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Der Elefant reicht mir mit seinem Rüssel einen Baumstamm, den ich fast mühelos, nur mit Hilfe meiner Körperkraft, in dem lehmigen Boden versenke. Schweiß rinnt über meine mächtigen Brustmuskeln, die Sonne brennt. Ich arbeite weiter, bis die Hütte fertig ist. Dumbo, so nenne ich meinen Helfer wegen seiner Ohren, die bis zum Boden reichen, hebt den Rüssel wie im Triumph und sieht mich aus seinen dunklen Knopfaugen an.
„Wir haben es geschafft“, sage ich zu ihm, obwohl ich weiß, dass er mich nicht versteht.
Die kleine Familie, die in sicherer Entfernung meinem Wirken zugeschaut hat, nähert sich jetzt und der Mann geht vor mir auf die Knie.
„Danke“, sagt er in einer mir fremden Sprache, die ich aber trotzdem verstehe.
„Gern geschehen. Ich wünsche dir und deiner Familie ein schönes Leben“, erwidere ich und er scheint mich zu verstehen, denn er lächelt und folgt seiner Frau und dem Sohn, die die Hütte bereits vereinnahmt haben.
„Und nun?“
Ich sehe Dumbo an, der mit dem Kopf wackelt, als wollte er mich auffordern, ihm zu folgen.

Wir gehen durch einen kleinen Hain aus lila Bäumen. Verwundert sehe ich die Gehölze an und frage mich gerade, wieso sie diese auffällige Farbe haben, als ein klägliches Weinen an mein Ohr dringt. Dumbo ist stehen geblieben und winkt mit seinem Rüssel. An einem schmalen, roten Fluss, der inmitten der lila Vegetation fließt, kniet ein Mädchen und schluchzt herzzerreißend. Ich gehe in die Hocke und hebe ihr Kinn an, sehe ihr in die Augen, die rot geschwollen sind von den Tränen.
„Was ist passiert?“
„Mein Bruder“, die Kleine schnieft, „er ist in den Fluss gefallen. Ich konnte ihn nicht retten, ich kann doch nicht schwimmen.“
Kaum hat sie zuende gesprochen, fahre ich hoch und springe mit einem eleganten Kopfsprung in das angenehm warme Nass. Aber es ist kein Wasser, es fühlt sich dickflüssiger an. Ich kraule, mein Blick sucht die Oberfläche ab, während ich gleichzeitig nach unten meine Sinne richte. Nach wenigen Metern habe ich den leblos wirkenden Körper eines kleinen Jungen entdeckt, der ans Ufer gespült worden war. Ich wate hin, das rote Zeug ist nicht tief, und hebe den Körper hoch. Mühelos trage ich ihn zu seiner Schwester, wo ich ihn ablege und mich an die Wiederbelebung mache.
Meine Herzmassage zeigt keinen Erfolg, also mache ich Mund-zu-Mund-Beatmung. Der kleine Brustkorb beginnt sich zu heben, ein Schwall Flüssigkeit ergießt sich in das gelbe Gras. Der Junge öffnet seine Augen und lächelt mich an.
„Blut. Er hat Blut gespuckt“, kreischt da die Schwester, und starrt ihren Bruder entsetzt an.
Ihr Blick wandert zu mir.
„Blut“, krächzt sie wieder, und zeigt auf mich.
Ich sehe an mir runter und sehe, dass ich tatsächlich am ganzen Körper rot bin. Ich versuche, das Zeug abzustreifen, aber es klebt hartnäckig an meiner Haut. Etwas legt sich auf meine Schulter. Es ist Dumbos Rüssel, der mich leicht schüttelt und seine Stimme, die sagt: „Sir, sie müssen jetzt aufwachen...“

Mühsam öffne ich meine verklebten Augen. Ein freundlich lächelnder Chinese steht über mich gebeugt und nimmt jetzt die Hand von meiner Schulter.
„Sir, ihre Zeit ist um. Sie müssen gehen.“
Ich schüttele meinen Kopf, bis sich auch die letzten rosa Nebelschwaden gelichtet haben. Die Matte, auf der ich liege, ist hart. Die Wasserpfeife mit dem Opium ist erkaltet. Stöhnend richte ich mich auf und strecke meine verkrampften Glieder. Die Mittagspause ist um, ich muss wieder in die Bank.
Während ich mein Jackett überstreife und meine Krawatte richte, denke ich an die Warentermingeschäfte, die ich heute morgen versemmelt habe. Die paar Milliönchen von kleinen Anlegern, die bei dieser Gelegenheit den Bach runter gegangen waren, sind vergessen. Ich fühle mich gut, nachdem ich einer Familie eine Hütte geschenkt habe.
Außerdem sind meine eigenen Millionen auf den Caiman Islands gut angelegt. Wenn es genug ist, werde ich abhauen und mir dort ein schönes Leben machen. Niemals würde ich einem blöden Schnösel wie mir vertrauen, wenn es um Geldanlagen geht. Ich bin halt eine Spielernatur. Gleich habe ich einen Termin mit einem Ehepaar, das sein ganzes Erspartes mir anvertrauen will. Mal gucken, ob ich ein neues, riskantes Geschäft finde, wo ich das Geld entweder verdoppeln oder vernichten werde.
Pfeifend verlasse ich das von außen harmlos wirkende Haus. Die Droge wirkt noch, ich fühle mich großartig. Nach dem Ehepaar habe ich eine Verabredung mit meinem Chef, der sich sicher ein paar Prozente meiner riskanten Spekulationen sichern will. Mir ist das egal. Mein Gewissen meldet sich nicht. Obwohl – ich sollte mit dem Chinesen heute Abend mal ein ernstes Wort reden. Diese Sache mit dem Blut – die schmeckt mir gar nicht. Ob er mir eine Substanz unter das Opium gemischt hat, die so etwas wie Schuldgefühle weckt? Ich will doch nur flüchten, ein wenig Spaß haben in meiner ansonsten so freudlosen Welt.

Das Ehepaar wartet bereits auf mich, als ich mein Büro betrete. Ich reibe mir die Hände und in mir setzt das bekannte Kribbeln ein, das ich immer fühle, wenn ich Geld rieche.
„Also, wie kann ich ihnen helfen?“

Nachdem ich die beiden Alten davon überzeugt habe, dass der Fonds, in dem ich ihr Geld verdoppeln werde, völlig harmlos ist, gehe ich zu meinem Chef. Henry, wir duzen uns, erwartet mich bereits. Er sitzt hinter seinem riesigen Schreibtisch, die Fingerspitzen konzentriert aneinandergelegt.
„Und, wie läuft es bei dir?“
Sein Blick ist irgendwie anders als sonst. Ich plumpse auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch und strecke lässig meine etwas zu kurzen Beine aus. Dabei falte ich die Hände auf dem kleinen Bauch, der mir in den letzten zwanzig Jahren gewachsen ist. Ich kichere. Klinge ich irre?
„Gut, wie immer.“
„Mensch, George“, Henry springt auf, tritt ans Fenster und sieht hinaus. „Wie lange willst du das Spiel noch machen?“
„Welches Spiel?“
Irritiert setze ich mich gerade hin und fahre mir über den Kopf. Haare sind dort nicht mehr viele, ich reibe über blanke Haut.
„Du hast doch genug beiseite geschafft. Mach mal Schluss.“
Henry hat sich umgedreht und die Arme vor der Brust verschränkt. Er wirkt müde und traurig.
„Aber...“, sage ich, vergesse dann aber, was ich hatte sagen wollen.
Scheiß Opium.
„George, mach Schluss, bevor es dich auffrisst.“
Verwirrt springe ich auf.
„Ich brauch nur noch ein paar Milliönchen, dann hör ich auf.“
„Das sagst du mir seit zwanzig Jahren.“

Mit gesenktem Kopf verlasse ich den Raum. Mein Kragen ist zu eng, meine Kleidung drückt. Die Blondine aus der Buchhaltung rauscht vorbei und wirft mir einen mitleidigen Blick zu. Ich gehe zu den Aufzügen, werde unruhig, während sich der Lift viel zu langsam dem Erdboden nähert. Schweiß bricht mir aus, als ich durch die riesige Empfangshalle gehe. Ich fange an zu laufen, renne schließlich. Die kleine Seitengasse, in der das unauffällige Gebäude liegt, kommt näher. Atemlos schubse ich die Tür auf, remple gegen andere Menschen, merke es aber nicht. Schon habe ich eine freie Matte gefunden, lockere meine Krawatte und reiße mir das Jackett vom Leib. Erschöpft sinke ich auf die harte Unterlage, während der freundliche Chinese erscheint und sich über mich beugt.
„Bitte, diesmal kein Blut“, flüstere ich.
Er nickt und entzündet die Pfeife. Ich sauge gierig den Rauch ein, werde ruhiger.

Dumbo wartet auf mich. Er wirkt so, als würde er sich freuen, mich zu sehen.
„Wen retten wir heute?“ frage ich ihn.

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Text: Sissi Kaiserlos
Images: bookrix
Publication Date: 10-17-2012

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