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Die
Nachtwanderin




© 2012 T. J. Hudspeth


Die Nacht offenbart uns
alles, was am Tag
verborgen bleibt.
Geschöpfe, die der Mensch
nicht begreifen kann.
Ob wir unsere Augen nun davor
verschließen, oder nicht,
die Kreaturen der Dunkelheit sind mitten unter uns.




Mimma saß auf einem Kissenberg, in einer Nische eines Szenekaffees. Halbherzig nippte sie an ihrem Kaffee und hing ihren Gedanken nach. Ausdruckslos starrte sie aus dem Fenster und sah zu, wie der Regen sich in Sturzbächen ergoss. Von weiter Ferne konnte sie ein ihr vertrautes Klingeln vernehmen. Es war ein Handy, das klingelte, doch sie schien es kaum wahrzunehmen. Das Klingeln wurde immer aufdringlicher, bis sie endlich bemerkte, dass es ihr Handy war, das unaufhörlich läutete. Sie kramte es aus der Seitentasche ihrer Handtasche heraus und blickte auf das hellgrün erleuchtete Display. Stranger war darauf in großen Lettern zu lesen. Als ihr bewusst wurde, wer gerade versuchte sie anzurufen, wurde sie plötzlich sehr nervös. Mimma stieß ein Keuchen aus, drückte auf den grünen Telefonknopf und nahm mit zittriger Stimme den Anrufer entgegen. Angespannt hörte sie zu, was ihr die bekannte, männliche Stimme zu sagen hatte. Sie holte sich einen kleinen Notizblock und einen Stift aus ihrer Handtasche, zwei wichtige Utensilien, die Mimma immer bei sich trug. Anschließend notierte sie sich die Anweisungen, die ihr der Mann am anderen Ende der Leitung, mit leicht monotoner Stimme übermittelte. Sie schrieb die Adresse und die Uhrzeit auf, wann sie sich an diesem Ort einfinden sollte. Ihr Herz raste. Mimma war klar, dass das erste Treffen schon bald stattfinden würde, doch jetzt traf es sie unerwarteter, als sie es sich gedacht hatte.
Oft ging sie in Gedanken verschiedene Szenarien durch, wie es wohl ablaufen würde, um sich mental darauf vorbereiten zu können, doch es half ihr nicht, diese Situation nun besser handeln zu können.
Zum Schluss des Gespräches sagte ihr der Anrufer mit sehr eindringlicher Stimme, dass Mimma das Treffen auf gar keinen Fall verschieben könne. Er machte ihr ausdrücklich klar, dass für sie eine Menge auf dem Spiel stand, mehr, als sie bis dato wusste. Ansonsten sollte sich Mimma genau an das Gesagte halten. Mit dem Telefon am Ohr, nickte sie unbewusst mit dem Kopf zur Bestätigung. Als ob der geheimnisvolle Anrufer an der anderen Leitung Mimma sehen konnte, beantwortete er Mimmas Kopfnicken.
„Gut, dann sind wir uns einig“, sagte er mit seiner tiefen Stimme.
Mimma hatte darauf nichts mehr zu erwidern und wartete darauf, dass er als erstes das Gespräch beendete und auflegte. Sie spitzte ihre Ohren, um das typische Piepen in der Leitung zu hören, doch plötzlich vernahm sie etwas, dass sich wie ein Grollen anhörte. Sie hörte genauer hin. Sie vernahm nun deutlich ein Knurren. Es erschien ihr wie eine Warnung. Erschrocken drückte Mimma den roten Telefonknopf und legte auf. So schnell wie möglich wollte sie ihr Handy loswerden und legte es auf den Tisch. Mit halb sorgenvoller, halb ängstlicher Miene rieb sie ihre zittrigen Hände mehrmals über ihre Oberschenkel. Mit einem unangenehmen Gefühl, das sie nicht mehr los ließ, rieb sie ihr Ohr, an dem sie zuvor noch das Knurren aus dem Handy hörte, so, als ob sie versuchte das Knurren aus ihrem Kopf zu bekommen, es ungeschehen zu machen. Ein jämmerlicher Versuch, der ihr nur ein rotes Ohr einbrachte. Das Knurren hatte sich bereits in ihre Gehörgänge eingebrannt. Mit verbissener Miene, starrte Mimma auf ihren Notizblock.
„Ob doch mehr an der Geschichte dran ist?“, stammelte sie flüsternd vor sich hin. Sie hatte keine andere Wahl. Nicht dieses Mal. Ihr war bewusst, dass es nun kein Zurück mehr für sie gab. Kurz kam ihr der Gedanke, einfach nicht hinzugehen und auch nicht auf seine Anrufe zu reagieren, doch ihr war bereits klar, dass mit diesem Mann nicht zu spaßen war. Er war anders als all die anderen Männer, die sie jemals kennen gelernt hatte. Wenn sie es sich recht überlegte, war er sogar anders als je ein Mensch, den sie in ihrem jungen Leben kennen gelernt hatte. In ihren Überlegungen ging sie sogar so weit zu glauben, dass seine Präsenz, die sie damals spürte, mit Menschlichkeit nicht viel gemeinsam hatte. Doch dann schüttelte sie ihren Kopf, um diesen absurden Gedanken schnell wieder los zu werden. Schließlich brauchte Mimma ihr letztes Bisschen an Mut, um sich an die Abmachung zu halten und sich mit dem unheimlichen Mann zu treffen. Ein kurzer Blick auf die digitale Uhrenanzeige ihres Handys zeigte ihr, dass sie sich besser auf den Weg machen sollte, um pünktlich am Treffpunkt anzukommen. Mimma wollte den Mann nicht noch unnötig mit Unpünktlichkeit verärgern. Sie packte ihre Sachen in ihre Handtasche und machte sich daran das Kaffee zu verlassen. Ihren fast noch vollen, jedoch kalt kaltgewordenen und somit für Mimma ungenießbaren Kaffee, ließ sie am Tisch stehen. Sie zog sich ihren dunkel violetten Mantel an und stülpte sich die daran angebrachte Kapuze über, um sich vor dem Regen zu schützen, der nach wie vor an Stärke nicht verloren hatte und begab sich hinaus in das Unwetter.
Mimma lief eine Weile durch die fast menschenleeren Straßen. Die meisten hatten in Restaurants, Bars und Einkaufsläden Schutz vor dem Regen gesucht. Andere sind in ihre Mietswohnungen und Häuser geflüchtet, um sich nicht womöglich noch eine Erkältung einzufangen. Während sie so lief, ging sie in Gedanken ihr bisheriges Leben durch, bis zu dieser einen Nacht, die alles veränderte.

*****



Mimma war das letztgeborene Kind von insgesamt fünf Kindern. Ihre Mutter war alleinerziehend. Mit ihren anderen Geschwistern verstand sich Mimma nicht, denn sie hatte die Stellung als Nesthäkchen inne. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit, piesackten ihre älteren Geschwister sie. Sie ließen Mimma von Anfang an spüren, dass sie nicht erwünscht war. Durch die ständigen Quälereien ihrer Geschwister und die fehlende Liebe ihrer Mutter, stumpfte Mimma ab und zog sich immer mehr zurück. Während sie heranwuchs, wurde sie zu einer Einzelgängerin, die weder in der Schule, noch in ihrer Freizeit, Kontakt mit gleichaltrigen Kindern suchte. Sehr zum Ärgernis von Mimmas Lehrern, denn ihr asoziales Verhalten war für sie ein Dorn im Auge. Umso älter Mimma wurde, desto schwieriger wurde sie. Pädagogen waren mit ihren erzieherischen Maßnahmen erfolglos gewesen und somit mit ihrem Latein am Ende. Es folgte ein Marathon an Psychologen- und Sozialarbeiterbesuchen. Doch auch das brachte keinen Erfolg. Sie legten ihrer Mutter nahe, Mimma mit Hilfe von psychopharmazeutischen Medikamenten ruhig zu stellen. Die chemischen Bomben sollten ihre Emotionen völlig lahm legen. Doch dann hätte Mimma in eine betreute Wohngemeinschaft gehen müssen, denn mit den Medikamenten wäre ein normales Leben für sie nicht mehr denkbar gewesen. Doch Mimmas Mutter fehlte dazu der Mut. Außerdem wollte sie nicht wahr haben, dass sie als Mutter völlig versagt hatte. Mimma war alles egal. Sie spürte sowieso nichts mehr. Alles was sie wollte, war von ihrer Familie weg zu kommen und frei zu sein. Wenn Freiheit für sie also bedeutete, vollgepumpt mit Medikamenten und sabbernd in der Ecke eines betreuten Wohnheims zu sitzen und Löcher in die Luft zu starren, wie ein gehirnloser Zombie, dann wäre ihr diese abgewandelte Form von Freiheit auch recht gewesen. Hauptsache sie konnte der Hölle, die sich ihre Familie nannte, endlich entfliehen.

Irgendwann, als Mimma so zwischen 16 und 17 Jahren alt war, flatterte mal wieder ein Brief von der Schule nach Hause, indem sich die Schulleitung über das Verhalten und über die vielen Fehltage von Mimma beschwerte. Das war der Augenblick, als Mimmas Mutter endgültig mit ihren Kräften am Ende war. Alles was sie wollte, war dass es endlich aufhörte. Sie wollte keine negativen Briefe mehr von der Schule erhalten, die beinahe täglich den Briefkasten füllten und schon ohnehin an ihrem leichten Nervenkostüm zerrten. Nicht nur die Disharmonie in der Familie, machte ihr zu schaffen, sondern auch die täglichen Anstrengungen irgendwie weiterzumachen. Jeden Tag musste sie von neuem schauen, wie sie ohne jegliche Unterstützung, fünf hungrige Mägen und ihren eigenen füllen konnte. Oft hungerte Mimmas Mutter, damit zumindest die Kinder satt und zufrieden ins Bett gehen konnten. Der ständige Kampf ums Überleben stand Mimmas Mutter ins Gesicht geschrieben. Sie sah um einiges älter aus, als sie es eigentlich war und auch ihr Körper streikte. Jeden Tag hatte sie andere Wehwehchen, die ihr das Leben erschwerten.
Als Mimma nach der Schule nach Hause kam, fand sie ihre Mutter am Küchentisch vor. Beide Arme auf den Tisch gestützt, die ihren schweren Kopf hielten. Ihr Rücken war gekrümmt. Sie gab ein jämmerliches Abbild eines Menschen ab, dachte sich Mimma, dennoch hatte sie Mitleid mit ihr, denn ihre Mutter hatte alles falsch gemacht, was man in einem Menschenleben hätte falsch machen können. Sie hatte die falschen Männer, die nur auf ihr erspartes Geld aus waren. Mit diesen falschen Männern, bekam sie zur falschen Zeit, die falschen Kinder, im falschen Alter. Als der Geldfluss endgültig versiegte, verschwand auch der letzte Mann aus ihrem Leben. Mimmas Vater. Ein Taugenichts. Eine Beleidigung für die menschliche Rasse. Er war der erbärmlichste Mann, von den Männern, die Mimmas Mutter in ihrem Leben hatte. Das war wohl auch mit ein Grund dafür gewesen, weswegen Mimma von ihren älteren Geschwistern wie der letzte Abschaum behandelt wurde.
„Mimma, bist du das?“, fragte ihre Mutter mit schwacher Stimme, ohne ihren Kopf zu erheben.
„Ja“, antwortete Mimma trocken.
„Komm bitte her und setz dich, ich muss mit dir reden“, forderte sie Mimma auf. Mimma ging zum Tisch, zog einen der schäbigen und längst abgenutzten Holzstühle heraus und setzte sich zu ihrer Mutter, an den ebenso schäbigen second-hand Tisch. Sie machte sich darauf gefasst wieder eine Standpauke von ihr zu hören, als sie den geöffneten gelben Brief von der Schule sah. Gelb waren nur die Briefe, die direkt von der Schulleitung kamen und in denen stand nie etwas Gutes. Mimma wartete, dass ein Donnerwetter an Beschimpfungen über sie hereinbrach, doch ihre Mutter blieb ganz ruhig. Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit, bis Mimmas Mutter tief Luft holte und mit leiser, gebrechlicher Stimme zu sprechen begann. Mimma konnte aus der belegten Stimme ihrer Mutter heraushören, dass sie geweint haben musste. Wäre nicht das erste Mal gewesen, dass Mimmas Mutter wegen ihr geweinte hatte.
„Mimi, ich habe dir das leider nie gesagt, aber ich liebe dich“, sagte ihre Mutter gebrochen. Das traf Mimma völlig unerwartet. Sie spürte einen Kloß im Hals und beim Einatmen stach es in ihrer Brust. Mimma rieb sich mit der flachen Hand über die stechende Stelle, doch es hörte nicht auf. Dann fühlte sie, wie ihr Gesicht heiß wurde. Sonst hatte Mimma ihre Emotionen immer im Griff, denn sie zeigte schlichtweg keine. Doch jetzt quollen ihr unkontrolliert die Tränen aus den Augen. Sie liefen ihr über die Wangen und tropften am Kinn hinunter auf ihre Beine. Mimma ballte ihre Hände, die in ihrem Schoß ruhten, zu Fäusten und hielt die Luft an. Sie versuchte die Tränen zu stoppen, doch es gelang ihr nicht. Mimmas Mutter erhob den Kopf und starrte ungläubig in das Tränenüberflutete Gesicht ihrer Tochter. Mimma erwiderte den Blick und sah in die vom vielen Heulen verquollenen Augen ihrer Mutter, die sich ebenfalls mit Tränen füllten. Sie saßen beide reglos da. Nur das Schluchzen der Mutter war zu hören, doch Mimma gab keinen Mucks von sich. Es war ein stilles Weinen, äußerlich, doch innerlich brodelte es in ihr. Zu gerne wäre sie aufgesprungen und hätte ihre Mutter angeschrien, dass dieses Bekenntnis über 16 Jahre zu spät kam. Doch so viel Kontrolle hatte sie noch über ihre Emotionen, dass sie es sein ließ und einfach still weinend da saß.
„Mimi, es tut mir so leid, dass ich dir nie eine richtige Mutter war!“, schluchzte ihre Mutter auf und hoffte, dass wenn sie Mimma mit ihrem Kosenamen ansprach, sie zu ihr durchdringen konnte. Mimma saß noch immer mit geballten Fäusten da. Unwillkürlich begann ihr ganzer Körper zu zittern.
„Zumindest einmal möchte ich dir eine Mutter sein und etwas richtig machen und deswegen bitte ich dich, weil ich dich liebe, zu gehen“, flüsterte sie mit weinerlicher Stimme und wendete ihren Blick von Mimma ab. Die Augen fest auf die Tischplatte geheftet, redete sie weiter, ansonsten hätte sie nämlich den Mut dazu verloren.
„Du bist ein wunderbares, intelligentes Mädchen, Mimi.
Du bist anders und passt in unsere Familie einfach nicht rein und ich verstehe das.
Menschen können nicht alle gleich sein.
Ich möchte nicht, dass du in irgendeinem Heim vor dich dahinvegetierst, vollgestopft mit Tabletten….nein, das möchte ich nicht!
Aus diesem Grund bitte ich dich zu gehen.
Ich weiß du bist noch nicht volljährig, aber ich weiß auch, dass du schlau genug bist, dich alleine durch dieses raue Leben zu schlagen.
Das ist die beste Entscheidung, die ich für mich, aber vor allem für dich treffen kann. Ich möchte, dass du glücklich wirst, aber nicht hier bei mir, denn das ist einfach nicht möglich.
Zieh hinaus in die Welt. Ich bin mir sicher, dass du dort dein Glück finden wirst.
Ich lass dich gehen, denn ich will nur dein Bestes.
Ich hoffe du verstehst meine Entscheidung Mimi.“ Damit beendete sie ihren Monolog. Mimma versuchte die Worte ihrer Mutter zu verarbeiten und zu verstehen, was sie ihr gerade mitgeteilt hatte. Mimma wurde klar, dass ihre Mutter zum ersten Mal richtig gehandelt hatte. Ihre Mutter suchte wieder den Augenkontakt mit ihr. Mimma nickte und gab ihr somit zu verstehen, dass sie mit dieser außergewöhnlichen Entscheidung einverstanden war. Erleichtert fiel Mimmas Mutter ihr um den Hals und drückte sie fest an ihre Brust. Erschrocken streckte Mimma zuerst ihre Arme von sich, denn sie wurde noch nie umarmt, geschweige denn von ihrer eigenen Mutter, doch dann erwiderte sie die Umarmung und drückte sie ebenfalls fest an ihre Brust. Dann sagte Mimma etwas, dass sie zuvor noch nie sagte.
„Mom, ich liebe dich!“
Bei diesen Worten quollen Mimma erneut die Tränen aus den Augen, doch diesmal vor Freude. Zum ersten Mal verspürte sie ein Glücksgefühl. All der Zorn und Hass und all die Wut, die Mimma gegen ihre Mutter gehegt hatte, verpufften plötzlich durch diese eine noble Tat ihrer Mutter. Mimma löste sich aus der Umarmung, stand auf und ging in ihr Zimmer, das mehr einer Putzkammer glich, als einem angemessenen Zimmer für einen jungen Teenager. Sie packte ihre wenigen Habseligkeiten zusammen, die sich über die Jahre angesammelt hatten. Darunter waren all ihre Bücher, nur eine Handvoll, denn sie hatte nie das Geld, um sich mehr zu leisten. Bücher, die ihr die Welt bedeuteten, denn das war alles, was sie in all den Jahren voller Qualen und Hass hatte. Auf ihre Bücher konnte sie sich verlassen. Egal zu welcher Zeit und egal wie oft sie die Bücher laß, sie ließen Mimma nie im Stich und entführten sie aus ihrer tristen und lieblosen Welt, in eine Fantasiewelt voller Glanz und Wohlstand und das wichtigste, in eine Fantasiewelt voller Liebe. Und am besten konnten das die Romane von Jane Austen.
Behutsam verstaute sie die Bücher zusammen mit ein paar alten Jeans, T-Shirts, Longsleves und Unterwäsche, in einer roten Umhängetasche. Aus dem Badezimmer holte sie sich ihre Zahnbürste, eine bereits angebrochene Tube Zahnpaste, ein Stück Seife, ein Handtuch und die Hälfte eines in der Mitte zerbrochenen Kammes. Das war alles, was sie benötigte. Sie wusch sich ihr von Tränen verklebtes Gesicht, dann blickte sie in den Spiegel und was sie sah, war Zufriedenheit, zum ersten Mal. Ansonsten hatte sie keine Andenken. Keine Fotos. Nichts. Alles was Mimma blieb, war die Erinnerung. Sie hörte die Stimmen ihrer Geschwister in ihren Zimmern, doch mit ihnen verband sie nichts. Ebenso hätten es wildfremde Menschen sein können und sie wusste nicht, weswegen sie sich von wildfremden Menschen hätte verabschieden sollen.
Ihre Mutter saß noch immer am Küchentisch. Als sie Mimmas Schritte hörte, erhob sie den Kopf, doch sie hatte nicht die Kraft aufzustehen, um ihr Lebewohl zu sagen. Sie kämpfte mit den Tränen, als Mimma mit der gepackten Tasche vor ihr stand und verlor den Kampf. Wie eine niemals versiegende Quelle, schossen ihr die Tränen aus den Augen und befeuchteten ihr mit Sorgenfalten verunstaltetes Gesicht. Keiner der Beiden sagte ein Wort. Mimma ging zu ihrer Mutter und gab ihr einen Kuss zum Abschied auf die Wange. Der erste und der letzte Kuss. Denn beide wussten, dass sie sich nie mehr wieder sehen würden. Als Mimma zu Tür hinaus ging, drehte sie sich ein letztes Mal um und warf ihrer Mutter ein Lächeln zu. Es war ein Lächeln, dass ihr all die qualvollen Jahre, die Mimma hatte durchleben müssen, verzieh. Mimmas Mutter erwiderte schweren Herzens dieses Lächeln und formte mit den Lippen ein stummes Ich liebe dich. Dann zog Mimma die Tür ins Schloss. Das war das letzte Mal, dass sich Mimma und ihre Mutter sahen.

*****



Mimma reiste einige Wochen durchs Land. Entweder fuhr sie schwarz mit dem Zug, oder per Anhalter. Immer wieder erbarmte sich jemand und nahm sie ein Stück mit. Sie hatte kein bestimmtes Ziel vor Augen. Ihr war nur wichtig, dass sie sich so weit wie möglich von ihrem Geburtsort entfernte und eine große Stadt fand, in der es nicht auffiel, dass eine minderjährige alleine war, ohne gesetzlichen Vormund. Sie lebte von der Hand in den Mund, klaute hie und da etwas zu essen, schlief in abrissfälligen Gebäuden. Wo immer sich ihr die Möglichkeit bot, wusch sie sich und putzte sich die Zähne, damit sie gepflegt und nicht wie ein verlottertes Straßenkind aussah. Den Leuten mit denen sie per Anhalter fuhr, erzählte sie immer dieselbe Lüge. Nämlich, dass sie ihre alte Großmutter überraschen und besuchen wollte. Dabei hatte sie nicht einmal eine Großmutter. Zumindest schöpfte so niemand Verdacht und keiner vermutete, dass sie eine Ausreiserin und auf sich allein gestellt war.
Eines Tages, nach wochenlanger Reise, ließ sie jemand im Zentrum einer Großstadt heraus. Es war kurz vor Einbruch der Nacht. Die Stadt war riesig, mit mehreren Millionen Einwohnern, die alle nur auf sich schauten und sich nicht um eine umherstreunende Jugendliche kümmern würden. Also genau richtig für Mimma. Eine schnelllebige Stadt, in der man nur ein anonymes Gesicht war. Neue Clubs schossen wie Unkraut aus dem Boden und verschwanden genauso schnell, wie sie gekommen waren. Eine Neueröffnung jagte die andere. Zwielichtige Geschäftsleute investierten ihre Unmengen an Gelder, in irgendwelche profitablen Projekte und erhofften sich den großen Reichtum. Einige bekamen das, was sie sich erhofften, andere verloren alles und wurden durch neue Geschäftsleute, mit neuen Träumen und Visionen ausgetauscht. Nichts war beständig.
Da in dieser Stadt allen nur das Geld wichtig war, fand Mimma schnell eine Anstellung in einem Club. Der Betreiber wusste, dass sie minderjährig war, doch da sie für ihr junges Alter sehr erwachsen wirkte, ignorierte er diese Tatsache. So konnte er sie schwarz beschäftigen, musste keine Abgaben an Ämter und Versicherungen zahlen und konnte sich dadurch mehr Geld in die eigene Tasche wirtschaften. Mimma war das ebenso recht. Hauptsache sie kam schnell an Geld.
Sie behielt einen Job nie lange, um nicht von der Polizei geschnappt zu werden, denn sie wollte auf gar keinen Fall bis zu ihrer Volljährigkeit in einem Heim versauern.
Trotz der eher schlechten Bezahlung, konnte sich Mimma eine kleine und schäbige Mietswohnung leisten. Dem Vermieter war es egal, wer sich bei ihm einmietete, Hauptsache er bekam zum Monatsanfang pünktlich seine Miete.
Nach und nach richtete Mimma sich ihre kleine Wohnung mit allem Nötigen, gemütlich ein. Es war nicht viel, doch sie war glücklich, denn sie hatte ein Dach über den Kopf.
So vergingen die Jahre. Ihre Jobs wechselten, doch die Wohnung blieb dieselbe. Als sie endlich volljährig wurde, suchte Mimma sich Jobs, bei denen sie richtig angestellt war, doch es blieben vorwiegend Jobs in Clubs oder Bars, in denen sie hinter der Theke Alkohol ausschenkte. Durch ihr Festgehalt und ihr Trinkgeld konnte sie gut leben. Freunde hatte sie keine. Mimma bevorzugte es alleine zu bleiben, denn dann konnte sie keine Enttäuschungen erleben, wie in ihrer Kindheit und Jugend. Sie kannte durch die verschiedenen Jobs, die sie gemacht hatte, einige Leute, mit denen sie ab und zu durch die Stadt zog und feierte. Abgesehen vom Alkohol, der ihr das Leben an manchen Tagen erleichterte, nahm sie hin und wieder Drogen. Im Drogen- und Alkoholrausch hatte sie oft Sex mit fremden Männern, die sie nicht kannte. Nach einer durchfeierten Nacht, wachte sie bei irgendwem Zuhause auf, suchte ihre Klamotten zusammen und machte sich schleunigst aus dem Staub. Manchmal wunderte sie sich, weshalb sie nie krank noch schwanger wurde, denn sie hatte immer ungeschützten Verkehr gehabt und ihre Sexpartner sahen nie so aus, als ob sie auf ihre eigene Gesundheit Acht geben würden. Es musste wohl einfach eine Frage des Glücks sein, wie beim Russischen Rollet. Man drückte den Abzug, hörte das Klicken, zuckte zusammen und da man noch denken konnte, wusste man, dass man sich noch nicht das Gehirn raus gepustet und an der Wand verteilt hatte. Eine unschöne Vorstellung für die Person, die die Sauerei bereinigen musste.

*****



Mimma wechselte einmal wieder den Job. Sie landete in einer kleinen, ruhigen Bar, in der Nähe ihrer Wohnung. Die Bezahlung war angemessen und da die Bar immer gut besucht war, fiel auch das Trinkgeld dementsprechend aus. Der Besitzer der Bar war Mitte 40 und machte einen freundlichen Eindruck. Nie versuchte er bei Mimma zu landen oder machte anzügliche Bemerkungen und da es sonst keine Mitarbeiter gab, musste sie das Trinkgeld nicht teilen und konnte es ganz für sich behalten. Die Bar hatte jeden Tag von 12 Uhr mittags bis Mitternacht geöffnet. Da Mimmas Wohnung ganz in der Nähe lag, konnte sie zu Fuß nach Hause gehen, bekam genügend Schlaf und hatte vormittags noch Zeit, um Besorgungen zu machen. Mimma war mittlerweile 22 Jahre alt. Sie hatte keine besonderen Ambitionen, aus ihrem Leben mehr zu machen, denn sie war zufrieden. Ihr gefiel die Arbeit, bei der sie es bis jetzt am längsten ausgehalten hatte und Freunde wollte sie nach wie vor keine. Ihre Freunde waren ihr Bücher. Über die Jahre hatte sie eine beachtliche Sammlung an Büchern angehäuft. Von Franz Kafka über Thomas Mann, von Goethe bis hin zu Charles Bukowski, ihre geliebten Jane Austen und einigen nicht so bekannte Autoren, fanden in ihren Bücherregalen ein Zuhause.

Nachts lag Mimma oft noch lange wach im Bett und hatte ein Gefühl, dass sie nicht wirklich beschreiben konnte. Es war ein Gefühl, als ob etwas mit ihr nicht stimmte, als ob ihr etwas fehlen würde. Dieses Gefühl hatte sie schon des Längeren, begleitet von merkwürdigen Träumen, in denen sie verschwommene Gestalten sah, die Menschen ähnelten, jedoch nicht menschlich wirkten. Während ihrer Arbeit in der Bar, konnte sie dieses Gefühl verdrängen, doch sobald sie alleine Zuhause war, überkam sie dieses Verlustgefühl wie eine übermächtige Welle, drängte sich zurück in ihr Bewusstsein und begleiteten sie bis in den Schlaf. Mimma fühlte sich immer mehr zu diesen fremdartigen Erscheinungen in ihrem Traum hingezogen und aus unerklärlichen Gründen verspürte sie auch eine gewisse sexuelle Erregung. Da diese seltsamen Träume immer obskurer wurden und nicht mehr von ihr ließen, erwachte in ihr das Gefühl der Sehnsucht, doch sie wusste nicht, wie sie diese Sehnsucht befriedigen konnte, da sie nicht den blassesten Schimmer davon hatte, wie sie diese Träume deuten sollte.

Und dann kam der Tag, der ihr kontrolliertes und linear verlaufendes Leben aus den Fugen riss. Ein Ereignis, das einen Stein ins Rollen brachte, den Mimma, selbst wenn sie es gewollt hätte, nicht mehr aufhalten konnte.
Eines Abends durfte Mimma früher gehen, denn es war nichts in der Bar los. Die Saison von einigen beliebten Sportarten hatte wieder begonnen und da es in der Bar keinen Fernseher gab, von dem aus man hätte wichtige sportliche Ereignisse mit verfolgen können, bevorzugten es viele Stammkunden, während dieser Zeit andere Lokalitäten aufzusuchen, die dieses Defizit durch die neuesten Hightech-Flatscreens ausglichen. Sie verabschiedete sich und ging durch den Hintereingang, um den Müll hinauszubringen. Der Hintereingang mündete in eine kleine, kaum beleuchtete Sackgasse, die mit allerlei Gerümpel zugestellt war. Mimma war gerade damit beschäftigt die Mülltüten in die Tonnen zu wuchten, als sie Schritte hörte. Sie hob den Kopf und schaute angestrengt in die Richtung, aus der die Schritte kamen. Die Dunkelheit der Gasse verschlang jedes Licht. Sie sah nur den Umriss einer Gestalt, die einige Meter von ihr entfernt stand.
„Das hier ist eine Sackgasse.
Wenn Sie in die Bar wollen, müssen sie durch den Vordereingang gehen.
Die Hintertür ist verschlossen und lässt sich nur mit einem Schlüssel öffnen!“, sagte sie mit bestimmendem Ton. Mimma hatte keine Angst, denn in diese Sackgassen hatten sich schon des Öfteren Betrunkene verirrt. Sie wendete sich wieder dem Müll zu. Die Person schien sich von Mimma jedoch nicht abwimmeln zu lassen.
„Hören sie, gehen sie endlich, hier gibt es nichts zu holen!“, sagte sie nun mit lauter und verärgerter Stimme. Sie wartete ab und sah angespannt auf die Gestalt in der Dunkelheit. Die Gestalt kam plötzlich mit eiligen Schritten auf sie zu. Mimma schaltete schnell. Ihr war klar, dass diese Person nichts von der Bar wissen wollte. Sie hämmerte so fest sie nur konnte mit den Fäusten gegen die Stahltür und rief nach Hilfe. Sie hoffte, dass ihr Chef sie hören würde, doch es tat sich nichts. Sie konnte nirgendwo hin. Verzweifelt warf sie ihre Handtasche auf den Boden.
„Hier, Sie können alles haben was da drin ist, mehr hab ich nicht!“, schrie sie die Gestalt an, während sie zum Ende der Sackgasse lief. Doch die Gestalt kam immer näher auf sie zu. Voller Angst presste sie sich wie ein ängstliches Tier in eine Ecke der Sackgasse und hoffte, dass was auch immer gleich passieren würde, schnell vorbei war. Ein Mondstrahl fiel auf das Gesicht der Gestalt und was sie zu sehen bekam, raubte ihr den Atem. Es war eindeutig ein Mann, doch sein Gesicht war zu einer furchterregenden Fratze verzehrt. Er hatte große, gelbgrün leuchtende, wilde Augen. Sein Mund war weit aufgerissen und gab den Blick auf riesige Reiszähne frei. Aus seiner Kehle ertönte ein tiefes Grollen.
„Hab ich dich endlich du dreckiger Nachtwanderer!“, sagte das Monster voller Abschaum. Dann schnupperte er in der Luft, so als ob er ihre Witterung aufnehmen wollte.
„Wie ich sehe wurdest du noch nicht verwandelt.
Das heißt, dass ich nicht meine volle Wolfsgestalt annehmen muss, um dich zu beseitigen!“, sagte er mit seiner bedrohlichen Stimme und spuckte angewidert auf den Boden. Mimma glaubte, dass ihr Gehirn ihr einen Streich spielte und sie aufgrund ihrer stetig wachsenden Angst, dieses Monster vor sich sah. Doch sie wusste nicht, wie sie sich seine Worte erklären sollte. Sie glaubte, dass sie sich einfach nur verhört hatte.
„Hören sie, sie müssen mich mit jemandem verwechseln!
Wir können das bestimmt wie zwei zivilisierte Menschen klären und….!“
„Wie Menschen!?“, keifte das Monster voller Hass erfüllt.
„Du bist noch weniger ein Mensch, als ich es bin, du erbärmlicher Nachtwanderer. Auch, wenn du noch nicht verwandelt wurdest, bist und bleibst du Abschaum! Nachtwanderer haben kein Recht, hier auf Erden zu wandeln!“, schrie er sie an.
„Ich weiß überhaupt nicht wovon sie da sprechen.
Ich bin ein ganz normaler Mensch!“, schrie Mimma ihm verzweifelt entgegen. Als Mimma das Wort Mensch in den Mund nahm, verlor das Monster endgültig seine Fassung. Sein Körper bebte. Plötzlich schnellte er auf Mimma zu und packte sie mit seiner riesigen, behaarten Hand am Hals und hob sie hoch.
„Nachtwanderin du hast nicht das Recht das Wort Mensch in den Mund zu nehmen.
Du wurdest zwar noch nicht verwandelt, doch deine Menschlichkeit hast du schon bei deiner Geburt verloren.
Es ist meine Pflicht als Werwolf dich zu beseitigen.
Das Schulde ich meinem Rudel und all den unschuldigen Menschen, die du sonst im Blutrausch getötet hättest, sobald du verwandelt wurdest!“, knurrte er, während dickflüssiger Speichel aus seinem Maul tropfte und drückte die Hand um Mimmas Hals fest zu. Mimma zappelte mit den Beinen und schlug unkontrolliert mit ihren Händen um sich, doch es schien das Monster nicht bei seinem Vorhaben Mimma zu töten, zu stören.
„Hör auf dich zu wehren, dann ist es schneller vorbei Nachtwanderin“, sagte der Werwolf spöttisch und funkelte Mimma aus seinen Wolfsaugen an. Mimma bekam kaum noch Luft und verlor langsam das Bewusstsein, als sie sah, wie sich plötzlich am Eingang der Sackgasse etwas schnell auf sie zubewegte. Der Werwolf drehte hastig seinen Kopf um, als er Mimmas Blick sah, die auf irgendetwas hinter ihm starrte. Es war zu spät. Schon bekam der Werwolf so kräftig eins mit einer Eisenstange über den Schädel gezogen, dass er Mimma fallen ließ und selbst auf die Knie zu Boden sackte. Doch blitzartig sprang er zurück auf seine Füße, bereit sich vollständig zum Werwolf zu verwandeln und sich dem Kampf zu stellen. Dann hielt er plötzlich inne, als er sah wer da mit einem siegessicheren Grinsen vor ihm stand.
„Dreckiger Nachtwanderer, wie hast du sie nur gefunden?“, fragte der Werwolf verärgert, als er erkannte, wer ihn beinahe außer Gefecht gesetzt hatte.
„Aber Baddo, du solltest es besser wissen und deine Worte vor einer Dame mit Bedacht wählen!“, ermahnte ihn der Unbekannte freundlich und behielt stets eine gewisse anmutige Haltung bei. Als Mimmas unbekannter Retter in den Mondschein trat, konnte sie ihn besser erkennen. Er trug eine enganliegende schwarze Hose, einen farblich dazu passenden schmalen, schwarzen Gürtel mit einer großen, silbern glänzenden Gürtelschnalle. An den Füßen trug er sehr moderne und bei den modebewussten Männern angesagte matt schwarze Boots, die er locker geschnürt hatte. Seinen Oberkörper bedeckte er mit einem ebenfalls in schwarz gehaltenem und locker geschnittenem, langärmligem Shirt mit V-Ausschnitt, das lässig an ihm hing. Vorne hatte er es in die Hose gestippt, an der Stelle, an der die glänzende Gürtelschnalle zu sehen war.
„Dieser Sieg man jetzt wohl deiner sein, aber die Schlacht werdet ihr hinterlistigen und dreckigen Nachtwanderer niemals gewinnen, dafür werde ich und mein Rudel sorgen!“, grollte der Werwolf den Unbekannten an.
„Möchtest du es denn nicht gleich hier und sofort drauf ankommen lassen?“, hakte der Unbekannte mutig nach. Er schien keinerlei Furcht vor dem Monster zu haben. Die Augen des Werwolfs blitzten rasend vor Wut auf. Er hielt seine Schnauze in die Luft und schien etwas zu riechen, dass ihm nicht gefiel. Dann ging er etwas in die Knie und sprang mit einem Satz über Mimmas Kopf hinweg, über die Mauer der Sackgasse. Einige Sekunden später war ein markerschütterndes Heulen zu hören. Jedes einzelne Haar an Mimmas Körper stellte sich zu Berge. Das Gejaule des Werwolfes löste in ihr einen unangenehmen Schauder aus.
„Dass diese Köter immer so theatralisch sein müssen“, scherzte der Unbekannte und reichte Mimma seine Hand, um ihr aufzuhelfen. Zögerlich nahm sie die Hilfe des Fremden an und legte ihre Hand in die seine. Mimma bemerkte sofort, dass sich die Hand des Fremden wie kühles Metall anfühlte, doch es schien sie nicht zu stören. Der Fremde zog sie nahe an seine Brust und musterte sie. Mimma sah tief in seine Augen. Solch eine intensive und alles durchdringende Augenfarbe, hatte sie noch niemals zuvor gesehen. Die Iris seiner Augen hatte die Farbe von flüssiger Lava und umso länger sie in seine Augen starrte, desto mehr hatte sie den Eindruck, dass sich die Farbe der Iris tatsächlich auch wie Lava, langsam bewegte und ab und zu aufbrodelte. Noch immer fasziniert von seiner Erscheinung, war Mimma gar nicht aufgefallen, dass der Fremde an ihr schnupperte und sie am Hals berührte.
„Na wie ich sehe ist bei dem kleinen Zwischenfall mit dem Werwolf zum Glück nichts Schlimmeres passiert.
Dein Hals ist nur leicht gerötet, doch das dürfte in ein paar Stunden verblasst sein“, sagte der Fremde fachmännisch und streichelte ihr mit der anderen Hand sanft über die geröteten Stellen am Hals. Dabei strich er sich eine seiner Strähnen, seiner honigblonden und beinahe Schulterlangen Haare aus dem Gesicht, die ihm in die Augen fielen, um ihren Hals besser betrachten zu können. Mimma besann sich wieder und rückte einige Schritte von ihrem unbekannten Retter ab.
„Ich danke ihnen vielmals für Ihre Courage, es mit so einem Monster aufgenommen zu haben, um mich zu retten“, sagte Mimma in tiefer Dankbarkeit.
„Ich glaube der Sauerstoffmangel, den ich dabei erlitten habe, ließ mich glauben, dass dieser Mann ein Monster war, ein Werwolf“, stammelte Mimma vor sich hin. „Nein, aber nein, dein Gehirn arbeitet einwandfrei.
Baddo ist tatsächlich ein Werwolf!“, sagte der Fremde bestätigend. Ungläubig, mit zusammen gekniffenen Augen sah Mimma den Unbekannten an, dann begann sie zu lachen und schüttelte ihren Kopf.
„Sie wollen mich doch auf den Arm nehmen.
So etwas wie Werwölfe gibt es nicht.
Jetzt werden sie mir gleich noch erzählen, dass es Vampire gibt und, dass sie aus irgendeinem Grund zwischen die Fronten der beiden geraten sind und, dass ein unerbittlicher Krieg zwischen Werwölfen und Vampiren herrscht.
Das sind die Zutaten eines typischen Hollywood-Blockbusters.
Ich lass mir doch keinen Bären aufbinden!“, lachte Mimma und fasste sich kopfschüttelnd an die Stirn, um den Fremden zu zeigen, wie lächerlich sie das ganze empfand. Der Unbekannte legte seinen Kopf in den Nacken und seufzte.
„Ihr Menschen glaubt im heutigen Zeitalter zu 100 Prozent darüber aufgeklärt zu sein, was hier auf Erden passiert.
Dinge, die sich mit Hilfe der Wissenschaft nicht erklären lassen, glaubt ihr einfach nicht und redet sie schlichtweg hinfort.
Es hieß auch einmal die Erde sei Flach wie eine Scheibe und auch diese Aussage wurde durch die Wissenschaft unterstützend belegt.
Und obwohl so viele es tatsächlich glaubten, war, ist und bleibt die Erde trotzdem rund“, erklärte der Unbekannte Mimma, um seinen Standpunkt zu erläutern.
„Man kann nun daran glauben oder nicht, aber die Tatsache, dass es Vampire und Werwölfe gibt, lässt sich so oder so nicht leugnen“, fügte er abschließend hinzu.
„Du kannst doch nicht leugnen was hier vor wenigen Minuten geschehen ist?
Du hast doch gesehen, was für ein Wesen vor dir stand?“, fragte er Mimma. Sie überlegte kurz und hatte dann eine passende Antwort parat.
„Was auch immer ich gesehen habe, war nur ein Hirngespinst, denn schließlich hatte ich Todesangst!“, konterte Mimma.
„Und die Tatsache, dass der Werwolf mit einem Satz über die 2,50 Meter hohe Mauer springen konnte und anschließend aufheulte wie ein Wolf.
Wie willst du das erklären?“, fragte er Mimma auffordernd. Das gab Mimma schon länger zu überlegen und sie konnte sich darauf keinen Reim machen, doch sie wollte dem Fremden nicht eingestehen, dass sie darauf keine Antwort wusste.
„Ach das ist mir ehrlich gesagt egal. Ich möchte nur noch nach Hause und schlafen“, antwortete sie etwas genervt.
„Ich bin ihnen wirklich sehr dankbar, aber ich gehe jetzt nach Hause und möchte auch nichts mehr von diesem Unsinn wissen.
Sie können glauben an was sie wollen und ich glaube woran ich will!“, sagte Mimma in einem patzigem Ton.
„Wie du willst, du wirst es noch früh genug erfahren“, sagte der Fremde und kapitulierte damit.
„Wenn du nichts dagegen hast, würde ich dich gerne noch bis nach Hause begleiten, nur um sicher zu sein, dass dir nichts mehr passiert“, bot der Fremde ihr an. Mimma hatte nichts dagegen und willigte ein. Auch wenn sie den Fremden nicht kannte, fühlte sie sich in seiner Gegenward dennoch sicher und aufgehoben.
Sie verließen die Gasse und traten auf die Straße, die mit den hellen Lichtern der Reklametafeln und der Straßenbeleuchtung überflutet wurde.
„Hier, das ist doch deine Handtasche“, sagte der Fremde und reichte sie Mimma. Sie nahm die Handtasche an sich. Erst jetzt im hellen Licht sah sie, wie unglaublich gutaussehend der unbekannte Retter an ihrer Seite war. Sie liefen stumm nebeneinander her, während Mimma ihn aus ihren Augenwinkeln betrachtete. Er war geradezu atemberaubend schön. Er hatte perfekte, markante Gesichtszüge und er war ein großer Mann, an dem sämtliche Proportionen perfekt zu sein schienen. Seine Lippen waren voll und wohl geformt. Der Amorbogen hatte den perfekten Schwung. Wenn man eine mathematische Formel dafür hätte aufstellen können, wäre sein Gesicht das Paradebeispiel für den Innbegriff der männlichen Schönheit gewesen. Mimma wurde rot, weil sie nicht aufhören konnte ihn anzustarren. Sie wusste selbst, dass sie sich in den letzten Jahren zu einer echten Schönheit gemausert hatte, aber ob ihm ihre Schönheit genauso ins Auge fiel wie ihr seine, vermochte sie nicht zu sagen. Selbst nachts waren die Straßen der Millionenstadt belebt. Sie wunderte sich, dass keiner außer der Fremde ihre Hilferufe aus der Gasse vernommen hatte. Viele Menschen kreuzten ihren Weg und immer sah sie dieselbe Reaktion bei den Menschen, wenn sie den Fremden erblickten. Egal ob es Männer oder Frauen waren. Alle starrten ihn mit offenem Mund und großen Augen an. Das bestätigte Mimma zumindest ihre eigene Einschätzung, dass der Fremde wirklich außergewöhnlich schön war. Mimma versuchte sich auszumalen, was die Leute dachten, wenn sie sie neben dem hübschen Mann sahen. Entweder mussten sie sich denken, dass die Beiden ein hübsches Paar abgeben würden, oder, dass Mimma mit der Schönheit des Mannes überhaupt nicht mithalten konnte. Eigentlich mangelte es Mimma nie an Selbstbewusstsein. Sie hatte einen schönen schlanken Körper, den man vorzeigen konnte und ein überdurchschnittlich gutes Aussehen, doch neben dem Fremden war sie sich nicht mehr so sicher, ob sie noch gut abschnitt. Dem Unbekannten schien die Aufregung um Mimma und ihm überhaupt nicht aufzufallen. Er lief durch die Menschen hindurch, als ob sie nicht da waren. Er wirkte völlig abwesend. Seine Haut sah so zart, blass und weich aus, wie die eines Neugeborenen. Unwillkürlich strich sich Mimma mit einer Hand über ihre Wange, um zu testen, ob ihre Haut so weich war, wie die Haut des Fremden aussah. Sonst hatte sie sich nie Gedanken über ihre Haut gemacht. Sie war stets rein und sah frisch und gesund aus. Sie ärgerte sich ein wenig über sich selbst, dass sie sich von der bloßen Erscheinung des Fremden, so verunsichern ließ. Die Menschenmassen um sie herum nahmen immer mehr ab, bis ihnen niemand mehr entgegen kam.
Sie bogen in eine ruhige Straße ab, in der keine Autos fuhren. Dann blieb Mimma vor der Haustür eines renovierungsbedürftigen Altbaus stehen.
„So, hier wohne ich.
Danke für ihre Begleitung.
Vielleicht sieht man sich mal wieder.
Ich arbeite fast täglich in der Bar bei der Sackgasse“, sagte Mimma verabschiedend und wollte gerade den Schlüssel ins Schloss stecken, als der Fremde sie am Arm festhielt. Erschrocken riss sie sich von ihm los. Was er wohl von ihr wollte?
„Du bist mir einen Gefallen schuldig“, sagte er dann und sah ihr bestimmend in die Augen. Das hätte sich Mimma ja denken können. So ein Schönling wie der tut doch nichts, wenn er nicht glaubt selbst etwas davon zu haben. Und schon schmiss sie ihr erstes Bild vom Ritter in der weißen Rüstung, was sie von dem Fremden hatte, um. Wie das Sprichwort besagte, der Erste Eindruck kann täuschen.
„Es gibt nur noch wenige Menschen, die einem helfen, ohne etwas dafür als Gegenleistung zu erwarten und der Schönling gehörte definitiv nicht dazu“, dachte sich Mimma.
„Was für einen Gefallen?“, fragte sie skeptisch.
„Hier ist meine Karte mit meiner Nummer“, sagte er und reichte Mimma eine Visitenkarte. Sie nahm sie entgegen.
„Was soll ich damit?“, fragte sie.
„Bitte nehme dir übermorgen für ein paar Tage frei.
Ich muss dir etwas erklären und ich glaube ich brauche bei dir etwas mehr Zeit“, sagte er und sah Mimma dabei freundlich an.
„Und was ist wenn ich das nicht tue?
Hetzen sie mir dann Werwölfe und Vampire auf den Hals?“, fragte Mimma scherzend. Plötzlich veränderte sich die Miene des fremden Schönlings. Mimma fühlte sich zum ersten Mal bedroht von ihm. Sie wich einige Schritte zurück.
„Mimma Craft, du hörst besser darauf, was ich dir zu sagen habe, das ist kein Scherz.
Tu was ich dir sage, oder du begibst dich in große Gefahr.
Außerdem kann ich es nicht leiden, wenn ich Gewalt anwenden muss.
Ich für meinen Teil weiß, dass ich dich wie eine Marionette für mich tanzen lassen kann.
Doch für dich wäre es nicht so schön, wenn ich dich unsanft anpacken müsste, damit du mir gehorchst.
Ich glaube, wir wollen beide eine friedliche Lösung für diese Sache finden“, sagte er und sah Mimma eindringlich an.
„Ist das für dich machbar?
Willst du es mit oder ohne Gewalt?“, fragte er sie, nachdem er mit seiner Androhung fertig war. Mimma war völlig verdutzt.
„Woher wissen sie meinen Namen?
Ich hatte ihn ihnen Gegenüber nicht erwähnt“, sagte sie stotternd.
„Ich weiß so einiges über dich Mimi“, gab er ihr keck zur Antwort. Er hatte wieder von seiner bedrohlichen zu seiner freundlichen Miene gewechselt.
„Mimi dürfen mich nur Freunde nennen und wir sind keine Freunde!“, zeterte Mimma und bockte wie ein kleines Kind.
„Du kannst leider nichts dagegen tun, dass ich und die anderen ab sofort ein Bestandteil deines Lebens sein werden und nur wir sind dann deine Freunde.
Solltest du Freunde gehabt haben, kannst du sie getrost in den Wind schießen, zu ihrer eigenen Sicherheit.
Du musst sie alle vergessen!“, meinte der Fremde energisch. In seiner Stimme lag ein Hauch Melancholie. Die Dinge, dir ihr der Fremde erzählte, verwirrten Mimma zusehends.
„Ich habe keine Freunde.
Die bedeuten bloß Ärger und Arbeit.
Dann wäre dieses Problem zumindest schon gelöst.
Bleibt nur noch eines. Ich verstehe wirklich nicht, was sie mir erzählen, oder was sie damit bezwecken wollen“, sprach Mimma leise, denn sie verspürte, wie sie immer mehr die Kontrolle über die Situation verlor. Der Unbekannte hatte die unsichtbare Schutzmauer um Mimma herum, mit einer Leichtigkeit zum Bröckeln gebracht, was Mimma nicht behagte.
„Ich wünschte dieses Los würde dir erspart bleiben, aber dem ist nicht so.
Du wurdest als Anwärterin geboren und wenn die Zeit gekommen ist, ist es deine Pflicht, deine Stellung als volles Mitglied der Familie anzutreten“, sagte der Fremde und schien sogar traurig darüber zu sein.
„Du bist nicht mehr alleine und du kannst mir vollends vertrauen!“, fügte er hinzu.
Mimma verstand zwar nicht, was er damit sagen wollte, doch sie wollte nicht mehr diskutieren. Das alles klang ihr viel zu absurd und surreal. Sie lenkte ein, aber nur, um dem Gespräch ein Ende zu bereiten.
„Ok, einverstanden.
Ohne Gewalt.
Was auch immer das für mich zu bedeuten hat“, sagte Mimma und seufzte.
„Sie wissen meinen Namen.
Dann ist es nur fair, mir ihren Namen zu verraten“, meinte sie.
„Das ist jetzt unwichtig Mimi.
Du wirst alles erfahren, wenn wir uns das nächste Mal treffen“, sagte er beschwichtigend.
„Na gut, dann erwarte ich wohl ihren Anruf“, sprach Mimma eher zu sich selbst als zu dem Schönling und machte sich daran die Haustür aufzusperren. Dann fiel ihr plötzlich etwas ein.
„Halt, sie haben doch meine Handynummer gar nicht!“, rief sie und drehte sich nochmals zu dem Fremden um.
„Keine Sorge.
Ich sagte dir ja, dass ich einiges über dich weiß.
Speicher einfach meine Nummer in deinem Handy ein und den Rest überlass bitte mir.
Sollte der Werwolf wieder auftauchen, oder auch nur wenn du Angst hast, dann ruf mich bitte an“, antwortete er Mimma und warf ihr ein umwerfendes Lächeln zu, dass seine perfekten, weißen Zähne zeigte. Mimma nickte und wollte gerade durch die Haustür gehen, als sie sich dachte, dass sie dem Unbekannten eine gute Nacht wünschen könnte. Doch als sie sich erneut umdrehte, war er verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt. Sie schaute links und rechts die Straße hinunter. Mimma wusste, dass dort nirgends Gassen oder Seitenstraßen waren, in denen er hätte schnell abtauchen können. Sie war verwundert, doch hatte sie keine Lust mehr sich über ihn Gedanken zu machen. Eigentlich hätte sich diesen nächtlichen Angriff der Polizei melden sollen. Doch alles was Mimma nur noch wollte, war ins Bett zu fallen und tief zu schlafen. Das tat sie dann auch.

*****



Man konnte meinen, dass Mimma im Regen einfach nur einen Spaziergang machte, ohne jedes Ziel. Doch bei genauerer Betrachtung konnte man klar erkennen, dass sie stur in eine bestimmte Richtung ging. Sie steuerte geradewegs ein Viertel der Stadt an, welches von den braven und guten Bürgern dieser Stadt gemieden wurde. Es war das Rotlichtviertel. Dort trieben sich seelenlose Männer umher, die versuchten, sich mit Geld für kurze Zeit die Wärme und Zuneigung einer Frau zu erkaufen. Männer, die sich nur noch mit Sex oder Drogen lebendig fühlten und nichts mehr zu verlieren hatten, da sie vor langer Zeit schon längst alles verloren hatten. Spielsucht, Drogenabhängigkeit oder andere Dummheiten, waren nur ein Bruchteil der Taten, die ihr Leben ruinierten. Doch die Frauen und auch Männer, die dort ihre Dienste anboten und für einen gewissen Geldbetrag alles machten, was man von ihnen verlangte, waren nicht weniger jämmerlich, als die Gestalten, die sie in ihren Lusthöhlen empfingen. Jeder, der sich in diesem Viertel aufhielt, sei es als Kunde, oder Dienstleister, hatte seine Geschichte zu erzählen. Tragische Geschichten, die ihr Leben gebrandmarkt und sie hier her geführt hatten.
Mimma lief durch verschlungen Straßen und Gassen und blieb dann vor einem Stundenhotel stehen. Dies war die Adresse auf ihrem Notizblock. Sie vergewisserter sich nochmals und verglich den Straßennamen und die Hausnummer. Es stimmte mit dem Gekritzele auf ihrem Notizblock überein. Niemand war zu sehen. Ihr war kalt. Der Regen hatte sie völlig durchnässt. Sie suchte Schutz unter dem Vordach des Stundenhotels und wartete. Nach einer Weile kramte sie in ihrer Handtasche herum und holte ihr Handy heraus. Die Uhr auf dem Display zeigte an, dass sie erst seit knapp acht Minuten wartete. Sie war pünktlich da gewesen, doch der Fremde schien es wohl mit der Zeit nicht so genau zu nehmen. Mimma verstaute ihr Handy griffbereit in eine ihrer Manteltaschen und wartete ungeduldig darauf, dass der fremde Schönling endlich erschien. Ihre Gedanken überschlugen sich, denn es konnte ja nur einen Grund haben, weswegen der Fremde sie an einen solchen Ort herbestellt hatte. Er wollte Sex von ihr, als Gegenleistung für seine Hilfe. Eigentlich war sie nicht die Sorte von Mädchen, die sich auf so etwas einließ, doch wenn sie den Fremden anders nicht los wurde, würde sie einmal eine Ausnahme machen, um ihr normales Leben wieder aufnehmen zu können. Mimma wünschte sich Drogen bei sich zu haben, um das, was gleich passieren würde, nicht mit klarem Verstand ertragen zu müssen. Doch sie hatte keine. Ihr schauderte bei dem Gedanken, was er wohl alles von ihr verlangen würde. Sie hoffte, dass es bei dem einen Mal blieb und er das Interesse an ihr nach dem Akt sofort verlieren würde.
Ein schwarz glänzender Wagen fuhr vor und riss Mimma aus ihren Gedankengängen. Es war ein aktuelles Modell irgendeiner Luxusklasse, mit getönten Fensterscheiben und einer edlen Form der Karosserie; ziemlich protzig und auffällig. Typisch für reiche Geschäftsmänner, die bezahlten Sex mit einer Hure ihren eigenen Ehefrauen vorzogen, aus Angst, dass ihre Frauen sie für pervers halten würden, sobald diese von den sexuellen Vorlieben ihrer Ehemänner erfuhren. Das war wohl der einfachste Weg für solche Männer einer Blamage zu entgehen und sexuelle Befriedigung ohne wenn und aber zu bekommen. Ein Mann stieg aus, den Mimma sofort erkannte. Es war der unbekannte Retter, den sie in ihrem Handy unter Stranger eingespeichert hatte. Wie es schien rettete der Fremde nicht nur Frauen aus gefährlichen Situationen, sondern war auch noch reich. Er trug einen schwarzen Mantel, wieder eine enganliegende, doch diesmal dunkelblaue Jeans und dieselben modischen Boots wie bei ihrer ersten Begegnung. Mit einem herzlichen Lächeln begrüßte er Mimma und führte sie wortlos und wie selbstverständlich in das Stundenhotel hinein an die Rezeption. Mimma sagte kein Wort. Wie eine Puppe stand sie reglos neben ihm und lauschte, wie er alle Formaltäten mit dem Rezeptionist regelte. Mimmas Begleitung wurde ein Schlüssel zu einem Zimmer ausgehändigt und er bekam noch kurze Anweisungen wo sich das Zimmer befand und wie man dort hingelangte. Sie folgte ihm, wie ein folgsamer Hund seinem Herrchen. Sie war einfach zu nervös, um Fragen zu stellen, doch platzte sie fast vor Ungewissheit.
Mimma hasste es nicht die Kontrolle zu haben. Dadurch, dass sie so jung schon auf sich selbst gestellt war, musste und wollte sie sich ohne Hilfe durch das Leben schlagen und das gefiel ihr. Um ihr Leben erträglicher zu gestalten und um stets die Kontrolle zu behalten, stellte sie sich selbst einige Regeln auf und eine besagte, dass sie niemals die Hilfe eines anderen annehmen dürfe, da die meisten Menschen dafür wiederum eine Gegenleistung erwarteten. Und weil sie eben genau diese Regel gebrochen hatte, befand sie sich nun in dieser misslichen Lage und der dadurch hervorgerufene Kontrollverlust traf sie schwer. Doch hätte der Fremde ihr nicht geholfen und sie gerettet, wäre sie vermutlich tot.
Das Geräusch der Tür, wie es ins Schloss rastete, holte sie wieder aus ihrem tranceartigen Zustand. Sie befand sich bereits im Hotelzimmer. Es war dürftig mit einem Doppelbett, einem hölzernem Tisch samt Stuhl und einem kleinen Holzschränkchen ausgestattet. Es gab auch noch ein extra Badezimmer mit WC und einer Nasszelle. Saubere Handtücher, Shampoo, Duschgel und ein Stück Seife zur Reinigung waren bereit gestellt, damit man sich nach dem Sex die Sünden vom Körper waschen konnte. Das Bett selbst machte auch einen sauberen Eindruck. Für das, was auf Mimma zu kam, war es ausreichend. Der Fremde hatte sich bereits seines Mantels entledigt und diesen fein säuberlich über die Lehne des Stuhls gelegt. Er trug ein enges, dunkelgraues T-Shirt ohne Aufdruck. Zum ersten Mal konnte Mimma nun sehen und erahnen wie gut gebaut und Muskulös er war. Sich gegen ihn zu wehren, wäre also Zwecklos gewesen. So wie er da stand, mit all seinen Muskeln und seinen langen Haaren, hatte er etwas Hünenhaftes an sich. Er wirkte wie ein Krieger, aus einer anderen Zeitepoche. Wieder machte sich dieses warme und freundliche Lächeln in seinem Gesicht breit, dasselbe, das er Mimma zur Begrüßung geschenkt hatte. Er kam auf sie zu, nahm ihre Hand, die reglos an der Seite ihres Körpers hing und zog sie von der Zimmertür weg, zum Bett hin. Er streifte ihr die Kapuze vom Kopf, öffnete behutsam jeden einzelnen Knopf ihres Mantels und zog ihn ihr aus. Dann hängte er den Mantel in das Badezimmer, da dieser vor Regenwasser nur so triefte. Als er aus dem Bad zurück kam, stand Mimma wieder an der Zimmertür und blickte verschüchtert und verängstigt auf den Fußboden. Ihr Atem war flach. Ihr wurde schwindelig.
„Ich…ich kann das nicht.
Tut mir leid.
So etwa habe ich noch nie gemacht.
Also Sex schon, aber nicht so, als ob ich eine Hure wäre und wenn ich es mir recht überlege, war ich noch nie nüchtern dabei.
Entweder war ich high von den Drogen oder betrunken vom Alkohol, oder beides….
Außerdem schlafe nicht mit verheirateten Männern“, stotterte Mimma verunsichert vor sich hin und hoffte den Fremden damit überzeugen zu können, von seinem Vorhaben abzulassen. Der Fremde war zuerst überrascht über das, was Mimma zu ihm sagte, doch dann amüsierte es ihn. Er betrachtete Mimma bedächtig und prägte sich jedes Detail von ihr ein. Sie hatte langes, leicht gewelltes, schwarzes Haar, welches sie mit einem Mittelscheitel trug, das weich über ihre Schultern fiel und lang genug war, um ihre Brüste zu bedecken. Sie hatte große Kulleraugen, wie die einer Puppe, die in einem tiefen blau gefärbt waren, welche wiederum von langen pechschwarzen, büschelartigen Wimpern umrahmt waren. Man konnte sich geradezu in diesen Augen verlieren. Ihr Mund war klein, doch bestand er aus vollen blutroten Wülsten, die jeden Mann zu Fantastereien anregten, gar einluden. Der Fremde setzte sich an den Rand des Bettes.
„Komm her und stell dich vor mich hin!“, forderte er Mimma plötzlich unversehens auf und musterte sie mit einem strengen Blick. Mimma sah vom Fußboden auf. Bei der härte seines Blickes erschrak sie und wendete ihre Augen wieder ab. Sie schluckte nervös und überlegte, was sie tun konnte, um dem Ganzen ein Ende zu bereiten. Langsam führte sie einen Arm hinter ihren Rücken und tastete so unauffällig wie möglich nach der Türklinke. Doch der Fremde schien nicht dumm zu sein und bemerkte es.
„Versuche es ruhig, doch so etwas dachte ich mir schon, deswegen habe ich die Tür abgesperrt, ohne dass du es gemerkt hast“, sagte der Fremde ruhig und machte eine gönnerhafte Handbewegung, um Mimma anzudeuten, dass sie die Türklinke runter drücken soll. Hastig drehte sie sich um und rüttelte mehrmals an der Türklinke. Es tat sich nichts. Die Tür war tatsächlich abgesperrt.
„Nun, da du dich selbst davon überzeugen konntest, dass ich die Wahrheit gesagt habe, könntest du endlich die Güte besitzen und zum Bett kommen.
Ich werde dich nicht noch einmal darum freundlich bitten“, flüsterte er ihr ins Ohr. Mimma erschrak und drehte sich abrupt um, denn sie hatte nicht bemerkt, wie der Fremde so schnell vom Bett zu ihr kam. Mit dem Rücken an die Tür gepresst, starrte sie entsetzt in seine lodernden Augen.
„Bitte….bitte lassen sie mich doch einfach gehen.
Was wollen sie denn von mir?“, fragte sie ihn ängstlich und hoffte ihn mit ihren großen, furchtsamen Kulleraugen zur Einwilligung zu bewegen.
„Was ich von dir will?
Du weißt es doch schon längst. Ich will Sex. Mit dir.
Da ich ein abartiges Verständnis von Sex habe, wird es dir bestimmt keinen Spaß machen, aber das ist mir egal, solange ich das Vergnügen dabei haben werde, was ich mir auch erhoffe“, sprach er lapidar vor sich hin, während er mit den Händen auf dem Rücken verschränkt zurück zum Bett schlenderte und sich wieder darauf setzte. „Und da es anscheinend dein erstes Mal ohne jegliche Betäubung durch Rauschmittel sein wird, werde ich mein Bestes geben, um es für dich unvergesslich werden zu lassen“, sagte er in einem düsteren Tonfall, der nichts Gutes verhieß. Mimma wurde übel bei seinen letzten Worten.
„Wenn du mich jetzt wieder zwingst vom Bett aufzustehen, um dich herzuholen, wird das eine unschöne Sache werden!“, sagte er ungeduldig, mit drohendem Tonfall.
„Für dich!“, fügte er mit Nachdruck hinzu. Mit weichen Knien setzte Mimma einen Fuß vor den anderen, langsam und bedächtig, und befolgte, was der Fremde von ihr verlangte, doch sie würdigte ihn keines Blickes. Mittlerweile schlug die Angst und Ohnmacht, die sie zuvor verspürte, in Wut um. Sie blieb vor ihm stehen. Er streckte eine Hand nach ihr aus und wollte ihr Gesicht in seine Richtung drehen, doch sie schlug nach seiner Hand. Belustigt von dieser Tat schnaubte er einmal Heftig durch seine Nase und lachte auf.
„Ha!
Nicht schlecht.
Du zeigst Mut angesichts deiner ausweglosen Lage“, sagte er beeindruckt.
„Schau mich an oder ich werde dich zwingen und anhand meiner unübersehbaren, körperlichen Überlegenheit wissen wir beide, dass ich bekommen werde, was ich möchte!“, forderte er Mimma auf. Mit einem Ruck drehte sie ihren Kopf in seine Richtung und starrte ihm wütend in seine Augen. Sie presste ihre Lippen fest aufeinander, um ihn nicht anzubrüllen. Ihr Herz pochte wild und ihr Brustkorb schien fast zu explodieren, da sie so schnell atmete. Dann ging dem Fremden ein Licht auf. „Aha. Das war nicht wirklich Mut, den du an den Tag gelegt hast, sondern deine Wut, die dich angetrieben hatte.
Wie köstlich!“, sprach er sichtlich erfreut. Seine Augen glühten förmlich, als er das bemerkte. Abermals streckte er seine Hand nach ihr aus und wieder schlug Mimma nach ihm. Doch diesmal packte er sie am Handgelenk und hielt sie herausfordernd fest. So sehr Mimma auch versuchte ihre Hand wieder frei zu bekommen, sie schaffte es einfach nicht. Der Fremde zog sie näher an sich heran, dann umschlang er mit seiner freien Hand ihre Taille und zog sie rittlings auf seinen Schoß. Mimma versuchte sich zu wehren, doch sie hatte keine Chance, sich aus seinem festen Griff zu befreien. Sie waren sich so nahe, dass sie seinen Atem auf ihrem Gesicht spüren konnte. Er war eisig.
„Wie mir scheint willst du spielen!
Wenn ich das vorher gewusst hätte, hätte ich mich schon viel früher mit dir getroffen“, sagte er und grinste. Dabei zog er seine Oberlippe so hoch, damit Mimma freie Sicht auf seine Zähne hatte, doch was sie sah, schockierte sie und trieb ihr das blanke Entsetzen ins Gesicht. Der Fremde ließ sie los und Mimma sprang sofort von seinem Schoß herunter.
„Was für ein Freak bist du?“, platzte es aus ihr heraus.
„Welcher normale Mensch lässt sich seine Schneidezähne zu Fangzähnen machen, damit andere glauben du wärst ein Vampir!“, schrie sie ihn an.
„Du sagst es.
Ich bin kein Mensch“, antwortete er ihr darauf.
„Ich glaube nicht an Vampire und daran wirst du nichts ändern können“, sagte Mimma entrüstet.
„Und dennoch stehe ich hier in voller Größe vor dir“, sprach er, stand vom Bett auf und spreizte seine Arme auseinander, wie ein König der im Applaus seines Volkes badete. Mimma rückte einen Schritt von ihm ab, um eine größere Distanz zwischen sie zu bringen, während sie mit ihren Blicken hastig den Raum nach dem Zimmerschlüssel absuchte. Sie wollte keine Minute länger mit dem Fremden alleine in diesem Hotelzimmer eingesperrt sein. Plötzlich hörte sie ein Knurren. Es war dasselbe Knurren, wie am Telefon einige Stunden zuvor, als er sie angerufen hatte. Verwirrt sah sie ihn an. Das Knurren kam tief aus seiner Kehle und hörte sich nicht menschlich an. Dann ging alles ganz schnell. Der Fremde packte Mimma und warf sie aufs Bett. Mimma wollte sofort aufstehen, doch der Fremde war so schnell bei ihr auf dem Bett und hielt sie fest, dass sie es sich nicht erklären konnte, wie er es anstellte.
„Wie machst du das?
So schnell….?
Das…
Das ist unmöglich für einen Mensch!“, stotterte sie ungläubig.
„Ich sage es dir gerne wieder.
Ich bin kein Mensch, ich bin ein Vampir!“, knurrte er bedrohlich und leckte sich mit seiner Zungenspitze, über seine Fangzähne, während er über Mimma kauerte und sie aufs Bett drückte, damit sie nicht wieder weglaufen konnte.
„Und ich bin jetzt dein Opfer, das du bis auf den letzten Blutstropfen aussaugen und töten möchtest?“, fragte sie noch immer ungläubig.
„Ich würde gerne von deinem Blut kosten, denn du riechst als menschliche Anwärterin noch viel köstlicher, als ein normaler Mensch.
Außerdem habe ich heute schon gespeist, sogar mehr als sonst, damit ich auch nicht in Versuchung komme von dir zu naschen.
Denn die Ältesten würden es nicht gerne hören, wenn ich dich angezapft hätte“, klärte er Mimma auf. Ein süffisantes Grinsen huschte über seine Lippen. Es schien so, als ob er noch kurz zögerte und es sich doch noch anders überlegen würde.
„Wer oder was sind die Ältesten?“, fragte Mimma verwirrt.
„Das wirst du noch früh genug erfahren“, blockte er ihre Frage ab.
„Du scheinst nicht wirklich Angst zu haben, angesichts dieser bedrohlichen Situation. Wieso nicht?
Schlummert in dir etwa eine Todessehnsucht und du bist deshalb so gelassen?“, wollte der Fremde wissen.
„Nein, überhaupt nicht!
Dass ich heute Nacht von einem verrückten Mann umgebracht werden könnte, glaube ich schon, aber nicht, dass ich von einem Vampir getötet werde, sondern einfach von einem psychisch kranken Mann, der die Realität verwechselt hat.
Allerdings tendiere ich mehr dazu, dass du einfach pervers bist und darauf stehst jungen Frauen Angst einzujagen!“, gab Mimma ehrlich als Antwort.
„Hm, ich konnte dich also noch nicht überzeugen.
Aber das macht nichts.
Wir haben genug Zeit und du wirst es bald selbst erkennen“, meinte der Fremde und ließ Mimma wieder los. Schnell sprang sie vom Bett und ließ den Fremden nicht aus den Augen. Der machte sich plötzlich daran sein T-Shirt auszuziehen und gab den Blick frei auf seine perfekt geformten Bauchmuskeln. Sie sahen wie aus Stein gemeißelt aus.
„Schade, dass so ein gutaussehender Mann wie er so verrückt sein muss“, dachte sich Mimma. Plötzlich kam der Fremde auf sie zu.
„Was soll das werden?“, fragte sie hektisch. Ihre Stimme überschlug sich vor Nervosität.
„Na was denkst du denn. Ich mache jetzt das, wofür ich dich hier her kommen lassen habe“, antwortete er, als ob es eine Selbstverständlichkeit sei. Er machte sich daran den Taillengürtel von Mimma zu öffnen. Ohne sich zu wehren, ließ sie die Prozedur über sich ergehen. Als nächstes streifte er ihr den übergroßen Wollpullover ab. Zum Vorschein kamen ihre prallen und wohlgeformten Brüste, die nur von einem durchsichtigen Top bedeckt waren.
„Ich vermutete schon, dass unter deiner sackartigen Kleidung ein ansehnlicher Körper versteckt sein muss, aber dass du so schön aussiehst, hätte ich mir nicht gedacht!“, sagte er verblüfft und konnte seine Augen von ihrem fast nackten Oberkörper nicht lösen. Beschämt durch die Worte und Blicke des Fremden, schloss sie ihre Augen. Er hob Mimma auf seine Arme und trug sie zum Bett. Anschließend ließ er sie vorsichtig runter.
„Willst du mich nicht ganz ausziehen?“, fragte sie mit noch immer geschlossenen Augen.
„Nein, für mein Vorhaben reicht das vollkommen aus“, gab er ihr knapp zur Antwort. Mimma öffnete wieder ihre Augen und sah ihn verwirrt an.
„Wie sollen wir denn so Sex haben?“, fragte sie überrascht.
„Ach das.
Als ich mitbekommen hatte, dass du dachtest ich würde Sex von dir wollen, wollte ich mir nur einen Spaß erlauben und dich in dem Glauben lassen, dass es so wäre“, sagte er sichtlich amüsiert.
„Wenn du keinen Sex von mir willst, was willst du dann?“, fragte sie überrascht.
„Bevor ich mit der Prozedur beginne, darf ich mich bitte vorstellen, schließlich wird das eine intime Angelegenheit und da solltest du schon wissen, mit wem du es zu tun hast.
Mein Name ist Ardric Donavan und ich bekam von den Ältesten den Auftrag dich zu sensibilisieren.
Bis deine Verwandlung stattgefunden hat, muss ich dich immer wieder füttern, damit du während des Prozesses der Verwandlung nicht drauf gehst.
Denn dafür bist du den Ältesten viel zu wertvoll, Mimma Craft“, offenbarte er Mimma theatralisch, beinahe so, als ob er es einstudiert und vor dem Spiegel mehrere Male geprobt hatte.
„Sensibilisieren?
Was bedeutet das?
Und wozu sind wir dann beide halb nackt?“, wollte Mimma wissen.
„Ich wollte unsere Klamotten nicht allzu sehr besudeln“, meinte er in einem beiläufigen Tonfall und strich sich seine Haare nach hinten.
„Was soll das schon wieder bedeuten?“, fragte Mimma.
„Kannst du nicht einmal Klartext rede?
Musst du ständig in Rätseln sprechen?“, meckerte Mimma. Doch das ließ Ardric völlig unbeeindruckt.
„Mecker du so viel du willst.
Du wirst gleich noch mehr zu meckern haben“, lachte er und zog verheißungsvoll seine Augenbrauen hoch. Mimma hielt inne.
„Und was bedeutet das nun wieder für mich?“, fragte sie genervt. Ardric zwinkerte ihr zu. Er setzte sich auf sie, um sicher zu stellen, dass sie dort war, wo er sie haben wollte. Plötzlich fuhr er seine Fangzähne aus, biss sich am Handgelenk seine Pulsader auf und presste Mimma die klaffende Wunde, aus der Blut strömte, auf den Mund. Die andere Hand presste er Mimma auf den Brustkorb, damit sie sich nicht bewegen konnte. Völlig fassungslos und entsetzt starrte sie Ardric an. Es brauchte einige Sekunden bis Mimma verstand, was gerade geschah. Sie strampelte mit ihren Beinen und versuchte Ardric abzuwerfen, doch der saß unbeweglich, wie ein Fels auf ihr. Hysterisch kreischend und mit all ihrer Kraft, schlug sie auf ihn ein und kratzte was die Fingernägel hergaben, wo immer sie Ardric erwischen konnte. Doch das richtete nichts bei ihm aus. Unversonnen, mit steinerner Miene ließ er Mimma weiter kämpfen. Sie hatte Todesangst. Überall war Blut. Es floss aus ihren Mundwinkeln heraus, hinunter zu ihren Ohren, über ihr Kinn, hinunter zum Hals. Selbst ihre Haare waren voller Blut. Es kam sogar etwas in ihre Nase. Sie schmeckte den für Blut typischen, metalernen Geschmack. Er verursachte ihr Übelkeit. Mit dem Geschmack ihres eigenen Blutes hatte sie kein Problem. Wenn sie sich an etwas scharfem oder spitzem verletzte, leckte sie solange über die blutende Wunde, bis es aufhörte. Doch das war das Blut eines Fremden. Langsam merkte sie, wie sich ihr Mageninhalt ihren Weg durch die Speiseröhre nach Oben bahnte. Verzweifelt schaute sie Ardric an. Der schien zu verstehen und ließ von Mimma ab. Schleunigst sprang sie vom Bett auf und rannte ins Badezimmer, um sich in die Toilette zu übergeben. Zuerst erbrach sie einen Schwall aus Blut, gefolgt von einer breiigen Masse, die aussah wie ihr Mittagessen. Nudeln mit Tomatensoße. Zuletzt erbrach sie nur noch Magensäure. Immer wieder bäumte sich ihr Körper auf und ließ sie würgen, bis nichts mehr kam, doch sie konnte vor lauter Ekel nicht damit aufhören. Es lag an dem Geruch von fremdem Blut, das überall an ihr haftete. Mit zitternden Händen hielt sie die Kloschüssel fest umschlungen, bis sie sich wieder einigermaßen im Griff hatte. Ihr war elend zumute.
„Das hättest du besser nicht machen sollen“, sagte Ardric, der mit verschränkten Armen vor der Brust in der Tür des Badezimmers stand. Er war über und über mit Blut verschmiert, als ob er gerade vom Schlachtfeld kam.
„Du musst das Blut bei dir behalten, damit dein Körper es aufnehmen und sich daran gewöhnen kann.
Jetzt müssen wir das Ganze wiederholen!“, sagte Ardric genervt und fasste sich an die Stirn. Er packte Mimma am Bauch, die noch immer vor der Toilette kauerte und hob sie hoch. Sie versuchte sich an der Klobrille festzuklammern, doch sie entglitt ihr. Mimma schrie aus voller Kehle.
„Hilfe! Wieso hilft mir den niemand!?“, brüllte sie voller Angst.
„Du kannst so viel schreien wie du willst.
Es hört dich ja doch niemand.
Spar dir lieber deine Kräfte auf“, sagte er zu Mimma, während er sie wieder aufs Bett warf. Doch das hielt sie nicht davon ab, es weiter zu versuchen. Ardric presste seine Hand wieder auf ihren Brustkorb, um sie zu fixieren.
„So ein Mist!
Jetzt muss ich die Wunde noch einmal aufbeißen, sie ist fast schon wieder zugewachsen“, meinte er genervt. Wieder fuhr er seine Fangzähne aus und riss ein großes Stück Fleisch aus seinem Handgelenk heraus. Diesmal triefte das Blut nur so heraus, während er die klaffende Wunde erneut auf Mimmas Mund presste.
„Und jetzt schluck gefälligst alles runter und behalte es bei dir, sonst müssen wir es noch einmal machen und das wird dann sogar mir zu viel!“, befahl er Mimma herrisch.
„Ich bin schließlich keine Blutbank, die man rund um die Uhr anzapfen kann“, fügte er meckernd hinzu.
Mimma wollte überhaupt nichts von seinem Blut schlucken, doch es strömte nur so heraus. Sie konnte kaum atmen und hatte das Gefühl zu ertrinken. Immer wieder schnappte sie nach Luft, doch es kam nur noch mehr Blut. Als Ardric das Gefühl hatte, dass Mimma genug von seinem Blut intus hatte, hörte er auf. Mimma japste keuchend nach Luft. Ardric saß noch immer auf ihr und drückte sie fest in die Matratze des Bettes. Er legte seinen Kopf in den Nacken und schloss die Augen. „Ah.
Du hast mich ganz schön geschröpft.
Das war beinahe zu viel für mich!“, stöhnte er und schien geschwächt zu sein. Mimma wollte aufstehen, doch Ardric ließ es nicht zu.
„Zappel nicht so rum, sonst wird dir womöglich wieder übel!“, grollte er sie zornig an. Ardric nahm die mit Blut befleckte Bettdecke, die neben ihm lag und wischte sich die Überreste des roten Safts vom Mund und seinem Handgelenk ab. Anschließend beäugte er die Stelle am Handgelenk, wo er nur wenige Sekunden zuvor, eine klaffende Wunde hatte. Es war nichts mehr zu sehen. Zufrieden nickte er.
„Siehst du, es ist schon wieder zugewachsen“, meinte er und zeigte es Mimma. Kreidebleich und kraftlos blickte sie auf die Stelle, aus der sie Ardrics Blut ungewollt trinken musste. Sie war erstaunt, doch konnte sie vor lauter Erschöpfung kein Wort herausbringen. Sie musste sich eingestehen, dass Ardric allem Anschein nach doch das war, was er die ganze Zeit vorgab zu sein. Ein Vampir.

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Danke für dein Interesse an meinem Buch.
Da die komplette "Dark Craving Reihe" (Die Nachtwanderin Teil 1, 2 und 3) ab sofort für jeweils nur 0,99 ¤ zu erhalten ist, habe ich mich dazu entschlossen, dies nur als LESEPROBE hier zu lassen.

Wenn dir die Dark Craving Reihe gefallen hat, dann gefällt dir auch mit Sicherheit die die Fortsetzung der Blood Force Reihe (Der Blutmond - Teil 1), inder du erfährst, wie es mit Mimma, Ardric und einigen neuen Charakteren weiter geht.

Und ich würde mich sehr darüber freuen, wenn du mich deinen Freunden und Bekannten weiter empfehlen würdest.

Mit liebsten Vampirgrüßen
T. J. Hudspeth






Die Dark Craving Reihe:

Teil 1
http://www.bookrix.de/_title-de-t-j-hudspeth-die-nachtwanderin-teil-1

Teil 2
http://www.bookrix.de/_title-de-t-j-hudspeth-die-nachtwanderin-teil-2

Teil 3
http://www.bookrix.de/_title-de-t-j-hudspeth-die-nachtwanderin-teil-3

Die Blood Forc Reihe:

Teil 1
http://www.bookrix.de/_title-de-t-j-hudspeth-der-blutmond-teil-1

Viel Spaß beim LESEN


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Publication Date: 04-12-2011

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