzt in der Diagnostik ernannt worden war. Das war eine sehr attraktive Stelle, aber Bagdad reizte mich mehr. Mein Chef hatte interveniert, da er mich angeblich nicht freigeben könnte. Durch einen Brief des Ministeriums wurde aber dann „geläutert“ und hat meiner Delegierung zugestimmt.
Innerhalb weniger Wochen war ich reisefertig. Am 25. Mai 1967 bin ich voller Erwartung von Schönefeld nach Bagdad, in eine völlig fremde Welt geflogen. Vorher habe ich einen Crashkurs in Englisch an der TU Dresden absolviert. Zufällig war es der Dolmetscher der Botschaft in Bagdad, der mich unterrichtete. Er war drei Jahre dort tätig gewesen. Jetzt ist er wieder Dozent für englische Sprache an der Universität. Er hat mir wichtige Informationen über das Land gegeben und das colloquiale Englisch beigebracht. In der Kürze der Zeit hielt sich mein Sprachzugewinn allerdings in Grenzen.
Vom Nahen Osten, den die Briten „Middle East“ nennen, hatte ich keine Vorstellung. Der Orient war mir aus dem Märchen „Tausend und eine Nacht“ schemenhaft in Erinnerung als „ex oriente lux“, das Land wo die Sonne aufgeht. Den Begriff „Morgenland“ soll Luther bei der Bibelübersetzung geschaffen haben, mit den „Drei Weisen aus dem Morgenland“. Das Morgenland als Begriff ist heute vorwiegend in der Literatur und Kultur angesiedelt. Erinnert sei an Goethes „West-östlichen Diwan“: „Gott ist Orient, Gott ist Okzident, nördlich südliches Gelände, ruht im Frieden seiner Hände“. Auch Hesses „Morgenlandfahrt“ habe ich erst später gelesen, wo er u. a. seine Tunisreise beschreibt. Zum Orient gehören die Länder Vorderasien und Ägyptens. Die Engländer zählen Südostasien, den Fernen Osten Indien, China, selbst Japan, Indonesien, Thailand und die Philippinen hinzu. Für mich war es also eine völlig fremde Welt. So bin ich durch glückliche Umstände in die fremdartige, exotische Stadt Bagdad gekommen, in der ich mehr als zwei Jahre erfolgreich wirken konnte und zehn Jahre eine Gastprofessur inne hatte.
Soweit ich es als Mediziner übersehen konnte waren die wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Irak sehr vielfältig. Wie tief das gegenseitige Vertrauen war, ließ sich nicht so einfach sagen, da man auch immer noch gern nach dem Westen, der BRD schaute und auch dorthin gute wirtschaftliche Beziehungen unterhielt. Bereits 1960 wurden die ersten Dattelverpackungsmaschinen von der DDR in den Irak geliefert. Die DDR war in der Ausbildung, an den Universitäten, in den technischen Einrichtungen, an den Ingenieur- und Fachschulen sowie in der Berufsausbildung recht präsent, im Flughafen-, Kühlhaus–, Eisenbahn-, Schlachthof- und Lagerbau, sowie in der Erdölbohrung stark vertreten. Auch im Mühlen- und Brunnenbau, in der Irrigation und Entsalzung in der Landwirtschaft und im Straßenbau gab es große Aktivitäten. Bei Reisen durch das Land, die wir sehr oft unternahmen, konnte man auf den Feldern oft Combineharvester aus der DDR/ Neustadt Sachsen entdecken. Der Werkzeugbau und, die Plasteverarbeitung waren stark vertreten. Nicht unerheblich waren wir im Ausbau der Regel- und Signaltechnik für die Bahn und den Flughafen. Mehrere Fahrzeugreparaturwerke wurden errichtet. RFT baute wesentliche Teile des Telefonnetzes des Landes aus. Die Pharmaindustrie war durch GERMED vertreten. Der Eisenbahnbau nahm zu unserer Zeit mehrere Objekte in Angriff. Welche militärtechnischen und militärstrategischen Verbindungen bestanden, war natürlich geheim. Vieles, was sonst noch an Aktivitäten seitens der DDR bestand, wurde mir nicht bekannt.
Aktivitäten gab es auch auf dem kulturpolitischen Sektor. Das Herderinstitut war das Gegenstück zum Goetheinstitut der BRD. Desöfteren traten Kulturgruppen aus der DDR auf, was für uns immer ein Höhepunkt war. Das klassische Kulturleben in Bagdad war nahezu Null. Es gab zwar einen Opera-Garden aber keine Oper und kein Philharmonieorchester. In klassischer Hinsicht herrschte also Totenstille. Außer James Bond Filme, wie „From Beirut with love” und ähnlicher Formate, sowie vorwiegend indischer Schnulzenfilmen, waren unsere kulturellen Bereicherungen bescheiden. Glückhaft gab es im Kulturzentrum der Botschaft eine wunderbare, Phonothek mit umfangreichen Opern- und Konzertplatten. Ich habe mir aus Kuweit einen sehr modernen Plattenspieler besorgt, der uns wunderbare Klassikabende beschert hat. Die Plattendiskothek hat uns mit Klassik sehr verwöhnt. Aus Fidelio und vielen anderen Opern konnten wir zum Schluss alle Passagen mitsingen.
Voller Erwartung bin ich also an einem grauen und verregneten Maientag 1967 mit der IL 18, einer viermotorischen Maschine der Interflug, von Berlin nach Bagdad geflogen. Im Januar des gleichen Jahres war die Fluglinie mit hochrangigen Vertretern des Außenministeriums und der Interflug gerade eröffnet worden. Der Flug führte über Nikosia und Damaskus, mit Zwischenlandung in Nikosia und Damaskus. Der Flughafen in Nikosia glich einem Heerlager Kanadischer Blauhelmsoldaten. Sie belagerten die überfüllte Flughafenhalle, waren ziemlich ungehemmt und teils alkoholisiert, wie eben junge kraftstrotzende Burschen so sind. Alle waren aus Israel und anderen Orten des Nahen Ostens abgezogen worden, wohl erstes Hinweiszeichen auf die bevorstehenden kriegerischen Auseinandersetzungen mit Israel. Mir war bislang überhaupt nicht klar, dass wir kurz vor dem Ausbruch des Sechs-Tage-Krieges standen. Für mich war der Flughafen eine Enttäuschung. Ich sah eine großen Wellblechbaracke ohne Eleganz, bullig warm und durch die dominierenden Soldaten wenig einladend und schmuddelig. Für mich, als prüden DDR-Bürger war die Pornoliteratur, mit der sich alle Soldaten bewaffnet hatten, etwas ganz Neues.
Nach dem Zwischenstopp von etwa einer Stunde, ging es weiter nach Damaskus. Beim Anflug auf den Flughafen sah ich viele Flugabwehrgeschütze, die sich ständig drehten, als würden sie uns ins Visier nehmen und abschießen wollen. In mir kam ein eigenartiges Gefühl der Beklemmung auf. Die Landung erfolgte aber völlig normal. Auch hier neue, erste arabische Impressionen. Der bescheidene Schönefelder Flughafen, war dagegen viel eleganter als die Flughäfen in Nikosia, erst recht als in Damaskus. Beeindruckend der Dutyfreeshop, wo es Dinge gab, die mir unbekannt waren, dominierend die Whiskygetränke, Alkoholitäten, Zigaretten, Parfüms und Modeartikel und vieles mehr.
Beim Weiterflug nach Bagdad waren wir nur noch fünf Personen in der Maschine, zwei Mitarbeiter der Botschaft und zwei Dienstreisende. Die Damen im Flugzeug verwöhnten uns mit vielen Köstlichkeiten und reichlich Alkohol, sodass die Zeit wahrhaftig wie im Flug verstrich. Langsam senkte sich die Nacht hernieder und ein heller Sternenhimmel öffnete sich. Die Uhr wurde nun 2 Stunden vorgedreht, sodass es noch schneller Nacht wurde.
Beim Anflug auf den Zielflughafen erinnert mich das Nachtbild von Bagdad tatsächlich an das Märchen aus „Tausend und einer Nacht“. Das Bild glich einem brennenden Teppich. Unter uns strahlte die Stadt, einmalig schön beleuchtet. Meanderförmig zog sich der an beiden Seiten illuminierte Fluss durch die Stadt, der von fünf hell erleuchteten Brücken überspannt wurde. Der Flughafen lag mitten in Bagdad. Die Maschine setzte sanft auf der Landebahn auf. Die Erwartung war groß. Die größte Überraschung bot die Temperatur, die mir backofengleich entgegen schlug als wir aus dem Flugzeug über die Gangway ausstiegen. Keine uns bekannte, angenehme abendliche Kühle. Die Temperatur betrug noch 30 Grad Celsius. In der Aufregung war mein Gepäck nicht auffindbar, was mich in Irritation versetzte. Vertreter der Handelsvertretung hatten aber bereits alles arrangiert. Ein sternenklarer Himmel mit einem glänzenden Halbmond, der auf dem Rücken zu liegen schien, und nicht wie bei uns vertikal gestellt war, erleuchtet die Nacht und begrüßte uns.
Der Irak trat nach dem Sturz des Königs aus dem Bagdad-Pakt aus, gehörte von nun an zu den nichtpaktgebundenen Staaten und erkannte 1968 die DDR als Staat an. Kurz darauf vollzog Ägypten den gleichen Schritt. Seitens der BRD galt das nach der Hallsteindoktrin als unfreundlicher Akt, der wirtschaftliche Konsequenzen zur Folge haben sollte.
1964 wurde in Basrah eine Universität gegründet, in der ich im Laufe meiner Bagdadtätigkeit mehrfach Vorträge und Seminare gehalten habe. Der Irak besaß zu meiner Zeit 5 Universitäten, davon zwei in Bagdad, darunter die älteste des Landes, die Al-Mustansyriya aus dem Jahre 1233, die als islamische Hochschule gegründet wurde. Weitere Universitäten gab es in Mossul, Sulaymaniyah und Basrah.
Das Land besaß neben dem Ölreichtum, große Teer-, Phosphat- und Schwefelvorkommen und war weltgrößter Dattelproduzent. Trotz des enormen Ölreichtums war es ein Agrarland. Mehr als 60% der Bevölkerung lebten von der Landwirtschaft. Im Süden und der Mitte des Landes wurde Getreide, Reis, Baumwolle, Sesam, Erdnüsse Weizen, Gerste, Tabak, Dattelpalmen angebaut. 75% der Weltproduktion an Datteln kommt aus dem Irak. Es soll über 400 verschiedene Dattelsorten geben und über 30 Millionen Dattelpalmen, sie stellen ein Grundnahrungsmittel des Landes dar. Trotz der ausgeprägten Landwirtschaft im Zweistromland gab es im Westen zu Saudi Arabien hin große Wüstengebiete, die bis zu 60 % des Landes ausmachen.
Bagdad, Geschenk Gottes, im Jahre 762 von Al-Kalifa Al-Mansur den zweiten Abbasiden-Kalifen als Hauptstadt des Abbassidenkalifats gegründet, wurde immer mehr die bedeutendste Stadt der islamischen Welt und erlangte unter Harun al-Rasheed, dem vierten Abbasidenkalifen sein größte Blüte. Sie ist zentral in der Mitte des Landes gelegen, Stadt des Friedens, ein „Märchen aus Tausend und einer Nacht“. Sie war einst Knotenpunkt vieler wichtiger Handelsstraßen und Zentrum der Wissenschaft, Kunst und Kultur. Bagdad kannte ich aus meiner Kindheit aus dem Märchen aus „1001 Nacht“ die Geschichte der Scherehzade und aus Karl Mays Buch „Von Bagdad nach Stambul“.
Im 12 Jahrhundert wurde Bagdad von den Mongolen unter Hulegu erobert und von diesen Barbaren zerstört. Der Kalif wurde getötet, die Bücher verbrannt und das einmalige Bewässerungssystem vernichtet. Somit starb die Hochkultur des Zweistromlandes und Bagdad versank in die Bedeutungslosigkeit. Im 15 Jahrhundert wurde es nach Streitigkeiten zwischen den Türken und den Persern, den Persern zugeordnet, konnte später aber dem Osmanischen Reich wieder angegliedert werden. Im 17. Jahrhundert erhielt es eine gewisse Autonomie. Bald danach wurde Bagdad mit Basrah zu einer Provinz vereinigt. Unter Pascha Suleiman erreicht Bagdad im 18. Jahrhundert eine erneute Blüte. Die Wahhabiten versuchten Bagdad zu erobern, was ihnen aber nicht gelang. Sie zerstörten die Heiligtümer in Nadscheff und Kerbala.
1832 wütete eine große Pestepedemie in Bagdad. Von den 80.000 Einwohnern, haben knapp 30.000 überlebt. Die Stadt war erheblich geschwächt und konnte so von den Osmanen mühelos eingenommen werden.
Publisher: BookRix GmbH & Co. KG
Text: Klaus Köhler
Images: Cover W. Eberhardt (Hintergrundbild pxabay)
Editing: W. Eberhardt
Publication Date: 03-24-2017
ISBN: 978-3-7438-0668-9
All Rights Reserved