Liebes Tagebuch,
3.April.2011
Heute war es wieder da. Dieses Gefühl in mir. Es breitete sich mal wieder diese Leere in mir aus. Diese furchtbare Leere, die mich zu einer anderen Person machte, die ich eigentlich gar nicht war. Ich versuchte stark zu sein und diese Leere half mir, alles zu verdrängen und jemand anderes zu sein. Ich war nicht mehr die, die ich einmal war. Ich dachte, es ginge vorbei, aber das passierte nicht.
Ich habe doch nur versucht, alles zu vergessen und mit der Zeit wurde aus der Wut einfach nur noch Leere. Es ist doch schon so lange her, aber wieso geht es nicht vorbei?
Da ist nichts, was ich fühle.Rein GARNICHTS!
Fünf ganze Jahre und ich kann es immer noch nicht vergessen!
Deine Sophie
Liebes Tagebuch, 29.April.2011
Es ist alles nicht so einfach. Die Leute denken immer, sie wüssten, wie es mir geht und was ich fühle und glauben, dass das mit der Zeit vergeht, wie sie immer so schön sagen 'Die Zeit heilt alle Wunden!'. Aber so einfach ist das nicht.
Es gibt einfach Dinge, die die Zeit nicht heilen kann.
Aber ich will mich einfach gar nicht daran erinnern, weil ich dann wieder in dieses schwarze Loch falle, aus dem ich nicht so schnell heraus komme.
Deine Sophie
Liebes Tagebuch, 15.Mai 2011
Heute habe ich ihn gesehen und ich wäre fast vor Schock umgefallen.
Er war auf einmal da.
Ich dachte, er wäre weit weg von mir, aber jetzt ist er wieder da. Ich weiß gar nicht, was ich jetzt machen soll.
Ich habe Angst und die raubt mir fast den Nerv.
Deine Sophie
Liebes Tagebuch, 22.Mai 2011
Es ist so furchtbar.
Seid ich ihn vor ein paar Tagen drehen sich meine Gedanken nur noch um ihn. Ich denke darüber nach, warum er hier ist und was er hier macht oder ob er sogar vor hat, wieder Kontakt zu mir aufzunehmen und selbst in meinen Träumen ist er immer da. Er lässt mich einfach nicht in Ruhe. Ich träume komische Dinge und ich habe Angst, dass er wieder alles so wird wie damals.
Er hat alle Wunden wieder aufgerissen.
Deine Sophie
Liebes Tagebuch, 30.Mai 2011
Es geht nicht vorüber.
Er ist hier.
Ich habe Angst.
Ich gehe nicht mehr alleine aus dem Haus, weil ich Angst habe ihm zu begegnen. Ich gehe nach der Uni direkt nach Hause, ohne Umwege und mit meinen Freundinnen gehe ich auch nicht aus, wegen der Angst, ihm zu begegnen.
Deine Sophie
Liebes Tagebuch, 13.Juni 2011
So kann das nicht mehr lange weiter gehen.
Ich kann nicht mehr. Ich werde nur noch von diesen ständigen Ängsten geplagt und meine Freunde fragen mich auch schon immer, was mit mir los ist.
Sie wissen nicht, was damals passiert ist.
Sie können es nicht wissen, weil mich niemand hier kennt.
Deine Sophie
Liebes Tagebuch, 16.Juni 2011
Es wird immer schlimmer.
Seid ein paar Tagen bekomme ich diese komischen Anrufe zuhause. Da ist nichts außer einem Atmen und das macht mir wirklich Angst.
Und meine Freunde fragen mich nun auch schon nicht mehr, ob ich mit möchte, wenn sie in die Disko gehen.
Es kann doch nicht wieder von vorne losgehen?
Wieso?
Wieso ich ? Ich habe doch niemandem etwas getan.
Wieso jetzt? Ich habe mir gerade ein neues Leben aufgebaut.Es war doch gerade alles so perfekt.
Deine Sophie
Liebes Tagebuch, 22.Juni 2011
Heute bin ich zusammengebrochen. Ich war in der Uni mit ein paar Freundinnen gerade auf dem Weg zur Mensa zum Mittagessen, als ich von hinten einen Mann, der ihm zum Verwechseln ähnlich sah.
Dann drehte er sich um!
Er war es nicht! Und vor lauter Erleichterung gaben meine Beine unter mir nach.
Die anderen fragten mich natürlich, was mit mir los sei, aber ich schob alles auf meinen Kreislauf, der sowieso manchmal verrückt spielte.
Deine Sophie
Liebes Tagebuch, 29.Juni 2011
Heute habe ich ihn wirklich gesehen oder ich glaube es zumindest.
Ich war gerade in der Stadt, um mit meiner Freundin mit ihrem Hund zum Tierarzt zu gehen.
Ich bin wie angewurzelt stehen geblieben und meine Freundin ist erst weiter gelaufen. Sie dreht sich zu mir um, und fragte mich, was denn los sei und warum ich denn so zittern würde. Da bemerkte ich erst , dass mein ganzer Körper zitterte und meine Knie schon weh taten.
Ich konnte sie nicht länger anlügen. Es ging nicht. Sie hat sich immer so liebevoll um mich gekümmert und sei hatte es einfach nicht verdient, so behandelt zu werden.
Ich bat sie, mich nach dem Tierarztbesuch nach Hause zu fahren und machte mit ihr ab, morgen zu ihr zu kommen, um uns einen schönen Abend zu machen. Aber der Abend würde anders verlaufen, als sie es dachte. Ich würde es ihr erzählen.
Deine Sophie
Liebes Tagebuch, 30.Juni 2011
Ich glaube jetzt müsste mein eigentlich leer sein, aber irgendwie fließen die Tränen immer noch weiter und hören nicht auf.
Ich bin so froh, dass es jetzt jemand weiß.
Ich habe ihr alles erzählt.
ALLES!
Ich habe ihr die ganze Geschichte vom Anfang bis zum Ende erzählt.Jedes kleinste Detail, an das ich mich noch erinnern konnte und ich konnte mich eigentlich an alles erinnern, ich habe es nur immer verdrängt.
Es tut gut, dass diese Last jetzt schon mal von mir genommen wurde.
Es fing alles vor 6 Jahren an.
Ich war damals noch auf dem Gymnasium, als er neu an unsere Schule kam. Er war ein bisschen älter als ich und zu Anfang habe ich noch mit den anderen über ihn geredet, weil wir ihn toll fanden.
Ich wusste nicht, wieso er sich auf einmal für mich interessierte. Ok, ich sah wirklich nicht so übel aus, aber ich war immerhin zwei Jahre jünger als er und wieso sollte er sich für mich interessieren? Gerade für mich, wo ich doch so schüchtern war und doch auch noch gar keine Erfahrung mit so etwas hatte.
Naja, auf jeden Fall ist er irgendwie auf mich aufmerksam geworden und damit fing alles an.
Ich war ganz stolz, als er mich ins Kino einlud und ich allen davon vorschwärmen konnte. Sie waren alle total neidisch. Aber dieses tolle Gefühl hielt nicht lange an.
Ok, wir waren einige Wochen zusammen und das war auch erst wirklich schön, aber dann wurde es schlimmer.
Ich weiß nicht wieso, aber ich hatte ihn total verkehrt eingeschätzt. In der Öffentlichkeit gibt er sich als ganz offen und lustig und spontan gegenüber seinen Freunden.
Aber was mich anging war es schrecklich.
Er entwickelte sich zu einem richtigen Kontrollfreak. Er wollte unsere Wochenenden immer schon drei Wochen im Voraus planen, er ließ mir keinen Freiraum mehr und er nervte mich, mit seinen ständigen Kontrollanrufen, wenn ich denn mal etwas mit meinen Freundinnen unternahm.
Und dies wurde immer schlimmer. Später holte er mich sogar immer von zuhause mit seinem Auto ab, fuhr mich zu meinen Freundinnen und stand dort auch genau zum vereinbarten Zeitpunkt auf der Matte und ich musste picobello bereit vor der Tür stehen, weil er Angst hatte, dass mir etwas passieren könnte.
Es war schrecklich. Und deshalb habe ich mich nach zwei Monaten von ihm getrennt, was er nicht wahrhaben wollte. Er bombardierte mich mich Anrufen, mit Briefen, und spionierte mir nach. Und langsam bekam ich wirklich ein bisschen Angst, denn das war nicht mehr normal.
Ich habe noch einige Male mit ihm gesprochen und über seinen Kontrollzwang, aber er konnte das gar nicht verstehen und meinte nur, dass er mich schließlich liebe und sich Sorgen um mich mache, wenn er nicht bei mir wäre.
Und es wurde immer schlimmer. Er stand bei mir vor der Tür, wenn ich nach Hause kam und bat mich, ihm zu vergeben. Er schrieb mir Emails, Briefe oder sagte mir, er würde sich umbringen, wenn ich nicht mehr bei ihm wäre.
Ich konnte nicht mehr. Überhaupt nicht mehr. Das war alles zu viel für mich.
Ich wusste mir nicht mehr anders zu helfen, als zur Polizei zu gehen,denn zeit kurzer Zeit kamen auch diese Anrufe. Man hörte nichts außer einem Atmen. Am Anfang dachte ich noch, das wäre bestimmt nur ein blöder Kinderstreich, aber die Anrufe wurden immer regelmäßiger und daraufhin fühlte ich mich auch zuhause nicht mehr sicher.
Ich wusste nicht mit wem ich reden sollte. Meinen Eltern konnte ich mich nicht anvertrauen denn meinen Eltern konnte ich mich nicht anvertrauen, die waren tot und meine Oma, der es wirklich nicht gut ging, wollte ich damit nicht belasten. Dann ging ich zur Polizei, aber dort erwartet mich nur ein weiterer Rückschlag.
Sie nahmen mich gar nicht ernst. Sie fragten nur, ob ich Beweise dafür hätte und sie meinten, er hätte mich ja noch nicht körperlich angegriffen und würde mein Leben nicht einschränken. Die Tatsache, dass ich unter ständigen Angstzuständen litt, nicht mehr schlafen konnte und mich nicht mal mehr aus dem Haus traute, weil er mir da ja wieder auflauern könnte, überhörten sie einfach, als wäre es eine Nebensächlichkeit.
Das führte dazu, dass ich mich erst einmal zuhause verschanzte, aber das konnte ja nicht für immer sein. Als selbst meine Oma bemerkte, dass es mir nicht gut ging, obwohl ich versucht hatte, es vor ihr zu verstecken, ließ ich alles raus.Ich erzählte es ihr und sie meinte, ich sollte vielleicht erst einmal eine Zeit lang zu meinem Onkel nach Norderney ziehen.
Eigentlich wollte ich dort nur für eine Weile bleiben, da zu der Zeit gerade Sommerferien waren und ich danach mit meinem Studium beginnen wollte, aber dann kam die Nachricht, dass meine Oma verstorben sei und ich fiel in ein tiefes Loch aus Trauer.
Aber ich konnte mich ewig auf dieser Insel verstecken, aber es tat mir gut. Das Meer. Die Sonne. Das hatte ich immer geliebt und vielleicht hatte meine Oma etwas geahnt und wollte es mir leichter machen. Mein Onkel fuhr kurz darauf nach Münster, um Omas Wohnung zu verkaufen und all meine Sachen mit zu bringen.
Kurz darauf verließ ich die idyllische Insel wieder und machte mich auf den Weg nach München, wo ich von da an Jura studierte. Ich öffnete mich langsam wieder und fand schnell neue Freunde, die mir sehr gut taten.
Aber jetzt war er wieder da. Und ich war wieder gefangen in diesem Netz aus Ängsten. Und es fing alles wieder von vorne an.
Deine Sophie
Liebes Tagebuch, 3. Juli 2011
Ich habe heute noch einmal mit Marie gesprochen und sie hat mir geraten, mal zur Polizei zu gehen und sie bat mir auch an, mich zu begleiten, da sie meinte Panikattacken kannte und auch einige dieser Anrufe mitbekommen hatte.
Deine Sophie
Liebes Tagebuch, 5.Juli 2011
Heute war ein wundervoller Tag. Ich war mit Marie bei der Polizei und diesmal haben sie mir zugehört und haben mich ernst genommen und außerdem meinten sie, dass ich genügend Beweise hatte, dass er mir meine Leben schwer machte. Aber der Höhepunkt kam erst noch. Sie fragten mich nach seinem Namen und baten mich, ihn zu beschreiben, weil in den letzten Tagen noch andere junge Frauen wegen einem jungen Mann auf der Wache gewesen wären, der sie belästigen würde.
Also beschrieb ich ihn und ich konnte mich genau an alles.
Er war damals ungefähr 1,80 m groß gewesen, er hatte meist eher schlichte Kleidung getragen. Er
hatte kurze braune Haare gehabt, kleine Ohren, eine lange Nase und seine Augen waren grün wie ein Smaragd und haben immer gefunkelt, wenn ich nicht das machen wollte, was er wollte.
Der Polizist zeigte mir das Foto, das die anderen Frauen erstellt hatte und es passte sehr gut mit meinem überein und er meinte auch, dass meine Details über sein früheres Leben sehr wichtig gewesen wären und wir haben eine große Chance hätten, ihn zu fassen und davon ab zu halten, noch weiteren Frauen so ein Leid zuzufügen.
Deine Sophie
Liebes Tagebuch, 30.August 2011
Heute war der Prozess.
Es war ein sehr erfolgreicher Tag.
Tim wurde verurteilt und darf mir und den anderen Frauen auch nach seinem Gefängnisaufenthalt nicht zu nahe kommen.
Ich fühle mich erleichtert.J
Jetzt ist es endlich vorbei.Ich kann es kaum fassen.
Mir geht es auch schon viel besser.Ich habe vor einigen Wochen mit einer Therapie begonnen, um all das zu verarbeiten, was ich seid damals verdrängt habe.
Deine Sophie
Text: Alle Rechte liegen bei mir
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Publication Date: 03-07-2012
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