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Prolog




Liebe Ellie
Ich vermisse dich. Ich hoffe so sehr, dass wir uns wiedersehen werden, denn ich kann den Gedanken nicht ertragen, dich nicht zu sehen.
Bitte, verzeih mir, dass ich dich verlassen habe. Für dich mag es wie ein Fehler aussehen, vielleicht wünscht du dir, dass ich es bereue. Ich zumindest wünsche es mir, doch ich bereue es nicht. Nicht solange ich weiß, dass es das Richtige ist.
Es war die richtige Entscheidung, du wirst es verstehen. Irgendwann.
Ich glaube fest daran, dass jeder, jedes Lebewesen, eine Aufgabe hat. Meine Aufgabe ist es Menschenleben zu retten, auch wenn ich dafür mein eigenes geben muss. Zur Army zu gehen war die einzige Möglichkeit, diese Aufgabe auszuführen.
Deine Aufgabe ist es, deinen Traum zu verwirklichen, denke ich. Ich weiß es nicht. Möglicherweise ist es deine Aufgabe, mir zu vergeben. Irgendwann.
Es mag leicht klingen, wenn ich das so sage. Ich kann mir denken, dass es nicht so leicht ist.
Dennoch, mit jeder Sekunde ersehene ich den Moment mehr, an dem du mir vergeben kannst, dich zurück gelassen zu haben.
Dieser Brief wird der Letzte sein, den du von mir erhältst. Ich werde dir nicht mehr wehtun. Nicht ohne einen guten Grund. Wenn du versuchst mich zu finden, dann nur, weil du dir sicher bist, dass du mir vergeben kannst.
Ich verspreche dir, dass wir uns wiedersehen werden. Egal wie lange es dauert. Egal wo wir uns treffen. Wir werden uns wiedersehen.

Dein dich über alles liebender Bruder.

Kapitel 1


„Rücken gerade, Kinn hoch, öffne dich Ellen.“
Ich merkte, wie ich mich immer mehr versteifte. Lange würde ich das nicht mehr aushalten.
Meine Füße brannten, die Spitzenschuhe waren wie ein Brett. Es war eine Tortur, eine Qual.
Immer öfter musste ich mich ermahnen nicht an den nächsten Schritt zu denken. Verdammt!
Noch sechzehn abscheuliche Takte Schmerzen hatte ich vor mir. Fünfzehn.
Der Pianist setzte zum Schlusstakt an. Nur noch... Erleichtert setzte ich den Fuß ab und beendete mit einer Arabeske. Ich begab mich zum Rand der Tanzfläche, wo die anderen schon warteten. Noch einmal tief durchatmen, dann setzte ich mich und fing sofort an mir die Füße zu massieren. Ich zog die Spitzenschuhe aus und stöhnte auf. Wieder einmal würde ich mir eine neue Strumpfhose holen müssen. An meinen Zehen war sie getränkt von rotem Blut.
Ich war bereits dabei sie zu verpflastern, als unsere Tanzlehrerin vor die Reihe trat.
„Nun, wie ihr sicher alle wisst, werdet ihr als Abschlussklasse die Hauptrollen der jährlichen Aufführung übernehmen. Dieses Jahr haben wir als Stück Schwanensee ausgesucht.
Morgen wird es ein Vortanzen geben, jeder muss teilnehmen. Genaueres erfahrt ihr am schwarzen Brett.“
Mit diesen Worten waren wir erlassen. Schon während der kurzen Rede hatte das Getuschel angefangen. Wer würde die Hauptrollen spielen? Wer würde die Nebenrollen bekommen? Wer hatte vielleicht überhaupt keine Chance? Jeder wollte die Hauptrolle. Auch Ellie wollte sie. Um keinen Preis der Welt würde sie sich das entgehen lassen. Um fast keinen.
Was würde sie nicht dafür geben, ihn einmal wiederzusehen? Nichts. Alles würde sie dafür tun. Doch gleichzeitig konnte sie nicht aufhören ihn zu hassen. Er hatte sie verlassen. Da konnte er noch so viele herzzerreißende Briefe schreiben. Es gibt so vieles, was er nicht wieder gut machen konnte. Zu vieles.
Ich schüttelte heftig den Kopf und verbannte diese Gedanken. Morgen war vielleicht der wichtigste Tag in meinem gesamten Leben. Das würde er mir nicht auch noch nehmen.
Ich zwang mich zu lächeln und wandte mich Mary zu.

Ich nahm mir meine Trainingstasche und verließ den Umkleideraum. Mit schnellen Schritten ging ich auf den kleinen Saal zu und betrat den Vorraum. Aus der Tasche holte ich eine Cd hervor und legte sie in der Musikanlage ein. Ich schritt zur Mitte des Raums und wartete auf den Beginn des ersten Takts. Als die Musik einsetzte vergaß ich alles, wovon ich gerade noch glaubte es nie vergessen zu können. Ich konzentrierte mich auf meine Schritte, schaltete alle Sinne aus.
Meine Füße begannen wieder zu schmerzen, doch ich ignorierte es.
In meinen Kopf drangen leise Geräusche, ich konnte sie nicht zuordnen, also tat ich es als Fantasie ab. Aber der Ton hörte nicht auf. Stattdessen wurde es immer lauter, bis das Geräusch nicht mehr zu überhören war.
Schlagartig riss es mich aus meiner Konzentration. Ich wirbelte herum und starrte ihn an.
In der Tür stand ein gut gebauter Schwede, von dem ein lauter Applaus ausging.
Casper. Breakdance. Nicht Ballett.
„Was machst du hier?“, fragte ich ihn. Als ich ihm vor einigen Jahren das erste Mal begegnet bin war er verdammt arrogant. Als ich ihm das zweite Mal begegnet bin auch. Bis heute hat sich das nicht geändert. Aber vielleicht war es das, was ich an ihm mochte. Dass er es verstecken konnte. Er hat mir nie von seiner Kindheit erzählt, doch manchmal bekam ich Bruchstücke mit. Auf jeden Fall war sie nicht schön. Casper vermied es davon anzufangen und ich vermied es auch, obwohl ich neugierig war.
„Was machst du hier?“, wiederholte ich meine Frage.
Er lachte. Dann kam er auf mich zu. Sein Lachen verstummte und er schaute mir in die Augen. Seine Augen hielten mich fest. Grün.
„Man darf ja wohl mal vorbeikommen.“, erwiderte er trotzig und lachte wieder.
„Ich muss mich konzentrieren.“
„Was sind wir denn heute wieder so zickig?“ Er kniff die Augen zusammen.
Dann drehte er sich auf dem Absatz um und verschwand in der Tür.
Es tat mir Leid. Wirklich.


Imprint

Text: ©Janie Ni, 2012
Images: ©Bookrix, 2012
Editing: Dilaila
Publication Date: 05-05-2012

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Dedication:
Für Kati, in der Hoffnung, dass sie immer so verrückt bleibt

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