Miss August
Elsa saß vor dem Schminkspiegel und blickte nachdenklich in ein charismatisches Gesicht. Sie hatte es geschafft, den Status eines Supermodels erreicht. Ein langer, beinharter Weg lag hinter ihr. In der Welt der Reichen und Schönen waren für sie alle Türen geöffnet. Doch sie hatte einen hohen Preis dafür bezahlt.
Einst wurde sie von ihren Klassenkameraden Bohnenstange
gerufen und höhnisch belächelt. Groß und schlank wäre richtiger gewesen. Schon in jungen Jahren begann ihre Mutter, die zierliche Elsa bei Agenturen vorzustellen. Ihr Ehrgeiz kannte dabei keine Grenzen. Während andere Kinder im Park umhertollten oder im Freibad die große Wasserrutsche belagerten, wurde Elsa von einer Agentur zur nächsten geschleift. Brannte die Sonne vom wolkenlosen Himmel, musste Elsa in der Wohnung bleiben. So sollte unkontrollierte Bräunung verhindert werden. Mit acht Jahren drehte sie ihren ersten Werbespot. Für Fruchtjogurt. Auch zahlreiche Fotos wurden dabei gemacht. Elsa lächelte alsbald in einem weißen Kleidchen, ein Erdbeerjoghurt in der Hand, formatfüllend von Plakatwänden in Wien und den Bundesländern. Was bei manchen Kindern bewundernde Blicke hervorrief, wurde in der Schule zum Problem. Die schulischen Leistungen hinkten ihrer beginnenden Karriere hinterher. Elsas Mutter vermarktete beinhart den Körper ihrer Tochter. Hätte ihr Vater damals noch gelebt, ihr Leben wäre bestimmt anders verlaufen. Elsa weinte in jener Zeit oft, wenn sie an ihn dachte. Mit ihm hätte sie bestimmt auch die alltäglichen Dinge des Lebens erfahren. Spaziergänge im Park, Besuche im Freibad, Pizzaessen, Urlaub am Meer, und vieles mehr.
Elsa seufzte. Franko, der Make-up-Artist, zog die Brauen hoch.
»Hast du etwas, Liebes?«
»Nein Franko, ich dachte gerade an meine Jugendzeit.«
»Die muss toll gewesen sein«, meinte Sofie, die soeben Elsas tiefschwarze Haare hochsteckte.
Elsa streichelte gedankenverloren mit grazilen Fingern über ihren rubinroten Seidenkimono. Er verhüllte nur zum Teil einen Körper, der sich ausnehmend gut entwickelt hatte.
»Nicht immer, Sofie, nicht immer«, seufzte Elsa. Ihr Blick wanderte über zwei anatomisch perfekt geformte, sonnengebräunte Beine. Zehn kirschrot lackierte Zehennägel lugten aus mit Strasssteinen besetzten, weißen Pantoletten hervor - natürlich eins a manikürt.
»Aber du wurdest doch bestimmt von allen geliebt. Wer so aussieht wie du, der muss einfach geliebt werden.«
Elsa antwortete mit Schweigen und zwei haselnussbraune Augen richteten sich fragend auf den Spiegel. Liebe. Wie sie dieses Wort hasste. Was bedeutet schon Liebe? War es die Liebe zu diesem Beruf, dass sie sich herabließ, ihr Leben aufzugeben, nur um anderen zu gefallen? Wurde sie dafür geliebt, dass es in den Kassen ihrer Arbeitgeber klingelte? War es die Liebe ihrer Mutter, die sie vor diesen Spiegel brachte? War es Liebe, die Männer beim Anblick ihres blanken Busens empfanden, oder nur Lust und Begierde. Schlussendlich war es wohl die Liebe zu Geld und Ruhm, dem ihre Mutter verfiel und Elsas Leben zu einem Desaster werden ließ. Sie erinnerte sich noch gut an jenen sonnig heißen Tag im August. Spätabends kam sie von einem Shooting für Unterwäsche nach Hause. Todmüde fiel sie ins Bett, als plötzlich ihre Mutter in der Tür stand.
»Morgen haben wir einen Termin bei Palmers, Schätzchen. Deine Foto-Mappe hat ihnen sehr gefallen. Sieh zu, dass du schläfst, damit du morgen frisch aussiehst. Und gib mir dein Handy, sonst versuchst du wieder die halbe Nacht diesen Nichtsnutz Rainer zu erreichen. Das ist nicht förderlich für deinen Teint. Ich hatte ein langes und ausführliches Gespräch mit diesem jungen Mann und er wird dich in Zukunft nicht mehr belästigen. Du kannst dich also wieder auf deine Karriere konzentrieren.«
Diese Worte trafen sie wie ein Keulenschlag. Mit 19 Jahren pfiffen ihr die Kerle meist hinterher, wenn sie in der Mariahilferstraße auf Shopingtour ging. Bei Rainer verhielt sich das anders. Schüchtern, nett und zuvorkommend sprach er sie in der U-Bahn an. Bei ihm hatte sie sofort den Eindruck, er würde sie ihrer selbst Willen lieben. Ihre Mutter intrigierte wieder einmal perfekt. In einem Anfall von Wut und Verzweiflung verpasste Elsa ihr eine schallende Ohrfeige, ehe sie ihre Koffer packte und in ein Hotel zog. Sie traf sich auch nicht mehr mit Rainer. Wer sich von Mutter einschüchtern ließ, verfiel bei Elsa in Ungnade. Sie ging nach diesem Vorfall ihren Weg alleine. Die Trennung von ihrer Mutter und von Rainer machte sie reifer ... und verbittert. Sie setzte es sich zum Ziel, von der Model-Kreisliga in die Champions-League aufzusteigen. Und ... sie würde alles dafür tun.
»Du siehst bezaubernd aus, Darling,« Hugh hauchte Elsa einen Kuss entgegen. »Salvadore ist ganz aufgeregt. Er kontrolliert sein Equipment schon zum dritten Mal. Er fiebert richtig.«
Elsa drehte langsam den Kopf und lächelte ihn an. Sie sah das Feuer in seinen Augen lodern, als sein lüsterner Blick über ihren Körper wanderte. Ihr Kimono war zur Seite geglitten und gab den flachen Bauch frei. Der König der Edelsteine, ein Diamant, steckte in ihrem Bauchnabel. Das Hugh Hefner kein Kostverächter ist, wusste sie. Wenn eine Frau nicht mit ihren Reizen geizte, konnte das sehr wohl einen Karriereschub für sie bedeuten. Einige Kolleginen hatten ihr davon abgeraten, sich hüllenlos im Playboy
zu präsentieren. Der Ruf eines seriösen Models könne darunter leiden, so die gut gemeinten Ratschläge. Doch Elsa hatte nur ein müdes Lächeln dafür. Zu verlockend gestaltete sich das Angebot, und äußerst lukrativ. Sie musste das Eisen schmieden, solange es glühte. Der Playboy
ist ja nicht irgendein Schundheft, sondern ein Glamourblatt das Kultstatus besaß. Und von Salvadore Brunelli ins richtige Licht gesetzt, würde sie selbst
zu einem Kunstwerk avancieren. Um ein Playboy-Bunny
zu werden, bedurfte es ja gewisser anatomischer Vorzüge. Um auf die Titelseite zu gelangen ... erst recht. Elsa formte einen kirschroten Kussmund und drehte sich kommentarlos wieder dem Spiegel zu. Franko betonte ihre hohen Wangenknochen mit etwas Rouge. Elsa sollte einen Vamp darstellen. Ein Typ Frau, an dem die Männer zu Asche verbrennen, sobald sie mit ihr in Berührung kommen. In den Jahren, seit der Trennung von ihrer Mutter, waren viele Männer an- und in ihr verbrannt. Es würde ihr also nicht schwerfallen, einen Vamp zu mimen. Sie war einer. Sie pflegte beim Sex sprichwörtlich über Leichen zu gehen, so wie sie es von ihrer Mutter gelernt hatte. Immer mit einem Lächeln auf den Lippen. Der One-Night-Stand könnte gut und gerne ihre Erfindung sein. Sie hatte immer einen Heidenspaß, ihre Liebhaber anschließend in die Wüste zu schicken und leiden zu sehn. So wie sie gelitten hatte, bei jenem Fotoshooting vor dem Piccadilly Circus
, im November des Vorjahres. In einem hauchdünnen schwarzen Negligé bei vier Grad Plus und Nieselregen. Kurz vor dem Shooting war sie über den Tod ihrer Mutter informiert worden. Sie hatte die Nachricht zur Kenntnis genommen, wie immer mit einem Lächeln.
»Wie gefällst du dir, Liebes?«
Franco hielt einen Eyeliner in seiner rechten Hand. Die Finger weit gespreizt. Seine linke stützte sein Kinn, er wartete auf Elsas Antwort. Elsa drehte ihren Kopf langsam von links nach rechts. Sie fixierte kritisch ihr Spiegelbild. Sie ließ sich Zeit mit ihrem Urteil. Franco begann nervös hin und her zu tänzeln. Man hätte eine Stecknadel fallen hören. Seine stahlgrauen Augen irrten von Elsas Antlitz zum Spiegel und wieder zurück. Ein Lächeln von Elsa erlöste schließlich den leidenden Franco. Er stieß einen Luftschwall aus, wie ein Wal, der eben aus den Tiefen des Ozeans auftauchte.
»Sieht toll aus, Franco. Und auch die Haare sind klasse. Danke, Sofie.«
Es kam selten vor, dass Elsa die beiden lobte. Ein guter Tag. An einem schlechten konnte eine Puderdose schnell zu einem Wurfgeschoß werden. Nicht selten traf sie Franco. Sofies belegte den sicheren Arbeitsplatz ... hinter Elsa.
»Lasst mich jetzt bitte allein. Ich muss mich noch kurz entspannen.«
»Alles klar, mein Engel. Wir sehen uns am Set.«
»Bis gleich, Elsa.«
Franco und Sofie verließen die Garderobe. Elsa sah ihnen nach und wartete, bis sie die Türe schlossen. Endlich allein. Wie lange würde sie noch durchhalten. Mit 23 Jahren fühlte sie sich alt und verbraucht.
»Spieglein, Spieglein an der Wand, sag, warum bin ich so ausgebrannt?«
Müde, traurige Augen. Der kirschrote Mund blieb die Antwort schuldig. Ruhm und Glamour kosten enorm viel Kraft. Sie bewunderte Heidi, Giselle, Naomi und all die anderen für ihre Disziplin. Doch vieles davon entpuppte sich bei genauerem Hinsehen als Fassade. Naomis Ausraster konnte man ja oft genug in den Gazetten nachlesen. Die Elite der Models hat ein verdammt hartes Leben. Einen Blick hinter die Fassade zu werfen, war nur wenigen vergönnt. Dort, wo das wahre Mädchen oftmals in Traurigkeit verharrte, interessierte nicht viele. Mit jedem Shooting wuchs in Elsa das Gefühl, diese Belastung auf Dauer nicht mehr durchzustehen. Sie jagte von einem Termin zum nächsten, von einer After-Show-Party zur anderen. Shootings in der Karibik, London, New York, Alaska, Indischer Ozean oder Shanghai. Im Blitzlichtgewitter der Fotografen stand sie schon für Cosmopolitan, Vogue, Vanity-Fair
und viele andere Magazine vor der Kamera. Sie bereiste die ganze Welt, gesehen hatte sie nichts davon. Fremde Kulturen waren ihr fremd geblieben. Die bewundernden Blicke der Passanten bei den Shootings - egal. Sie sah sie nicht mehr.
»Elsa mein Kind, der ganze Stress, das ist nicht gut für deinen Teint«, zitierte sie Worte ihrer Mutter in den Spiegel. Ein abfälliges Grinsen im Gesicht.
»Das weiß ich auch, du blöde Kuh! Verschwinde aus meinen Gedanken.«
Es klopfte an der Garderobentür.
»Ja?«
»Es wird Zeit, Miss Pospischil!«
»Ich komme in einer Minute!«
»Okay!«
Miss Pospischil. Diese Security-Vollidioten vor der Tür sollen sie gefälligst Miss August nennen. Sie wollte ihren Namen nicht mehr hören. Zu sehr erinnerte er sie an ihre Mutter. Elsa erhob sich aus dem Stuhl und öffnete ihren Seidenkimono. Ein roter Stringtanga, ein Hauch von Nichts, bedeckte ihre Scham. Winzige weiße Daunenfedern am Tanga umrahmten ihr Dreieck der Lust. Elsa betastete den Diamanten, ohne Emotionen. Manche Frauen würden ausrasten und alles dafür tun, um so einen Klunker berühren zu dürfen. Elsa empfand nichts dabei. Gepresster Kohlenstoff ... geschliffen ... sonst nichts. Hundert weitere Kohlenstoffdinger waren über ihren rubinroten Büstenhalter verteilt. Egal, er würde nicht lange an ihrem Körper verweilen. Hugh und die Leser wollten Titten sehen.
»Es wird Zeit, Miss Pospischil!«
»Jaaa ... verdammt noch mal, einen Augenblick!«
Elsas sonst so gewinnendes Lächeln war zu Eis gefroren. Sie griff in ihr Prada-Handtäschen
und holte eine rosarote Puderdose hervor. Vorsichtig schraubte sie den kleinen Deckel ab. Kokain, das Pulver zur Freude. Sie drückte ihren weißen Daumen an die Nase und zog das Koks begierig hoch. Sie wiederholte es. Mit dem Zeigefinger rieb sie noch eine letzte Dosis auf das Zahnfleisch. Fertig. Ihre Lippen formten sich zu einem sinnlichen, schlanghaften Lächeln. Sie würde damit die Männer anlocken und sie anschließend wie eine Gottesanbeterin vernichten. Mit langsamen Schritten durchmass sie ihre Garderobe und drückte die Klinke der Garderobentür.
»Let me entertain you!«
www.steirerbua.at
Text: (c) Alfred Stadlmann
Publication Date: 07-30-2010
All Rights Reserved
Dedication:
Für alle Mädchen, die glauben, modeln sei das Größte.