Cover

Herbst, Handicap und heiße Herzen

Die HomoSchmuddelNudeln präsentieren:

 

Herbst, Handicap und heiße Herzen

 

Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig.

 

Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus.

 

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autoren.

 

Ebooks sind nicht übertragbar und dürfen nicht weiterveräußert werden. Bitte respektieren Sie die Arbeit der Autoren und erwerben eine legale Kopie. Danke!

 

Texte: Siehe Inhaltsverzeichnis, alle Rechte liegen bei den Autoren

 

Foto von shutterstock, Design Lars Rogmann

 

Korrekturen: Aschure, Bernd Frielingsdorf


Vorwort:


Liebe Leserin, lieber Leser,

 

zum dritten Mal in diesem Jahr spenden Autorinnen und Autoren Storys für den guten Zweck. Diesmal stand das Thema Handicap, neben Herbst und heißen Herzen, im Vordergrund. Anfangs konnten viele gerade dem Hauptthema ‚Behinderung‘ nicht viel abgewinnen. Umso schöner ist es, dass zahlreiche gute Ideen bei mir eintrudelten. Ich danke allen Spendern von Geschichten und vorab schon mal denen, die das Buch kaufen und damit dem Projekt überhaupt zu Erfolg verhelfen. Zudem allen, die fleißig korrigiert haben. Jedem, der irgendwie Anteil daran hat, dass dieses Projekt zustande kommt, ein Dankeschön.

Die Erlöse gehen wieder an die Schwestern der perpetuellen Indulgenz in Berlin. Hier der link, falls sich jemand für deren Arbeit interessiert. http://www.indulgenz.de/


Hamburg im August 2015

Sissi Kaiserlos für die Nudeln


Sissi Kaipurgay - Handicap oder nur Brett vorm Kopf?

Martin hat seit einem Motorradunfall ein steifes Bein. Er schämt sich wegen des hässlichen Narbengewebes und zieht sich immer mehr zurück. Wenn Gildo nicht wäre, würde er sicher als Einsiedler enden. Als sich Gildo verliebt, taucht ein neues Problem auf.

~ * ~


„Ich hab echt keine Lust auf Dom.“ Martin verdrehte die Augen.

„Ach, komm schon. Das wird lustig“, ließ Gildo nicht locker.

„Mir ist es da zu voll und außerdem gehe ich in keines der Fahrgeschäfte.“

„Wir holen dich in einer Stunde ab und Basta.“ Gildo legte auf.

Genervt steckte Martin das Mobilteil zurück in die Ladestation. Wenn sein Freund sich was in den Kopf gesetzt hatte, kam er einfach nicht dagegen an. Die Aussicht, den Abend mit Gildo und dessen Partner zu verbringen, gefiel ihm nicht. Pierre und Gildo waren erst einen Monat zusammen und entsprechend verliebt. Die beiden gaben sich zwar stets Mühe nicht allzu auffällig herumzuturteln, aber es tat trotzdem weh ihnen zuzusehen, vor allem, weil er Pierre sehr mochte. Gut, das war untertrieben. Er hatte sich Hals über Kopf in den Mann verliebt.

Wie angekündigt stand Gildo rund sechzig Minuten später vor seiner Tür. „Pierre wartet unten. Er hat einen Freund mitgebracht.“

Na klasse! War das mal wieder ein Versuch ihn zu verkuppeln? Gildo hatte solche Aktionen schon mehrfach gebracht. „Lass mich raten: Sein Freund ist schwul und solo.“

„Rico ist total nett.“ Gildo grinste und schubste ihn Richtung Garderobe. „Los, zieh dich an.“

Hintereinander gingen sie die Treppe runter und traten vors Haus. Gildos Van parkte in der nächsten Seitenstraße. Als sie sich dem Wagen näherten, entdeckte Martin einen Blondschopf auf der Rückbank. Pierre saß auf dem Beifahrersitz, womit klar war, dass er hinten einsteigen musste. Ein bisschen eng würde es mit seinem lädierten Bein werden.

„Hi, ich bin Rico“, stellte sich der Blonde vor, als er umständlich auf die Bank kletterte.

„Martin“, erwiderte er und an Pierre gewandt: „Hallo.“

Pierre guckte nach hinten. „Schön, dass du dich überwunden hast.“

„Hatte mich so auf einen ruhigen Fernsehabend gefreut.“ Martin feixte.

Gildo hatte sich unterdessen hinters Lenkrad geschwungen und startete nun den Motor. Da Martin nicht so recht wusste, was er mit Rico anfangen sollte, guckte er aus dem Seitenfenster. Pierre stellte das Radio an, was dem Schweigen die Schärfe nahm.

„Was ist denn mit deinem Bein?“, flüsterte Rico nahe seinem Ohr.

Da es unhöflich war, ihn beim Sprechen nicht anzusehen, drehte Martin den Kopf. „Ein Unfall.“

„Also ist es gebrochen?“

„Nein. Es ist steif.“

„Das tut mir leid.“ Mitleid spiegelte sich auf Ricos Miene. Der Mann war ein typischer Twink: Schmal, klein und mit zarten Gesichtszügen. Die blonden Locken hingen ihm wirr ins Gesicht. Wenn Martins Herz nicht schon vergeben wäre, hätte er vielleicht sogar Interesse gehabt und dann war da noch sein Makel. Er ließ seit dem Unfall keinen mehr an sich ran. Das war auch der Grund, wieso er überhaupt einigermaßen mit seiner unglücklichen Verliebtheit klarkam: Selbst wenn Gildo und Pierre nicht zusammen wären, würde er die Chance nicht nutzen.

„Ich komm klar.“ Sein Blick wanderte wieder zum Fenster.

Rico unternahm keinen weiteren Versuch ein Gespräch in Gang zu bringen, was ihm nur recht war. Martin gehörte zu den Menschen, die aus Unsicherheit lieber schwiegen, anstatt irgendwelchen Müll zu plappern.


Nach kurzer Fahrtzeit stellte Gildo den Wagen in einer breiten Parklücke ab. Martin, der ein Schild mit dem Symbol für Behinderte entdeckte, beugte sich nach vorn und tippte seinem Freund auf die Schulter. „Ich glaube nicht, dass du hier stehenbleiben solltest.“

„Heute fungiere ich als Behindertentransporter.“ Gildo zwinkerte ihm zu, stieg aus und ging zum Kofferraum. Martin, der es ihm gleichtat, sah erstaunt zu, wie sein Freund einen Rollstuhl herausholte und auseinanderklappte.

„Sag bloß, Rico ist gelähmt.“

„Inkompletter Querschnitt.“ Gildo schob den Rolli zur hinteren Tür und stellte die Bremsen fest.

Rico, der bereits die Beine aus dem Wagen geschwungen hatte, erhob sich und wechselte in den Rollstuhl. In diesem Moment kam sich Martin schäbig vor mit seinem im Vergleich lächerlichen Handicap. Immerhin konnte er ohne Hilfe gehen, brauchte nicht einmal einen Stock.

Den Weg zum Eingang des Domes bewältigte Rico allein. Wegen der Jacke konnte Martin die Arme des Blonden nicht sehen, vermutete aber, dass sie ziemlich muskulös waren. Es schien Rico keine Mühe zu bereiten, den Stuhl vorwärts zu bewegen. Nachdem sie die ersten Buden erreicht hatten, wurde die Menschenmenge dichter. Pierre übernahm es nun den Rollstuhl zu schieben, wobei Gildo und Martin die Nachhut bildeten.

„Muss ein Scheißgefühl sein nur Ärsche vor sich zu sehen“, meinte Martin leise.

„Kommt drauf an.“ Gildo lachte. „Nein, ist schon großer Mist, aber Rico hat sich wohl arrangiert. Er sitzt seit zehn Jahren im Rolli, sagt Pierre.“

„Unfall oder Krankheit?“

„Keine Ahnung. Frag ihn doch selbst.“

„Okay. Ich löse Pierre gleich ab, dann könnt ihr Händchen halten.“ Es kostete Martin Mühe, einen bitteren Tonfall zu vermeiden.

„Das wäre lieb von dir. Musst du aber nicht. Wir haben uns lange nicht allein unterhalten.“ Gildo schlang ihm einen Arm um die Schultern. „Wie geht’s dir überhaupt?“

„Gut. Wie immer.“

„Also Scheiße, wie immer. Wird Zeit, dass du mal wieder flachgelegt wirst.“ Gildos Lieblingsthema. „Komm doch mal mit in den Goldenen Hirsch.“

„Vergiss es.“ Er befreite sich von Gildos Arm. „Ich übernehme jetzt Rico.“ Lieber Blondie schieben, als die Flachlegetherorien seines Freundes anhören müssen. Nach Gildos Meinung war Sex heilsam für jede Art von Leiden, egal, ob es sich um Liebeskummer, Fieber, Kopfschmerzen oder – wie in seinem Fall – eine Verkrüppelung handelte.

Martin schloss zu Pierre auf und tippte ihm gegen die Schulter. „Lass mich mal schieben.“

Da sie aufgrund der Menschenmenge ohnehin langsam gehen mussten, kam er trotz seines Humpelns ganz gut mit dem Rollstuhl zurecht. Als eine Bude mit Zuckerwaren in Sicht geriet, legte Rico den Kopf in den Nacken und sah zu ihm hoch. „Bitte dort halten.“

Nach dem Erwerb einer Tüte gebrannter Mandeln ging’s weiter. Der nächste Stopp erfolgte an einer Schießbude. Rico stemmte sich aus dem Rolli, drückte ihm das Tütchen in die Hand und ließ sich ein Gewehr geben. Zweimal schoss er daneben, erst der dritte Schuss war ein Treffer. Der Gewinn bestand aus einer hässlichen Plastikrose, die ihm Rico mit einem breiten Schmunzeln überreichte.

„Für den tapferen Behindertenbetreuer.“

„Dankeschön.“ Martin war ehrlich gerührt. Noch nie hatte ein Mann ihm Blumen geschenkt, da konnte er gut darüber hinwegsehen, dass es sich um ein unechtes Modell handelte. Er steckte die Rose in ein Knopfloch seiner Jacke.

Rico nahm wieder Platz. Da Gildo auch sein Glück versuchen wollte, blieben sie noch stehen. Martin nutzte die Gelegenheit und beugte sich runter. „Darf ich fragen, wie das mit dir passiert ist?“

„Klar.“ Himmelblaue Augen sahen zu ihm auf. „Ein Autounfall. Zum Glück geschah es auf dem Arbeitsweg, daher bin ich ein Luxus-Krüppel.“

„Wie meinst du das?“

„Na, die Berufsgenossenschaft zahlt. Außerdem war ich versichert.“

„Da warst du schlauer als ich. Ich Dummkopf hab kurz vorm Unfall die Versicherung gekündigt.“

Rico zog eine Grimasse. „Autsch! Das ist Murphys Law.“

Gildo hatte zwischenzeitlich auch eine Rose gewonnen, die er Pierre, zusammen mit einem Kuss, schenkte. Der Anblick des Paares versetzte Martin einen schmerzhaften Stich ins Herz. Rasch guckte er woanders hin.

Sie zogen weiter. Rico sammelte noch einige Trostpreise beim Dosenwerfen, Pferderennen und einem anderen Schießstand ein. Als sie sich der Stelle näherten, an der sie auf den Dom gelangt waren, atmete Martin auf. Sein Bein machte ihm allmählich zu schaffen. Rico übernahm es wieder selbst sich vorwärts zu bewegen. Auf dem Weg zum Wagen hielt Gildo Martin am Ärmel fest und ließ Pierre und Rico vorausgehen.

„Rico mag dich“, stellte er fest.

„Kann sein.“

„Mensch, Martin. Nutz die Chance.“

„Vergiss es.“ Martin schüttelte den Kopf. „Davon mal abgesehen bekommt er bestimmt keinen mehr hoch.“

„Du bist echt ein hoffnungsloser Fall. Zum Geburtstag schenke ich dir einen Callboy.“

„Untersteh dich.“ Er gab dem lachenden Gildo einen Schubs.


Im Van diskutierten sie eine Weile, wo es nun hingehen sollte. Martin, der eigentlich gehofft hatte nach Hause zu dürfen, beteiligte sich nicht daran. Schließlich entschieden die anderen ein italienisches Lokal aufzusuchen. Stumm beugte er sich der Mehrheit.

Wenig später saßen sie in einem gemütlichen Restaurant. Als er die Speisekarte studierte bekam er plötzlich gewaltigen Hunger. Es war inzwischen acht und er hatte seit dem Mittag nichts gegessen. Er entschied sich für eine vegetarische Pizza, dazu bestellte er ein Pils. Da Pierre und Gildo leise miteinander tuschelten, blieb ihm nichts anderes übrig, als mit Rico zu plaudern, wenn er nicht als kompletter Idiot dastehen wollte.

„Was machst du beruflich?“, wandte er sich an seinen Sitznachbarn.

„Bin bei der Stadtreinigung, genau wie Pierre. Allerdings sammle ich nicht, so wie er, den Müll ein, sondern sitze hinterm Schreibtisch.“

„Hätte mich auch gewundert“, platzte Martin heraus. „Ups. Tschuldige“, setzte er hinterher. „Ich wollte mich nicht über dich lustig machen.“

„Pah! Ich kann ein bisschen Spott ab. Ich mag nicht mit Samthandschuhen angefasst werden. Im Grunde geht es mir doch gut. Bei mir funktioniert noch alles …“ Rico wackelte bedeutsam mit den Augenbrauen. „… und ich kann sogar laufen.“

Wollte Rico damit andeuten, dass sein Schwanz funktionierte? Martins Blick wanderte automatisch genau dorthin, bevor er ihn schnell woanders hin lenkte. In diesem Moment brachte der Kellner die Getränke und verschaffte ihm damit eine kurze Denkpause. Baggerte Rico ihn an? Anscheinend, denn kaum war der Ober wieder verschwunden, landete eine schmale Hand auf seinem Schenkel.

„Ich finde dich nett“, flüsterte Rico.

„Öhm. Hör mal, ich bin nicht …“ Tja, was war er nicht? Nicht interessiert? Nicht imstande, sich vor einem Mann zu entblößen?

„… interessiert. Hab schon verstanden.“ Die Hand verschwand. Rico zuckte die Achseln. „Schade.“

„Es liegt nicht an dir.“

„Das hab ich schon oft gehört. Lass uns das Thema wechseln. Was hältst du von der globalen Erwärmung?“


Als Martin einige Stunden später leicht angeschickert seine Wohnung betrat, tat ihm der Bauch vor Lachen weh. Rico und Pierre waren ein Dreamteam, was Schlagfertigkeit und Witz anging. Während er sich fürs Bett vorbereitete fiel ihm auf, dass er ganz vergessen hatte Eifersucht zu empfinden. Dabei hatten Gildo und Pierre die meiste Zeit unterm Tisch Händchen gehalten, das hatte er wohl mitbekommen. War er auf dem Wege sich zu entlieben? Martin starrte in den Spiegel und rieb sich übers stoppelige Kinn.


In den folgenden vier Wochen trafen sie sich oft zu viert. Meist gingen sie irgendwohin, ins Kino, Konzert oder in ein Lokal. Ein paar Mal fuhren sie zu Rico, um dort zu grillen. Der Bungalow mit kleinem Garten war ideal für diesen Zweck. Martin merkte, dass sein Interesse für Pierre immer mehr schwand und sich schließlich auf freundschaftlichem Niveau einpendelte. Dafür erwachte in ihm ein neues Gefühl und es galt Rico.

Der September brach an und das Wetter blieb sommerlich warm. Am Wochenende wollten sie das für einen letzten Grillabend nutzen. Martin war diesmal für den Salat zuständig und hatte eine bunte Mischung aus Rapunzeln, Rucola und Radieschen gezaubert. Zeitgleich mit Gildo und Pierre traf er vorm Bungalow ein. Die Schüssel auf dem Arm wartete er, bis die beiden ausgestiegen waren.

„Hat Rico ein neues Auto?“ Er wies auf den protzigen Pickup, der vor Ricos Garage stand.

„Nö. Wir haben vorhin telefoniert. Er meinte, dass sein neuer Lover heute dabei sein würde“, erwiderte Pierre und zuckte die Achseln. „Hoffen wir mal, dass der Kerl nicht so eine Flachpfeife ist, wie der letzte.“

Wie ein Blitz schlug das Wort ‚Lover‘ bei Martin ein. Er hätte niemals damit gerechnet, dass sich Rico einen Kerl an Land ziehen würde, was natürlich dumm war. Rico sah gut aus, war intelligent und nicht auf den Mund gefallen. Mit einem Mal war ihm hundeelend zumute. Langsam folgte er seinen Freunden zum Haus.

„Wie meinst du das? Wieso Flachpfeife?“, erkundigte sich Gildo leise.

„Erkläre ich dir später“, meinte Pierre und nickte zur Tür, die in diesem Moment aufsprang.

Ein riesiger glatzköpfiger Kerl erschien. Er erinnerte Martin sofort an Meister Proper. „Hallo, ich bin Burkan. Kommt rein.“

Dieser Burkan schien sich ja mächtig wohl in Ricos Haus zu fühlen, dass er schon den Gastgeber raushängen ließ. Nur widerwillig schüttelte Martin dem Kerl die Hand. Der Druck war lasch und passte so gar nicht zu dem Riesen.

„Schnuckelchen. Deine Gäste sind da“, grölte Burkan quer durch den Bungalow.

Im nächsten Moment kam Rico mit seinem Rolli angerast, um sie zu begrüßen. „Hi Leute. Ich muss gleich wieder zum Grill. Ihr kennt euch ja aus.“ Zack! Drehte er um und schon war er wieder davongeeiert.

„Du sollst nicht so schnell fahren“, schimpfte der Riese und folgte Rico.

„Auweh! Das sieht gar nicht gut aus“, murmelte Pierre.

„Wieso? Der macht doch einen netten Eindruck.“ Gildo runzelte die Stirn.

„Rico hasst es, wenn er zu sehr umsorgt wird.“

Martin stand stocksteif da. Am liebsten wäre er gleich wieder abgehauen. Den Abend mit zwei frisch verliebten Paaren zu verbringen überstieg seine Kräfte. Fieberhaft dachte er über eine gute Ausrede nach. „Öhm. Habt ihr was dagegen, wenn ich wieder gehe? Mir ist schlecht.“

„Du bleibst!“, wurde er im Chor angefahren. Gildo lachte los, während Pierre seufzte und ruhiger hinterhersetzte: „Wir brauchen vielleicht deine Hilfe. Also, sei kein Frosch.“


Burkan erwies sich als nett und umgänglich. Die Unterhaltung floss leicht dahin, das Essen war lecker und Martin erntete viel Lob für seinen Salat. Es wunderte ihn, dass er überhaupt einen Bissen herunterbekam. Sein Magen fühlte sich an, als lägen Wackersteine darin. Immer, wenn Burkan Rico berührte, und das tat er oft, spürte er einen schmerzhaften Stich in der Herzgegend. Viel schlimmer als bei Pierre. Viel giftiger.

Nachdem alle satt waren, räumten sie gemeinsam den Tisch ab. Nun, nicht wirklich gemeinsam. Rico wurde von Burkan dazu verdonnert, tatenlos zuzusehen. Glücklich sah er dabei nicht aus. Anschließend schoben sie den Grill in die Mitte, damit sie sich an der Glut wärmen konnten.

„Ich hol dir eine Decke“, flötete Burkan, verschwand im Haus und kehrte mit einer Wolldecke zurück, um sie Rico über die Beine zu legen. Dessen Miene wirkte zunehmend verkniffener.

Burkan rückte seinen Stuhl ganz nah neben Ricos Rolli. Es verging kaum eine Minute, in der er nicht an Rico herumzupfte oder ihn küsste. Martins Geduld hing am seidenen Faden. Es drängte ihn danach aufzuspringen und wegzulaufen. Auch Pierre und Gildo tauschten immer wieder Blicke, die Bände sprachen. Anscheinend hatte Pierre genau das hier befürchtet. Am schlimmsten aber war, dass es verdammt wehtat zuzusehen, wie ein anderer Rico begrabschte. Martin wurde das Ausmaß seines eigenen Desasters bewusst. Zum einen wollte er Rico für sich, zum anderen konnte er ihn nicht an sich heranlassen. Genau wie bei Pierre war es im Prinzip egal, ob Rico frei zur Verfügung stand. Ganz schön verkorkst.

Mittlerweile war das Gespräch ganz verstummt. Pierre und Gildo glotzten in die Glut, während Ricos Gesicht immer röter wurde. Einzig Burkan schien nicht zu merken, dass Stille herrschte. Unbeirrt widmete er sich der Aufgabe, Rico zu beschmusen und zu befummeln.

„Burkan? Komm, ich muss mit dir reden“, knurrte Rico plötzlich, schmiss die Wolldecke auf den Boden und rollte in einem Affenzahn ins Haus. Der Riese sprang auf, warf einen fragenden Blick in die Runde und lief hinterher. Der folgende Wortwechsel drang nur gedämpft bis zur Terrasse. Martin bekam in etwa mit, dass sich Rico heftig über zu viel Aufmerksamkeit beschwerte. Anscheinend war Burkan uneinsichtig, denn die Stimmen wurden immer lauter. Das Ganze mündete in einem lauten Geräusch, als irgendwo eine schwere Tür zugeknallt wurde. Gleich darauf kam Rico wieder auf die Terrasse gefahren.

„Tut mir leid, Leute. Dachte, Burkan könnte sich besser zusammenreißen. Tja.“ Er beugte sich vor und barg das Gesicht in seinen Händen.

„Sollen wir lieber gehen?“, kam leise von Pierre.

„Mhm. Das wäre lieb. Bin gerade etwas daneben.“ Ricos Stimme wackelte.

Gildo stand auf. „Okay. Wenn wir helfen können, melde dich.“

Auch Martin erhob sich. „Wenn du was brauchst …“

Rico schniefte, schaute hoch und sah ihn direkt an. Seine Wagen waren nass, die Augen liefen über vor Tränen. „Bleibst du, bitte?“

Kurz darauf waren sie allein auf der Terrasse. Martin stand hilflos da, während Rico den Kopf hängen ließ. Die Glut erlosch allmählich und feuchte Kälte vertrieb die Wärme.

„Was kann ich für dich tun?“, fragte er schließlich.

„Mir ist kalt.“ Rico angelte die Decke vom Boden, knüllte sie auf seinen Schoss und fuhr ins Wohnzimmer. Martin folgte, schloss die Terrassentür und setzte sich neben Rico, der auf die Couch gewechselt hatte. „Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.“

Der sonst so aufgekratzte und taffe Rico wirkte verdammt schutzbedürftig. Martin kam sich neben dem schmalen Kerl wie ein grobschlächtiger Klotz vor. Er hatte keine Ahnung, was er sagen oder tun sollte. Wie immer, wenn er sich unwohl fühlte, begann das Narbengewebe wie verrückt zu jucken. Unangenehm rieb der grobe Jeansstoff bei der kleinsten Bewegung über die empfindliche Haut. Vorsichtig brachte er das Bein in eine möglichst bequeme Position.

„Tut es weh?“ Rico betrachtete ihn besorgt.

„Nö. Juckt nur.“

„Du darfst gern die Hose ausziehen, wenn’s hilft. Ich guck auch weg.“

„Nö. Geht schon.“

Rico seufzte. „Ich Idiot hab mich bei einer Partnervermittlung angemeldet. Die drei Kandidaten vor Burkan waren Schrott, aber bei ihm hatte ich ein gutes Gefühl. Wir haben uns ein paar Mal getroffen und im Bett klappte es auch ganz gut, bis auf …“ Er strich sich eine widerspenstige Locke aus der Stirn und schlug die Augen nieder.

„Bis auf?“, fragte Martin leise, als eine Weile nichts passierte.

„Na ja.“ Rico lief rot an, dabei zupfte er an seinem Hemdsaum herum. „Ich bin gern mal aktiv.“

Das Kopfkino wollte Martin nun gar nicht haben: Rico, wie er hinter dem kräftigen Burkan kniete. Außerdem … ging das überhaupt? Anscheinend stand ein Fragezeichen auf seiner Stirn, denn Rico erklärte: „Ich lass mich reiten. Für mehr reicht meine Kraft nicht. Falls du das gerade überlegst. Jedenfalls war Burkan von Anfang an wie eine Glucke, aber das heute … Ich bekam den Eindruck, er wollte seine Besitzansprüche demonstrieren. Das geht gar nicht. Ich gehöre niemandem.“

Noch mehr unanständige Bilder flimmerten durch Martins Hirn. „Öhm. Darf ich fragen, wieso du gerade mir das alles erzählst? Du bist doch viel enger mit Pierre befreundet.“

Rico ließ sich gegen die Sofalehne fallen und verschränkte seine Arme vor der Brust. „Ich hab das alles nur gemacht, damit ich dich endlich aus dem Kopf bekomme. So. Nun weißt du es. Danke fürs Zuhören. Du kannst jetzt gerne gehen.“

Wie vom Donner gerührt hockte Martin stocksteif da. Das verdammte Jucken wurde noch ärger, als würden Millionen Ameisen unter dem Jeansstoff herumkrabbeln. Er wusste genau, dass er so eine Chance nie wieder bekommen würde, dennoch traute er sich nicht sie zu ergreifen. Dabei saß Rico so nah. Er bräuchte nur den Arm ausstrecken, ihn um Ricos Schultern legen und … Ja, und dann? Das entsetzte Gesicht, wenn er die Hose auszog, mochte er sich gar nicht vorstellen. Nein, es ging einfach nicht. Er war entstellt und nicht gut genug für einen attraktiven Mann wie Rico. Zudem konnte er eines nicht bieten: Die von Rico bevorzugte Stellung. Mit seinem steifen Bein war er auf die Rückenlage festgelegt, bestenfalls ging’s noch in der Löffelchenstellung.

„Es ist meine Behinderung, richtig?“, fragte Rico leise. „Ich weiß doch, dass du mich magst, aber für mehr reicht es wohl nicht.“

„Du bist nicht behindert. Ich bin es“, stieß Martin hervor, vor Frust den Tränen nahe. „Ich bin hässlich. Wenn du mein Bein siehst, wirst du kotzen.“

„Ist das dein Problem? Ein verunstaltetes Bein? Dir ist echt nicht zu helfen.“

Womit Rico recht hatte. Martin stand schwerfällig auf und sah auf ihn runter. „Mag sein, dass du das für eine Lappalie hältst und vielleicht ist es das auch, aber niemand kann aus seiner Haut. Tut mir leid.“ Er wandte sich um und jeder Schritt, den er sich von Rico entfernte, tat körperlich weh. Als wenn unsichtbare Fäden ihn zurückhielten und mit Macht am Davongehen hindern wollten.

„Martin!“ Seinem Namen folgte ein erstickter Schmerzlaut. Er fuhr herum, entdeckte Rico in merkwürdig verrenkter Lage auf dem Teppich. Eiskalte Angst umklammerte sein Herz, als er zurückeilte und sich über Rico beugte.

„Was ist? Hast du dir was gebrochen?“ Sein Blick wanderte über den schlanken Körper. Er traute sich nicht Rico zu bewegen, um nichts kaputtzumachen.

„Glaube nicht.“ Rico rollte sich auf den Rücken, setzte sich hin und tastete seine Beine ab. „Scheint alles in Ordnung zu sein. Hilfst du mir hoch?“

Ohne nachzudenken, schloss Martin die Arme um Ricos Körper. Mit einem Ruck hievte er ihn hoch, hielt ihn weiterhin fest und atmete mit geschlossenen Augen den wunderbaren Duft ein. Eine Spur Sandelholz, ein bisschen Leder und eine frische Note. Sehr maskulin. Sehr sexy. Unglaublich anziehend. Weiche Lippen legten sich auf seine. Martin hatte nicht die Kraft sich gegen diese wunderbare Berührung zu wehren, dazu ersehnte er sie viel zu sehr. Viel zu schnell endete der Kuss. Verwirrt öffnete Martin die Augen und sah in blaue, die ihn voller Hoffnung anstarrten.

„Wenn’s leichter für dich ist, schlafen wir nur im Dunkeln miteinander. Bitte, Martin.“

„Ich kann dir deine Lieblingsstellung nicht bieten.“

„Oh Mann. Das ist doch egal. Von mir aus Fummeln wir nur. Hauptsache, du bist bei mir.“ Rico strich ihm durchs Haar, über die Wange und fuhr mit der Fingerspitze die Kontur seiner Lippen nach. „Hab mich gleich in dich verliebt, als ich dich gesehen habe und es will einfach nicht weniger werden.“

Die Angst war immer noch da, aber nun waren sie schon so weit gekommen, dass es kein Zurück mehr gab. Martin bugsierte Rico in den Rollstuhl, ließ sich aufs Sofa plumpsen und atmete tief durch. Er musste endlich wie ein Mann handeln, nicht wie eine Memme und wenn etwas zwischen ihnen ging, dann sollte es ohne Versteckspiel beginnen. Rico musste wissen, was er bekam und dann entscheiden, ob er es noch wollte. Entschlossen öffnete Martin seine Jeans, hob den Hintern an und schob sie runter. Dabei war sein Blick auf sein Bein gesenkt, dessen vernarbtes Gewebe er nun Ricos Blicken preisgab. Nachdem er den Stoff bis zu den Knöcheln runtergestreift hatte, hielt er den Atem an und wartete auf das Todesurteil.

„Oh mein Gott, Martin.“ Fingerkuppen strichen über die sensible Haut. „Wie ist denn das passiert?“

Keine Spur Abscheu lag in Ricos Stimme, nur Neugier und Mitgefühl. Die streichelnden Finger vertrieben die Ameisen, stattdessen breitete sich wohlige Wärme aus. Als wenn die Narben endlich ganz verheilten. Sicher Einbildung, fühlte sich aber gut an.

„Ich Idiot bin inJeans Motorrad gefahren. Bei dem Unfall hat sich der Stoff in meine Haut gebrannt und praktisch damit verbunden. Die Ärzte mussten ziemlich viel davon entfernen.“ Martin lüpfte sein T-Shirt an. „Hier sind die Stellen, wo sie Haut für die Transplantationen entnommen haben.“

Die Lücken in seiner Brustbehaarung waren ein weiterer Aspekt, der abstoßend wirkte. Auch am Rücken waren Hautteile entnommen worden. All das war jedoch kein Vergleich zu der Kraterlandschaft, die sich auf der halben Vorder- und Außenseite seines Beines vom Oberschenkel bis zum Knöchel hinzog.

„Und deswegen stößt du mich weg?“ Rico stand auf, plumpste neben ihm aufs Polster und seine Fingerspitzen fuhren wieder über die vernarbte Haut. „Magst du mich? Wenigstens ein bisschen?“

„Sehr“, krächzte Martin, räusperte sich und wiederholte mit fester Stimme: „Ich glaube, ich hab mich auch gleich in dich verliebt.“

„Dann küss mich doch endlich.“ Rico schlang ihm einen Arm um den Hals.

Das tat Martin dann doch mal.


Epilog

Es war verdammt anstrengend. Martin half, eine Hand fest um Ricos Arschbacke gelegt. Ihrer beider Atem flog. Er lag auf der Seite und Rico stieß mit aller ihm möglichen Kraft zu. Wie immer, wenn der Höhepunkt nahte, begann sein Schatz zu zittern und ächzte, als müsste er den Mount Everest ohne Sauerstoffgerät erklimmen. Martin liebte das. Er liebte alles an Rico.

„Komm, Süßer“, lockte er und drehte den Kopf.

Rico, der einen gut durchtrainierten Oberkörper besaß, stützte sich auf einen Ellbogen und sah ihn unter schweren Lidern hervor an. Seine Lippen standen leicht offen und auf seiner Stirn erschien diese konzentrierte Falte, die besagte, dass er gleich kommen würde. Wie sehr er doch diesen Anblick mochte. Martin gab nicht nach, bis Rico unter ekstatischem Stöhnen seine Ladung in ihm verströmte. Es wurde heiß in seinem Inneren und als Rico auch noch die drei magischen Worte stöhnte, war der Augenblick perfekt.

Es dauerte ein Weilchen, bis sich sein Schatz von der Strapaze einigermaßen erholt hatte. Martin wartete geduldig, da er wusste, dass sich Rico gleich aufopfernd um sein Wohl kümmern würde. Zärtlich strich er ihm durch die schweißnassen Locken.

„Ich bin sehr glücklich mit dir“, flüsterte er, küsste Ricos Mund und die Nasenspitze.

„Mhm. Ich auch mit dir. Liebst du mich?“

„Sehr.“ Martin schnappte sich Ricos Hand und legte sie auf seine Erektion. „Mit Leib und Seele.“

„Schlingel.“ Schmunzelnd blinzelte Rico ihn an, während sich seine Finger um das harte Fleisch schlossen. Martin stöhnte leise. Ihnen waren zwar einige Stellungen verwehrt, aber was machte das schon? Was zählte war, dass das Gefühl zwischen ihnen stimmte. Es machte den Sex zu einem ganz besonderen Erlebnis.

Rico massierte ihn bis zum Orgasmus, unter ständigen Küssen und geflüsterten Liebesworten. Anschließend leckte er Martin die Sahne vom Bauch. Der ungeschützte Sex war für sie beide noch total neu und aufregend. Erst vor einer Woche hatten sie beide die negativen Ergebnisse erhalten und kamen seitdem kaum aus dem Bett. Martin konnte manchmal nicht fassen, dass sie nun schon über drei Monate zusammen waren. Für ihn fühlte sich der Zeitraum viel kürzer an.

Rico kuschelte sich zufrieden seufzend an seine Schulter. „Ich hab Pierre und Gildo für morgen zum Essen eingeladen. Hoffe, das ist okay für dich.“

„Klar. So lange du kochst.“

„Burkan kommt auch.“

„Muss das sein?“, brummelte Martin. Nach dem damaligen Abend hatte sich eine lose Freundschaft zwischen Rico und Burkan entwickelt. Martin betrachtete das argwöhnisch, auch wenn er inzwischen sicher war, dass Rico ihn niemals betrügen würde.

„Er bringt seine neue Flamme mit. Einen Typen namens Frank. Er ist blind.“

„Ach du Scheiße! Mir schwant, was auf uns zukommt.“ Martin gluckste.

„Och. Burkan ist lernfähig. Hoffe ich jedenfalls für ihn.“

Dazu äußerte sich Martin nicht. Es gab Interessanteres, als irgendwelche Typen mit Helfersyndrom, zum Beispiel seinen Schatz und dessen Schwanz. Zärtlich streichelte er über Ricos Geschlecht und spürte, wie es zu neuem Leben erwachte. Wunderbar. Da konnten sie ja gleich die nächste Runde einläuten.



ENDE



1. Jayden Leander - Lautlos ins Glück



Wie schon so oft in der letzten Zeit, saß ich mal wieder total angespannt vor dem Computer. Nervös und hibbelig wartete ich darauf, dass in der Gaycommunity, in der ich mich eingeloggt hatte, ein bestimmter Name aufblinkte und mir damit anzeigte, dass die betreffende Person online gegangen war. Die Warterei machte mich wahnsinnig. Barclay, das war der Name, auf den ich sehnsüchtig hoffte, obwohl ich mir ja fest vorgenommen hatte mich auf wirklich gar nichts mehr mit einem Kerl einzulassen. Barclay hatte ich vor einem dreiviertel Jahr im Chat kennengelernt und seither chatteten wir so gut wie jeden Tag und irgendwie hatten sich da im Lauf der Zeit Gefühle in mir breitgemacht, die ich eigentlich nicht mehr haben wollte. Sehnsucht und die Suche nach Nähe zu einem Partner.

Meine Welt war lautlos, da ich nichts hörte. Durch eine Erkrankung, die vererbbar war, bin ich vor fast zehn Jahren so gut wie taub geworden. Nur noch wirklich sehr durchdringende Geräusche, wie Schüsse oder Presslufthämmer, waren für mich noch wie aus ganz weiter Ferne wahrnehmbar. Aber letztendlich hörte ich eigentlich nichts.

Meine letzte Beziehung, die immerhin 13 Jahre anhielt, endete damit, dass ich meinen damaligen Partner aus der Wohnung warf. Er konnte einfach nicht die Finger von anderen Typen lassen und irgendwann war das Maß voll und meine Toleranz am Ende, zumal das sowieso nicht die Art von Verhältnis war, das ich wollte. Offene Beziehung nannte sich das. Danach hatte ich noch zweimal eine kurze Liaison von jeweils ungefähr zwei Jahren, die letztendlich aber nicht zu meinem damals ersehnten Ziel führte, noch mal die große Liebe zu erleben.

Mittlerweile war ich 44 Jahre alt und nach meinen diversen Reinfällen hatte ich damit abgeschlossen, noch den einen Mann fürs Leben zu finden. Für Sex jemanden aufzureißen war für mich trotzdem kein Problem. Ich sah nicht schlecht aus und fast keiner schätzte mich auf mein wahres Alter. Alle tippten mindestens zehn Jahre weniger. Ich war nicht sehr groß, gerade mal 1.75, dafür wog ich nur 65 Kilo, was mir ein knabenhaftes Aussehen verlieh, und in engen Jeans konnte sich mein Knackarsch durchaus noch sehen lassen. Aber den meisten potenziellen Kandidaten, von denen ich mir mehr erhoffte, war es recht schnell zu anstrengend mit mir über Gebärden zu kommunizieren oder ständig Zettel schreiben zu müssen. Ich konnte zwar relativ gut vom Mund ablesen, aber natürlich nur, wenn derjenige mich beim Sprechen ansah, was im Alltag nicht immer funktionierte.

Aber wenn ich ganz ehrlich war, der ganz große Knaller war mir bisher noch nicht über den Weg gelaufen. So zog ich mich zurück in meine schöne 120 Quadratmeter große Wohnung, die ich erst vor einem Vierteljahr neu bezogen hatte und die direkt gegenüber ´des Hauses meiner besten Freunde lag. Das war gut so, denn seit ich nichts mehr hörte, fuhr ich kein Auto mehr. Ich hatte zwar noch den Führerschein, aber ich fühlte mich einfach völlig unsicher zu fahren, ohne zu hören, was um mich herum geschah. Daher hatte ich es einfach gelassen und fuhr mit meinen Freunden von gegenüber einkaufen oder mal ins Schwimmbad oder in die Sauna. Arbeitslos war ich auch; das Arbeitsamt versuchte schon seit Jahren mich zu vermitteln, jedoch ohne Erfolg. Die Firmen hatten einfach Angst, jemanden wie mich, den sie aufgrund der Schwerbehinderung kaum noch loswurden, einzustellen. Mit diesem Status war man so gut wie unkündbar, es sei denn, man ließe sich etwas Schwerwiegendes zuschulden kommen.

Da ich nur noch sehr selten rauskam, hatte ich den größten Teil meiner sozialen Kontakte in die virtuelle Welt verlegt. Ging online in Gay Foren, um mich abzulenken vom trüben Alltag allein zu Hause. Irgendwann traf ich dort dann auf Barclay. Der Typ war so misstrauisch und vorsichtig, dass ich mich anfangs fragte, was ihm wohl passiert war, dass er sich so verhielt. Aber es gab keinen bestimmten Grund für sein Verhalten. Er war, wie ich mit der Zeit feststellen konnte, einfach nur ein ruhiger, sehr besonnener Mensch, der nicht sehr spontan war, sondern sich über jeden Schritt vorher Gedanken machte. Mitunter konnte das echt nervig sein, weil ich das komplette Gegenteil war. Spontan, emotional und impulsiv. So manches Mal brachte er mich damit schon auf die Palme, sodass ich wutentbrannt den Chat mittendrin ausschaltete und schmollte. Manchmal ließ ich ihn dann zwei oder drei Tage zappeln, bevor ich mich wieder meldete. Das konnte ich sehr gut … eingeschnappt sein. Eine kleine Diva halt. Er schrieb in der Zeit, in der ich mich nicht rührte, einige Nachrichten, wie ich in meinem Posteingang sah und bat mich darum, dass ich mich meldete.

Nur leider hatte er meine Masche schnell durchschaut und zahlte mit gleicher Münze zurück, indem er sich dann ebenfalls nicht mehr rührte, bis ich es nicht mehr aushielt. Daher war ich dann etwas vorsichtiger geworden mit meinen Schmollaktionen. Er hatte mittlerweile im Schweigen den längeren Atem und ich keine Lust dazu, mich dann jedes Mal kleinlaut wieder melden zu müssen, da ich sonst wohl hätte warten können, bis ich schwarz wurde.

Mich störte, dass er keinerlei Anstalten machte mir seine Handynummer zu geben. So hätten wir zwischendurch wenigstens simsen können. Auch dass er keinerlei Interesse zeigte sich mal zu einem Treffen zu verabreden, machte mich wahnsinnig. Seit gut zwei Monaten versuchte ich ihn davon zu überzeugen, dass es nun endlich mal Zeit wäre die Nummern zu tauschen oder sich zu treffen. Aber er weigerte sich standhaft und wenn ich zu sehr drängelte, schrieb er, dass er den Chat beenden würde, wenn ich nicht gleich damit aufhörte. Zähneknirschend gab ich jedes Mal nach. Der Kerl war wirklich so vorsichtig, dass er nichts von sich preisgab, woraus ich hätte schließen können, wer er war oder wie er tatsächlich hieß. Nur, dass er aus Lahr im Schwarzwald kam, wusste ich inzwischen, sonst nichts. Trotzdem fand ich ihn irgendwie, vielleicht gerade deswegen, interessant und auf den Bildern, die er online hatte, auch sehr attraktiv, um nicht zu sagen: Genau mein Beuteschema. Zudem zeigte mir seine merkwürdige Art, dass er nicht so war wie andere, sondern eben einfach anders.

Irgendwann hatte ich von dieser Verschwiegenheit und seiner Weigerung, seine Handynummer rauszurücken oder sich mal zu treffen, echt genug und mich entschlossen, ihm eine letzte Message zu schicken, worin ich ihm schrieb, dass ich mich jetzt nicht mehr melden würde, da er ja eh kein Interesse an mir hätte. Ansonsten würde er sich nicht so verhalten. Er könnte es sich überlegen, da er meine Handynummer ja besaß.

Als ich dann, nach einer Woche, immer noch nichts von ihm hörte, machte sich in mir ein Gefühl der Enttäuschung breit. Irgendwie hatte ich wohl doch ein bisschen mehr Gefühle im Laufe der Zeit für ihn entwickelt und konnte nicht verstehen, wieso er sich so verhielt.

Eines Abends hatte ich ein bisschen zu viel Wein intus, als mich die Wut packte. Ich ging online, sah, dass er ebenfalls on war, was meinen Zorn zum Überlaufen brachte. Dieser Scheißkerl, flirtete wahrscheinlich mit anderen Typen im Netz, während ich … Oh mein Gott, war ich etwa eifersüchtig? Das fehlte mir ja gerade noch! So schickte ich ihm kochend vor Wut darüber, was er in mir ausgelöst hatte, noch eine letzte Message mit nur einem Wort als Inhalt: ARSCH! Dann löste ich die virtuelle Freundschaft mit ihm und löschte vor lauter Wut auch gleich noch mein Profil.

Tränen der Wut und Enttäuschung liefen mir übers Gesicht, als ich mich wieder aufs Sofa setzte und versuchte mich zu beruhigen. Was machte der Kerl mit mir? Ich kannte ihn ja noch nicht mal, weshalb also war ich so enttäuscht? Ich hatte mir wohl doch mehr von dem Ganzen versprochen. Immerhin chatteten wir nun ein dreiviertel Jahr und ich dachte, dass von seiner Seite her aufgrund dessen auch ein bisschen mehr da wäre, als bloß Gechatte am Bildschirm. Zumindest sah es ab und zu so aus, als ob ihm auch etwas an mir läge. Aber na ja, ich sag's ja, scheiß Kerle – wenn es drauf ankommt, ziehen sie die Schwänze ein!

Plötzlich vibrierte mein Handy und zeigte mir eine Nachricht an. Ich erschrak ziemlich und fragte mich, wer mir um kurz vor Mitternacht noch Nachrichten schickte. Auf die naheliegende Idee, dass er es vielleicht sein könnte, kam ich überhaupt nicht. Die Nachricht kam von einer unbekannten Nummer und als ich sie öffnete, stand da nur: WAS IST LOS?

Immer schön über meine lange Leitung schreitend, schrieb ich zurück: WER BITTE WILL DAS WISSEN? Gleich darauf vibrierte das Gerät wieder und ich las: NA ICH, KARSTEN. Mein Alkoholpensum sorgte inzwischen für ein paar Kilometer Nichtsmerkerei, als ich zurückschrieb: WER ZUM TEUFEL IST KARSTEN? ICH KENNE KEINEN KARSTEN!

Die Antwort schubste mich postwendend ins Hier und Jetzt, denn da stand nur ein Wort: B A R C L A Y! Mir stockte der Atem und mein Herz fing an wild zu pochen. Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet! Trotzdem war ich immer noch sauer und schrieb zurück: ICH HAB DIE SCHNAUZE VOLL. LASS MICH IN RUHE! DU VERARSCHST MICH EH NUR!

Als das Handy erneut vibrierte, stand da: SCHADE, ICH HÄTTE DICH GERNE PERSÖNLICH KENNENGELERNT. Verblüfft antwortete ich mit: WAS? WIESO JETZT AUF EINMAL? Seine Antwort darauf haute mich fast vom Sofa: ICH GLAUBE, ICH WÜRDE DICH VERMISSEN!

Ich war so verdutzte, dass ich erst mal nichts schreiben konnte und dann vibrierte das Handy, bevor ich etwas darauf antworten konnte, noch mal. MORGEN 15 UHR BEI DIR, SCHICK MIR DEINE ADRESSE.

Völlig perplex schickte ich ihm diese und es kam noch ein „Gute Nacht und schlaf schön. Bis morgen.“ Ich wünschte ihm ebenfalls eine Gute Nacht und musste erst mal verdauen, was gerade passiert war. Noch einmal las ich die Nachrichten durch, um mich zu vergewissern, dass ich nicht halluzinierte. Nein, hatte ich nicht! Natürlich war in dieser Nacht kaum noch an Schlaf zu denken. Ich war total aufgeregt und versuchte mir im Geiste das erste Zusammentreffen mit ihm auszumalen.



Am nächsten Morgen, es war ein Samstag, war ich schon früh auf und brachte meine Wohnung auf Hochglanz. Je mehr die Zeit voran schritt, umso nervöser wurde ich. Na, ist doch nur ein erstes Kennenlernen, da wird meistens eh nichts draus, versuchte ich mich zu beruhigen. Trotzdem, irgendwie freute ich mich und gleichzeitig hatte ich Schiss. Was, wenn ich mich richtig in ihn verknallen würde und er sich nicht in mich? Die Möglichkeit lag nahe, zumal ich zehn Jahre älter war als er und eben nicht hören konnte, was er aber wusste. Na, wird schon schiefgehen, machte ich mir selbst Mut.

Meine Wohnung befand sich in einem uralten, denkmalgeschützten Gebäude im 1. Stock. Eine ziemlich lange, alte Holztreppe führte nach der Haustür zu mir hinauf. Als es klingelte, stand ich oben an meiner geöffneten Wohnungstür und drückte auf eine der wenigen Neuerungen, die dieses Haus besaß; einen elektrischen Türöffner. Ich sah gespannt die Treppe hinunter, als die Tür aufging.

Oh mein Gott, dachte ich, als er eintrat, und während er lächelnd die Stufen zu mir hochkam, dachte ich noch: Scheiße, der Kerl will garantiert nichts von dir! Mich haute es schier um. Wie er da lässig die Treppe hochkam. In einer ausgewaschenen Jeans und einem Muskelshirt, darüber ein offen stehendes, blau kariertes Hemd. Im Ausschnitt des Shirts sah man dunkle krause Brusthaare und eine Figur hatte der … man konnte erkennen, dass er ziemlich muskulös war. Ein Bild von einem geilen Kerl. Meine mir selbst auferlegte Männerabstinenz und der Vorsatz mich in keinen mehr zu verlieben gingen gerade mit Glanz und Gloria den Bach runter. Ich kam erst wieder zur Besinnung, als er vor mir stand, die eine Hand zur Begrüßung reichte, mich mit der anderen anstupste und mir grinsend ins Gesicht sah. Erst da wurde mir bewusst, dass ich ihn anstarrte wie das 7. Weltwunder. Ich lief knallrot an und stotterte: „Hi … Ääh … Karsten.“ Jetzt kam der nächste Hammer! Er antwortete mir in Gebärdensprache! Und zwar: „Hi Tom, freut mich sehr dich kennenzulernen“, und das ohne zu zögern und fehlerfrei. „Wieso kannst du Gebärdensprache?“, fragte ich fassungslos und er antwortete mir wieder problemlos: „Weil ich es das letzte halbe Jahr gelernt habe.“

Ich muss ihn wohl völlig entgeistert angesehen haben, denn er grinste wieder und gebärdete, ob ich ihn reinlassen würde. Jetzt glühten mir auch die Ohren, meine Güte. Der Kerl brachte mich völlig aus dem Konzept. Ich trat zur Seite, ließ ihn herein. Ich wandte mich gerade um und wollte vorangehen, als er mich an den Schultern festhielt und wieder zu sich herumdrehte. „Nun lass mich dich doch erst mal richtig begrüßen“, gebärdete er und zog mich daraufhin in seine Arme und drückte mich fest. Mir wurde ganz schwummerig und am liebsten wäre es mir gewesen, er hätte mich nicht mehr losgelassen. Er roch zudem noch wahnsinnig gut, wie ich feststellte, was für mich auch ein wichtiges Kriterium war. Verlegen machte ich mich wieder frei und bugsierte ihn in die gemütliche Wohnküche. Einen Apfelkuchen hatte ich schon gebacken und musste nur noch Kaffee aus dem Vollautomaten lassen.

Wir unterhielten uns recht flüssig. Er beherrschte die Gebärdensprache schon recht gut und ich konnte ja noch gut sprechen. An der Sprache hörte man mir nicht an, dass ich taub war, wie bei vielen anderen, die von Geburt an gehörlos waren und nie richtig reden gelernt hatten. Das ist auch sehr schwierig, wenn man sich selbst nicht hören kann.



Wir beschlossen am Abend in einen Gayclub zu gehen, der in der nächstgrößeren Stadt lag und den ich gut kannte, da ich früher sehr oft dort war. Als wir ankamen, war schon einiges los, dennoch fanden wir glücklicherweise noch einen Platz an der Theke. Karsten hatte null Probleme, auch im Club in Gebärden mit mir zu kommunizieren und plötzlich fragte er mich, ob ich tanzen will. Ich sah ihn völlig verständnislos an, zeigte ihm einen Vogel und deutete auf meine Ohren, um ihm klarzumachen, dass ich die Musik nicht hören konnte. Du kannst sie nicht hören, gebärdet er zurück, aber du kannst sie bestimmt spüren! Klar spürte ich die Bässe, sie wummerten richtig. Ich nickte und er stand auf und zog mich einfach Richtung Tanzfläche.

Früher war ich ein guter und leidenschaftlicher Tänzer gewesen, aber seit ich nichts mehr hörte, bin ich nicht mehr auf die Idee gekommen tanzen zu wollen.

„Spüre die Musik und lass dich führen“, bedeutete er mir, umfasste mit seinen Händen meine Hüften und begann sich und mich im Takt der Musik zu wiegen. Ich spürte, dass es im Rhythmus der Bässe war, und ließ mich mitreißen. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich ganz auf die Vibrationen der Musik. Karsten brauchte mich nicht mehr mit den Händen zu dirigieren, ich fand meinen eigenen Rhythmus und war danach völlig erstaunt, wie viel Spaß ich dabei hatte.

Als wir an unseren Platz zurückkamen, saß dort ausgerechnet Kai. Kai war ein Machoarsch und leider Gottes hatte ich mich mal hinreißen lassen mit ihm zu schlafen. Es war schon ziemlich geil gewesen, aber ich wusste, dass Kai nur wegen Sex auf mich scharf war und ich voll in sein Beuteschema fiel. Er versuchte es immer wieder mich ins Bett zu bekommen. So auch heute. Obwohl Karsten neben mir saß und er eindeutig sehen konnte, dass wir zusammen da waren. Er grub mich unverblümt die ganze Zeit an und ich merkte mit einem Blick in Karstens Gesicht, dass dieser nicht allzu begeistert war. Als Kai dann auch noch seine Hand auf meinen Oberschenkel legte, wollte ich sie gerade wegschieben, als mir eine andere Hand zuvorkam, die Kais Hand nicht gerade sanft von meinem Schenkel schlug. Ich sah baff zu Karsten rüber, der wütend zu Kai starrte und etwas zu ihm sagte, was mich, wenn ich richtig abgelesen hatte, fast vom Barhocker geworfen hätte. Ich las ab: „Lass deine Flossen von ihm, er gehört zu mir!“

Hä? Hatte ich was verpasst? Ich sah Karsten mit weit aufgerissenen Augen an und er merkte wohl, dass ich mitbekommen hatte, was er gesagt hatte, woraufhin er doch tatsächlich errötete. Dann sah er mich intensiv mit seinen dunkelbraunen schönen Augen unter den extrem langen, dichten Wimpern an und ich versank schier darin. Mein Herz fing an zu hämmern und als sein Mund immer näher kam, schloss ich die Augen. Dann spürte ich seine Lippen auf meinen und eine vorwitzige Zunge, die um Einlass bat, woraufhin ich bereitwillig den Mund öffnete und seinen Kuss erwiderte. Er war traumhaft schön, erst sanft und zart und dann immer fordernder. Für den Rest des Abends versank alles um uns herum. Wir hatten nur noch Augen für uns und die ganzen zwei Stunden ausschließlich intensiv geknutscht. Es war sagenhaft und gleichzeitig beschlich mich auch ein Gefühl von Angst. Mir war klar, dass ich aus der Gefühlsnummer nicht unbeschadet herauskommen würde, falls Karsten auch nur das EINE wollte. Aber es war mir irgendwie gerade egal und ich verdrängte den Gedanken an danach, dafür war es zu schön und wir beide inzwischen zu geil.



Als wir wieder bei mir zu Hause ankamen, begann Karsten schon im Flur damit mir, während er mich mit Küssen überhäufte, das T-Shirt auszuziehen, und ich tat es ihm gleich und befreite ihn erst von seinem Hemd und dann vom Shirt. Mein Gott, war das ein Prachtexemplar von einem richtigen Kerl. Er hatte eine Ausstrahlung, der ich regelrecht verfallen war, und ich dachte nur: Wie kann es sein, dass so ein Prachtexemplar von Mann noch frei herumläuft?

Nachdem wir im Schlafzimmer gelandet waren, waren wir beide nackt und er presste mich an sich und unsere steifen Schwänze rieben aneinander. Ich stöhnte laut auf und er legte sein Gesicht an meinen Hals und brummte in meine Halsbeuge. Er musste eine tiefe Stimme haben, das bemerkte ich an der Vibration, als ich spürte, dass er an meinem Hals zu mir sprach. Ich schob ihn sanft von mir und sah ihn fragend an. Als ich dabei in seine Augen sah, glaubte ich zu erkennen, was er gesagt hatte. Dann gebärdete er tatsächlich: „Ich habe mich in dich verliebt!“

Ich konnte es kaum fassen. Dieser tolle Mann hatte sich in mich verliebt? Ich sah ihm wieder in die Augen und erwiderte: „Ich mich auch in dich!“ Dann schmiegte ich mich in seine Arme und ich passte hinein, als würde ich schon immer dort hingehören. Er dirigierte mich auf das Bett, legte sich auf mich und begann meinen Körper mit Streicheln und Küssen zu erkunden. Sanft berührten mich seine Hände und Lippen an Stellen, die mir eine Gänsehaut nach der anderen bescherten. Als seine Zunge meine Brustnippel zu liebkosen begann, wand ich mich lustvoll stöhnend wie eine Schlange unter ihm. Als er dann meiner Körpermitte immer näher kam, hielt ich es kaum noch aus und die Erwartung darauf, dass er meinen Schwanz gleich in den Mund nehmen würde, ließ mich innerlich beben. Doch seine Zunge arbeitete sich an meinen harten Penis vorbei und begann mit meinen Eiern zu spielen. Ich keuchte laut auf. „Oh Gott, Karsten!“ Er hob den Kopf und ich beeilte mich zu sagen: „Hör nicht auf, mach weiter, es ist so geil“, woraufhin er seine Bemühungen noch intensivierte. Langsam arbeitete er sich zum Schaft meines Schwanzes hoch und umkreiste ihn mit der Zunge, bevor er mit ihr langsam daran entlang bis zur Eichel hochfuhr. Diese war schon feucht von Lusttropfen. Plötzlich stülpte er seine Lippen über die Spitze und umkreiste sie mit der Zunge, um den Lustsaft aufzunehmen. Ich spürte, wie er ebenfalls stöhnte und hatte das Gefühl gleich zu explodieren. In meinem Unterbauch kribbelte es bereits gewaltig und bevor ich Gefahr lief gleich abzuspritzen, zog ich ihn zu mir hoch. Schließlich wollte ich auch noch etwas von ihm haben. Ich küsste ihn zärtlich, bevor ich ihn zur Seite auf das Bett drückte. Ich ließ ihm die gleiche Behandlung zuteilwerden wie er mir. Es war so einmalig geil. Er reagierte fast auf jede Berührung von mir. Ich spürte mit meinen Lippen die Vibrationen, wenn er laut aufstöhnte und sich vor Lust aufbäumte. Als ich bei seinem Schwanz angelangt war und meine Zunge begann seine Eichel zu umkreisen, hatte ich das Gefühl, dass er nicht nur stöhnte, sondern fast schrie. Ich sah zu ihm hoch. Seine Augen waren geschlossen und sein Gesicht vor Lust verzerrt. Selten hatte ich mit jemandem Sex, der auf beinahe jede kleine Berührung so intensiv reagierte. Es war phänomenal und brachte mich dazu, selbst vor Lust fast abzuheben.

Ich wollte ihn besitzen und das ganz und gar. Mein Körper zitterte vor Verlangen, sich mit ihm ganz und gar zu vereinen, aber ich wusste noch nicht, wie er da tickte und ließ es einfach auf den Versuch ankommen. Es war oft so, dass gerade die maskulinen und starken Kerle, die eigentlich nach außen hin das Bild des Tops abgaben, auch scharf darauf waren gefickt zu werden.

Ich drückte seine Beine auseinander, was er bereitwillig zuließ, und spielte noch ein bisschen mit seinen Murmeln in meinem Mund, bevor ich meine Zunge weiter nach unten wandern ließ und damit über den Damm in Richtung seiner Rosette vordrang.

Seine Hände verkrallten sich in meinen Haaren und er bäumte sich auf, als meine Zunge den ersten Kontakt mit seinem kleinen festen Loch hatte. Ich ließ sie kreisen, bevor ich sachte damit begann seinen Eingang zu erobern. Er zitterte vor Wollust und es war eindeutig, dass er nicht abgeneigt war von dem, was ich tat. Ich unterbrach und griff nach dem Gleitgel und Kondom in der Nachttischschublade. Er verfolgte mein Tun und als er sah, was ich vorhatte, verzog ein Lächeln seine schönen vollen Lippen.

Ich befeuchtete ihn und meine Finger mit dem kühlen Gel und begann langsam in ihn einzudringen. Nach kurzer Zeit kam er mir entgegen. Als ich schließlich mit dem dritten Finger in ihm war und ihn gedehnt hatte, richtete ich mich auf und zog mir das Kondom über. Es überraschte mich dann doch etwas, als er sich plötzlich umdrehte und vor mir kniete. Es bedurfte keiner Worte, was er mir damit sagen wollte. Ich positionierte mich hinter ihm und drang langsam mit meinem steinharten Schwanz in ihn ein. Er war so herrlich eng, dass ich an etwas Banales denken musste, sonst wäre ich sofort gekommen. Langsam schob ich mich in ihn, bis ich bis zum Anschlag in ihm steckte und meine Hüften sich an seine Pobacken pressten. Noch hielt ich inne und wartete auf ein Zeichen von ihm, dass er mir auch gleich darauf gab, indem er mit dem Hintern hin und her rieb und sich gegen mich presste. Ich zog mich zurück und stieß langsam zu. Dabei spürte ich mit meinen Händen auf seinem Rücken, wie er die Luft anhielt. Erst als er wieder ausatmete, begann ich mich weiter zu bewegen. Als ich mich dabei wieder weit aus ihm zurückzog, stieß er sich mir hart entgegen, was für mich ein Zeichen war, dass er nun fester gestoßen werden wollte.

Den Gefallen tat ich ihm, veränderte dabei ein bisschen meine Position und traf ins Schwarze. Er bäumte sich auf und presste sein Gesicht ins Kopfkissen. An der Vibration seines Rückens spürte ich, dass er lang gezogen stöhnte. Es machte mich total an ihn so zu erleben. Nach ein paar kräftigen Stößen, die alle seinen inneren Punkt trafen, riss er den Kopf hoch in den Nacken und es war eindeutig, dass er schrie. Sein Körper begann zu zucken und zu krampfen, während ich weiter in ihn stieß. Als sein Schließmuskel sich zusammenzog und meinen Schwanz fest umklammerte, war es auch mit meiner Beherrschung vorbei. Mit einem letzten festen Stoß kam auch ich tief in ihm, während er breitbeinig vor mir kniete und ohne Hand an sich zu legen abspritzte.

Als die letzten Zuckungen vorbei waren, zog ich mich aus ihm zurück und ließ mich neben ihm auf den Rücken fallen. Ich streifte das Kondom ab und ließ es achtlos neben das Bett auf den Boden fallen. Wir beide waren immer noch am Keuchen und mussten uns erst mal beruhigen.

Nach wir eine Weile so nebeneinander lagen, drehte Karsten seinen Kopf zu mir und sah mich schweigend einfach nur an. Mir wurde heiß und kalt und es beunruhigte mich, da ich nicht wusste wie ich sein Schweigen deuten sollte. Ich dachte für mich: War's das jetzt? Würde er mir nun gleich sagen, dass es schön war, aber er keine feste Beziehung wollte? Ich konnte schlecht einschätzen, was er dachte, aber seine Augen sahen mich liebevoll an und ein bisschen Hoffnung keimte in mir auf, dass es für ihn auch mehr war als nur ein Fick.

Seine Fingerspitzen berührten sanft meine Wange und sein Mund formte deutlich die Worte: „Ich liebe dich“. Ein unglaubliches Gefühl von Glück durchströmte mich und ich presste mich fest an ihn und vergrub mein Gesicht an seinem Hals und murmelte: „Ich dich auch.“



Epilog

Seit diesem 6. August 2005 und dieser Nacht sind 10 Jahre vergangen. Genauso lange sind wir nun zusammen. Karsten wurde die große Liebe meines Lebens. Das ist er heute noch und ich denke, ich für ihn auch. Zumindest lässt sein Verhalten darauf schließen.

Nachdem wir ein Vierteljahr zusammen waren, hatte ich alle Brücken hinter mir abgebrochen und bin zu ihm nach Lahr gezogen. Anderthalb Jahre später hat er mir einen Heiratsantrag gemacht und wir haben sogar kirchlich geheiratet. Es war unglaublich schön und ich schaue mir immer wieder gerne die Bilder davon an. Oft denke ich an unsere erste Begegnung zurück und muss heute noch schmunzeln wenn ich daran denke wie es mich fast umgehauen hatte als ich ihn die Treppe hochkommen sah. Karsten behauptet heute noch das ich in dem Moment als ich ihn erblickte einen Pflaumensturz erlitten hätte. Das stritt ich natürlich nach außen hin vehement ab wenn das Gespräch unter Freunden darauf kam. Insgeheim musste ich aber zugeben, dass er recht hatte, es hatte ja nicht viel gefehlt und ich hätte noch angefangen zu sabbern bei seinem Anblick.

Mittlerweile sind wir in den Offenburger Raum gezogen. Wir haben dort nahe einem kleinen Dörfchen ein Haus gefunden, mitten im Grünen, außerhalb des Ortes und ohne Nachbarn. Dort leben wir heute noch und fühlen uns mit unseren beiden Hunden sehr wohl. Und wir sind nach wie vor glücklich. Sicher haben wir auch Meinungsverschiedenheiten und Diskussionen, aber egal was auch immer ist, unsere Grundbasis ist Liebe, Vertrauen und Respekt voreinander und das ist die Grundvoraussetzung einer funktionierenden Beziehung. Egal was ist oder was wir uns an den Kopf werfen, wissen wir beide, dass wir den anderen tief und innig lieben und das ist glaube ich so ziemlich das Wichtigste, was man immer im Kopf und im Herz haben sollte, wenn es auch mal kracht.

Ich habe mittlerweile meine Passion gefunden und schreibe Gay Romance Geschichten, manche sind fiktiv und manche enthalten viele wahre Erlebnisse. Egal wie das Leben einem mitspielt, man ist also nie zu alt, um die große Liebe zu finden, und die Hoffnung sollte man nie aufgeben.



ENDE



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2. AnBiÖz - Schwankend ins Glück – Oder Nicht?



„Wo bleiben Sie denn?“, kommt es vom obersten Treppenabsatz. „Sie müssen sich beeilen! In einer halben Stunde MÜSSEN wir als geschlossene Mannschaft bei dem Termin sein! Hat der Chef so verfügt — obwohl ich gar nicht weiß, was Sie hier sollen“, krakelt die in den Farbtopf gefallene Endfünfzigerin.

Ich beiße die Zähne zusammen, um nicht auch diese Stelle wegen meiner vorlauten Klappe zu verlieren. Nachdem ich etwa 10 Minuten später schnaufend und eigentlich eine Pause brauchend neben meiner ‚ach so netten‘ Kollegin und noch drei anderen Mitarbeitern stehe, fällt mir auf, dass ein Kollege und auch der Chef noch nicht da sind.

Gerade als die Beißzange wieder ihre — niemand interessierende — Meinung kundtun will, hören wir von unten einen Wortschwall, der sich ganz nach Fluchen anhört. Unser Kollege Sedat ist wohl angekommen und entert die Treppe. Als er bei uns angekommen ist und mich sieht, wirft er nur ein kurzes „Hallo zusammen!“ in die Runde und wendet sich an mich: „Der Aufzug ist kaputt — wie bist Du hier hoch gekommen?“. Sein russischer Akzent und dazu sein Aussehen schaffen es regelmäßig mich aus dem Konzept zu bringen.

Dementsprechend muss ich mich erst wieder konzentrieren, um „Mit 2 linken Füßen kann man auch Treppen steigen“ herauszupressen.

Ich glaube, jetzt wird es Zeit mich vorzustellen. Mein Name ist Damian Winter, ich bin 25 Jahre alt, meine Haarfarbe ist undefinierbar — irgendwas zwischen dunkelblond und hellbraun — und ich habe seit 3 Jahren MS, deshalb laufe ich etwas, sagen wir mal, ,unrund‘. Damit sich mein jetziger relativ guter Zustand lange hält, bekomme ich einmal im Monat eine Infusion – mehr will ich nicht darüber sagen, weil über vergossene Milch jammern und sich beständig Gedanken über meine gesundheitliche Situation zu machen nicht zu meinen Prioritäten gehört.

Von Beruf bin ich Webdesigner und dürfte demzufolge eigentlich nicht in die Lage kommen, so wie heute, den Mount Everest besteigen zu müssen, da unsere Kunden normalerweise zu uns kommen. Wie üblich gibt es immer ein ‚Aber‘ und dieses ‚Aber‘ besteht in diesem Fall aus Stamm- und Großkunden, die – durch was auch immer – es sich verdient haben, dass unser Team Hausbesuche macht.

Als ich bei dem Gedanken, warum ich hier sein muss, angekommen bin, werde ich unsanft in meiner Selbstbetrachtung unterbrochen, da mein endlich angekommener Chef – Herr Bender, unter uns Kollegen salopp ‚der Alte‘ genannt – mir seine Hand auf die Schulter packt.

Und dann dröhnt mir der 2 Meter-Mann ein: „Schön, dass Sie bei unseren Außentermin dabei sind!“, entgegen. Ich bringe ein brauchbares Lächeln zustande, sage wie üblich nichts über meine Befindlichkeiten und werde dafür von Sedat mit Blicken getötet.



3 Stunden später ist der Termin vorbei und ich verlasse als Letzter das Büro unseres Kunden. Nachdem ich ziemlich langsam und immer wieder Pause machend unten ankomme, laufe ich beinahe gegen meinen Chef, der wohl auf mich gewartet hat. Verflucht! Der hat mir gerade noch gefehlt. Weil ich leicht schwanke, drückt mich dieser auf die Treppenstufen herunter und als ich sitze, nimmt er neben mir Platz.

„Herr Winter, wir müssen dringend miteinander reden“, sagt er mit ernstem Blick und mir rutscht das Herz in die Hose. Sollte es schon wieder so weit sein, dass ich meinen Job aufgrund meiner körperlichen Probleme verliere? An meiner beruflichen Arbeit kann es nicht liegen, denn ich bin gut. Ich weiß, das klingt überheblich, aber ich bin gut – nur meine große Klappe oder seit Neuestem meine fehlende Gesundheit sorgen dafür, dass ich schon zum wiederholten Mal meinen Arbeitsplatz wechseln musste.

Da ich ihn nur abwartend anschaue, weil ich meiner Stimme nicht traue, fährt er fort: „Ich habe sie schon die ganzen 3 Monate Ihrer Probezeit beobachtet, und der Termin heute hat mich in meiner Entscheidung nur bestärkt. Ich möchte Sie übernehmen, Ihr Wissen und Ihre manchmal etwas unorthodoxe Herangehensweise kann dem Team nur guttun. Aber wir müssen dringend noch einige Punkte klären.“

Langsam kommt es bei mir an, dass ich doch nicht rausgeschmissen werde. Aber ich frage mich, was für Punkte er klären will. Noch während ich Luft hole, um nachzufragen, wird die Haustür aufgerissen und ein nervöser Sedat kommt hereingestürmt.

Er platzt auch sofort mit „Damien, ist alles in Ordnung? Seit 10 Minuten warte ich draußen, weil ich dich mitnehmen wollte. Aber …“, los. Sedat wird immer leiser und hört schließlich auf zu reden, weil er wahrscheinlich realisiert, mit wem ich hier auf der Treppe sitze. „Was ist hier los? Geht es dir nicht gut? Ihr macht so ernste Gesichter!“, sagt er und sieht abwechselnd von einem zum anderen.

Unser Chef schaut zwischen uns beiden hin und her, klatscht in die Hände und sagt: „Ja, das wird passen“. Sedat und ich schauen uns verwirrt an, aber da fährt Herr Bender schon fort: „Herr Winter, Herr Copov! Ich schlage vor, dass wir uns in das Café neben unserem Büro setzen und einige Dinge besprechen.“ Also machen wir uns auf den Weg – ich in Sedats Auto, da ich nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs bin, und der ‚Alte‘ fährt mit seinem Auto voraus.

**

Ich sitze mit einem Bier auf meiner Terrasse und versuche mich zu sammeln, versuche ‚runterzukommen‘. Der Tag hat mich nicht nur körperlich ausgepowert, sondern auch total geflasht.



Seit etwa eineinhalb Stunden habe ich nicht nur einen Arbeitsvertrag, sondern auch einen Team-Partner. Sozusagen ein ‚Mini-Team‘ im Team, wie sich unser Chef ausdrückte. Außerdem wurde noch – nach einem längeren ‚Gesundheitsgespräch‘ – bestimmt, dass ich mir einen Elektroroller, einen Scooter, zu besorgen habe - damit ich die längeren Wege zur Arbeit, in unserem Büro und auch die zu unseren Kunden einfacher zurücklegen kann. Das waren die Dinge, die mein Chef mit uns besprechen wollte, und über die er nicht mit sich verhandeln ließ. Aber zumindest konnte ich es durchsetzen, dass er mir keinen Lehrling als Assistenten unterjubelte – dafür musste ich mich mit dem Elektroroller arrangieren, einem Einfall von Sedat.

Natürlich hatte Sedat, unterstützt von unserem Chef, darauf bestanden, das Teil gleich zu kaufen, weshalb uns der ‚Alte‘ die letzten zwei Stunden freigegeben hatte.

Auf dem Weg zu dem Fachgeschäft schaute Sedat mich mehrmals prüfend von der Seite an, bevor er mich fragte: „ Kannst du mir das mit dem Gleichgewicht halten bei deiner Erkrankung erklären? Ich will nicht neugierig sein, aber das ist mir schon häufiger aufgefallen.“

„Wie soll ich das am einfachsten erklären?“, erwiderte ich und suchte in Gedanken nach einem Vergleich. „Wenn DU läufst, dann funktioniert die Befehlsübertragung zu deinen Muskeln in Sekundenschnelle und dein Körper oder vielmehr du musst dich nicht darauf konzentrieren. Außerdem gleichst DU jede Unebenheit des Bodens automatisch beim Laufen aus.“

Ich lasse ihn eine Minute darüber nachdenken und fahre dann fort: „Wenn ICH laufe, dann funktioniert die Befehlsübertragung zeitverzögert und nur, wenn ich mich darauf konzentriere. Das heißt aber auch, dass ich mich weder mit jemandem dabei unterhalten, noch auf Querverkehr von den Seiten schnell reagieren kann. Zudem hebe ICH meine Beine, in dem ich meinen Oberkörper leicht nach rechts oder links verlagere. Das Gleichgewicht dabei zu halten ist Schwerstarbeit – psychisch und physisch.“

Nach einer längeren Pause kam Sedat mit der Frage: „Warum quälst du dich dann mit dem Laufen, wenn du so ein Problem mit dem Gleichgewichtssinn hast?“

Ich schaute ihn entgeistert an. „Schon mal was von ‚Erhaltung der Selbstständigkeit‘ gehört?“

„Das ist purer Blödsinn, den du da blökst. Selbstständig bist du auch mit ‘nem Roller … wir sollten aber darauf achten, dass ein Sitz bei deinem neuen Feger ist“, grollte er – was durch seinen Akzent sehr sexy klang.

Meine letztes Wort, das ich unbedingt anbringen musste, bestand aus: „Aber keinen Omaroller!“



Der Kauf ging natürlich nicht, ohne vorher mindestens eines dieser Teile auszuprobieren, also hatte Sedat sich auch auf solch ein Vehikel gewagt und sich mit mir ein Rennen geliefert – was dem Verkäufer nicht nur den Kopf schütteln, sondern sicher auch an unserem Verstand zweifeln ließ, da wir plötzlich zu kleinen Kindern mutierten. So ausgelassen war ich schon lange nicht mehr, was aber irgendwann – von meiner Seite aus – in eine sentimentale Stimmung kippte, da mir klar wurde, dass ich niemals so von ihm gesehen werden würde, wie ich es mir wünschte.

Ich versuchte krampfhaft meine Gefühle zu verbergen, aber natürlich hatte Sedat das gemerkt und sofort gedacht, er habe etwas falsch gemacht. Er konnte ja nicht ahnen, dass er mich mit seiner lockeren Art noch mehr für sich einnahm – wenn das überhaupt noch ging, denn mir war schon länger klar, dass ich mich in ihn verguckt hatte.

„Was ist los, Damian? Habe ich was Falsches gesagt oder ist dir alles zu viel? Sollen wir gehen?“, fragte er, kam zu mir und hockte sich vor mich hin – vermutlich damit ich keine Genickstarre bekam, wenn ich von meinen 1,65 zu seinen 1,80 hochschauen musste. Wie er so vor mir hockte, Auge in Auge mit mir, musste ich mich sehr beherrschen, ihm nicht eine seiner grünen Strähnen in seinem sonst schwarzen Haar aus seiner Stirn zu streichen oder in seine schulterlange Mähne zu fassen – nur um zu sehen, ob seine Haare wirklich so weich waren, wie sie aussahen.

„Alles okay, Sedat. Ich glaube, das war alles ein bisschen viel Aufregung“, log ich ihn an. Ansehen konnte ich ihn dabei nicht, denn dann würde meine Lüge in sich zusammen fallen wie ein Kartenhaus, da ich bei Blickkontakt unweigerlich rote Ohren bekomme.

Aber mit dieser Aussage habe ich es noch schlimmer für mich gemacht, denn Sedat umarmte mich und flüsterte an meinem Ohr: „Dann bringe ich dich am besten nach Hause, damit du dich ausruhen kannst.“ Mit diesen Worten stand er auf und ging auf den Verkäufer zu, wahrscheinlich, um den Roller zu zahlen. Ich hielt ihn kurz auf, um ihm das Geld zu geben und räumte den ausprobierten Roller zur Seite.

‚Scheiße!!!‘, dachte ich, ,wie komme ich nur ganz schnell aus dieser Nummer raus?‘ Denn lange konnte ich meine Fassade ‚er ist nur ein Kollege‘ nicht mehr aufrechterhalten. Ich war gedanklich noch zu keiner Lösung gekommen, als Sedat mit einem großen Karton in der einen Hand neben mir stand und als ich mich zum Gehen wandte, den anderen Arm um mich legte. Das fühlte sich so gut an, aber ich werde mir keine falschen Hoffnungen machen – nein, ich werde die vorhandenen Hoffnungen begraben, abtöten. Warum? Weil ein Mann wie Sedat nur freundlich zu einem ‚besüffelten Tanzbär‘ wie mir sein will, vielleicht hat er ja ein Helfersyndrom.

Als sein Auto vor meiner Haustür hielt, verabschiedete ich mich und griff nach hinten auf den Rücksitz, um den Rollerkarton zu nehmen – aber Sedat hatte denselben Gedanken, unsere Hände berührten sich und eine unbekannte Voltgröße floss durch mich hindurch. Mit rauer Stimme sagte er: „Ich bringe dir das noch mit hoch, denn heute ist dir das bestimmt zu schwer.“ Da ich ihn so schnell wie möglich aus meiner Nähe haben wollte, widersprach ich nicht, obwohl ich mir sonst nicht so gern helfen lasse.

Schnell stieg ich aus, kramte an der Haustür nach meinem Schlüssel und als wir bei meiner Wohnung im Hochparterre ankamen, schloss ich auf und verabschiedete ihn mit den Worten: „Tut mir leid, dass ich dir nichts zu trinken oder so anbiete, aber ich bin völlig ‚groggy‘. Ich packe nur noch das Vehikel aus, stecke es an den Strom und damit ist der Abend für mich gelaufen“, und schon warf ich ihm die Tür vor der Nase zu.





Ja, jetzt sitze ich hier und beschließe gerade für mich, in den heutigen Tag beziehungsweise in Sedats Verhalten nichts hinein zu interpretieren. Das liegt alles nur an meinem Mangel an Beziehungen oder eigentlich nur am nicht vorhandenen Sex, dass ich mir wünsche, was nicht sein kann und auch nie sein wird. Schlag dir das aus dem Kopf, Damian … die Zeiten, in denen du bekommen hast, was du wolltest, sind vorbei. Ab jetzt wird nicht mehr geträumt, sondern nur noch in der Realität gelebt. Mein neues Mantra: ‚Sei nett, lebe lieblos, lass niemand hinter deine Maske schauen … und vor allem: TRÄUME NICHT MEHR VON IHM‘. Genau! Ab jetzt lebe ich danach!



***

„Ich hatte gesagt, ich möchte es plastisch haben – dreidimensional soll es wirken!“, werde ich von einem wütenden Kunden angeschrien. „Die Änderung habe ich vor 5 Tagen Ihrer Kollegin Frau Hammer durchgegeben.“.

„Tut mir leid, Ihre Änderungswünsche sind nie hier angekommen“, antworte ich, währenddessen mein Chef Frau Hammer – die einzigste Frau in unserer kleinen Werbeagentur – zu sich ruft. Ich vertröste den Kunden am Telefon auf später und versichere ihm, ihn zurückzurufen, sobald die Sache aufgeklärt worden ist.

Verdammt! Das ist nun wirklich nicht das erste Mal, dass so etwas passiert. Seit ich vor acht Wochen meine Festanstellung bestätigt bekam, kommt so etwas immer wieder vor. Anfangs dachte ich noch, es wäre Zufall, doch inzwischen weiß ich, dass ich boykottiert werde. Ich kann mir auch schon denken, wer dahintersteckt und mein Kunde hat mir gerade die letzte Bestätigung gegeben. Ich hatte keine Wahl und musste um eine Besprechung mit der dusseligen Hammer und meinem Chef bitten.

Die ältere Frau kommt herein und begrüßt unseren ‚Alten‘ und die Kollegen mit einem honigsüßen Lächeln, während selbiges in meine Richtung sehr angestrengt wirkt.

Er nickt mir zu und sagt: „Würden Sie das Gespräch bitte beginnen.“ Ich atme kurz durch und konfrontiere sie mit meinen Vorwürfen, zumindest versuche ich es, komme aber nur bis „Ich möchte gerne von Ihnen …“

Da werde ich schon von ihr abgeblockt, indem sie sich direkt an den ‚Alten‘ wendet. „Was soll er mir sagen?“ Alle scheinen sehr irritiert, nur ich habe einen ‚inneren Vorbeimarsch‘, denn jetzt zeigt diese F…ollzeitzicke ihr wahres Gesicht. Seit ich vor 2 Monaten übernommen wurde, legt sie mir Steine in den Weg – natürlich von allen unbemerkt. Ich glaube, sie hält das hier für eine Art Gericht und dass ich der Angeklagte bin, dass es um sie geht, scheint sie nicht zu merken – Intelligenz scheint nicht ihr Fachgebiet zu sein.

Also 2. Versuch mit Beschuss aus vollen Rohren. „Warum richten Sie mir nicht die Sonderwünsche unseres Kunden aus? Und wo wir schon mal dabei sind, warum lassen Sie mich seit einiger Zeit auflaufen? Sie verlegen Unterlagen – richten mir nicht aus, wenn Meetings verschoben werden oder wenn Kunden mich sprechen wollen, verleugnen Sie mich …WARUM!!!“ Zum Schluss werde ich immer lauter, das letzte Wort schreie ich ihr entgegen und fange an vor Wut zu zittern.

Sie schaut mich, ihren Blick abwertend von oben nach unten über mich gleiten lassend, an und sagt: „Wer spricht denn mit Ihnen? So wie ich das sehe, sind Sie die längste Zeit hier gewesen und haben unsere Werbeagentur auch die längste Zeit blamiert“, während ein hämisches Grinsen ihr Gesicht noch mehr verunstaltet.

Sedat stellt sich, leicht versetzt, hinter mich und legt mir seine Hand in den Rücken. Ich bin ziemlich überrascht, dass nicht nur die Voltübertragung funktioniert, sondern dass ich trotzdem ruhiger werde.

„Heißt das, Herr Winter hat Recht? Haben Sie ihn sabotiert und wenn ja warum?“, donnert unser Chef los.

Jetzt scheint ihr aufzugehen, dass es ein Fehler war, so plump gegen mich vorzugehen – beziehungsweise es indirekt zuzugeben. Aber sie zeigt Rückgrat und sagt: „Ich wollte nicht, dass so jemand hier …“ und damit zeigt sie auf mich „… einen Arbeitsplatz besetzt, den ein anderer besser ausfüllt. Überlegen Sie doch, was Sie für Umstände mit ihm haben. Jetzt sind es vielleicht noch nicht so viele, aber es wird schlimmer. Ich habe euch einen Gefallen tun wollen!“

„Nun, dann tue ich Ihnen ja einen Gefallen, wenn ich Ihnen sage, dass Sie nicht mehr mit Herrn Winter zusammenarbeiten müssen.“ Ein siegessicheres Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus, verrutscht jedoch bei den nächsten Worten. „Sie sind entlassen, morgen holen Sie sich Ihre Papiere. Ich lasse mir von Ihrer Eifersucht und Ihren verqueren Vorstellungen weder meine Mitarbeiter noch den Teamgeist dieser kaputt machen!“ Ein hasserfüllter Blick trifft mich und sie stolziert mit Trippelschritten aus dem Raum.

Die Kollegen und der Chef versichern mir, dass die Kündigung früher oder später sowieso erfolgt wäre, da Frau Hammer wohl schon länger Unruhe verbreitet hat … aber helfen kann mir das in meiner Verwirrung nicht – wegen mir ist gerade jemand gekündigt worden! Einer meiner Kollegen übernimmt den Anruf an den verärgerten Kunden, während ich meinen Chef frage, ob ich eher gehen darf.



Jetzt sitze ich in einem Café nahe meiner Wohnung und trinke am späten Nachmittag schon. Die Bedienung bringt mir schon meine zweite Bacardi-Cola, so kann ich wenigstens nach außen hin den Schein wahren. Nicht nur die – wegen mir – ausgesprochene Kündigung, sondern auch Sedats Berührung hat mich aus dem Gleichgewicht gebracht. Ich habe erfolgreich 2 lange Monate hindurch jede zufällige Berührung vermeiden können, habe mich absichtlich unnahbar gegeben und hatte es fast geschafft mir einzureden, dass Sedat nur ein Kollege ist und ich nichts für ihn fühle. Ich habe seinen prüfenden, fragenden Blick sehr oft auf mir gespürt, obwohl mir nicht klar war, wonach er wohl fragt. Und dann kommt der eine Moment, in dem er mich berührt und meine mühsam aufgebaute Coolness ist dahin.

Bevor ich in aller Öffentlichkeit anfange mich zu bemitleiden, zahle ich und setze diese Trauerveranstaltung zu Hause fort. Als ich aufstehe, merke ich doch die Wirkung des Alkohols, da ich – außer einem Brötchen heute früh – nichts weiter gegessen habe. Ich bin kurz vor meiner Haustür, da sehe ich jemanden daneben an der Wand lehnen. Es ist Sedat! Er kommt auf mich zu, während ich mein Vehikel neben der Haustür abstelle, schnüffelt vorsichtig in die Luft und verzieht das Gesicht. „So schlimm?“, fragt er und ich kann nur nicken. Da ich, durch was auch immer, schwanke, hält Sedat mich an beiden Oberarmen fest. Als ich ihn anschaue, versinke ich in seinen grauen Augen und unsere Gesichter nähern sich, unsere Lippen sind nur noch ein paar Millimeter voneinander entfernt … und dann spüre ich seine Lippen auf meinen, seine Zunge streicht wie fragend über meine Unterlippe. Als ich sie ein wenig öffne, erobert seine Zunge meinen Mund, erst vorsichtig und dann immer fordernder. Ich lasse mich in den Kuss fallen …

Als meine Sinne wieder ihre Arbeit aufnehmen, finde ich mich mit dem Rücken an die Hauswand gepinnt wieder … immer noch Sedat küssend. Ich lege beide Hände an sein Gesicht, löse langsam meine Lippen von den seinen und drücke ihn vorsichtig weg. Er sieht mich fragend an, seine Augen glänzen fiebrig. Wenn ich es jetzt nicht beende, gibt es kein Zurück mehr, dann läuft es auf Sex hinaus. Die Frage ist, will ich das und was wird das dann zwischen uns – können wir dann weiter ‚nur Kollegen‘ sein?

Ein weiterer Blick in seine Augen nimmt mir die Entscheidung ab – nachdenken kann ich morgen auch noch. Ich will ihn! Und so nehme ich seine Hand und ziehe ihn hinter mir her, gleichzeitig fische ich meinen Haustürschlüssel aus meiner Hosentasche. Als ich nach dem Aufschließen beinahe über die Eingangsstufe stolpere, hält mich Sedat am Arm fest. Als ich mich bedanken will, küsst er mich und hebt mich einfach hoch und trägt mich Richtung Treppe. Ich lege meine Arme um seinen Nacken und murmele „Hochparterre … fünf Stufen.“ An meiner Wohnungstür angekommen schließe ich, noch in seinen Armen, auf. Sobald wir in meiner Wohnung sind, kickt er die Tür mit seinem Fuß zu. Jetzt gibt es für mich kein Halten mehr – da es wohl einmalig bleibt und nur eine Verwirrung seinerseits ist, will ich es genießen. Ich lege meine Hände auf seine Schultern, um Halt zu finden und schlinge meine Beine um ihn, lasse eine Hand in seine Mähne wandern und sie fühlt sich genauso weich an, wie ich es mir vorgestellt habe, küsse ihn und verliere mich in seinem Geschmack. Sedats Hände sind auch nicht untätig, sondern kneten meinen Po und wandern langsam unter meinem Shirt nach oben. Unter gegenseitigen Küssen und Streicheln ziehen wir einander aus, irgendwie sind wir dabei im Wohnzimmer auf der Couch gelandet. Wir erkunden uns gegenseitig mit unseren Mündern und Händen. Es ist viel zu lange her, dass ich das Gefühl des ,Begehrt werdens‘ hatte. Irgendwann lässt Sedat das Wort Schlafzimmer fallen und als ich in diese Richtung zeige, zieht er mich dorthin. Da wir aber nicht voneinander ablassen, dauert es lange, ehe wir dort ankommen. Als ich von Sedat auf das Bett gezogen werde, sinke ich in seine leidenschaftliche Umarmung, die mich alles vergessen lässt …



Mitten in der Nacht werde ich von einer Bewegung neben mir wach, als mein Blick auf Sedat fällt, beuge ich mich zu ihm hinüber und küsse ihn auf den Mund – ganz leicht und vorsichtig, denn ich möchte dieses Gefühl seiner Lippen auf meinen in Ruhe genießen, da ich überzeugt bin, dass ich für ihn nur einer von vielen bin und er es bereuen wird. Ich stehe auf und ziehe mir meinen Bademantel an, gehe in die Küche und mache mir einen Kaffee. Als dieser fertig ist, setze ich mich an den Tisch. Meine Gedanken drehen sich im Kreis und ich komme immer mehr zu der Überzeugung, dass diese Nacht mein gutes Recht auf einen Krümel Glück vom großen Glückskuchen war – aber mehr auch nicht. Denn Sedat wird nicht bleiben, keiner bleibt bei jemandem, der ständig so läuft, als ob er betrunken ist. Nun bleibt nur die Frage, wie er damit umgeht – mit dieser Nacht. Ich für mich werde es als glückliche Erinnerung in mir verschließen und Sedat weiter als Kollegen behandeln, das sollte ich doch hinbekommen.

Plötzlich werde ich von hinten umarmt und dadurch aus meinen Gedanken gerissen und Finger ziehen eine unsichtbare Linie von meinem Ohr über den Hals bis zum Schlüsselbein nach und er flüstert: „Wie lange sitzt Du schon hier? Du fühlst dich ganz kalt an!“, dreht meinen Kopf zu sich, um mich zu küssen. Als unsere Lippen sich berühren, läuft mir eine Träne über die Wange – ungewollt – aber mir ist gerade klar geworden, dass ich mich nach dieser normalen Zweisamkeit sehne und dass dieser Wunsch wohl unerfüllt bleibt.

Sedat schaut mich aufmerksam an, wischt mit seinem Daumen die Träne weg und fragt: „Bereust du es?“, und mit einem hörbaren Schlucken: „Willst du das ich gehe?“

Ich bin

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Publisher: BookRix GmbH & Co. KG

Text: Jeder Autor für sich
Images: shutterstock Design Lars Rogmann
Editing: Aschure / Bernd Frielingsdorf
Publication Date: 07-19-2015
ISBN: 978-3-7396-1133-4

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