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Kapitel 1

 

Erwartungsvoll sah Swetlana ihren Chef Michail an, doch der lächelte nur unverbindlich zurück.
Wie immer besprachen sie zuerst, wer welche politischen Themen zu bearbeiten hatte, dann folgte der regionale Teil, ehe es zum Sport und zum Lifestyle kam.
Swetlana kannte diese Prozedur bereits, da sie seit gut drei Jahren für Moye Mneniye in Sankt Petersburg arbeitete. Natürlich wäre sie lieber bei einer der großen Tageszeitungen untergekommen, allerdings konnte sie schon froh sein, dass man sie als Frau überhaupt annahm.
Nach ihrem Studium absolvierte sie ein einjähriges Volontariat bei der Londoner Zeitung Daily Star, die sie auch für die folgenden zwei Jahre beschäftigt hatten. Aber Swetlana zog es in die Heimat zurück, außerdem hoffte sie, endlich über die neusten Mode- und Make-up-Trends hinauszukommen.
„Kommen wir zum Sportteil. Ihr wisst, dass unser amtierender Box-Weltmeister Nikolaj Konstantinowitsch Kasakow die Herausforderung des Spaniers angenommen hat. Der Kampf soll in zwei Monaten hier in Sankt Petersburg ausgetragen werden.“
Michail hielt inne, um seine Angestellten ausgiebig zu mustern.
Ein Teil kritzelte auf ihren Blöcken herum, weil sie ihre Aufgaben bereits bekommen hatten, einige sahen ihn erwartungsvoll an und der Rest tat so, als ob sie interessiert wären.
Sein Blick blieb kurz an Swetlana hängen. Sie hatte ihn angefleht, ihr endlich eine Chance im Bereich Sport zu geben, aber sie war eine Frau! Er konnte ihr unmöglich die Berichterstattung über ein solches Event überlassen.
Innerlich schüttelte er den Kopf, dass er überhaupt darüber nachdachte, dann nickte er seinem langjährigen Freund zu, der sich bisher um den Sportteil gekümmert hatte.
„Gregor, du übernimmst das.“
Das empörte Aufschnauben von Sweta überhörte er gekonnt, jeder Beschwichtigungsversuch würde nur zum Eklat führen, was er absolut vermeiden wollte. Michail kannte das aufbrausende Temperament seiner Mitarbeiterin.
„Das Thema Gesundheit könnte einen neuen Aufhänger gebrauchen. Wie sieht es mit dir aus, Swetlana? Du hast mir doch mitgeteilt, dass du etwas mehr als Mode, Rezepte oder Make-up machen möchtest.“
Aufmunternd sah er zu ihr rüber, allerdings schickte sie ihm einen Blick, der zeigte, dass sie alles andere als zufrieden war.
„Wenn es sein muss.“
Sweta glaubte sich zu verhören, als sie wieder beim Sportteil übergangen wurde. Es gab fast nichts, was ihr im Boxsport fremd gewesen wäre!
„Gut, bleibt noch Lifestyle, da dürfen Sophia und Elena mich überraschen.“
Mit diesen Worten beendete Michail das Meeting für diese Woche und versuchte sich gerade aus dem Staub zu machen, als Swetlana ihn am Ärmel festhielt.
„Können wir bitte kurz unter vier Augen sprechen?“
Ihr Tonfall sagte ihm deutlich, dass er der höflichen Aufforderung besser nachkam, falls er keine Furie vor sich sehen wollte.
„Natürlich meine Liebe, komm wir gehen in mein Büro.“
Zuvorkommend hielt er ihr die Tür auf, ließ sie vorangehen und war versucht ihr eine Hand in den Rücken zu legen, aber das verkniff er sich wohlweißlich. Seine Erinnerungen in dieser Richtung waren schmerzhaft, da sie ihm bereits am Anfang ihrer Zusammenarbeit eine saftige Ohrfeige verpasst hatte.
Michail begnügte sich seither damit ihrem hübschen Hinterteil mit seinen Blicken zu folgen, während er hinter ihr herlief.
„Du hattest mir versprochen, mir eine ehrliche Chance zu geben! Und jetzt? Wieso bekommt Gregor schon wieder das Hauptevent im Sportteil?“
Mit funkelnden Augen sowie in die Seiten gestemmten Händen stand sie vor ihm, dabei zeigte sie deutlich, wie wütend sie war.
Ein Lächeln schlich sich auf das Gesicht ihres Chefs, was sie fast die Fassung verlieren ließ, da sie genau erkennen konnte, was er sich gerade dachte.
„Kannst du auch an was anderes als Sex denken? Ich gehe nicht mit dir ins Bett, um an den Auftrag zu kommen!“
Ihre Stimme war immer lauter geworden, sodass Michail sich jetzt zusammenriss, gleichzeitig nickte er ernsthaft. Er legte keinen Wert darauf, dass das gesamte Büro mitbekam, worüber Swetlana sich hier aufregte.
„Bitte, meine Liebe, du weißt, wie sehr ich deine Artikel schätze, aber der Boxsport ist doch etwas zu brutal für dich.“
In dem Moment, in dem er diesen Satz aussprach, wusste er, dass er genau das Falsche gesagt hatte!
„Du bist ein elender Sexist! Boxen hat nichts mit Brutalität zu tun, sondern ist ein faszinierender Sport, bei dem man Taktik, Kraft und Beweglichkeit benötigt. Vielleicht sollte ich dir mal die Regeln erklären?“
Nur mit Mühe schaffte Sweta es, sich zu beherrschen, denn am liebsten würde sie ihrem Chef irgendetwas an den Kopf werfen. Zu dumm, dass sie den Job noch brauchte, da auch sie ihre Rechnungen bezahlen musste.
Beschwichtigend hob Michail seine Hände, drehte die Handflächen in ihre Richtung, gleichzeitig lächelte er sie gewinnend an.
„So war das keinesfalls gemeint. Komm mal wieder runter und beruhige dich. Du weißt, dass ich dich schätze, außerdem habe ich dir gesagt, sobald etwas Passendes anliegt, werde ich dich aus der Lifestyle-Ecke herausholen. Gesundheit ist jedenfalls ein ernsteres Thema als der Modekram, oder denkst du anders darüber?“
Wut übermannte sie, deshalb schloss sie kurz die Augen, ballte die Hände zu Fäusten und atmete ein paar Mal gleichmäßig durch. Wenn sie jetzt die Beherrschung verlieren würde, könnte es passieren, dass sie ihm zeigte, was genau dieser Sport beinhaltete. Immerhin war ihr Großvater ein bekannter Boxer im Mittelgewicht gewesen!
„Siehst du! So ist es schon viel besser. Außerdem möchte ich dich daran erinnern, dass ich dein Chef bin. Glaub nicht, dass ich mir alles von dir gefallen lasse.“
Langsam öffnete sie die Lider wieder, musterte ihr Gegenüber, anschließend nickte sie vorsichtig.
„Ich mache dir ein Angebot: Ich liefere dir eine spektakuläre Tatsache über Nikolaj Konstantinowitsch Kasakows Privatleben und du übergibst mir die Berichterstattung des Weltmeisterkampfes.“
Leise lachend hielt Michail ihrem Blick stand, dann schüttelte er leicht den Kopf.
„Niemand weiß etwas Genaues über ihn. Du wirst es nicht mal schaffen, seine Boxschule zu betreten! Außerdem ist da auch noch seine bezaubernde Frau Kira, die leider Haare auf den Zähnen hat. Wem willst du was vormachen?“
Auffordernd streckte Sweta ihm die Hand hin.
„Lass es meine Sorge sein, wie ich an die Informationen herankomme. Zur Not steige ich mit ihm oder seinem Manager ins Bett. Deal?“
Der letzte Satz war ihr so herausgerutscht, denn soweit wollte sie auf gar keinen Fall gehen.
Ihr Chef zuckte bei der Ansage kurz zusammen, dann musterte er sie eindringlich, so als ob er ihre Chancen abschätzte.
„Gut, Deal! Aber den Artikel über die neusten Gesundheitstrends schreibst du trotzdem.“
Mit einem breiten Grinsen schüttelte sie die Hand ihres Vorgesetzten, als dieser einschlug.
Egal, was er jetzt von ihr dachte, die Möglichkeit würde sie nutzen, um ihm zu beweisen, dass sie mehr als Rezepte aufschreiben oder Make-up-Tipps geben konnte.
„Du wirst es nicht bereuen! Obendrein bekommst du deinen Artikel für die Rubrik Gesundheit.“
Mit den Worten ließ sie Michails Hand los, drehte sich um und stürmte aus dem Büro.
Erst als sie an ihrem Schreibtisch ankam, verblasste ihr Grinsen, denn sie hatte keine Ahnung, ob es in Kasakows Leben überhaupt etwas gab, das für ihre Leser interessant war.
Schnell schob sie diese Gedanken zur Seite, setzte sich an ihren PC, um gleich mit der Recherche anzufangen. Sie wollte so viel wie möglich über den amtierenden Weltmeister erfahren, ehe sie zum Angriff überging. Irgendwo musste er doch eine Leiche im Keller haben und sie würde sie finden, koste es, was es wolle!

~~°~~

„Das ist nicht dein Ernst, Rodja! Bis zum Kampf sind es nur noch zwei Monate, da hast du wirklich bei fünf Pressekonferenzen zugesagt? Wann soll ich denn bitte trainieren?“
Missmutig starrte Nikolaj Konstantinowitsch Kasakow seinen besten Freund an, der nicht nur als Manager für ihn arbeitete, sondern auch die Buchführung übernahm.
Rodion saß an seinem Schreibtisch im Büro von Nikolajs Villa, lächelte seinen Kumpel an, dabei schüttelte er leicht den Kopf.
„Du weißt genauso gut wie ich, dass wir die Presse vorher mit Informationen füttern müssen, damit sie keine schädlichen Gerüchte verbreiten. Außerdem sind zwei Pressekonferenzen und drei Interviews keinesfalls zu viel!“
Der Manager lehnte sich zurück, während er sich offensichtlich nicht von seinem Freund aus der Fassung bringen ließ.
„Dir ist schon klar, dass ich das Theater hasse. Paparazzi, dumme Fragen und eine Stimmungsmache, die mit dem Sport kaum etwas zu tun haben! Wieso vertrittst du mich nicht einfach?“
Jetzt sah der Weltmeister seinen Vertrauten mit einem Blick an, dem nur schwer zu widerstehen war.
„Den Gesichtsausdruck solltest du dir für Kira aufheben, da er bei mir keineswegs den gewünschten Erfolg einbringt. Du wirst anwesend sein, denn bei den Terminen kann ich dich auf gar keinen Fall vertreten. Aber ich halte dir selbstverständlich das Händchen.“
Bei diesen Worten kam Kira herein, ihre Tochter auf dem Arm und sah fragend von einem zum anderen.
„Habe ich gerade meinen Namen gehört?“
Mit einem breiten Grinsen drückte sie ihrem Mann das Baby in den Arm, kurz darauf streckte sie sich.
„Ich sagte Nikolaj, dass er sich seinen Hundeblick für dich aufheben soll.“
Rodion lächelte ihr freundlich zu.
Ihn verband von Anfang an eine besondere Freundschaft mit der temperamentvollen Frau, deren Ehrlichkeit er schätzte.
„Will er sich mal wieder vor einem öffentlichen Auftritt drücken?“
Mit einem Zwinkern sah sie ihren Mann an, der nur verdrießlich das Gesicht verzog.
„Du musst ja nicht aufpassen, was du sagst! Du weißt nicht, was für Geier bei diesen Konferenzen rumlaufen. Ständig zitieren sie einen falsch oder reißen Sätze aus dem Zusammenhang.“
Nikolaj, den seine Freunde auch Kolja nannten, holte tief Luft, dann lächelte er seine Tochter an, die in seinem Arm lag.
„Du wirst es überleben, also trag es wie ein Mann.“
Kira kicherte leise, als sie den warnenden Blick ihres Ehemanns sah. Zu gerne hätte sie ihn noch ein wenig provoziert, aber sie musste leider los.
„Kyrill hat angerufen. Ich werde in der Boxschule gebraucht, weil es ein paar Jungs gibt, die ziemliche Probleme in der Schule haben. Kannst du auf Mascha aufpassen?“
Nikolaj und Kyrill boten ursprünglich nur Boxtraining für Kinder aus sozial schwachen Familien an, damit diese sich nicht auf der Straße herumtrieben oder in Schwierigkeiten gerieten. Doch mittlerweile kamen immer mehr Menschen, die einfach Spaß an dem Sport hatten. Allerdings sprach sich herum, dass die Boxschule ein sicherer Ort war, der vielen auch die Möglichkeit bot zu übernachten oder etwas zu essen zu bekommen.
Kira engagierte sich sehr für die vernachlässigten Jugendlichen, die meistens schnell Vertrauen zu ihr aufbauten. Seit sie Mutter geworden war, ging ihr das Schicksal der jungen Leute noch stärker an die Nieren.
„Natürlich passen wir auf sie auf. Nur solltest du es nicht übertreiben.“
Eindringlich sah Nikolaj seine Ehefrau an, die sich zu gerne verausgabte. Grenzen gab es für Kira nur selten, oft ignorierte sie es, selbst wenn sie spürte, dass sie an den Rand ihrer Kräfte kam.
Empört sah sie zu Rodion rüber in der Hoffnung, dass er ihr zur Seite stand, doch der Freund schüttelte nur leicht den Kopf.
„Tut mir leid, Kleine, aber da gebe ich deinem Mann recht. Du müsstest dich viel mehr ausruhen, immerhin bist du erst vor Kurzem Mutter geworden. Deine Batterien müssen ab und zu aufgeladen werden.“
Mit einem abfälligen Schnauben drehte sie sich um und wollte schon das Büro verlassen, als Koljas Arm nach vorne schoss, um sie zu stoppen.
„So nicht, Frau Kasakow!“
Jetzt schaffte sie es keinesfalls länger, diese mürrische Miene aufrechtzuerhalten. Sie liebte es, wenn er sie daran erinnerte, dass sie seine Ehefrau war. Darüber hinaus gehörte sie ihm auch auf einer ganz anderen Ebene, er war ihr Herr!
Mit einem Ruck zog Nikolaj sie an sich, während er Mascha sicher im Arm hielt.
Schnell beugte Kira sich zu ihm herunter und küsste ihn liebevoll.
„Wir kommen später nach. Du kannst den BMW nehmen. Rodion spielt bestimmt gerne den Chauffeur für mich.“
Mit einem breiten Grinsen sah Kolja zu seinem Manager, Buchhalter und bestem Kumpel rüber.
„Natürlich. Zumal ich lieber selbst fahre, als deinen Fahrstil über mich ergehen zu lassen.“
Bei der Frotzelei der Freunde verließ Kira endgültig das Büro.
„Gut, zurück zu deinen Terminen. Du willst also wirklich, dass ich die Interviews absage?“
Rodion lenkte Koljas Aufmerksamkeit wieder auf das ursprüngliche Thema.
Schnaubend schüttelte der den Kopf.
„Nein, natürlich nicht. Es nervt mich einfach nur.“
Lachend klappte Rodja den Terminkalender zu, anschließend betrachtete er einen Moment, wie Nikolaj seine Tochter im Arm hielt.
Wie sehr er seinen Freund beneidete, konnte er in dem Augenblick kaum in Worte fassen. Allerdings gönnte er ihm das Glück aus ganzem Herzen.
Seit Kira in ihrer aller Leben gepurzelt war, hatte sich ihre gesamte Situation zum Besseren gewandelt.
Kurz musste Rodion daran denken, dass Kolja letztes Jahr noch in illegale Boxkämpfe verwickelt war. Nur ein glücklicher Zufall rettete ihn aus den Klauen der Bratwa, der russischen Mafia.
Sofort wanderten seine Überlegungen zu ihrem gemeinsamen Freund Eduard, der mittlerweile mit der Tochter des Clan-Chefs zusammen war. Der gleiche Umstand, der Nikolaj befreit hatte, sorgte auch dafür, dass Edja mit seiner Darja zusammenbleiben konnte.
Als ob seine Gedanken den Mann hergerufen hätten, wurde er von Nadja, der Haushälterin angekündigt.
„Na, wie geht es unserem Weltmeister und meinem bezaubernden Patenkind?“
Eduard beugte sich über das Baby, das ihn direkt mit ihren blauen Augen anstrahlte.
„Er ist mürrisch, weil er zwei Pressekonferenzen und drei Interviews geben muss“, antwortete Rodion für ihn.
Edja hob den Kopf, um einen amüsierten Blick mit dem Manager zu wechseln.
„Hab ich schon mal gesagt, dass ich dich so überhaupt nicht um deinen Job beneide? Kindergärtner bei einem ausgewachsenen Mann zu spielen, würde mich in den Wahnsinn treiben.“
Mit den Worten nahm Eduard sein Patenkind auf den Arm, ohne auf den knurrenden Protest seines Freundes zu reagieren.
„Wie geht es Darja? Warum hast du sie nicht mitgebracht?“
Rodion sah den Milliardär fragend an, denn seit er Darja vor ihrem Vater in Sicherheit gebracht hatte, verband ihn auch mit dieser Frau eine innige Freundschaft.
„Sie hat Kira in der Eingangshalle getroffen und darauf bestanden mit ihr in die Boxschule zu fahren, um zu schauen, ob sie helfen kann. Seit du ihr den Floh ins Ohr gesetzt hast, dass sie Kira dort gut unterstützen könnte, sehe ich sie kaum noch.“
Vorwurfsvoll blickte Eduard Rodion an, doch dann brachen die Männer in lautes Lachen aus.
Jedermann wusste, dass Darja nur sehr selten ohne Edja ausging. Seitdem er beinahe wegen ihr erschossen worden wäre, genoss sie jede Sekunde an seiner Seite, was man ihr anmerkte.
„Das trifft sich gut, wir wollten auch gleich los. Aber was treibt dich her?“
Nikolaj stand auf, nahm seine Tochter aus Edjas Armen, gleichzeitig sah er ihn neugierig an.
Mascha brabbelte zufrieden vor sich hin, während sie sich vertrauensvoll an ihren Vater kuschelte.
„Ich hatte das Bedürfnis, kurz nach meinem Patenkind zu sehen. Außerdem interessiert es mich, wie es mit der Vorbereitung zu deinem Kampf läuft.“
Fragend sah Eduard den Boxer an.
„Ich wäre schon viel weiter, wenn mein Manager nicht ständig irgendwelche Pressekonferenzen vereinbaren würde.“
Seine Stimme ähnelte einem Knurren, als er die Antwort hervor spuckte.
Rodion verdrehte die Augen, gleichzeitig tippte er sich leicht an die Stirn.
Edja lachte auf, klopfte seinem Protegé herzhaft auf die Schulter, ehe er ihm eine verbale Ohrfeige verpasste.
„Ertrag es wie ein Mann und hör auf zu heulen!“
Genau das hatte Rodja ihm auch gesagt, doch er hasste dieses Schaulaufen nun mal.
„Es sind nur zwei Konferenzen und drei Interviews. Aber du kennst ja unsere Drama-Queen.“
Rodion stand auf, dabei musterte er den Freund mit einem Zwinkern.
„Schickst du mir die Termine, da ich gerne anweisend sein würde. Eventuell hilft meine Anwesenheit ja, die Leute ein wenig zu beruhigen, zumal ich zu den Sponsoren gehöre.“
Eduard sprach über Nikolajs Kopf mit dessen Manager.
„Natürlich, mit Vergnügen. Das ist gar keine schlechte Idee, vielleicht halten die Pressefuzzies sich in deiner Nähe wirklich etwas zurück.“
Kolja sah missmutig von einem zum anderen, dann drehte er sich zur von den beiden weg, weil seine Tochter mittlerweile in seinen Armen eingeschlafen war.
„Ich bringe Mascha ins Bett, anschließend würde ich gerne zur Boxschule fahren, nur falls es irgendeinen interessiert.“
Mürrisch ging er auf die Tür zu, doch Eduard hielt ihn am Arm fest.
„Kannst du dich später darum kümmern, dass jemand Darja nach Hause fährt? Ich muss noch einen Termin wahrnehmen und weiß nicht, wie lange der dauert.“
Sofort stimmte der Boxer ein wenig beleidigt zu.
„Natürlich, ich sorge dafür, dass sie sicher zu dir zurückkommt, das müsstest du wissen.“
Dankbar nickte der Milliardär.
„Seit der Sache mit ihrem Vater habe ich ständig ein schlechtes Gefühl, wenn sie in der Stadt unterwegs ist“, gab er leise zu.
Der Umstand war kaum verwunderlich, lag das letzte Treffen mit Makar Petrowitsch Baranow erst anderthalb Monate zurück. Der Grund des Zusammentreffens war mehr als unerfreulich, doch hatte der Kartellchef der Bratwa sich am Ende als Lebensretter erwiesen.
„Das hat jeder von uns, aber der Mann hat sein Versprechen eingehalten und ich denke, er wird es auch weiterhin tun.“
Mit diesen Worten lächelte Nikolaj seinen Freund an, um seine Tochter anschließend ins Bett zu bringen. Auf dem Weg nach unten traf er seine Haushälterin Nadja, die er bat, sich um den Säugling zu kümmern, während er seiner Arbeit nachging.
„Sollen wir dann los?“
Kolja sah Rodion fragend an, woraufhin dieser nickte und Eduard sich verabschiedete.
Als Edja sich in seine Limousine setzte, um seinem Fahrer Anweisungen zu geben, wohin es gehen sollte, ging der Boxer zusammen mit seinem Manager zu dessen Sportwagen.
Rodja fuhr einen echten Marussia B2, von dem nur 500 Stück gebaut worden waren. Mittlerweile hatte das Unternehmen Insolvenz angemeldet, daher konnte man den Wert des Autos kaum abschätzen. Da Rodion ebenfalls im Schwergewicht auf Landesebene kämpfte und es dort bereits bis zum russischen Meister gebracht hatte, besaß er genug Geld, um sich dieses Geschoss zu leisten. Natürlich spielte es auch eine Rolle, dass er ansonsten auf Luxus verzichtete und ein ziemlich einfaches Leben bevorzugte.
Neben dem Zimmer in Koljas Villa, das ihm ständig zur Verfügung stand, gehörte ihm ein kleines Appartement in Sankt Petersburg. Allerdings gab es im Moment so viel zu tun, dass er mehr bei seinem Freund wohnte, als Zuhause zu sein.

~~°~~

Vor der Boxschule stand der X3, den Kira genommen hatte, um zusammen mit Darja herzukommen. Rodjas Blick fiel auf einen älteren Volkswagen Beetle. Irgendetwas an diesem Auto irritierte ihn, denn er passte so gar nicht hierher. Die zahlenden Kunden fuhren weitaus bessere und teurere Autos, der Rest lief zu Fuß.
„Was glaubst du, wer das ist?“
Rodion blickte seinen Kumpel an, als er den Marussia neben dem BMW einparkte und den Motor abschaltete.
Kolja zuckte unschlüssig mit den Schultern.
„Vielleicht ein neuer Schüler, der weniger Geld hat?“
Die Freunde stiegen aus, dabei sahen sie sich das Auto noch einmal aus der Nähe an. Genau in dem Moment kletterte eine junge Frau aus dem Beetle, die lächelnd auf die Männer zutrat.
Rodion stellten sich augenblicklich sämtliche Nackenhaare auf, denn diesen Typ Mensch erkannte er, ohne hinzusehen. Die forsche Art, das Lächeln, aber auch das energische auf ihn Zugehen, deutete sofort auf eine Journalistin hin. Wobei er sich natürlich fragte, ob er nicht langsam einen Verfolgungswahn entwickelte.
„Guten Tag, ich freue mich, Sie zu treffen. Besteht die Möglichkeit, dass ich bei Ihnen Boxunterricht bekomme?“
Sie wandte sich direkt an Nikolaj, der nur fragend die Stirn runzelte und von dem Eingangsschild zu der Person vor ihm sah.
„Da es sich hier um eine Boxschule handelt, könnte das im Rahmen des Machbaren sein.“
Ein Grinsen schlich sich auf sein Gesicht, als er sie nun seinerseits musterte.
„Wie dumm von mir, dass ich die Frage so ungeschickt gestellt habe. Bringen Sie auch Frauen das Boxen bei? Es gibt einige Sportler, die denken, dass das weibliche Geschlecht die Finger von diesem Sport lassen sollte.“
Ihr Lächeln verblasste ein wenig, doch sie trat einen weiteren Schritt auf Kolja zu.
„Ich unterrichte keine Frauen, dazu fehlt mir die Zeit. Aber wenden Sie sich ruhig an meinen Manager, der hilft Ihnen bestimmt gerne.“
Damit ließ er sie stehen und verschwand hinter der Eingangstür.
Swetlana sah ihm verärgert hinterher. Der Kerl war ja noch arroganter, als sie angenommen hatte! Nur so leicht würde er sie nicht loswerden. Ohne weiter nachzudenken, wollte sie ihm nachlaufen, als jemand sie auch schon am Arm packte.
„Moment mal. Wer sind Sie überhaupt?“
Verwundert blickte sie in die seltsam grauen Augen des Managers, die sie misstrauisch musterten.
Sofort zauberte sie ein strahlendes Lächeln auf ihr Gesicht.
„Ich heiße Swetlana Dmitrijewna Lebedew. Und mit wem habe ich das Vergnügen?“
Bezeichnend sah sie auf seine Hand, die ihren Arm immer noch umschlossen hielt.
„Mich interessiert kaum, wie sie sich nennen, sondern wer Sie sind oder anders gefragt, was genau wollen Sie hier? Ganz bestimmt geht es Ihnen nicht um eine Boxstunde, denn dann hätten Sie vorher angerufen.“
Damit hatte der Mann natürlich recht, verdammt, dass ihr diese einfache Möglichkeit nicht eingefallen war.
„Mir war keineswegs bewusst, dass man einen Termin braucht, um eine Auskunft zu bekommen. Mir ist das Schild aufgefallen, als ich an der Boxschule vorbeigefahren bin und so dachte ich, ich frage mal nach. Wird wohl kaum verboten sein.“
Ihre Stimme klang zickig, gleichzeitig hielt sie seinem eindringlichen Blick stand, dabei hätte sie ihm jetzt liebend gerne vors Schienbein getreten.
Vorsichtig musterte sie den Mann, den sie auf mindestens dreißig Jahre schätzte, eher etwas älter. Er war bestimmt zwei Meter groß, blond und absolut durchtrainiert. Sein Kinn zierte ein kurz geschnittener Bart, der ihn fast bedrohlich erscheinen ließ. Sie spürte, dass er seine Kraft zurückhielt, während er ihren Arm umklammerte.
„Mit Frechheit kommt man bei mir nicht weit! Es könnte höchstens sein, dass man sich über meinen Schenkeln wiederfindet, damit man lernt, wie man sich zu benehmen hat.“
Drohend zogen sich seine Augenbrauen zusammen, was Sweta allerdings nur noch mehr anstachelte. Irgendwie fühlte sie keine Angst vor dem Boxer, ganz im Gegenteil, sie war sich sicher, dass er ihr nie etwas tun würde.
„Und ich dachte, dass solche Spielchen immer freiwillig und unter Liebenden gespielt werden. Was für ein Spatzenhirn ich doch bin“, konterte sie geschickt.
Fast hätte Rodion bei der Bemerkung gelacht, aber er verkniff sich diese Regung, gleichzeitig gestand er sich ein, dass er die Frau amüsant fand. Nachdenklich musterte er sie. Er schätzte sie auf ungefähr einen Meter sechzig, sie war an den richtigen Stellen gerundet, dabei lud ihr Hintern dazu ein, ihr Benehmen beizubringen. Sofort schob er diese Gedanken zur Seite, sie war keinesfalls die passende Spielpartnerin für ihn, obwohl sie sich scheinbar ein wenig auskannte.
Ihre grünen Augen blitzten ihn an und es würde ihn kaum wundern, wenn sie ihm jetzt die Zunge herausstreckte. Als sie unwillig ihren Kopf schüttelte, streiften einige Strähnen ihres langen blonden Haares seinen bloßen Oberarm, was ihm eine Gänsehaut bescherte.
Verwirrt über seine eigene Reaktion ließ er sie los.
„Hast du genug gegafft? Bist du eventuell in der Lage mir eine Antwort zu geben?“
Aufmüpfig stand sie vor ihm, stemmte die Arme in die Seiten, während sie ihm direkt in die Augen blickte.
„Kannst du auch was anderes als frech sein? Wieso willst du das Boxen lernen?“
Mit einer Handbewegung lud Rodion sie ein vorauszugehen, als er die Tür zur Boxschule öffnete. Er wollte diesen interessanten Kampf lieber in einem der Büros weiterführen, statt hier vor dem Gebäude, obwohl er davon überzeugt war, dass sie etwas im Schilde führte.
„Mich fasziniert der Sport, außerdem schaffe ich es nach einigen Stunden bestimmt, mich gegen aufdringliche Kerle besser zu wehren.“
Bei der zweiten Begründung sah sie ihn auf eine Art an, die genau sagte, dass sie ihn dazu zählte.
Mit einem Grinsen legte er ihr eine Hand in den Rücken, dirigierte sie an den drei Boxringen vorbei, in denen ein paar Schüler mit Alexej, Nikolaj und Kyrill trainierten, ehe er eine weitere Türe öffnete, um sie in eins der Büros zu schieben.
„Wir bieten ein Probetraining an, damit du sehen kannst, ob dieser Sport etwas für dich ist.“
Höflich zog er ihr einen Stuhl an den Schreibtisch, deutete darauf, ehe er sich hinter dem Tisch niederließ.
„Wer führt das Training durch? Ich würde ungern mit jemandem vorliebnehmen, der ... na ja kein Profi ist.“
Forsch sah sie ihn an, dabei sagte sie ihm allein mit ihren Augen, dass sie ihn für unzureichend abstempelte.
Rodion war fest davon überzeugt, dass sie weniger Interesse am Sport hatte, sondern völlig andere Ziele verfolgte. Allerdings war es möglich, dass er sich irrte.
„Lehn dich nicht zu weit aus dem Fenster, du könntest herunterfallen.“
Mit hochgezogener Braue musterte er sie, hielt ihren Blick gefangen, bis sie verlegen auf ihre Schuhspitzen sah.
Jetzt schaffte er es keinesfalls länger, sich ein Grinsen zu verkneifen. So tough, wie sie tat, war sie bei Weitem nicht.
„Gut, kommen wir zum Thema zurück. Du willst boxen lernen?“
Sofort hob sie den Kopf, gleichzeitig nickte sie.
„Ja, aber ich möchte von einem Profi betreut werden. Dabei ist es mir ziemlich egal, was es kostet.“
Swetlana hoffte, dass sie weniger als drei Trainingsstunden benötigte, um ihr Ziel zu erreichen, falls Nikolaj sie trainieren würde. Bestimmt war er nicht abgeneigt, nach der Stunde etwas mit ihr zu trinken. Sie traute sich durchaus zu, charmant genug zu sein, damit er ihr einige persönliche Dinge anvertraute. Allerdings sah es so aus, als ob man ihr erst mal einen anderen Trainer andrehen wollte.
„Dein Training übernehme ich mit Freude. Und als russischer Meister darf ich mich Profi nennen, oder?“
Ruhig lächelte Rodion sie an. Er würde sich doch nicht das Heft aus der Hand nehmen lassen, dazu war er schon viel zu lange im Geschäft. Außerdem kam ihm hier seine dominante Neigung durchaus zugute.
Kurz zuckte Enttäuschung in ihrer Miene auf, dann entschied sie sich, ihre Taktik zu ändern.
„Was, falls ich nur mal mit dem Weltmeister sprechen möchte? Ginge das? Ich bewundere ihn bereits seit einigen Jahren.“
Mit einem Hundeblick sah sie Rodja an, doch dessen Blick schien aus purem Eis zu bestehen.
„Wir brauchen hier keine Frauen, die irgendeinen von uns anhimmeln. Verschwinde, wenn du nicht willst, dass ich dich übers Knie lege.“
Beherrscht stand er auf, packte sie am Arm, zog sie vom Stuhl und führte sie so zu ihrem Auto.
„Kommst du mir noch einmal unter die Augen, dann zeige ich dir, wie fies ich sein kann.“
Damit stieß er sie von sich, drehte sich um und verschwand im Gebäude.
Swetlana knurrte leise, mit so einem Rüpel hatte sie keineswegs gerechnet, aber der würde sie kennenlernen.
Schnell zog sie die Schlüssel aus ihrer Jeanstasche, öffnete ihren Wagen, um kurz darauf davon zu fahren.

~~°~~

„Sag mal hast du eine Verehrerin? Oder was war das gerade für eine Aktion?“
Darja sprach ihn an, als er die Boxhalle erneut betrat. Sie hatte ihn durch die Fenster gesehen, als sie einem der Kinder bei den Hausaufgaben behilflich war.
„So eine Xanthippe? Bewahre mich Gott davor. Ein Weib wie die, würde ich nicht mal anpacken, wenn sie die letzte Frau auf der Welt wäre.“
Heftig schüttelte Rodja den Kopf.
Darja legte die Stirn in Falten, musterte den Freund eindringlich und grinste endlich, ehe sie ihn kurz umarmte.
„Ich glaube, dass sie dir gefällt“, bemerkte sie, als sie sich umdrehte, um zu dem Büro zurückzugehen.
Erstaunt sah der Boxer ihr hinterher. Er musste zugeben, dass diese Person ihm rein äußerlich gefallen hatte. Sie war nicht so ein Hungerhaken, wie die meisten Damen, die sich ihm anboten, da teilte er die Meinung seines Freundes Nikolaj. Ein paar kleinere Speckröllchen fand er sogar anziehend. Es war jedenfalls besser, als Angst haben zu müssen, dass die Frau durchbrach, wenn man sie fester anpackte.
Über seinen Überlegungen vergaß er, Darja eine passende Antwort zu geben, doch als er aufblickte, war sie bereits wieder bei ihrem Schützling.
Mit einem Schulterzucken ging er, um sich umzuziehen, immerhin warteten auch seine Schüler auf ihn!

„Und? Was will sie?“
Nikolaj stoppte kurz, um seinen Freund anzusehen, als dieser zu einem der Boxsäcke schlenderte.
„Mit dir sprechen, weil sie dich schon so lange bewundert! Ich hab sie rausgeworfen.“
Rodja verzog unwillig das Gesicht. Es gab immer mal wieder Fans oder Journalisten, die sich unter einem Vorwand hier einschlichen, um zu spionieren.
„Gut, ich möchte ungern, dass Kira sich verletzt, wenn sie der Dame nachdrücklich zeigt, was sie von so einem Verhalten hält.“
Genau in dem Moment betrat natürlich auch Kira den großen Raum.
„So schätzt du mich ein? Dass ich handgreiflich werde, sobald eine andere Frau dich anhimmelt? Bilde dir nur nicht zu viel ein.“
Mit einem Grinsen kam sie näher, wobei sie ihren Ehemann kaum aus den Augen ließ. Dieser schickte seinen Schüler zu einem Punchingball, wo er alleine weiter trainieren konnte.
Mit einem Satz sprang er über die Absperrung des Rings und landete eine Sekunde später vor seiner Ehefrau, um sie am Arm zu packen.
„Provozierst du mich etwa?“
Eindringlich sah er sie an. Mit einem Lächeln hielt sie seinem Blick problemlos stand, dann seufzte sie leise.
„Du merkst aber auch alles.“
Kolja schüttelte gespielt empört den Kopf, ehe er sich zu ihr beugte, um sie leidenschaftlich zu küssen.
„Vielleicht sollten wir heute Abend unseren Klub besuchen? Zu Hause bekommst du ja doch nicht die nötige Ruhe, um dich fallen zu lassen.“
Verlegen senkte Kira den Blick, denn damit hatte er absolut recht. Seit ihre Tochter geboren worden war, schaffte sie es kaum sich auf ihn einzulassen, wenn es um ihre SM-Neigung ging.
„Das ist völlig normal, glaub mir. Ich höre auch ständig, ob Mascha weint oder ob sie uns braucht.“
Tröstend zog er sie jetzt in seine Arme, während er mit den Augen seinen Freund suchte.
„Rodja, Lust auf ein wenig Spaß? Kommst du mit in den Klub?“
Der Angesprochene nickte mit einem Grinsen; er hatte sich bereits länger nicht mehr ausgetobt und in dem Etablissement gab es genug ansehnliche Subs, die sich gerne auf ihn einließen.
„Meinst du wirklich, wir sollten den Abend außer Haus verbringen? Ich war doch schon den halben Nachmittag weg.“
Unsicher zupfte Kira ihren Mann an den Shorts, damit er sie wieder ansah.
„Ja, glaube ich. Es tut dir gut und unsere Kleine schläft nachts fast durch. Sie wird dich in der Zeit kaum brauchen. Selbst wenn, ist Nadja durchaus in der Lage ihr das Fläschchen zu geben.“
Eindringlich sah Nikolaj seine Frau an. Das war ein weiterer Punkt, der ihr zu schaffen machte: Sie hatte nicht genug Milch, um ihre Tochter zu stillen, deshalb waren sie sofort umgestiegen.
Liebevoll hob er ihr Kinn an, damit sie keine Chance hatte, ihm auszuweichen.
„Es ist völlig in Ordnung. Mascha geht es gut! Du bist eine wundervolle Mutter, allerdings brauchst du ab und zu ein wenig Ablenkung.“
Zu gerne wollte sie ihm glauben, doch im Moment kam sie sich vor, wie eine Rabenmutter. Selbstverständlich verbrachte sie die meiste Zeit bei ihrem Kind. Heute war der erste Tag, an dem sie ihre Tochter nicht mit in die Boxschule genommen hatte. Jetzt kam Kolja auch noch mit diesem Vorschlag, der natürlich extrem verlockend war, aber ihr schlechtes Gewissen steigerte.
„Nadja hat die Nummer des Klubs, sodass sie im Notfall sofort anrufen kann.“
Endlich nickte sie, es war albern sich jedes Vergnügen zu versagen!
Zufrieden küsste Nikolaj seine Frau, ehe er wieder zu seinem Schüler ging, wobei er Rodja breit angrinste.
Früher waren sie öfter in den einschlägigen SM-Klubs unterwegs gewesen, jetzt kam es eher selten vor, zumal Kolja einen eigenen Raum mit speziellen Möbeln in seiner Villa besaß. Auch Rodion hatte dort bereits aufregende Stunden erlebt, nur fehlte ihm im Moment die richtige Motivation. Außerdem sehnte er sich nach einer Session mit echten, tiefen Gefühlen. Allerdings würde er Kira den Spaß ganz bestimmt nicht verderben, in dem er einen Rückzieher machte.

Kapitel 2

Am Abend suchte Rodion sich eine schwarze Jeans, ein schwarzes Seidenhemd, die passenden Socken und Schuhe heraus. Wenn er ehrlich war, hatte er überhaupt keine Lust seine Freunde in den Klub zu begleiten.

Am Nachmittag hörte sich der Vorschlag noch interessant an, doch als er jetzt darüber nachdachte, wusste er, dass er wohl wieder nur an der Bar sitzen würde.
Einfach seine Neigung auszuleben, ohne tiefe Gefühle reichte ihm nicht länger. Besonders seit nicht nur Nikolaj, sondern auch Edja ihm fast täglich zeigten, wie schön es war, die passende Partnerin an seiner Seite zu haben.
Natürlich gönnte er den beiden ihr Glück, aber er war bereits zweiunddreißig Jahre alt und in seinem Bart gab es mittlerweile mehr silberne Fäden, als ihm lieb war. Trotzdem traf er keine Frau, die er anziehend genug fand, um etwas mit ihr anzufangen.
Seufzend knöpfte er das Hemd zu, wobei er die obersten Knöpfe aufließ, dann stopfte er es in die Hose, ehe er Socken und Schuhe anzog. Anschließend packte er lustlos ein paar Spielzeuge in seine Tasche. Das machte er hauptsächlich Kira zuliebe.
Sollte sie auch nur den Hauch einer Ahnung bekommen, dass er keine Lust auf den Klub hatte, würde sie es als Ausrede nutzen, um zu Hause zu bleiben. Doch gerade sie hatte sich eine Auszeit verdient.
Sein kurzes Haar schimmerte noch feucht von der Dusche, unter die er gesprungen war, als sie aus der Boxschule kamen, aber Ende Juli brauchte er sich deshalb keine Gedanken zu machen.
Geschmeidig lief er die Treppe herunter, wo er bereits von einer nervösen Kira und einem breit grinsenden Nikolaj erwartet wurde.
„Sollen wir zusammenfahren oder möchtest du mit deinem Angeber-Schlitten vorfahren?“
Kolja sah ihn aufmerksam an.
„Für den Wagen habe ich lange gespart. Du glaubst kaum, wie froh ich bin, dass ich einen der Letzten ergattern konnte. Natürlich fahre ich damit zum Klub. Immerhin muss ich mir Mühe geben, dass ich nicht der verbitterte Onkel von Mascha werde.“
In dieser Aussage steckte mehr Wahrheit, als er zugeben wollte, doch als Kira ihn besorgt ansah, strich er ihr leicht über die Wange.
„Nimm mich nicht zu ernst, Kleine. Ich scherze nur.“
Sie war sehr skeptisch, nickte aber, wohl auch, um ihren Herrn zufriedenzustellen, der sie mahnend anblickte.
Nikolaj packte seinen Rucksack mit den Seilen, während seine Ehefrau eine Tasche mit verschiedenen Schlagwerkzeugen nahm.
Gemeinsam verließen sie das Haus, um kurz darauf vom Hof zu fahren.
Die Strecke war gut zu bewältigen, sodass sie kaum eine halbe Stunde später vor dem Klub parkten.
Nikolaj half seiner Frau liebevoll aus dem Wagen, dabei sah er sie ernst an.
„Du weißt, egal warum, nein heißt nein. Sollte dir irgendetwas gegen den Strich gehen, dir die Erkenntnis kommen, dass du lieber auf ein Spiel verzichten möchtest oder es dir zu viel wird, sag es mir.“
Rodion, der zu ihnen getreten war, lächelte, in dem Punkt waren sie sich einig, es brachte keinesfalls etwas, seinen Partner mit Gewalt in eine Session zu zwingen. Im Gegenteil, wenn man ein klares Stop überging, bedeutete es nichts weiter, als dass man Vergewaltigung oder Misshandlung billigte.
Einen Augenblick überlegte Rodja, ob er seine Utensilien direkt im Auto lassen sollte, doch dann entschied er sich dagegen. Die Hoffnung starb ja bekanntlich zuletzt.
Gemeinsam gingen sie in den Klub, wo sie ihre Taschen in einem abschließbaren Spind verstauten, denn zuerst wollten sie was trinken und sich umsehen. Besonders Kira benötigte diese Zeit, ehe sie sich auf ihren Mann einlassen konnte. Ihr fiel es extrem schwer, die Verantwortung abzugeben.
Nachdem der Türsteher sie erkannte, betraten sie einen Raum, in dem sich eine lange Theke befand. Im Moment war es noch ziemlich ruhig, nur zwei Pärchen saßen auf Barhockern und unterhielten sich leise.
Hier in dem Etablissement traf man nie auf ungebetene Gäste, da es sich um einen privaten Klub handelte, bei dem man nur Mitglied wurde, wenn man einen Bürgen vorweisen konnte.
Rodion setzte sich in eine Ecke, sodass er den Eingang und gleichzeitig den ersten Spielraum im Blick hatte. In diesem Raum gab es mehrere Haken für Hänge-Bondage, anschließend folgten die Separees, die mit den verschiedensten Möbeln ausgestattet waren.
Aus Erfahrung wusste der Boxer, dass zu späterer Stunde gerade in den Zimmern mit den Strafböcken reger Andrang herrschte, so mussten viele Gäste auf andere Möglichkeiten ausweichen. Aber auch die Fesselgestelle wurden gerne genutzt.
Kira setzte sich neben ihn, dabei benahm sie sich erstaunlich kleinlaut, etwas das kaum zu ihr passte. Normalerweise hielt sie mit ihrer Meinung nur selten hinter dem Berg.
„Na? Ein wenig zu frech geworden?“
Rodja lächelte sie wissend an. Oft genug bekam er die Antworten der lebenslustigen Frau mit, da er ständiger Gast in ihrem Haus war.
Unsicher nickte sie, doch sofort schüttelte sie den Kopf.
„Nein, das ist es nicht. Ich weiß, dass ich Nikolaj vertrauen kann, und freue mich darauf, mal wieder seine Hand zu spüren, aber ich mache mir Sorgen um Mascha. Ich habe sie noch nie so lange alleine gelassen.“
In ihren Augen spiegelte sich ihr schlechtes Gewissen wider.
Freundschaftlich legte Rodion einen Arm um ihre Schultern.
„Sie ist wohl kaum sich selbst überlassen. Sie wird von Nadja bemuttert, die sie nach Strich und Faden verwöhnt. Schieb die Gedanken zur Seite, du hast dir den Abend redlich verdient!“
In dem Augenblick kam auch Kolja, der für später eines der Separees reserviert hatte.
Sofort sah er seine Frau besorgt an, doch diese lächelte ihm beruhigend zu.
„Es ist alles in Ordnung“, blockte sie ihn direkt ab, zumal ihr die Aufmerksamkeit unangenehm war.
Sie bestellten sich etwas zu trinken, genossen die Ruhe, die noch herrschte, und unterhielten sich über die letzten Tage. Die Boxschule boomte, die Kinder, die Hilfe brauchten, wurden immer zahlreicher. Das war zu erwarten, weil es sich herumsprach, dass man bei Kasakow nicht nur in Sicherheit war, sondern auch etwas zu essen oder ein Dach über dem Kopf bekam.
Aber das war ihre Absicht gewesen, sie wollten den Kindern eine Zukunft geben!
„Was hältst du davon, ein wenig abzuhängen?“
Nikolaj sah seine Liebste fragend an, nachdem diese ihr Glas Wasser ausgetrunken hatte. An diesem Abend würde er besonders auf sie aufpassen, da war ein Hänge-Bondage für den Anfang genau richtig. Sie hatte nichts zu tun, konnte sich auf ihre Gefühle konzentrieren und kam hoffentlich auf andere Gedanken.
Mit einem Lächeln nickte sie.
„Gerne, aber ich gehe besser noch mal aufs Klo, sonst musst du alles wieder aufknoten, ehe ich hänge.“
Schnell rutschte sie von dem Barhocker herunter und verschwand in Richtung Toiletten.
Lachend sahen die Männer ihr nach, dabei wussten sie genau, dass sie nur etwas Zeit schinden wollte. Kira liebte es, von ihrem Ehemann gefesselt zu werden, doch es kostete sie immer Überwindung, die gesamte Kontrolle in seine Hände zu legen.
„Magst du es nicht auch endlich lernen? Du hättest gleich alle Aufmerksamkeit der Subs, wenn du wenigstens ein einfaches Hänge-Bondage zustande bringen würdest“, bemerkte Kolja, als seine Ehefrau außer Sicht war.
Laut auflachend schüttelte Rodion den Kopf.
„Ich mag Makramee für Doms nicht wirklich, wie du weißt. Außerdem bezweifele ich, dass ich dafür Talent habe.“
Diese Diskussion führten sie bereits zum hundertsten Mal, deshalb gab Nikolaj sofort auf. Nachdenklich sah er seinen Freund an. Es war wie verhext, jede Frau, die er traf, vertraute ihm fast augenblicklich, sah ihn als besten Kumpel an, aber keine schien sein Herz zu berühren.
Als Kira wiederkam, reichte Kolja ihr liebevoll eine Hand und führte sie zu einem Fesselgestell, an dessen Ende ein Bambusrohr angebracht war. Mit dem Bambus konnte er viele Figuren durchspielen, mehr als wenn er nur einen Ring zur Verfügung gehabt hätte.
Rodion sah seinen Freunden nach. Er bewunderte Nikolaj, dass er Shibari wirklich meisterhaft beherrschte, ihn selbst verwirrten die Seile nur.
Während Kolja seine Liebste kunstvoll verschnürte, an dem Rohr hochzog, um ihre Lage immer wieder zu verändern, füllte sich der Klub stetig.
Meistens betraten Paare den Thekenraum, sodass Rodja gelangweilt wegsah.
Doch dann erschien jemand, der sein Interesse sofort weckte. Die freche Furie trat durch den Eingang, sah sich um, ehe sie einige Bekannte begrüßte.
Interessiert richtete Rodion sich auf, um Swetlana besser sehen zu können, da sie ihn noch nicht entdeckt hatte.
Scherzend drehte sie sich zu einem Mann um, dem sie sogar leicht auf die Finger schlug, als er ihr über den Arm strich.
Einen Moment überlegte Rodja, ob sie vielleicht dominant war, aber da könnte er ihr schnell das Gegenteil beweisen.
Aufmerksam musterte er ihre anziehende Gestalt, bemerkte ihre durchaus passende Kleidung, die aus Rock und Bluse bestand. Dabei war der Rock weit genug, um ihn ihr über den Hintern schieben zu können.
„Darf es noch etwas sein?“
Der Barkeeper holte ihn sehr unsanft aus seinen Überlegungen heraus, in denen er Swetlana gerade nach allen Regeln der Kunst das Hinterteil versohlte.
„Ja, einen O-Saft und eine Auskunft, bitte.“
Mit dem Kinn deutete Rodion auf die Frau.
„Wer ist das und wer ist der Bürge?“
Einen Moment überlegte der Barmann, dann grinste er leicht.
„Das ist eine Journalistin von Moye Mneniye, aber sie hat eine Verschwiegenheitsklausel unterschrieben, wie jeder hier. Ihr Bürge ist der Modeschöpfer Agafon Sejzew. Sie ist erst letzte Woche aufgenommen worden.“
Ein breites Grinsen huschte über das Gesicht des Boxers, das hatte er sofort geahnt. Allein ihr Auftreten vor der Boxschule sorgte dafür, dass alle seine Alarmglocken losgingen. Natürlich erkannte Rodja auch den Mann an ihrer Seite, den er bis jetzt nur flüchtig gemustert hatte. Ob sie mit ihm ein Verhältnis eingegangen war? Ihrem Benehmen nach eher nicht.
„Gibt es ein Problem mit der Dame? Wenn Sie wünschen, informiere ich ihren Bürgen, damit er sich mit Ihnen in Verbindung setzen kann.“
Aufmerksam sah der Barkeeper Rodion an.
„Nein, alles in Ordnung. Ich glaube kaum, dass ausgerechnet Sejzew sich eine Laus in den Pelz setzt.“
Gemütlich lehnte Rodja sich zurück, der Abend versprach, doch noch interessant zu werden.
Eine ganze Weile beobachtete er, wie die junge Frau mit verschiedenen männlichen Mitgliedern flirtete. Allerdings schaffte sie es, jeden auf Abstand zu halten, was ihn nicht sonderlich erstaunte. Immerhin hatte diese Dame Haare auf den Zähnen und im Moment bemühten sich eher die unerfahrenen Herren um sie.
Endlich ließ sie ihren Blick erneut über die Gäste schweifen, die an der Theke ihren Platz gefunden hatten, und erstarrte förmlich, als sie Rodja erkannte. Breit grinsend hob er sein Glas in einem stummen Salut ein wenig an. Sofort verzog sie ihr Gesicht abschätzig, doch dann setzte sie sich in Bewegung.

~~°~~

Swetlana war kochend vor Wut von der Boxschule zu ihrem kleinen Zwei-Zimmer-Appartement gefahren, falls man diese Absteige so nennen wollte. Es war alt, aber sauber und bezahlbar. In einem der beiden Räume gab es eine Kochzeile, ein durchgesessenes Sofa, zwei ebenso betagte Sessel und einen Tisch. Hier stand auch ihr Laptop, auf dem sie ihre Artikel verfasste, wenn sie nicht gerade in der Redaktion war. Im zweiten Zimmer befand sich ein Bett, ein Schrank, hinter einem Vorhang gab es eine Toilette, ein Waschbecken und eine winzige Badewanne.
Fast hätte sie ihre Tasche in die nächste Ecke gefeuert, so sehr ärgerte sie sich über die Behandlung des sogenannten Managers. Ob Nikolaj Kasakow wusste, was für einen Rüpel er da beschäftigte?
Einen Moment atmete sie durch, rief sich die Erscheinung des Kerls in Erinnerung, dabei musste sie zugeben, dass ihr nicht nur sein Aussehen gefiel. Er war der erste Mann, dem sie wirklich zutraute, ihr das Wasser reichen zu können. Trotzdem war sie seinetwegen ihrem Ziel keinen Schritt nähergekommen!
Ihr Handy klingelte, was sie kurzfristig ablenkte. Schnell zog sie es aus ihrer Hosentasche, um sich zu melden.
„Hey Süße, Lust auf einen Drink im Klub, heute Abend?“
Allein die Stimme entlockte ihr ein Lächeln, denn Agafon war einer der wenigen angenehmen Menschen, die sie durch ihre ungeliebten Mode-Artikel kennengelernt hatte.
Sie erinnerte sich noch genau, dass sie ziemlich nervös gewesen war, als sie seine Wohnung betrat, doch der Modeschöpfer nahm ihr sämtliche Bedenken in kürzester Zeit.
Natürlich bekam sie alle Informationen, die sie für einen guten Zeitungsartikel brauchte, aber der Mann weckte außerdem ihre Neugierde darauf, ihn privat kennenzulernen.
Auch nachdem ihr Job beendet war, blieben sie in Kontakt, redeten oft die halbe Nacht über ihre Ziele, Wünsche und Vorstellungen, bis Agafon zugab, dominant zu sein.
Es kam, wie es kommen musste, nach einiger Zeit willigte sie ein, ihn in einen der angesagtesten SM-Klubs in Sankt Petersburg zu begleiten.
Sweta dachte gerne an diesen Besuch vor gut einem Jahr zurück. Sie ging mit ihm die ersten Schritte, stellte fest, dass sie nicht nur devot, sondern genauso masochistisch veranlagt war, gleichzeitig lernte sie, sich verbal zu wehren.
Besonders in den unterschiedlichen SM-Foren gab es bei Weitem mehr Idioten als normale Menschen.
Dummerweise fehlten ihr die Gefühle für Agafon. Natürlich fand sie ihn sympathisch, genoss es an seiner Seite einige Vorteile zu haben und sah in ihm einen väterlichen Freund, nur zu einer echten Beziehung reichte es keinesfalls aus.
Als er das einsah, beantragte er für sie die Mitgliedschaft in dem Klub, dabei bezahlte er den Beitrag, den sie sich niemals leisten konnte. Dieses Geschenk nahm sie nur an, weil er sie darum bat. Es sei eine Art Abschiedsgeschenk, denn seit dem Tag vor einer guten Woche, spielte er nicht mehr mit ihr. Was sie bedauerte, aber sie beide suchten nach dem Partner, den sie liebten!
Seufzend schob Sweta die Gedanken zur Seite, als ihr bewusst wurde, dass ihr Gesprächspartner auf eine Antwort wartete.
„Ja, gerne. Ich könnte gegen halb neun dort sein.“
„Ich freue mich auf dich, Kleine.“
Damit war das Gespräch auch schon beendet, denn Agafon kam bei solchen Verabredungen immer sehr schnell auf den Punkt.
Erheblich besser gelaunt als noch vor zwei Minuten, pfiff Sweta vor sich hin, während sie überlegte, was sie anziehen sollte. Auf keinen Fall würde sie sich zu dominant kleiden.
Einmal war sie in Lederhosen und einer dunklen Tunika erschienen, was zur Folge hatte, dass jeder devote Mann im Klub ihr zu Diensten sein wollte. Das war ihr eine Lehre gewesen.
Nachdenklich stand sie vor ihrem Kleiderschrank, starrte die verschiedenen Outfits an, bis sie sich für einen schwarzen, langen Rock und eine züchtige, weiße Bluse entschied. Elegant, aber nicht zu auffällig.
Zufrieden ging sie in ihre Kochecke, um sich etwas zu Essen zu machen.
Nach dem Abendessen duschte sie in ihrer Badewanne, ehe sie sich für den Abend zurechtmachte. Ihren Ärger über den unverschämten Boxer hatte sie fast vergessen, genau wie den Gesundheits-Artikel, den sie schreiben musste. Vielleicht hatte Agafon da eine Idee, er probierte doch ständig die neusten Diäten aus!
Auf ihren alten Beetle war zum Glück immer noch Verlass, daher fuhr sie selbst, so kam sie viel schneller an, als wenn sie den Bus nehmen würde. Außerdem wollte sie unabhängig sein, zudem waren die öffentlichen Verkehrsmittel um einiges teurer und ihr Geld reichte kaum für die laufenden Kosten!
Ein wenig zu früh kam sie an der Location an, aber da sie mittlerweile ein vollständiges Mitglied war, gab es keinen Grund vor der Tür zu warten.
Mit freudiger Aufregung betrat sie den eleganten Vorraum, grüßte den Türsteher und ging zur Theke, wo sie direkt von ein paar jüngeren Bekannten begrüßt wurde.
Zu ihrem Erstaunen war auch Agafon bereits dort, der sie freundschaftlich umarmte.
„Na, wie geht es meiner Lieblings-Reporterin? Irgendwelche Skandale ausgegraben?“
Mit einem feinen Lächeln sah er sie an, doch sie verdrehte nur die Augen.
„Wenn dem so wäre, hättest du es längst mitbekommen. Die einzige Story, die mich weiterbringen würde, darf ich nicht schreiben.“
Gespielt beleidigt sah sie ihn an, dabei stülpte sie die Lippen nach außen und zeigte ihm ihren besten Hundeblick.
Augenblicklich lachte Agafon laut auf. Mit der Geste versuchte sie immer mal wieder, ihn um den Finger zu wickeln.
Ein junger Künstler, der von seinem Vater ein Vermögen geerbt hatte, strich ihr über den Arm, doch sie schlug seine Hand sofort zur Seite.
Dieser Typ war so überheblich, außerdem ödete er sie mit seinen Geschichten über seine Erfolge dermaßen an, dass sie ihm lieber aus dem Weg ging. Darüber hinaus hatte sie seinen Namen bestimmt schon zehnmal vergessen.
Agafon unterhielt sich angeregt mit einem Politiker, den er wohl auf einer der Modenschauen kennengelernt hatte, allerdings interessierte Sweta das Gespräch kaum. Neugierig blickte sie sich in dem Thekenraum um.
Am Rand der Theke saß ein recht eindrucksvoller Mann, blond, stattlich, der ihr irgendwie bekannt vorkam.
Als er den Blick hob und ihr mit seinem Orangensaft zuprostete, erstarrte sie, gleichzeitig biss sie die Zähne zusammen.
Dort in der Ecke saß doch tatsächlich der arrogante Drecksack von Boxer, der ihr nicht mal seinen Namen genannt hatte.
Zuerst wollte sie ihn ignorieren, allerdings formte sich eine Idee in ihrem Kopf, vielleicht gab es über ihn ja eine Möglichkeit an den Weltmeister heranzukommen. So wie es ausgesehen hatte, waren die beiden gute Freunde.
Außerdem reizte sie der Mann, aber diesen Gedanken unterdrückte sie sofort. Es ging lediglich um ihren Deal, der ihre Karriere absicherte!
Mit ihrem überheblichsten Lächeln schlenderte sie zu ihm rüber, setzte sich auf den freien Barhocker neben ihm und sah ihn direkt an.
„Mir ist es neu, dass hier auch zweitrangige Boxer Zutritt haben. Oder hat Ihr Arbeitgeber Nikolaj Konstantinowitsch Kasakow Sie hergebracht?“
Um ihm zu zeigen, dass sie sich keinesfalls auf sein Niveau herunterließ, wählte sie die förmliche Anrede.
„Ich wiederhole mich normalerweise nie, aber bei dir mache ich gerne eine Ausnahme. Lehn dich nicht zu weit aus dem Fenster, du könntest herunterfallen.“
Ein Blick aus grauen Augen traf sie, der ihr Herz zum Rasen brachte.
Was war nur an dem Mann, dass er es schaffte, sie mit nur einem Satz aus der Fassung zu bringen? Heute Nachmittag sorgte er dafür, dass sie vor Wut kochte und jetzt ... über diese Gefühle wollte sie lieber nicht nachdenken.
„Und bei deinen Manieren würdest du mich auch noch fallen lassen“, zischte sie ihm zu.
Ihre Fassade bröckelte bereits, was sie auf jeden Fall verhindern musste. Verzweifelt wünschte sie sich, dass sie kaltblütiger wäre, aber bei seinem Anblick schmolzen selbst diese Gedanken.
Rodion hob seine Hand, um ihr eine Strähne aus dem Gesicht zu streichen, dabei hielt er seine Augen starr auf sie gerichtet. Eine Sekunde sah es so aus, als ob sie zurückzucken würde, dann erwiderte sie seinen Blick lediglich.
„Natürlich nicht. Ich bin kein Unmensch. Nur ob dir das, was ich mit dir danach mache gefällt, wage ich zu bezweifeln.“
Einen Moment dachte er nach, ehe er den Kopf schüttelte.
„Doch es würde dir gefallen, aber du bist zu stolz, um es zuzugeben. Du bettelst um Aufmerksamkeit, um sie zurückzuweisen, wenn du an dein Ziel gekommen bist.“
Ruhig hielt er dem wütenden Aufblitzen ihrer Augen stand.
„Ach, und du kennst mich so gut, dass du in der Lage bist, das zu beurteilen? Wie überheblich ist das denn? Hast du auch andere Fähigkeiten, als eine Frau unhöflich zu behandeln? Oder ist das deine Art von Dominanz?“
Zickig erwiderte sie seinen Blick.
Dass er sie so schnell durchschaut hatte, ärgerte sie maßlos. Aber sie musste ihm recht geben. Oft genug redete sie sich um Kopf und Kragen, provozierte bis zum bitteren Ende, um anschließend festzustellen, dass ihr der Mut fehlte, auch die Konsequenzen zu tragen. Glücklicherweise waren ihre Gesprächspartner bisher alle ziemlich unerfahren, sodass sie zurückwichen, sobald sie herrisch wurde.
„Ich bin direkt, wenn du damit nicht umgehen kannst, dann solltest du zu deinen Leuten zurückgehen. Unhöflich ist etwas ganz anderes und meine Dominanz hast du wohl kaum kennengelernt.“
Mit hochgezogener Augenbraue musterte er sie, dabei schaffte er es erneut, dass sie nur durch seinen Blick wie erstarrt auf ihrem Hocker saß.
Verzweifelt rang sie nach einer Antwort. Irgendetwas, das ihr aus dieser Situation heraushalf oder ihn wenigstens in seine Schranken verwies, denn ein Rückzug kam keinesfalls infrage.
„Direkt nennst du das? Du hast dich nicht mal vorgestellt! Außerdem war der Rauswurf in der Boxschule alles andere als fair. Ich denke, ich habe eine Entschuldigung verdient.“
Auffordernd hob sie den Kopf ein Stückchen, aber auch, um ihre Unsicherheit zu kaschieren.
Rodion lachte laut auf, ehe er blitzschnell ihr Kinn packte und sie zwang, ihm in die Augen zu sehen.
„Pass auf, was du sagst, für Spielchen bin ich zu alt! Wenn du mich weiter provozierst, trägst du die Konsequenzen. Ich hoffe, du bist dir dessen bewusst.“
Seine Stimme war fast ein Flüstern, das ihr eine Gänsehaut über den Körper schickte, die bestimmt nicht ihrer Angst geschuldet war.
Sweta schluckte schwer, was ihrem Gegenüber keineswegs verborgen blieb, trotzdem regte sich kein Muskel in seinem Gesicht, während er sie eindringlich musterte.
„Zumindest weiß ich, wie man sich verhält. Immerhin habe ich mich vorgestellt“, presste sie hervor.
Zu gerne hätte sie seine Hand weggeschlagen, nur wagte sie sich das nicht, da sie spürte, dass er ein anderes Kaliber darstellte, als die Möchtegern-Doms, die sie sonst umgaben.
Plötzlich ließ er sie los, was sie fast bedauerte.
„Rodion Stephanowitsch Kusmin, aber das weißt du doch längst.“
Mit einem spöttischen Lächeln stellte er sich vor.
Irritiert blickte sie ihn an. Mit diesem abrupten Stimmungswechsel kam sie so gar nicht klar.
„Wieso sollte ich das wissen?“
Irgendwie kam sie sich vor, als ob eine wichtige Information an ihr vorbeigegangen wäre.
„Du willst an Nikolaj heran, das hast du doch heute schon zugegeben. Da wirst du vorher recherchiert haben.“
Wieder musterte er sie so eindringlich, dass ihr das Sprechen schwerfiel.
Stumm schüttelte sie den Kopf.
In der Tat hatte sie sich auf den Weltmeister konzentriert, dabei war ihr der schwerwiegende Fehler unterlaufen, seine Umgebung außer Acht zu lassen.
„Lügen akzeptiere ich auf gar keinen Fall, überleg dir also, was du antwortest.“
Jetzt wurde sein Blick so eisig, dass Sweta fröstelnd die Schultern hochzog, gleichzeitig fragte sie sich, warum sie sich so ein Verhalten überhaupt gefallen ließ. Sie sollte dem Rüpel einfach die Meinung sagen!
Gerade als sie tief Luft holte, um ihren Unmut kundzutun, legte er seinen Zeigefinger auf ihre Lippen.
„Lass es. Hör auf mich zu provozieren, wenn du nicht über meinem Knie landen möchtest.“
Erstaunt bemerkte sie, dass Verlangen in seiner Miene lag und diese Erkenntnis brachte sie komplett aus dem Konzept. In dem Augenblick wusste sie gar nicht mehr, was sie sagen, geschweige denn tun sollte.
„Du bist Journalistin und willst an Nikolaj heran, doch vorher musst du an mir vorbei.“
Ehe sie darüber nachdenken konnte, platzte sie völlig unbedacht mit ihrer Antwort heraus.
„Im Moment habe ich Feierabend. Der Weltmeister interessiert mich nicht die Bohne. Allerdings werde ich ein Hühnchen mit seinem unverschämten Manager rupfen.“
Bei dem letzten Satz weiteten sich ihre Augen, gleichzeitig schlug sie erschrocken die Hand vor den Mund.
Das hatte sie zwar gedacht, aber sie wollte es keinesfalls aussprechen, da sie sich denken konnte, wie er auf eine solche Drohung reagierte.
Zu allem Überfluss merkte sie, wie ihr das Geplänkel mit Rodion Spaß machte. Wahrscheinlich drehte sie jetzt völlig durch.
Grinsend lehnte sich ihr Gegenüber zurück, dabei ließ er sie nicht aus den Augen.
„Dann leg mal los. Ich bin gespannt, was du mit mir vorhast. Nur solltest du im Hinterkopf behalten, dass du das Echo auf jeden Fall ertragen wirst.“
So ein Mist! Wieso manövrierte sie sich auch immer wieder in solche Situationen hinein? Hektisch kramte sie in ihren Gehirnwindungen nach einer passenden Antwort, aber bei seinem süffisanten Grinsen, war alles wie leer gefegt.
„Du hast mich einfach aus der Boxschule geworfen, das nenne ich unhöflich. Genauso wenig hieltest du es für nötig, dich vorzustellen. Und im Moment drohst du mir. Wie wäre es mit einer Entschuldigung? Vielleicht würde ich sie sogar annehmen.“
Aufmüpfig musterte sie ihn, ehe sie das Kinn anhob, auch um ihre Unsicherheit zu kaschieren.
Ein lautes Lachen war die Antwort, was ihr die Schamesröte ins Gesicht trieb, zumal sich jetzt etliche Leute zu ihnen umdrehten. Dieser Mistkerl lachte sie doch tatsächlich aus!
Rodja amüsierte sich köstlich über die Forderungen der Frau, dabei sah es so aus, als ob sie überhaupt nicht wusste, mit wem sie sich da einließ. Er war bekannt dafür, dass er sich nie auf der Nase herumtanzen ließ. Entweder er ging ohne ein Wort weg, wenn eine Sub versuchte ihn zu dominieren oder er zeigte ihr deutlich die Grenzen, was ihm auch noch Spaß machte. Sadismus gehörte zu ihm, genau wie die Dominanz, wobei er allerdings darauf achtete, dass sein Gegenüber auf ihre Kosten kam.
„Versuchst du mich, zu einem Spiel zu überreden? Oder wie soll ich diese Aufforderung auffassen?“
Mit übertriebenen Gesten wischte Rodja sich die Lachtränen aus dem Gesicht.
Jetzt schnappte Sweta empört nach Luft.
„Bilde dir nur nichts ein! Du wärst der Letzte, mit dem ich intim werden würde.“
Hektisch wandte sie den Blick ab, damit er keinesfalls in der Lage war, die Wahrheit in ihrer Mimik zu lesen. Denn das war eine glatte Lüge!
„Sicher?“
Seine Stimme klang so verlockend, dass sie automatisch den Kopf hob.
Sofort versank sie in seinen grauen Augen, die sie so gekonnt fesselten. Schnell wollte sie wegsehen, aber erneut hielt er ihr Kinn fest.
„Ich erwarte eine Antwort und wag es dich nicht, mich anzulügen“, warnte er sie leise.
Mit zusammengekniffenen Lippen musterte sie ihn. Auf den unwillkommenen Befehl würde sie auf gar keinen Fall reagieren.
Erstaunt bemerkte sie, dass ihre erste Einschätzung wohl zutraf, dieser Kerl war absolut in der Lage mit ihr fertig zu werden, was einen ganz besonderen Reiz auf sie ausübte.
„Na? Zu feige, um zu antworten? Oder hast du einfach nur eine große Klappe und nichts dahinter?“
Provozierend strich er ihr mit dem Daumen sanft über die Unterlippe, was ihr einen leisen Seufzer entlockte.
Als sie immer noch nicht antwortete, ließ er sie los, gleichzeitig zuckte er bedauernd mit den Schultern.
„Schade, ich dachte, du hättest genug Mumm, um es wirklich mit mir aufzunehmen.“
Gespielt enttäuscht stieß er die Luft aus, dabei verkniff er sich gerade so das Grinsen. Ihm war bewusst, dass sie ihm jetzt gleich in die Falle ging, allerdings zwang er niemanden zu seinem Glück. Wenn eine Sub keine Lust zeigte, sich auf ihn einzulassen, dann akzeptierte er ihre Entscheidung. Bei Swetlana spürte er jedoch genau, dass sie weitergehen wollte, sich nur zu unsicher war.
„Das hättest du wohl gerne, dass ich vor dir kusche. Vergiss es! Mit einem, wie dir nehme ich es allemal auf. Wahrscheinlich bist du der, der nur große Töne spuckt.“
Am liebsten hätte Sweta sich selbst geohrfeigt, weil sie erneut redete, ohne nachzudenken. Doch diese Herausforderung konnte sie keineswegs auf sich sitzen lassen! Der Kerl war genauso ein Macho wie ihr Chef.
Mit einem breiten Grinsen stand Rodion auf, was ihm einen verwunderten Blick der jungen Frau einbrachte.
„Kneifst du jetzt schon?“
Swetlana schaffte es nicht die Provokationen zurückzuhalten, aber die Enttäuschung, die sie verspürte, warf sie völlig aus der Bahn. Wieso war sie nicht einfach froh, dass sie mal wieder mit einem blauen Auge davongekommen war?
Rodja schüttelte leicht den Kopf, dann musterte er sie, ehe er ihr eine Hand hinhielt.
Erstaunt starrte sie ihn an, unfähig sich überhaupt zu rühren.
„Was ist? Du hast doch gesagt, dass du es mit mir aufnimmst, oder möchtest du lieber den Rückzug antreten?“
Jetzt hatte er sie genau dort, wo er sie haben wollte und sie war ihm völlig ahnungslos in die Falle getappt!
Wie ferngesteuert nahm sie seine Hand, ließ sich von dem Barhocker ziehen, dabei spürte sie verwirrt, dass sich seine Finger um ihre schlossen, was ihr ein seltsames Gefühl von Sicherheit gab.
Zu dumm, dass sie in diesem Moment leicht zitterte, was ihre Nervosität verriet.
Sanft strich Rodion mit dem Daumen über ihren Handrücken, während er sie beruhigend anlächelte. Er erkannte ihre Unsicherheit, die sie jetzt zu übermannen drohte.
„Keine Angst, ich passe auf dich auf“, raunte er ihr zu, als er sie zu einem der Separees dirigierte.
Als er an Nikolaj vorbeikam, der gerade Kiras Position änderte, zwinkerte er seinen Freunden zu. Da würde er am nächsten Tag Rede und Antwort stehen müssen, nur das war ihm egal.
Sofort lenkte er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Frau an seiner Seite und stellte fest, dass es sich verdammt gut anfühlte, sie so durch den Klub zu dirigieren. Allerdings wollte er mehr von ihr, was ihn selbst erstaunte.
In einem Impuls legte er einen Arm um ihre Taille, gleichzeitig zog er sie dichter an sich, während er sie weiter in die richtige Richtung führte.
Verwundert sah Sweta ihn an, mit dieser Geste hatte sie keineswegs gerechnet, aber es gefiel ihr gut, wenn er sich besitzergreifend benahm, obwohl sie sich das kaum erklären konnte. Er war doch der unverschämte Kerl, der sich zwischen sie und ihr Ziel stellte, oder irrte sie sich?
Sanft schob Rodion sie zu einer Strafbank, ehe er sie losließ, um den Vorhang hinter sich zuzuziehen.
„Pass auf, das Geplänkel vorhin hat mir zwar enorm Spaß gemacht, allerdings hast du immer noch die Möglichkeit zu gehen. Falls du dich nicht auf mich einlassen willst, ist das völlig in Ordnung!“
Eindringlich sah er sie an, denn er wollte absolut sichergehen, dass sie sich freiwillig auslieferte. Keinesfalls ließ er zu, dass sie sich aus Stolz auf ein Spiel einließ, das über ihre Grenzen ging.
Unsicher blickte sie ihn an. War sie zu weit gegangen, sodass er jetzt keine Lust mehr auf sie hatte? Oder fand er sie vielleicht zu dick? Immerhin besaß sie leider keine Modelmaße.
Rodja interpretierte ihren Blick sofort richtig.
„Du redest dir Unsinn ein. Ich will nur sicher sein, dass du das hier wirklich möchtest. Falls du aus falschem Stolz mitgekommen bist, solltest du besser wieder zu deinen Freunden zurückgehen. Und glaub mir, mit jemandem, den ich hässlich finde, wechsele ich kein Wort. Auf einen perfekten Körper lege ich nur wenig Wert.“
Erleichtert atmete Swetlana aus, dann nickte sie leicht. Mit dieser Erklärung hatte er ihr einen riesigen Gefallen getan.
„Gut, ich verlange nur eine einzige Sache von dir: Wenn dir irgendetwas zu viel wird oder du es nicht willst, sag es mir deutlich. Ein einfaches Stop reicht! Verstanden?“
Zittrig holte sie Luft, ehe sie ihm zustimmte, jetzt war von ihrer großen Klappe kaum noch etwas übrig, was sie bedauerte, aber mit seiner fürsorglichen Art nahm er ihr den Wind aus den Segeln.
„Verstanden.“
Ihre Stimme war rau, sodass sie hart schluckte, gleichzeitig musterte sie ihre Schuhe, weil sie sich nicht traute ihm ins Gesicht zu sehen.
Es war ein riesiger Unterschied, ihm eine Frechheit nach der anderen entgegen zu schmettern, wenn sie an der Theke unter den Argusaugen von Agafon saßen oder, sich ihm hier völlig alleine zu stellen. Allerdings spürte Sweta auch, dass sie keine Angst vor ihm hatte, ganz im Gegenteil, er gab ihr Sicherheit.
Die komplette Situation war verrückt!
Wieder musterte er sie so, als ob er abschätzen wollte, was er ihr zumuten konnte. Eine Weile sah er sie an, was sie erneut verunsicherte. Endlich erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht, gleichzeitig trat er einen Schritt auf sie zu. Mit einer geschmeidigen Bewegung legte er ihr eine Hand in den Nacken, zog sie auf diese Weise zu sich, um ihr eindringlich in die Augen zu sehen.
Um Sweta herum versank die Welt, als sie in diese grauen Tiefen eintauchte, die gerade die Farbe eines stürmischen Himmels annahmen.
In dem Moment zählte nicht mehr, wo sie war, wer sie war oder was sie vorhatte.
Sein Blick reichte aus, um ihre Knie weich werden zu lassen. In einem Impuls schlang sie ihre Arme um seinen Hals, weil sie das Gefühl bekam, keine Sekunde länger alleine stehen zu können.
Mit einem sinnlichen Lächeln beugte sich Rodion zu ihr herunter und küsste sie, was sie völlig aus der Bahn warf.

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Publication Date: 06-01-2018

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