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Vorwort

Die meisten Figuren gehören J. K. Rowling, ich will ihr mit meiner Geschichte nicht schaden noch verdiene ich Geld durch die Veröffentlichung.

Dies ist meine zweite Tom Riddle Fanfiktion und ich hoffe, dass sie ebenso Leser findet wie die erste. Falls ihr Parallelen zu anderen Geschichten entdeckt, sind diese unbeabsichtigt.

Tom Riddle ist für mich immer noch dieselbe Figur wie vor einem Jahr auch schon, deshalb entschuldigt die charakterlichen Ähnlichkeiten.

Prolog

Es ist auf Erden keine Nacht, die nicht noch ihren Schimmer hätte.

Gottfried Keller

 

Er hatte niemanden. Er war ganz allein auf dieser Welt. Er wuchs ohne jede Form von Liebe auf. Er weiß nicht was das ist, was das sein soll. Einsamkeit ist sein stetiger Begleiter. Ein leeres, kaltes Gefühl in seiner Brust, das er schon gar nicht mehr wahrnimmt und in Boshaftigkeit umwandelt.

Was gibt es besseres, als andere leiden zu lassen? So leiden zu lassen, wie die Welt ihn leiden lässt.

Für ihn gab es nichts Besseres und wird es nie etwas Besseres geben. Die Dunkelheit im ihm schreit nach Nahrung und die Furcht, der Schmerz anderer ist das einzige, was ihn zu befriedigen scheint.

Angst macht ihm das Leben leichter. Er kennt keine, aber die anderen fürchten sich vor ihm. Alle fürchten sich vor ihm. Selbst die Heimleiterinnen. Sie hatten schon Angst vor ihm, als er noch ein Baby war. Er war anders. Er weckte keine beschützerischen Gefühle, keinen Wunsch, ihm Zärtlichkeiten zuteilwerden zu lassen, die Kinderseelen doch eigentlich brauchen, um sich richtig entwickelt zu können.

Doch was ist schon richtig und falsch? Wer maßt sich an, das zu bestimmen?

Seiner Meinung nach ist er besser als der Rest an Unwürdigen um ihn herum. Die anderen sind verweichlicht und so unglaublich schwach, dass es ihn anwidert. Warum sollte er etwas mit ihnen zu tun haben wollen? Warum sollte er mit ihnen spielen wollen?

Er kann sich alleine viel besser beschäftigen. Er liest gerne. Er weiß gerne mehr als alle anderen um ihn herum. Er ist nicht nur besser, er will besser sein. Viel besser. Er will mehr Macht erreichen in seinem Leben, als es ein Mensch je zuvor schaffte.

Größenwahnsinnig? Nein, er würde sich nicht als größenwahnsinnig betrachten. Er weiß einfach, was ihm zusteht. Wie sollen diese jämmerlichen Kaulquappen es zu etwas bringen, wenn er sie nicht anführt?

Er wurde zum Führen geboren. Seine einzige Bestimmung ist das Herrschen. Und nichts wird ihn jemals in diesem Vorhaben stoppen. Jede Sekunde arbeitet er daraufhin der Welt zu zeigen, dass er mächtiger ist als sie. Das niemand etwas hat, das sie ihm entgegen setzen können. Sie sind alle so schwach. So schwach wie das Kaninchen, dass er im Dachgebälk aufgehängt hat.

Ja, das hat er. Und niemand konnte es ihm nachweisen. Er hat unglaubliche Kräfte. Er kann Dinge passieren lassen zu denen niemand sonst hier fähig ist.

Ist das nicht Zeichen genug, dass er ihnen überlegen ist? Niemand wird ihm jemals etwas entgegensetzen können. Denn er kämpft für sich und seine Ideale. Er muss auf niemanden Rücksicht nehmen, da er nur sich hat. Er kann mit allen Mitteln an sein Ziel gelangen ohne sich vor Jemanden rechtfertigen zu müssen.

Stolz sollten sie auf ihn sein. Ihn anhimmeln. Ihn anbeten. Was Besseres stand ihnen nicht zu. Er könnte jeden einzelnen in den Tod treiben, ohne etwas zu machen.

Er manipulierte einfach ihre Köpfe. Er konnte sie machen lassen, was er wollte. Es muss schlicht und einfach seine Destination sein zu herrschen. Warum sollte er sonst all diese Fähigkeiten haben?

 

Kapitel 1

 

Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist zu viel Zeit, die wir nicht nutzen.

Lucius Annaeus Seneca

 

Er hat seine Zeit gut genutzt. Sehr gut sogar. Seit über sechs Jahren lebt er jetzt in der Zaubererwelt, ein Ort, der ihm anfangs wie Fluch und Segen zugleich vorkam. Es war erst ein Schock, als er gemerkt hat, dass seine Begabung gar nicht so selten ist, wie er dachte. Aber schnell realisierte er, dass er trotzdem besser war. Besser, als all die Reinblüter in seinem  Haus, die so stolz auf ihre Abstammung waren. Er spuckte auf seine Mitmenschen. Ob magisch oder nicht, sie kamen einfach nicht an ihn heran. Der einzige Zauberer, der ihm Sorgen bereitete, was Dumbledore. Er schien ihn nicht zu mögen, wie all die anderen Lehrer es taten. Aber auch er konnte nichts tun, als er dafür sorgte, dass dieser Hornochse von Hagrid von der Schule flog und ganz sicher wird er niemals dahinter kommen, dass er seinen Abschaum von Vater und dessen Familie umgebracht hat.

Ja, nach all den Jahren hat er endlich herausgefunden, wer er ist und hasst seine Familie zutiefst.

Seine Mutter, eine jämmerliche Sabberhexe, die ihre reine Abstammung für einen lächerlichen Muggel wegwarf und nicht einmal dazu fähig war, einem Nichtwürdigen dazu zu bringen, sie zu lieben. Sein Onkel, der zu dumm war seine Morde und Verwünschungen geschickt genug auszuführen, um nicht erwischt zu werden.

Und sein Vater? Über den muss er nichts mehr sagen. Er ist ein jämmerlicher Muggel. Nun, wenigstens hatte er es geschafft seinem Tod wenigstens etwas Sinnvolles zu verleihen. Er hat seinen ersten Horkrux geschaffen und somit mehr schwarze Magie gewagt, als sein ehrwürdiger Vorfahr Salazar Slytherin.

 Jetzt ist sein letztes Schuljahr angebrochen und er wird als Schulbester abschließen. Er ist sicherlich der begabteste Zauberer, den Hogwarts jemals gesehen hat. Niemals wird ihn irgendjemand übertrumpfen.

 

Lachend läuft sie mit ihren beiden Freundinnen Magara Kutesa und Abbygayle White durch die Schule. Es ist ein angenehm warmer Spätsommertag für das schottische Hochland und die drei Mädchen wollen noch ein wenig über die Ländereien schlendern, bevor es dafür zu regnerisch sein wird.

Die Vierte im Bunde, Phoebe Williams, ebenfalls eine Ravenclaw wie die anderen Mädchen, ist leider unpässlich. Zumindest war dies ihre eigene Wortwahl, als sie ihre Freundinnen ohne sie losziehen ließ.

„Guck mal, sogar der Kraken scheint die letzten Sonnenstrahlen zu genießen“, kichert Magara, die liebevoll von ihren Freunden Maggie genannt wird, ausgelassen.

„Lasst uns zum See gehen“, bittet Abbygayle und Magara und Emilienne Sullivan folgen ihr bereitwillig.

Sie liebt die Anfänge eines neunen Schuljahres. Der Lernstoff und die Hausaufgaben sind noch zügig zu erledigen und das Wetter ist noch gut genug, um die Schönheit der Natur zu bewundern, ohne sich dabei all zu dick bekleiden zu müssen.

Glücklich läuft sie mit ihren Freundinnen ans kalte Nass, wo sie sich in das kühle Gras fallen lassen.

„Wisst ihr was mit Phoebe los ist?“, fragt Abbygayle, kurz Abby, vorsichtig, als hätte sie Angst etwas Falsches gesagt zu haben.

Magara schnaubt abfällig. „Wahrscheinlich hat sie wieder einer ihrer Launen, wo der Rest der Welt von ihr fern bleiben sollte.“

Zustimmend nickt sie und legt ihre Unterarme auf ihre Knie. Phoebe ist nicht immer einfach, dem ist sie sich sehr wohl bewusst. Trotzdem war sie eine ihrer Freundinnen und Zimmergenossinnen, weshalb sie sich auch Sorgen um sie macht. Diese Launen, wie Magara sie nennt, treten in letzter Zeit immer häufiger auf. Und jetzt gleich zu Beginn des Schuljahres? Langt es nicht, dass sie kurz vor Ende des letzten Jahres unausstehlich war? Irgendetwas stimmt nicht, da war sie sich sicher.

„Vielleicht geht es ihr ja nicht gut“, wirft sie in die Unterhaltung ein.

Wieder schnaubt Magara und funkelt sie wütend mit ihren braunen Augen an. „Dann kann sie mit uns reden. Das weiß sie ganz genau! Es langt mir, dass sie ihre Launen an uns auslässt.“

Oh ja. Magara und Phoebe sind im letzten Jahr regelmäßig aneinander geraten wegen Phoebes‘ Stimmungsschwankungen. Magara hasst es angezickt oder herablassend behandelt zu werden. Dafür war sie viel zu stolz und temperamentvoll.

„Vielleicht ist sie noch nicht soweit“, verteidigt Abby Phoebe weiter. Emilienne sitzt schweigend zwischen ihren beiden Freundinnen und lauscht ihrer Diskussion mehr oder weniger aufmerksam.

Sie liebt ihre Freundinnen. Sie sind ihr fast wichtiger als ihr Vater, der ihr als einziges Familienmitglied geblieben ist. Nachdenklich schiebt sie sich eine Strähne ihrer dunkelbraunen Haare hinters Ohr, die sich aus ihren Dutt gelöst hat.

Phoebe machte ihr ebenfalls Sorgen. Sie hat sich wirklich verändert in den letzten Wochen. Nicht nur charakterlich, sondern auch optisch. Ihre dunkelblonden Haare hat sie zu einem Bob schneiden lassen und sie ist richtig abgemagert. Es sieht in ihren Augen richtig ungesund aus.

Vielleicht sollte sie mal versuchen mit ihr zu reden, einfach auf sie zugehen und sie fragen, was los ist und ob sie reden will. Auch wenn sie bezweifelt, dass es etwas bringen wird, immerhin schottet Phoebe sich völlig von den anderen drei ab.

„Sag doch auch mal etwas, Emi“, fordert Maggie sie auf.

„Ich habe dazu nichts zu sagen“, teilt Emi den anderen schulterzuckend mit. „Lasst uns einfach zurückgehen. Es gibt bald Abendessen.“

 

Der Rest des Abends verläuft für die drei Freundinnen ereignislos. Im Gemeinschaftsraum treffen sie auf weitere Klassenkameraden mit denen sie sich zusammensetzten.

Adam Wood, ein sehr ruhiger Gesellschafter, sitzt neben Emi und beschäftigt sich mit einem seiner geliebten Rätsel, während sein bester Freund, und Magaras heimlicher Schwarm, Jacob Fry mit Abby über einen Schachspiel sitzt. Maggie beobachtet die Züge der beiden eingehend und kommentiert sie hin und wieder, was die beiden allerdings nicht aus der Ruhe bringt.

Emi selbst hat das Zaubertränkebuch von diesem Jahr vor sich auf den Tisch liegen, da sie im Moment lieber ihren Freunden zusieht.

Es ist ihr letztes Jahr auf Hogwarts und sie weiß, dass sie es vermissen wird. Nicht nur die Selbstverständlichkeit mit der sie die Zusammentreffen mit ihren Freunden betrachtet, sondern das ganze Schloss mit seinen Gängen und Geheimnissen. Ihr werden das Lernen und das breite Spektrum an Wissen, das ihr hier beigebracht wird vermissen.

Selbstverständlich gab es auch schlechte Momente. Das Heimweh am Anfang des ersten Schuljahres bis sie richtige Freunde und hier ihr zweites Zuhause fand. Diese einsamen Momente, die ihr das Gefühl gaben von innerheraus aufgeschnitten werden, verlassen von der Welt zu sein und niemanden zu haben mit dem sie darüber reden kann. Diese schrecklichen Momente in denen sie sich nach Hause gesehnt hat und sich fragte, warum sie nach Hogwarts wollte und sich darauf freute. Die Augenblicke in denen sie sich wunderte wie dumm sie sein konnte und sich von zuhause fortwünschte um ins kalte Schottland zu ziehen, weg von ihren Eltern.

Merlin sei Dank hat sie mit der Zeit ihre jetzigen Freundinnen gefunden, die ihr darüber hinweg geholfen haben.

Dann das Jahr darauf als ihre Mutter starb, getötet durch den Schwarzmagier Grindelwald. Für sie brach erneut alles zusammen. Ihre liebevolle, fürsorgliche Mutter sollte einfach weg sein? Von einem Tag auf den anderen? Und sie konnte sich nicht einmal verabschieden. Sie konnte sie nicht ein letztes Mal in den Arm nehmen und ihr sagen wie sehr sie sie liebte. Nie wieder sollte sie die Stimme ihrer Mutter hören, das fröhliche Lächeln sehen oder sie dabei beobachten wie sie sich um den Garten kümmert. Manchmal wünscht sie sich immer noch, dass die Toten zurückgeholt werden können. Dann, wenn sie Ferien hat und alleine im viel zu stillen Haus ihres Vaters sitzt.

Ihr Vater hat diesen Verlust nie überwunden. Er ist kalt geworden und scheint immer eine Maske der Gleichgültigkeit zu tragen. Er hat keine tröstenden Worte für sie gefunden oder versucht ihr Mut zu machen, als sie zur Beerdigung nach Hause kam.

Schon wieder fühlte sie sich verlassen, aber diesmal konnte sie nach Hogwarts flüchten. An den Ort, der ihr ein Jahr zuvor noch so viel Schmerz bereitete.

Nicht zu vergessen ist auch die Öffnung der Kammer des Schreckens vor zwei Jahren. Schrecken und Angst beherrschte die Schülerschar und beeinflusste das ganze Leben auf Hogwarts. Und dann starb eine Schülerin. Mytre war keine Freundin von Emi, aber trotzdem schockierte sie ihr Tod. Als dann Hagrid von der Schule verwiesen wurde, weil er angeblich das Monster frei lies, kehre endlich wieder Ruhe in die alten Gemäuer ein. Da Dumbledore nicht glaubte, dass Hagrid schuldig ist, wurde er als Wildhüterlehrling eingestellt. Emi verstand Dumbledores Zweifel. Hagrid war zwar ein Trottel und ein minderbegabter Zauberer, aber das machte ihn noch lange nicht zum Mörder.

Außerdem steht in „Geschichte von Hogwarts“, dass die Kammer von Salazar Slytherin eingebaut wurde und folglich nur von seinem Erben geöffnet werden kann. Und Hagrid als Erbe Slytherins? Nein, das konnte Emi beim besten Willen nicht glauben. Allerdings kann sie sich auch keine andere Person in der Rolle vorstellen. Dafür kennt sie die Slytherins zu wenig und wollte auch niemanden etwas unterstellen. Sie war einfach froh, als es vorbei war.

Selbstverständlich gab es noch mehr Ereignisse in ihrem Leben, die nicht zu ihren glücklichen Erinnerungen gehören, aber keines davon ist schwerwiegend genug, um in dieser Aufzählung genannt zu werden.

Sie haben sie stark gemacht. All diese Erlebnisse und Schicksalsschläge haben sie stark gemacht. Aus dem kleinen Mädchen ist eine junge Frau geworden, die weiß, was sie will und auch darum kämpft. Mit allen Mitteln.

Oft hat sie sich in die Bibliothek zurückgezogen, um nachdenken zu können oder um sich abzulenken. Irgendwann hat es sie dann auch in die Verbotene Abteilung gezogen. Angefangen hat es mit einer Hausaufgabe im letzten Jahr für die sie einige Bücher aus der Abteilung gebraucht hat. Anfangs waren ihr all die schwarzmagischen Bücher, die stanken, kreischten oder gar zubissen zuwider. Doch umso mehr sie für die Hausaufgabe recherchierte und herausfand, desto spannender und faszinierender wurden die Dunklen Künste für sie.

Irgendwann wollte sie mehr wissen, mehr darüber lernen und verstehen. In ihren Augen ist die schwarze Magie eine Ausweitung ihrer eigenen Kräfte. Und in diesen Zeiten musste man stark sein. Stark, schlagfertig und so bewandert in jedem Bereich der Magie wie möglich.

Wer weiß, vielleicht könnte ihre Mutter noch leben, wenn sie die Möglichkeit gehabt hätte selbst die Dunklen Künste zu studieren.

Viele schwarzmagischen Zauber und Tränke sind nur mit schwarzer Magie zu bekämpfen oder zu heilen. Warum sollte sie sie also nicht studieren?

Von ihrem Zaubertränkelehrer Professor Slughorn hat sie sich die Bescheinigung besorgt jeder Zeit in die Verbotene Abteilung gehen zu dürfen. Da er sie mochte und regelmäßig ihre Leistungen lobt, war es ein leichtes für sie sich die Erlaubnis zu holen. Sie wartete einfach bis er genug Feuerwhiskey während eines Slug-Treffen getrunken hatte (woran sie nicht ganz unschuldig war, sie belegte sein Glas regelmäßig mit einem Nachfüllzauber) und bat ihn darum das Erlaubnisschreiben zu unterschreiben. Ihm fiel gar nicht auf, dass ihre Begründung fadenscheinig war und scheinbar erinnert er sich nicht einmal daran. Niemanden ist Merlin sei Dank aufgefallen, was sie getan hatte, wodurch sie immer noch ungestört in der abgesperrten Abteilung ein- und ausgeht. Seit einem dreivierten Jahr befasst sie sich jetzt schon mit der Schwarzen Magie und übt regelmäßig verbotenen Zauber in verlassenen Klassenräumen und sie kann es kaum abwarten wieder zu ihren Büchern zurückzukehren.

Verbotenes hatte schon immer einen großen Reiz auf sie ausgeübt und der Kombination aus Wissenserweiterung und Verbotenem ist  unwiderstehlich für sie.

Innerlich seufzend lehnt sie sich in ihren Sessel zurück. Es ist ihr letztes Jahr auf Hogwarts und sie wird es nutzen. Sie wird aus ihren letzten Monaten hier so viel herausholen wie nur möglich.

Morgen früh vor dem Frühstück wird sie der Bibliothek einen Besuch abstatten und ihre Forschungen vorantreiben. Sie hat schon hunderte Fuß Pergament mit ihrer kleinen, sauberen Handschrift mit Wissen bedruckt und will ihre Notizen noch um ein Vielfaches erweitern.

Es war nicht genug Zeit in ihren Augen, um all die spannenden Dinge zu erfahren, die die Bibliothek bereithält. Sieben Jahre sind einfach zu wenig Zeit, um sich alles Wissen an zu eigenen, das aufgeschrieben wurde und in der Bücherei von Hogwarts landete. Wie soll sie nur ihre Zeit so aufteilen, dass weder die Bibliothek, noch die Schule, noch die Freunde zu kurz kommen?

Dieses Schuljahr wird eindeutig ein Jahr voller Herausforderungen und Veränderungen für die junge Hexe und sie kann es kaum noch abwarten.

Kapitel 2

 

Die Bosheit trinkt die Hälfte ihres eigenen Giftes.

Lucius Annaeus Seneca

 

Es ist ein wunderschöner Morgen in Emis Augen. Das Schloss ist still und wirkt beinahe verlassen. Sie genoss es durch die einsamen, nur spärlich durch Fackeln erhellten Gänge zu gehen.

Es gibt ihr das Gefühl von Ruhe, Gelassenheit und vor allen Dingen Geborgenheit. Sie fühlt sich wohl im Halbschatten, wenn alles düster wirkt und lange Schatten wirft. Die Dunkelheit gibt ihr ein Gefühl der Überlegen und Sicherheit, sie ist ihre Welt.

Ihre flachen Schuhe machen keine Geräusche währendem sie ihren Weg zur Bibliothek fortsetzt. Ein kaltes Lächeln umspielt ihre Lippen, sie kann es kaum abwarten wieder in ihr Reich eindringen zu dürfen.

 

Seine Anhänger folgen ihm leise miteinander redend durch die Kerker zur Großen Halle um zu frühstücken. Voller Verachtung schnappt er immer wieder Wortfetzen auf. Sie sind so schwach, so leicht zu manipulieren. Manchmal fragt er sich, warum er sich mit ihnen abgibt und sie nicht einfach umbringt wie seine Verwandten. Aber er hat noch einen Zweck für seine Untergebenen. Er wird sie noch genauso benutzen wie seinen schwachen Onkel. Darum kann er sie nicht töten. Noch nicht. Noch ist ihr Tod nicht nützlich für ihn. Er muss erst ihr Vertrauen gewinnen und sie in dem Glauben lassen, dass sie seine Freunde sind, ehe er sie wie das behandeln kann, was sie sind. Seine Knechte.

Würdevoll durchschritt er das Eingangstor zur Großen Halle und lächelt kurz höflich in Richtung Lehrertisch von wo aus Professor Dippet ihm grüßend zu nickt. Dummer alter Sack. Mickriger Zauberer. Tom kann bis heute nicht verstehen wie er Direktor von Hogwarts werden konnte. In seinen Augen war der Professor rückratlos und schwach. Die schlechtesten Scharaden vermag er nicht zu durchschauen und er hinterfragt nie eins von Toms Worten. Selbstverständlich war er das gewohnt, seine Anhänger waren genauso dumm und kopflos, aber er hatte anfangs mehr von einem einflussreichen Magier erwartet. Inzwischen wusste er es besser. Dippet ist einfach eine Schachfigur in seinen Machtspielen. Problemlos wurde er Schulsprecher und noch viel einfacher war es dem alten Tattergreis Hagrid als Schuldigen zu präsentieren. Sofort glaubte er ihm, fragte nicht einmal nach wie er dahinter kam. Nur Dumbledore betrachtete die Sache skeptisch und behielt am Ende sogar diesen nichtsnutzigen Halbriesen als Wildhüterlehrling. Jetzt ist er da, wo er hingehört, bei den Monstern und unwürdigen Mischwesen, die den Wald bewohnen. Tom wartet nur darauf, dass er eines Tages von einem der Kreaturen zerrissen wird.

Orion Black reicht ihm Kaffee. Mit einem Nicken nimmt Tom das Angebot an und nibbt an dem schwarzen Gebräu.

Sein Brötchen schneidet sich von selbst auf und bestreicht sich hauchzart mit Butter, bevor eine Schicht Orangenmarmelade folgt. Er liebte die uneingeschränkte Macht, die er durch seine Magie erlangt. Nichts muss er wie ein herkömmlicher, schwacher Muggel erledigen.

Selten tut er Dinge ohne Magie. Es sei denn es macht ihm Spaß und ihm ist gerade danach etwas auf gewöhnliche Art zu erledigen. Seltener arbeitet er ohne Magie zur Tarnung. Nur nach Dumbledores‘ Stunden packt er seine Unterrichtsmaterialien mit der Hand ein. Die wachsamen Augen des alten Zauberers sind schlicht und einfach eine Last.

Eines Tages wird er sich diesem Störfaktor entledigen, sofern es nötig sein wird. Nichts wird ihm in die Quere kommen, auch nicht dieser verblendete Zauberer mit seiner krankhaften Schwäche für Muggel.

Zauberer wie er, Blutsverräter, gehören genauso ausgemerzt wie Schlammblüter und Muggel. Wie kann dieses Pack sich anmaßen magisches Blut zu verunreinigen oder sich als Teil dieser Welt zu sehen?

Versklavt gehören sie. Unter unsere Füße, in den Dreck, der genauso schmutzig ist wie sie selbst. Muggel, Schlammblüter, Butsverräter. Keiner von ihnen ist besser als der andere und Tom kann sich nichts Besseres vorstellen, als ihnen zu zeigen wie wenig sie wert sind. Er wird sie in das widerliche Loch zurückjagen aus dem sie gekrochen kamen.

Nie wird er verstehen wie seine Mutter, ausgerechnet eine Erbin Slytherins, sich mit solchem Abschaum einlassen konnte. Nie.

 

Das Papier gleitet zärtlich durch ihre Hände. Der Geruch des alten Buches beruhigt sie wie nichts anderes es vermag. Nicht einmal Maggie könnte sie in solch eine Stimmung versetzen. Bücher sind ihre Welt. Wissen ist ihre Welt.

Sie liebte es Neues zu erfahren, mehr zu erfahren, tiefer in die hineinzusteigen als die Menschen vor ihr. Tiefer darin zu versinken, als viele es sich trauen. Sie möchte hinter die Oberfläche schauen, sie will wissen, was dahintersteckt und wenn sie dafür die Fassade zerschlagen muss. Risiken müssen auf sich genommen werden und wenn sie nur Zutaten aus Slughorns Vorräten klaut. Wenn er das ernsthaft vermeiden will, sollte er seinen Vorratskeller besser sichern.

Konzentriert blättert sie weiter. Das Buch in ihren Händen ist schwer und stinkt. Es riecht nicht alt, nicht faul, nicht wie ein altes Buch riechen sollte. Es reicht überhaupt nicht nach einem Buch. Es riecht wie verbranntes Fleisch. Als hätte man den Geruch des brennendes Tieres, nachdem man ihm die Haus abgezogen hat, in die Seiten gebannt. Merlin sei Dank kann mich in dieser Abteilung nichts mehr schocken, dafür gibt es hier viel zu viele Bücher mit abartigen Attributen.

Ein Blick auf die Uhr zeigt ihr, dass sie los muss, wenn sie nicht zu spät zur nächsten Stunde kommen möchte. Frühstück wird wohl ausfallen, aber das macht ihr nichts aus. Immerhin kann sie sich beim Klassenwechsel schnell etwas aus der Küche holen. Die Elfen werfen einem Essen ja geradezu nach.

 

Endlich ist der Unterricht fertig für heute. Selten ist Emi so froh darüber wie heute, aber die Menge an Hausaufgaben werden sie bis in die späten Abendstunden beschäftigen. Wenn wenigsten Freitag wäre und sie das ganze Wochenende vor sich hätte… Seufzend biegt sie um die Ecke und schiebt sich das letzte Stückchen Keks zwischen die Zähne, das von ihrer Ausbeute von heute Vormittag übrig geblieben ist. Sie liebt einfach die Bachkunst der Hogwartchen Elfen.

Doch diesmal soll sie nicht dazukommen den Keks angemessen genießen zu können. Er bleibt ihr wohl eher im Hals stecken bei dem Anblick der sich völlig unerwartet vor ihr bietet.

Syltherins, wer sonst, huscht es ihr kurz durch den Kopf, bevor sie ihre Schritte beschleunigt.

„Aufhören“, ruft sie den Übertätern entgegen. „Sofort aufhören!“ Verdutzt drehen sich die drei Slytherinjungen um. Es sind Dolohow, Mulciber und Lestrange aus ihrem Jahrgang. Das hätte sie sich auch denken können.

Endlich ist sie bei ihnen angekommen und stellt sich vor den Gryffindorerstklässler, den sie bis gerade eben schikanierten.

Sie hasst es, wenn sich Jemand an Schwächeren vergreift. Das ist widerwärtig in ihren Augen. Schwach, jämmerlich, verachtenswert. Wie die drei Witzfiguren, die hämisch auf sie herabblicken. Um so groß und selbstbewusst wie möglich zu wirken, strafft sie die Schultern und funkelt die Drei herausfordernd an. „Wenn das nicht die kleine Sullivan ist“, schnarrt Antonin Dolohow und blickt feixend auf sie herab. „Spielst du Retterin in der Not?“

Emilienne wendet ihren Kopf in Richtung des zittrigen Jungen, ohne den Slytherins ihren Rücken zu zudrehen. „Verschwinde“, fordert sie den Gryffindor auf. Unsicher sieht er sie kurz an, bevor er seine Beine in die Hand nimmt und schnell den Gang in die Richtung, in der Emilienne den Gryffindorgemeinschaftsraum vermutet, entlang eilt und aus der Reichweite der Taugenichts verschwindet. Nun entspannter dreht sie sich wieder vollständig zu den verächtlich blickenden Slytherins um.

„Ihr seid jämmerlich“, teilt sie ihnen ruhig mit und blickt einem nach den anderen in die jetzt Wut verzerrten Fratzen. „Ihr müsst Jüngere angreifen, um euch stark zu fühlen. Das ist so erbärmlich.“ Verachtung steht in ihren Augen geschrieben und schürt den Zorn der jungen Männer ihr gegenüber. Ihr ist das wohl bewusst, aber sie weiß, dass sie in einem Duell gewinnen würde.

Eine Bewegung in einer der Wandnischen weckt ihre Aufmerksamkeit. Schatten umhüllen die Gestalt, sodass sie ihn erst erkennt, als das Schulsprecheremblem im schwachen Licht der untergehenden Sonne aufblitzt.

Unglauben huscht kurz über ihr Gesicht, bevor sie es wieder in eine kalte Maske verwandelt, in der nur ihre Augen verraten wie wütend sie im Moment ist. „Du!“, faucht sie ihn an, stößt Dolohow an der Schulter beiseite, sodass sie an ihm vorbeikommt und kommt vor dem Schulsprecher zu stehen. „Du bist eine Schande, Riddle!“

Der Angesprochene hebt lediglich eine Augenbraue und tritt auf den Gang hinaus, um sich ihr entgegen zu stellen.

„Es ist deine Pflicht jüngere Schüler gegen solche Attacken zu schützen. Es ist generell deine Pflicht Schüler vor Angriffen zu bewahren.“

„Ich sehe nicht inwiefern der Gryffindor angegriffen wurde. Ich sah keinen Zauberstab Sullivan“, antwortet er aalglatt und blickt verächtlich auf sie herab.

Die Abneigung dem jeweils anderen gegenüber ist deutlich zu spüren. Ihre Gesichter sind bar jeder Emotion, doch in Emis Augen sieht man immer noch Wut und eine Spur von Verachtung.

„Du bist der Schulsprecher“, fährt sie ihn an. „Du kannst doch nicht einfach tatenlos in der Ecke stehen.“

„Das ist nicht deine Angelegenheit Sullivan.“ Kühl blickt er auf sie herab. „Und wenn du nicht möchtest, dass ich Ravenclaw Punkte wegen Besserwisserei abziehe, solltest du verschwinden. Jetzt.“

Mit einem letzten Blick in die kalten Augen des Schulsprechers wendet Emilienne sich um und setzt ihren Weg fort. Die gute Laune ist ihr definitiv vergangen.

Wie konnte dieser arrogante Slytherin es wagen ihr zu drohen? Das Haus der Schlagen ist in ihren Augen verachtenswert. 

Sie zeichnen sich durch Verschlagenheit und Hinterhältigkeit aus, mischen sich nie in die Belange anderer ein, sofern es ihnen nicht einen Vorteil verschafft und genauso halten sie es mit Hilfestellungen. Manchmal fragt sie sich, ob es im Haus selbst vielleicht anders ist, immerhin zeichnen sie sich in der Öffentlichkeit oft durch Zusammenhalt aus, aber dann wird ihr wieder durch Vorfälle wie den ebigen deutlich, dass sie genau das sind, wofür sie stehen. Schlangen.

Jämmerliche Schlangen.

Sie schaffen es nicht einmal sich mit Gleichaltrigen anzulegen. Nur an Schwächeren, die sich nicht vor ihnen schützen können vergreifen sie sich. Jämmerlich.

Widerlich.

Verwirrt hält sie inne, als sie realisiert wo ihre Schritte sie hingetragen haben. Die großen, schweren Türen der Bibliothek bauen sich vor ihr auf wie Wächter, die sie erst davon überzeugen muss, dass sie würdig genug ist, sich dem gesammelten Schätzen voller Wissen nähern zu dürfen.

Kopfschüttelnd wendet sie sich ab. In dieser Stimmung will sie nicht in die Bibliothek. Sie liebt den Ort viel zu sehr, um ihn voller Zorn zu betreten. Sie wird wohl erst auf dem Schlossgelände einen Spaziergang unternehmen.

Es ist ein wirklich milder September stellt sie fest, als die eine Hälfte de r Tür des Schlossportals hinter ihr zu schwingt. Die letzten Sonnenstrahlen tanzen über die Baumwipfel des Verbotenen Waldes und hüllen das Hogwartsche Gelände in warmes, goldenes Licht.

Das Laub beginnt sich zu verfärben und kündet den rasch nahenden Herbst in seiner ganz ureigenen Pracht an.

Emilienne schließt die Augen und atmet tief die frische Luft ein. Ein Gefühl des Friedens überkommt sie und vertreibt die Wut, die an ihr haften geblieben ist.

Sie sollte sich gar nicht erst so aufregen. Es bringt doch niemanden etwas, am allerwenigsten ihr selbst. Von Slytherins sollte sie doch gar nichts anderes erwarten. Blinzelnd öffnet sie ihre Augen wieder und geht die Treppe hinab, um an den See zu gelangen.

Ihre Hausaufgaben wird sie wohl erst nach dem Abendessen angehen.

Kapitel 3

 

Welche Einsamkeit wäre einsamer als die des Mißtrauens?

Mary Ann Evans (Syn. George Eliot)

 

Es sind nur wenige Tage vergangen seit Emis Zusammentreffen mit den Slytherins und sie hat es eigentlich schon vergessen oder besser: In den hintersten Winkel ihres Gedächtnisses verdrängt.

Alles andere würde sie früher oder später nur wieder in Rage versetzen und das ziemt sich einfach nicht für eine junge Dame. Sie weiß das, missachtet es aber meistens.

 Sie sitzt mal wieder in der Bibliothek und lernt. Wofür genau sie das lernt, weiß sie sie selbst nicht mehr genau.

Sie fühlt sich zerrissen. Zerrissen von ihren eigenen Dämonen. Sie weiß gerade nicht für was der ganze Aufwand, den sie betreibt, gut sein soll.

Der heute Morgen eingetroffene Brief ihres Vaters hat sie komplett durcheinander gebracht. Er hat das ganze Gerüst ihrer Zukunftsträume ins Wanken gebracht.

Hausfrau sollte sie werden. Hausfrau. Sie!

Wieso sollte sie all die Jahre so hart lernen, wenn sie an den Herd verbannt werden soll?

Am besten sucht er ihr auch noch den zukünftigen Ehemann aus. Einen spießigen Langweiler, der hervorragend in das Bild eines herausragenden Zauberers passt, dass ihr Vater als Ideal betrachtet. Am besten irgendein gesetzestreuer Ministeriumsbeamter, der sie mit fünf Kindern an ein kleines Haus bindet.

Sie fühlte sich betrogen. Verraten. Und es machte sie gleichermaßen wütend und verzweifelt. Für was hat sie all die Jahre so hart gearbeitet? Um sich jetzt einsperren zu lassen? Soll sie das wirklich mit sich machen lassen, nur um ihren Vater zufrieden zu stellen? Was soll sie auch sonst tun? Welche Rechte hat sie schon? Er will ihr keine Ausbildung finanzieren. Vielleicht hat sie ja Glück und ihr Zukünftiger lässt sie wenigstens als Krankenschwester arbeiten oder gibt ihr die Möglichkeit ein hauseigenes Labor einzurichten.

Seufzend schlägt sie das Buch zu. Ein Spaziergang am See erscheint ihr jetzt viel interessanter.

 

Er beobachtete sie seit einigen Tagen. Beziehungsweise er lässt sie beobachten. Unauffällig, heimlich, ohne dass es irgendjemand mitbekommt. Als Erbe Slytherins hat er dazu ja die beste Möglichkeit.

Sein Basilisk kriecht ungehört, ungesehen durch die Rohre des Schlosses, wie ein Schatten folgt er der Ravenclaw von Stunde zu Stunde, von Raum zu Raum. Auf der Suche nach einem Fehltritt, einem Regelverstoß des Mädchens, das tatsächlich gewagt hat ihm, Lord Voldemort, Vorschriften machen zu wollen.

Ergebnislos. Bis jetzt. Aber er weiß ganz genau, dass auch sie einen Schwachpunkt hat, wie alle anderen um ihn herum auch. Auch sie macht Fehlern und dann wird er zurückschlagen. Unerwartet und ohne unerwünschte Zuschauer, um ihr unmissverständlich klar zu machen, wo ihr Platz ist. Unter seinen Füßen.

 

Mit einem Lächeln verfolgt sie Maggies schwärmerischer Schilderung ihres letzten Zusammentreffens mit Jacob Fry.

Wie es sich wohl anfühlt verliebt zu sein? Hat man wirklich Schmetterlinge im Bauch? Was ist so besonders an diesem Gefühl, dass man sich freiwillig einer anderen Person so weit öffnet, dass sie Macht über einen hat, einen verletzen kann?  „Hörst du mir überhaupt zu?“ Aufgebracht schnipst Maggie vor Emis Augen mit ihren Fingern.

„Sicher“, nuschelt Emi und verdreht die Augen. Wenn sie ihr wirklich immer zu hören würde, hätte sie bald Tinitus… und Hirnschwund. Sie weiß nicht mehr wie oft sie sich schon gefragt habe, wie eine so intelligente Hexe so viel Mist von sich geben kann.

„Ach ja? Und was habe ich gesagt?“

Gerade als sie antworten will, kommt Riddle aus einen Seitengang. Plötzlich wieder aufkochende Wut, verschießt ihr den Mund. Mit aufgebracht funkelnden Augen begegnet sie dem kalten, berechnenden Blick des Slytherins.

Seine Lippen verziehen sich zu einem spöttischen Lächeln und er nickt ihr auf seine arrogante herablassende Art zu.

Abfällig schürzt sie die Lippen und beobachtet Riddle dabei, wie er seinen Weg fortsetzt. „Maggie ich komme nach, geh schon einmal“, entschuldigt sie sich aus einem Impuls heraus und folgt dem Schulsprecher ohne auf Maggies Protest zu achten.

Sie weiß nicht, warum sie ihm folgt. Es war einfach ein Impuls, dem sie nachgegeben hatte. Eine innere Stimme deren Anweisungen sie einfach folge und jetzt eine lange, kalte Treppe nach unten eilen lässt.

Sie hatte ihn schon längst aus den Augen verloren, stürmte aber immer noch unbedacht die Treppe hinunter. Unten angekommen, erkennt sie, dass sie in einem ihr unbekanntes Kerkergewölbe angekommen ist und Riddle nicht mehr zu sehen ist. Seufzend wendet sie sich wieder um und will den Rückweg antreten, als sie eine kalte Zauberstabspitze in ihren Nacken fühlt, was sie in ihrer Bewegung gefrieren lässt.

 

„Wen haben wir denn da?“, erklingt Riddles Stimme leise und melodisch neben ihrem Ohr. Zu nah an ihren Ohr. Leicht angewidert von seinem warmen Atem dreht sie den Kopf zur Seite. Sofort drückt sein Stab fester gegen ihren Hals. Seine Sohlen knirschen auf den unebenen steinernen Boden als er um sie herumgeht und vor ihr stehen bleibt. Die ganze Zeit über strich er dabei mit dem Stab an ihrem Hals entlang, bis er ihren Kehlkopf gefunden hat. „Hat sich da jemand verlaufen?“

„Ich wüsste nicht, was dich das angeht“, verteidigt sie sich. Kampflustig funkelt sie ihn an, dabei weiß sie gar nicht auf wen sie wütender ist. Auf sich, weil sie ihm gefolgt ist und sich überrumpeln lies oder auf ihn, weil er sie bloßstellt?

„Fährt da Jemand die Krallen aus?“ Belustigung schwingt in seiner überheblichen klingenden Stimme mit.

„Fahr zur Hölle“, zischt sie ihn an und greift blitzschnell in ihre Jackentasche, um ihren Stab herauszuziehen, doch bevor sie ihn heben kann, hat Riddle sie versteinert.

Ausdruckslos sieht er sie an und schüttelt beinahe enttäuscht den Kopf. „Wolltest du mich ernsthaft angreifen? Der Größenwahn von Gryffindors bin ich ja gewöhnt, aber eine Ravenclaw? … Oder hast du wirklich gedacht eine Chance gegen mich zu haben?“ Mit einem schwachen Lächeln löst er den Zauber wieder und sie stolpert ihr Gleichgewicht suchend einen Schritt nach vorne. Riddle sieht auf sie herab wie ein interessantes Experiment. „Was mache ich nur mit dir, Sullivan?“

Scheinbar entspannt wirbelt er seinen Zauberstab zwischen seinen Zeigefinger und Daumen der rechten Hand hin und her. Sein charmantes Lächeln, das er immer in der Öffentlichkeit zeigt, ist vollkommen von seinen Zügen verschwunden.

Auch sie hält ihren Zauberstab in der Hand und betrachtet ihn mit schräg gelegtem Kopf. Entnervt pustet sie eine Strähne aus ihrem Gesicht, die sich aus ihrem Dutt gelöst hat.

„Was willst du denn mit mir machen?“ Herausfordernd grinst sie ihn an.

„Ich könnte dich hier und jetzt umbringen und niemand würde deine Leiche jemals finden“, sagt er ernst zu ihr. Kalt auflachend legt sie ihren Kopf in den Nacken. Sie töten? Er mag ja gut sein, aber besser als sie? Klar, ist er Schulbester, aber was sagen Noten schon über einen aus? In ihrem Spezialgebiet gibt es keine Prüfungen. „Träum weiter, Riddle.“

„Ich hatte gerade eben die Chance. Ich wüsste nicht, wo ich da Träumen sollte.“

„Stimmt. Träume sind für Narren.“ Überrascht hebt er den Kopf an und begegnet ihren herausfordernden Blick.

 

Überraschung und eine Spur Unglauben machen sich in ihm breit. Träume sind für Narren? Diese Worte aus dem Mund einer Frau? Selbstverständlich hat sie Recht, auch wenn er das niemals zugeben würde, aber so eine Aussage hätte er niemals von ihr erwartet.

Vielleicht ist ja mehr an dem Mädchen dran, als er zuerst dachte.

Wenn er seine Reaktionen nicht nahezu perfekt beherrschen würde, hätte er jetzt den Kopf geschüttelt um den Gedanken wie eine lästige Fliege abzuschütteln.

Ihre blauen Augen funkeln ihn herausfordern und vielleicht ein wenig herablassend an. Spöttisch zieht er einen Mundwinkel hoch.

„Fährt das Vögelchen ihre Krallen aus?“

„Angst?“ Provozierend hebt sie ihr Kinn.

„Niemals.“

Sie behalten sich gegenseitig im Auge. Keiner will zuerst angreifen, aber noch weniger will einer zurückweichen und das Feld räumen.

Er weiß, dass sie keine Chance gegen ihn hat. Wie sollte sie auch? Hier unten sind sie in seinem Reich, die Dunkelheit ist sein Element. Außerdem kommt niemand mit der in Hogwarts vermittelten Magie gegen ihn an.

„Was ist nun? Willst du dich duellieren oder lässt du mich gehen?“ Ein undamenhaftes Schnauben begleitet ihre Worte. Belustigt hebt er den linken Mundwinkel. Würde sie sich echt gegen ihn stellen? Er muss zugeben, dass der Gedanke es herauszufordern seinen Reiz hat, aber sein Instinkt sagt ihm, dass jetzt nicht der Zeitpunkt ist. „Verschwinde“, befiehlt er und gibt in einer ironisch großzügigen Geste die Treppe frei. Mit zusammengekniffenen Augen sieht sie ihn an, bevor sie sich in Bewegung setzt. Die ganze Zeit hält sie ihm dabei im Auge, erst als sie die Treppe erreicht, dreht sie sich um.

„Sullivan“, spricht er sie mit kühler Stimme an.

„Riddle“, sie dreht sich wieder zu ihm um und sieht ihn gefühllos an.

„Drehe deinen Gegner niemals den Rücken zu.“ „Gegner?“ Ein kleines Lächeln huscht über ihr Gesicht. „Aber Riddle“, langsam geht sie wieder auf ihn zu, bis sie direkt vor ihm steht und nicht einmal die Hand hätte ausstrecken müssen um ihn zu berühren. „Wir sind doch keine Gegner.“ Mit einem unschuldigen Augenaufschlag sieht sie ihn von unten an. Spöttisch hebt er eine Augenbraue. „Wir sind Schulkameraden.“ Langsam geht sie wieder rückwärts zur Treppe.

Nachdenklich sieht er ihr hinterher. Das wird sicherlich noch interessant, die Hexe wird so schnell nicht mehr in Unbedeutsamkeit versinken.

 

Mit zwiegespaltenen Gefühlen eilt sie die Treppe hinauf. Wieso hat sie sich mit dem Schulsprecher angelegt? Wieso ist sie ihm überhaupt hinterher gerannt? Sie kann doch nicht immer noch sauer wegen des Erstklässlers sein. Verwirrt macht sie sich auf zur großen Halle um zu Abend zu essen, wie es ursprünglich ihr Plan war.

Sie weiß zwar nicht, woher sie diese Gewissheit hat, aber das war nicht ihr letztes Zusammentreffen mit dem Slytherin. Ganz bestimmt nicht.

Kapitel 4

 

Verkehrtheit ist in seinem Herzen, er schmiedet Böses; allezeit streut er Zwietracht aus. 

Sprüche 6, 14

 

Sie fasziniert ihn. Er weiß nicht wieso und das macht ihn wütend. Seit Jahren gehen sie zusammen nach Hogwarts, haben zusammen Unterricht und essen im selben Raum, aber er hat sie nie eines Blickes gewürdigt. Sie ging einfach unter in der Menge. Er kann nicht einmal sagen, wer ihre Freunde sind oder wie es um ihre Noten bestellt ist. Sie ist Durchschnitt, unauffällig und hält sich selbst im Hintergrund.

Ihre Freizeit verbringt sie größtenteils in der Bibliothek oder in Gemeinschaftsraum. Oder sie verschwindet von der Bildfläche und nicht einmal sein Basilisk kann sie finden. Aber er weiß trotzdem wo sie ist. Im Raum der Wünsche. Das interessanteste daran ist, dass sie mehr in der Verbotenen Abteilung ist, als im Hauptraum. Auch er liebt es dort in Büchern zu schmökern, allerdings könnte er sich nicht daran ersinnen ihr jemals begegnet zu sein. Eine Tatsache, die sehr verwunderlich ist. Tom lässt niemals seine Umgebung aus den Augen.

Eigentlich wollte er in den Gemeinschaftsraum, aber nach dem Zusammentreffen will er seine Ruhe. Das Gemälde, das den Eingang seiner privaten Räume bewacht, fragt nicht nach einem Passwort bei seinem Anblick, sondern lässt ihn einfach eintreten.

Was reizte ihn bloß so an der Ravenclaw? An ihr war auf dem ersten Blick nichts Besonderes, sonst wäre sie ihm schon früher aufgefallen. Warum geht sie ihm plötzlich nicht mehr aus dem Kopf?

 

 Dieser Riddle! Was bildet er sich ein? Als würde sie mit ihm mitten in Hogwarts kämpfen! Als würde sie sich überhaupt mit ihm duellieren. Sie würde ihr Leben gerne außerhalb Askabans verbringen und das nicht auf der Flucht. Und ihr gesunder Menschenverstand sagt ihr, dass es nicht möglich ist gegen Riddle fair und mit simplen Flüchen zu bestehen. Seufzend steigt sie die letzten Stufen hinauf und macht sich dann wieder zu ihrem ursprünglichen Ziel auf.

 

Seit dem erneuten Zwischenfall sind einige Wochen vergangen und Tom hat seine Beobachtungen immer noch nicht eingestellt. Ganz im Gegenteil, er hat sie erweitert. Der gleichbleibende Alltag der Schule langweilt ihn genug, um Emilienne als angenehme Abwechslung zu betrachten. Inzwischen folgte er ihr unbemerkt in die Verbotene Abteilung, um herauszufinden was sie dort liest. Nach wenigen Tagen erkannte er, dass sie die gleiche Literatur zu Rate zieht, die er schon vor geraumer Zeit gelesen hat. Einerseits weckt ihr Interesse an der Schwarzen Magie seine Neugier und andererseits Skepsis.

Wieso hat er sie nie bemerkt, wenn sie in der Verbotenen Abteilung war? Waren sie nie zur gleichen Zeit anwesend?

So sehr es ihn reizt, frustriert es ihn auch. Er hasst diese widersprüchlichen Gefühle. Er hasst Gefühle generell. Sie hindern einen nur beim logischen Denken. Sie machen keinen Sinn. Sie sind überflüssig und behindernd. Er konnte noch nie nachvollziehen, was manche Menschen so an ihnen lieben, dass sie ihre Entscheidungen nach ihnen richten. Das konnte doch gar nicht gut gehen. Emotionen sind wankelmütig, eine getroffene Entscheidung nicht revidierbar. Wenn sie aus den falschen Beweggründen getroffen wurde, richtet sie nur Schaden an. Seine schwache Mutter ist das beste Beispiel dafür. Sie wusste, dass ihr Mann sie nie geliebt hat und hat trotzdem den Trank abgesetzt. Es war allein eine schwache Entscheidung ihrerseits Tom Riddle senior mir Amortenia an sie zu binden. Einen Muggel. Einen gewöhnlichen, jämmerlichen Muggel.

Wie hätte so ein schwaches Wesen das magische Potential seiner Frau schätzen können? Wie hätte ein unwürdiger genug Ehre im Leib haben können, um bei ihr zu bleiben? Seine Mutter haben ihre Gefühle schwach gemacht. Schwach, egoistisch und irrational. Sie war so in ihrer kleinen Welt gefangen, in ihrer beschränkten Wahrnehmung, dass sie gar nicht erfassen konnte, was sie ihm, Tom, antat. Sie hat ihn im Stich gelassen. Verlassen und eben diesen schwachen Kreaturen übergeben, die an ihren Untergang Schuld waren.

Seine Mutter ist nicht mehr wert, als der Dreck unter seinen Schuhen, nicht weniger Abschaum als sein Vater.

Sie hat sich durch ihre Handlungen auf sein Niveau herabgelassen.

Von den Gedanken aufgewühlt steht er auf und verlässt sein Schülersprecherzimmer. Vielleicht treiben sich ja ein paar Schüler unerlaubt auf den Gängen herum. Es ist schon weit nach Mitternacht und die Sperrstunde schon lange genug aktiv, dass kein Lehrer mehr Patrouille sein wird. Um diese Zeit gehört Hogwarts ganz allein ihm.

Die kalte Oktobernacht streichelt seine Haut und kündigt frostig den nahende Winter an. Tom stört sich nicht an den niedrigen Temperaturen der offenen Gänge, ein Wärmezauber hält ihn angenehm warm. Halloween steht zu seinem Unglück vor der Tür. Als Schulsprecher hat er die Pflicht, die Halloweenparty mit seiner Mitschulsprecherin zu planen. Er hält nichts von solchen Festlichkeiten. Sie sind in seinen Augen reine Zeitverschwendung. Wenn er könnte, würde er der Feier einfach fern bleiben, aber als Schulsprecher zählt es zu seinen Pflichten sich zumindest am Anfang der kleinen Feier blicken zu lassen. Er hasst solche Konventionen.

Er bleibt am Fenster gegenüber der Tür zum Mädchenklo stehen und betrachtet die unauffällige Tür hinter der sich der bösartigste Schrecken der Schule befindet, ein Schrecken, ein Monster, das nur auf seinen Befehl hört. Er erinnert sich noch ganz genau an den Tag, als er den Eingang entdeckte.

 

Es ist mitten in der Nacht. Kaltes Mondlicht flutet die Gänge und die letzten brennenden Fackeln werfen tanzende Schatten an die Wände - Dinge die Tom gar nicht wahrnimmt. Er hat ein festes Ziel vor Augen – ENDLICH hat er ein festes Ziel vor Augen. Seit Monaten sucht er sie – die Kammer des Schreckens. Nachdem er von seiner Abstammung erfahren hat, hatte er über Slytherin und seine Nachfahren recherchiert. Dabei ist er ziemlich schnell über die Kammer des Schreckens gestolpert, die Salazar Slytherin in Hogwarts versteckt hat. Das einzige, was er dann noch herausfinden musste, war das Versteck des Eingangs. Zwischenzeitlich hatte er an der Existenz der Kammer gezweifelt oder an der Lebendigkeit des Monsters nach all den Jahrtausenden, aber er hat trotzdem nie aufgegeben. Nicht bevor er einen handfesten Beweis gefunden hätte, der die Existenz der Kammer widerlegt. Doch endlich hat er ihn gefunden. Sein Vorfahr Corvinus Gaunt sorgte für die Geheimhaltung der Kammer, als im siebzehnten Jahrhundert ein Installationssystem in Hogwarts eingeführt wurde und direkt über dem Eingang der Kammer ein Mädchenklo entstand. Niemand entdeckte den versteckten Eingang zu dem Tunnelsystem unter Hogwarts, das zu Slytherins Monster führt. Glücklicherweise hat Corvinus genug Verstand besessen ein Buch mit der Beschreibung des Weges in der Verbotenen Abteilung zu hinterlassen, welches sich nur von einem Parselmund öffnen und lesen lässt. Das Buch war der Schlüssel, der seine lange Suche beendete.

Die Tür des Mädchenklos schwingt lautlos auf, als er zielstrebig den Raum betritt. Sorgfältig sieht er sich im Raum um, jede Fließe, jede Kerbe betrachtet er aufmerksam bis er die eingeritzte Schlange auf dem Wasserhahn entdeckt. Ein zufriedenes Lächeln huscht über seine Lippen, als sich das Waschbecken in Bewegung setzt und ein Loch, einen Tunnel im Boden freilegt. Seine Suche hat sich zuletzt gelohnt.

Nach einigen Flüchen, die nach versteckten Zaubern suchten, lässt er sich die Röhre hinabgleiten und landet auf unebenen, steinigen Boden. Ein Gang aus rauem Stein taucht vor ihm auf, nachdem er seinen Zauberstab erleuchtet. Neugierig, aber vorsichtig setzt er sich in Bewegung. Immer wieder sieht er die Knochen kleiner Tiere vor sich auf dem Boden verstreut, Hautfetzen, die eindeutig zu einer Schlange gehörten. Vorsichtig bückt er sich nach einer einzelnen Schuppe und zerreibt sie in seinen Händen. Die Haut ist alt und pöros, die Schuppe so riesig, dass ihm nur ein magisches  Tier einfällt, dass nicht nur ein hohes Alter erreicht, sondern auch Schlangenhaut besitzt. Ein Basilisk.

Freudige Erregung pulsiert durch seine Adern und erfüllt ihm mit einem Gefühl der Lebendigkeit, das ihm vollkommen fremd ist. Langsam lässt er die Schuppenreste auf den Boden fallen und setzt eifrig seinen Weg fort. Ein Basilisk, der König der Schlangen. Ein wahres Geschenk seines Vorfahren an seine Erben und er, Tom Riddle, hat die Kammer entdeckt und geöffnet. Er wird die Welt von nichtsnutzigen Schlammblütern befreien und Hogwarts, der erste Ort, der einer Heimat für ihn gleichkommt, ganz nach den Vorstellungen seines ehrwürdigen Ahnen gestalten.

Eine Tür verziert mit demselben verschlungenen Schlangensymbol wie der Wasserhahn versperrt ihm den Weg. Einen Moment lang nimmt er sich die Zeit und die schwere Tür zu betrachten, ehe er ihr den Befehl gibt sich zu öffnen. Die Tür öffnet sich langsam mit einen schleifenden Geräusch und gibt den Blick auf eine riesige Halle mit steinernen Säulen, dekoriert mit Schlangen frei. Sein Zauberstablicht erhellt nicht die Hälfte der Halle, weshalb er mehrere Feuerkugeln im Raum verteilt, welche das Ausmaß der Halle offenbaren. Ehrfürchtig betritt er den Raum. Seine Schritte hallen dumpf von der Decke wieder, als er sich hocherhobenen Hauptes und stolz der Statue des Kopfes Salazars nähert. Vor ihr bleibt er zögernd stehen. In den nächsten Minuten wird sich zeigen, ob sich seine Suche gelohnt hat oder nicht. Wenn er es nicht besser wüsste, würde er annehmen, dass er in diesem Augenblick Furcht verspürt. Furcht, dass der Basilisk längst tot ist, Angst, dass der Basilisk nicht seinem Befehl folgen wird, weil er nur ein Halbblut ist. Aber er hat sich noch nie vor irgendetwas gefürchtet und er wird heute nicht damit anfangen.

Der Mund Slytherins öffnet sich auf seinen Befehl hin und er stellt sich neben die Statur, schließt die Augen und lauscht auf das leiseste Geräusch in der sonst leeren Halle. Eine gefühlte Ewigkeit hört er nichts außer seinem Atem und das regelmäßige Schlagen seines Herzens, doch dann erklingt ein schleifendes, leises Geräusch von glatter Haut auf Stein. Der Basilisk lebt zu Toms großer Freude.

Jetzt muss er ihn sich nur noch Untertan machen.

 

Das war in seinem fünften Schuljahr 1943. Noch heute belächelt er die Auszeichnung für seine ach so heldenhafte Tat der Befreiung Hogwarts von dem unbekannten Monster. Dieser widerliche Halbriese Hagrid musste für seine Taten gerade stehen. Als wäre so ein Tölpel oder dessen unwürdigen Spinne dazu fähig heimlich und unbemerkt eine Schülerin zu töten. Auch wenn Myrte ein ungeplantes Opfer war, ein Verlust für die Zaubergemeinschaft ist sie keinesfalls. Eine Schande, dass sie als Geist hier geblieben ist, aber sie war schon immer dumm, sogar zu dumm zum Sterben wie sie ganz Hogwarts bewies.

Schon vor Myrtes Tod hat der Basilisk Angst verbreitet und Schüler verletzt. Vielleicht hat er sich mehr als einmal gewünscht, dass die Schüler alle gestorben wären, da keiner von ihnen es würdig war die Nutzung von Magie zu erlernen, doch sein erster erfolgreicher Mord, ungeplant, aber erfolgreich, zog beinahe die Schließung Hogwarts nach sich und beendete somit seinen Rachefeldzug. Unter keinen Umständen hätte er in das Waisenhaus zurückkehren wollen. Was also blieb ihm außer einen anderen Schuldigen zu finden? Außer ihm kann niemand die Wahrheit beweisen und wenn Dippet Hagrid genug Intelligenz zu schreibt, um so lange unbemerkt die Schule zu verängstigen soll es ihm recht sein. Nur Dumbledore schien ihm nicht zu glauben und die Acromatula für unschuldig zu befinden. Deswegen ließ er seinen Einfluss auf Dippet wirken, damit Hagrid auf Hogwarts bleiben darf, wenn auch nicht als Schüler, sondern als Lehrling des Wildhüters Mr Ogg.

Tom schnaubt abfällig bei dem Gedanken an Hagrid. Dippet hätte gutes daran getan in ganz aus der Reichweite Hogwarts zu verbannen. Stattdessen verschleiert er Hagrids angebliche Taten und hilft ihm zu einer Ausbildungsstelle.

Mehr als Verachtung kann er für diesen Tattergreis nicht aufbringen.

Gemächlich macht er sich auf den Rückweg zu seinen Räumlichkeiten, die Erinnerungen an seine Mutter sind wieder in den letzten Winkel seines Gedächtnisses verbannt.

Kapitel 5

 

Der gesunde Verstand sagt uns, dass die Dinge der Erde nur sehr wenig Realität besitzen und dass es wahre Wirklichkeit nur in den Träumen gibt.

Charles Baudelaire

 

Zufrieden betrachtet er die Große Halle. Die Dekorationen sind genauso angebracht wie er es vorgegeben hat und die Schüler um ihn herum sind in bester Stimmung. Dippet wird ihn wie immer mit Dank für seine großartige Planung überschütten.

Kürbisse schweben unter der Decke, Fledermäuse fliegen durch die Halle, die Gänge sind mit Spinnenweben verziert, die Rüstungen kichern schaurig und klappern in der Nähe von Schülern, Krähen kreischen unheilvoll in den Innenhöfen, Ratten, die so verzaubert sind, dass sie nach dem Fest in den Verbotenen Wald zurückkehren, huschen über den Boden und Totenköpfe beherbergen viele der Nischen Hogwarts. Nicht zu vergessen sind die Schrumpfköpfe, die Blutspritzer, die im Laufe des Tages und der Nacht hier und dort von Schülern entdeckt werden und Leichenteile, die in dunklen Gängen verteilt sind. Oh ja, er hat sich viele unheimliche Dinge einfallen lassen, um seine Mitschüler in Angst und Schrecken zu versetzen. Sogar eine Inferiillusion macht den dritten Stock unsicher.

Und wofür das alles? Um einen senilen alten Direktor zufrieden zu stellen, damit der Tattergreis ihm jede Lüge von den Fingern leckt.

Sein Blick gleitet über die Schülerschar, bleibt für einen Moment an einer bestimmten Ravenclaw hängen, bis er es selbst bemerkt, bevor er sich an seinen üblichen Platz am Slytherintisch niederlässt.

„Gute Arbeit, Riddle“, begrüßt ihn Abraxas Malfoy neben dem er sich niedergelassen hat.

Riddle nickt ihm zu. Malfoy hat einfach zu viel Macht, um ignoriert zu werden. Noch ist er nicht mächtig genug, um seine Anhänger so zu behandeln wie sie es wert sind. Selbstverständlich bestraft er sie, wenn sie nicht nach seinen Vorstellungen gehandelt haben, aber in der Öffentlichkeit, unter den observierenden Augen Dumbledores behandelt er seine Schulkameraden wie die gesellschaftlichen Konventionen es vorgeben. Höflich, aber immer mit der nötigen Distanz, damit allen bewusst ist, dass er besser ist, als sein Gegenüber. Besser, als jeder andere in dieser Schule und in der ganzen weiten Welt. Und eines Tages wird er sie beherrschen.

 

Sie liebt Halloween einfach. Die Dekoration, die fröhliche Stimmung und die Vorfreude auf das abendliche Fest für die oberen Jahrgänge versetzen sie in solch gute Laune, dass es noch niemand geschafft hat, diese zu trüben. Sie liebt Feiertage generell. Das Essen, die Gerüche, die Dekorationen und vor allen Dingen die Stimmung.

Betrachtet sie die große Halle diesen Morgen wird sie an einen summenden Schwarm Bienen erinnert. Oder an ihre selig verstorbene Großtante mit ihren Freundinnen beim sonntäglichen Kaffee und Kuchen in Großformat.

 Alle reden trotz der frühen Stunde wild durcheinander, einzelnes Gelächter tönt immer wieder über das dauerhafte Geschnatter Schüler hinaus und die Halle ist einfach nur großartig dekoriert.

Von der Stimmung angesteckt huscht ein Lächeln über ihr Gesicht, als sie zu ihren Freundinnen geht und sich zu ihnen an den Tisch setzt.

„Guten Morgen“, begrüßt Maggie sie singend und mit einem breiten Grinsen im Gesicht. „Heute gibt es Pfannkuchen! Ich liebe Pfannkuchen.“ Demonstrativ schiebt sie sich eine gefüllte Gabel in den Mund. „Es gibt sogar Schokoladencreme dazu.“

„Ich sehe es“, gibt Emi schmunzelnd zurück, greift nach einer Servierte und wischt die eben erwähnte Schokoladencreme aus Magaras Mundwinkel.

„Danke.“ „Gern geschehen.“ Emi setzt sich neben ihre Freundin, nimmt sich einen Pfannkuchen und belegt ihn mit Obstsalat und Schokoladencreme. „Ich liebe Feiertage.“ „Ja, die Hauselfen übertreffen sich in der Küche an Festtagen immer selbst“, stimmt ihr Abbygayle zu.

Genießerisch schließt Emi die Augen, als der süße Teig mit den Früchten und der Schokolade ihre Geschmacksknospen bestürmen. Schade, dass sie nicht einfach den ganzen Tag sitzen bleiben kann, um erst zu frühstücken bis es Mittagessen gibt und dann Reste essend auf das Abendessen warten kann. Das wäre ein idealer Feiertag in ihren Augen.

Maggie stießt sie leicht in die Seite um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. „Ich hab dich noch gar nicht gefragt, wer dein Date heute Abend ist.“

„Ich hab keins“, antwortet sie ihr gelassen, nachdem sie geschluckt hat und nimmt schnell ein weiteres Stück in den Mund. Magara sieht sie entgeistert an, sogar Phoebe hebt den Kopf und schenkt ihnen ihre Aufmerksamkeit.

„Wieso hast du kein Date? Wurdest du nicht gefragt?“

Genervt verdreht sie die Augen. „Doch Maggie, aber von keinem mit dem ich auf die Feier hätte gehen wollen.“

„Mit wem hättest du denn gehen wollen?“, erkundigt sich Abbygayle. Kurz hält Emi in ihren Bewegungen inne. Ja, mit wem hätte sie denn gehen wollen? Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, muss sie sich eingestehen, dass sie jeden abgelehnt hätte. Von dieser Erkenntnis überrascht lässt sie die Gabel sinken. Sie hat echt nette, intelligente, junge Männer in ihrem Jahrgang mit denen sie gut zurechtkommt, warum wollte sie mit keinen von ihnen heute Abend auf das Fest gehen? Stimmt etwas nicht mit ihr? Da sie keine Antwort hat, zuckt sie mit den Schultern und isst weiter, um nicht reden zu müssen. „Kennen wir ihn?“, fragt Maggie sofort aufgeregt nach. „Ist er in unserem Jahrgang? In Ravenclaw?“

Emi schüttelt den Kopf. „Es gibt niemanden mit dem ich hätte hingehen wollen.“ Ungläubig sieht Magara sie an. „Niemanden?“

„Niemanden“, bestätigt sie.

Phoebe hebt erstaunt eine Braue, bevor sie sich wieder dem Propheten widmet. Emi wirft ihr noch einen kurzen resignierten Blick zu, bevor sie schweren Herzens den Frühstückstisch vorzeitig verlässt, um den Fragen ihrer anderen beiden Freundinnen zu entgehen. Eine handvoll Beeren hat sie trotzdem mitgenommen.

 

Kichernd stehen die vier Freundinnen im gemeinsamen Schlafsaal und machen sich für die Halloweenparty fertig. Maggie verkleidet sich als Víla, Abby geht als Vampir und Phoebe als Artemis.

Emi hat sich von ihrem Vater das alte Hochzeitskleid ihrer Mutter schicken lassen, um sich als Zombiebraut zu verkleiden. Vor zwei Jahren hatte sie eine damalige Siebtklässlerin in einem ähnlichen Kostüm gesehen und es hatte ihr so gut gefallen, dass sie es in ihrem letzten Jahr kopieren will.

Zärtlich streicht sie über die feine Spitze, die ihre Arme umhüllt. Die wird sie ganz lassen, nur den Rest des Kleides wird sie an manchen Stellen zerreißen und mit Erde und Gras zerstören, die Hauselfen, so hofft sie, werden den Schmutz wieder herauswaschen.

Maggie hat ihr eine Kunstvolle Hochsteckfrisur gesteckt, nur damit Emi sie zerzausen kann. Im Moment schminkt sie sich blass und modelliert falsche Wunden auf ihren Körper. Alles in allem betrachtet, ist sie sehr zufrieden mit ihrem Kostüm.

„Bist du bald fertig?“ Maggie taucht unerwartet hinter ihr im Spiegel auf.

„Ich denke schon“, antwortet Emi mit einem kritischen Blick in den Spiegel.

„Du siehst toll aus“, lobt Abby sie, nachdem Emi sich umgedreht hat.

„Dankeschön“, lächelt Emi.

„Ich kann absolut nicht verstehen, warum du alleine gehst“, meint Phoebe und rümpft die Nase. „Sind dir die Jungs nicht gut genug oder wo liegt dein Problem?“

 „Du weißt ganz genau, dass es nicht daran liegt“, zischt Magara zurück.

Und damit liegt sie nicht einmal falsch, Hogwarts hat einige attraktive und intelligente Schüler vorzuweisen und Emi ist sich dieser Tatsache sehr wohl bewusst. Ihr Problem liegt eindeutig in einer schlechten Erfahrung mit der Männerwelt. In einer schlechten Erfahrung mit ihrem jetzt Exfreund um genau zu sein. Graham Rosewell, ein Ravenclaw aus ihrem Jahrgang, und Emi waren über ein Jahr, bis zur Mitte der sechsten Klasse, ein Paar, dann hat sie ihn dabei erwischt wie er sie mit einer zwei Jahre jüngeren Hufflepuff betrogen hat. Danach war er für sie gestorben. Er und die ganze Männerwelt.

„Kommst du Emi?“ Abbygayle steht wartend in der Tür.

„Sofort.“ Noch einmal wirft sie einen Blick in den Spiegel, bevor sie ihrer Freundin in den Gemeinschaftsraum folgt, wo sich die ersten Paare bilden. Maggie steht bereits bei Jacob, der sie mit bewundernden Augen anblickt. In diesem Moment hätte man ihn mit einem liebestollen Hufflepuff verwechseln können wie Emilienne fand. Der Gedanke lässt sie kurz belustigt die Mundwinkel heben,  ehe sie sich zu ihren Freunden stellt, dabei freut sie sich für ihre Freundin. Abby trifft ihren Partner erst in der Eingangshalle, da er aus Gryffindor kommt, wohingegen Phoebe sich mit dem ihr unliebsamsten Menschen der Welt verabredet zu haben scheint, wie Emi entsetzt feststellt. Für einen Moment entgleisen ihr ihre Gesichtszüge, bevor sie ein Lächeln aufsetzt.

Sie konnte es nicht fassen. Phoebe trifft sich mit Graham? Diesem Betrüger? Ist sie von Sinnen? Wie konnte sie ihr das nur antun. Emis Feierlaune schwindet vollkommen. Maggie starrt Phoebe wütend an und Abby tritt verlegen von einem Fuß auf den anderen.

„Gehen wir runter“, schlägt Emi so neutral wie möglich vor.

„Nichts lieber als das“, gibt Maggie knurrend zurück. Jakob wirft ihr einen verdatterten Blick zu, tut ihre Stimmung aber mit einem Schulterzucken ab. Er weiß, dass sie nicht mit ihm zu dem Fest gehen würde, wäre er das Ziel ihres Grolls und an ihre Stimmungen hat er sich längst gewöhnt.

Phoebe scheint wohl zu merken, dass sie und ihre Begleitung unerwünscht sind, denn sie lässt sich auf ihren Weg nach unten zurückfallen und löst sich von der Gruppe. Emi ist das nur recht, sie kann sich besseres vorstellen, als den ganzen Abend über mit Graham an einem Tisch verbringen zu müssen. Für einen kurzen Moment bereut sie es doch jeden potentiellen Begleiter abgewiesen zu haben, der könnte sie immerhin von diesem unmöglichen Duo ablenken. Sie würde sogar eine ganze Nacht auf der Tanzfläche in Kauf nehmen, trotz vorprogrammierter Fußschmerzen.

Abby lächelt Emi noch einmal mitleidig an, bevor  sie sich auf die Suche nach ihrem Date macht. Emi folgt Maggie bereits in die große Halle, wobei sie sich wie das dritte Rad am Wagen fühlt, obwohl sie ihrer Freundin ihr Glück gönnt und hofft, dass es mit den beiden funktionieren wird.

In der Halle angekommen setzen sich die drei an einen der kleinen runden Tische, die rund um eine freie Fläche in der Mitte aufgestellt worden waren und beobachten das Treiben der wachsenden, wild kostümierten Schülerschar.

Nach einiger Zeit kommt auch Abby mit ihrem Partner zu ihnen zurück, der echt nett zu sein scheint.

Sobald alle Schüler und Lehrer anwesend sind, steigt das Schulsprecherpaar auf ein Podest, um die die Schüler zu begrüßen und das Fest zu eröffnen.

Die Schulsprecherin Catherine Greenwood hat sich als Waldnymphe verkleidet, Riddle hingegen scheint einer der vielen Vampire zu sein, zumindest trägt er einen simplen schwarzen Umhang über einem weißen bauschigen Hemd. Was sollte er sonst darstellen? Emi musste sich selbst eingestehen, dass er trotz der Einfachheit seines Kostüms immer noch gut aussieht, zumindest gut genug, um einige Schülerinnen dazu zubringen ihn verträumt anzusehen, als er auf die Tanzfläche schreitet, um mit Catherine den Tanz zu eröffnen.

Nach und nach strömen immer mehr Paare auf die Tanzfläche, auch Maggie und Abby verlassen den Tisch, was Emi als Anlass dafür nimmt sich dem Buffet zu widmen.

Sogar die Lebensmittel sind so gruselig angerichtet wie nur möglich, weshalb sie sich für eine vegetarische Zusammenstellung entscheidet.

Mit ihrem Essen kehrt sie an ihren Tisch zurück, um die Tanzfläche beobachten zu können. Sie will diesen Abend einfach genießen und keiner, nicht einmal Phoebe mit Graham, wird ihr das vermiesen.

Eine Weile beobachtet sie noch die Tanzfläche bis sie von einem anderen Siebtklässler, den sie vom Sehen her kannte, zum Tanz aufgefordert wurde. Mehrere Lieder tanzen sie schweigend miteinander, dann stand plötzlich seine Begleitung vor uns und fordert seine Aufmerksamkeit zurück.

Eindeutig besser gelaunt als vorher verlässt Emi die Feier und steigt zum Astronomieturm hinauf. Zugegeben, nach der ersten Hälfte der Strecke zieht sie ihre Pumps aus, aber mal ehrlich, wer läuft freiwillig all die Treppen in hochhackigen Schuhen hoch?

 Oben angekommen lehnt sie sich gegen die Steinmauer und sieht in die Sterne. Es ist eine unglaublich klare Nacht. Die Sterne funkeln am mattschwarzen Himmel, der beinahe fließend in die dunklen Schatten des Verbotenen Waldes übergeht. Ein leichter Wind tanzt über ihre Haus, die nur spärlich von der Spitze an ihren Armen bedeckt wird. Obwohl es für Schottland ein relativ milder Herbst ist, breitet sich eine Gänsehaut auf ihren Armen aus. Emi scheint das nicht einmal zu merken. Verträumt blickt sie in die weite Ferne, auf einen Punkt, den nur sie zu sehen scheint. Betrachtet sie die Schönheit der Natur oder schwebt ihr Verstand in ganz anderen Sphären? Was auch immer ihre Gedankenwelt einnimmt, es scheint sie so gefangen genommen zu haben, dass sie den schwarzen Schatten, der sich ihr langsam von hinten nähert nicht bemerkt.

Tief atmet sie aus und schließt die Augen. Sie genießt die Ruhe. Die Ruhe der Welt um sich herum und die friedliche, tiefe Ruhe, die ihr Innerstes erfasst hat. Nichts könnte sie jetzt aufregen oder durcheinander bringen, nicht einmal-

„Guten Abend.“

Erschrocken reißt Emi die Augen wieder auf und dreht sich um. Nicht einmal Tom Riddle.

Kapitel 6

 

Blumen können nicht blühen ohne die Wärme der SonneMenschen können nicht Mensch werden ohne die Wärme der Freundschaft.

Phil Bosmans

 

„Riddle“, grüßt sie distanziert zurück.

„Eine wunderschöne Nacht, nicht wahr?“

Emi schnaubt abfällig und dreht ihm wieder den Rücken zu. „Was machst du hier Riddle?“

„Na, na, Miss Sullivan, man beantwortet eine Frage nicht mit einer Gegenfrage. Hat deine Mutter dir das nicht beigebracht?“ „Meine Mutter ist tot, Riddle.“

„Mein Beileid.“ „Wir wissen beide, dass das eine Lüge ist.“

Schweigend tritt er neben Emi an die Brüstung. „Was machst du hier Riddle?“ In ihrer Stimme schwingt ein schwacher Hauch von Resignation und Akzeptanz mit.

„Ich war neugierig.“ „Neugierig worauf?“ Fragend sieht sie ihn an. Sie hat ihn oft genug beobachtet um zu wissen, dass er nichts tut oder sagt ohne einen Hintergedanken zu haben. Es ist kein Wunder, dass ihre Skepsis von Sekunde zu Sekunde wächst.

„Du interessierst dich für Schwarze Magie.“ Erschrocken sieht sie zu ihm auf.

„Du hast mich beobachtet“, keucht sie auf.

„Ich hab Dinge über dich in Erfahrung gebracht.“

„Was willst du, Riddle?“

Schweigend bleibt er neben mir stehen und starrt in die Nacht hinaus. Anfangs behält sie ihn im Auge und beobachtet sein regloses Gesicht, doch nach einiger Zeit gewöhnt sie sich an seine Gegenwart und schaut selbst wieder in die Nacht hinaus.

„Musst du nicht zu deiner Begleitung zurück, Riddle?“

„Ich  bin keinerlei Verpflichtungen ihr gegenüber eingegangen.“

„Du bist merkwürdig, Riddle“, teilt sie ihm kopfschüttelnd mit.

 

 

Ein feines Lächeln ziert sein Gesicht. Er kann es sich selbst nicht erklären, aber irgendwie ist sie ihm sympathisch. Ihr weißes Kleid umschmeichelt ihre Figur und lässt sie aus der Menschenmenge herausstechen. Den ganzen Abend über hat er sie beobachtet. Ich Bewegungen, ihre Mimik, alle kleine Gesten, die einem so viel über sein Gegenüber sagen. Sobald sie den Saal verlassen hatte, musste er ihr einfach folgen.

„Wie gefällt dir der Halloweenball?“

„Du hast herausragende Arbeit geleistet, aber das weißt du selbst. Nicht wahr, Riddle?“ Herausfordernd blickt sie zu ihm auf. Er mag es, dass sie ihn herausfordert. Alle anderen gehorchen sofort seinem Befehl, versuchen ihn zufrieden zu stellen und beten ihn förmlich an. Sie nicht. Sie bemüht sich nicht um seine Gunst. Selbst jetzt nicht, wo er sie nach all den Jahren wahrgenommen hat.

Seine Augen gleiten über ihr Gesicht. Auf den ersten Blick ist es nicht besonderes. Keine prägnanten Wangenknochen, recht kurze Wimpern und blasse Lippen. Doch wenn man sich die Zeit nimmt genauer hinzusehen, fallen einem die feinen Sommersprossen auf ihrer Stupsnase auf oder die dunklen Sprenkel in ihren blauen Augen, die ihn im Moment belustigt anfunkeln. Eine stumme Herausforderung liegt in ihrem Blick. Wozu sie ihn herausfordert weiß er nicht. Am Ende weiß sie es nicht einmal selbst. Allerdings wurmt es ihn nicht zu wissen, was sie denkt. Normalerweise fällt es ihm nicht schwer in Menschen hineinzusehen, doch sie weckt sein Interesse. Was geht in einem Mädchen wie ihr vor? Könnte sie ihm und seinen Plänen in die Quere kommen?

Ihre offensichtliche Neugierde den Dunklen Künsten gegenüber hat seine Wachsamkeit geweckt. Wie konnte sie all die Jahre unter seinem Radar bleiben? Das ist ihm äußerst suspekt. Sie ist ihm äußerst suspekt.

„Gut erkannt, Sullivan.“

„Du musst mit mir keinen höflichen Smalltalk betreiben“, teilt sie ihm unverblümt mit. Nun dreht sie sich komplett zu ihm herum, beugt sich nach vorne und stellt sich auf die Zehenspitze bis ihr Mund direkt neben seinem Ohr ist und ihr warmer Atem kitzelnd über seine Haut streicht. „Ich sehe dich, Tom. Du kannst dir das Versteckspiel sparen“, haucht sie ihm ins Ohr. Sie wirft ihm noch einen durchdringenden Blick zu, bevor sie sich umdreht und mit ihren Schuhen in der Hand auf den Ausgang zustrebt. „Gute Nacht, Riddle.“ Er lässt sie gehen. Mit der Gewissheit, dass ihr gemeinsames Spiel gerade erst begonnen hat, folgt er ihr kurzdarauf die Treppe hinab um sich selbst ins Bett zu begeben. Morgen nachdem Unterricht wird er sie wieder ansprechen. Noch nie  hat ihn ein anderer Mensch interessiert. Er kann das nicht gebrauchen. Sie sind nicht gut genug für ihn. Also wird er sich solange mit ihr beschäftigen, bis er genug von ihr hat und vielleicht darf sie sich danach seinen Anhängern anschließen. Bis dahin wird er sich alle Mühe geben um ihr Vertrauen zu gewinnen. Vielleicht verrät sie ihm ja, wie sie es geschafft nicht mehr aus seinem Kopf zu verschwinden. Wenn es ein Zauber ist, ist er Untersuchungs- und Aufhebungszauber resistent. Das wäre ein wahres Meisterwerk der Magie und noch ein Grund mehr sie in seinen Reihen aufzunehmen. Eigentlich zweifelt er an dieser Möglichkeit.

Aber wie sonst konnte sie seine Aufmerksamkeit fesseln?

Sie ist gewöhnlich. Unscheinbar. Wieso geht sie ihm nicht aus dem Kopf?

Das letzte Mal, als eine Frau nicht aus seinen Gedanken verschwinden wollte, ist lange her. Und vollkommen berechtigt in seinen Augen. Er kam gerade nach Hogwarts und gab die Suche nach seinem vermeintlich magischen Vater auf. Er wollte wenigstens der Möglichkeit nachgehen, dass seine Mutter eine Hexe war.

Es war unmöglich in seine Augen. Seine Mutter konnte nicht magisch sein. Wieso sonst hätte sie ihn unter Muggeln lassen sollen? Wieso sonst konnte sie bei der Geburt sterben? Sie musste eine Muggel sein. Anders konnte er es sich nicht erklären. Und seinem Vater hat sie wohl nie gesagt, dass sie schwanger war oder er ist vor seiner Geburt gestorben, sonst hätte er ihn sicherlich zu sich geholt und groß gezogen, wie es Väter für gewöhnlich tun. Eine andere Möglichkeit konnte es nicht geben.

Nach Jahren schöpfte er zum ersten Mal Hoffnung, dass sein ganzes Leben auf einem Missverständnis basiert und sein Vater ihn nicht einfach dem Waisenhaus überlassen hatte. Das die letzten elf Jahre seines Lebens einfach ein Missverständnis waren. Einen Anhaltspunkt hatte er ja. Er kann mit Schlangen sprechen. Dumbledore sagte, dass das selbst für einen Zauberer besonders sei und oft in der Familie läge. Also musste er nur nach Familien mit Parselfähigkeiten suchen, nicht? Doch er fand keine mit dem Namen Riddle. Auch keinen Tom. Hatten die Erzieherinnen im Waisenhaus ihn angelogen? War er gar nicht nach seinem Vater benannt? Er begann jetzt nach dem Namen Vorlost zu suchen. Der Name seines Großvaters.

Und tatsächlich. Nach langer Suche fand er ihn. Vorlost. Vorlost Gaunt.

Sein Großvater und Erbe Slytherins.

Er fand die Information in einem Buch über reinblütige Familien. Seine Mutter war eine Hexe. Er konnte es nicht fassen. Sollte sein Vater ein Muggel sein? Ein räudiger Muggel. Für Tom brach die Welt erneut zusammen. Tausende Scherben, Scherben der Hoffnung lagen um ihn herum und schnitten ihn blutig. Das war der Moment in dem er sich schwor nie wieder zu hoffen. Nie, nie wieder an die Liebe zu glauben. Denn seine Eltern konnten ihn nicht geliebt haben. Sonst würde seine Mutter noch leben. Sonst wäre er bei seinem Vater groß geworden.

Schon einmal war er an diesem Punkt in seinem Leben. Doch jetzt, in dieser neuen Welt hatte er das Träumen wieder zugelassen. Das Träumen von einer besseren Welt. Von einem magischen Vater, der ihn jetzt aus dem Waisenhaus befreit hätte. Weg von den Muggeln. Weg von ihrem Krieg.

Es konnte keine Liebe geben. Die Liebe ist eine Illusion, eine Illusion der Schwachen. Und er ist nicht schwach. Er braucht keine Liebe. Er braucht nur sich allein.

Erschöpft schließt er die Augen und genießt die Stille des leeren Raumes um ihn herum. Ein eigenes Schlafzimmer ist ein unglaublich praktischer Luxus, den er immer wieder zu schätzen weiß. Niemand kann ihn mehr in seinem Schlaf stören. Niemand schnarcht, brabbelt oder schmatzt mehr neben ihm. Es ist sein Zimmer. Und keine kleine Kaschemme wie im Waisenhaus, kein Schlafsaal wie bei den Slytherins im Keller. Es ist groß und geräumig, er hat sogar sein eigenes Bad. Am liebsten würde er für immer in Hogwarts bleiben.

 

 

Am nächsten Morgen scheucht Emi die laut protestierende Maggie und die grummelige Abby aus ihren Betten.

„Wer feiern kann, kann auch die Konsequenzen tragen“, schmetterte sie ihnen noch entgegen, bevor sie mit einem letzten abschätzigen Blick auf das leere Bett von Phoebe den Schlafsaal verlässt um sich ihr wohlverdientes Frühstück zu genehmigen. Die Vettel kann ihr doch egal sein. Schleimkröte. Soll sie doch sehen wo sie bleibt. Auf sie kann sich Phoebe jedenfalls nicht verlassen. Zu ihr soll sie nicht gerannt kommen, wenn er ihr das Herz bricht. Das ist nicht ihr Problem.

 

„Hallo Riddle“, begrüßt sie ihn ohne die Miene zu verziehen und legt die Feder beiseite. „Brauchst du etwas?“ Fragend hebt sie eine Augenbraue.

„Darf ich mich setzen?“ Charmant lächelt er sie an.

„Sicher“, antwortet sie schulterzuckend. Die Bibliothek gehört ihr ja nicht alleine und wenn er unbedingt an ihrem Tisch sitzen muss, wird sie sich nicht beschweren. Immerhin ist er ein stiller Arbeiter und keine Störung.

Eine Zeitlang arbeiten sie wirklich schweigend nebeneinander her. Beide vertiefen sich in ihre Aufsätze und vergessen die Gegenwart des Gegenübers. Doch irgendwann ist jeder mit den Hausaufgaben fertig.

„ Was hältst du vom  Oculus cedidie?“

„Bitte wie?“ Erschrocken reißt sie den Kopf hoch. Hat sie sich verhört? Riddle fragt sie nach ihrer Meinung über einen Zauber? Einen Folterfluch um genau zu sein.

„ Was hältst du vom  Oculus cedidie?“, wiederholt er geduldig seine Frage.

„Bist du irre? Was soll diese Frage?“, fährt sie ihn zornig an. Was will er von ihr? Will er, dass sie von der Schule geschmissen wird? Keiner von beiden sollte den Fluch kennen. Will er sie ankreiden? Sich über sie lustig machen? Wütend packt sie ihre Sachen zusammen und springt auf.

Weit kommt sie allerdings nicht. Mit einem festen Griff hält er ihr Handgelenk fest und zieht sie schmerzhaft an den Tisch zurück. Langsam richtet er sich auf und baut sich vor ihr auf.

„Mitkommen“, zischt er ihr entgegen, stößt ihre Hand von sich weg und verlässt mit einer Aura der Autorität die Bibliothek.

Mistkerl, denkt sie bei sich und folgt ihm widerwillig. Widerspruch wäre zwecklos.

„Wohin gehen wir?“

 

 

Das wüsste er auch gerne. Er hat vollkommen instinktiv gehandelt. Äußerst untypisch für ihn, aber da Rückzug ihm noch mehr widerstrebt, es sei denn, der Rückzug ist strategischer Natur und dient lediglich dem Kräftesammeln vor dem Sturm, wird er seine Handlungskette fortsetzen. Im Moment dominiert er ihr Intermezzo und er wird es auch nicht anders enden lassen.

In einem recht unbekannten Geheimgang bleibt er endlich stehen und dreht sich zu ihr um.

„Hör zu Sullivan. Ich weiß, dass du dich mit schwarzer Magie beschäftigst.“ Er macht einen Schritt auf sie zu, sodass er direkt über ihr aufragt und sie den Kopf in den Nacken legen muss, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Ihre blauen Augen funkeln ihn mit einer Mischung aus Vorsicht und Trotz an. „Ich weiß, dass du dich von ihr angezogen fühlst, ich weiß, dass sie dich reizt, dass du sie liebst, dass du ihre Macht gespürt hast und nicht genug bekommst. Du bist süchtig nach dem Gefühl, dass sie in dir auslöst.“

„Was weißt du schon, Riddle!“, faucht sie ihn an.

„Genug um zu wissen, was in dir vorgeht! Sei dir einfach gewiss, dass ich dich nicht mehr aus den Augen lassen werde, Sullivan“, teilt er ihr mit stählernem Blick fest und verlässt mit energischen Schritten den Gang.

 

 

Nachdenklich lässt sie sich gegen die Wand fallen und sieht ihm mit starrem Blick nach. Er weiß gar nichts. Nichts weiß er!

Und doch zu viel.

Was weiß er schon davon, was es heißt seine Mutter zu verlieren, dieser Reinblutschnösel, was weiß er schon davon? Wie kann er es wagen über sie zu urteilen ohne etwas über sie zu wissen? Ohne zu wissen, was in ihr vorgeht? Gut, sie hatte ihm erzählt, dass ihre Mutter gestorben war, aber nicht wodurch. Sie könnte auch an Drachenpocken oder im Kindsbett gestorben sein. Dass sie im Kampf gefallen ist, kann er nicht wissen. Er kann nicht wissen, dass sie begonnen hatte sich für die schwarze Magie zu interessieren, als ihre Mutter starb um nicht genauso zu enden. Wehrlos.

Was weiß er schon? Und was interessiert sie seine Meinung? Es ist Riddle bei Merlin! Er hat ihr gar nichts zu sagen. Und am allerwenigstens wie sie sich fühlt.

Egal, wie richtig seine Einschätzung ist. Er hat ihr nichts zu sagen.

Was bildet er sich eigentlich ein?

Kapitel 7

 

Sei höflich zu allen, aber freundschaftlich mit wenigen; und diese wenigen sollen sich bewähren, ehe du ihnen Vertrauen schenkst.

George Washington

 

 

Nachdenklich setzt sie sich zwischen Abby und Magara an den Ravenclawtisch in der Großen Halle. Selbstverständlich geht ihr Riddle nicht aus dem Kopf. Wie auch, bei den Dingen, die er zu ihr gesagt hat.

Heute wird sie nichts zu Abendessen können. Zu bitter hängt ihr der Geschmack der aufkeimenden Angst noch auf der Zunge. Sie braucht dringend ihre Ruhe um nachzudenken. Aber erst heute Nacht, damit ihre Freundinnen keinen Verdacht schöpfen, dass etwas mit ihr nicht stimmt und sich am Ende Sorgen machen. Die UTZs und ihre eigenen Probleme sind genug, sie will sie nicht noch mehr belasten. Außerdem müsste sie ihnen erklären, warum Riddle hinter ihr her ist und das möchte sie nicht. Sie will nicht, dass Abby und Magara herausfinden, dass sie sich mit schwarzer Magie beschäftig. Sie will nicht, dass sie sich dann auch noch deswegen Sorgen machen. Oder Vorwürfe, weil sie nichts gemerkt haben und sie davon abhielten.

Dabei konnte sie davon gar nichts merken. Sie haben noch nie aneinander geklebt wie Gryffindors. Emi hat schon immer am liebsten alleine gelernt oder ist durch das Schloss gestreift. Woher sollten ihre Freundinnen denn wissen, dass sie diese freien Stunden seit einiger Zeit zum Erlernen schwarzmagischer Flüche und Tränke verwendet? Woher sollten sie wissen, wo sie sich aufhält? In der Bibliothek hat sie immer einen Ignorierzauber über sich gesprochen. Und in Raum der Wünsche ist sie erst recht unauffindbar. Woher hätten ihre Freundinnen wissen sollen, dass sie harmlose Schulbuchcover ausgetauscht hat um im Gemeinschaftsraum in ihre düsteren Lektüren einzutauchen? Nein, dass konnten sie nicht wissen. Nicht ahnen.

Seufzend nimmt sie sich einige kleine Kartoffeln und etwas von der Bratensoße, wenn sie ihr Essen zermatschen wird, wird niemand merken, dass sie nichts davon zu sich genommen hat.

„Du wirst mir nicht glauben, wer mich zum nächsten Hogsmeadewochenende eigeladen hat“, wendet sich Maggie an Emi.

„Irgendetwas verrät mir, dass du es mir gleich verraten wirst“, grinst Emi ihre Freundin an. Ablenkung ist jetzt genau das Richtige.

„Jacob“, quietscht sie und hüpft aufgeregt auf und ab.

Belustigt grinst Emi sie an. „Wann hast er denn das geschafft?“

„Heute nachdem Unterricht. Natürlich habe ich sofort ja gesagt.“

„Was auch sonst“, lacht Emi und freut sich wirklich für ihre Freundin. Sie hat Jacob lang genug nachgesehen und versucht seine Aufmerksamkeit zu erregen. Endlich scheint es geklappt zu haben.

„Wann ist eigentlich das nächste Hogsmeadewochenende?“, mischt sich Abby ein.

„Zweites Novemberwochenende“, antwortet Magara und leckt genüsslich ihren Schokopudding vom Löffel.

Eine Bewegung auf der anderen Seite unseres Tisches lässt sie aufblicken. Der sich ihnen bietende Anblick löst bei Emi augenblicklich einen Brechreiz aus. Phoebe in Begleitung von Graham nimmt ihnen gegenüber Platz.

Magara erstarrt in ihrer Bewegung, legt den Löffel weg und steht auf. „Komm wir gehen“, fordert sie Emi und Abby auf, die ihr widerspruchslos folgen. Am  liebsten würde Emi behaupten, dass ihre Gefühle aufgewühlt sind wegen Graham und Phoebe, aber das wäre gelogen. Eigentlich fühlt sie wegen den beiden gar nichts. Von Graham ist sie seit fast einem Jahr getrennt und dadurch, dass sie ihn eh ständig sehen musste, hat sie sich daran gewöhnt, dass sie nichts mehr miteinander verbindet. Und bei Phoebe weiß sie, dass sie nichts machen kann. Alles, was sie sagen könnte, würde Phoebe nur gegen sei aufbringen. Etwas, dass sie nicht will, obwohl es in ihrer Freundschaft schon länger kriselt. Solange sie sich mit ihr ein Zimmer teilen muss, will sie sich nicht mit ihr anlegen und nicht offiziell zerstreiten.

Immerhin waren sie mal sehr gute Freundinnen und Emi hegt immer noch die leise Hoffnung, dass sie es auch wieder werden können.

„Diese Miststück“, zischt Maggie und stürmt energisch auf die Haupttreppe zu.

Heimlich stimmt sie ihr zu, doch ihre rationale Seite konfrontiert sie mit Fakten und diese Fakten zeigen mir, dass unsere Reaktion eigentlich nicht angebracht ist.

Graham ist nicht mehr ihr Freund und Phoebe kann ihre eigenen Entscheidungen treffen. Es ist nicht einmal so, dass Phoebe und sie sich sehr nahe standen oder Emi nicht über ihn hinweg wäre. Um ehrlich zu sein, ist sie froh, dass es vorbei ist, dass das ganze Lügenspiel von ihm ein Ende genommen hat. Außerdem kann sie inzwischen nicht einmal mehr sagen, was sie an ihm fand. Er ist weder gutaussehend noch sportlich oder besonders charmant.

Ihr Problem ist weder Phoebe noch Graham. Ihr Problem geht viel tiefer. Ihr Problem ist das Gefühl, dass sein Betrug in ihr ausgelöst hat.

Sie hat sich so wertlos gefühlt, nicht liebenswert. Nicht genug. Nicht ausreichend.

War sie denn nicht gut genug? Nicht liebenswert genug?

Sie konnte einfach nicht verstehen, wieso ihr das passiert ist. Was sie falsch gemacht hat. Sie hatte den Grund bei sich gesucht und gefunden.

Sie hat sich selbst als minderwertig eingestuft und sich hinter einer sehr nützlichen Fassade versteckt.

Inzwischen weiß sie, dass es nicht an ihr lag, mal davon abgesehen, dass sie sich in den Falschen verliebte. Graham ist einfach kein guter Mensch. Er ist herablassend und arrogant und in keiner Weise liebevoll oder fürsorglich. Der Verlauf ihrer Beziehung stand schon fest, bevor sie überhaupt begann.

Magara stürmt immer noch mit einem Affenzahn auf den Gemeinschaftsraum zu, sodass Emi und Abby Probleme haben mit ihr mitzuhalten. Dabei ist Emi nur wenige Zentimeter kleiner als Maggie.

Magaras‘ Temperament und ihre gryffindorhafte Loyalität ihrer besten Freundin gegenüber scheinen mal wieder zugeschlagen zu haben. Wenn Emi nicht wüsste, wie fleißig und intelligent Magara ist, würde sie sich wundern, warum sie in Ravenclaw ist. Von ihrem ersten Eindruck her passt sie nämlich besser in das Haus der Löwen. Emi ist das nur Recht. Einem wird nie langweilig, wenn Maggie in der Nähe ist.

„Ich kann den Kerl nicht leiden“, hört man Magie leise meckern, der Rest des Satzes ist nur noch unverständliches Gemurmel. Amüsiert blickt Emi zu Abby, die augenverdrehend ihren Blick erwidert. Ihre beiden Freundinnen werden sich wohl nie verändern.

 

Mit reglosem Gesicht beobachtet Tom wie Sullivan hinter ihrer Freundin herrennt, die energischen Schrittes die Große Halle verlässt ohne ihr Dessert aufzuessen. Das Mädchen und der Junge, die sich ihnen gegenüber niedergelassen haben, blicken ihnen mit einem süffisanten Lächeln nach. Scheinbar scheinen Sullivan und ihre Freundinnen keinen gesteigerten Wert auf die Gegenwart der beiden zu legen. Tom wird gleich nach dem Essen einen seiner Anhänger darauf ansetzen herauszufinden, woran das Verhalten liegt. Umso mehr er über Sullivan weiß, desto besser.

 

Schneller als gedacht bekommt er die Lösung auf dem Silbertablett serviert. Die Verlobte von Malfoy liebt nichts mehr als den Klatsch und Tratsch innerhalb der Hogwartsmauern und kennt sich bestens in jedem Haus aus. Zumindest, was die Gerüchte anbelangt.

Graham Rosewell hieß der Kerl und ist offiziell ihr Exfreund. Und das Mädchen muss wohl eine Freundin von ihr sein. Oder auch nicht mehr Freundin. Das muss ich noch herausfinden. Das erklärt schon einmal, warum sie die beiden nicht sehen will, aber warum ist ihre Freundin davongestürmt und sie nur hinter her? Was hat Kutesa für ein Problem mit dem scheinbar neuen Paar?

An sich könnte es ihm egal sein. Sie könnte ihm egal sein. Nichts unterschied sie von anderen Schülern. Sie ist eine einfache unauffällige Ravenclaw.

Und doch hat sie sein Interesse gefesselt. Wie kann sie es wagen ständig in seinen Gedanken aufzutauchen? Wie kann sie es wagen überall wo sie auftaucht seine Aufmerksamkeit zu erregen? Er weiß es nicht. Das Einzige, was er weiß, ist das er sie nicht aus seinen Kopf bekommt. Er will dahinter kommen, warum sie ihn so in den Bann zieht.

Was macht sie so besonders?

 

Wenn Emi wissen würde, was im Kopf des Schulsprechers vor sich geht, hätte sie sich nicht mehr ohne die Begleitung ihrer Freundinnen irgendwohin begeben. Und wenn Emi sie mit aufs Klo genommen hätte. Riddle traut sie nämlich alles zu.

Aber sie weiß nicht, dass der Schulsprecher mit allen Mitteln versuchen wird Zeit mit ihr zu verbringen und das wenn möglich alleine.

Nichts ahnend geht sie, einige Tage nach ihrem abendlichen Zusammentreffen mit Phoebe und Graham in der Großen Halle, wie gewöhnlich in ihre Lieblingsecke der Bibliothek, um ihre Hausaufgaben zu erledigen. Lange bleibt sie allerdings nicht alleine.

Mit einem leichten Schaben auf den Holzdielen wird der zweite Stuhl am Tisch zurückgezogen, erschrocken blickt Emi auf, um den undurchdringlichen Blick von Riddle zu begegnen.

„Kann ich dir behilflich sein?“ Leicht genervt sieht sie ihn an. Kann er sie nicht einfach in Ruhe lassen?

„Nächste Woche ist Hogsmeadewochenende.“ „Und?“ Verwundert sieht sie ihn an. Das Licht der Kerzen tanzt auf seinem Gesicht und unterstreicht optisch seine mysteriöse Ausstrahlung. Seine hohen Wangenknochen scheinen ihre weichen Gesichtszüge gerade zu verhöhnen. Leicht verunsichert streicht sie sich die Strähne, die aus ihren Dutt gerutscht ist, hinter das Ohr. Er sieht viel zu gut für sein eigenes Wohl aus.

„Du wirst mit mir dort hingehen.“ Seine Stimme duldet keinen Wiederspruch.

„Bitte was?“ Entsetzt sieht sie ihn an. All ihre Unsicherheitsgefühle fallen von ihr ab, zu groß ist der Schock, um an irgendwelchen nichtigen Gefühle festzuhalten, an die sie sich viel zu sehr gewöhnt hat. Sie hat gewiss besseres zu tun, als mit einem arroganten Schnösel nach Hogsmeade zu gehen. Was soll sie denn ihren Freunden erzählen?

„Du hast mich schon richtig verstanden, Sullivan. Du begleitest ich am Samstag der nächsten Woche nach Hogsmeade.“ „Aber ansonsten geht es dir noch gut, Riddle? Ist dir schon mal in dem Sinn gekommen, dass ich schon etwas vorhabe?“

„Das wirst du absagen. Ich warte um elf auf dich am Eingangsportal. Sei pünktlich!“ Mit diesen Worten erhebt er sich geschmeidig  und verlässt ihr Blickfeld.

Perplex starrt sie auf die Stelle, wo sie ihn zuletzt gesehen hat. Hat Riddle sie wirklich nach Hogsmeade eingeladen? Ja, eindeutig. Dabei ist einladen wohl der falsche Begriff. Er hat sie noch Hogsmeade als seine Begleitung befohlen, trifft es wohl eher.

Nachdenklich beißt sie sich auf die Lippe. Er sieht ja schon gut aus und wenn er will, kann er richtig charmant sein.

Von ihren eigenen Gedanken irritiert schüttelt sie den Kopf. So etwas sollte sie gewiss nicht von diesem Slytherin denken. Sie weiß, dass er nicht gut ist und viel zu kalt, um irgendetwas zu tun ohne einen Hintergedanken zu haben. Sein schönes Gesicht ist nur Fassade. Emi ist sich ziemlich sicher, dass seine Seele nicht halb so makellos ist.

Doch sie weiß, dass sie ihm eh nicht entkommen wird. Wenn Riddle etwas möchte, dann bekommt er das auch. Am besten wartet sie einfach ab, bis er kein Interesse mehr an ihr hat. Jetzt muss sie nur noch Abby absagen.

 

„Abby?“ „Hm?“ Fragend sieht sie zu Emi auf, die vor ihren Sessel steht.

„Ich kann nächste Woche nicht mit dir nach Hogsmeade gehen, tut mir leid.“ Entschuldigend sieht sie Abby an.

„Date?“, fragt diese nur, ohne einen Funken Kränkung in ihren grauen Augen.

„Nicht wirklich“, druckst Emi herum, da sie nicht genau weiß, wie sie ihre Verabredung mit Riddle nennen soll. „Ich weiß selbst nicht genau wie und vor allem warum er mit mir nach Hogsmeade möchte.“ „Wer eigentlich?“ Neugierig sieht Abby sie an. Abby war noch nie nachtragend, trotzdem hat Emi ein schlechtes Gewissen ihrer Freundin gegenüber. Sie hasst es Verabredungen abzusagen.

„Niemand von Bedeutung“, versucht Emi auszuweichen. Abby zieht ihre linke Augenbraue hoch.

„Ein Slytherin“, gibt Emi resigniert zu und setzt sich auf Abby Sessellehne, nachdem sie Abbys rotgetigerte Katze verscheucht hat.

„Und du weißt nicht, was du von ihm halten sollst“, stellt Abby fest und bindet sich ihren Pferdeschwanz neu zusammen.

Ratlos zuckt Emi mit den Schultern. Sie weiß schon, was sie von ihm halten soll. Aber nicht, was sie von ihm halten will. Das sind zwei paar unterschiedliche Schuhe.

Sie weiß noch nicht was sie von ihm hält. Sie weiß es wirklich nicht. Auf der einen Seite ist er der beliebte, gutaussehende Schulsprecher, der mit seiner charmanten Art jeden für sich einnehmen kann, Dumbledore ausgeschlossen, und auf der anderen Seite ist er einfach Riddle. Ein Kerl, der mich bedroht, verfolgt und alles andere als zuvorkommend ist. Trotzdem ist er ihr nicht gänzlich unsympathisch.  

Seufzend steht sie wieder auf und zieht Abby mit auf die Füße. „Auf, lass uns Maggie suchen und dann zum Essen gehen.“

 

Der November zeigt sich am Hogsmeadewochenende von seiner schönsten Seite. Bis auf die immergrünen Nadelbäume strahlt der Verbotenen Wald in den buntesten Farben. Die Sonne scheint und wärmt die Haut trotz des leichten Windes, der an den Bäumen rüttelt und vereinzelt Blätter herumwirbelt.

Emi steht wie vereinbart kurz vor elf an der Eingangshalle und wartet auf Riddle. Sie ist lieber etwas früher gekommen, als zu spät, da sie Unpünktlichkeit nicht leiden kann. Sie hat sich die Mühe gemacht ihre Augen mit etwas Tusche zu betonen und ihre Haare hat sie geflochten, anstelle des obligatorischen Dutts. Abby, die sich einer Gruppe Ravenclaws angeschlossen hat, hat ihr belustigt dabei zugesehen. Emi wusste selbst nicht genau, warum sie sich so eine Mühe gemacht hat, immerhin ist es nur Riddle.

Seufzend wirft sie einen Blick auf die Uhr, jede Sekunde wird der Minutenzeiger auf die zwölf springen. Sie ist eine der letzten in der Eingangshalle. Nur noch ein Gryffindorpärchen und eine Gruppe jüngerer Hufflepuffs halten sich noch mit ihr hier auf.

Ein Räuspern hinter ihr lässt sie verschreckt herumfahren. Riddle steht nur wenige handbreit von ihr entfernt und mustert ungeniert ihr Outfit.

Kapitel 8

 

Es ist unmöglich, dass ein Mensch in die Sonne schaut, ohne dass sein Angesicht hell wird.

Friedrich von Bodelschwingh

 

Seine Augen mustern ihr Gesicht, ihre ledernen Halbschuhe und den dunkelblauen Winterumhang ohne eine Gesichtsregung. „Wie ich sehe hast du dich zu Recht gemacht.“

„Alles andere wäre mir unangebracht erschienen“, wiegelt Emi schulterzuckend ab und betrachtet ihre Fußspitzen.

„Sehr richtig“, stimmt Riddle ihr zu. Ein Rascheln lässt sie wieder auf sehen. Irritiert betrachtet sie seinen Arm, bevor sie in seine braunen Augen sieht.

Es zuckt belustigt um seine Mundwinkel. „Darf ich bitten?“

Zögerlich hakt sie sich unter seinem Arm ein und lässt sich aus dem Schloss führen. Sobald sie den Schutz des Schlosses verlassen, zerrt der Wind an ihrem Mantel und lässt den Saum um ihre Beine flattern. Das Schlossgelände ist von einigen Erst- und Zweitklässlern abgesehen leer.

Das Gras wirkt leicht gräulich und schimmert silbern, wenn der Wind die Halme bewegt und Sonnenstrahlen darauf fallen.  Die für Schottland typischen grauen Steine werden von dem Gras in der Nähe gestreichelt und die kleinen Moosflechten wirken wie Farbtupfer auf dem Gestein.

Der November zeigt sich heute wirklich von seiner besten Seite. Ob das ein gutes Omen ist? Ein gutes Omen wofür, fragt sich Emi. Sie weiß es nicht. Trotzdem hofft sie es.

 

Was würdest du gerne machen?“, fragt Tom Emi, da er sich heute von seiner besten Seite zeigen möchte. Es hat oft beobachtet wie Männer mit Frauen umgehen mit denen sie sich verabredet hatten. Schon als Kind hat er die Muggel auf der Straße beobachtet und jetzt in Hogwarts seine Schulkameraden.

Er war sechs Jahre alt und streifte alleine durch die tristen Straßen Londons. Er war immer allein. Immer.

Ein glückliches, losgelöstes Lachen lenkt ihn von seinen Gedanken ab. Sein suchender Blick fällt auf eine junge Frau, die an dem Arm eines Mannes in einem grauen, ausgeblichenen Mantels hängt. Der Mann lächelt sie mit einem Tom unbekannten Ausdruck im Gesicht an. Ihre Wangen sind leicht gerötet, ob aus Kälte oder irgendeinem anderen Grund vermag Tom nicht zu sagen. Vielleicht hat sie ja Fieber, dass würde auch erklären, warum sie lachte. Was gibt es hier schon zu lachen?

Die Straße ist grau und verlassen, die meisten Geschäfte haben geschlossen und das Wetter passt zur allgemeinen Stimmung in England.

Das Paar bleibt stehen und der Mann zieht die Frau vor sich. Seine Hände liegen an ihrer Taille und streicheln sie. Seine Lippen bewegen sich und was auch immer er sagt, bringt die Frau dazu ihre Hände um seinem Nacken zu schlingen.

Tom runzelt die Stirn. Warum macht der Mann das? Kann der Mann nicht mit ihr reden, wenn sie neben ihm herläuft? Langsam senkt der Mann seinen Kopf und drückt seine Lippen auf die der Frau. Küssen nennt sich das. Er hat das junge Kindermädchen des Heims schon oft dabei beobachtet, wenn ihr Verlobter sie vorbei gebracht oder abholt hat. Angeblich tun das Menschen, wenn sie sich gern haben. Tom weiß davon nichts. Er hat noch nie einen Menschen gern gehabt. Wen auch?

Das Paar löst sich voneinander und spaziert weiter. Tom beobachtet sie, bis sie um die nächste Ecke gebogen sind.

 Er selbst versteht nicht viel von zwischenmenschlichen Beziehungen und von Dates erst recht nichts. Heute muss er zum ersten Mal auf die Dinge vertrauen, die er im Gemeinschaftsraum aufgefangen hat.

Einige seiner Anhänger sitzen vor dem Kamin im Slytheringemeinschaftsraum und unterhalten sich. Tom steht nicht weit entfernt im Schatten einer Nische mit einem Ignorierzauber auf sich. Er möchte wissen, worüber sie reden, wenn er nicht anwesend ist. Ob sie einen Komplott gegen ihn schmieden? Nicht einem würde er genug Verstand zu sprechen um etwas auf die Beine zu stellen. Aber Vorsicht geht über Nachsicht.

„Ich hab‘ gehört, dass du die kleine Elloise rumgekriegt hast, Malfoy“, grinst Dolohow den Blonden an, der sich selbstgefällig in seinen Sessel zurücklehnt.

„Was wenn?“

„Ist sie so prüde wie wir dachten?“ Mulciber dreckiges Grinsen scheint Malfoy nicht im Geringsten zu stören.

„Wenn man es nicht richtig anstellt bestimmt.“ Arrogant gebt Malfoy einen Mundwinkel und blickt in die Runde seiner Zuhörer.

Rookwood hebt fragend eine Augenbraue und fordert somit Malfoy auf weiterzusprechen.

Malfoy zuckt nonchalant mit den Achseln. „Ihr kennt das doch. Anfangs seht ihr sie immer wieder an und lächelt, wenn sie zurücksieht, bis ihr merkt, dass sie auch des Öfteren zu euch sieht. Danach habt ihr freie Bahn. Sprecht sie an, macht Komplimente, manche mögen es, wenn man sie zum Lachen bringt, ab und an berührt ihr sie beiläufig…“

„Das übliche halt“, meint Nott unbeeindruckt und lehnt sich in seinen Sessel zurück. „Als würde das nicht jeder wissen.“

Mit einem wütenden Funkeln richtet Abraxas Malfoy sich auf. Tom hat genug gehört. Angewidert wendet er sich von der Gruppe ab und verlässt den Gemeinschaftsraum. Solch einfältige Reinblutsprösslinge in seinen Reihen. Gibt es denn niemanden mit Verstand auf dieser Welt?

Für ihn ist es unbegreiflich warum Menschen so gerne Zeit mit einem anderen Menschen verbringen. Warum einem anderen vertrauen? Menschen sind wankelmütig, man kann sich nie sicher sein, ob sie einem nicht doch in den Rücken fallen.

Für was ist Freundschaft gut? Er ist immer alleine zurechtgekommen und jetzt mit seiner Zauberkraft braucht er erst recht niemanden.

Und diese Liebe auf die sich all diese Narren stürzen? Was soll das sein? Liebe.

Ein hohles Wort entsprungen aus viel zu schwachen Seelen. Eine Gefühlsillusion um den gewöhnlichen Zauberer vor der Wahrheit zu schützen. Eine Lüge. Wir werden alleine geboren und sterben alleine. Diese Liebe, diese Beziehungen sind nur Verschleierungen der Realität. Man ist immer einsam, egal mit wem oder ohne wen man seine Leben verbringt.

„Können wir zuerst in den Süßwarenladen? Mein Schokoladenvorrat löst sich so langsam in Luft auf.“

Frauen. Für was braucht man Schokolade? Er hat als Kind schon keine Süßigkeiten bekommen. In der Muggelwelt herrscht Krieg, dort kämpft man ums pure Überleben. Erst recht als Waise. Er hat nie verstanden warum Menschen so ungesundes Zuckerzeug essen. Drei ausgewogenen Mahlzeiten am Tag sind absolut ausreichend für den Körper um gesund und fit zu bleiben. In Hogwarts bekommt er genau das. Seitdem er hier ist, musste er nie hungern. Ist nicht allein das genug Zeichen dafür, dass Zauberer den Muggeln überlegen sind?

Obwohl auch hier dank Grindelwald Krieg herrscht, muss niemand hungern. Die Versorgung ist absolut abgesichert.

„Sicherlich.“ Tom lächelt sie mit einem merkwürdigen Gefühl an. Er hat Malfoy seine Verlobte so anlächeln sehen und hofft, dass es sympathisch auf sie wirkt. Normalerweise lächelt er nur seine Lehrer an, wenn er sich bei ihnen einschmeicheln möchte. Niemals hat er jemanden aus Freundlichkeitsgründen angelächelt. Ein merkwürdiges Gefühl. Ein neues Gefühl. Vielleicht sollte er das öfters üben.

„Super!“, strahlt sie, als hätte sie vergessen mit wem sie unterwegs ist. „Ich liebe die Nougatkernzauberstäbe. Was ist deine Lieblingssorte?“ Erwartungsvoll sieht sie ihn an.

„Ich habe keine“, antwortet er steif und blickt stur geradeaus.

„Magst du keine Schokolade?“ Ihre Stimme klingt beinahe ungläubig. Seine Mundwinkel zucken belustigt. Die kleine Sullivan scheint doch eine naive Seite an sich zu haben. Sie scheint davon auszugehen, dass jeder Zauberer Schokolade mögen muss, schon mal probiert haben muss.

„Ich habe noch nie Schokolade gegessen.“

Abrupt bleibt sie stehen und da sie beim ihn eingehakt ist,  bleibt ihm nicht anderes übrig als ebenfalls stehen zu bleiben und mit gehobener Augenbraue auf sie herab zu sehen. Mit großen, unschuldig dreinblickenden blauen Augen sieht sie ihn an. In ihrem Blick spiegelt sich Unglauben wieder, doch dann tritt ein ihm unbekanntes Funkeln in die Augen, welches ihr ganzes Gesicht erstrahlen lässt. „Das werden wir ändern.“ Energetisch zieht sie ihn weiter.

Protestierend öffnet er den Mund, doch sie lässt ihn nicht zu Wort kommen. „Keine Wiederrede, Riddle! Ich kann absolut nicht nachvollziehen, wie du noch nie Schokolade gegessen haben kannst. Du bist der erste Mensch, den ich treffe, der Schokolade widerstehen kann.“ Als sie den Kopf schüttelt tanzen ihre aus dem Zopf gelösten Strähnen um ihr Gesicht. Mit purer Willenskraft hält er seine zuckenden Finger davon ab die Strähnen hinter ihre Ohren zu schieben. Warum fasziniert dieses einfache Mädchen ihn plötzlich so?

 

Emi fühlt sich nach einer anfänglichen Angespanntheit äußerst gelassen. Irgendetwas in Riddles Ausstrahlung beruhigt sie. Sie kann es selbst kaum fassen. Sie sind noch nicht einmal in Hogsmeade angekommen und sie genießt ihren gemeinsamen Spaziergang. Mit Riddle! Dem manipulativsten, hinterhältigsten, unheimlichsten Slytherin überhaupt. Niemand erfüllt mehr die Werte, die Salazar so an Menschen geschätzt hat. Er ist hinterhältig, gerissen und hat ein vermutlich erschreckend großes Wissen über die Schwarze Magie.

Sachte schüttelt sie ihren Kopf ein wenig, darüber sollte sich sie jetzt keine Gedanken machen. Besser sie genießt einfach den Tag und vergisst, dass ihre Begleitung sehr einschüchternd sein kann.

 

Tom beobachtet die lächelnde junge Frau neben sich mit Argwohn. Ist das wirklich Emilienne Sullivan? Wo ist die zickige, unterkühlte Ravenclaw, die sich mit ihm regelmäßig anlegt und durch ihre Impertinenz heraussticht? Das Mädchen neben ihm hat jedenfalls nichts mit der ihm bekannten Sullivan zu tun.

 

Emilienne hat all ihre Zweifel in einer Blase ganz tief in der hintersten Ecke ihres Verstandes weggeschlossen und genießt den stillen Spaziergang zum Dorf wirklich. Vor und hinter ihnen sind Schülergruppen aus anderen Häusern, die sich nicht für das ungewöhnliche Duo interessieren – hauptsächlich, weil die Gruppen aus Jungen bestehen, die scheinbar das erste Mal Hogwarts besichtigen dürfen, die Mädchen würden sie alle anstarren und hinter ihren Rücken tuscheln, immerhin ist Tom Riddle trotz seiner grün-silbernen Krawatte und seiner Unnahbarkeit einer der begehrtesten Junggesellen Hogwarts.

Die ganze Umgebung wirkt friedlich. Blätter tanzen wie kleine Feen auf den Boden, das Laub raschelt unter ihren Füßen und hier und da wackelt das Gestrüpp, wenn ein Hase vor der Schülerschar flieht.

Das Dorf kommt langsam in Sicht mit seinen urigen Gebäuden und sonderbaren Hexen und Zauberern. Emilienne mag Hogsmeade. Keine Muggelstadt lässt sich damit vergleichen. Es ist auch ganz anders als die Winkelgasse. Hogsmeade hat das Flair einer alten Stadt, wie sie sich die mittelalterlichen Städte ausgemalt hat von denen ihre Mutter ihr Geschichten erzählt hat. Durch diesen Vergleich hatte Hogsmeade von Anfang an ein heimatliches Gefühl bei ihr hervorgerufen. Sie hat sich ein wenig in die Vergangenheit zurückversetzt gefühlt, obwohl sie so gut wie nichts über die vergangenen Jahrhunderte der Muggelwelt weiß und das Haus ihres Vaters auch nicht als modern bezeichnen  werden kann. Man stelle sich das einmal vor, ein Haus in London ohne Strom! Alle um sie herum haben Strom. Selbstverständlich sind das alles Muggel, aber es wäre sicherlich eine Wohltat Strom zur Verfügung zu haben und sich eins, zwei kleine Muggelgegenstände anzuschaffen. Zum Beispiel ein Muggelradio, damit man auch etwas von der anderen Welt mitbekommen kann, die sie eigentlich direkt vor der Tür haben. All ihre Muggel sind Nachbarn, aber nie kann sie sich mit ihnen über irgendetwas interessantes, wie Politik, sprechen. Wen bitte schön soll Churchill darstellen? Oder Roosevelt?

Emi bleibt nie etwas anderes übrig als einfach nur zu nicken und zu lächeln. Eine Zeitung würde ihr auch schon reichen.

„Möchtest du zuerst deine Schokolade kaufen oder später?“, reißt Riddle sie aus ihren Gedanken.

„Zuerst natürlich! Am Ende bleibt sonst vielleicht keine Zeit mehr.“ Außerdem will sie unbedingt wissen, was er für Schokolade mag.

 

Die Türglocke klingelt leise als Emi mit einem Lächeln im Gesicht den kleinen Laden betritt. Eine zuckrige Wolke schlägt ihnen entgegen, die Tom leicht die Nase rümpfen lässt. Viel zu süß. Emi hingegen scheint vollkommen in ihrem Element aufzugehen. Zuerst geht sie zu den Süßigkeiten ohne Schokolade und sieht sich das Sortiment mit einem glücklichen Funkeln in den Augen an. Tom lehnt gegen einen hölzernen Pfosten des Fachwerkhauses und beobachtet sie mit zunehmender Verwirrung. Er versteht weder sie noch sich selbst. Die Emilienne Sullivan, die er in den letzten Wochen in der Schule kennen gelernt hat, ist selbstbewusst, wissbegierig und in seiner Gegenwart immer auf der Hut. Eine junge wissbegierige Frau mit einem Hang zum Verbotenen, zur schwarzen Magie. Sie hat sich ihm nicht untergeordnet, ihm Wiederstand entgegen gebracht und sich nicht so dämlich aufgeführt wie Frauen es normalerweise tun. Zumindest in seiner Gegenwart. Jetzt unterscheidet sie sich immer noch von all den anderen. Aber auf eine andere Art und Weise.

Sie wirkt losgelöst, ist freundlich zu ihm und hat ihm sogar eins ihrer Lächeln geschenkt, die normalerweise nur ihre Freunde zugestanden bekommen. Hier neben ihr zu stehen und ihr dabei zu zusehen, wenn sie wie ein kleines Kind durch den Laden stromert, weckt ein unerwartetes Gefühl in ihm. Zufriedenheit. Er kennt dieses Gefühl. Jedes Mal, wenn er seinem Ziel einen Schritt näher kommt, steigt es in ihm empor. Damals als er Slughorn über Horkruxe ausgefragt hat und der alte Narr ihm die Lösung so leichtfertig präsentiert hat, war es besonders stark. Oder als er endlich seinen Vater aufgespürt hat und ihn ermordete. Sein erster Horkrux, welch ein Hochgefühl. Welch Vergnügen es war das Ministerium auszuspielen. Ausgebildete, ältere,  erfahrene Zauberer und sie erkannten seinen Gedächtniszauber nicht. Wie auch, dieses kleine Stück Magie ist ein Kinderspiel für ihn. Wie nichtsahnend und unterlegen ihm diese Leute doch sind.

Aber was hat dieses Gefühl hier verloren? Wo er doch mit dieser jungen Frau hier ist? Noch nie hat eine seiner Klassenkameradinnen dieses Gefühl in ihm ausgelöst. Erst recht nicht durch ihre pure Gegenwart. Allerdings fühlt es sich irgendwie gut an zu wissen, dass dieses Mädchen glücklich zu sein scheint, obwohl sie mit ihm, ausgerechnet ihm, einem Klassenkameraden, der sie schon bedroht hat, hier ist. Er hatte nicht damit gerechnet. Weder mit diesem Gefühl noch mit ihrem Verhalten.

„Schau mal.“ Strahlend wie die Sonne dreht Sullivan sich zu ihm um und hält ihm ein blassrosanes Ding unter die Nase.

„Was soll das sein?“ Fragend hebt er eine Augenbraue. Es fällt ihm so leicht sich ihr gegenüber einfach jeder Gemütsregung nachzugeben, die er empfindet. Sein Verstand muss ihm vollkommen abhandengekommen sein. Erst zwingt er sie dazu mit ihm nach Hogsmeade zu gehen, dann ist er nett zu ihr und betreibt ohne einen größeren Hintergedanken Konversation mit ihr. Natürlich hat das alles hier einen Sinn, sagt er sich. Sie könnte eine Gefahr darstellen, also muss er sie im Auge behalten und das Risiko abschätzen, dass ihr Wissen und ihre pure Existenz ausmachen. Vielleicht muss er sei nach der Schule verschwinden lassen. Der heutige Tag gilt lediglich der Observation, um sie besser einschätzen zu können. Vielleicht wäre sie auch geeignet in seine Reihen aufgenommen zu werden. Ausschließen kann er das nicht, sie ist eine recht begabte Hexe und nicht umsonst in Ravenclaw.

„Das ist eine Geschmacksschnur“, erklärt sie ihm. „Eine ganz neue Invention. Jeder Biss soll nach einem anderen deiner Lieblingsgeschmäckern schmecken.“

„Wonach schmeckt es für dich?“, fragt er mit blankem Gesichtsausdruck. Irgendwie interessiert es ihn wirklich. Sie zuckt mit den Achseln. „Ich weiß nicht, ich hab noch nie eine probiert, aber ich werde mir eine kaufen. Willst du auch eine?“ Verneinend schüttelt er den Kopf. Was will er denn damit? Er isst doch nicht zum Vergnügen, sondern weil es notwendig ist. Was will er mit einer Schur, die am Ende nach nichts schmeckt?

„Dann nicht, lass uns zur Schokolade gehen.“ Ihre Schuhe machen schwache klackernde Geräusche, als sie über die rauen Holzdielen läuft. Lässig stößt er sich von dem Balken ab, ohne die bewundernden Blicke der Verkäuferin zu bemerken, die höchstens zehn Jahre älter ist, als das ungleiche Duo. Langsam folgt er ihr zu den Kästen, in denen Bruchschokolade aufbewahrt wird. Emilienne hält bereits eine Papiertüte in der Hand und wirft von jeder Sorte ein kleines Stück rein. Wie ein lautloser Schatten bleibt er hinter ihr stehen und beobachtet ihr tun. „Was wird das?“ Seine Belustigung versteckt er hinter einem harschen Ton, so leise, dass nur sie ihn hören kann. Erschrocken zuckt sie zusammen und dreht sich mit einer Hand über ihrem Herzen zu ihm um. „Du kannst mich doch nicht so erschrecken“, schalt sie ihn.

Kapitel 9

 

Es war einmal ein schöner, reicher und begabter junger Hexer, der beobachtete, dass seine Freunde sich töricht verhielten, sobald sie sich verliebten(…). Der junge Hexer beschloss, niemals einer solchen Schwäche zu Opfer zu fallen und mit Hilfe der dunklen Künste sorgte er dafür, dass er dagegen gefeit war.

Des Hexers haariges Herz – Beedle dem Barden (J. K. Rowling)

 

„Kann ich nicht?“ Um sie nicht zu verärgern nimmt er die Schärfe von eben aus seinem Ton.

Böse sieht sie ihn an. „Du sollst es nicht zumindest.“

„Sollen und können sind zwei unterschiedliche Verben mit unterschiedlicher Bedeutung, Sullivan. Dem bist du dir bewusst?“

„Bin ich, danke der Nachfrage.“ Belustigung funkelt offen in ihren Augen. Sollte er sich nicht eigentlich darüber aufregen, dass sie sich auf seine Kosten amüsiert? „Ich kaufe verschiedene Schokoladensorten, damit du eine angemessene Auswahl hast. Stell dir vor ich kaufe dir nur Vollmilchschokolade und du denkst dann, dass du Schokolade generell nicht magst, weil sie dir zu süß ist.“ Emilienne schüttelt ihren Kopf.

Am liebsten würde Tom lächeln, aber er hat es sich schon vor langer Zeit abgewöhnt seine wahren Gefühle in der Öffentlichkeit zu zeigen. Hingegen muss er zugeben, dass er schon lange nicht mehr das Bedürfnis verspürt hat einfach zu lächeln, ehrlich zu lächeln. Seine Lächeln sind entweder kalkuliert oder sinister. Emilienne greift sich noch zwei Tafeln ihrer Lieblingsschokolade, die auf dem Regal über den Bruchschokoladekästen liegt, dann geht sie zur Kasse um zu bezahlen. Tom macht sich schon einmal auf dem Weg zur Tür. Als Emilienne vor ihm zu stehen kommt, hält er ihr die Tür auf und folgt ihr ohne sich höflich zu verabschieden aus dem Gebäude heraus, da sich eine Horde giggelder Mädchen am ihm vorbeidrückte, währendem er darauf wartete, dass Sullivan bezahlt. Er hasst diese Sorte Mädchen, sie nerven ungemein und scheinen keine brauchbaren Gehirnzellen zu besitzen.

„Lass uns ein wenig spazieren gehen.“ Nickend nimmt er ihren Vorschlag an und läuft neben ihr her, nicht ohne seine Umgebung im Auge zu behalten. Ganz Hogsmeade scheint von Hogwartsschülern geflutet zu sein. Überall sieht man Grüppchen oder Paare durch die Hauptstraße stromern, in Geschäfte verschwinden oder aus ihnen herauskommen. Nicht wenige werfen ihm und Sullivan einen neugierigen Blick zu. Obwohl man denen der Mädchen eher als eifersüchtig bezeichnen sollte. Oder herablassend, wenn sie sich als besser oder hübscher als Emilienne betrachten. Tom mag diese Blicke mit denen Emilienne betrachtet wird überhaupt nicht. Er ist sich sicher, dass sie auch für ihre anderen Mitmenschen die letzten Jahre über relativ unsichtbar war, von ihren Freunden und Hausgenossen abgesehen, und nun, wo sie mit ihm unterwegs ist, wird sie von den anderen Mädchen verachtet und verurteilt. Grundlos in seinen Augen. Ja, sie ist absolut gewöhnlich auf den ersten Blick. Simple braune Haare, die sie noch nie offen getragen hat, soweit er das beurteilen kann, ihr Gesicht kann man nur als weich bezeichnen und ihr Körper ist meistens in einen Mantel, die Uniform oder lange Röcke mit bequemen Blusen gehüllt. Er hat sie noch nie in einem der neumodischen Kleider, einer dieser aufwendigen Frisuren mit denen sich Muggelfrauen wie Hexen überschlagen oder mit dunkelrotem Nagellack oder Lippenstift gesehen. Er würde ihren Stil nicht als unmodisch bezeichnen, eher als gediegen und unauffällig.

Aber wenn man sie besser kennen lernt, muss man seinen ersten Eindruck – sofern man sie überhaupt wahrgenommen hat – revidieren, wie Tom von Tag zu Tag mehr feststellt. Die Sommersprossen tanzen, wenn sie die Flügel ihrer Stupsnase aufbläht, wenn sie sich über ihn aufregt – was für gewöhnlich ziemlich oft passiert. Sie ist auch nicht langweilig und charakterlos, sondern selbstbewusst, intelligent und standhaft. Ein Teil von ihm bewundert sie dafür, dass sie sich ihm immer und immer wieder widersetzt.

„Setzen wir uns hier hin?“ Tom hat gar nicht mitbekommen, dass sie das Dorf verlassen haben und auf einer Wiese vor einem Ausläufer des Verbotenen Waldes stehen. Seine Gedanken über dieses Mädchen haben ihn komplett gefangen genommen. Leicht schüttelt er den Kopf um die Verwirrung zu vertreiben. Darüber kann er auch später noch nachdenken.

„Sicher“, stimmt er ihr zu, transformiert ein rotbraunes Blatt in eine trockene, weiche Decke und nimmt neben ihr darauf Platz. Wenn er ehrlich zu sich selbst ist, weiß er nicht wirklich, was er jetzt tun oder sagen soll, aber dafür scheint sich Emilienne vollkommen wohl zu fühlen, sehr zu seiner Verwunderung. Sie ist doch sonst nicht gerne in seiner Nähe.

Mit viel Geraschel holt sie die Papiertüte mit der Bruchschokolade hervor und öffnet sie.

„Womit willst du anfangen?“ Fragend sieht sie ihn durch ihre dichten Wimpern an.

„Was ist deine Lieblingssorte?“

Sie wühlt in der Tüte herum und reicht ihm ein Stück Schokolade, deren obere Schicht und untere Schicht dunkel ist und die in der Mitte hellbraun. „Das ist Zartbitterschokolade mit Nougat“, erklärt sie ihm. „Es gibt keine Sorte, die mir besser schmeckt, obwohl ich zu Schokolade nie nein sagen kann.“ Ein glockenhelles Lachen entkommt ihrer Kehle. „Auf probiere!“, fordert sie ihn auf und reicht ihm das Stück Schokolade.

Zögerlich nimmt er es ihr aus der Hand und beißt die Hälfte ab. Sein erster Eindruck ist bitter, doch dann verläuft die Nougatcreme auf seiner Zunge und er versteht warum sie Schokolade so mag. Es ist wirklich lecker.

„Und?“ Ihre Augen strahlen ihn an und warten gespannt auf eine Antwort. Für einen Moment ist er so von dem Sonnenlicht, das in ihren Augen tanzt, abgelenkt, dass er vergisst, was er sagen will.

„Es schmeckt nicht schlecht.“

„Nicht schlecht?“ Sie lacht. „Probier das, Tom Riddle“, fordert sie ihn auf und hält ihm ein weiteres Stück Schokolade hin. Sie wirkt so entspannt und gelassen, dass er sich fragt, ob sie immer so ist, wenn man mit ihr alleine ist. Ob sie immer so ist, wenn sie mit ihren Freunden unterwegs ist. Er hat sie in den letzten Wochen öfters am Ravenclawtisch lachen sehen und jedes Mal hat es ihn wütend gemacht. Er weiß nicht weshalb, aber er kann nicht abstreiten, dass er sich für einen Moment wünschte, dass sie auch mal so in seiner Gegenwart lachen würde. Selbstverständlich at er diesen absolut unpassenden Gedanken wieder abgeschüttelt. Was für einen Sinn hätte es, wenn sie so mit ihm lachen würde?

Inzwischen ist er sich sicher, dass es doch Sinn macht sie zum Lachen zu bringen. Menschen lachen nur so losgelöst, wenn sie entspannt sind und entspannen tut man sich nur, wenn man sich wohl fühlt. Und sobald sie sich wohlfühlt, ist es sicherlich viel einfacher sie im Auge zu behalten. Freunde verbringen doch Zeit miteinander und stellen sich Fragen, oder?

Also macht es nur Sinn, wenn er sich mit ihr anfreundet, dann ist es viel leichter sie zu oberservieren.

„Schmeckt dir die Sorte besser?“ Er schüttelt den Kopf. Eigentlich hat er gar nicht auf den Geschmack geachtet, er hat einfach ihr Mienenspiel aus dem Augenwinkel beobachtet.

„Dann probiere die hier, das ist weiße Schokolade, schmeckt ziemlich süß.“ Eigentlich ist Tom nicht der Sorte Zauberer, der besonders auf süß steht, aber ihr zuliebe probiert er auch das Stück Schokolade. Einfach um sie so gut gelaunt zu behalten, der bisherige Tag ist eine willkommene Abwechslung zu seinem sonstigen Alltag.

 

Emi fühlt sich unangemessen wohl neben dem  Schulsprecher auf der rostbraunen Decke. Aus ihr unbegreiflichen Gründen fühlt sie sich im Moment weder von ihm bedroht, noch eingeschüchtert. Er kaut langsam auf dem Stück weißer Schokolade herum, dass sie ihm angeboten hat und sieht sie mit stoischem Blick an. Selten zeigt seine Mimik irgendeins seiner Gefühle und seine Augen spiegeln sie ebenso wenig. Emi wird nicht schlau aus ihm. Auf der einen Seite benimmt er sich zum ersten Mal in ihrer Gegenwart ohne Zeugen zivilisiert, nahezu nett – ein Wort, welches sie niemals mit dem Schulsprecher in Verbindung zu bringen dachte. Nach seiner Forderung, dass sie ihn nach Hogsmeade begleiten soll, hat sie sich die schrecklichsten Szenarien ausgedacht und keine davon ist bis jetzt in Kraft getreten. Er hat sie weder beleidigt, öffentlich gedemütigt, seinen Slytherinfreunden zum Spielen vorgeworfen, noch sie angegriffen. An Stelle dessen sitzt er mit ihr auf einer Decke und ist Schokolade. Sie muss zugeben in Hogwarts spricht er mehr mit ihr, aber da ist er eigentlich nie als höflich bezeichenbar. Sein schweigendes Ich ist ihr da im Moment viel lieber. An diesem Tom Riddle könnte sie sich sogar gewöhnen. Mit diesem Tom Riddle könnte sie es sich sogar vorstellen befreundet zu sein.

„Das war eindeutig zu süß“, stellt er mit so bemüht neutraler Stimme fest, dass sie einfach lachen muss. Die Situation ist schlicht und einfach zu aberwitzig um nicht zu lachen.

„Dann nimm ein Stück Zartbitterschokolade, dass sollte es neutralisieren“, gluckst die unbekümmert. Oder beinahe unbekümmert. Ein Teil von ihr wartet immer noch darauf, dass er sie beleidigt, angreift oder sonst wie verletzt –  körperlich oder seelisch. Sie traut dem Frieden nicht ganz und bleibt immer wachsam. „Besser?“

„Besser“, bestätigt er und hebt sogar seine Mundwinkel, ein Lächeln, das seine Augen nicht erreicht. Irgendwie wirkt er traurig auf sie. Seine Augen wirken so leer, so unglücklich, dass sie das Bedürfnis verspürt ihn in den Arm zu nehmen bis er sich besser fühlt. Noch nie hatte Emi dieses Bedürfnis. Jedoch unterdrückt sie es mit aller Macht, sie will gar nicht wissen wie Riddle auf solch eine Handlung reagieren würde. Sie lässt sich auch nicht ihr Mitleid anmerken, sie weiß nur zu genau, dass ein Zauberer wie Riddle, das nicht willkommen heißen würde. Vor allen Dingen würde er es abstreiten traurig zu sein.

 

Tom fühlt sich plötzlich unsicher. Ein sehr seltenes Gefühl für ihn, ein Gefühl von dem er dachte, dass er es nie wieder empfinden wird. Fast sieben Jahre lang war dem auch so, dass letzte Mal als er unsicher war, stand er mit gerade mal elf Jahren an einem Bahnhof und suchte Gleis 9 ¾. Diesmal fühlt er sich unsicher, weil das Mädchen neben ihm ihn unverwandt anstarrt. Es ist kein Blick der Bewunderung oder Verehrung wie er ihn sonst vom anderen Geschlecht geschenkt bekommt. Ihr Blick ist nachdenklich und unergründlich für ihn. Am liebsten würde er in ihren Kopf schauen, traut sich aber nicht den Tag zu ruinieren. Er genießt das stressfreie zusammen sein mit ihr. Seine geplante Freundschaft mit ihr könnte mehr positive Seiteffekte haben, als er je für möglichen gehalten hat. Noch weiß er nicht wirklich wie eine Freundschaft funktioniert aus eigenen Erfahrungen, aber das wird sich ändern. Es ist immer besser, wenn man die Natur einer Sache kennt bevor man sie benutzt und auf seinem Weg zur Macht wird er des Öfteren über für ihn nützliche Freundschaften stolpern oder eigennützige Freundschaften knüpfen, die ihm weiterhelfen.

Wieso sollte er dann nicht einfach herausfinden was Freundschaft ist? Und wer wäre besser dazu geeignet es ihm zu zeigen, als die kleine Ravenclaw neben ihm?

Er versucht sich an einem Lächeln und hebt fragend eine Augenbraue. „Stimmt etwas nicht?“

Sie schüttelt den Kopf, legt sich rückwärts hin und starrt in den Himmel. „Nein, alles in Ordnung.“ Sie zieht ihren Mantel enger um sich herum.

„Ist dir kalt?“ Er hat gar nicht daran gedacht, dass sie frieren könnte. Selbstverständlich sind sie in Schottland und haben bereits November, wodurch die Temperatur frostig ist, aber für ihn ist der Schulumhang die dickste Jacke, die er je besessen hat. Er hat kein Problem mit der kühlen Luft um sie herum. „Nur ein wenig“, gibt sie zögerlich zu und schließt die Augen. „Geht schon.“

Er unterdrückt ein Schmunzeln, das wie selbstverständlich seine Mundwinkel heben will und spricht einen Wärmezauber, der sich wie eine Glocke über der Decke ausbreitet.

„Besser?“, ist es diesmal an ihm zu fragen.

„Besser.“ Belustigung schwingt in ihrer Stimme mit, immerhin hat sie ihn genau das erst wenige Minuten zuvor gefragt.

„Wir können auch zurück zum Schloss gehen oder zum Pub“, bietet er an und runzelt die Stirn. Er ist sich nicht ganz sicher, ob man in einer Freundschaft solche Vorschläge macht oder nicht.

„Nicht nötig, ich würde lieber hier bleiben.“

 

Sie öffnet die Augen nur um sein Nicken zu sehen und ihn dabei zu beobachten wie er sich zögerlich neben sie legt.

Sie möchte nicht in den Pub. Sie hatte sehr wohl bemerkt wie die Mädchen in Hogsmeade sie angesehen haben, als sie mit Tom durch die Straßen schlenderte um hierher zu kommen.

Sie mochte die Blicke nicht, am liebsten hätte sie sich stillschweigend vom Acker gemacht, aber das hätte ihr Stolz niemals zugelassen, also hat sie gelächelt und ich brav neben dem Schulsprecher hergelaufen. Trotzdem ist sie froh jetzt hier zu sein und den Blicken zu entgehen. Wenn sie eins nicht möchte, dann ist es im Mittelpunkt zu stehen.

Genauso wenig möchte sie aber auch schon nach Hogwarts zurückkehren, wo sich ihre Wege wieder trennen werden. Sie mag seine Gegenwart, irgendwie. Sie kann es sich selbst nicht erklären. Vielleicht liegt es daran, dass er ihr größtes Geheimnis bereits kennt – ihre heimlichen Stunden in der Verbotenen Abteilung – und sie sich deshalb nicht vor ihm verstecken muss. Wenn er das von ihr weiß, kann er auch alles andere erfahren, da ihr kein Geheimnis – sofern man irgendetwas anderes in ihrem Leben als Geheimnis betrachten kann, Magara weiß ansonsten bestens über ihr Leben Bescheid – so wichtig ist wie dieses. Denn das ist ihr einziges Geheimnis, welches ihr ernsthafte Probleme einhandeln kann.

Schweigend liegen sie nebeneinander auf der Decke, lauschen dem Rauschen der Blätter und hängen ihren Gedanken nach. Keiner spricht sein gegenüber an, obwohl sich beide der Gegenwart des jeweils anderen nur zu bewusst sind.

Rechtzeitig vor dem Abendessen machen sie sich im stillen Einvernehmen auf den Rückweg, immerhin will Emi ihre Schokolade noch nach oben bringen, bevor sie sich den inquisitorischen Fragen ihrer Freundinnen stellt. Ein Dauerlächeln verbreitet sich noch eine Spur, als sie an ihre Freundinnen denkt, was Riddle zu einem fragenden Blick verleitet, doch sie schüttelt nur den Kopf.

Wie ein Gentleman trägt er ihre Tüte zum Schloss und hält ihr die Tür auf. Obwohl sie sehr erstaunt ist, kommentiert sie seine Handlung nicht. Nie im Leben hat sie damit gerechnet, dass er sich an Konventionen hält, er gibt ihr auch nicht in der Eingangshallte die Tüte wieder und verabschiedet sich von ihr. Mit Nichten. Er begleitet sie bis zum Ravenclaweingang und reicht ihr erst dann die Tüte.

„Ich hoffe es hat dir gefallen“, sagt er zu ihr und lächelt sie an.

„Wenn nicht wäre ich nicht solange in deiner Gesellschaft geblieben, Riddle“, grinst sie ihn frech an.

„Ich wünsche dir noch einen schönen Abend“, verabschiedet er sich von ihr.

„Dir auch“, ruft sie ihm nach, bevor sie sich der Frage des Adlers stellt.

 

 

 

Kapitel 10

 

Du siehst die Welt nicht so wie sie ist, du siehst die Welt so wie du bist.

Mooji

 

„Stimmt es, dass du mit Tom Riddle in Hogsmead warst?“, begrüßt Magara mit ungläubigen Blick Emi, als diese sich zwischen ihren beiden Freundinnen am Tisch niederlässt.

„Ja, das stimmt“, bestätigt Emi mit einem schwachen Lächeln und erwidert Abbygayles Nicken. „Entschuldigung deswegen nochmals Abby.“

Diese winkt ab. „Alles in Ordnung. Du wirst schon deine Gründe gehabt haben.“

„Sicherlich hatte sie ihre Gründe“, braust Maggie auf. „Wir reden hier von Tom Riddle! Schulsprecher und Slytherin extraordinär. Hast du ihn dir schon einmal angesehen?“ Magara klingt nahezu empört. Mühsam unterdrückt Emi ein Prusten um ihren Kürbissaft nicht quer über den Tisch zu verteilen, wenigstens ist der Tisch noch so gut wie verlassen und sie hätte niemanden angespuckt. Abby kichert verlegen und sieht unter ihren schwarz getuschten Wimpern hervor. „Nicht so laut, Maggie, sonst hört dich noch jemand.“

Maggie grinst nur und wirft einen Blick über ihre Schulter zum Slytherintisch. „Na und? Ich kann mich nicht vor ihm blamieren, mich hat er schließlich nicht nach Hogsmeade eingeladen.“ Bedeutungsvoll sieht Maggie zu Emi.

„Es war kein Date“, wiegelt diese sofort ab und schüttelt ihren Kopf. „Ich weiß überhaupt nicht, warum er mich eingeladen hat.“

„Vielleicht bist du ihm ja aufgefallen?“ Maggie hebt herausfordernd eine Braue. Emi zuckt mit den Achseln. Selbstverständlich ist sie ihm aufgefallen, dass weiß sie. Aber nicht auf die Art wie Maggie es gerade vorschlägt. Sie ist ihm nicht als Mädchen oder Hexe aufgefallen, sondern als… Als was eigentlich? Nachdenklich runzelt sie die Stirn.

Was könnte der Schulsprecher sich dabei gedacht haben ausgerechnet Emi mit nach Hogsmeade zu nehmen? Sie dachte er mag sie nicht. Warum sonst sollte er sich so unmöglich ihr gegenüber benehmen, wo er doch für gewöhnlich äußerst zivilisiert und zuvorkommend wirkt. Dippet liebt ihn. Die Schüler bewundern und verehren ihn, nur ganz wenige gehen ihm absichtlich aus dem Weg. Einige Gryffindors, weil er ein Slytherin ist und mehrere Hufflepuffs, wahrscheinlich ist er denen nicht geheuer. Allerdings bildet die weibliche Bevölkerung der Häuser eine Ausnahme. Nicht nur die Slytherinschülerinnen und Ravenclawschülerinnen haben mir giftige Blicke zugeworfen. Hoffentlich werde ich deswegen keine internen Hausprobleme bekommen. Phoebe reicht mir vollkommen.

 In der Öffentlichkeit ist er immer höflich, hilfsbereit und zuvorkommend. Nie behandelt er einen Schüler oder eine Schülerin schlecht, solange ein Lehrer oder andere Zeugen in der Nähe sind. Deshalb konnte sie es auch nicht fassen, als sie gesehen hat, dass er seine Kameraden nicht davon abgehalten hat den kleinen Gryffindor zu tyrannisieren. Das hätte sie nie von ihm erwartet. Selbstverständlich war und ist ihr bewusst, dass er kein Engel ist – immerhin ist er sicherlich nicht umsonst in Slytherin, aber sie dachte ihm liegt etwas an der korrekten Ausführung seines Amtes. Seufzend nimmt sie sich etwas von dem bereits aufgetragenen Abendessen und missachtet Abbys fragenden Blick. Sie ist verwirrt. Absolut und vollkommen verwirrt.

Und das wegen eines Jungens. Sie kann es kaum fassen. Sie ist ja nicht einmal mit ihm befreundet, noch hat sie zu seinem weiblichen Bewunderinnen gehört. Nach der Geschichte mit Graham hat sie sich einfach in ihren Kokon zurückgezogen und Männer, Männer sein lassen. Für Tom hat sie sich nie interessiert, sie hat ihn immer als absolut unerreichbar betrachtet. Sie ist ja nicht blind, sie sieht sowohl sein wirklich attraktives  Aussehen, als auch das seiner zahlreichen Verehrerinnen, bei denen er freie Wahl hat. Und nicht wenige von ihnen sind hübsch. Sie hingegen betrachtet sich selbst nur als Durchschnitt. Was sollte ein Kerl wie Tom Riddle von ihr wollen?

Also hat sie ihn von Anfang an einfach als eine weitere Nebenfigur am Rande ihres Lebens betrachtet.

Bis jetzt. Jetzt taucht er ständig in ihrem Leben auf. Jetzt hat er sie nach Hogsmeade mitgenommen. Jetzt ist sie in seinen Bannkreis geraten.

Noch ist sie ziemlich planlos, was das alles zu bedeuten hat. Sie kann sich nicht vorstellen, welche Auswirkungen das auf ihr Leben hat. Vielleicht rechnet sie auch überhaupt nicht mit Auswirkungen. Sie weiß nur, dass sie sich ihm nicht entziehen kann. Nachdem heutigen Tag möchte sie ihn besser kennen lernen. Er war heute so anders, als er ihr die letzten Male begegnet ist und Emi möchte einfach wissen, was es damit auf sich hat. Ob er jetzt öfters so sein wird, denn wenn kann sie es sich gut vorstellen sich mit  ihm anzufreunden.

Inzwischen ist die Große Halle von Schülern und Lehrern gefüllt und der Lautstärkenpegel merklich gestiegen. Emi hat gar nicht mitbekommen, das sie schon aufgegessen hat. Verwirrt sieht sie ihren leeren Teller an, bevor sie mit den Achseln zuckt und sich noch etwas zu trinken einschenkt und auf ihre Freunde wartet. Sie wollen sich alle zusammen noch zum Zauberkunst lernen hinsetzen, da sie am Mittwoch eine kurze Prüfung schreiben werden, um den Lernstand abzufragen wie Professor Crook sagte. Emi zweifelt nicht im Geringsten daran, dass sie oder ein anderer Ravenclaw schlecht abschneiden wird, aber rechtzeitige Vorbereitung kann nicht schaden.

 

Tom beobachtet sie seitdem sie sich zu ihren Freundinnen gesetzt hat. Ihm ist nicht entgangen das Magara Kutesa ihn angesehen hat, ihm ist nicht entgangen, dass sie drei Freundinnen über ihn gesprochen haben. Obwohl Abbygayle White wohl eher eine stille Zuhörerin ist.

Er würde zu gerne wissen, worüber sie sprechen, aber es ist ihm unmöglich ihre Gedanken zu lesen. Er braucht Blickkontakt, eine Tatsache, die ihn ungemein stört. Seine Legimentikkünste sind noch nicht annähernd zu seiner Zufriedenheit herangereift.

Er möchte in die Köpfe seiner Mitmenschen jeder Zeit eindringen können, wenn er es für nötig hält, jeden Okklumentikwall niederreisen von Geringeren. Er hat hart dran gearbeitet Legilimentik anwenden zu können ohne den Zauberspruch laut zu sagen und noch härter hat er daran gearbeitet ohne Zauberstab in die Köpfe seiner Anhänger einzudrängen. Doch er braucht Augenkontakt und diese Form von stabloser Magie kostet Kraft. Sehr viel Kraft.

Viel mehr als ein simpler Fluch wie Stupor oder Expelliarmus. An sich bevorzugt er Magie mit seinem Zauberstab, sie kostet ihn überhaupt keine Anstrengung, aber er kann ohne Zauberstab zaubern, etwas, dass sehr viele nicht können. Er ist diesen kleinen arroganten Reinblütern so überlegen und sie wissen es nicht einmal. Es ist frustrierend wie leicht Zauberer zu täuschen sind. Sie brauchen alle Führung, eine leitende Hand. Wer wäre dazu besser geeignet, als er? Der Erbe Slytherins? Er ist ihnen nicht nur magisch überlegen, sondern auch intellektuell.

Sie sind solche Würmer im Vergleich zu ihm. Nicht eine Handvoll haben seinen Respekt. Er akzeptiert sie nur. Er braucht Anhänger.

Doch dann taucht sie wie aus dem Nichts aus. Sie hat so anders auf ihn reagiert. Sie ist so anders in seinen Augen. Sie ist dabei sich seinen Respekt zu verdienen. Noch ist sie nur eine nette Ablenkung. Interessant.

Aber sie kann warten. Sie wird auch morgen noch da sein. Jetzt muss er ein Todessertreffen leiten. Mit einem Nicken gibt er seinen Anhänger, die alle in seiner Nähe sitzen zu verstehen, dass sie sich in wenigen Minuten in einem verlassenen Kerkergewölbe treffen werden, ehe der den Tisch verlässt. Tom macht noch einen kleinen Rundgang durch das Erdgeschoss des Schlosses, bevor er sich in den Kerker begibt. Er kommt immer als Letzter, seine Anhänger haben auf ihn zu warten, nicht umgekehrt, immerhin ist er ihr Führer, sie haben seinem Befehl zu gehorchen und wer sich widersetzt oder zögert wird bestraft.

Seine Schritte sind kaum wahrnehmbar auf den harten Steinboden, so leichtfüßig gleitet er über den Boden. Die Kerker sind finster, die Holztüren in diesem verlassenen Teil des Schlosses dunkel verfärbt, die Scharniere sind angerostet. Die Fackeln, die sich selbst entzünden, sobald er vorbeiläuft hat er vor einigen Jahren selbst in ihre Halterungen gezaubert. Dieser Teil des Schlosses gehört ihm. Nur ihm. Nicht einmal ein Hauself verirrt sich hierher.

Kaltes Wasser rinnt an manchen Stellen die Wände hinab, wodurch sich Algenteppiche an den Wänden und auf dem feuchten Boden gebildet haben. Er bemerkt gar nicht wie rutschig und glitschig die Steine unter seinen Füßen sind.

Ruckartig dreht er sich zur ersten Tür seit zig Wegbiegungen um, die auf der rechten Seite eingelassen ist. Sein Versammlungssaal. Er öffnet die alte, doch geräuschlose Tür. Der Saal ist riesig und eignet sich dadurch ausgezeichnet für seine Treffen. Denn sie unterhalten sich nicht nur und schmieden Pläne, sondern üben auch kämpfen. Zu Gründungszeiten hatte der Saal bestimmt eine andere Bestimmung gehabt, als das trainieren schwarzmagischer und Duellflüche, er ist lang, geräumig, der Boden besteht nicht wie der Rest der Kerker aus groben Steinen, sondern ist fein säuberlich gefliest wie der Gemeinschaftsraum der Slytherins. Die Decke ist hoch und reichlich mit Stuck und ausgeblichenen Farben verziert. Es gibt keine freistehenden Säulen, doch aus der Wand schauen sie zur Hälfte heraus, als hätte jemand im Nachhinein Wände gezogen. Die Wände sind verblichen gelblich, die Witterung hat ihnen zugesetzt. Bestimmt waren sie einmal reinweiß.

Tom hätte problemlos den Saal in seinen ursprünglichen Zustand versetzen können, doch er wollte seinen Anhängern anhand des zerfallenden Raumes, der einmal voller Prunk war, zeigen, dass es ihrer Gesellschaft nicht anders erging. Wenn Slytherin seinen Willen durchgesetzt bekommen hätte, wäre die Gemeinschaft noch rein und sauber. Der Einfluss der Schlammblüter beschmutzt und verdreckt ihre Welt.

Ohne den Einfluss dieser Menschen, die diese Welt voller Magie nicht verstehen, wäre sie heute eine andere. Eine bessere, da ist Tom sich sicher. Deshalb will er das Werk seines Vorfahren fortsetzten.

Es geht ihm nicht nur um Macht, die könnte er auch anders erlangen. Er will die Zaubereigemeinschaft von Grund auf reinigen. Er will sie erneuern.

Etwas, wofür er Einfluss braucht und wer hätte mehr Einfluss, als die reichen, reinblütigen Aristokratensöhne, welche in dem Raum auf ihn warteten.

Gemächlichen Schrittes tritt er in die Lücke des gebildeten Zirkels. Seine Anhänger verbeugen sich und halten den Kopf gesenkt, keiner traut sich Tom in die Augen zusehen, wenn er als Lord Voldemort auftritt. Zu groß ist die Angst vor seiner Strafe bei der kleinsten Verfehlung und Respektlosigkeit ist mehr als ein kleiner Fehler.

„Dolohow, was hast du neues zu berichten?“ Toms Stimme ist kalt, emotionslos und erhaben. Nicht nur dem Angesprochenen läuft es kalt den Rücken hinunter. Dolohow tritt in den Kreis.

„Ich habe zwei neue Interessenten ausfindig gemacht, Meister.“ Sein Kopf ist gesenkt, seine Haltung ehrerbietig.

Tom fordert ihn mit einem leichten schräg legen des Kopfes auf weiterzusprechen.

„ Ein Zweitklässler aus Slytherin und ein Siebtklässler aus Ravenclaw.“

Ravenclaw. Tom ließ sich seine Überraschung nicht ansehen. Er hat nicht damit gerechnet während der Schulzeit Schüler aus anderen Häusern für seine Sache gewinnen zu können, doch Ravenclaw ist Slytherin nicht annähernd so feindlich gegenübereingestellt wie Gryffindor.

„Bringe sie das nächste Mal mit.“ Tom zieht verächtlich die Oberlippe nach oben. Er ist schon gespannt, wie das Kind und der Ravenclaw auf ihre Einweihungsprüfung reagieren, wenn sie nicht bestehen, wird er ihnen das Gedächtnis löschen.

Dolohow nickt. „Du darfst zurücktreten.“ Sofort befolgt Dolohow den verschleierten Befehl. „Wie angekündigt werden wir heute trainieren. Mulciber duelliert sich mit Rookwood, Malfoy mit Nott.“ Die angesprochenen stellen sich am anderen Ende des Saals gegenüber. „Beginnt.“ Die Kontrahenten verbeugen sich voreinander wie es die Etikette eines Übungsduells verlangt. Seine anderen Anhänger haben sich gespannt dem Duell zugewandt. Tom beobachtet die Kämpfe mäßig interessiert. Er kennt die Talente und Schwächen seiner Anhänger und er weiß wie lernfähig sie sind. Mulciber ist ein brutaler, rücksichtsloser Gegner, der es liebt andere zu quälen. Rookwoods Angriffe sind dafür nicht so blind ausgeführt, Er sucht sich die Lücken in der Deckung seines Gegners und nutzt jede Unaufmerksamkeit und mag sie noch so klein sein. Dafür unterschätzt er Mulcibers Freude am Leid anderer. Mulcibers Versessenheit darauf anderen Schmerzen zu zufügen verleiht ihm eine unerwartete Willensstärke. Tom verachtet Mulciber für seine Grobheit. Seinem Kampfstil fehlt jede Eleganz und Erhabenheit, etwas dass er bei Malfoy zu schätzen weiß.

Malfoys Arroganz lässt ihn mit einer Lässigkeit in Duelle gehen, die Toms nur um ein Jota nachsteht. Auch schreckt er nicht davor zurück unfair zu kämpfen. Deshalb hat er heute Nott als seinen Gegner ausgesucht, denn dieser steht Malfoy in Listigkeit nichts nach. Seine Angriffe sind präzise und auf Effizienz getrimmt.

Orion Black neben ihm zieht scharf die Luft ein, als ein schwarzmagischer Fluch knapp an Rookwoods Kopf vorbeifliegt. Hätte Mulciber getroffen würde Rookwood unheilbare Schäden davontragen. Tom unterdrückt ein Lächeln. Das wird Rookwood eine Lehre sein.

Kapitel 11

 

Love is a riddle.

Lenka (The show)

 

Lachend beobachtet Emi wie Jacob Fry versucht Adam Wood beim Karten spielen abzuziehen. Alle anderen, einschließlich ihr, sind bereits ausgeschieden. Jacob hat hoch konzentriert die Augenbrauen zusammen gezogen und wirft immer wieder nervöse Blicke auf die Karten vor ihm. Magara sitzt still neben ihm und kaut auf ihrer Lippe herum, wahrscheinlich versucht sie so jedes Kommentar zu unterdrücken. Abby sitzt gelangweilt neben mir und schmökert in einen Buch für angewandte Verwandlung.

Langsam lasse ich meinen Blick schweifen. Im Gemeinschaftsraum herrscht eine entspannte Atmosphäre. Kleine Grüppchen sitzen zusammen, lernen, lachen, unterhalten sich. Ein zufriedenes Lächeln huscht über Emis Gesicht.

Bis es an zwei ganz bestimmten Gestalten hängenbleibt. Phoebe und Graham, die sich küssend am anderen Ende des Raums aufhalten. Emi seufzt.

Die Stimmung in ihrem Schlafsaal ist angespannt, nahezu geladen. Magara unternimmt keinerlei Bemühungen um ihre Abneigung kund zu tun. Sie verachtet Phoebe und lässt es sie konstant spüren. Dabei hat Phoebe Magara nichts getan. Genau genommen tut sie keiner von ihnen etwas. Sie steht morgens leise auf, macht sich fertig und geht abends ebenso unauffällig ins Bett. Sie nimmt Magara den Wind aus den Segeln, was für Abbys und Emis Nerven sehr angenehm ist. Sie meckert auch so genug über Phoebe. Magara ist loyal wie eine Gryffindor und erwartet von ihren Freundinnen zumindest Respekt, egal in welcher Situation. Sie findet Phoebe hätte Emi Fragen sollen, ob es für sie in Ordnung ist, wenn sie etwas mit Graham anfängt, wohlwissend das Emi nicht nein sagen könnte. Es geht ihr schlicht und einfach ums Prinzip. Abby gibt sich alle Mühe die Spannungen zu ignorieren, doch Emi hat das Gefühl, sie nicht ignorieren zu dürfen. Als sei sie Schuld an dem Dilemma. Als gebe es die Probleme nur wegen ihr. Nur, weil es sie damals so mitgenommen hat, als er sich von ihr trennte. Dabei hat Emi Magara nicht einmal erzählt, was sie mitgenommen hat, sie wollte und will alleine mit ihren Gefühlen fertig werden. Magara hat einfach aus Emis Kummer geschlossen, dass sie Graham wirklich geliebt hat und er ihr Herz brach. Dabei war das nur ihr sekundäres Problem.

Seufzend wendet sich Emi wieder dem Spiel zu, wo sie sofort auf Magaras forschenden Blick trifft. Emi lächelt schwach. Den bohrenden Fragen ihrer Freundin will sie auf keinen Fall ausgesetzt werden. Nicht heute. Am besten generell nicht.

„Ja!“, schreit plötzlich Jacob und wirft seine Karten auf den Tisch. „Dieses Blatt schlägst du niemals!“

Adam zieht nur spöttisch eine Augenbraue hoch und legt seine Karten ab. „Gewonnen.“

Stöhnend legt Jacob seinen Kopf in die Hände. „Das macht doch keinen Spaß.“

„Es geht doch nicht ums gewinnen“, versuche ich ihn aufzuheitern.

„Aber ich verliere immer“, jammert Jacob.

„Soll ich dich mal gewinnen lassen?“, bietet Adam jovial an.

„Nein, das wäre kein Erfolg.“ Seufzend hebt Jacob seinen Kopf wieder. „Revanche?“

Magara stöhnt genervt auf und Emi schüttelt mit einer Mischung aus Belustigung und Resignation den Kopf.

„Heute nicht mehr“, lacht Adam auf. „Ich muss noch ein paar Hausaufgaben erledigen.“

„Ich auch“, schließt sich Emi an. „Gehst du in die Bibliothek?“

„Nein.“ Adam schüttelt den Kopf. „Ich brauch dafür kein Zusatzmaterial. Mir fehlt nur noch der Schluss.“

„Ich muss nochmal los und mir ein Buch ausleihen“, seufzt Emi, verabschiedet sich und verlässt den Raum.

Die kalte Luft kriecht durch das Gemäuer und unter ihren Mantel. Emi schlingt ihn im Gehen enger um sich. Durch die Fenster in der Wand erhascht sie immer wieder kleine Ausschnitte der dunklen Landschaft, die ihr nachts so oft düster vorkommt. Etwas, dass sie nie davon abgehalten hat, nach Ausgangssperre spazieren zu gehen.

Die schweren Türen knarzen, als sie sie aufdrückt und ihr der altbekannte Geruch nach Staub und Wissen entgegen schlägt. Der Raum ist von der Bibliothekarin abgesehen leer. Emi nickt ihr kurz zu, da sie ihr doch schon öfters bei der Suche behilflich war. Heute weiß sie allerdings in welchem Regal sie ihr Nachschlagwerk finden sollte, immerhin ist es ein allgemein empfohlenes Zauberkunstbuch zu diesem Thema.

Mit leisen Schritten durchquert Emi die Bibliothek bis sie das Regal erreicht. Suchend lässt sie ihren Blick über die Buchrücken schweifen. Wenn sie wenigstens wüsste wie das Buch aussieht. In dem Regal ist wirklich jedes Format vertreten. Ledergebunden, mit Stoff oder Papierrücken, in allen erdenklichen Größen und Farben. Bei manchen lässt sich der Titel nicht einmal erahnen. Wenn sie sich wenigstens gemerkt hätte welche Ausgabe sie braucht, dann könnte sie jetzt einen einfach Accio verwenden und wieder gehen. So muss sie sich das richtige manuell heraussuchen.

Wenigstens sind die Bücher alphabetisch geordnet, denkt sie sich und sucht erst ihre Sichthöhe nach dem passenden Werk ab, bevor sie weiter nach unten wandert. Schnell merkt sie, dass das die falsche Richtung ist und versucht die oberen Regale erkennen zu können.

Endlich hat sie es erspäht! Streckend versucht sie es herauszuziehen, stellt aber schnell fest, dass sie zu klein ist. Sich wieder auf die Ferse absinken lassend, greift sie nach ihren Zauberstab, um es herunter zu zaubern, wozu sie allerdings gar nicht mehr kommt.

Eine bleiche Hand schiebt sich in ihr Sichtfeld, greift mühelos nach dem Buch und hält es ihr auffordernd hin.

„Danke“, meint sie nach einer kurzen Pause, greift nach dem Buch  und nimmt es ihm aus der Hand, bevor sie in sein ausdrucksloses Gesicht sieht.

„Es ist schon spät.“

Verwirrt sieh sie ihn an. „Und?“ „Solltest du nicht in eurem Gemeinschaftraum oder Bett sein?“ „Und du etwa nicht?“ Herausfordernd hebt sie eine Augenbraue.

„Ich bin der Schulsprecher“, teilt er ihr mit und hebt ebenfalls eine Braue. „Ich bin heute dafür zuständig Schülern außerhalb ihres Refugiums Strafarbeiten auszuteilen.“

Emi lacht belustigt auf. Irgendwie fühlt sie sich vollkommen in seiner Gegenwart gelöst. „Na dann sollte ich mich mal beeilen.“

„Ich begleite dich“, lächelt er schwach und setzt ich in Bewegung um neben ihr her zu laufen.

 

„Wie war dein Tag?“, fragt sie ihn nach einigen Sekunden des Schweigens und sieht zu ihm auf. Irritiert sieht er auf sie herab. Was interessiert es sie wie sein Tag war? Die ehrliche Neugier in ihrer Stimme ist ihm vollkommen fremd. Ist das nicht eine Frage die man in unverbindlichen Konversationen einsetzt, damit das Gegenüber sich nicht langweilt? Tom hasst solche Konventionen, wenn er auch diese Form der Konversation bestens beherrscht.

„Gut“, gibt er gedehnt von sich.

„Gut?“ Hell lacht sie auf. „Was hat deinen Tag denn gut gemacht?“

„Nichts Besonderes“, wiegelt er ab und lächelt sie schwach an. „Und dein Tag?“ „Teilweise sehr lustig“, gluckst sie und scheint sich an irgendetwas zu erinnern. Zu gern hätte er in ihren Kopf gesehen um die Erinnerung mit ihr zu teilen, aber etwas ihm unbekannten sträubt sich in seinem Inneren. „Du warst heute Morgen nicht in der Bibliothek.“ Es war nicht geplant, dass er sie darauf anspricht, es war nicht geplant, dass er überhaupt etwas dazu sagt, er will nicht, dass sie weiß, dass er sie morgens beim Lesen beobachtet. Er könnte sich auf die Zunge beißen.

„Nein, ich bin gleich zum Frühstück runter, ich musste noch etwas mit Professor Crook besprechen.“ Offen blicken ihm ihre Augen entgegen.

Ein leichtes Lächeln zupft an seinen Mundwinkeln. Sie hat nicht nachgefragt. Vielleicht ist ihr gar nicht aufgefallen, dass ihm ein Fehler unterlaufen ist.

 

Sie könnte Luftsprünge machen. Er scheint sie wirklich in der Bibliothek gesucht zu haben. Und das nicht zum ersten Mal, wenn ihm aufgefallen ist, dass sie heute nicht da war. Selbstverständlich zeigt sie ihm ihre wahre Freude nicht, nicht, dass sie am Ende wie ein eine seiner Verehrerinnen wirkt und er sie in die selbe Schublade steckt. Niemals wird sie ihm nachrennen wie eine dumme, blinde Kuh. Da kann er so gut aussehen wie er will.

Leider kommt der Eingang zum Ravenclawturm früher in Sicht als sie es sich gewünscht hat. Durch ihre Überlegungen kam sie gar nicht mehr dazu sich mit ihm zu unterhalten, was ihr im ersten Moment sehr missfällt. Doch dann kommt ihr eine Idee. In einer fließenden Bewegung dreht sie sich noch mal nach ihm um und wäre fast gegen seine Brust gestolpert, wenn er sie nicht an den Oberarmen gepackt hätte, um sie zu stabilisieren. Fragend hebt er eine Augenbraue.

Nur mit Mühe schafft sie es den Drang sich auf die Lippe zu beißen zu unterdrücken und sieht leicht verschüchtert zu ihm auf. Wie peinlich! Das ist das ausgerechnet mit ihm passieren muss…

„Sullivan?“ „Ich-ähm… Ich wollte dich fragen, ob du morgen vielleicht mit mir in die Bibliothek möchtest?“ Hektisch senkt sie den Blick und studiert ausgiebig ihre Schuhspitzen, die sie wirklich dringend mal wieder polieren sollte.

„Gern“, antwortet er nach kurzem Schweigen und lässt seinen festen Griff um ihre Arme. „Um Sieben?“

„Ich werde da sein“, bestätigt sie nickend. „Gute Nacht, Riddle“, verabschiedet sie sich lächelnd und dreht sich endgültig um, damit sie das Rätsel des Türklopfers hören und beantworten kann.

Allerdings bleibt sie im Eingang stehen, bis seine leisen Schritte endgültig verhallt sind.

Sie kann es kaum fassen. Sie ist morgen wirklich mit Tom Riddle verabredet! Auf der einen Seite freut sie sich ungemein darüber, ein anderer Teil blickt dem Treffen ängstlich entgegen.

Worüber soll sie mit ihm reden? Wie soll sie sich benehmen? Was erwartet er? Ruckartig schüttelt sie den Kopf, als könnte sie die störenden Gedanken einfach aus ihrem Kopf verdrängen.

Sie sollte sich keine Sorgen um Tom Riddle machen. Und erst recht nicht so oft über ihn nachdenken. Und überall in den Gängen nach ihm Ausschau halten. Was für ein unlogisches Verhalten.

Es sollte sie überhaupt nicht interessieren, wann er wo ist und was er macht. Sie sollte sich auch nicht darüber freuen, dass er gemerkt hat, dass sie heute nicht in der Bücherei war.

Es sollte ich egal sein. Nicht mehr und nicht weniger.

Aber das ist es ihr nicht.

Schwer schluckend setzt sie sich an einen freien Platz mit ihren Unterlagen. Sie sollte sich wirklich nicht um ihn scheren, wie all die Jahre zuvor, doch sie kriegt ihn nicht aus ihrem Kopf.

Und das ist etwas, dass ihr ein beklemmendes Gefühl bereitet.

Kapitel 12

 

Lernen besteht in einem Erinnern von Informationen, die bereits sein Generationen in der Seele des Menschen wohnen.

Sokrates

 

Kurz vor sieben stolpert Emi hektisch den Gang zur Bibliothek hinunter. Verrückterweise hatte sie heute Morgen das Bedürfnis sich hübsch zu machen. Für Riddle. Sie kann es selbst kaum fassen.

Sie kann es nicht einmal fassen, dass sie wirklich hingeht. Sie weiß nicht einmal was sie da will. Was er vorhat. Leise betritt sie die Bibliothek und sucht die Sitzgruppen nach ihm ab. Erleichterung überkommt sie als sie ihn allein in der hintersten Ecke der Bibliothek findet. Für einen Moment befürchtete sie, dass er in der Verbotenen Abteilung auf sie wartet und einfach nicht gekommen ist.

Wenn er gar nicht gekommen wäre, hätte sie sich auf der einen Seite nicht gewundert und auf der anderen sich einfach nur geschämt. Was macht sie auch hier? Was will Riddle plötzlich von ihr?

Oder noch viel wichtiger: Was will sie von ihm? Warum interessiert sie sich plötzlich für ihn? Jahre lang hat sie ihn einfach missachtet und ihn zwar registriert aber nie wirklich beachtet. Sie wollte nie zu den Mädchen gehören, die für den Slytherin schwärmen. Jetzt ist sie sich nicht mehr so sicher, ob sie das auch geschafft hat. Wenn sie einen Klassenraum betritt und er schon anwesend ist, sieht sie zuerst zu ihm. Wenn sie in einem Raum ist und er ihn betritt, weiß sie sofort, dass er es ist. Sie hat das Gefühl zu spüren, sobald er in ihrer Nähe ist. Auf der einen Seite macht ihr das Angst, auf der anderen fasziniert es sie. Sie hat noch nie davon gelesen, dass man die Anwesenheit eines Menschen spüren kann, bevor man ihn sieht.

„Da bist du ja“, begrüßt Riddle sie monoton und nimmt die Füße von der Fensterbank, um sich ihr zu zuwenden.

„Guten Morgen“, begrüßt sie ihn mit einem Lächeln. „Ich bin doch nicht zu spät?“ Er schüttelt den Kopf und lächelt sie an. Es ist ein Lächeln, dass sie schon hunderte Male an ihm gesehen hat, wenn er sich mit Lehrern oder Mitschülern unterhalten hat. Sie hat es bisher nur aus der Ferne gesehen. Bis heute ist ihr nie aufgefallen, dass das Lächeln nicht seine Augen erreicht.

Aus der Ferne hat es immer unglaublich charmant gewirkt. Jetzt wirkt es nur noch traurig in seiner Falschheit auf sie. Vor allen Dingen nachdem sie am Wochenende sein richtiges Lächeln zu sehen bekommen hat. Zugegeben, es war kein strahlendes, aber echt. Es gab ihr das Gefühl auf dem besten Weg zu sein sich mit ihm anzufreunden. Jetzt hat sie das Gefühl wieder einen Schritt rückwärts gemacht zu haben. „Was liest du?“, fragt sie ihn trotzdem so fröhlich wie möglich.

Nach kurzem Zögern hält er ihr das Cover hin, damit sie es selbst lesen kann. „Will ich wissen, was du damit vorhast?“ Mit hochgezogenen Augenbrauchen sieht sie ihn an.

„Vorerst gar nichts“, antwortet er. „Setz dich.“

Ohne zu zögern kommt sie seiner Aufforderung nach und holt ihr eigenes Buch aus der Tasche. „Jetzt eine Tasse Tee“, grummelt sie mehr zu sich selbst, als an Riddle gerichtet, aber er hat es trotzdem gehört. „Wenn du rausgeschmissen werden willst, ist der genau richtig in der Bibliothek“, kommentiert er trocken.

„Ach sei still“, antwortet sie automatisch mit einem Schmunzeln und hebt den Blick von ihrem Buch um zu sehen,wie er reagiert hat. Er in seiner Bewegung eingefroren ist. Langsam bewegt sie ihre Hand zu ihrem Zauberstab um sich notfalls zu verteidigen. Nach Samstag hätte sie eigentlich gedacht, dass er anders reagiert. Nicht unbedingt mit Humor, aber doch entspannter.

Der ihr zugewandte Wangenmuskel zuckt kurz, dann hebt er ruckartig den Kopf und sieht ihr ins Gesicht. Abwartend hält sie die Luft an, wie ein erstarrtes Reh kann sie seinem durchdringenden Blick nicht ausweichen. Möchte es aber auch nicht. Sie will sich nicht von ihm herumkommandieren lassen, nur um in seiner Nähe bleiben zu können. Der Gedanke ist irrational. Das Verhalten wäre irrational.

Herausfordernd hebt sie eine Augenbraue. Der Muskel zuckt wieder und er wendet sich von ihr und seinem Buch zu. Diesmal hat das Zucken eher wie ein unterdrücktes Lächeln gewirkt, am Samstag hatte sie das auch ab und an beobachtet. Erleichtert lässt sei die angehaltene Luft aus ihren Lungen strömen und nimmt ihre Hand von ihrem Zauberstab. In der Bibliothek hätte sie sich nur ungern duelliert. Die armen Bücher.

 

Riddle und sie betreten eine halbe Stunde vor Unterrichtsbeginn die Große Halle und trennen sich wortlos, um zu ihren Tischen zu gelangen. Maggie und Abby halten ihr einen Sitzplatz frei und sehen ihr gespannt entgegen. Sie hatte keiner von beiden verraten, dass sie heute früh mit Riddle verabredet war. Allerdings sind die beiden nicht die Einzigen, die Emi anstarren. Ihr folgen einige Blick von anderen Mädchen. Besonders giftige vom Slytherintisch. Emi seufzt. Sie hätte sich die Reaktion eigentlich denken können. Am Samstag wurde sie ja schon schräg angesehen, aber jetzt wo sie mit Riddle zusammen zum Frühstück kam, kann sie die Gerüchteküche förmlich brodeln sehen. Wenn sie getrennt gekommen wären, wäre der Samstag wieder ziemlich schnell vergessen, aber so stellt sie sich lieber mal auf einige Streiche ein. Ihren Mitschülern traut sie alles zu. Hoffentlich setzen sie ihr keine schleimige Kröte ins Bett. Die Viecher findet sie schon seit einer Ewigkeit eklig.

Leider wissen das viel zu viele in ihrem Haus. In der zweiten Klasse rannte sie mal vor der Kröte eines Hauskameraden weg. Einige hatten sich in den Tagen danach einen Spaß daraus gemacht überall Kröten in ihrer Umgebung auftauchen zu lassen. Leider hat das nicht zu ihrer Abhärtung bei getragen.

„Morgen“, strahlt sie die beiden so unschuldig wie möglich an und greift sich schnell die Teekanne, um die neugierigen Blicke nicht erwidern zu müssen.

„Guten Morgen“, erwidert Abby, nachdem Emi die Kanne abgestellt hat und nach einem Brötchen und Honig greift.

„War das gerade ein Zufall, dass du mit Riddle zusammen gekommen bist? Ich bin mir nämlich ziemlich sicher die gestern Abend in deinem Bett gesehen zu haben“, grinst Maggie mit wackelnden Augenbrauen an Stelle einer Begrüßung. Erst jetzt fällt Emi auf, dass Jacob auf der anderen Seite von Magara sitzt und den Tagespropheten liest.

„Es ist kein direkter Zufall“, mein Emilienne zögernd und beißt in ihr Brötchen.

„Das heißt?“ Magara hibbelt leicht neben ihr herum. „Hat er auf dich vor der Tür gewartet?“

Emi schüttelt den Kopf. „Wir waren heute Morgen zusammen in der Bibliothek.“

„Ich dachte deine morgendlichen Lesestunden sind dir heilig?“ Abby sieht sie irritiert an.

„Stimmt schon, aber Riddle spricht nicht und lässt mich einfach lesen. Ich… Es…“ Fragend sehen ihre Freundinnen sie an. „Ich kann es mir selbst nicht erklären.“ Sie schüttelt den Kopf. „Tut mir leid.“

„Kein Grund sich zu entschuldigen“, mein Maggie achselzuckend. „Solange du uns auf dem Laufenden hältst.“

„Wenn etwas passiert, erfahrt ihr es immer zuerst. Das wisst ihr doch“, lächelt Emi ihre Freundinnen an.

„Das will ich auch hoffen“, droht ihr Maggie spielerisch mit erhobenem Zeigefinger und zwinkert ihr zu. „Und jetzt mach, dass du zu Zaubertränke kommst. Ich lege mich nochmal ein paar Stunden ins Bett. Ich saß ewig an meinen Kräuterkundehausaufgaben.“

Emi, die nur kurz vor ihrer Freundin ins Bett ist, verzieht leicht genervt das Gesicht. Sie könnte jetzt auch auf den kalten Kerkerraum verzichten und gegen ihr Bett eintauchen. Da ist es wenigstens warm, ohne in Gefahr zu gehen sich in Brand zu stecken, weil man zu nah am Feuer steht, damit die Füße nicht gefühlstaub werden. „Schlaf gut“, wünscht sie ihr trotzdem, bevor sie den Tisch verlässt.

 

Die restlichen Kursteilnehmer des Zaubertränke-UTZ-Kurses sind schon anwesend und warten auf den Professor, als Emilienne auf den Klassenraum zu läuft.

Außer ihr nehmen noch fünf Slytherins, einschließlich Riddle, zwei Gryffindors, mit denen sie noch nie ein privates Wort gewechselt hat, ein Hufflepuff und Phoebe teil. Bisher hat sie bei Partnerarbeiten immer mit Phoebe zusammengearbeitet. Allerdings ist sie sich nicht sicher, ob sie überhaupt noch mit ihr zusammen arbeiten will und wenn es nur für eine Doppelstunde Zaubertränke ist. So demonstrativ wie Phoebe ihr gerade den Rücken zugewandt hat, um sich mit den beiden Gryffindors zu unterhalten, kann sie gut darauf verzichten. Betont gleichgültig stellt sie sich in die Nähe des Hufflepuffs und holt ihr Zaubertränkebuch aus der Tasche.

 

Sein Blick fällt sofort auf Emilienne, als sie den Gang betritt. Seine Anhänger stehen um ihn herum und buhlen um seine Aufmerksamkeit. Nur nebenbei bekommt er mit wie Dolohow sich leise mit Rookwood streitet, als Sullivan sich alleine gegen die Wand lehnt und ihr Buch rausholt. Er rechnete eigentlich damit, dass sie sich zu Phoebe Williams gesellt, die sich mit den Gryffindors unterhält.

„Riddle?“ Malfoys Stimme lässt seine Aufmerksamkeit von der offenkundigen Feindseligkeit der beiden Mädchen wieder zu seinen Leuten wandern. Auffordernd hebt er eine Augenbraue. „Wann ist das nächste Treffen?“

„Bald“, gibt er ungenau zurück. „Dolohow, du wirst die neuen Interessen mitbringen. Sorge dafür, dass sie jeder Zeit bereit sind.“

„Werde ich, Meister.“

„Gut“, lächelt Tom schwach und lehnt sich seitlich an die Wand, als er die schweren Schritte von Slughorn näher kommen hört. Schwer schnaufend bleibt er vor der Tür stehen, hebt die Flüche, welche die Tür verschließen, auf und winkt seine kleine Klasse rein.

„Ich habe etwas ganz besondere heute mit euch vor“, strahlt er die Gruppe an, als alle an ihrem Tisch sind. „Eine Gruppenarbeit, die bis zu den Weihnachtsferien ihre Zusammenarbeit fordert. Jede Gruppe kriegt ihren eigenen Trank, damit ihr auch ja nicht schummeln könnt.“ Er zwinkert mit einem Grinsen in die Runde. „Selbstverständlich weiß ich, dass keiner von ihnen das nötig hat.“ Höflich lachen einige über seinen Witz, auch Riddle grinst in seine Richtung. „Dann wollen wir mal die Gruppen einteilen. Rookwood, sie arbeiten mit de Bouffier zusammen, Greenwood, sie mit Malfoy, wir wollen doch mal die Häuser ein wenig mischen, nicht wahr?“ Wieder strahlt er in die Runde. „Miss Williams, ich denke, dass sie und Mulciber ein gutes Duo abgeben werden. Mister Dolohow, sie werden mit Miss Sullivan ein Team bilden und Mister Riddle und Rayne ein weiteres.“ Er klatscht einmal auffordern in die Hände. Riddle sieht zu dem Hufflepuff rüber, der für die nächsten Tage sein Partner sein soll. Mit einem leichten Grünstich und zitternden Händen blickt Rayne auf den Tisch. Der Hufflepuff sitzt immer so weit von den Slytherins weg wie möglich. Leicht belustigt hebt Riddle den Mundwinkel und wendet sich wieder nach vorne. Mit diesem panischen Kerl wird er niemals zusammen arbeiten. Es ist viel zu wahrscheinlich, dass er in seiner Angst den Trank verdirbt. „Professor Slughorn, Sir“, ruft Riddle den Professor mit erhobener Hand.

„Ja, Mister Riddle?“ Freundlich lächelt der Professor auf ihn herab. Slughorn war ihm schon immer wohlgesonnen und freundlich zu ihm. Ein Grund, warum Riddle sich besonders viel Mühe für sein Fach gibt.

„Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, Sir, aber könnte ich bitte einen anderen Partner bekommen?“ Slughorn runzelt die Stirn und blickt zu Rayne, der immer noch grün im Gesicht zu dem Professor hochblickt. Slughorn seufzt. „Mit wem würden sie denn gerne zusammenarbeiten, Mister Riddle?“

„Miss Sullivan, wenn das in Ordnung ist, Sir“, bittet Riddle den Professor ohne darüber lange nachdenken zu müssen. Um ehrlich zu sein hat er überhaupt nicht gedacht.

Slughorn hebt verwundert eine Augenbraue und sieht kurz zur Schulsprecherin. Scheinbar hat er damit gerechnet, dass Riddle mit ihr zusammenarbeiten möchte und nicht mit einer seiner stilleren, unauffälligeren Schülerinnen.

„Miss Sullivan, Mister Dolohow, wären sie mit einem Tausch einverstanden?“, wendet sich der Professor an die beiden. Sowohl Dolohow, als auch Sullivan nicken. „Mister Rayne?“ Fragend sieht Slughorn den Hufflepuff an, welcher ebenfalls nickt. „Dann ist das geklärt.“ Erneut klatscht Slughorn in die Hände. „Setzen sie sich bitte alle zu ihrem Partner, damit ich die Tränke verteilen kann.“

Malfoy macht den Platz neben Riddle frei, wo sich kurz darauf Sullivan hinsetzt. Sie lächelt Tom an. Automatisch lächelt er zurück.

„Danke.“

„Wofür?“ Verwundert sieht er sie an.

„Ich arbeite lieber mit dir als Dolohow zusammen.“ Sie zuckt mit den Achseln. „Um ehrlich zu sein sogar viel lieber.“

Ihre Aussage bringt ihn zum Lächeln. „Du bist einfach geeignet mit mir zusammen zu arbeiten, als einer der anderen.“ „Slytherins inklusive?“, grinst sie ihn an.

Er hält kurz inne, ehe er nickt. „Ja, Slytherins inklusive.“

„Das nehme ich als ein Kompliment“, lächelt sie ihn an.

„So, meine Lieben. Ihr Trank ist der Vielsafttrank. Ich hoffe, dass ihre Arbeit ein voller Erfolg wird.“ Slughorn steht lächelnd vor dem ungleichen Duo und blickt sie abwechselnd an. Sullivan lächelt unverbindlich zurück.

„Wir werden sie nicht enttäuschen, Sir“, verspricht Tom und lächelt ebenfalls.

„Das will ich doch schwer hoffen“, gluckst der Professor. „Immerhin bin ich ihnen mit dem Partnerwechsel sehr entgegen gekommen. Da erwarte ich ein gutes Ergebnis.“

„Sie werden es nicht bereuen“, meldet sich Sullivan zu Wort. „Mister Riddle und ich werden unser Bestes geben.“

Mit einem zufriedenen Lächeln wendet sich Slughorn ab und kehrt zu seinem Platz hinter dem Lehrerpult zurück. Tom und Emilienne sitzen am Ende der Reihe und waren somit die letzten die ihren Trank bekamen.

Die anderen Paare holen schon ihre Zutaten oder sitzen noch diskutierend über dem Rezept.

„Mister Riddle? Nennst du mich ab jetzt immer so?“ Mit einem Lächeln sieht er das kleinere Mädchen neben sich an.

„Da könntest du dich dran gewöhnen, was?“ Sie grinst. „Vergiss es, Riddle.“

Das Mädchen erstaunt ihn immer wieder. Obwohl sie nicht alleine sind, behandelt sie in so respektlos wie immer. Die vorsichtigen Blicke seiner Hausgenossen missachtend schiebt er sein gebrauchtes Buch in die Mitte. „Besorgst du die Zutaten? Dann kümmere ich mich schon mal um den Kessel und das Feuer.“

Nickend steht sie auf, überfliegt noch einmal die Zeilen und macht sich auf den Weg zum Zutatenschrank. Ein Schnauben vom Nachbartisch veranlasst ihn dazu den Blick von seiner Partnerin zu nehmen. Die zusammen gekniffen Lippen und wütend funkelnden grünen Augen der Schulsprecherin veranlassen ihn dazu fragend eine Augenbraue zu heben. Ungerührt begegnet er ihrem Blick. Ihre Augen huschen kurz hinter ihn und müssen wohl Sullivan treffen, ihr verächtlich verzogener Mund macht ihn irgendwie wütend. Glücklicherweise kommt in dem Moment Malfoy zurück und setzt sich wieder zwischen Catherine und Tom. Er hätte nicht gewollt, dass Sullivan mit bekommt wie verächtlich Greenwood sie ansieht. Er hätte nicht gewollt, dass ihre Gefühle verletzt werden. Nicht wegen ihm. Auch wenn er schlecht durchgehend aufpassen kann, dass kein eifersüchtiges, grundlos eifersüchtiges Mädchen, wie er sich selbst erinnern muss, sie von hinten verhext. Das Verhalten dieser Frauen ist schlichtweg unberechenbar. Er ist weder an Sullivan noch sonst einer Hexe interessiert. Trotzdem wird er ab jetzt Greenwood im Auge behalten. Und auch jede andere Hexe, die Sullivan schräg ansieht.

Kapitel 13

 

Schaust du mich aus deinen Augen lächelnd wie aus Himmeln an, fühl‘ ich’s wohl, dass solche Sprache keine Lippe führen kann.

Josepf Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff

 

Es macht ihr richtig Spaß mit Riddle zusammen an einem Trank zu brauen. Slughorn hat gerade die Stunde beendet und Riddle den Trank mit einem Statikzauber belegt, als sie ihre lederne Umhängetasche schließt.

„Das lief doch ganz gut“, lächelt sie ihn an, ihre Hüfte lehnt sie am Tisch an und beobachtet wie sich eine Tasche nach einem Zauberstabschlenker selbst packt.

„Ich sagte doch, dass ich mit dir zusammenarbeiten will“, gibt Riddle lächelnd zurück. Kurz flackert sein Blick zur Tür. Das Lächeln verschwindet und macht einem kalten, warnenden Blick Platz, bevor er zu ihr zurücksieht. Seine Züge werden augenblicklich wieder weicher. Emi wirft einen Blick hinter sich, sieht aber nichts, was seinen Stimmungswechsel erklärt. Eigentlich hatten sie im friedlichen Einklang miteinander gearbeitet. „Alles okay?“, fragt sie ihn zaghaft und pfriemelt an ihrer Krawatte herum.

„Was sollte nicht stimmen?“ Sie blickt nochmal kurz hinter sich und zuckt dann mit den Achseln. Am liebsten würde sie den Fußboden anstarren, will aber nicht schwach vor ihm erscheinen, also hält sie seinem Blick stand.

„Es ist nichts“, teilt er ihr mit und fordert sie mit einer Handbewegung auf loszugehen.

 

Nichts sieht aber anders aus“, grummelt sie ohne sich zu ihm umzudrehen. Wahrscheinlich sollte er es gar nicht hören, aber dann hätte sie eindeutig leiser reden sollen. Er kann nicht anders außer kurz in sich hinein zu lächeln. Die kleine Ravenclaw ist einfach ein Unikat. Eine Schande, dass sie sich nicht schon früher mit ihm angelegt hat. Seine Schuljahre wären sicherlich einiges interessanter geworden.

Er beschließt nicht auf ihr Gegrummel einzugehen und begibt sich mit zwei langen Schritten neben sie.

„Du hast mir mal wieder den Rücken zugedreht“, wechselt er das Thema und spielt auf ihr Zusammentreffen in dem Geheimgang an, der nicht ganz so friedlich verlaufen ist. Sie hebt eine Augenbraue und sieht ihn von der Seite an. „Wenn ich nicht einmal mehr meinen Freunden den Rücken zu drehen kann, werde ich mich am Ende nur noch seitwärts an den Wänden entlang fortbewegen. Ich bin doch kein Krebs.“

Überrascht sieht er sie an. Einige lose Haare, die zu kurz für ihren Dutt sind, tanzen um ihr Ohr herum. Hat sie ihn gerade als Freund bezeichnet? Schwer schluckend blickt er wieder nach vorne. Er hat keine Freunde. Er hatte noch nie Freunde. Und jetzt bietet Sullivan ihm ihre Freundschaft an. Einfach so. Irgendetwas in ihm möchte hoffen, dass sie keine Hintergedanken hat. Irgendetwas hofft, dass sie keine Hintergedanken hat. Schwer schluckend lässt er noch einmal den Satz durch den Kopf gehen.

Sie bietet ihm gar nicht ihre Freundschaft an. Sie betrachtet ihn bereits als Freund.

Er nimmt sich fest vor, sie nie, niemals von hinten anzugreifen.

 

Emi beobachtet seine Reaktion aus dem Augenwinkel. Er verzieht kaum eine Miene, aber sie kann förmlich spüren, wie es hinter seiner Stirn arbeitet. Mühsam unterdrückt sie ein Lächeln.

Ihr war bis eben gar nicht klar, dass sie den arroganten Slytherin inzwischen als Freund betrachtet. Zugegeben, sie weiß nichts über seine Vergangenheit oder über die Sachen, die er macht, wenn er nicht in ihrer Nähe ist, aber sie verbringt gerne Zeit mit ihm.  Sie hat irgendwann in den letzten Tagen oder Wochen einfach angefangen ihn zu mögen. Dass sie ihre Meinung über ihn geändert hat, hatte sie gar nicht mitbekommen. Selbstverständlich erinnert sie sich noch an alles. Sie hat weder seine Drohungen noch sein unmögliches Verhalten vergessen. Aber das ist alles in den Hintergrund gerückt. Seine undurchschaubare Art fasziniert sie. Und aus dieser Faszination wurde ein ernsthaftes Interesse an seiner Persönlichkeit. Sie verbringt wirklich gerne Zeit mit ihm. Er ist so anders, als der Rest.

 

Mit einem Lächeln verabschiedet sie sich von ihm am Ende der Treppe, wo seine Freunde auf ihn warten. Ihre Freundinnen warten wie immer am Tisch, wenn sie nicht gemeinsam Unterricht haben. Abby winkt sie lächelnd heran, da Magara voll auf damit beschäftigt ist eine Gabel nach der anderen in sich hineinzuschieben. „Und wie war es?“, fragt Maggie nach dem sie geschluckt hat.

„Geht schlimmer.“ Nonchalant zuckt Emi mit den Achseln. „Wir haben eine neue Teamarbeit angefangen, die bis zu den Ferien gehen soll. Gut geschlafen?“

„Oh ja, bestens“, grinst Maggie, bevor sie sich nachschöpft. Abby nimmt sie auch etwas von dem Shepherd’s Pie, bevor sie an Emi den Löffel weitergibt. Die drei Mädchen albern beim Essen miteinander herum, bis sich Jacob und Adam sich zu ihnen setzen.

 

Lachend kommen die fünf im Verwandlungsklassenraum an und setzten sich in einer Reihe nebeneinander. Graham, Phoebe und die restlichen Ravenclaws, die diesen Kurs belegen treffen kurz nach ihnen ein und setzen sich in die Reiche vor ihnen. Früher saß Phoebe bei ihnen und hat die Sechser-Reihe komplett gemacht. Jetzt erinnert der leere Stuhl Emi immer daran, dass ihre Freundschaft gerade am Zerbrechen ist, falls es noch nicht zu spät ist, und sie keine Ahnung hat, wie sie die Situation wieder kitten kann. Professor Dumbledore betritt den Klassenraum in einem helllilafarbenen Umhang. „Auf eure Plätze, wir haben heute viel vor“, ruft er ihnen noch auf seinem Weg zum Pult zu.

Maggie verzieht hinter seinem Rücken das Gesicht und lässt lautstark ihr Buch auf dem Tisch fallen.  Aus ihrer Hochsteckfrisur hat sich eine krause Locke befreit und tanz über ihre Wange. Genervt streicht sie die Strähne zurück. „Ich hätte im Bett bleiben sollen.“

„Du hättest nach den ZAGs aufhören können“, erinnert Jacob sie grinsend. „Dann müsstest du zwar trotzdem ab und an aufstehen, aber dir bleibe die Lernerei erspart.“

Maggie schnaubt. „Hausmütterchen steht nicht auf meiner Wunschberufliste. Um Krankenschwester zu werden brauche ich mindestens fünf UTZs. Außerdem bin ich nicht umsonst in Ravenclaw. Ich-“

„Ms Kutesa, könnte ich auch ihre Aufmerksamkeit kriegen?“, unterbricht Dumbledores Stimme Maggies‘ Tirade. Augenblicklich läuft sie rot an.

„Sicherlich, Professor.“ Zufrieden nicht Dumbledore und wendet sich wieder von ihr ab, um mit seiner heutigen Stunde zu beginnen.

 

Da Verwandlung die letzte Stunde des Tages ist, gehen die fünf Ravenclaws direkt in die Bibliothek. Leider sind schon alle großen Gruppentische besetzt, weshalb Adam sich zu seiner Freundin und zwei weiteren Gryffindors setzt, die Emi zwar namentlich und vom Sehen kennt, aber noch nie ein Wort an sie gerichtet hat. Oder umgekehrt. Sorgsam breitet sie ihre Unterlagen auf ihrem Tisch aus und beginnt mit Verwandlung. Da die Zaubertränkehausaufgaben sich immer auf den Stand des Projekts beziehen und das Vorgehen der Stunde wiederspiegeln soll, ist sie später mit Riddle verabredet. Um vier wollen sei sich hier in der Bibliothek treffen, da sie schon da ist, wird er sie sicherlich am Tisch abholen, sobald er da ist.

 

Kurz vor vier betritt Tom die Bibliothek. Eigentlich hat er damit gerechnet noch auf Emilienne warten zu müssen, aber auf seinem Weg durch den Mittelgang entdeckt er sie mit Abbygayle, Magara und Jacob Fry an einem Tisch. Vor ihr aufgeschlagen liegt ein dickes Buch, dass verdächtig nach dem Verteidigung-gegen-die-Dunklen-Künste-Buch aussieht. Leise geht er auf die Gruppe zu und bleibt einen Schritt vom Tisch entfernt stehen. „Sullivan“, begrüßt er sie leise, um niemanden zu stören. Mit einem erschrockenen Ausdruck im Gesicht blickt sie hoch. Ihre Hand zuckt kurz Richtung Zauberstab, ehe sie sich wieder entspannt. „Riddle, du hast mich erschreckt.“

„Entschuldige“, sagt er reflexartig und nicht kurz den anderen zu, die ihn anblicken. Abbygayle White lächelt ihn kurz an, bevor sie sich wieder ihrem Pergament widmet und Jacob Fry  nickt zurück. Kutesa hingegen lässt ihn nicht aus den Augen. Forschend sieht sie ihn an. Kurz fragt er sich, was Emilienne wohl zu ihr über ihn gesagt hat.

„Wir sehen uns nachher“, verabschiedet Sullivan sich, steht auf, hängt sich die Tasche über die Schulter und kommt mit dem Buch in der Hand auf ihn zu. „Suchen wir uns eine ruhige Ecke.“

„In Ordnung.“ Verabschiedend lächelt Sullivan Kutesa noch einmal an, bevor sie an ihm vorbei tiefer in die Bibliothek hineingeht. Er nicht ihr ebenfalls nochmal zu. Die anderen beiden beachten das Duo nicht mehr. „Wir können uns auch in die Verbotenen Abteilung setzen, wenn du möchtest, da werden wir nicht ständig schräg angesehen“, bietet sie ihm an und verschränkt ihre Arme vor der Brust. Ihm ist auch aufgefallen, dass sie von allen Tischen, an denen sie vorbeikommen mit Blicken bedacht werden. Sogar von den jüngeren Schülern. Dabei sieht man Ravenclaws und Slytherins ab und an zusammen in der Bibliothek oder in den Gängen. Die beiden Häuser sind, von Quidditchrivalitäten abgesehen, nicht mit einander verfeindet und sich gar nicht mal unähnlich.

Verwundert runzelt er die Stirn, als er hinter sich den Eingang zu der Abteilung verschließt. Sullivans angespannte Körperhaltung lockert sich wieder, ihre Arme hängen locker an ihren Seiten hinab. Er mustert sie. Sie ist ein einziger Widerspruch in seinen Augen. Auf der einen Seite beschäftigt sie sich mit Dunkler Magie und schreckt nicht davor zurück ihn heraus zu fordern und auf der anderen Seite versucht sie den Blicken ihrer Schulkameraden zu entkommen, mag es nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zustehen und hält sich im Hintergrund. Er hält sie keinesfalls für schüchtern, dass würde ebenfalls nicht passen. Sie scheint nur bemüht jeglicher Aufmerksamkeit zu entgehen.

„Setzen wir uns hier hin?“ Sie lächelt ihn an.

Er nickt und stellt seine Tasche ab. Seine Unterlagen fliegen von selbst auf den Tisch und breiten sich akkurat auf seiner Hälfte aus. Sie grinst ihn an. „Hast du Angst dich am Papier zu schneiden?“ Mit zielsicheren Griffen holt sie alles, was sie braucht aus ihrer Tasche.

„Wie kommst du denn darauf?“ Fragend sieht er sie an, als er die Spitze seiner ausgefransten Feder in die Tinte tunkt.

„Weil du so gut wie nie etwas selbst in die Tasche rein oder rausräumst“, schmunzelt sie und macht es ihm nach, allerdings ist ihre Feder vollkommen in Takt.

„Wieso sollte ich?“, fragt er sie. „Magie ist dafür da unser Leben leichter zu machen.“ „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich dich als faul bezeichnen, Tom.“ Sie grinst zu ihm hoch.

Er runzelt die Stirn. „Du hast mich noch nie Tom genannt. Was ist aus Riddle geworden?“

„Ich dachte, da wir jetzt Freunde sind, ist es in Ordnung für dich, wenn ich dich mit deinem Vornamen anspreche.“

„Ich mag den Namen nicht.“

„Warum denn nicht?“ Verwunderung schwingt in ihrer Stimme mit. Er presst die Lippen zusammen. Weil mein Vater so hieß, schießt es ihm durch den Kopf, und er ein wertloser Muggel war.

„Wie nennen dich denn deine Freunde?“, fragt sie weiter, als er nicht antwortet und mit verbissener Miene das Datum auf das Pergament schreibt.

Du bist mein erster Freund, mein einziger, denkt er.

„Riddle“, antwortet er ausweichend. Er möchte nicht, dass sie von seinem Synonym erfährt. Irgendetwas in ihm möchte nicht, dass sie Teil dieser Welt wird. Sie ist der erste Mensch, der ihm einfach Freundschaft anbietet. Er möchte dieses neue Gefühl keinem Risiko aussetzen. So sehr sie auch von der schwarzen Magie fasziniert scheint, vertritt sie Ideale wie ihr erstes Zusammentreffen ihm gezeigt hat.

„Wenn du willst, kann ich auch bei Riddle bleiben“, bietet sie ihm zögernd an.

Er schüttelt den Kopf. „Nicht nötig.“ Sofort strahlt sie ihn wieder an.

Das Stechen, welches bei ihrer enttäuschten Miene in seiner Brustregion aufgetaucht ist, verschwindet augenblicklich, als sie ihn wieder anlächelt. Zaghaft lächelt er zurück. Er fühlt sich gut an, sie einfach anzulächeln. Leicht. Richtig.

„Also, Tom, wollen wir anfangen?“, fragt sie ihn und betont dabei seinen Namen besonders. Als müsste sie sich erst an den Klang, an das Gefühl auf der Zunge gewöhnen.

 Wieder hat er den Drang zu Lächeln. „Gern.“

 

Knapp eine Stunde später setzt Riddle den Punkt seines letzten Satzes. Da Emis Feder immer noch über das Pergament kratzt, erscheint es Riddle sicher sie zu beobachten. Entspannt sitzt sie ihm gegenüber und kaut konzentriert auf ihrer Unterlippe herum. Am liebsten würde er über den Tisch greifen und die Lippe vor ihren Zähnen retten, aber das Herzklopfen, das ihn bei dem Gedanken überkommt, lässt ihn inne halten. Merkwürdig. Er legt die Stirn in Falten. Sein Herz klopft genauso aufgeregt, wie wenn er einen neuen Fluch ausprobiert. Hält sein Unterbewusstsein sie vielleicht für gefährlich? Er schüttelt den Kopf. Bis jetzt hat sie ihm keinen Anlass zu Beunruhigung gegeben.

„Tom?“

Beim Klang ihrer Stimme fixiert er seinen abgedrifteten Blick wieder auf sie. Sie lächelt ihn an.

„Emilienne?“, macht er sie nach und hebt eine Augenbraue herausfordernd. Schon wieder lächelt sie ihn an. Sie scheint keine Angst vor ihm zu haben. Keine Angst sich ihm zu öffnen.

„Hast du noch etwas vor oder bleibst du noch ein wenig hier?“

„Und was willst du machen?“ „Lesen?“

„In Ordnung. Weißt du schon, was du Lesen willst?“

Sie zuckt mit den Achseln. „Ich hätte mir jetzt was gesucht. Oder kannst du mir etwas empfehlen?“

Nachdenklich sieht er sie an. „Bleib sitzen“, fordert er sie auf. Einen Moment hat er sich gefragt, ob sie ihn nur um Rat fragt, um ihn nachher bei Dippet oder Dumbledore anzuschwärzen, doch er verwarf den Gedanken schnell. In ihrem Blick lag keine Verschlagenheit. Und er weiß durch seine Nachforschungen, dass sie sich wirklich für schwarze Magie interessiert.

Zielstrebig läuft er auf ein Regal mit Zaubertränken an. Das Buch wird ihr sicherlich gefallen.

Kapitel 14

 

Eine gute Küche ist das Fundament allen Glücks.

Auguste Escoffier

 

 

„Weißt du wie viel Uhr wir haben, Tom?“ Langsam hebt Riddle seine Augen von der Seite, die er gerade liest und sieht zu Emilienne rüber.

Belustigt zieht er seinen Zauberstab und lässt die Uhrzeit zwischen ihnen auf dem Tisch erscheinen.

„Das Abendessen ist gerade beendet worden“, teilt er ihr desinteressiert mit und widmet sich seinem Buch.

„Das erklärt meinen Hunger“, grummelt sie und verschanzt sich ebenfalls wieder hinter ihrem Buch. Allerdings nur für wenige Sekunden. „Tom?“

Er seufzt und legt das Buch mit einem Finger auf seiner aktuellen Seite auf den Tisch. „Emilienne?“

Sie rümpft die Nase. „Emi.“

Er hebt verwundert die Augenbraue. Spricht sie jetzt mit sich selbst?

Sie verdreht die Augen. „Du sollst mich Emi nennen. Nur mein Vater, die Professoren und meine Freunde, wenn sie sauer sind, nennen mich Emilienne“, erklärt sie ihm.

„Wer sagt, dass ich nicht sauer auf dich bin?“, fragt er trocken.

Sie winkt ab. „Wenn du sauer bist, verhältst du dich ganz anders.“

Am liebsten würde er fragen, wie er sich denn laut ihr benimmt, wenn er sauer ist. Oder wie sie nach so kurzer Zeit das schon einschätzen möchte, aber er bleibt still. Er weiß nicht, ob er jemals wirklich wütend auf sie war. Auf jeden Fall war er noch nicht zornig wegen ihr. Er hat noch nie den Wunsch empfunden sie zu bestrafen und das obwohl sie ihm so wenig offensichtlichen Respekt entgegen bringt. Er war nicht einmal wütend als sie ihn Anfang des Schuljahres wegen des Gryffindorjungen angemeckert hat. Er war eher verwirrt. Himmeln ihn seine Schulkameradinnen für gewöhnlich nicht an? Er hatte immer ein leichtes Spiel bei Frauen. Er musste sich nie Mühe geben oder sie einlullen wie seine Anhänger es machen und im Nachhinein so stolz erzählen. Sie kommen zu ihm, sie machen sich Mühe ihn zu kriegen. Nicht andersherum.

„Was willst du?“, lenkt er ab.

„Kommst du mit in die Küche?“ Bittend sieht sie ihn an. Es ist kein stummes Flehen wie die Blicke seiner Anhänger, wenn sie stumm darum betteln nicht gefoltert zu werden. In ihrem Blick liegt eine Wärme, die ihm eine Gänsehaut beschert. Um seine Unsicherheit zu überspielen, packt er seine Tasche und nickt.

Schnell räumt sie ihre Sachen weg, steckt das Buch ein und läuft mit einem breiten Grinsen an ihm vorbei. „Ich bin am Verhungern.“

Ihnen kommen einige Schülergruppen, hauptsächlich Gryffindors, entgegen, als sie sich ihren Weg nach unten bahnen. Mit gesenktem Kopf huscht Emilienne vor ihm her, bemüht nicht aufzufallen.

Neugierig beobachtet er das Schauspiel vor seinen Augen. In seiner Gegenwart versucht sie sich nie zu verstecken, wenn sie alleine sind. Da wirkt sie entspannt und gelöst.

Aber auch erst seit Hogsmeade, wie ihm gerade auffällt. Vorher war sie in seiner Gegenwart immer auf der Hut. Viel vorsichtiger. In ihrem Versuch unsichtbar zu sein, scheint sie jahrelang erfolgreich gewesen zu sein, doch jetzt, wo sie mit ihm durch die Gänge läuft, wird sei sehr wohl wahrgenommen. Einige der Blicke sind einfach nur neugierig, doch viele der Mädchen betrachten sie mit spöttischen Blicken und tuscheln, sobald sie an ihnen vorbei sind. Er versteht nur Wortfetzen, doch die genügen, um ihn wütend zu machen. Keine von ihnen kennt sie persönlich, doch alle sprechen herablassend über sie, keine versteht wieso er Zeit mit ihr verbringt.

Lächelnd bleibt sie stehen, als ein Gryffindormädchen sich aus einer Gruppe löst und auf sie zukommt. Er zieht instinktiv seinen Zauberstab um sie notfalls zu verteidigen, falls die Gryffindor sie angreift. Umarmend begrüßen sie sich. Er steckt den Zauberstab wieder weg, behält seine Hand aber in der Nähe seiner Schultertasche, wo er seinen Stab griffbereit stecken hat, solange er die Tasche bei sich trägt. Langsam schließt Tom weiter auf. Emis‘ Lachen dringt an seine Ohren. Zugern hätte er gewusst, womit die Gryffindor Emi zum Lachen gebracht hat. Jetzt, wo er direkt hinter Emi steht und keine Schatten mehr auf das Gesicht des Mädchens fallen erkennt er sie. Es ist Gemma Pitts aus ihrem Jahrgang, die er schon öfters in Gesellschaft von Ravenclaws gesehen hat. Sie nickt ihm kurz zu und verabschiedet sich schnell wieder von Emi, ohne auf ihre Frage einzugehen, was sie noch vorhat. Sobald die Gryffindor weg ist, lächelt Emi zu ihm herauf.

„Das war die Freundin von Adam“, erklärt sie ihm. Er nicht einmal kurz.

„Komm, ich kenne eine Abkürzung in die Kerker“, teilt er ihr mit und geht an ihr vorbei, damit sie ihm folgen kann. Wenn er noch mehr von den Blicken sieht oder noch länger dabei zusehen muss wie Emi versucht unsichtbar zu werden, garantiert er für nichts mehr.

 

Sie kitzelt so zielstrebig die Birne auf dem Gemälde, dass Tom auf der Stelle klar wird, dass sie nicht zum ersten Mal die Küche besucht. „Hallo“, begrüßt sie die Horde Hauselfen, die sich bei ihrem Eintreten sofort um die Beine der Schüler scharen. „Ist noch etwas vom Abendessen übrig?“ Heftig nickend rennen einige der Hauselfen weg, der Rest dirigiert die beiden in eine Nische am anderen Ende der Küche, wo sie einen Tisch und zwei Stühle erscheinen lassen. „Dankeschön“, bedankt sich Emi und setzt sich hin. Tom setzt sich ihr gegenüber.

„Warum bedankst du dich bei Hauselfen?“

„Willst du nicht höflich behandelt werden?“ Fragend hebt sie eine Augenbraue, zieht ihren Zauberstab und lässt einige Kerzen erscheinen, die flackernde Schatten auf ihr Gesicht werden.

„Das sind keine Menschen. Hauselfen leben um zu dienen. Sie brauchen keine Freundlichkeit.“ Das letzte Wort spuckt er ihr förmlich ins Gesicht. Sie behandelt Hauselfen höflich? Setzt sie diese Kreaturen mit Zauberern gleich? Setzt sie ihn mit Hauselfen auf eine Stufe? Er will nicht von ihr wie eine einfache Haushaltsgehilfe behandelt werden. Hat sie ihn nicht als ihren Freund bezeichnet?

Nennt sie diese Wesen auch ihre Freunde? Verächtlich verzieht er das Gesicht.

„Tom.“ Zielsicher greift sie über den Tisch und greift nach seiner Hand. „Alle Leben sind etwas wert. Das heißt nicht, dass ich alle Lebewesen auf dieser Welt gleichstelle, aber diese Hauselfen haben mir nichts getan. Weshalb sollte ich sie dann so behandeln?“

Ruckartig entzieht er ihr seine Hand und lehnt sich im Stuhl zurück. Nur nebenbei bemerkt er, dass die Elfen hin und her huschen, um den beiden etwas zu essen zubereiten. Er formt mit der Hand eine Faust und lässt wieder locker. Immer noch spürt er die Berührung ihrer Hand auf seiner Haut.

„Tom.“ Ihre Stimme klingt weich und liebevoll, als sie seinen Namen sagt. Er schließt kurz die Augen um die Flut der Gefühle, die ihn überschwemmt, zu bändigen. Er glättet seine Gesichtszüge und sieht sie so ausdruckslos wie möglich an, als er die Augen wieder öffnet. Sie verdreht scheinbar genervt die Augen. „Tom, wir sind Freunde. Du musst deine Gefühle nicht vor mir verstecken.“

Sie weiß, dass sie sich mit der Aussage weit aus dem Fenster gelehnt hat. Gespannt beobachtet sie seine Reaktion. Sie weiß, dass viele Slytherins magische Wesen als minderwertig betrachten. Sie hat auch damit gerechnet, dass Tom zu ihnen gehört, aber seine Reaktion ist anders ausgefallen als erwartet. Er ist weder wütend, noch versucht er mit ihr zu diskutieren. Er sah für einen Moment eher verletzt aus. Und jetzt? Jetzt sieht er sie vollkommen ausdruckslos an, seine Augen wirken wie kalte Murmeln.

Seine Schultern heben und senken sich, als er tief durchatmet. Augenblicklich entspannen sich seine Gesichtszüge wieder. „Nur damit ich es richtig verstehe“, setzt er an. „Du setzt Zauberer nicht mit Hauselfen gleich?“

Lächelnd schüttelt sie den Kopf, da in diesem Augenblick die Hauselfen kommen und den Tisch mit Köstlichkeiten eindecken. Kaum haben sie alle Platten und Schalen abgestellt verschwinden sie wieder.

„Ich stelle nichts und niemanden gleich.“ Ohne seine Antwort abzuwarten nimmt sie sich von den Kartoffeln, eine Scheibe Braten und übergießt ihr essen mit Soße.

„Guten Appetit“, wünscht er ihr mit leichter Belustigung in der Stimme, bevor er sich selbst nimmt. Ungeduldig wartet Emi bis er ebenfalls einen vollen Teller hat.

„Dir auch.“ Schweigend essen die beiden.

 

Die Elfen räumen die Rest des Hauptgangs weg und stellen klein geschnittenen Früchte und eine Schale Vanillesoße auf den Tisch, mitsamt einem Schälchen für die beiden und Besteck.

Emi liebt Vanillesoße und Früchte. Gierig wandert ihr Blick über das Dessert. Ein leises melodisches Lachen schreckt sie aus ihrer Welt. Tom sieht nicht minderüberrascht über sein eigenes Lachen aus.

Emi lächelt ihn schnell an, um ihre Überraschung zu überspielen. Sie weiß gar nicht, warum sie überrascht ist. Tom ist ein Mensch. Natürlich kann er lachen. „Was findest du so witzig?“

Er schüttelt nur leicht den Kopf. Einige seiner schwarzen Haarsträhnen tanzen zart wie Federn über seine Stirn. Ihr Herz macht einen unerwarteten Sprung. Er wirkt auf sie so gelöst und entspannt wie noch nie zuvor in ihrer, zugegen kurzer, gemeinsamer Zeit.

Sie spießt ein Erdbeerstück, wo kriegen die Hauselfen zu dieser Jahreszeit Erdbeeren her?, auf, tunkt es in die warme Vanille und hält ihm die Gabel hin.

„Jetzt sag ja nicht, du hättest noch nie Früchte mit Vanillesoße gegessen.“

Er runzelt die Stirn und schweigt.

Sie verdreht die Augen. So wörtlich hätte er sie nicht nehmen müssen.

„Probier‘“, fordert sie ihn auf und bewegt die Gabel erneut auffordernd in seine Richtung.

 

Irgendwie schafft sie es ihn anzustrahlen und gleichzeitig fragend auszusehen, als er die Erdbeere mit Vanillesoße probiert.

„Und?“

„Ist lecker“, stimmt er ihr zu und reicht ihr seine unberührte Gabel.

„Du teilt aber trotzdem mit mir hoffe ich.“ In ihrer Stimme schwingt ein Unterton mit, den er nach sorgfältiger Überlegung als neckend bezeichnet. Er wurde noch nie geneckt. Und er weiß nicht, ob es ihm gefällt. Aber um das herauszufinden, muss er sie nicht länger in seiner Nähe behalten und sie dazu bringen ihn wieder zu necken. Das Wort fühlt sich ungewohnt in seinem Kopf an. Fehl am Platz. Es passt nicht in sein Leben. Doch es hat sich jetzt schon an dem Punkt festgesetzt, der von seiner  Neugierde regiert wird.

„Nimm dir“, fordert er sie auf. Er ist eh satt, wenn es sie glücklich macht, kann sie auch die ganze Schüssel leeren.

 

Das Essen ist schon lange weggeräumt, aber Tom und sie sitzen immer noch in der Küche. Inzwischen müsste es kurz vor der Sperrstunde sein. Sie sitzt gerne mit ihm hier. Hier fragt sie niemand, was sie von Riddle will oder umgekehrt. Die Hauselfen sehen sie nicht so abschätzend an wie so manche Mitschülerin. Sie hat zwar versucht sich nichts anmerken zu lassen, aber die Intensivität der Blicke hat es ihr unmöglich gemacht sie nicht mitzubekommen. Sie hasst Aufmerksamkeit und diese Art von Aufmerksamkeit besonders. Ihre Freundschaft mit Tom hat sie im Moment scheinbar auf Platz eins der Hogwart’schen Gerüchteküche gebracht. Vielleicht sollte sie mal Magara fragen, ob sie gehört hat, was man sich über sie erzählt.

„Also?“

Überrascht sieht sie auf und begegnet Toms undurchschaubaren Blick.

„Entschuldige, ich war gerade woanders in meinen Gedanken, was hast du gesagt?“ Entschuldigend sieht sie ihn an.

„Komm“, fordert er sie auf und erhebt sich. „Ich bring dich zu deinem Turm zurück. Du musst morgen früh zeitig aus dem Bett.“

Lächelnd steht sie ebenfalls auf und versucht Tom ihre Tasche abzunehmen, die er für sie aufgehoben hat, was er kopfschüttelnd ablehnt. Dankbar lächelt sie ihn an und verlässt an seiner Seite die Küche. „Du hast morgen aber auch in der ersten Stunde Unterricht.“

„Ja, und vorher treffe ich mich mit einer Ravenclaw zum Lesen.“

Ihr Magen zieht sich unangenehm zusammen. Augenblicklich ist ihr emotionales Hoch vorbei. Schwer schluckend senkt sie den Kopf. Er trifft sich noch mit einer anderen Ravenclaw?

Am liebsten würde sie den Kopf über sich schütteln. Warum sollte er nicht? Sie sind nur Freunde, sie hat keinen Anspruch auf seine Zeit. Sie hat generell keinen Anspruch auf ihn. Und er hat freie Wahl, das hat sie ja heute zu genüge gemerkt. Sieht denn keiner, was sie früher in ihm gesehen hat? Und immer noch sieht, auch wenn es nicht mehr primär (in seiner Gegenwart) ihre Meinung ausmacht?

Er ist ein Slytherin und das eindeutig nicht nur, weil er auf sein reines Blus versessen ist, sonst täte er sich nicht für schwarze Magie interessieren.

Er hat etwas kaltes, unnahbares in seiner Ausstrahlung. Selbstverständlich kann er charmant und höflich sein. Sie hat ihn oft genug mit Lehrern erlebt und das er ihr gerade die Tasche trägt, zeigt ebenfalls von einer guten Erziehung zu einem Gentleman. Er weiß sich einwandfrei in der Öffentlichkeit zu benehmen.

„Mit wem denn?“, ringt sie sich durch zu fragen. Sie will auf keinen Fall enttäuscht wirken.

Er bleibt stehen und sieht sie mit forschenden Augen an. Der starre Blick seiner Augen ist ihr unheimlich. Am liebsten würde sie die Arme vor ihrer Brust verschränken, doch sie weigert sich Schwäche zu zeigen. Offen blickt sie nach oben in sein Gesicht und lässt die Arme scheinbar entspannt an ihrer Seite hängen.

„Hast du morgen etwas anderes vor?“ Seine Stimme ist kühl.

Erleichterung pumpt Wärme verbreitend durch ihre Adern. „Ich wusste nicht, dass du mich meinst. Also sind wir morgen wieder verabredet?“

„Ich warte wieder am selben Platz.“

Am liebsten täte sie ihn anstrahlen, doch sie reißt sich zusammen. Sie treffen sich nur zum Lesen, kein Grund gleich die ganze Welt umarmen zu wollen.

 

Nachdem er sie zu ihrem Gemeinschaftsraum gebracht hat und wartete bis sie hinter der Tür verschwand, ging er noch eine Kontrollrunde durch das Schloss und sorgte dafür, dass zwei streunende Gryffindor, vermutlich ein Paar, Nachsitzen müssen.

Jetzt sitzt er vor dem Kamin in seinem Zimmer und plant für morgen ein Treffen mit seinen Anhängern. Morgen wird er zwei Anwärter prüfen, ob sie es wert sind in seine Reihen eintreten zu dürfen. Auf dem Ravenclaw ist er besonders gespannt.

Kapitel 15

 

Wirklich gute Freunde sind Menschen, die uns ganz genau kennen und trotzdem zu uns halten.

Marie von Eber-Eschenbach

 

Sie weiß nicht, ob sie wütend oder entsetzt sein soll. Wirklich nicht. Das heute Morgen war der Gipfel aller Streiche, die ihr innerhalb der letzten Tage gespielt wurden. Nachdem sie am Morgen nach ihrem Treffen in der Küche, ein Fitzel Pergament auf ihrem Schreibtisch fand, auf welchem das Wort Schlampe verewigt wurde, hat sie ihn einfach weggesteckt und ist zu ihrem Treffen mit  Tom gegangen. Beim Frühstück quetschte sie dann ein paar Details über die Gerüchte aus Magara heraus. Über die meisten konnte sie nur den Kopf schütteln. Einige erzählen sich, dass sie Riddle erpressen täten, damit er Zeit mit ihr verbringt. Als könnte man Tom erpressen. Sie kann darüber nur den Kopf schütteln. Das zweite Gerücht, dass Magara aufgeschnappt hat, wirft ihr vor Tom zu verfolgen. Abby hingegen wurde gefragt, ob Tom und sie ein Pärchen seien. Merlin sei Dank hat Abby das sofort verneint.

Ansonsten sind ihr bisher nur leichte Streiche gespielt worden. Jemand hat ihre Tasche aufreißen lassen, ihre Tinte ist ausgelaufen, in ihrem Shampoo war Froschlaich, der Zucker ihres Tees wurde zu Salz verwandelt. Lauter Kleinigkeiten mit denen sie gut umgehen kann.

Doch als sie heute Morgen wach geworden ist, war sie über und über bedeckt mit toten Kröten. Erst hat sie nur geschrien und alle in ihrem Flügel geweckt, doch ihre nächste Handlung war es sich ins Badezimmer zu stürzen und sich zu übergeben. Zitternd saß sie eine gefühlte Ewigkeit neben der Kloschüssel und hat ein Schluchzen unterdrückt. Nach einer gefühlten Ewigkeit, bei der es sich nur um Minuten handeln kann, hat Maggie sie geholt und ihr versichert, dass die Viecher weg sind.

Ihr ist immer noch schlecht. Und sie ist zu spät zu ihrem Treffen mit Tom. Hoffentlich wartet er noch auf sie. Sie war die ganze letzte kein einziges Mal zu spät und heute wollte sie nicht besprechen, wie sie heute Nachmittag mit ihrem Trank weitermachen. Da sie auf bestimmte Mondphasen achten müssen, können sie nächste nichts weiter tun außer den Trank umzurühren. Es wäre besser gewesen, wenn Slughorn zu einem anderen Termin angefangen hätte. Am besten am Anfang eines Monats, aber er kann nicht auf jeden Trank perfekt eingehen.  Tom und sie müssen einfach ein wenig länger an den Trank brauen und werden wirklich erst in der letzten Stunde vor den Ferien fertig.

Da sie nicht vor hat Weihnachten bei ihrem Vater zu verbringen, ist ihr das allerdings gleich.

 Mit leichtem Seitenstechen biegt sie endlich in den Gang zu der Bibliothek ein und bleibt vor der Tür kurz stehen, um wieder zu Atem zu kommen.

Da ihr Dutt heute sehr unordentlich ausgefallen ist, sind ihr mehr Strähnen durch die Hetze aus dem Dutt gefallen, als sie es gewohnt ist. Genervt streicht sie sich alle Strähnchen hinter die Ohren, drückt die Türklinke nach unten und betritt die stille Bibliothek.

Leise raschelt ihr Umhang, als sie sich zu dem Fenster aufmacht, an dem sie sich die letzten Male mit Tom getroffen hat. Heute ist ihr fünftes morgendliches Treffen, sofern er noch auf sie wartet, da ist sie sich im Moment nicht so sicher. Sie selbst wartet äußerst ungern und wäre inzwischen mehr als schlecht gelaunt (und enttäuscht), wenn er noch nicht gekommen wäre.

Als sie um das letzte Regal biegt und Tom lesend auf dem Fensterbrett vorfindet, stößt sie geräuschvoll die Luft aus, die sie, ohne es zu merken, angehalten hat.

„Tom.“ Leise sagt sie seinen Namen und geht auf ihn zu. Als sie stehen bleibt müsste sie nur ihre Hand heben um ihn zu berühren. „Tut mir leid, dass ich dich habe warten lassen. Das war keine Absicht.“ Abrupt hebt er den Kopf, wütend funkeln seine Augen. Er öffnet den Mund, um sie anzufahren, wie sie vermutet, schließt ihn aber wieder, als er ihre geröteten Augen sieht. Fragend hebt er stattdessen seine Augenbraue.

Sie schüttelt den Kopf und schlingt die Arme wieder um ihren Oberkörper. „Können wir bitte nicht darüber reden?“

Er macht wortlos Platz auf der Fensterbank und sie setzt sich neben. Erschöpft legt sie ihren Kopf gegen die Scheibe. „Wenn du möchtest, dass ich nicht sauer werde, solltest du mir einen guten Grund für deine Verspätung liefern.“ Seine Stimme ist kälter als gewöhnlich. Emi läuft es eiskalt den Rücken herunter, seine Stimme klingt so unnachgiebig, wie am Anfang des Schuljahres. Sie kann es nicht fassen, dass seit dem erst drei Monate vergangen sind.

„Jemand hat heute nach mit toten Kröten überschüttelt.“ Gequält schließt sie die Augen. Die Erinnerung bereitet ihr eine Gänsehaut. „Ich ekele mich vor nichts mehr, als vor Kröten.“

Tom neben ihr bleibt still, nicht einmal sein Umhang raschelt. Als ihr die Stille unangenehm wird, öffnet sie wieder die Augen. Sein Blick liegt unverwandt auf ihr.

Sie seufzt. „Aber das ist nur die Krönung der Streiche, die mir die Woche gespielt wurden.“ Sie schüttelt den Kopf.

 

Er kann es nicht fassen. Wütend beißt er die Zähne zusammen. Immer, wenn er in ihrer Nähe war, hat er dafür gesorgt, dass kein Fluch in ihre Nähe kommt. Einige der Hexen haben wirklich gemeine Flüche in Emiliennes Richtung gefeuert. Zu gerne würde er wissen, wer ihr die Kröten ins Bett gelegt hat. Es kann nur eine andere Ravenclaw gewesen sein.

Erschöpfung, Resignation und Schmerz sind klar in ihren Gesichtszügen zu erkennen. Er war schon immer gut darin zu erkennen, was seine Mitmenschen empfinden. Das Wissen hilft immer weiter, Gefühle sind ein unglaublich machtvolles Instrument. Auch, wenn er nicht alle nachempfinden kann.

„Bist du sauer?“ Ihre Stimme spiegelt dieselben Gefühle wie ihr Gesicht wieder.

„Nein.“ Er schüttelt den Kopf. Zumindest nicht auf sie. „Geht es dir gut?“, fragt er zögerlich. Es fühlt sich merkwürdig an nach Jemandes Empfinden zu fragen.

Sie zuckt mit den Achseln. „Es könnte mir schlechter gehen.“ Wieder sitzen sie schweigend da. Tom legt sein Buch beiseite und sieht auf die Uhr. In einer dreiviertel Stunde beginnt der Unterricht.

„Wir sollten frühstücken gehen.“

„Ja, sollten wir.“ Sie seufzt und richtet sich wieder auf.

 

Immer noch wütend kommt er am Slytherintisch an und setzt sich zwischen Malfoy und Orion Black aus der vierten Klasse. „Heute Abend um Acht in unserem Versammlungssaal. Gebt den anderen vorbei. Wenn einer fehlt, fällt das auch euch zurück“, befiehlt er seinen beiden Anhängern.

Er muss herausfinden, wer die Kröten in Emiliennes Bett getan hat. Jetzt fühlt er Erleichterung darüber, dass er den Ravenclaw nicht gleich abgelehnt hat und dieser den Test bestanden hat. Als er Graham Rosewell erkannte, war seine erste Reaktion Ablehnung. Doch sein Verstand war glücklicherweise nicht emotional. Genauso wenig wie seine Entscheidungen. Rosewell wird ihm noch gute Dienste leisten. Hier während ihrer Zeit in Hogwarts und danach. Das er Emilienne verletzt hat, tut nichts zur Sache. Er ist mit ihr nur aus rein praktischen Gründen befreundet. Weshalb auch sonst?

Er muss das Prinzip der Freundschaft verstehen, um es nutzen zu können und er muss sie im Auge behalten. Ihre Kenntnisse könnten noch zu einem Problem werden, sollte sie sich jemals gegen ihn stellen, dann muss er wissen wozu sie fähig ist. Dann muss er wissen, wo ihr schwacher Punkt ist.

Aber sie könnte ihm auch nützlich werden, sie könnte sich ihm anschließen. Deshalb hat er ihr Vertrauen gewonnen, deshalb will er es halten. Und nur deshalb will er Rache an der Person, die Emilienne ihrer größten Angst ausgesetzt hat.

Nur er darf sie ängstigen, nur er darf sie verletzen – gleich ob psychisch oder physisch. Ansonsten steht sie unter seinem Schutz.

Sie gehört ihm.

Er presst seine Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Sie gehört ihm und sonst niemanden. Warum sonst sollte er mit ihr Zeit verbringen. Wenn er sie als Anhängerin dazugewinnt, wird es anders sein. Anders als jetzt. Und er weiß nicht, ob er den Gedanken mag.

Sie gehört ihm.

Die anderen folgen ihm. Da ist ein Unterschied.

Sie erschien von Anfang an anders. Sie war von Anfang an anders. Sie soll anders bleiben.

Wilde Entschlossenheit legt sich wie eine Decke über ihn.

 

Emi ahnt nichts von Toms destruktiven Gedanken. Na ja, sie zumindest würde sie als destruktiv bezeichnen. Sie betrachtet sich als eigenständigen Menschen, nicht als etwas das irgendwer besitzen kann, nicht einmal Tom.

Sie hat das Gefühl, dass schon vor ihrer ersten Stunde – heute Verwandlung – ihre Begegnung mit den Kröten die Runde gemacht hat. Schon beim Frühstück hatte sie das Gefühl beobachtet zu werden, doch immer wenn sie ihren Blick hob, sahen alle in eine andere Richtung.   In Verwandlung erschien es ihr nicht anders.

Mit gesenktem Kopf läuft sie jetzt zu Alte Runen. Der einzig andere Ravenclaw in dem Kurs, den sie besser kennt und mag, ist Adam. Da seine Freundin Gemma mit uns Verwandlung hat, bringt er sie erst zu ihrem Gemeinschaftsraum, bevor er in den Alte Runen Klassenraum kommt. Deshalb läuft sie immer alleine dorthin. Wenigstens sitzt er neben ihr.

Als sie den Raum betritt fällt ihr Blick sofort auf Tom. Er sitzt mit anderen Slytherins weit vorne im Klassenraum und liest. Sie lächelt, als sie merkt wie vertraut ihr dieser Anblick ist. Sie setzt sich an den Rand der vorletzten Reihe, ihr Stammplatz in diesem Klassenraum. Langsam packt sie ihre Sachen aus und ignoriert das Tuscheln, das Gekicher und die verstohlenen Blicke ihrer Klassenkameraden. Als sie ihr Tintenfass herausholt, passiert es – schon wieder. Das Glas zersplittert, einige der Scherben schneiden in ihrer freien Haut ein, die Hände, der Hals, das Gesicht. Sie ist zu geschockt, um den stechenden Schmerz wahrzunehmen, denn was sich aus dem Glas über ihre Unterlagen verteilt ist keine Tinte – es ist Froschlaich.

Entsetzt keucht sie auf und Wut überkommt sie. Die ganze Klasse scheint die Luft angehalten zu haben, auch Professor Widdlesmith sieht sie nur mit erschrockenem Blick an. Langsam tropft ihr Blut aus den kleinen Schnitten und vermischt sich mit der glibbrigen Flüssigkeit. Langsam dreht sie ihre Handflächen nach oben. Einer der Splitter in ihren Daumen reflektiert das Licht und funkelt rötlich. Ein Lächeln umspielt ihre Lippen, als sie das sieht. Es sieht wunderschön aus. Sie hebt die Hand näher an ihr Auge und bewegt den Finger, damit der Splitter, immer anders funkelt.

„Miss Sullivan!“ Mit energischer Stimme reißt der Professor Emi aus ihrer eigenen Welt. Zum ersten Mal nimmt sie den stechenden Schmerz der Stiche war und Adam, der hinter dem Professor steht und sie mit weit aufgerissenen Augen ansieht.

„Ich denke, ich sollte vielleicht in den Krankenflügel“, meint Emilienne ruhig und steht auf. Mit ruhiger Hand zieht sie ihren Zauberstab, reinigt ihren Tisch und lässt ihre wieder sauberen Unterlagen in ihre Schultasche schweben. „Ich hoffe sie entschuldigen mich.“

Professor Widdlesmith sieht sie mit großen Augen an. „Professor?“

„Ja, ja sicherlich“, reagiert er verzögert. „Mister Wood wird sie begleiten.“

„Danke, Professor.“ Sie lächelt ihn an und steht auf. Mit leisem Klirren fallen Scherbensplitter von ihrem Umhang ab und laden zu ihren Füßen wie eine schimmernde Grenzlinie, die ihr die Fortsetzung ihres Weges verbietet. Als sie ihren linken Mundwinkel hebt, spürt sie überdeutlich wie sich die kleinen Splitter in ihrer Haut bewegen und weiteres Blut fließt. Bevor sie sich umdreht um den Raum zu verlassen, fällt ihr Blick noch einmal auf Toms ausdruckslose Miene. Tödliche Ruhe strahlt von ihm aus und steht im vollkommen Kontrast zu seinem charmanten, charismatischen Selbst, dass er für gewöhnlich in der Öffentlichkeit zeigt. Sie schenkt ihm ein beruhigendes Lächeln, bevor sie sich von Adam aus dem Raum bringen lässt. Mit dem Klicken der Tür fällt, die Benommenheit von ihr ab, die sie bis eben fest im Griff hielt.

„Merlin, tut das weh“, stöhnt sie.

„Was ist eigentlich passiert?“ Besorgt sieht Adam sie an.

„Ich habe mein Tintenfass auf den Tisch gestellt und plötzlich ist es explodiert.“ Aus dem Augenwinkel sieht sie, dass er  die Stirn runzelt. „Das ist nicht das erste Mal, dass dir ein Streich gespielt wird in dieser Woche“, stellt er fest.

Sie seufzt. „Das wird bestimmt auch wieder aufhören. Irgendwann wird alles uninteressant.“

Als die Krankenflügeltür in Sicht kommt, bleibt er stehen und dreht sie zu sich herum. Forschend liegen seine grünen Augen auf ihr. „Ist er es wert?“

„Wir sind Freunde. Ich würde das auch für dich mitmachen. Wäre ich dir das nicht wert?“ Fragend sieht sie ihn an.

„Doch“, gibt er zu und senkt den Blick. „Ich mach‘ mir nur Sorge. Gemma hat mir erzählt, was die meisten Gryffindormädchen sich erzählen.“

„Bestimmt nur Gutes“, spottet Emi und setzt ihrem Weg fort.

„Das ist nicht witzig, Emi“, sagt Adam ruhig. „Manche Hexen sind unberechenbar in ihrer Eifersucht und Blindheit. Und ich rede nicht nur von den Gryffindors, die Slytherins würden mich noch viel mehr ängstigen.“

„Die Slytherins haben mich bis jetzt in Ruhe gelassen. Wahrscheinlich wissen sie, dass ich Riddle weder erpresse, noch verführt habe und was auch immer sich diese Hyänen noch ausgedacht haben.“

Adam neben ihr seufzt schwer und stößt die Tür auf. „Ich will nur, dass du weißt, dass du auf mich zählen kannst. Und auf Gemma. Wenn ihre Hauskameradinnen etwas planen und sie es mitkriegt, werde ich dich vorher warnen.“

„Danke.“ Sie lächelt ihn ein letztes Mal an, bevor sie von einer aufgewühlten Medihexe auf das erste freie Krankenbett gezogen wird.

Kapitel 16

 

Man muss jeden Menschen wirklich als Menschen nehmen und darum seiner Eigenart entsprechend behandeln.

Carl Gustav Jung

 

„Merlin, Kind, dein armes Gesicht“, jammert Mrs Botham bestimmt zum hundertsten Mal seit dem sie Glassplitter aus Emiliennes Haus entfernt.

Inzwischen ist sie von der immer gleich bleibenden Aussage genervt.

„So, fertig.“ Einige Minuten später lässt die Medihexe endlich von ihr ab. Emi hebt ihre wieder vollständig hergestellten Hände.

„Dankeschön.“

„Gern geschehen, mein Kind. Die leicht rötlichen Flecken werden bis morgen früh aus deinem Gesicht und von deinem Hals verschwunden sein. Trage heute Abend einfach ein wenig von dieser Creme aus.“ Die Hexe drückt Emi einen kleinen Tiegel mit einer lila Paste in die Hand, die eindeutig ranzig riecht, als Emi den Deckel abschraubt. Nase rümpfend schließt sie den Tiegel wieder und steckt ihn in ihre Tasche.

„Wenn du dich beeilst, kriegst du noch etwas zu essen ohne dabei zu hetzen.“ Mit ausladenden Bewegungen scheucht Mrs Botham Emi aus ihrem Arbeitsbereich. „Und lass dich hier nicht so schnell wieder blicken“, schickt sie mit einem Funkeln in den grauen Augen hinterher, dass ihren drohenden Ton als Lüge entlarvt.

„Ich hebe mir Mühe sie nie wieder zu sehen“, grinst Emi und winkt zum Abschied. Sie holt tief Luft, als die Tür hinter ihr ins Schloss fällt.  

„Wer war das?“

Erschrocken stolpert sie einen Schritt zurück und trifft hart mit ihrem Rücken gegen die Wand direkt neben der Tür. Schnell hat sie ihren Zauberstab in der Hand, bereit sich zu verteidigen.

Eine Figur löst sich aus dem Schatten einer Wandnische.

„Tom.“ Erleichtert als sie ihn erkennt, atmet sie auf und steckt den Stab wieder weg. „Wer das Glas verhext hat?“ Fragend sieht sie in seine Richtung. „Keine Ahnung.“ Sie zuckt mit den Achseln. „Wer auch immer es war, hat sich nicht die Mühe gemacht es mir zu sagen“, meint sie sarkastisch und stößt sich von der Wand ab. „Aber im Moment bin ich wütend genug, um Rache zu nehmen, falls ich es wüsste. Also ist das ein großes Glück für den Täter.“

Er tritt jetzt vollkommen aus dem Schatten und bleibt neben ihr stehen. Seine Kiefermuskeln sind angespannt.

„Lass uns essen gehen, Tom.“ Am liebsten hätte sie ihn beruhigend am Arm berührt. Er nickt abgehackt.

Sie laufen schweigend gemeinsam die Treppen herunter, jeder in seinen Gedanken gefangen. Emi hätte nicht gedacht, dass jemand so weit gehen und sie tatsächlich körperlich verletzen würde.

 

Tom hingegen ist in Folterstimmung. Wer auch immer es gewagt hat sein Eigentum zu verletzen, wird leiden. Nachher bei seinem Todessertreffen wird der Ravenclaw seinen ersten Auftrag bekommen. 

Am liebsten würde er jetzt schon seine Anhänger zusammen rufen. Er hat schon seit Tagen kein Treffen mehr einberufen.

Heute hält er sein erstes Treffen mit seinen Freunden in der Rolle des Lord Voldemorts. Er hat sie hierher in diesen leeren großen Saal bestellt um mit ihnen über das Schlammblüterproblem zu reden. Freudige Erwartung pulsiert durch seine Adern, als er vor der Tür stehen bleibt. Mit einem Unsichtbarkeitszauber hat er im Schatten auf seine Anhänger beobachtet wie sie den Raum betreten haben. Keiner hat seine Einladung ausgeschlagen. Alle sind gekommen. Jetzt betritt er als letzter den Raum.

Das erste Treffen der Todesser hat begonnen.

Energischen Schrittes läuft er zum letzten Unterricht für heute. Eigentlich wollte er sich gleich danach mit Emilienne treffen, um die Zaubertrankstunde gleich aufzuarbeiten, aber er muss einige Kleinigkeiten für heute Abend organisieren.

Der Klassenraum ist schon offen, als er ankommt. Slughorn ist normalerweise immer zu spät, vor allen Dingen freitags nach dem Essen. Aber wenn er genauer darüber nachdenkt, ist Slughorn schon weggewesen, als er sein Mahl beendete. Emi ist schon an ihrem Platz, das Buch liegt aufgeschlagen vor ihr. Scheinbar hochkonzentriert legt sie Messer, Spatel, Pipetten und andere Werkzeuge in eine Ordnung vor sich auf den Tisch, die für Tom keinen Sinn ergibt.

Zur Begrüßung lächelt sie ihn an. „Ich habe schon einmal alles geholt und vorbereitet, was wir heute brauchen.“

„Ich sehe es“, kommentiert er und setzt sich neben sie. „Ich kann mich nachher nicht mit dir treffen.“

Ruckartig dreht sie ihren Kopf zu ihm um und sieht auf ihn herab, da sie noch steht. Verletztheit und Verwirrung erkennt er in ihren Blick.

„Soll ich die Hausarbeit alleine fertig stellen?“, bietet sie ihm an und setzt sich endlich.

Er schüttelt den Kopf. „Samstag nach den Mittagessen treffen wir uns in der Bibliothek.“

„Was, wenn ich da keine Zeit habe?“ Herausfordernd hebt sie eine Augenbraue.

„Dann wirst du dir Zeit nehmen“, erwidert er kalt.

„Du kannst dir auch heute Zeit nehmen. Immerhin waren wir verabredet!“ Herausfordernd funkelt sie ihn an.

Schneller als sie reagieren kann, zieht er seinen Zauberstab und drückt ihn gegen ihre Seite. Bedrohlich lehnt er sich zu ihr herüber. „Samstag nach dem Mittagessen, du wirst pünktlich sein.“ Wütend funkelt sie ihn an. Ihre sonst schon blassen Lippen presst sie so fest zusammen, dass sie farblos wirken.

„Zauberstab weg, Riddle“, knurrt sie ihn an.

Er hebt herausfordernd eine Augenbraue, tut aber was sie sagt. Immerhin steht Slughorn vorne am Pult. „Lass uns anfangen, Emilienne“, fordert er sie mit spöttischer Miene auf. „Wir wollen doch nicht versagen?“

 

Wütend greift sie nach einem Messer und einer dieser nervigen springenden Wurzeln. Das Ding zu zerhacken ist jetzt genau richtig um sich abzureagieren.

„Wenn du die Wurzel noch kleiner hackst, ist sie unbrauchbar für unseren Trank.“ Am liebsten hätte sie ihm mitgeteilt, wie egal ihr das doch sei, aber das wäre eine Lüge und sie hasst Lügen.

Schnaubend schiebt sie die kleinen Würfel mit der Messerkante zur Seite. Für seine Unverschämtheit wird sie den Rest er Stunde kein Wort mit ihm reden. Dabei wollte sie ihn heute fragen, ob sie nicht am Wochenende sich zum Duellieren treffen wollen. Zu gerne täte sie wissen, ob er wirklich so gut ist, wie er behauptet. Dass er sie gerade mit dem Stab bedrohte, nimmt sie ihm übel. Sie hat hier absolut nicht damit gerechnet. Das ist doch mitten im Unterricht verdammt! Wie sollte sie damit rechnen? Kein Wunder, dass sie erstmal überhaupt nicht reagiert hat. Man bedroht seine Freunde nicht. Und erst recht nicht, wegen so einer Kleinigkeit. Sie ist doch nicht sein Eigentum und muss auf Knopfdruck springen. Da soll er sich doch eine magische Puppe kaufen! Der Kerl hat vielleicht Nerven.

„Reich mir die Pipette“, befiehlt er mit gewohnt ruhiger, kalter Stimme. Am liebsten täte sie ihm die Spitze der Pipette ins Auge rammen, aber sie hält sich zurück – sehr gekonnt in ihren Augen. Ohne ihn zu berühren legt sie ihm die Pipette in die Hand. Heute wird sie sich nicht bemühen am Trank mit zu wirken. Das ist eindeutig besser für ihre Note.

Die ganze Stunde über hat sie kein Wort mehr an ihn gerichtet und ist wortlos an ihm vorbeigerauscht, als die Stunde vorbei war. Leider ist ihr Abgang nicht so dramatisch ausgefallen wie gewünscht, da ihr Rock an der Stuhlkante von Malfoy hängen geblieben ist. Leider kann sie da niemanden außer sich selbst für verantwortlich machen. Doch sobald sie den Keller verlassen hat, flüchtet sie zu ihren Freundinnen in den Gemeinschaftsraum.

Magara hebt fragend eine Augenbraue, als sie sich ungalant neben ihr auf einen Stuhl fallen lässt. Abby und Maggie haben ihre Unterlagen im Arbeitsbereich des Gemeinschaftsraums ausgebreitet und schreiben den Büchern nach an den Verwandlunghausaufgaben.

„Was ist passiert?“, spricht Maggie endlich die Frage aus auf die Emi gewartet hat.

„Riddle ist passiert! Dieser verdammte Slytherin!“

Eine jüngere Schülerin zischt sie empört von der Seite an, sie solle doch leider sein. Emi lehnt sich in ihrem Stuhl weiter nach vorne. Es muss wirklich nicht jeder mitkriegen, was passiert ist. In Kurzfassung berichtet Emi von der heutigen Stunde. Am Ende ihrer Erzählung sieht Abby verwundert und Maggie wütend aus.

„Ich dachte ihr wärt Freunde“, meldet sich Abby irritiert zu Wort.

„Sind wir auch“, bestätigt Emi. „Aber er ist… kein einfacher Mensch.“ Magara schnaubt. „Das kannst du wohl laut sagen. Bist du dir sicher, dass er all die Streiche wert ist? Du brauchst ihn nicht. Du hast genug andere Freunde. Ohne ihn verlief dein Leben so wie du wolltest.“

Ein schmerzlicher Stich durchfährt Emi bei Magaras Worten. Ja, bis zu diesem Schuljahr ist ihr Leben so verlaufen wie sie wollte. Aber ihr Vater wird ihr so wie es aussieht eh einen Strich durch die Rechnung machen.

„Mein Vater will, dass ich nach der Schule heirate“, stöhnt Emi gequält.

„Was?“ Erschrocken sieht Magara sie an. „Ich dachte du darfst eine Ausbildung machen. Wen sollst du denn heiraten?“

Emi zuckt die Achseln. „Falls ich einen Freund hätte, wäre er sicherlich mit ihm einverstanden… solange er nicht Muggelgeboren ist.“

„Aber du freundest dich nicht mit Riddle an, weil du ihn als Option betrachtest, oder?“, fragt Abby zögerlich nach einer kurzen Pause.

„Mach dich nicht lächerlich“, grummelt Emi und setzt sich wieder aufrecht hin. Natürlich hat sie nie soweit gedacht, Riddle wirkt nicht so, als täte er seine baldige Zukunft mit Frau und Kind planen.

„Dann verstehe ich nicht, wieso du mit ihm plötzlich befreundet bist. Wie habt ihr euch überhaupt kennen gelernt?“ Wahrscheinlich nagt diese Frage schon länger an Magara, denkt Emi, so erleichtert wie sie auf Emi wirkt, nachdem sie es ausgesprochen hat.

„Nicht wichtig“, winkt Emi ab. „Heute ist einfach nicht mein Tag.“

„Er kann dich doch nicht einfach so behandeln und du tust nichts deswegen! Warum hast du nicht Slughorn gerufen? Ich würde an deiner Stelle nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen!“ Da Magara sehr genau weiß, wann sie etwas aus Emi herausholen kann und wann nicht, wechselt sie das Thema um wenigstens etwas aus ihrer Freundin herauszukriegen. „Riddle ist nicht koscher. Kein Slytherin kann so nett sein, wie er es immer ist. Und noch weniger würde ein Kerl wie er so viele der Mädchen, die ihm nachstellen links liegen lassen. Die beliebtesten Mädchen der Schule sind an ihm interessiert!“

„Vielleicht prahlt er auch einfach nicht mit seinen Eroberungen herum?“, wirft Abby ein. „Ich habe noch nie viele Gerüchte über ihn gehört.“

„Lenk nicht ab“, knurrt Magara und lehnt sich weiter über den Tisch zu Emi rüber. „Du machst jetzt dieses Projekt fertig und danach gehst du auf Abstand mit allen Slytherins. Das wäre am besten.“

Bei dem Gedanken nie wieder mit Tom morgens in der kalten Bibliothek zu sitzen, zieht sich ihr Magen unangenehm zusammen.

Wenn sie sich von ihm abwendet, hat er dann noch jemanden, den er als Freund bezeichnen täte? Emi schüttelt leicht den Kopf. „Ich- Das geht nicht so einfach.“

„Was soll daran nicht gehen?“, schnaubt Magara. „Ihr seid beide in Hogwarts, hier kann er dir nichts tun.“

Emi beißt sich auf die Lippe. Sie weiß nicht woher es kommt, aber ein nagendes Gefühl in ihrem Hinterkopf sagt ist, dass sie nicht einfach die Freundschaft mit Tom beenden kann. Mit Tom Riddle lässt man sich nicht leichtfertig ein. Sie hätte sich nie mit ihm anlegen dürfen.

 

Das Treffen seiner Todesser ist im vollen Gange. Rechts neben ihm an Tisch sitzt Mafoy und links von ihm der älteste seiner Black-Anhänger Cygnus Black, dessen älterer Bruder sich bisher nicht seiner Sache angeschlossen hat. Da er am Kopf des Tisches sitzt, hat er jeden seiner Anhänger perfekt im Blick. Auch Graham Rosewell, der angestrengt auf seine Finger starrt, seitdem er den Auftrag bekommen hat, herauszufinden, wer die Kröten in Emiliennes gelegt hat.

Rookwood erstattet gerade Bericht über die Anwerbungsversuche, die seine Anhänger seit ihrem letzten Treffen gestartet haben. Gebieterisch hebt Tom die Hand. Sofort verstummt Rookwood.

„Rosewell, hast du mir irgendetwas zu sagen?“ Toms Stimme hallt kalt von den nackten Wänden wieder.

„N-Nein, Mylord“, stottert Rosewell. Ein boshaftes Grinsen huscht über Riddles Gesicht. Er kann Rosewells Angst förmlich schmecken. Genüsslich nimmt er das Gefühl der Macht in jeder einzelnen Zelle wahr.

Spielerich dreht Riddle seinen Zauberstab in seinen eleganten Händen hin und her. „Weshalb lügst du mich an, Graham?“

Erschrocken hebt der Ravenclaw den Blick. Angst steht ihm wie ein Geständnis auf die Stirn geschrieben.

„Sag mir, Graham… Was verheimlichst du mir?“ Langsam hebt er den Zauberstab. „Crucio!“

Die Schreie seines verräterischen Anhängers streicheln warm seine Sinne. Er muss seinen Anhängern von Anfang an gehorsam beibringen, sonst wird er nur Probleme kriegen, wenn die Gruppe wächst.

Sie sollen in fürchten. Und wenn sie es nicht von sich aus tun, müssen sie es lernen.

Er senkt den Zauberstab wieder. Rosewell liegt wie ein Häufchen Elend wimmernd unter dem Tisch.

„Steh auf“, befiehlt Tom ungerührt. Das Rascheln von Stoff verrät ihm, dass der Neuling seinem Befehl nachkommt. Zitternd erhebt er sich und bleibt an seinem Platz stehen. „Komm näher.“

Hektisch stolpert Rosewell zu Riddle. „Knie nieder.“ Tom klingt nahezu gelangweilt. Graham kommt dem Befehl sofort nach. „Was hast du mir zu sagen?“

Er verachtet Rosewell für seine Rückradslosigkeit. Niemals hätte Emilienne sich so von ihm behandeln lassen. Eher hätte sie stundenlange Folter, oder noch schlimmer den Tod hingenommen.

Leise wimmernd kniet der neue Todesser vor ihm. „Ich habe nicht viel Geduld, Rosewell. Wenn Lord Voldemort eine Frage stellt, wird sie sofort beantwortet. Crucio!“

Kapitel 17

 

Nicht wir haben Geheimnisse, die wirklichen Geheimnisse haben uns!

Carl Gustav Jung

 

Tom läuft zufrieden zu seinen Gemächern zurück. Rosewell hat nach einen weiteren Crucatius-Fluch gestanden, dass er selbst an dem Krötenstreich beteiligt war. Er hat die Tiere getötet, da seine Freundin, Phoebe Williams, sich nicht selbst die Hände hat schmutzig machen wollen. 

Selbstverständlich hat Tom ihn bestraft. Und all seinen Anhängern verboten in die Nähe der Ravenclaw zu kommen, immerhin sei sie eine begabte Reinblüterin. Dass er noch nicht weiß, was er mit ihr anfangen möchte hat er geflissentlich verschwiegen. Sobald er es weiß, werden sie es sowieso herausfinden. Oder auch nicht.

Er würde gerne herausfinden, ob Emilienne mehr ausgehalten hätte, als Rosewell. Ob sie geschwiegen hätte. Sicherlich ist es intelligenter ihm nicht entgegen zu treten, aber das hat sie ja schon oft genug gemacht. Und ist ungestraft davon gekommen. Er versteht immer noch nicht wie es dazu kommen konnte.

Das Portrait öffnet sich, nachdem er das Passwort genannt hat und er betritt sein privates Reich. Er liebt Hogwarts. Besonders seitdem er sein eigenes Zimmer hat. Mit einem Schnicken seines Zauberstabs entzündet sich das Kaminfeuer, bevor er sich hinsetzt. Heute wird er nichts mehr für die Schule machen, lieber liest er in dem Buch, dass er gestern aus der Verbotenen Abteilung mitgenommen hat.

Der Schutzzauber, der verhindern soll, dass Bücher mitgenommen werden, ohne offiziell ausgeliehen zu werden, ist auch viel zu simpel, als das er nicht schon im ersten Jahr, das Prozedere mit der Bibliothekarin umgangen hätte. Inzwischen ist die ihm inne wohnende Magie so verfestigt und ausgereift, dass er nicht einmal mehr seinen Zauberstab brach für solch simple Zauberei.

Auch dieses Buch befasst sich mit zauberstabloser Magie. Vielleicht empfiehlt er es sogar Emi, wenn er mit dem Buch durch ist.

 

Das Feuer ist schon fast herabgebrannt, als er das Buch zur Seite legt. Er ist schon immer ein schneller Leser gewesen und hat eine herausragende Auffassungsgabe. Lange starrt er noch nachdenklich in die Glut, bevor er ins Bett geht. Er liebt es in seinen eigenen Gemächern zu sein. Es ist sein erstes eigenes Zimmer und er hat es vollkommen nach seinen Bedürfnissen eingerichtet.

Der Boden war aus dunklem Holz, der Kamin aus grauem, typisch schottischem Gestein mit einer Couch in dunkelgrün davor. Neben der Couch ist ein kleiner Tisch, der ebenfalls aus dunklem Holz gefertigt wurde und verschnörkelt ist. Die untere Hälfte der Wände ist vertäfelt und die obere ist mit slytheringrüner, feiner Tapete verkleidet. Generell findet man in diesem Zimmer keine Farben außer slytheringrün, dem dunklen Braun des Holzes und Silber. Nur im angrenzenden Bad sind weiße Applikationen zu finden. Er fühlt sich unglaublich wohl in seinem Gemach. Wenn er dachte, dass der Slytheringemeinschaftsraum sein zuhause ist, hat er sich geirrt. Ein Umstand, den er nie gerne zu gibt, nicht einmal vor sich selbst. Nirgends hat er sich je so wohl gefühlt wie hier.

Ein Blick auf die Uhr über seinem Kamin verrät ihm, dass er sich fürs Bett fertig machen sollte. Zwar ist morgen Wochenende, aber das Frühstück wartet nicht auf ihn. Von dem Privileg sich das Frühstück aufs Zimmer bringen zu lassen macht er nur selten Gebrauch.

Er verschwendet nur ungern einen Tag und die frühen Morgenstunden hier im Schloss haben einen Charme, der ihn nicht unberührt lässt. Außerdem will er sehen, ob sich Emi morgen früh in die Bibliothek begibt, obwohl sie heute so wütend auf ihn gewirkt hat. Immerhin betrachtet er ihre gemeinsamen Treffen, die zugegebenerweise noch nicht lange Teil seines Lebens sind, als ritualisierte Verabredungen. Er wundert sich darüber, dass er sich so schnell an sie gewöhnt hat und sogar gerne mit ihr Zeit verbringt. Sie wurde so präsent in seinem Leben, dass er teilweise all seine Pläne vergisst und keine neuen Treffen mit seinen Anhängern ansetzt.

Ein Aspekt ihrer… Freundschaft, ein Wort, das selbst in seinen Gedanken einen verächtlichen Klang hat, den er ändern muss und wird. Keine Hexe der Welt ist es wert seine Ziele hinten an zu stellen, ganz gleich wie sehr er ihre Gegenwart genießt – ein Umstand, den er nur mit einem bitteren Nachgeschmack zu gibt.

Mit einer Handbewegung öffnet er den Hahn für klares Wasser in seiner Wanne. Ein weiterer Aspekt der Boni, die ihm an seiner Rolle des Schulsprechers gut gefällt. Im Kerker gibt es nur ein Sammelbad pro Zimmer und die Wanne ist dort ein gewöhnlicher Zuber, wie er ihn auch im Waisenhaus findet. Diese Wanne hingegen hat bequem Platz genug für drei – nicht, dass er jemals auf die Idee käme Jemanden zum Baden einzuladen.

Entspannt zieht er sich aus und hängt seine Kleidung ordentlich gefaltet über eine silberne Eisenstange an der Wand. Wenn er etwas zu schätzen gelernt hat in seinem Leben, dann seine Besitztümer. Im Waisenhaus trug er immer die abgelegten Klamotten der älteren Kinder, hier trägt er zwar auch bereits gebrauchte Umhänge, aber der Rest der Uniform ist neu, dementsprechend vorsichtig behandelt er es. Er bekommt nur beschränkt Geld von der Schule ausgehändigt und das würde nicht langen für eine weitere Uniform, eine zum Ersatz muss ausreichen. Allerdings besitzt er auch einige Muggelhosen und Pullover, die er immer vom Waisenhaus mit her bringt. Wenn er sich länger in seinem Zimmer aufhält, trägt er diese immer, um seine Schulsachen zu schonen.

Da, die Wanne nun vollgelaufen ist, lässt er sich in die Wanne gleiten und taucht kurz unter, um seine Haare nass zu machen.

Oh ja, er genießt diesen Luxus. Endlich hat er das, was ihm zusteht.

Er schäumt sich die Haare ein, spült sie mit dem einzigen Duschkopf, der auf der gegenüberliegenden Seite des Badeingangs liegt, aus und steigt wieder aus der Wanne. Er greift nach dem flauschigen weißen Handtuch, das immer auf einer leichten Anhebung neben der Wanne liegt und trocknet sich ab.

Unbekleidet begibt er sich dann ist Bett. Leise knistert die Glut und wirft um den Kamin herum einen warmen Schatten auf den Boden. Mit einer gelassenen Bewegung aus dem Handgelenk lässt er die Vorhänge schließen und zieht die Decke bis unters Kinn hoch.

Morgen wird in jeder Hinsicht ein interessanter Tag für ihn. Emis Verhalten interessiert ihn in erschreckendem Maß. Selbstverständlich vergisst er niemals vorsichtig zu sein. Sowohl seine Zukunft als auch seine Ziele bleiben sein Geheimnis. Er bezweifelt, dass sie schon so weit ist alles zu verstehen. Zu verstehen, was seine Mission so notwendig und erstrebenswert macht. Er möchte, dass sie gut von ihm denkt, ihn versteht. Und vielleicht, ganz vielleicht wünscht sich ein Teil von ihm, dass sie hinter ihm steht. Seit wann drehen seine Gedanken sich nicht mehr nur um ihn? Es ist erschreckend, welche Wendung sein Leben in den letzten Wochen genommen hat. Aber Slytherins Erbe stellt sich jeder Herausforderung. Auch dieser.

 

„Emi“, ruft Maggie sie zu sich und Maggie stürmisch winkelnd heran. Eine ganze Traube Ravenclaws stehen um das Infobrett herum und unterhalten sich angeregt.

„Was ist los?“ Gähnend hält Emi sich ihre Hand vor den Mund. Sie hat heute verschlafen und ist deshalb erst mit der breiten Masse der Ravenclaws aufgestanden.

„Es gibt noch einem Hogsmeadetermin vor Weihnachten“, quietscht Maggie. Emi kommt neben ihr zu stehen und schenkt Abby, die auch schon hier ist ein Lächeln zur Begrüßung. Maggie senkt leicht ihren Kopf, um leiser sprechen zu können. Mit ihren fast 1,80 ist sie einiges größer als Abby und ein kleines Stück größer als Emi, weshalb das ‚Köpfe zusammenstecken‘ für sie nie leicht umzusetzen ist. „Meint ihr Jacob lädt mich ein?“

Emi muss schmunzeln und schüttelt nur belustigt den Kopf. Hat Maggie immer noch nicht gemerkt, dass Jacob immer mehr ihre Nähe sucht? „Wahrscheinlich“, antwortet Abby und streicht sich eine ihrer weißblonden Strähnen aus dem Gesicht. „Wieso sollte er auch nicht?“ Ihre grauen Augen halten denselben amüsierten Funken wie Emis.

Inzwischen haben sie sich aus dem Pulk gelöst und sich auf dem Weg nach unten begeben. Gnädigerweise stehen sogar die Treppen alle passend, sodass sie keinen Umweg machen müssen.

„Weil er mich noch nicht gefragt hat.“ Magara fuchtelt so energisch mit ihren Händen herum, dass ihr die Taschen von den Schultern rutscht.

„Maggie, der Termin wurde erst heute früh ausgehängt. Wie hätte er dich bisher Fragen sollen?“ Emis Belustigung steigert sich mit jeder Minute. Magaras Lebendigkeit ist etwas, dass Emi von Anfang an gemocht hat. Es stand so im Kontrast zu ihrer eigenen Überlegtheit. Nie hat sie so impulsiv gehandelt wie Magara, nie unüberlegt. Nie bis zu diesem einen schicksalhaften Tag mit den Slytherins. Von da an hat sich ihr Leben geändert.  Nie hatte sie Geheimnisse vor ihren Freundinnen, ihre Schwäche für Dunkle Magie nicht mit eingeschlossen, aber ihre morgendlichen Treffen mit Tom hat sie noch nicht mit einem Wort erwähnt. Auch alle anderen Treffen nicht, die sie verheimliche konnte. Na ja, von ihrem Wutausbruch wegen ihm abgesehen.

Wieso muss ihr Leben ausgerechnet in ihrem letzten Jahr neue Bahnen annehmen?

Hätte sie einfach über das Fehlverhalten der Slytherins hinweggesehen würden ihre Tage noch im selben Rhythmus verlaufen wie sie es gewohnt ist. Ruhig, friedlich, vertraut.

Doch wollte sie das wirklich? Hat sie das Aufeinandertreffen mit den Slytherins nicht aus einem eintönigen, beinahe langweiligen Trott gerissen?

Mühsam unterdrückt sie ein Seufzen.

Eigentlich geniest sie ihre aufregende Freundschaft mit dem Slytherin. Es wirkt verboten, gefährlich. Und ihre Geheimniskrämerei verstärkt das nur. Vielleicht gefällt ihr gerade die dabei. Magara redet immer noch aufgeregt über das Hogsmeadwochenende, weshalb auch Emis Gedanken dahinschweifen. Ob Tom sie wieder einladen wird? Vielleicht diesmal sogar höflich? Als richtige Einladung? Allein bei den Gedanken wird ihr Magen ein nervöser Klumpen. Wie kann sie nur darüber nachdenken, wo er sie so schlecht behandelt hat? Für einige Sekunden hatte sie sich an den Anfang ihrer Freundschaft zurück erinnert. Einerseits sollte sie ihm dafür dankbar sein. Er hat sie daran erinnert, wer er ist. Was er ist. Selbstredend, dass sie es nie vollkommen vergessen hat, das Wappen seines Hauses hat sie täglich vor Augen gehabt. Aber sie hat ihn nicht mehr unmittelbar damit in Verbindung gebracht. Sie hat vergessen, wozu er fähig ist. Das er gefährlich ist.

Jetzt weiß sie es wieder.

Aber andererseits fand und findet sie die Zeit mit ihm einfach schön. Es war entspannend und anregend zugleich. Nie hat er sie gelangweilt und nie mehr gefordert, als sie geben wollte. Sie wie nicht, ob sie wieder in diese Entspanntheit zurückfinden wird. Und falls, wie lange sie dafür brauchen wird. Vertrauen ist eine unglaublich kostbare Pflanze und ihres war gerade erst am Aufkeimen. Ein Status, in dem sie besonders empfindlich und verwundbar ist. Tom hat die ersten Blätter abgerissen. Blätter die überlebenswichtig sein können, wenn man sie danach nicht hegt. Und er hat nichts getan, um etwas zu kitten. Ihr wird mulmig zumute, wenn sie an das Treffen nachher denkt. Ganz und gar unwohl.

Sie weiß, dass Magara  Recht hat. Sie sollte einen Schlussstrich ziehen, doch ihr Gefühl sagt ihr, dass es dafür zu spät ist. Wenn man einmal in Tom Riddle Einflussbereich kommt, gibt es keinen Weg mehr heraus. Es sei denn er beendet die Angelegenheit. Außerdem erinnert sie sich nur zu gut an das Gefühl, welches sie gestern beschlichen hat, als sie über Magaras Worte nachdachte. Tom braucht sie. Sie ist fest davon überzeugt. Er wird sie nicht einfach gehen lassen. Er ist kein großherziger Hufflepuff.

Ein unsanfter Stoß in ihre Rippen holt Emi wieder aus ihren Überlegungen. Magara sieht sie leicht empört von der Seite an. „Hörst du mir überhaupt zu?“

„Ja, sicher doch“, stottert Emi.

„Ach ja? Was habe ich dann eben gesagt?“, schnaubt Magara. Ihre dunkelbraunen Augen funkeln mich herausfordernd an. Hilfesuchend sieht Emi schnell zu Abby, die nur heftig den Kopf schüttelt. Da sie auf der anderen Seite von Magara läuft, sieht diese es nicht.

„Das du mit Jakob nach Hogsmeade willst?“, rät Emi und lässt es mehr wie eine Frage klingen. Abby schüttelt erneut den Kopf, diesmal langsamer und  eher resigniert wirkend. Ungefähr zeitgleich schnaubt Maggie.

„Darum geht es seit dem dritten Stock nicht mehr!“

„Oh“, ist Emis wenig eloquente Reaktion, di erst jetzt merkt, dass sie bei der letzten Treppe angekommen sind. „Tut mir leid, ich bin im Kopf bei Hogsmeade hängen geblieben. Was hast du denn gesagt?“ Mit einem entschuldigenden Blick versucht Emi Maggie wieder friedlich zustimmen. Schon oft hat Magara behauptet, dass man ihr nichts abschlagen könne, wenn sie einen mit ihren großen blauen Augen anbettelt.

Magara verdreht ihre Augen theatralisch. „Ich habe mich über unsere Hausaufgaben ausgelassen. War nicht wirklich wichtig.“

Trotzdem hat Emi ein schlechtes Gewissen. Jetzt ist es schon so weit gekommen, dass sie nicht nur Geheimnisse vor ihren Freundinnen hat, sondern so weit, dass sie ihnen schon nicht mehr richtig zuhört, sobald irgendetwas ihre Gedanken auf Tom lenkt. So sollte das eindeutig nicht sein.  Sie nimmt sich fest vor, dass sobald wie möglich wieder gut zu machen.

Kapitel 18

 

Dringe in das Innere der Menschenseele ein, und du wirst sehen, vor was für Richtern du dich fürchtest und was für Richter sie über sich selbst sind.

Marc Aurel

 

Emi und ihre Freundinnen sitzen im Gemeinschaftsraum und arbeiten an ihren Hausaufgaben. Ganz wie Emi es erwartet hat, hat Jakob Maggie nach Hogsmeade eingeladen. Maggie hat sich so gefreut, dass sie über Abby ihren Kürbissaft gekippt hat, weshalb sie ihr Frühstück vorzeitig beendeten. Während all dem hat sie sich alle Mühe gegeben nicht zum Slytherintisch zu sehen. Auch dann nicht, als sie sich beobachtet fühlte. Sie ist sich sicher, dass es Tom war. Und sie ist sich sicher, dass er weiß, dass sie weiß, dass er sie anstarrte. Sie ist sich ganz sicher, dass er weiß, dass sie sich mit Absicht nicht umgeblickt hat und erleichtert war, als sie  ihren Freundinnen hinterher eilte. Sie weiß nicht, ob sie stolz auf sich sein sollte, weil sie der Versuchung ihn anzusehen wiederstanden hat oder ob sie genau das hätte tun sollen, um ihn zu zeigen, dass er sie mit seinem Verhalten in Taubertränke nicht eingeschüchtert hat.

Nur zu gerne würde sie sich revanchieren.

Wenn es ein anderer wäre, wenn es nicht Tom wäre, wenn es irgendjemand, irgendjemand wäre, nur nicht Tom, ja dann hätte sie sich schon längst einen Plan zu Recht gelegt wie sie ihn in seine Schranken zurechtweisen kann.

Aber vielleicht hat er ja doch Erfolg gehabt und sie lügt sich nur an? Vielleicht hat sie jetzt doch Angst vor ihm? Oder immer noch? Wenn sie jeden anderen bestraft hätte, aber ihn nicht? Traut sie es sich nicht? Fürchtet sie sich? Bei all den Gedanken und verworrenen Fragen kann sie sich gar nicht konzentrieren. Schon zum dritten Mal liest sie denselben Absatz und die Uhr tickt und tickt und tickt. Wie ein Hohn rückt der Stundenzeiger, nein der Minuten-, der Sekundenzeiger dem Mittagessen näher. Jede Sekunde verhöhnt sie, spottet über ihren verknoteten Magen, ihre feuchten Hände und ihre selbstzweifelnden Gedanken, die ein Gefühl der aggressiven Ungeduld in ihr auslösen.

Sie ist nicht umsonst in Ravenclaw. Oh nein. Sie liebt klare Linien, Struktur, Wissen und die Sicherheit, die all das auslöst. Nicht umsonst hat sie ihre Aufmerksamkeit den Dunklen Künsten zu gewandt. Sie bieten Sicherheit. Außerdem ist sie ehrgeizig. Ehrgeizig genug um sich mit den schlausten und Hexen und Zauberern ihrer Zeit messen zu wollen. Natürlich weiß sie, dass es immer bessere Magier al sie geben wird. Niemals würde sie sich mit Dumbledore anlegen oder Grindelwald.

Wenn sie ehrlich ist, weiß sie nicht einmal, ob sie sich wirklich gegen Tom wehren könnte. Selbstverständlich würde sie ihm das nie sagen oder zeigen – Merlin bewahre.

Aber nach all den morgenden in der Bibliothek hat sie einen tieferen Einblick in sein Wissen gelangt und kam zu dem Schluss, dass er schon lange vor ihr mit dem Studium der Dunklen Künste angefangen haben muss. Sie würde es nicht einmal verwundern, wenn er das von seinen Eltern von klein auf gelehrt bekam. Nicht im Geringsten.

Am liebsten würde sie ihr Buch frustriert in die nächste Ecke werfen. Oder noch besser: Gegen die Uhr. Deren unaufhörliches Ticken sie so boshaft, gemein und unausweichlich an das Ende ihrer Gnadenfrist erinnert. Sie ist sich beinahe sicher, dass die Uhr sie auslacht, dass die Zeit sie auslacht.

Noch nie hat sie sich an der Uhr gestört. Warum auch? Ist das Ticken nicht normalerweise beruhigend? Zeigt es einem nicht so wunderbar, dass die Zeit auf dieser Erde begrenzt ist und man sie nutzen muss?

Sie ist sich bewusst, dass die Zeit nicht langsamer vergeht nur, weil sie die Uhr anstarrt. Ganz im Gegenteil. Wenn sie sich in ein gutes Buch vertiefen könnte, würde sie eher den Eindruck haben im Moment gefangen zu sein. Aber da sie sich nicht einmal auf diese simple Schulbuchlektüre konzentrieren kann, verwirft sie die Idee sofort wieder.

Kurzerhand entschließt sie sich den Aufsatz nach ihren Treffen mit Tom fertig zu stellen, spätestens morgen. Leise schiebt sie ihren Stuhl zurück und packt ihre Sachen zusammen. „Ich gehe vor dem Essen an den See. Bringt ihr meine Tasche mit hoch in den Schlafsaal, bevor ihr Essen geht?“

Maggie hebt nicht einmal den Kopf von ihren Aufsatz, sondern wedelt nur undeutlich mit ihrer Hand herum.

„Ist alles in Ordnung?“ Besorgt sieht sie Abby an.

Beruhigend lächelt Emi sie an. „Alles bestens. Ich brauch nur ein bisschen frische Luft, das ist alles.“

„Soll ich mitkommen?“

Kurz wägt Emi die Option ab, schüttelt dann aber entschlossen den Kopf. „Nein, arbeite du nur weiter. Es ist wirklich alles okay.“

Forschend sieht Abby Emi an, scheint aber zufrieden genug mit den zu sein, was sie sieht, um bestätigend zu nicken und sich wieder ihren Hausaufgaben zuzuwenden. „Wir treffen uns nachher.“

„Beim Essen“, bestätigt Emi und verlässt eilig den Gemeinschaftsraum. Draußen angekommen streicht sie sich den langen grauen Rock glatt und atmet tief durch. Erst hier, in der stille und Einsamkeit des Ganges, traut sie sich für einen Moment gequält die Augen zu schließen.

Sie weiß, dass ihr momantaner Gefühlszustand nicht nur mit Riddle zusammen hängt. Sein Verhalten war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Für einen Moment wünschte sie sich einfach fort. Weit weg von hier und ihrem Leben.

Natürlich sieht sie rational betrachtet, dass es ihr alles andere als schlecht geht. Sie hat Freunde, ein Zuhause, gute Noten und wird von niemand tyrannisiert.

Ihre Reaktion ist vollkommen überzogen und doch fühlt sie sich im Recht. Sie darf so empfinden wie sie es tut, nicht wahr? Und niemand, nicht einmal ihr eigener Verstand, kann daran etwas ändern. Mit einem kalten Lächeln auf den Lippen öffnet sie wieder die Augen und setzt sich in Bewegung. Nichts und niemand kann ihr das Recht absprechen zu fühlen wie sie will.

Nicht Graham.

Nicht Tom.

Und vor allen anderen nicht ihr Vater.

Energischen Schrittes durchquert sie die Eingangshalle, wirft einen kurzen Blick auf dir Stundengläser, Ravenclaw liegt an zweiter Stelle hinter Slytherin, dicht gefolgt von den Gryffindors, und öffnet die schwere Eingangstür einen spaltbreit um hindurch zu huschen. Die frische, klare Luft schlägt ihr entgegen und erinnert sie schonungslos daran, dass sie in Schottland, weil abgeschieden jeglicher Muggelbehausungen, ist und nicht in London, wo die Luft viel zu oft stinkt und stickig wegen der Fabriken riecht. Manchmal fehlt ihr der Anschluss zur Zivilisation, wo man unbehelligt durch die Straßen huschen kann, ohne alleine zu sein. Selbst nachts, wenn sie aus dem Fenster sieht, torkeln hin und wieder Betrunkene die Straße entlang. Ihr fehlt ab und an der Puls der Stadt, der Rhythmus des Lebens so vieler Menschen, die so nah beieinander leben.

Und dann gibt es wieder Tage, da liebt sie die Einsamkeit der weitläufigen Natur Schottlands. Solch ein Tag ist heute. Das steife Gras knirscht unter ihren Schuhen. Ein dauerhafter Frost hat die Welt um sie herum erstarren lassen. Tief hängen die grauen Wolken. Bald wird es schneien. Am Ufer des Sees bleibt sie stehen und betrachtet die Oberfläche des Sees, der so schwarz und tief schimmert, dass sie das Gefühl hat an einem Abgrund zu stehen, der nur mit einen gräulich schimmernden Tuch Seide abgedeckt ist. Ein echtes, aufrichtiges Lächeln kehrt in ihr Gesicht zurück, als sie sich hinsetzt, nachdem sie einen Wärmezauber über sich gelegt hat.

Hier lässt es sich schon viel besser nachdenken.

Und das wird sie jetzt auch tun. Sie wird über die Schule nachdenken, ihre Freunde, sie wird an Graham denken und an Phoebe, an ihren Vater und seine Forderung nach dem Schuljahr zu heiraten und an Tom. An Tom und wie er ihr Leben auf den Kopf gestellt hat, ihren Verstand zur Höchstleistung antreibt und ganz vielleicht einen Platz in ihrem Herzen eingenommen hat. Schleichend kriechend, ohne dass sie etwas bemerkt hat, weshalb sie es nicht aufhalten konnte.

Sie muss sich eingestehen, dass sie eindeutig zu viel über ihn nachdenkt.

Was muss er auch so verdammt interessant sein?

Seufzend lässt sie sich rücklings ins Gras fallen und ihren Gedanken freien Lauf, ohne ihnen eine Richtung vor zugeben. Sofort stürzen sie über ihr herein, wie Aasgeier, die tagelang einer einsamen Gazelle beim Verdursten zugesehen haben und endlich, endlich eine Chance haben ihrem eigenen nagenden Hunger zu stillen.

 

Er kocht vor Wut. Sie kam nicht. Er hat gewartet. Er hat wirklich und wahrhaftig auf jemanden gewartet. Auf sie. Und nicht einmal darüber nachgedacht wie er sie für ihre Verspätung bestrafen kann.

Erst hat er gedacht, dass sie noch isst, da er sie als er Mittagessen war nicht gesehen hat und ihre Freundinnen kamen, als er ging. Nach zehn Minuten hat er gedacht, dass sie vielleicht aufgehalten wurde. Von einem ihrer Freunde, das Gryffindormädchen mit der er sie schon gesehen hat, die trotz der Reaktionen der anderen freundlich mit ihr sprach - was in seinen Augen mal wieder beweist wie dumm Gryffindors sind, wer spricht schon mit jemanden auf den der weibliche Rest des Hauses so schlecht zu sprechen ist? Vielleicht hat sie auch nur auf dem Weg zu ihrem Turm getrödelt.

Nach zwanzig Minuten wurde er unruhig.

Zehn Minuten später hat sich eine eiskalte Faust um seine Brust gelegt und ihm die Luft zum Atmen abgeschnürt. Für den Bruchteil einer Sekunde huschte ihm das Bild von ihr heute Morgen beim Frühstück durch den Kopf, wo sie ihn so demonstrativ missachtet hat. Sie hat ihm nicht einem Blick zur Begrüßung geschenkt, ganz egal wie ausdauernd er auf ihren Rücken starrte und schon schräg aus dem Augenwinkel von Malfoy und Dolohow angesehen wurde. Dabei hätte er damit rechnen können, schließlich kam sie vorher auch nicht in die Bibliothek.

Zum ersten Mal stellt er sich die Frage, ob er zu weit gegangen ist.

Ob er sie nicht hätte bedrohen und befehligen sollen.

Baer dann schüttelt er das Gefühl ab wie eine Hund den Regen aus dem Fell. Er ist Lord Voldemort, Slytherins Erbe. Er ist nicht zu weit gegangen, da alle seine Handlungen gerechtfertigt sind durch seine superiore Stellung. Er kann mit ihr und dem Rest der Welt verfahren wie es ihm beliebt. Er muss sich vor niemanden rechtfertigen, auch nicht vor sich selbst.

Außerdem hat er sie nicht wirklich verletzt.

Und er hat das Treffen nur für sie einberufen. Keine Ravenclaw wird sie mehr behelligen, dafür wird Graham sorgen, wenn er nicht noch viel grausamere Schmerzen leiden will. Vor den bösen Blicken der Gryffindors kann er sie nicht beschützen, aber hat zumindest vor zur Stelle zu sein, fall sie jemand verflucht.

Nachdenklich dreht er das einfache Silberarmband mit einem verschnörkelten R als Bindeglied in der Hand hin und her.

Er weiß nicht, warum er es mitnahm. Es hat keinen Emotionalen wer für ihn, aber er nahm es vom Handgelenk seiner Großmutter, nachdem er sie tötete.

Das grüne Licht des Avada- Fluches ist in die letzte Person in diesem Muggelhaus eingedrungen. Langsam setzt er sich in Bewegung auf die Menschen zu, die seine Familie hätten sein sollen. Er betrachtet sie für einen Moment, bevor er sich abwendet, um seinen ersten Horkrux zu erschaffen. In der Bewegung fällt ihm ein silbriges Glitzern am Handgelenk seiner Großmutter auf. Neugierig geht er näher. Ein Armband. Fein gearbeitet und eindeutig nicht billig. Ohne zu zögern nimmt er es ihr ab und steckt es ein. Er hat keine Verwendung dafür, aber es der Muggel zu lassen käme ihm pathetisch vor. Was will eine Tote mit Schmuck? Er hat das Armband mit einem Zauber belegt, der ihn benachrichtigen wird, wenn sie ihn Schwierigkeiten ist und ihn sofort zu ihr führen wird.

Jetzt weiß er nicht ob er es ihr noch geben möchte. Wütend beißt er den Kiefer zusammen.

Wie kann sie es wagen ihn warten zu lassen?

Ruckartig erhebt er sich, greift sich seine Tasche und verlässt zügig die Bibliothek.

Wieso ist sie nicht gekommen? Er hat sie doch schon früher bedroht. So einfach lässt sie sich nicht einschüchtern. Eher würde sie ihn zu einem Duell herausfordern.

Ein unbekanntes Gefühl in seiner Brust, nein, nicht unbekannt, ein verdrängtes und schon lange nicht mehr empfundenes Gefühl in seiner Brust lässt ihn inne halten. Enttäuschung schwämmt durch ihn hindurch wie eine Flutwelle. Er weiß nicht, was er von ihr erwartet hat, aber es ist scheinbar mehr, als er es sich jemals eingestanden hat.

Er hat doch nicht wirklich angefangen sie zu mögen? Er tritt an das nächstnähste Fenster. Das kann nicht sein.

Er kann doch nicht wirklich wieder gehofft haben?

Er kann doch nicht wirklich eine Freundschaft mit ihr gewollt haben?

Kapitel 19

 

Zweifel sind Verräter, sie rauben uns, was wir gewinnen können, wenn wir nur einen Versuch wagen.

William Shakespeare

 

Was will er denn mit Freundschaft? Er braucht nur loyale Anhänger nicht mehr und nicht weniger. Er lässt seinen Blick über das Gelände schweifen. Es ist kalt draußen. Die stechende Kälte des Winters strahlt durch das Fenster hindurch. Glücklicherweise kann er jederzeit in sein Zimmer zurückkehren und sich ans wärmende Feuer setzen.

Er steckt das Armband zurück in seine Tasche. Sein Blick fällt auf den Einband des Buches, welches er gestern las und Emilienne geben wollte. Angestrengt ballt er seine Hand zur Faust.

Wie konnte sie das tun? Wie konnte sie sich seinem Befehl wiedersetzen? Es ist beinahe Zeit zum Abendessen und sie hat sich scheinbar den ganzen Tag nicht in der Bibliothek aufgehalten. Äußerst ungewöhnlich.

Nachdenklich lehnt er sich gegen den Sims und lässt seinen Blick ziellos über das Gelände schweifen. Bald wird es schneien, stellt er mit einem Blick auf den Horizont fest. Es wird auch langsam Zeit, in wenigen Tagen ist Weihnachten, die Hauselfen haben schon begonnen alles zu dekorieren und die Ferien stehen bald vor der Tür. Dann wird das Schloss angenehm ruhig und leer sein.

Sein erstes Weihnachtsfest auf Hogwarts war das schönste, das er sich damals vorstellen konnte. Heute kann er nur schwach über den Jungen in der Erinnerung lachen. Sein kindisches Ich konnte sich noch nicht einmal vorstellen, zu was er alles fähig sein wird. Was er erreichen wird. Wer er wirklich ist.

Er saß mit einigen anderen Hogwartsschülern und einigen Lehrern am Weihnachtsmorgen in der Großen Halle an einem Tisch und lauschte mit unbewegtem Gesicht den Gesprächen. Damals hatte er noch gehofft seinen magischen Vater zu finden und vielleicht, wirklich nur vielleicht das nächste Weihnachtsfest mit ihm zu verbringen. Seinen kurz darauf folgenden Geburtstag mit ihm zu feiern.

Bei der Erinnerung kommen gemischte Gefühle in ihm au. Ganz schwach erinnert er sich an das warme Gefühl, dass er dort am Frühstückstisch empfand, aber hauptsächlich empfindet er Selbstverachtung gepaart mit Desinteresse. Den Jungen von damals gibt es nicht mehr. Schon lange nicht mehr. Natürlich war er schon damals kein netter, liebevoller Hufflepuff oder energischer, unbedachter Gryffindor. Aber selbst ein elfjähriger Junge ist nur ein Kind, egal aus welchem Haus. Und Kinder machen Fehler. Das er damals gehofft hat, war ein Fehler. Er hätte sich nicht so gehen lassen dürfen, nur weil er endlich an einem Ort ist, wo er sich beinahe vollständig akzeptiert fühlt. Nie hat er seine Wachsamkeit niedergelegt oder aufgehört nach den Schwächen anderen zu suchen, um sie in der Hand zu haben, aber er hat das ganze halbe Jahr bis Weihnachten niemanden gequält, niemanden manipuliert.

Die Hufflepuffs aus seinem Kräuterkundekurs, die er davon überzeugt hat den Eiter der Bubotubler zu trinken, zählen in seinen Augen nicht. Das war viel zu einfach. Einfacher als so manchen Muggelkind aus seinem Heim hereinzulegen. Die haben ihm wenigstens allesamt mit Skepsis und Vorsicht betrachtet, mindestens. Sie von etwas zu überzeugen benötigte entschieden mehr Geschick.

Er bekam nicht einmal Nachsitzen. Sein Wort stand gegen das der beiden Hufflepuffs und die anderen Slytherins, die ihn beobachteten, hatten danach zu viel Respekt um ihn zu verraten. Sie nickten nur, als er sie zur Bestätigung seiner Version aufforderte.

So wurden Dolohov und Rookwood seine Komplizen. Schnell sprach sich das Ereignis in Slytherin herum und Mulciber und Malfoy fingen an seine Nähe zu suchen. Wobei Malfoy nie ohne Verstand hinter ihm herrannte. Er besaß genug Intelligenz sich nicht blindlings zu unterwerfen.

Nachdem Tom Lord Voldemort schuf und seine Komplizen von seinen Zielen unterrichtete, schwor allerdings auch er Treue.

Das ist eine Erinnerung, die ihn immer noch mit einer kalten Freude erfüllt. Selbst ein Malfoy folgt ihm. Ihm, einem Halbblut.

Gerade als er sich vom Fenster abwenden will, fällt ihm ein dunkler Fleck im Gras am See auf. Ruckartig hält er in der Bewegung inne und sieht genauer hin. Ein Mensch erkennt er nach genauerer Betrachtung. Ein Mädchen dem grauen Rock nach. Sein Pflichtgefühl als Schulsprecher setzt ein. Wenn sie noch lange da liegen bleibt, wird sie erfrieren.

Er zieht seine Uhr aus der Brusttasche seines Hemdes. Wenn er sich beeilt, wird er sogar noch pünktlich zum Abendessen kommen. Mit langen, geschmeidigen Schritten setzt er sich in Bewegung. Bestimmt eine Gryffindor. Nur dieses Haus kann so dämlich sein und sich bei dem Wetter an den See legen! Es ist mitten im Winter, in Merlins Namen. Ist er denn nur von Idioten umgeben? Laut fällt die Tür hinter ihm ins Schloss als er in die klirrendkalte Abendluft tritt. Er sollte sie da draußen liegen und erfrieren lassen. Niemand weiß, dass er sie gesehen hat und sie einfach durch ihre eigene Unbedachtheit sterben ließ.

Endlich kommt dieses unsagbar dumme Mädchen in Sicht. Mit jedem Schritt den er näher kommt, verstärkt sich sein Verdacht um wen es sich handelt. Ihm kamen der graue Rock und der strenge Dutt ungemein bekannt vor, als er näher kam. Inzwischen erkennt er die weichen familiären Züge ihres Gesichts und die Silhouette ihres Körpers, die er gar nicht wahrgenommen haben sollte. Er unterdrückt den unanständigen Fluch, der ihm auf den Lippen liegt, als er direkt vor Emilienne steht. Sie hätte er hier nicht erwartet.

„Emilenne.“ Ihr Name kommt mit einer Kälte über seine Lippen, die jedem eine Gänsehaut beschert hätte. Enttäuschung, Frustration und ein wenig Verwunderung über ihre Dummheit einfach hier draußen einzuschlafen, kochen in ihm. Emilenne“, sagt er nochmal lauter.

Genervt geht er in die Hocke und schüttelt sie an der Schulter. „Eminienne.“ Diesmal klingt seine Stimme genervt. Sie rührt sich immer noch nicht. Sie versucht sich nicht mal schlafend von ihm wegzudrehen. Er runzelt die Stirn und greift mit zwei Fingern an ihren Hals. Ihr Puls schlägt klar und fest gegen seine Finger. Ihre Haut ist auch noch angenehm warm.

Geschmeidig zieht er seinen Stab und richtet ihn auf sie. „Finite Incantatem“, murmelt er und richtet sich wieder auf. Fast augenblicklich öffnet sie die Augen und blinzelt irritiert. Dann fällt ihr Blick auf ihn. Der entspannte Ausdruck, der auf ihrem Gesicht bei seinem Anblick erscheint, lässt einen Kloß in seinem Hals entstehen. Mit ungerührtem Gesicht geht er wieder in die Knie. „Was ist passiert?“ Sein Ton ist nicht so kalt wie er es sich gewünscht hat. Jemand der ihn gut kennt, wird die leichte Rauheit seines Tons erkennen. Er räuspert sich.

„Wie spät ist es?“, stellt sie eine Gegenfrage und setzt sich auf.

Er hebt eine Augenbraue. Die vorherige Wut auf sie ist vollkommen verschwunden. Das nagende, klammernde Gefühl in seiner Brust ist auf ein Minimum zurückgegangen. „Abendessenszeit.“

„Ich hab unser Treffen verpasst“, stellt sie mit nüchternem Tonfall fest. Sie hat ihn nicht vergessen. Sie hat ihn nicht mit Absicht versetzt. Er sollte die Erleichterung, die ihn wie eine Flutwelle überschwemmt nicht empfinden. Aber trotzdem kann er sich nicht dagegen wehren. Er will es auch gar nicht. Diese Gefühle sind unbekanntes Gebiet für ihn und er hasst es sich mit etwas nicht auszukennen, was ihn selbst betrifft. Und Gefühle betreffen ihn in so vielen Hinsichten, dass er sich ihnen nicht verschließen sollte. Er muss sie kennen lernen. Verstehen lernen. Kontrollieren lernen. Schon lange weiß er das Emotionen kostenlose Waffen sind. Mittel um Gegner zu zerstören und Anhänger gefügig zu machen. Jetzt, wo er die Chance hat sie selbst zu erfahren und nicht nur am Objekt zu lernen, wird er sich diese Möglichkeit nicht selbst verwehren.

„Hast du“, bestätigt er ruhig. „Was hast du hier draußen gemacht?“ Ja, die zornige Wut auf sie ist verschwunden, dafür ist eine kalte Wut in ihn aufgekommen, die er gegen ihren unbekannten Angreifer richtet. So wie es aussieht wird er sofort ein weiteres Treffen in dieser Woche einberufen.

„Ich wollte in Ruhe nachdenken“, meint sie leise. „An mehr kann ich mich nicht erinnern.“ Ihre Augenlider flattern kurz zu. „Tut mir leid. Ich muss wohl eingeschlafen sein. Ich wollte dich nicht versetzten.“ Dazu schweigend lässt er sie in den Glauben, dass sie eingeschlafen ist und er sie einfach geweckt hat. Er überrascht sich selbst damit.

 „Schon okay“, ist das Einzige, was er, seine Nachdenklichkeit und Gefühle hinter einer neutralen Miene versteckend, dazu sagt. Und das war es wirklich. Zumindest, was sie anbelangt. Sie hat sich entschuldigt, obwohl sie nichts dafür konnte. „Hast du irgendwas gehört? Fußtritte? Was gesehen?“

Verwirrt sieht sie ihn an. „Nein, wieso?“ Kurz zögert er noch, ob er sie nicht wirklich besser im Unwissen lässt, damit sie sich nicht fürchtet. Eine Idee, die er augenblicklich verwirft. Sie ist nicht wie die anderen Mädchen. Nicht wie die anderen Mitschüler. Sie wird sich nicht fürchten, sich nicht wie ein verschrecktes Kaninchen verkriechen. Sie wird lediglich ihre Wachsamkeit erhöhen.

„Weil du gewiss nicht geschlafen hast.“ Mühelos erhebt er sich. „Komm. Lass uns reingehen, wir können nach dem Abendessen unseren Aufsatz schreiben“, wechselt er das Thema. Mehr muss in seinen Augen jetzt dazu gesagt werden.

Sie stemmt sich neben ihn hoch und streicht ihren Rock glatt. „Wie hast du mich gefunden?“

„Das war ein Zufall“, meint er. „Beeil dich.“

Er hört sie mit schnellen Schritten hinter sich hereilen und verlangsamt sein Tempo. Obwohl sie für eine Frau recht groß ist, ist sie immer noch einen Kopf kleiner als er und hat viel kürzere Beine.

Zügig schließt sie auf und läuft mit angemessenem Abstand neben ihm her. Ein kleines Lächeln umspielt ihre Lippen, dass wieder einmal den Wunsch in ihm weckt in ihre Gedanken einzudringen, um herauszufinden, warum sie lächelt. Ob es etwas mit ihm zu tun hat?

Er möchte es nicht hoffen. Er bezweifelt es, er hat noch niemanden zum Lächeln gebracht. Er weiß auch nicht, wie er das machen soll. Sollte er einen Witz versuchen? Er fand Witze noch nie lustig. Er hält sich selbst auch nicht für unterhaltsam, Lord Voldemort ist nicht witzig. Lord Voldemort braucht nicht witzig zu sein.

Aber in ihrer Nähe fühlt er sich nicht wie Lord Voldemort. Er fühlt sich auf eine andere Art gut. Vielleicht möchte er sie auch zum Lächeln bringen. Doch wird er es nicht versuchen. Zu groß ist das Risiko zu scheitern. Er weiß nicht einmal, was sie lustig findet. Mit ihren Freundinnen lacht sie oft, aber er weiß nicht warum. Er wird auf keinen Fall etwas versuchen, was zum Scheitern verurteilt ist. Er kann sie vielleicht nicht zum Lachen bringen, aber er kann sie beschützen. Auch, wenn sie ihm sagen würde, dass sie das ganz gut alleine kann. Sie steht unter seinem Schutz.

 

Treffen wir uns dann in der Bibliothek?“, durchbricht sie die Stille zwischen den beiden. Sie will nicht glauben, dass sie so unaufmerksam war und unbemerkt angegriffen wurde. Aber, dass sie eingeschlafen ist, kann sie noch viel weniger glauben. Immerhin war sie viel zu aufgewühlt zum Schlafen. Und zu ausgeruht.

„Gleich nach dem Abendessen“, bestätigt er. Sie hebt den Kopf, um sein hübsches Profil zu betrachten. Die Spitze seiner geraden Nase nimmt durch die Kälte einen leichten Rotstich an. Sie hat sich ihren Mantel auch fest umgeschlungen. Tom muss ihren Wärmezauber gelöst haben, als er sie von dem Fluch befreite.

 „Es wird voll sein, immerhin wollen alle so wenig Hausaufgaben mit in die Ferien nehmen wie möglich. Treffen wir uns in der Verbotenen Abteilung?“ Sie möchte nicht, dass halb Hogwarts um sie herumsitzt, dann wird Tom nur halb so entspannt sein, wie sie es gewohnt ist, wenn sie alleine sind. Mit anderen Menschen im Raum lässt er seine Wachsamkeit nicht auf ein Minimum senken, dass ein entspanntes miteinander zur Folge hat. Auch fürchtet sie eine giggelnde Mädchengruppe in ihrer Nähe. Tom mag es vielleicht ignorieren zu können, aber sie findet es unglaublich irritierend.

„Ich werde dort warten“, teilt er ihr mit und sieht kurz zu ihr hinunter. Den kurzen Moment, in dem sie in seine Augen sieht, nimmt eine Last von ihren Schultern, deren sie sich gar nicht bewusst war. In seinen Augen konnte sie keinen Zorn gegen sich gerichtet sehen.

„Falls ich nicht komme, such mich bitte“, versucht sie mit einem kleinen Witz über die Situation die Stimmung aufzuheitern.

Er dreht erneut den Kopf zu ihr um. „Ich hoffe doch sehr, dass das nicht von Nöten ist.“ Es liegt keine Erheiterung in seinem Ton oder Blick. Emi verzieht das Gesicht, als hätte sie in eine saure Zitrone gebissen. Sie hat nicht damit gerechnet, dass er in haltloses Gelächter ausbricht, aber für gewöhnlich schmunzelt er hin und wieder. Etwas scheint seine Stimmung doch hinunter zudrücken. Umso besser sie ihn kennen lernt, desto mehr ist sie von seinem schauspielerischen Talent begeistert.

In der Öffentlichkeit ist er mit Schülern und Lehrern unglaublich charmant und mit den Slytherins ist er oft so wie im Moment.

Sie weiß nicht, was sie für Theater halten soll. Früher dachte sie, dass sein höfliches Getue seine alleinige Fassade ist. Allerdings glaubt  sie nun, dass sein Verhalten bei seinem Hauskameraden nicht weniger unecht ist. Sie kann es nicht glauben, dass „ihr Tom“, ein falsches Bild sein kann. Dafür ist er zu lebendig, zu komplex. Nicht Slytherin genug und doch durch und durch eine Schlange.

Galant hält er ihr die Tür zum Schloss auf. Sie bedankt sich und huscht an ihm vorbei in die Eingangshalle, wo noch einige Schüler zu sehen sind, die Richtung Große Halle unterwegs sind. Hinter Tom fällt die Tür beinahe leise ins Schloss, ohne Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sie lächelt ihn über ihre Schulter hinweg an. „Bis nachher, Tom. Lass es dir schmecken.“

Er nickt ihr zu. Die Kälte ist aus seinen Augen verschwunden. „Bis dann.“ Erst jetzt, wo Erleichterung die Schwere von ihr nimmt, merkt sie, dass sie Hunger hat.

Kapitel 20

 

He was charismatic, magnetic, electric and everybody knew it. When he walked in every womans head turned.

Lana del Rey

 

„Wo warst du?“, ruft ihr Maggie entgegen, als Emi in der Großen Halle noch knapp zehn Meter von ihr entfernt ist. Alle Köpfe in ihrer Nähe drehen sich zu ihr um, verlieren aber augenblicklich die Interesse. Und das, obwohl Emi das Gefühl hat inzwischen nicht mehr vollkommen unbekannt an der Schule zu sein. Ein Gedanke, der ein zynisches Lächeln auf ihre Lippen zaubert.

Endlich ist sie bei ihren Freundinnen angekommen und setzt sich zu ihnen. „Ich war am See.“

„Die ganze Zeit?“, ruft Maggie aus. „Warst du nicht mit Riddle verabredet?“ „Doch“, antwortet Emi gedehnt. „Das ist eine komplizierte Geschichte… Wir treffen uns erst jetzt nach dem Abendessen.“ Sie will und kann nicht die ganze Geschichte vor ihnen ausbreiten.

„Hat er dich schon wieder versetzt?“, hakt Maggie mit großen geschockten Augen nach. „Ich hoffe, du hast ihm mitgeteilt, dass du nicht dein ganzes Leben nach seinen Wünschen richten kannst“, Maggies Augen sind innerhalb von Sekunden von entsetzt zu wütend umgesprungen und funkeln Emi nun mit ihrem ureigenen Feuer an.

„Es geht um ein Schulprojekt, Maggie. Du weißt, dass mir meine Noten wichtig sind. Natürlich nehme ich mir Zeit für meine Hausaufgaben“, versucht Emi sich geschickt um eine Antwort zu drücken.

Maggie kneift leicht ihre Augen zusammen. „Hast du immer Zeit für deine Hausaufgaben oder für Riddle? In meinen Augen hast du in letzter Zeit ungewöhnlich viel Zeit mit ihm verbracht. Ich sage nur Hogsmeade.“

Mehr musste sie auch nicht sagen, um das schlechte Gewissen in Emi wach zurufen, immerhin wissen ihre Freundinnen ja nicht einmal annähernd die Wahrheit „Diesmal hat er mich nicht mach Hogsmeade eingeladen. Vielleicht habe ich ihn ja vergrault.“ Emis Versuch, die Sachen abzumildern, löst bei Maggie nur ein Schauben aus. Abby lächelt sie unverbindlich an, als wäre die Diskussion nichts, was sie angeht.

„Sicherlich und alle Gerüchte sind erlogen.“ Maggie verdreht die Augen. „Hat dir noch niemand gesagt, dass an Gerüchten meist ein Funke Wahrheit haftet?“ Herausfordernd hebt Maggie eine Augenbraue.

Während Maggies kurzem Monolog hat sich Emi etwas von dem gebratenem Lamm und den Kartoffeln genommen. Nun hält sie in der Bewegung des Schneiden des Fleisches inne. „Was für Gerüchte?“ Verwirrt sieht sie Maggie an. „Behauptet irgendjemand ich… ich hätte etwas mit ihm?“

Maggie hebt eine Augenbraue. „Nein“, meint sie langgezogen. „Es heißt viel mehr, dass er jedem verboten hat dir etwas zu tun. Ernsthaft, Emi, hast du dich nie gewundert, warum die Streiche plötzlich aufgehört haben? Hast du es ihm erzählt gehabt?“ Mit erstarrtem Gesichtsausdruck starrt Emi auf ihren Kelch. Er hat WAS? Das kann nicht sein. Auf keinen Fall. Der perfekte, fehlerlose Schulsprecher? Der Musterschüler ohnegleichen? Niemals. Falls das an ein Ohr eines Lehrers dringt, könnte, würde das seinen makellosen Ruf zerstören. Sofern er sich nicht wieder rausreden kann. Aber das Jahr hat nur noch wenige Monate und es ist ihr letztes Schuljahr. Was, wenn es ihn jetzt nicht mehr interessiert. „Emi, bist du noch da?“ Wild fuchtelt Maggie vor ihren Augen herum und reißt sie aus ihren Gedanken.

„Ich – Ja. Meint ihr an den Gerüchten ist etwas dran?“ Emi runzelt die Stirn und blickt zum Slytherintisch rüber.  Aus dem Augenwinkel sieht sie Maggie mit den Schulterzucken, die das Essen wieder aufgenommen hat. „Keine Ahnung“, meint sie kauend. Abby verzieht angewidert das Gesicht. Im Vergleich zu Emi hat sie sich nie an Maggies fürchterliche Essmanieren gewöhnt. Glücklicherweise ist Jacobs‘ Familie nicht gesellschaftlich hochgestellt. „Aber findest du es nicht auch merkwürdig, dass die Streiche aufgehört haben? Ich meine klar waren sie unbegründet. Wie dämlich können diese Leute sein und tatsächlich glauben, dass du mit Riddle eine Beziehung hast! Als hättest du ihn dir als Zaubertränkepartner ausgesucht. Wenigstens unterstellen euch nur noch die wenigsten eine heimliche Romanze.“ Maggie schnaubt. „Dabei fände ich das sogar aufregend“, meint sie Gabel fuchtelnd nach einem kurzen Moment, in den sie sich das scheinbar vorgestellt hat. Ein unschönes Gefühl lässt sich in ihrem Bauch nieder. Eine Mischung aus Schuld gegenüber ihren Freundinnen, die ihr all die Jahre schon treu zur Seite stehen und Zweifel, wegen der Gerüchte über Tom.

„Das scheinen die anderen nicht so zu sehen“, erwidert Emi.

„Ist doch egal“, mischt sich Abby ein, die scheinbar schon aufgegessen hat. „Seid doch einfach froh, dass die ständigen unerwarteten Flüche und Streiche vorbei sind.“

Eine neue Welle des schlechten Gewissens bricht über Emi herein und schwemmt den letzten Rest ihres Appetits hinweg.

Mit der Entschuldigung noch ihre Unterlagen vor ihrem Treffen holen zu müssen, verabschiedet sie sich von ihren Freundinnen und eilt aus der großen Halle.

Hektisch stürmt sie die Treppe hoch zum Ravenclawturm und holt ihre Tasche mit den nötigen Unterlagen. Das mit dem Lügen und Verheimlichen muss sie eindeutig noch besser üben, sonst kommt eine der beiden noch hinter Emis Geheimnis. Und das will sie immer noch nicht. Fall sie es je wollen sollte. Wer weiß, vielleicht ist ihre Freundschaft mit Riddle in wenigen Monaten wieder vorbei, immerhin ist das Schuljahr dann zu Ende.

Dann möchte sie die ganze Episode für sich haben. Ganz allein für sich, um in den Erinnerungen zu schwelgen, wenn ihr danach ist, ohne dass sie verfälscht wurden.

Die harten Absätze ihrer flachen Schuhe klappern auf den steinernen Boden in einem schnellen Stakkato, als sie weiter zur Bibliothek eilt. Sie möchte heute vor Tom an ihrem Platz sein. Normalerweise ist er immer früher da. Jetzt besteht aber die Hoffnung, dass sie zuerst ankommt. Immerhin aß er noch, als sie die Halle verließ.

Der Vorteil daran, dass sie sich erst jetzt treffen, besteht darin, dass viel weniger Schüler in der Bibliothek sein werden.

Da das Abendessen offiziell noch nicht beendet ist, liegt die Bibliothek wie ausgestorben vor ihr, als sie durch die offene Türe tritt. Der Anblick der Bibliothek am Abend ist in ihren Augen beinahe so schön wie ihr Anblick früh am Morgen. Das wird wohl der Ort sein, den sie am meisten vermissen wird, wenn sie mit der Schule fertig ist. Nichts fühlt sich mehr nach Heimat an, als das Gefühl der ungleichen Buchrücken unter ihren Fingern, wenn sie darüber streicht. Nichts riecht mehr nach Heimat, als der staubige Geruch von alten Büchern mit dem holzigen Duft der dunklen Regale. Nichts sieht mehr nach Heimat als, als die hölzernen Tische und Stühle, die hohen Fenster und dem grauen platt getretenem Gestein des Bodens. Am liebsten würde sie hier einziehen.

Seufzend reißt sie sich von dem vertrauten Anblick los, geht zielstrebig durch die Regalreihen und setzt sich an ihren Stammplatz am Fenster. Ihre Tasche stellt sie auf den breiten Fenstersims, auf dem Tom morgens oft sitzt und liest, wenn er auf sie wartet. Er ist morgens für gewöhnlich immer früher hier und das obwohl sie nie zu spät kommt. Zumindest nie absichtlich. Und wenn, dann handelt es sich höchstens um Minuten.

Sie breitet ihre Unterlagen schon einmal aus und liest sich schon mal in ihre Notizen ein, damit sie gleich starten können und er nicht auch noch darauf warten muss, dass sie bereit ist.

 

Es kann nicht viel Zeit vergangen sein, bis sie seine Gegenwart wahrnimmt. Sie weiß, dass es da ist, noch bevor sie ihn sieht oder hört. Sie weiß auch ganz sicher, dass er es ist und niemand anderes. Deshalb hebt sie nicht gleich den Kopf als sich eine dunkel gekleidete Gestalt sich elegant gegenüber von ihr niederlässt.

Sie liest die letzten Einträge von sich zu Ende, ehe sie die Blätter vor sich hinlegt und Tom anlächelt, der sie ausdruckslos ansieht.

„Ich wollte mich noch einmal wegen heute Mittag entschuldigen.“ Sie traut dem Frieden nicht. Nicht im Geringsten. Immerhin hat sie schon zu viel von Riddle gesehen, um sich von seinem Verhalten blenden zu lassen.

„Dich trifft keine Schuld“, antwortet er in einem Ton, der deutlich macht, dass er keine Diskussion erlaubt. „Lass uns anfangen.“

Mit einem schwachen Lächeln stimmt sie ihm wortlos zu. Sein grimmiger Gesichtsausdruck ist ihr Warnung genug.

 

Bald darauf sind sie fertig mit ihrem Aufsatz. Erschöpft reibt Emi sich die Augen, nachdem sie die Feder neben hin gelegt hat.

„Müde?“, erkundigt sich Riddle beim zusammenpacken seiner Sachen.

„Ja, merkwürdigerweise schon.“ Sie lächelt ihn an. „Ist ja nicht so, als hätte ich schon genug geschlafen.“

„Dein Körper muss sich von dem Fluch erholen“, meint er erklärend und erhebt sich. „Ich bring dich zu deinem Turm. Ich habe heute Nacht Patrouille.“

„Danke.“ Immer noch lächelt sie ihn an. „Aber, wenn du keine Zeit hast, finde ich auch alleine zurück.“

„Ich bringe dich.“ Starr sieht er sie. „Komm.“

Schweigend läuft sie neben ihm her. Sie weiß nicht, was sie zu ihm sagen soll, wenn er in dieser Stimmung ist. Eigentlich hatte sie während der Arbeit überlegt ihn zu fragen, ob sie wieder gemeinsam nach Hogsmead gehen oder sich dort treffen wollen, – irgendwie kann sie es sich schlecht vorstellen mit ihm Weihnachtsgeschenke zu kaufen, vor allen Dingen, wo sie noch eins für ihn braucht, aber er hatte sich das letzte Mal auch mit ihr in den Honigtopf begeben – doch bei seinem heutigen Verhalten hat sie der Mut verlassen. Wenn er mit ihr in die Stadt gehen möchte, teilt er es ihr mit, da er es nicht hat, hat er wohl besseres zu tun. Sie wird ihn im neuen Jahr fragen. Falls er es nicht tut. Sie würde sich freuen, wenn er es tun würde. Sie wünscht es sich.

„Da sind wir“, stellt sie das offensichtliche fest und würde sich am liebsten auf die Zunge dafür beißen. Seit wann redet sie so viel Unsinn daher? „Ja.“

„Dann schlaf gut. Wir sehen uns morgen früh.“

„Nein.“ Hart klingt seine Stimme in ihren Ohren wieder. „Du brauchst Schlaf. Wir können uns nachdem Mittagessen treffen.“ Ein Schmunzeln huscht über ihre Lippen.

„Sofern ich nicht schon wieder nicht mitbekomme wie mich jemand von hinten verflucht.“

„Das wird nicht passieren.“ Die ruhige Sicherheit in seiner Stimme jagt ihr einen kalten Schauer über den Rücken und gleichzeitig vermittelt es ihr ein unglaubliches Gefühl der Sicherheit.

„Dann bis morgen.“

„Schlaf gut.“

Sie wendet sich zur Tür um, löst das ihr gestellte Rätsel nach einem Moment des Nachdenkens, öffnet die Tür und dreht sich noch einmal um, um ihn gute Nacht zu wünschen. Doch er steht schon nicht mehr bei ihr im kurzen Gang zu ihrem Turm. Lautlos ist er hinter ihrem Rücken verschwunden.

„Da bist du ja endlich“, begrüßt sie Maggie, die mit Abby und Jacob vor dem Feuer sitzt. „Wir wollten schon ohne dich ins Bett gehen.“

„Nicht nötig“, gibt Emi zurück. „Von mir aus können wir gleich schlafen gehen.“

„Gut, ich bin ziemlich müde“, gähnt Abby und steht von ihren Sessel auf. „Gute Nacht, Jacob.“

„Gute Nacht Abby, gute Nacht Emi“, verabschiedet Jacob die beiden Mädchen.

„Bis morgen, Jacob“, erwidert Emi. „Kommst du nach, Maggie?“

„Ja. Gleich.“

Emi nickt Jacob noch einmal zu und folgt Abby die Treppe hinauf.

„Sie kann nächsten Samstag kaum abwarten“, grinst Abby sie an, sobald sie aufgeschlossen hat. „Ihr erstes offizielles Rendez-vous mit Jacob.“

„Ich hoffe aus den beiden wird etwas.“

„Sie hätte es verdient. Sie hat lange genug darauf gewartet, dass er sie wahrnimmt“, meint Abby.

„Oh ja“, grinst Emi. „Und wir müssen uns weniger über ihn anhören.“

„Oder noch mehr“, meint Abby trocken.

„In den Ferien darf ihr erstmal ihre Schwester zu hören. Sind ja nur noch zwei Wochen bis dahin.“ Endlich haben sie den obersten Absatz erreicht. „Fährst du auch nach Hause?“

„Ja.“ Abby lächelt. „Ich freue mich schon auf zuhause.“

„Glaube ich dir gerne“, murmelt Emi. Sie wird die Ferien über hier bleiben. Nichts ist ihr ferner, als zu ihren Vater zurück zu kehren. Umso mehr sie an Wissen ansammelt und umso mehr Zeit sie mit Tom verbringt, desto wütender wird sie über ihren Vater und den… Verrat, den er an ihr begangen hat. Ja, als Verrat betrachtet sie inzwischen das Verhalten ihres Vaters. Sie will nicht heiraten. Nicht, weil er sie zwingt. Nicht gleich nach der Schule. Nicht ohne Liebe. Nicht gegen ihren Willen.

Sie ist sauer, wütend. Sie will ihn nicht sehen. Sie kann nicht darauf vertrauen, dass sie nicht auf ihn losgeht, wenn er wieder damit anfängt sie zu verheiraten. Sie traut sich selbst nicht, falls er ein falsches Wort sagt.

Sie will ihr eigenes Leben führen. Sie will selbst bestimmen, wann, wen und ob sie heiratet. Sie will sich ihr Leben nicht diktieren lassen. Von niemanden.

Kapitel 21

 

Wer unter die Oberfläche dringt, tut es auf eigene Gefahr.

Oscar Wilde

 

Tom hat nicht im Geringsten ein schlechtes Gewissen, weil er sie angelogen hat. Bis er Patrouille hat dauert noch zwei Stunden, Zeit, die er mit seinen Anhängern verbringen wird.

Schnellen Schrittes eilt er in den Kerker. Er hat mehr Zeit mit ihr verbracht, als er geplant hatte.

Seine Anhänger sind schon vollzählig im Raim versammelt und verneigen sich augenblicklich, sobald er den Raum betreten betritt. Mit einer lässigen Handbewegung fordert er sie auf sich zu erheben und stellt sich an die offene Seite des Halbkreises. „Rosewell.“ Er spricht leise, beinahe flüsternd, doch seine Stimme ist klar und deutlich zu vernehmen.

Rosewell tritt einen Schritt vor. „Ja, mein Lord?“ Er klingt ängstlich.

„Ich habe dich meinem auserlesenen Kreis beitreten lassen, weil du den Eindruck erwecktest nützlich zu sein, Rosewell. Sage mir, warum enttäuschst du mich so? Bist du nicht stolz auf deine Position in meinen Reihen?“ Entspannt dreht Tom seinen Zauberstab zwischen den Fingern.

„D-doch, mein Herr.“

Ein grausames Lächeln voller Verachtung tritt auf Toms Gesicht. Er fürchtet sich vor ihm, Sehr gut, dass macht die Sache so viel einfacher, so viel schneller. „Solltest du nicht auf Sullivan aufpassen, bis ich entschieden habe, was ich mit ihr mache?“

„Doch, mein Herr.“ Seine Stimme ist kaum mehr als ein Nuscheln.

„Wie kommt es dann, dass ich sie verflucht auffand?“

Grahams Adamsapfel hüpft, als er schwer schluckt, ehe er zittrig antwortet. „Ich weiß es nicht, mein Lord. Vergebt mir.“ Tonlos bricht seine Stimme ab.

„Da ich ein großzügiger Lord bin, lasse ich dich am Leben.“ Boshaft grinst er auf herunter, bevor er seine Folter beginnt.

 

Rechtzeitig vor seiner Patrouille hat er das Todessertreffen beendet und Graham Malfoy und Nott überlassen, damit sie ihn soweit zusammenflicken, dass niemand Fragen stellen wird. Bis zum nächsten Todessertreffen hat Rosewell herauszufinden, wer Emi hinterrücks verflucht hat. Er kann es sich nicht leisten den Ravenclaw tagelang im Krankenflügel nutzlos liegen zu haben.

 

Es sind einige Tage seit dem Vorfall vergangen. Emi ist seitdem täglich und pünktlich morgens in der Bibliothek erschienen. Seinem Eindruck nach fühlt sie sich inzwischen nahezu wohl, richtig gehend entspannt in seiner Gegenwart, etwas, dass ihn ungemein freut. Am Montagmorgen war sie noch recht verkrampft im Verhältnis zu den Tagen davor, aber spätestens am Mittwoch hat sich diese leichte Spannung, die unangenehm zwischen ihnen hing wieder gelöst. Heute ist Freitag, die erste Stunde des Tages um genau zu sein und er langweilt sich fürchterlich in Verwandlung. Malfoy neben ihm schreibt penibel jedes Wort mit, dass Dumbledore von sich gibt, um eine ordentliche Kopie der Notizen danach an Tom weiterzugeben.

Seufzend lehnt er sich in seinem Stuhl zurück. Da er in Dumbledores Unterricht immer ganz hinten sitzt, hat er den ganzen Raum gut im Blick. Wie selbstverständlich bleibt sein Blick an Emi hängen, die ebenso wie Malfoy hektisch mitschreibt. Ihr immer gegenwärtiger strenger Dutt glänzt warm in dem schwachen Licht der Wintersonne. Nott sitzt direkt in der Reihe hinter ihr, neben einer ängstlich wirkenden Abbygayle White. Nott hat den Auftrag Emi immer im Auge zu behalten, wenn Tom nicht bei ihr sein kann und versucht sich deshalb mit der puppenhaften Ravenclaw anzufreunden. Etwas, das Tom mit großem Amüsement beobachtet. Morgen in Hogsmeade wird Nott sich den beiden Mädchen, Emi hat ihm gestern Morgen erzählt, dass sie mit Abby nach Hogsmeade geht, spontan anschließen, da Tom etwas zu erledigen hat. Am liebsten hätte er Emi ja wieder nach Hogsmeade begleitet, aber er kann es nicht zulassen, dass er seine Zukunft auf Eis legt nur um mit diesem Mädchen – mag sie noch so interessant sein – einen Nachmittag in Hogsmeade zu verbringen.

 

Voller Vorfreude greift Emi nach ihrer Einkaufsliste und dreht sich zu Abby um, die bereits auf sie wartet. Maggie ist schon in ihrem besten Winterkleid und ihrem Lieblingsumhang mit Jacob losgezogen, der seinen bewundernden Blick nicht von ihr nehmen konnte, etwas das Maggie glücklich registrierte. Emi muss lächeln, als sie an das triumphierende Grinsen ihrer Freundin denken muss.

„Können wir los?“, fragt Abby.

„Ich bin so weit“, lächelt Emi, steckt Zettel und Geldbörse in ihren Mantel und geht hinter Abby  mit ihrem blauen Schal und der passenden Mütze samt Handschuhen in der Hand raus.

Mit leichter, oberflächlicher Unterhaltung schlagen sie sich die Zeit bis sie Hogsmeade erreichen Tod.

Emi sieht ganz genau, dass Abby nur aus Rücksichtnahme das Thema Riddle nicht anschneidet, dabei hat sie die beiden gestern gesehen, als sie abends durchs Schloss gestreift sind.

Emi ist nur per Zufall gestern Abend mit Tom zusammen getroffen.  Er verließ gerade die Kerker, als sie verspätet die Große Halle verließ, weil sie noch mal zurück ist, um ihr Buch zu holen, das sie beim Abendessen hat liegen lassen.

Mit einem warmen Lächeln hat sie auf ihn gewartet, bis er zu ihr aufgeschlossen war und mit ihr weiterging. Im fünften Stock trafen sie dann auf Abby, die anstelle etwas zu sagen nur eine Augenbraue fragend hob. Natürlich hatte Emi sie gefragt, ob sie auch zum Turm möchte und so waren sie zu dritt zum Ravenclawturm gelaufen, wo Abby keine Fragen stellen konnte, weil sie von einer Viertklässlerin angesprochen wurde, der sie öfters hilft. Emi hat sich so erleichtert gefühlt, dass sie sich beinahe dafür geschämt hat.

Und jetzt wartet Abby darauf, dass sie von selbst anfängt zu reden. Ganz toll. Emi weiß nicht, ob Riddle sich öfters als Begleitung anbietet oder das nur bei ihr macht, wo sie doch befreundet sind. Allerdings wäre er nur noch am Bekleiden, wenn er es jeder anbieten täte, so wie die meisten Schülerinnen versuchen seine Aufmerksamkeit zu kriegen. Nachdenklich kaut sie auf ihrer Unterlippe herum. Sie verspürt nicht den geringsten Wunsch mit irgendjemanden über Tom zu reden.

„Gehen wir zuerst in den Honigtopf? Da würde ich gleich die ersten Geschenke finden?“, fragt Abby nach einigen Metern voller Schweigen.

„Gern“, stimmt Emi zu. „Ich wollte dort eh reingehen.“ Ewig hat sie gebraucht, bis sie sich entschieden hat, was sie Tom schenkt. Hundert Prozent ist sie sich immer noch nicht sicher, aber sie sie wird ihm auf alle Fälle Schokolade kaufen. Sie hofft, dass er Schokolade mit ihr in Verbindung bringt und das Geschenk ihn an ihren gemeinsamen Ausflug erinnert.

Der Laden ist bereits gut besucht, als sie ihn betreten. Gemeinsam kämpfen sie sich unter Ellenbogen Einsatz zur Schokolade durch. „Wir hätten hier vielleicht doch später reingehen sollen“, grummelt Emi. Abby nickt nur mit schmerzverzogenen Gesicht. Ihr ist wohl jemand in dem Getümmel auf den Fuß getreten. Eilig suchen die beiden Mädchen zusammen, was sie brauchen und stellen sich dann zum Bezahlen an. Die Schlange ist relativ lang, weshalb sie einige Zeit brauchen, bis sie wieder aus dem Honigtopf kommen. Draußen schlägt ihnen die kalte Winterluft hart entgegen, die ihnen so viel eisiger nach dem warmen Süßigkeitenladen vorkommt, als wenn sie das relativ kühle Schloss verlassen. Emi hat durch ihre Ausbeute im Honigtopf, ein Geschenk für Jacob, eins für Adam, eine Kleinigkeit für Phoebe, der sie trotz allem etwas schenken möchte, Schokolade für Tom und für ihren Vater Gummibärchen, die die Lieblingsgeschmäcker von einem annehmen, wenn man an sie denkt. Mehr als die paar Knuts ist Emi ihr Vater nicht mehr wert und selbst das Geschenk hat sie nur gekauft, weil es die Höflichkeit gebietet.

„Hast du schon etwas für Maggie?“, nuschelt Abby in ihren Ravenclawschal hinein.

Emi schüttelt den Kopf. „Ich dachte an Schmuck, darüber freut sie sich immer.“

„Wir können ihr ja etwas kaufen, das zusammen passt.“ Emi bejaht Abbys Vorschlag mit einem Nicken. Sie ist zu sehr damit beschäftigt ihren Zauberstab aus ihrer Tasche zu kramen, um einen Wärmezauber um sich zu legen. Sie hasst es zu frieren. Kurz nachdem sie ihn gefunden hat und auch Abby in eine wärmende Glocke gehüllt hat, betreten sie schon einen kleinen Modeladen, der auch Schmuck sowie Schuhe anbietet.

Kichernd sehen sie sich alles an, legen sich hier und da mal ein Armand an oder halten sich Ohrringe an ihre Ohren, bis sie sich ernsthaft auf die Suchen nach einem geeigneten Geschenk für Maggie machen. Ziemlich schnell finden sie dann ein bronzenes Armband mit eingravierten Runen, die laut Schild eine schützende Wirkung haben sollen. Das Armband passt in ihren Augen so gut zu Magara, dass sie es ihr aufgrund des hohen Preises zusammen kaufen. Weder Abbygayles‘ noch Emis‘ Familie schwimmen in Geld, obwohl beide auf eine recht lange Ahnenlinie zurückblicken können, die bei Abby allerdings mit ihrer muggelgeborenen Mutter in ihrer Reinblütigkeit durchbrochen wurde.

Zufrieden verlassen die beiden den Laden wieder.

„Treffen wir uns in einer Stunde im Drei Besen?“. Fragt Emi, da sie sich trennen wollen, um für die jeweils andere ein Geschenk zu kaufen und einige Kleinigkeiten zu erledigen.

„Hallo“, lenkt eine tiefe Stimme die Aufmerksamkeit der beiden wieder auf den Weg vor ihnen. Archibald Nott steht mit einem freundlichen Lächeln vor ihnen.

„Hallo“, gibt Emi zögerlich zurück und hält sich im Hintergrund, da sie Abby und Nott am Freitag miteinander im Unterricht reden sah. Außerdem traut sie nicht allen Slytherins per se, nur weil sie mit Riddle befreundet ist.

„Nott, brauchst du etwas?“, fragt Abby höflich aber reserviert. Der Slytherin zuckt mit seinen Achseln.

„Meine Begleitung hat mich eben verlassen und da bist du… seid ihr mir aufgefallen. Kann ich mich euch anschließen?“

Überrascht hebt Emi eine Augenbraue. Sie kann sich kaum vorstellen, dass deine Begleitung ihn verlassen hat, soweit sie weiblich war. Und bis jetzt war er immer mit Frauen in Hogsmeade. Es gibt Dinge, die nicht einmal ihr entgehen und eine dieser Sachen ist, dass sich einige Syltherins bei Frauen aller Häuser gut ankommen. Zwar nicht in den Ausmaßen, die es bei Tom erreicht, aber Nott, Malfoy und der älteste der drei Blackjungen sind öfters auch in Ravenclaw im Gespräch. Und das, obwohl Alphard Black ein Jahr jünger ist.

Da Abby vehement schweigt, ergreift Emi das Wort. „Wir wollten uns gerade trennen, aber du kannst dich sicherlich Abby anschließen, ich stoße dann im Drei Besen dazu.“

Notts Augen huschen hektisch zwischen den beiden Hexen hin und her. Kurz denkt Emi einen gequälten Gesichtsausdruck auf seinem Gesicht zu sehen. Da es aber nur einen Wimpernschlag anhielt, tut sie es als Einbildung ab.

„Wenn du nichts dagegen hast?“, wendet er sich an Abby.

Sie schüttelt den Kopf. „Nein, ist schon on Ordnung.“

„Gut“, meint Emi langezogen. „Dann sehen wir uns nachher.“ Lächelnd wendet sie sich von dem Duo ab und möchte die Straße überqueren, als ihr eine großgewachsene Figur ist Auge fällt, die die Straße zum Dorfausgang entlang eilt.

Tom.

Verwirrt sieht sie ihm nach. Warum ist er alleine unterwegs? Warum geht er ohne zu grüßen an ihr vorbei? Na ja, gut. Vielleicht hat er sie ja übersehen. Aber wo will er hin?

„Emi?“

„Hm?“ Emilienne dreht sich zu Abby um.

„Wolltest du nicht in die andere Richtung?“ Abby runzelt die Stirn. Einen Moment sieht Emi sie noch an, ehe sie die Worte versteht.

„Oh, doch, doch. Bin schon unterwegs. Bis nachher!“ Mit einem Winken überquert sie dann endlich die Straße und macht sich auf den Weg zu einen Schreibwarengeschäft. Sie will Abby irgendeine besondere Tinte schenken. Ihre Freundin schreibt immer so viel und ausführlich im Unterricht mit, dass ihr ständig die Tintenfässer ausgehen, da wird ein neues auf Vorrat gut gebrauchen können.

Die Ladenglocke klingelt leise, als sie eintritt.

Der altmodische, aber gepflegte Laden ist einer ihrer Lieblingsorte in Hogsmeade. Überall sind Regale voller Bücher und in der Mitte sind halbhohe Theken, die mit verschiedenen Utensilien bestückt sind.  Zielstrebig geht sie zu den Tintenfässern und greift sofort nach einem, das laut Etikett die Farbe annimmt, die der Schreibende sich gerade wünscht. Kurz entschlossen packt sie auch eins für sich ein.

Danach geht sie zur Kasse und legt mit einem freundlichen Lächeln die Fässer ab und holt ihre Börse heraus. Ein schwarzes, ledereingebundenes Buch fällt ihr ins Auge. Merkwürdigerweise muss sie bei seinem Anblick an Tom denken und greift gedankenverloren danach.

„Das Notizbuch auch, Miss?“ Die kratzige Stimme des alten Verkäufers holt sie in die Wirklichkeit zurück.

„Ja“, meint sie mit entschlossener Stimme. Das wird ihr Geschenk für Tom vervollständigen. Ein Notizbuch kann er sicherlich immer gebrauchen. Und wenn er seine Lieblingsflüche darin auflistet.

Kapitel 22

 

Was nicht zusammen kann bestehen, tut am besten, sich zu lösen.

Friedrich von Schiller

 

 

Emi sitzt mehr oder weniger gut gelaunt neben Abby im Drei Besen und nuckelt hin und wieder an ihrem Butterbier. Als sie zu Abby und Nott stieß, war die Stimmung sehr gedrückt und unangenehm. Jeder Versuch von ihr ein Gespräch in Gang zu kriegen, ist im Sande verlaufen. Also, wenn sich Nott immer so benimmt, ist es kein Wunder, dass sein Date ihn hat sitzen lassen.

„Gehen wir zurück?“ In einem Zug leert Emi ihr Butterbier, um von hier wegzukommen. „Ich… muss noch ein paar Hausaufgaben erledigen“, versucht sie sich rauszureden.

„Ja, sicher“, stimmt ihr Abby gespielt enthusiastisch  zu.

„Dann los.“ Auch Nott macht einen erleichterten Eindruck.

Da die drei schon bezahlt haben, verlassen sie ohne Verzögerung den Pub und laufen schweigend zum Schloss hoch. Es ist ein drückendes, unangenehmes Schweigen. Emi ist mehr als froh ein Stückchen vor den beiden zu laufen. Mitten in der irgendwie gehemmt peinlichen Stimmung hätte sie wahrscheinlich der Fluchtinstinkt gepackt.

Aber alleine ohne jede Form von Ablenkung spielen ihre Gedanken verrückt. Wo ist Tom hingegangen? Und warum war er alleine in Hogsmeade?

Zu gerne wäre sie ihm nachgegangen, was sie auch getan hätte, wenn sie sich nicht sicher wäre, dass er sie bemerkt hätte.

Wenn sie ihn morgen trifft, wird sie ihn einfach danach fragen, beschließt sie und fühlt sich augenblicklich besser. Vielleicht kriegt sie ja eine Antwort, die ihre Neugierde ausreichend befriedigt.

 

„Merlin sei Dank sind wir ihn los“, stöhnt Abby erleichtert auf, als die Tür des Schlafsaals hinter ihnen ins Schloss fällt.

„Wen seid ihr los?“ Überrascht sehen Abby und Emi zu Phoebe, die sie erstens gar nicht bemerkt haben und die sie zweitens seit einer gefühlten Ewigkeit ignoriert.

„Nott“, gibt Emi kurz und bündig zu Antwort.

„Du hattest ein Date mit Nott?“ Mit großen Augen sieht Phoebe zu Abby.

Die verzieht das Gesicht zu einer Grimasse. „Eher ein unfreiwilliges Butterbiertrinken. Zu Glück kam Emi nach.“

„Zum Glück? Bist du verrückt Abby? Du solltest dich darüber f reuen, dass Nott dir einen Moment seiner Zeit geschenkt hat.“ Phoebe schnaubt. „Er ist beliebt und sieht gut aus – natürlich nicht im Vergleich mit Riddle, nicht wahr Emi?!“ Ein boshaftes Funkeln hat sich in Phoebes Augen geschlichen, dass Emi sofort vorsichtig werden lässt.

„Kann sein“, antwortet sie ausweichend.

Erneut schnaubt Phoebe. „Ich bitte dich! Nicht einmal dir kann es entgangen sein, dass er verdammt attraktiv ist. Im Vergleich zu dir würde ich seine Aufmerksamkeit zu schätzen wissen“, giftet sie los.

„Ich habe nicht gesagt, dass er hässlich ist“, versucht Emi ruhig abzuwiegeln. Ihre Hand ist unauffällig in die Nähe ihres Zauberstabes gewandert.

„Ich frag mich sowieso, was er mit einem prüden Huhn wie dir möchte. Sich zu Tode langweilen?“ Herausfordernd sieht Phoebe sie an. Abby schnappt im Hintergrund empört nach Luft.

„Lass es gut sein, Phoebe.“ Enttäuscht schüttelt Emi den Kopf. Einen Moment lang hat sie gehofft, dass sie sich ganz normal unterhalten können, jetzt kocht nur Wut in ihr hoch. Wut auf Phoebe, weil sie sich so verändert hat. Und Wut auf sich, weil sie nicht einmal versucht hat, das zu verhindern.

„Lass es gut sein? Ich habe erst angefangen“, faucht Phoebe Emi an und erhebt sich von ihrem Bett. „Du bist nicht einmal hübsch oder hast eine gute Figur! Was will er bloß von dir? Du bist so interessant wie eine graue Kirchenmaus.“

Emi kneift fest die Lippen zusammen, auf keinen Fall will sie, dass Phoebe merkt, dass sie einen wunden Punkt getroffen hat – denn genau das hat sie sich auch schon gefragt.

„Wenigstens zurecht könntest du dich machen! Du bist eine Schande für Ravenclaw, immer rennst du in biederer Kleidung herum, deine Haare sind immer züchtig zu einem Dutt gebunden und von Lippenstift scheinst du auch noch nichts gehört zu haben.“

Zugegeben Emi hat blasse Lippen, aber dafür, dass ihr Gesicht sonst recht weich und ohne besondere Merkmale ist, von ihren ungeliebten Sommersprossen auf der Nase einmal abgesehen, sind ihre Lippen voll und schön geschwunden – zumindest hat sie das immer so empfunden.

Und ihr Dutt ist einfach praktisch um ihre doch relativ langen Wellen zu bändigen.

„Du bist einfach farblos und durch und durch gewöhnlich“, versprüht Phoebe ihr Gift.

„Was ist eigentlich dein Problem Phoebe?“, fragt Emi so ruhig wie möglich, sie möchte auf keinen Fall einen handfesten Streit vom Zaun brechen.

„Was mein Problem ist?“ Phoebe glüht förmlich vor Zorn. Früher hat Emi Phoebe immer für recht hübsch empfunden, zu dünn, aber hübsch. Jetzt findet sie Phoebe mit diesem angewiderten, boshaften Gesichtsausdruck nur noch hässlich. Ihre blutroten Lippen haben sich verächtlich gekräuselt, was ihre schmale Oberlippe nur betont. „Du hast seine Aufmerksamkeit nicht verdient! Das  ist mein Problem“, kreischt sie in einem schrillen Crescendo.

„Und du schon oder was?“, gibt Emi mit einem höhnischen Unterton zurück. „Wie willst du das eigentlich beurteilen? Du kennst ihn doch gar nicht.“

„Und du etwa schon?“, gibt Phoebe provozierend zurück.

Emi öffnet den Mund, um Phoebe genau das zu sagen, zu sagen, dass sie Tom kenne, aber sie schließt den Mund stumm wieder. Sicherlich kennt sie ihn besser als Phoebe, aber wenn sie genau darüber nachdenkt, kennt sie ihn doch nicht wirklich.

Sie haben sich noch nie über ihre Familien ausgetauscht. Sie weiß nicht einmal, wann er Geburtstag hat. Das sollte sie auf alle Fälle demnächst fragen, nicht, dass er schon hatte und sie hat ihm nicht einmal gratuliert.

„Wusste ich es doch“, meint Phoebe triumphierend und rauscht an der verstummten Emi und der entsetzt dreinblickenden Abby vorbei und verlässt türknallend den Schlafsaal.

Äußerlich ruhig geht Emi zu ihren Schrank, verstaut ihre Tüten und zieht ihre warme Kleidung aus.

„Du bist nicht hässlich“, erklingt Abbys Stimme unerwartet plötzlich hinter ihr. „Lass dir das nicht von der Sabberhexe einreden.“

Dankbar lächelt Emi sie an. „Danke, dass hatte ich auch nicht vor.“ Emi mag nicht so zierlich sein wie Abbygayle oder so rassig wie Magara, aber das sie hässlich ist, lässt sie sich von niemand einreden.

Krachend fliegt die Tür wieder auf, was die beiden Mädchen erschrocken zusammen zucken lässt.

„Will mich denn niemand fragen, wie es war?“, fragt Magara strahlend und schwebt in den Raum. Augenblicklich muss Emi Lächeln, auch von Abby scheint eine Spannung abzufallen.

„Wie war es denn?“, antwortet Emi mit der erwarteten Frage  und setzt sich zu Maggie auf das Bett, um sich Bericht erstatten zu lassen. Von Phoebes Anfall können sie Magara auch noch später berichten.

 

Gemütlich sitzt Tom am Sonntagmorgen in der Bibliothek und wartet entspannt aus Emi. Sein gestriges Vorhaben war ein voller Erfolg und das Gefühlshoch, das zurückgeblieben ist, erstaunt ihn selbst.

„Guten Morgen, Tom.“ Wie immer begrüßt Emi ihn mit einem noch leicht schläfrigen Unterton in ihrer Stimme.

„Guten Morgen, Emilienne.“ Er hebt den Blick von seinem Buch und beobachtet, wie sie auf die Fensterbank ihm gegenüber hüpft. „Hast du gut geschlafen?“, fragt er höflich.

„Nein, fürchterlich“, gibt sie zurück, was ihn dazu veranlasst das Buch auf seinen Schoß sinken zu lassen. Normalerweise antwortet sie immer mit einer Bestätigung und Gegenfrage, selbst wenn sie tiefe Schatten unter den Augen hat, die das Gegenteil erzählen. Es muss also etwas vorgefallen sein, dass schlimm genug ist, dass sie ihn höflich abspeist. Etwas, dass ihn makabrer Weise freut, er mochte es nie, wenn sie ihm nicht die Wahrheit erzählt hat und an Konventionen festhält. Dass sie das eigentlich nicht tut, hat er noch zu gut in Erinnerung. Das zornige Funkeln in ihren Augen, als sie ihn erkannt hatte, während dem seine Anhänger die kleinen Gryffindors ärgerten, hat er nicht vergessen.

„Schlecht geträumt?“, fragt er höflich nach, obwohl er sie am liebsten Schütteln täte, damit sie es ihm endlich erzählt. Wenn ihr wieder jemand Kröten ins Bett hat, wird jemand sterben. Qualvoll sterben.

Zig Folterflüche spielen sich vor seinen Augen ab, ehe sie ihm antwortet.

„Nein.“ Sie schüttelt vehement den Kopf. „Ich konnte einfach nicht aufhören zu denken“, seufzt sie und zieht selbst ein Buch aus ihrer Tasche. „Mir ist einfach zu viel durch den Kopf gegangen.“

Er nickt erleichtert.

„Warst du gestern in Hogsmeade?“, wechselt Emi das Thema und sieht ihn fragend an.

Eine Moment zögert er mit seiner Antwort, ist sich nicht sicher, was er sagen soll. Die Wahrheit? „Kurz“, antwortet er dann mit einer Art Halbwahrheit. Er war kurz in Hogsmeade. Immerhin ist er hindurch gelaufen, ehe er hinter der letzten einsamen Hütte, wo ein sehr alter und skurriler Zauberer wohnt, appariert ist. „Und du?“

„Ich war mit Abby shoppen“, gibt sie lächelnd zur Auskunft. „War eigentlich ganz nett.“

Jeder andere hätte gefragt, warum es nur ganz nett war, aber Tom erkennt am Klang ihrer Stimme, dass sie es mehr als ganz nett fand.

„Wurdet ihr fündig?“, fragt er ein wenig desinteressiert, weil er sich wieder seinem Buch gewidmet hat.

Plötzlich nimmt sie es ihm aus der Hand. Er will sie schon zornig anfahren, als er ihrem halb belustigten halb wütenden Blick begegnet, der eine unausgesprochene Drohung beinhaltet. Nicht, dass er sich vor ihr fürchtet täte oder sich was von ihr sagen lassen täte, aber sein Zorn verwandelt sich augenblicklich in Respekt und Amüsement. Von Lehrern abgesehen, ist sie die einzige, die sich  traut ihn so zu behandeln.

„Entweder liest du oder unterhältst dich mit mir“, teilt sie ihm mit und gibt ihm sein Buch zurück.

Von ihrer Rüge beinahe zum Schmunzeln gebracht, nimmt er ihr das Buch wieder ab. „Wurdet ihr fündig?“, wiederholt er seine Frage. Die gute Stimmung von gestern scheint ihn heute geduldig gestimmt zu haben, wie er annimmt. Anders kann er sich sein zurückhaltendes Verhalten selbst nicht erklären.

„Ja, sogar ziemlich schnell. Dein Freund Nott ist uns übrigens begegnet“, erzählt sie ihm.

„Was wollte er?“, fragt er gespielt interessiert. Ihr zuckender Mundwinkel verrät ihm, dass sie sehr genau weiß, dass er sein Interesse zum größten Teil nur heuchelt.

„Sich uns anschließen. Und jetzt ließ schon dein Buch weiter“, fordert sie ihn lachend auf. „Sonst kommst du keine Seite weiter bis zum Frühstück.“

An dieser Stelle verschweigt er ihr einfacherheitshalber, dass er bereits gefrühstückt hat.

„Eins noch, Tom.“ Sein Blick trifft auf ihre dunkelblauen Augen, die seiner Meinung nach auf eine unglaublich vielfältige Art und Weise ihre Gefühle widerspiegeln können.

Fragend hebt er eine Augenbraue.

„Wann hast du Geburtstag?“

Deswegen hält sie ihn vom Lesen ab? „31. Dezember 1926.“

„Das ist ja bald“, scheint sie sich zu freuen. „Deine Eltern werden sicherlich ein großes Fest schmeißen, wo du doch an Silvester Geburtstag hast. Freust du dich schon?“
Seine Eltern? Fest beißt er seine Zähne aufeinander. Seine Mutter ist mit achtzehn gestorben und somit nur wenig älter geworden, als er jetzt ist. Und für den Tod seines Erzeugers ist er selbst verantwortlich.

Er entschließt sich zu einer unverbindlichen Antwort. „Ich bleibe die Ferien über in Hogwarts.“

„Wirklich?“ Erstaunt sieht sie ihn an. „Bleiben deine Freunde, um mit dir zu feiern?“

„Meine Freunde fahren seit jeher über alle Ferien nach Hause.“ Resignierend legt er das Buch beiseite. Er wird wohl nicht zum Lesen kommen, solange sie ihre Neugierde nicht einigermaßen gestillt hat.

„Dann feiere ich mit dir“, beschließt sie nachdem sie mein Gesicht gemustert hat.

„Du bleibst über die Ferien?“ Tom kann sich nicht daran erinnern, dass sie jemals zuvor in den Ferien geblieben ist, dann hätte er sie sicherlich eher wahrgenommen.

Sie nickt einmal.

Am liebsten würde er sie fragen, weshalb sie bleibt, aber da er nicht möchte, dass sie ihn das selbe fragt, schweigt er lieber. Er möchte ihr nämlich weder die Wahrheit erzählen noch sie anlügen. Er möchte nicht, dass sie ihn mit anderen Augen sieht.

„Vermissen dich deine Eltern nicht, wenn du hier bleibst?“

„Meinem Vater ist es gänzlich gleich, was ich in den Weihnachtsferien mache“, schnaubt sie ungalant und schüttelt energisch den Kopf.  „Nein, vermissen wird er mich nicht.“

„Und deine Mutter?“ Er realisiert gar nicht, dass er schon längst wieder lesen könnte, wenn er die Unterhaltung nicht von sich aus aufrechterhalten würde.

„Ermordet“, antwortet sie knapp mit einem traurigen Funken in den Augen. „Von Grindelwald.“

Überrascht sieht er sie an. Ihr Leben scheint wohl doch nicht so perfekt verlaufen zu sein, wie er die ganze Zeit angenommen hat. „Mein Beileid.“

„Das ist schon Jahre her, Tom.“ Traurig lächelt sie ihn an. „Aber danke.“

Er nickt einmal und hebt sein Buch wieder auf Augenhöhe. Wer hätte gedacht, dass sie eine weitere Gemeinsamkeit haben.

Kapitel 23

 

Die Aufmerksamkeit ist das Gedächtnis des Herzens.

Aus Frankreich

 

 

„Genießt eure Ferien“, verabschiedet sich Emi von ihren Freudinnen in der Eingangshalle und drückt beide fest an sich. „Und grüßt eure Familien.“

„Mach ich“, lächelt Maggie und zieht Emi noch einmal an sich. „Bist du dir sicher, dass du nicht mit zu uns kommen willst?“

Emi nickt. „Ich bleibe dieses Jahr im Schloss.“ Sie hat die letzte Woche über genug über Jacob und wie toll und süß er ist gehört, die paar Wochen Jacob freie Zone werden ihr gut tun.

„Du könntest auch mit zu mir nach Hause kommen“, bietet Abby an, die ihrem schelmischen Grinsen nach ganz genau weiß, woran Emilienne gerade gedacht haben muss. Ihr geht es nämlich nichts anders.

„Das ist so lieb von euch“, meint Emi wirklich gerührt. „Aber das ist meine letzte Möglichkeit Hogwarts über Weihnachten zu sehen, das kann ich mir nicht entgehen.“

„Wenn du meinst“, entgegnet Maggie achselzuckend.

Emi lächelt unverbindlich und lässt ihren Blick durch den Raum schweifen, bis er an Tom haften bleibt, der halbverborgen im Schatten des Kerkeraufgangs verborgen steht und sie zu beobachten scheint. Grüßend hebt sie ihre Mundwinkel ein Stückchen höher, was er mit einem Nicken erwidert. Danach dreht er sich um und verschwindet die Treppe hinunter. Emi wendet ihre volle Aufmerksamkeit wieder ihren Freundinne zu, die sich gerade von Jacob, Adam und Gemma verabschieden, die ebenfalls nach Hause fahren.

Emi verabschiedet sich auch von den dreien und scheucht sie dann aus der sich bereits leerenden Halle hinaus. „Wenn ihr euch nicht beeilt, kriegt ihr keine Kutsche mehr und verpasst den Zug.“ Grinsend bleibt sie oben ab Absatz der Treppe stehen und winkt bis die Kutsche, die ihre Freunde wegbringt nicht mehr zu sehen ist.

Einen Moment bleibt sie noch stehen und atmet die kühle Luft ein, die leicht in ihrer Lunge sticht, bevor sie wieder die nicht viel wärmere Eingangshalle betritt und sich auf den Weg in den Kerker macht. Aus irgendeinem Grund hat sie das Gefühl, dass Tom will, dass sie ihm folgt, also macht sie sich auf den Weg in den Kerker, der nicht einmal im Sommer warm wird.

„Sind alle deiner Freunde nach Hause gefahren?“, erklingt seine Stimme unerwartet aus einem tiefschwarzen Schatten, nachdem sie die ersten Meter in den Kerker hinter sich gebracht hat. Sie dreht sich um, wodurch sie nicht nur das leise Rascheln von Toms Robe hört, als er aus den Schatten tritt, sondern beobachten kann wie seine dunkle Figur Stück für Stück Form gewinnt, bis er vollkommen ins Licht der Fackeln tritt.

„Ja, sind sie. Der Turm ist fast ausgestorben.“ Sie leckt sich über die Lippen, da sich ihr Mundraum plötzlich trocken anfühlt. Toms intensiver Blick scheint bei ihrem Worten kurz aufgeleuchtet zu haben, was ihr feuchte Handflächen und einen sich klumpig anfühlenden Magen   beschert hat.

„Sehr schön.“ Lässig verschränkt er seine Hände hinter seinem Rücken. „Du wirst deine Ferien mit mir verbringen.“

„Hatte ich vor“, gibt sie zurück, immer noch unfähig ihren Blick von seinen dunklen Augen zu lösen.

 

Starr hält er ihren Blick fest. Das Triumpfgefühl sie für die ganzen Ferien nur für sich zu haben rauscht durch seinen Körper.

„In den Ferien werde ich morgens vor dem Frühstück aber nicht früher aufstehen.“ Erneut leckt sie sich über die Lippen, als wäre sie nervös. Allerdings versteht er nicht, warum sie nervös sein sollte.

Er nickt und bietet ihr seinen Arm an. „Lass uns am See spazieren gehen, bevor das ganze Gelände mit Schnee bedeckt ist“, fordert er sie auf.

„Gern“, stimmt sie zu und hakt sich bei ihm unter. „Ich war die Woche so gut wie gar nicht draußen, wenn ich mich im Winter nicht rauszwinge, wachse ich förmlich im Gemeinschaftsraum fest“, grinst sie ihn an.

Einen Moment lang ist er versucht ihr zu erklären, dass Menschen nicht festwachsen können, aber dann entschließt er sich dagegen. Er möchte sie nur ungern gleich zu Beginn der Ferien entzürnen.

Ungesehen verlassen die beiden das Schloss und laufen durch das leise knirschende Gras zu der spiegelnden Seeoberfläche.

„Warst du schon mal an Weihnachten in Hogwarts?“, durchbricht Emis Stimme die Stille.

„Ja.“ Bestätigend nickt er.

„Was hast du in deiner freien Zeit immer gemacht?“

„Ich war viel in der Bibliothek“, gibt er ungenau zur Antwort. Er hat viel recherchiert, immer. Erst über seine Familie, dann über die Kammer und jetzt lebt er für die Dunklen Künste. Er arbeitet schon immer zielstrebig auf ein Ziel hin. Das Ziel die Zaubererwelt zu revolutionieren.

„Dann können wir dort wohl förmlich einziehen“, grinst sie. „Ich habe auch noch einige Werke, die ich durchlesen möchte und will mit den Prüfungsvorbereitungen beginnen.“

„Erwartet dein Vater gute Noten?“  Sie schnaubt abfällig, was ihn überrascht. Erstaunt sieht er zu ihr herunter, um ihre Mimik zu beobachten.

Wie versteinert blickt sie auf den See heraus, er kann Wut, Enttäuschung und Ablehnung in ihrem weichen Gesicht erkennen. Ihre sonst so warmen blaue Augen wirken klirrend kalt, einem anderen hätte der Blick sicherlich Furch eingeflößt. Die Ausdrucksstärke ihrer Mimik fasziniert ihn und erinnert ihn wieder daran, warum er sich so gerne mit ihr beschäftigt. Zumindest redet sich das gerne ein. Sie ist ein Untersuchungsobjekt, sonst  nichts. Ihre Freundschaft ist nur ein Experiment.

„Mein Vater“, all die Gefühle die er gerade in ihrem Gesicht gesehen hatte, triefen in ihrer Stimme. „Er ist nicht mehr mein Vater. Für mich ist er gestorben.“ Ihre Lippen sind zu einem schmalen Strich zusammen gekniffen.

Ein merkwürdiger Impuls überkommt ihn, ein unerwartetes Gefühl, dass seine Hände kribbeln lässt und seine Kehle zuschnürt.

Er möchte sie in seine Arme ziehen.

Ein Wunsch, den er noch nie empfunden hat. Niemals.

Er hat nie verstanden wie jemand einfach aus einem Impuls heraus handeln kann. Was ein Impuls ist, wie er auf einen wirkt.

Er jetzt begreift er die Macht dieses spontanen Wunsches, der andere Menschen regelmäßig überkommt. Er kann es nicht fassen, dass auch er aus einem Impuls heraus handeln möchte. Die handlungsunfähig machende Ohnmacht der überraschenden Erkenntnis hindert ihn daran, dem Impuls nachzugeben.

Sie hat schon ein falsches Lächeln aufgesetzt, bis er aus seiner Starre erwacht.

Sobald er seine Überraschung über seine eigenen Gefühle überwunden hat, kommen Fragen auf. Warum hasst sie ihren Vater? Hat er ihr etwas angetan?

„Komm, lass uns reingehen“, fordert er sie auf. Er fühlt sich beobachtet, obwohl niemand zu sehen ist. Argwöhnisch blickt er zum Schloss hinauf, kann aber keine Bewegung, keinen schattenhafte Schemen ausmachen. Jedoch hat sein Gefühl ihn der Hinsicht noch nie getäuscht, er verlässt sich voll und ganz auf sein ureigenes Warnsystem.

„In Ordnung“, stimmt sie ohne zu zögern zu.

 

Gespannt beobachtet Emi wie Tom sich ständig umsieht. Sofort hat sie die Veränderung in seiner Stimmung wahrgenommen, seine plötzlich steifere Körperhaltung, die so typisch ist, wenn sie nicht alleine sind und seine forschende Blicke über das Gelände. Selbstverständlich schließt sie sich ihm an, als er rein möchte.  

Zügig läuft sie hinter ihm her, als er zum Schloss eilt. Ihr keuchender Atem hallt in ihren Ohren wieder. Sie sollte eindeutig mehr Sport treiben, wenn sie vor hat noch öfters hinter Riddle her zustürzen. Wenigstens hält er ihr die Tür zum Schloss auf und lässt ihr den Vortritt.

„Wohin gehen wir?“, fragt sie ihn neugierig und hofft, dass es nicht die Bibliothek ist. Sie möchte nicht die ganze Zeit unsicher sein, ob die Bibliothekarin nicht hinter dem nächsten Regal auftaucht. Morgens mag die Bibliothek noch sicher sein, aber nicht tagsüber, selbst in den Ferien nicht.

Ein kurzes Schweigen entsteht, dann bleibt er stehen und dreht sich mitten auf der Treppe zu ihr um.

 

Kurz zögert er. Er weiß, dass sie mit Graham zusammen war, kann sich aber nicht vorstellen, dass sie anstandslos ist. Im Gegenteil, von ihrer unerwartet Schwäche für die schwarze Magie abgesehen, wirkt sie auf ihn sehr anständig, selbst ihre Kleidung ist immer sehr brav, wenn er an die Frisuren und Kleider anderer Schülerinnen denkt.

Auf der anderen Seite ist sie sehr selbstbewusst. Er kann sie es ja auch einfach fragen, anstelle sie vor vollendete Tatsachen zu stellen. Denn, wenn er daran denkt, dass sie jetzt einfach in ihren Turm geht und ihn alleine lässt, verkrampft sich sein Magen.

„Würde es dir etwas ausmachen mit mir auf mein Zimmer zu gehen?“ So ruhig wie möglich sieht er sie an. Er hofft, dass sie kein Problem hat, mit den unerwünschten Gefühlen kann er sich später auseinander setzen.

„Nein, natürlich nicht.“ Kommt es ihm nur so vor oder ist sie erleichtert?

Gemächlich läuft er vor ihr her und hält ihr an seinem Zimmer angekommen die Tür auf.

„Setzt dich“, befiehlt er und zieht sich seinen Mantel und den Schal aus. Überrascht weiten sich ihre Augen, als sie ihn zum ersten Mal in legerer Muggelkleidung sieht. Unberührt davon ruft er einen Hauself herbei, damit er ihnen Tee und Häppchen bringt während Emi ebenfalls ihre Winterkleidung ablegt und sich auf seine Couch setzt.

 

Überrascht sieht sie ihn an, als er seinen Mantel ablegt.  Ihre Überraschung rührt nicht nur da her, dass sie ihn in Muggelkleidung sieht, immerhin tragen viele Magier, auch reinblütige Familien wie die ihre, Muggekleidung, weil sie in der Muggelwelt leben.

Sie ist erschrocken über den Zustand der Kleidung. Er trägt eine schwarze, für diese Jahreszeit viel zu dünne, Stoffhose mit ausgeblichenen und ausgefransten Kanten, Auch der Wollpullover ist ausgewaschen und fransig, Außerdem hätte sie nie gedacht, dass er freiwillig braun trägt oder ohne Hemd unter seinem Pullover anzutreffen ist.

Warum trägt ein reicher, reinblütiger Slytherin solche Kleidung?

Der kleine Hauself verschwindet mit einem Plopp, aber sie kann nicht wegsehen. Sie hat sich ja gedacht, dass seine Eltern sich nicht unbedingt gut um ihn kümmern, wenn er über Weihnachten hier bleibt, aber dass sie ihn solch verwahrloste Kleidung geben?

Selbst ihr Vater, der hart im Ministerium arbeitet, um für ihr leibliches Wohl zu sorgen, gibt ihr Geld für neue Kleidung.

Kann es sein, dass er gar kein reicher Erbe ist? Das seine Familie genauso arm ist wie ihre? Aber seit wann sind die Reinblüter in Slytherin arm? Sie schaufeln sich doch regelmäßig das Geld durch ihre Firmen zu.

Ruhig erwidert er ihren Blick, als sie bei seinem makellosen Gesicht ankommt. Seine braunen Augen gucken sie so offen an, wie sie es noch nie an ihm gesehen hat. Schwer schluckt sie und klopft zögernd auf den Platz neben sich. Plötzlich fühlt sie sich schlecht, weil sie ihn so unverhohlen gemustert hat. Merkwürdigerweise hat er weder zynisch noch boshaft auf das unhöfliche Verhalten von ihr reagiert. „Setzt dich endlich zu mir.“ Sie lächelt ihn an. Dass er nicht wie erwartet reagiert hat, fasst sie als gutes Zeichen auf, ihr Lächeln wird eine Spur wärmer.

„Nicht, dass der Hauself direkt in dich hineinappariert.“

Er runzelt die Stirn und setzt sich in Bewegung, um sich elegant neben sie zu setzten, nachdem sie ihren Rock zusammen gerafft hat. „Hauselfen können nicht in einen hineinapparieren.“

Sie verdreht die Augen.  „Das war ein Scherz, Tom“, teilt sie ihm mit. „ Ich weiß, dass das nicht möglich ist.“

Sie spürt seinen intensiven, forschenden Blick, den er ihr zu wirft. Seine Augen scheinen sie zu fixieren und nichts anderes, als sie wahrzunehmen, was ihre Wangen zum Glühen bringt. Am liebsten würde sie wie ein schüchternes Schulmädchen den Kopf senken, möchte und wird sich aber nicht diese Blöße vor Riddle geben.

„Stimmt etwas nicht?“ Ihre Stimme klingt nur halb so fest wie sich möchte und um das auszugleichen, dreht sie ihren Kopf zu ihm – was sich als fataler Fehler für sie herausstellt. Sein dunkler Blick, der nicht ansatzweise erahnen lässt, was hinter seiner Stirn vorgeht, fesselt sie. Sie kann ihren Blick weder heben noch senken, selbst Blinzeln scheint zu viel zu sein. Bräunlichrot schimmern seine Augen und scheinen sich unlöschbar in ihre Erinnerung zu brennen. Ein feines Lächeln hebt die Winkel seiner blassrosa Lippen.

„Mach ich dich nervös, Sullivan?“
Hilflos zuckt sie ihre Achseln und schafft es endlich ihren Blick und sich selbst aus der Starre zu lösen. „Ich bin es nicht gewöhnt angestarrt zu werden.“ Selbst in ihren Ohren klingt es nach einer Rechtfertigung, dabei wollte sie sich gar nicht rechtfertigen.

Selbstsicher grinst er sie an und scheint etwas sagen zu wollen, wird aber vom lauten Plopp des Hauselfen unterbrochen.

Emi atmet erleichtert auf und schließt kurz ihre Augen, um sich zu sammeln. Was war denn das? Noch nie ist ihr so etwas passiert. Noch nie hat ein bloßer Blick dazu ausgereicht, um sie verstummen zu lassen.

„Iss“, reißt seine Stimme sie aus ihrer Gedankenwelt. Mit einem aufgesetzten Lächeln greift sie nach einem Lachsbrötchen. Sie wird das einfach ganz schnell vergessen. Das ist bestimmt nur die Erschöpfung von dem anstrengenden Halbjahr.

Kapitel 24

 

Nach Hause kommen, das ist es, was das Kind von Bethlehem allen schenken will, die weinen, wachen und wandern auf dieser Erde.

Friedrich von Bodelschwingh

 

„Tom?“ Emi sieht fragend von ihrem Buch hoch und in das makellose Gesicht des Slytherins mit dem sie ausnahmslos die letzten Tage ihrer Ferien verbracht hat.

Er hebt auffordernd eine Augenbraue ohne seinen Blick von seinem Buch zu heben. Entspannt sitzt er auf der Couch in seinem Zimmer mit einem Buch, dass sie gestern aus der Bibliothek geholt haben. Generell haben sie ihre Zeit hauptsächlich in der Bibliothek und in seinem Zimmer verbracht. Nur ihre Mahlzeiten und ihr täglicher Spaziergang am See bringt sie in die unteren Etagen.

Sie sitzt schräg neben ihm auf einem Sessel und hat entspannt ihre Beine angezogen. Ihr Vater hätte sie niemals so auf einem Sessel sitzen lassen und würde sie sicherlich hart bestrafen, wenn er wüsste, dass sie in der Gegenwart eines jungen Mannes so unanständig auf einem Sessel sitzt. Aber Tom scheint sich nicht daran zu stören, sonst würde er sicherlich etwas sagen.

„Wollen wir morgen unsere Geschenke zusammen auspacken?“, fragt sie, als er immer noch nicht seinen Kopf hebt. Sie lässt ihm gar keine Chance zu antworten. „Toll, dass du nichts dagegen hast, ich komme gleich nachdem aufstehen zu dir, ja? Wehe du packst schon vorher deine Geschenke aus.“ Ihre letzten Weihnachtsfeste waren nicht gerade berauschend, lustig oder warm. Sie hat sich wie eine Fremde im eigenen Haus gefühlt.  Der Baum war lieblos dekoriert und  ihr Festmahl bestand aus einer Scheibe Brot mit Schinken. Bei der Erinnerung verzieht sie das Gesicht. Mit Riddle kann es nicht schlimmer werden, er war in letzter Zeit sehr umgänglich und kooperativ, nicht halb so starrsinnig und kalt wie sonst. Seine aalglatte Seite kommt nur noch bei den Essen hervor, womit sie sehr gut umgehen kann. Alles andere würde ihr Sorgen bereiten. Immerhin reden wir von Tom Riddle. Sein momentanes Verhalten ist für ihn außerordentlich nett, er hat sie schon lange nicht mehr bedroht.

„Tom?“, spricht sie ihn erneut an, da er nicht reagiert hat und sie sich nicht sicher ist, ob er ihr zugehört hat.

„Ich habe dich klar und deutlich vernommen, Sullivan. Stör mich nicht beim Lesen“, fährt er sie an. Sie verzieht das Gesicht, als hätte sie in eine saure Zitrone gebissen. Selbst wenn er sie beinahe anschreit, klingt seine Stimme noch samtig, wie das Fell einer Katze.

Am liebsten hätte sie patzig geantwortet, aber zu groß ist ihre Angst, dass sie dann Weihnachten alleine verbringen muss. Entschuldigen tut sie sich trotzdem nicht. Sie ist ja nicht sein Hündchen.

 

Endlich ist es soweit. Weihnachtsmorgen. Da sie die Hoffnung hegt, dass das ihr schönstes Fest seit langem wird, ist sie aufgeregt wie ein kleines Kind. Ein Blick auf die Uhr verrät ihr, dass sie erst in einer Stunde bei Tom auftauchen kann. Seufzend lässt sie sich wieder in ihre Kissen sinken.  Was macht sie denn jetzt die Stunde lang? Lesen? Nein, darauf hat sie heute keine Lust.

Seufzend schwingt sie ihre Beine über die Bettkante. Anstelle einfach liegen zu bleiben, kann ich mich genauso gut fertig machen.

Im Bad lässt sie sich Wasser in die Wanne ein und tropft ihr Lieblingsbadeöl in das langsam volllaufende Bad. Wenn sie schon so viel Zeit hat, kann sie sich auch ganz gemütlich fertig machen. Zuerst gönnt sie sich ein heißes Bad, um zu entspannen, dann wird sie sich die Haare flechten und kunstvoll hochstecken, beschließt sie. Einen Dutt trägt sie jeden Tag.

Weihnachten ist aber nicht wie jeder Tag. Es ist ein Freudenfest, da kann sie sich auch entsprechend zu Recht machen und ein wenig Makeup auftragen.

Eine halbe Stunde später, steigt sie aus der Wanne und stellt sich noch nackt vor den Spiegel, wo sie sich magisch trocknet und anfängt sich die Haare zu flechten. Tiefenentspannt durchwühlt sie ihren Kulturbeutel nach ihrer Tusche. Eine angenehme schwere Wärme liegt im Badezimmer. Das heiße noch nicht abgelassene Wasser verbreitet seine aromatischen, schwülen Dämpfe um sie herum. Wenn der Spiegel nicht wasserabweisend gezaubert wäre, würde er beschlagen und sie würde nichts mehr sehen. So hat sie den perfekten Blick auf ihren Körper. Alles ist weich und rund an ihr, nicht nur ihr Gesicht. Sie ist zwar schlank, hat aber trotzdem volle Brüste und eine weiblich gerundete Hüfte. Sie entspricht optisch nicht dem Ideal ihrer Zeit fühlt sich aber dennoch recht wohl in ihrem Körper, auch, wenn das niemand annimmt bei ihren keuschen Kleidungsstil.

Mit einem letzten Schwenker ihres Zauberstabs fixiert sie die Frisur und verlässt das Bad. Auch, wenn ihr der Schlafsaal warm vorkam, bevor sie ins Bad ging, überzieht eine starke Gänsehaut ihren Körper, als sie durch die Tür tritt. Frierend huscht sie zu ihrem Kleiderschrank und holt sich angemessen Kleidung hinaus, in die sie sofort schlüpft. Der warme Stoff ihres hellblauen Wollpullovers schmiegt sich angenehm an ihren Körper und gibt ihr sofort ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit. Der Pulli gehörte eigentlich ihrer Mutter. Sie hat einige der Klamotten ihrer Mutter in ihren Schrank integriert um sich ihr näher zu fühlen. An manchen Tagen vermisst sie sie besonders schlimm. Die letzten Weihnachtsfeiertage gehören dazu. Hoffentlich dieses nicht, hoffentlich lenkt sie Riddle genug von ihrer Trauer ab.

Seufzend wendet sie sich um und betrachtet sich noch einmal im Spiegel. So kann sie zu ihm gehen.

Sie sammelt ihre Geschenke in eine große Tasche, die sie sich um die Schulter hängt und verlässt ungesehen den Ravenclawturm. Ihr Weg ist nicht weit im Verhältnis zu manch anderer im Schloss. In die Große Halle zu gelangen beansprucht zum Beispiel viel mehr Zeit. Zu Tom zu gelangen ist sozusagen ein Katzensprung. Vor seiner Tür angekommen, streicht sie sich nochmal über die ungewohnte Frisur, bevor sie genau drei Mal klopft. Sie hat bis jetzt jedes Mal im selben Rhythmus genau drei Mal angeklopft. Dementsprechend ist sie sich sicher, dass er ganz genau weiß, wer vor seiner Tür steht. Kurz darauf öffnet sich auch genau diese, ohne, dass Tom im Türrahmen erscheint. Lächelnd tritt sie ein. „Frohe Weihnachten“, ruft sie ihm fröhlich zu, der unbewegt vor seinem noch leicht glimmenden Kamin sitzt.

Langsam geht sie zu ihm rüber, stellt ihre Tasche auf dem flachen Beistelltisch ab und dreht sich zu ihm um. „Wo sind deine Geschenke?“ Fragend blickt sie ihn an.  Kompensieren Eltern, die ihre Kinder unzulänglich behandeln, ihre Abwesenheit nicht immer mit vielen teuren Geschenken? Bei Phoebe war und ist das so seit dem ersten Schuljahr.  Sie findet nur eine handvoll Geschenke auf seinem Bett. Und genau auf diesen Stapel zeigt er nun mit seinem Kinn, bevor er sie zu ihnen schweben lässt und auf den Tisch ablegt.

Schweigend legt sie ihre beiden kleinen Geschenke für ihn zu den anderen, greift nach ihrer Tasche und kippt vorsichtig ihre Geschenke neben die seinen. „Hast du die Geschenke deiner Eltern schon geöffnet?“

Endlich hebt der den Kopf. Kalt und ausdruckslos liegen seine Augen auf ihr. „Willst du nicht anfangen auszupacken?“

Sie beißt sich auf die Lippe. Dann setzt sie sich neben ihn mit einem Geschenk von ihren und einem von seinen in der Hand, dass sie ihm gibt. Sie ist leicht frustriert. Sie hatte gehofft, dass Tom heute nicht seine schlechteste Seite seit Tagen präsentiert. Seine heutige Kühle macht der ihres Vaters Konkurrenz. Sie ist sauer. Warum kann er ausgerechnet heute nicht nett sein?
Ruckartig reißt sie das Papier in zwei und freut sich über das ratschende Geräusch, das mit dem kleinen Akt der gewaltsamen Zerstörung einhergeht.

Das Geschenkt ist von Maggie wie sie auf Anhieb erkennt ohne auf die Karte zu gucken.  Maggie verschenkt immer Schickschnack. Diesmal ist es eine Schneekugel, die immer das Wetter des Tages wiederspiegelt. Gerade weht ein Wind um Minihogwarts, der stark genug ist, um den Schnee in Böen aufzuwirbeln. Lächelnd stellt sie die Kugel vor sich auf den Tisch. Tom neben ihr legt schweigend ein Buch ohne Titel auf den Tisch. Mit einem fragenden Gesichtsausdruck sieht sie zu ihm. Er hebt nur eine Augenbraue und greift nach dem nächsten Geschenk. Auch sie packt ein Geschenk nach dem anderen aus. Es sind nicht viele, da sie einen kleinen Freundeskreis und eine schlechte Beziehung zu ihrem Vater hat. Dieser hat ihr obendrein in der Grußkarte eine Erinnerung daran gesteckt, dass dies ihr letztes Weihnachten mit ihrem Mädchennamen sei und sie sich schon mal Gedanken über die Gäste auf ihrer Hochzeit machen solle. Im Sommer würde er ihr dann einen Ehemann suchen, wenn sie nicht selbst einen  mitbringt. Mit einem angewiderten Gesichtsausdruck schnickt sie die Karte ins Feuer.

„Von wem war die?“ Das sind die ersten Worte, die Tom seit einer gefühlten Ewigkeit an sie richtet.

„Von meinem Vater.“ Ihre Ablehnung schwingt gut erkennbar in jedem Ton ihrer Stimme mit. „Hast du schon meine Geschenke geöffnet?“, fragt sie wieder ruhiger. Sie muss ihre schlechte Laune nicht an Tom auslassen, auch wenn er bis jetzt in ihren Augen unausstehlich war und ihrem Vater Konkurrenz macht.

Er schüttelt den Kopf und greift nach dem Paket von dem sie weiß, dass es das Tintenfass enthält.

 

Gelangweilt greift er nach den Geschenk und öffnet es elanlos. Er kann Weihnachten wirklich nichts abgewinnen.  Das Fest der Liebe, wie er höhnisch Jahr für Jahr denkt.  Wann hat er an Weihnachten je Liebe erfahren? An Weihnachten hat er jahrelang die abgelegte Kleidung ältere Kinder geschenkt bekommen. In Zeitungspapier gewickelt. Nie hat er eins der gespendeten Spielzeuge bekommen.  Als Kind hat er es nie verstanden, jetzt weiß er, dass die Muggel genau wie er seine Andersartigkeit gemerkt haben. Sie wollten ihn klein halten, diese jämmerlichen Nichtsnutze. Aber sie haben keine Chance. Sie hatten nie eine. Sie werden alle vor ihm im Staub kauern.

Skeptisch betrachtet er das Tintenfass. Da ist ja das Kräuterbuch, das er vom jüngsten Black bekommen hat, spannender.

Die meisten anderen Geschenke seiner Anhänger hat er versteckt, da er nie weiß welcher Natur sie sind. Manche Dinge soll Emilienne auf keinen Fall zu Gesicht gekommen. Nicht bevor er weiß, was er mit ihr anstelle will. Er möchte nicht, dass das Wissen, dass sie zu viel weiß ihn zu Handlungen nötigen, die er eigentlich nicht wollte.

„Dankeschön.“ Falsch lächelt er sie an. Das zweite Geschenk fühlt sich wie ein Buch an. Er würde ja hoffen, dass sie ein teures, altes Buch aus ihrer Bibliothek verschenken würde, wenn er nicht wüsste, dass sie trotz ihrer recht langen Ahnenreihe recht arm ist.

Er kann Weihnachten wirklich nichts abgewinnen und würde mit dem Fest am liebsten nichts zu tun haben, wenn seine Anhänger nicht so häufig praktische Dinge verschenken täten.

Ein schwarzes Büchlein fällt ihm in den Schoß. Ein Notizbuch. Mühsam unterdrückt er ein Seufzen und bedankt sich erneut höflich. Sein Geschenk für sie ist wahrlich nicht kreativer. Er hat ihr ein Standardwerk über Drachen geschenkt. Er hält sehr viel davon breit gefächert Wissen anzusammeln und er hat den Eindruck gewonnen, dass sie nicht besonders viel über magische Geschöpfe weiß.

 

Verwirrt blickt sie das Buch an, dass er ihr genschenkt hat. Was will sie denn mit einem Buch über Drachen? Sie bedankt sich trotzdem mit einem ehrlichen Lächeln. Immerhin hat er ihr überhaupt etwas geschenkt und so wie sie ihn kennt, sucht er Geschenke sicherlich nicht willkürlich aus. Auf alle Fälle wird sie das Buch lesen.

„Kann ich meine Sachen hier liegen lassen, bis wir gefrühstückt haben?“ Heute ist die Stille beklemmend. Sie weiß nicht, was sie sagen soll. Auch ihre Hoffnung, dass es nach einen Frühstück besser wird, ist sehr gering. Dabei hat sie sich heute Morgen so auf den Tag gefreut. Sie hat sich so gewünscht, dass ihr erstes schöne Weihnachten seit langen wird. Sie hat sich tagelang ausgemalt wie sie gemütlich mit Tom in seinem Zimmer oder in der Bibliothek sitzt, Kekse isst und gemütlich in einem schulunabhängigen Roman schmökert. Aber sein Verhalten hat sie recht schnell und brutal auf den Boden der Tatsachen katapultiert.

Sie fühlt sich zerschmettert und zerschlagen. Das Frühstück erscheint ihr wie eine Flucht. Ein kurzes Luftschnappen nach einer langen Phase unter Wasser, ehe sie wieder unter die Oberfläche gezogen wird.

Tom ist in ihren Augen unaushaltbar in dieser Stimmung. Am  liebsten wäre sie danach alleine, aber irgendwie auch nicht. Sie wünscht sich so endlich wieder ein fröhliches, friedliches Weihnachten zu haben.

Aber im Moment zweifelt sie daran, dass sie je wieder das Gefühl ihrer Kindheit an diesem Tag zurückkriegen wird.

Da der Gedanke sich wie ein böses Omen anfühlt, ist sie mehr als froh, als Tom aufsteht und ihr unmissverständlich zu verstehen gibt, dass die Bescherung für ihn beendet ist. Unterdrückt seufzend folgt sie ihm.

Irgendwie wird sie das Gefühl nicht los, dass sie heute ein noch depressiveres Weihnachten verbringt, als es das Jahr zuvor war.

Kapitel 25

 

Verzweiflung befällt zwangsläufig die, deren Seele aus dem Gleichgewicht ist.

Marc Aurel

 

Endlich ist Weihnachten vorbei. Es war ein fürchterlicher Tag. Tom war durchgehend unterkühlt, ablehnend, wortkarg. Sie fühlte sich, als hätte eine eiskalte Hand sich um ihr Herz gelegt, zugedrückt und seine frostige Substanz an alle ihre Innereien weitergegeben. Es ist ein reißendes, beißendes Gefühl, dass sie erst aufgewühlt und jetzt mit einer bitteren Resignation zurückgelassen hat.

Sie hätte nie hoffen sollen. Sie hätte nie hoffen dürfen.

Wie konnte sie vergessen, wer er ist? Wie er ist? Wie konnte sie vergessen, dass er das offensichtliche Oberhaupt der Slytherins ist?

Frustriert liegt sie in ihrem Bett und kann sich nicht aufraffen um aufzustehen.  Sie wird das Frühstück ausfallen lassen und dann mal sehen. Vielleicht geht sie durch den Schnee spazieren. Sie weiß es noch nicht. Sie hat keine Lust auf Nichts. Sie will einfach liegen bleiben und über ihre fürchterlichen Weihnachten nachdenken.  Über ihre Dummheit. Über ihren Leichtsinn. Über ihren irrationalen Wunsch nach Glück, Freude und Frieden.

Vielleicht ist sie ja einer der Menschen, denen das nicht gegönnt ist? Wenn ihr das jemand sagen würde, täte sie es sofort glauben. Vorbehaltlos.

Erst stirbt ihre Mutter, dann wird ihr Vater zu einem kalten Mann, der sie herzlos durch die Gegend schubst. Von ihrer Beziehung zu Graham will sie gar nicht erst anfangen. Ebenso wenig von ihrer Entfremdung einer ihrer drei besten Freundinnen. Jetzt hat sie nur noch zwei Freundinnen und einige nähere Bekanntschaften. Sie bezweifelt, dass sie nach dem Jahr noch mit Jemanden außer Magara und Abbygayle Kontakt haben wird.

Stöhnend dreht sie sich wieder auf den Rücken. Verdammter Mäusedreck!

Wieso muss ausgerechnet sie an Riddle geraten? Wieso muss ausgerechnet sie so dumm sein und sich auf eine Freundschaft mit ihm einlassen?

„Dumm, dumm, dumm!“, schimpft sie sich. Vielleicht hat sie es gar nicht anders verdient. Wieso hat sie sich nur auf ihn eingelassen? Sie hat doch immer geahnt, dass er nicht umgänglich ist.

Nein, dass denken hilft ihr auch nicht. Wenn es nicht sogar alles schlimmer macht. Wie soll es denn noch etwas ändern?

Ihr Gefühl sagt ihr, dass es zu spät ist. Aber was ist ES? Das Denken? Handeln? Hier im Bett zu liegen und ihren depressiven Gedanken nachzuhängen?
Sie dreht sich wieder auf den Bauch. Der Tag hat schon fürchterlich angefangen und nach Toms Verhalten an Weihnachten hegt sie nicht den Wunsch heute zu ihm zu gehen. Sie möchte alleine sein und die Stunden zählen bis sie wieder schlafen kann.

Sie liegt noch einige Zeit einfach in ihrem Bett herum und rezitiert Flüche in ihrem Kopf und Zaubertrankrezepte um nicht über ihre Gefühle nachdenken zu müssen, bis sie sich aufrafft und mit ihrem Morgenmantel in den Gemeinschaftsraum begibt. Es ist niemand außer ihr hier. Bestimmt sind die zwei Drittklässler draußen im Schnee und genießen den Sonnenschein. Das Wetter scheint sie und ihre Stimmung zu verhöhnen.

Mit einem bitteren Schnauben lässt sie sich vor dem fröhlich flackernden Feuer auf einen Sessel fallen und starrt den Kaminsims an. Wenigstens der sieht nicht glücklicher aus als er es gewöhnlich tut.

Da sie nichts Besseres zu tun hat und nicht weiß, ob sie heute noch einmal einen Fuß aus den Gemeinschaftsraum setzen wird, beginnt sie aus dem Fester zu starren und wartet auf die Dämmerung. Vielleicht wird die Dunkelheit eher ihrem Geschmack entsprechen.

 

Er kocht vor Zorn. Sie ist heute nicht einmal aufgetaucht, nicht einmal zu den Mahlzeiten und das kann er nicht akzeptieren. Sie gehört ihm. Sie kann nicht einfach nicht kommen, sie kann nicht einfach bei den Mahlzeiten fehlen ohne ihn um Erlaubnis zu bitten. Kurz war er versucht sie in ihrem Turm aufzusuchen, aber dann hat er sich besonnen. Sie muss zu ihm kommen. Sie hat zu ihm zu kommen. Alle haben zu ihm zu kommen. Wie kann sie es wagen sich nicht an ihre Verabredung zu halten?
Dafür wird sie büßen. Ungehorsam kann und wird er nicht tolerieren.

Seine Wut hängt natürlich nur damit zusammen, dass sie sich nicht an ihre Abmachung gehalten hat und hat keinen anderen Grund. Welchen auch?
Er hat sich gewiss nicht an ihre konstante stille Gegenwart gewöhnt und ihm kommt der Stuhl ihm gegenüber in der Bibliothek gewiss nicht leer vor.

Hochkonzentriert widmet er sich dem Buch, welches vor ihm liegt. Ohne ihre Unterbrechungen kann er sicherlich viel mehr und effektiver lesen.

 

Mit energischen Schritten geht er zu seinem Zimmer zurück. Er hat sich geirrt. Er konnte sich nicht besser konzentrieren. Nicht im Geringsten. Ständig hat er sich gefragt, wie sie es wagen kann nicht zu kommen. Nicht auf ihren Knien vor ihm auf dem Boden um Vergebung zu betteln. Er schwört sich, dass sie genau das tun wird, sobald sie wieder aus ihren Turm kommt.

 

Den nächsten Tag beginnt  Emi nicht mit mehr Enthusiasmus als den davor. Sie hat immer noch keinen Hunger, aber Durst, weshalb sie als erstes ins Bad stolpert und aus dem Hahn trinkt. Normalerweise hasst sie Leitungswasser, allerdings müsste sie für etwas anderes zum Frühstück gehen und dazu fühlt sie sich immer noch nicht im Stande.

Mit einer Hand wischt sie sich die Wassertropfen von ihrem Kinn ab, bevor sie einen Blick in den Spiegel riskiert.

Ihre Haare hängen glanzlos an ihr herunter und tiefe Schatten scheinen sich bläulich unter ihren Augen eingegraben zu haben, was die Blässe ihrer Haut noch hervorhebt. Seufzend schneidet sie sich eine Grimasse, die ihr allgemeines Missfallen an ihrer Erscheinung nur zu gut wiederspiegelt. Da sie eh nicht vorhat heute den Turm zu verlassen macht sie sich nicht die Mühe etwas an ihrer Erscheinung zu verändern und geht zurück in den Schlafsaal, wo sie sich mit langsamen, schlurfenden Schritten auf den Weg zum Fenster begibt um sich auf das Fensterbrett zusetzen. Auch, wenn Brett definitiv die falsche Bezeichnung ist. Da die alten Mauern des Schlosses wirklich breit sind, sind die Fenster gläserne Löcher in der Wand, was genug Platz vor der durchsichtigen Barrikade lässt, um sich auf das Gestein zu setzen.

Emi ist offensichtlich nicht die erste, die auf die Idee gekommen ist so glatt das Gestein sich unter ihren Fingern anfühlt. Sie legt ihren Kopf gegen den Fensterrahmen und betrachtet die verschneite kalte Landschaft, ohne die Kälte zu spüren, die das Glas und der Stein um sie herum die gleiche Kälte abstrahlt.

Sie weiß gar nicht, warum sie Weihnachten so deprimiert hat. Hat sie sich wirklich ein gemütliches, fröhliches Weihnachtsfest mit Tom gewünscht? Gar ausgemalt?

Leise vor sich hin seufzend muss sie zugeben, dass sie genau das getan hat. Sie hatte wirklich gehofft, dass dieses Jahr wieder besser wird. Dass sie die Ferien genießen wird.

Am liebsten würde sie sich ein dummes Ding schimpfen, aber eine kleine Stimme in ihrem Kopf hält sie davon ab. War es wirklich so falsch sich Hoffnung zu machen?
Wahrscheinlich schon.

Wahrscheinlich schon…

 

 Am nächsten Morgen wacht sie mit knurrenden Magen auf und fühlt sich nur noch halb so melancholisch wie am Tag zuvor. Um ehrlich zu sein war die gestrige Einsamkeit gegen Abend doch sehr deprimierend, weshalb sie heute beschließt lieber Riddles schlechte Laune auszuhalten als allein zu sein. Mal ganz abgesehen davon, dass ihr die Erkenntnis, dass sie sich total falsche Vorstellungen gemacht hat wirklich half. Sie war selbst schuld daran, dass sie Weihnachten so enttäuscht hat. Nicht Tom. Sie ganz allein.

Um sich wieder in der Öffentlichkeit zeigen zu können, steht sie auf und begibt sich mit einem Stapel Kleidung ins Bad, wo sie sofort Wasser in der Wanne einlässt und sich die Zähne putzt, bis die Wanne voll ist.

Auf leisen nackten Sohlen tappt sie zurück zur Wanne und dreht den Hahn ab, bevor sie sich auszieht und mit genießerisch geschlossenen Augen in die Wanne gleiten lässt. Das warme Wasser schwappt über ihren Körper und entspannt ihre Muskeln, die vom gestrigen stundenlangen Sitzen am Fester ganz steif geworden sind.

Sie fühlt sich immer noch nicht gut, glücklich oder zufrieden, aber was soll das schon heißen?

Sie lebt, sie hat ein Dach über den Kopf und genug zu essen. Das ist mehr als so mancher Muggel von sich behaupten kann. Warum sollte ihr mehr zustehen?
Sie schüttelt die Gedanken von sich ab und taucht unter, um sich die Haare zu waschen.

Wenn sie ganz ehrlich zu sich selbst ist, muss sie sich eingestehen, dass sie ihn vermisst. Die zwei Tage ohne ihn waren leblos, ermattend. Sie hatsich so an seine Art und Gegenwart gewöhnt, dass ihr Leben auf sie farblos wirkt, wenn er nicht in der Nähe ist. Dabei hat sich doch erst seit wenigen Monaten mit ihm Kontakt. Er hat sie in seinen Bann gezogen ohne dass sie es gemerkt hat, ohne dass sie es sich bewusst war. Ihre gemeinsamen Gespräche, ihr gemeinsames Schweigen, alle gemeinsamen Momente waren genau das. Gemeinsam. Nie war sie allein, sie fühlte sich ganz. Ein Gefühl, dass sie nicht einmal mit ihren Freunden hat. Ein Gefühl, dass sie mehr berauscht als Feuerwhiskey. Ein Gefühl, dass eine Begierde nach mehr in ihr erweckt. Ein Gefühl, dass sie süchtig macht.

Und sie ist ihm hilflos erlegen.

Wie konnte ihr das nur entgehen? Wie konnte sie nicht merken, dass er langsam ihr Herz und ihren Verstand vernebelt hat?

Seufzend steigt sie wieder aus der Wanne und trocknet sich ab, währendem sie sich Gedanken darüber macht wie sie ihn nachher ansprechen soll. Immerhin hat sie sich zwei Tage lang nicht wie verabredet mit ihm getroffen.

 

Knapp eine halbe Stunde später ist sie fertig angezogen und auf dem Weg zur Großen Halle um zu frühstücken.

Als sie ankommt sind schon alle anderen anwesend und essen. Sie setzt sich auf den letzten freien Platz zwischen Professor Binns und einer Hufflepuffschülerin. „Guten Morgen“, grüßt sie in die Runde und lächelt Riddle an, der ihr schräg gegenüber neben Professor Slughorn sitzt. Er erwidert weder ihren Gruß noch lächelt er zurück. Emi verzieht unwillkürlich das Gesicht und nimmt sich Tee und einen Scones mit Orangenmarmelade, um sich von seinen kalten Blick, der ihr eine Gänsehaut beschert, abzulenken. Er ist definitiv wütend auf sie. Hoffentlich nimmt er ihre Entschuldigung nachher an. Ein genussvolles Stöhnen unterdrückend kaut sie auf ihrem fluffigen Scones herum und genießt ihr erstes Essen seit Tagen. Fasten macht eindeutig hungrig. Wahrscheinlich hätte ihr auch ein wochenaltes Brötchen gut geschmeckt.

 

„Tom“, ruft sie ihn hinterher, als sie hinter ihm aus der großen Halle stürzt. Er dreht sich nicht zu ihr um. Er läuft einfach weiter die Treppe hoch. „So warte doch.“ Mit so großen Schritten wie möglich hechtet sie ihm hinterher. Die ganze Zeit während des Frühstücks hat sie ihm Blick behalten um es ja nicht zu verpassen, falls er ihr ein Zeichen dafür gibt ihm nach draußen zu folgen. Doch es gab keins.

Als er aufstand hat sie kurz überlegt, ob sie ihn erstmal in Ruhe lässt, hat sich aber schnell dagegen entschieden. Das würde es nicht besser machen.

„Sei doch nicht kindisch! Bleib bitte stehen“, fordert sie ihn erneut auf, als er um die Ecke verschwindet hinter der sich sein Zimmer befindet. Sie sprintet los, damit sie noch eine Chance hat ihn einzuholen, obwohl sie noch am anderen Ende des Flurs ist und das sehr unwahrscheinlich ist.

Außer Atem biegt sie um die Kurve und bleibt stehen. Der Flur ist leer.

Erschöpft lehnt sie sich gegen die Wand. Er möchte wohl eindeutig nicht mit ihr sprechen. Ob sie klopfen sollte? Sie weiß es nicht, aber sie tut es nichtsdestotrotz.

Leise schallt ihr ihr zaghaftes Klopfen entgegen. Hinter dem Portrait rührt sich nichts.

Sie klopft erneut erfolglos. Wahrscheinlich hat er die Tür mit einem Stillefluch belegt. Sie lässt die Stirn gegen das Bild sinken. So ein verdammter Eulendreck.

 

Kindisch? Hat sie es wirklich gewagt ihn als kindisch zu bezeichnen? Es sieht ganz danach aus. Wie kann diese impertinente Hexe es wagen ihn als kindisch zu bezeichnen. Sie hat sich tagelang nicht blicken lassen und sich nicht einmal per Eule entschuldigt. Sie hat kein Recht seine Aufmerksamkeit einzufordern, wenn es ihr beliebt und ihn zu versetzten, wenn ihr danach ist.

Er wird erst wieder mit ihr Sprechen, wenn er sich dazu entscheidet. Er hat die Oberhand in ihrer Beziehung. Er allein.

Und genau das wird sie jetzt lernen müssen. Und er weiß schon ganz genau wie.

Kapitel 26

 

Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten.

Jean-Jacques Rousseau

 

Tom hat sie wirklich zwei volle Tage ignoriert. Sie hätte es sich ja denken können, als er sie an seiner Tür hat abblitzen lassen. Hat sie ihn wirklich so verärgert? Oder gar verletzt?
Sie kann es sich nicht vorstellen. Immerhin reden wir hier von Tom Riddle, Slytherin und Schulsprecher.

Natürlich kann sie das auch positiv auffassen. Nach außen hin ist er immer charmant, höflich, der perfekte Musterschüler. Der beliebte Schulsprecher von dem (mehr oder weniger) heimlich alle Schülerinnen träumen (sich selbst hat sie sehr lange aus dieser Gruppe genommen, jetzt ist sie sich nicht mehr sicher, wenn sie ehrlich zu sich selbst ist. Oder ist es normal, dass sie sich ohne ihn unvollständig fühlt und bei dem Gedanken, dass er nicht mit ihr spricht Atemnot kriegt?).

Er scheint einfach all das zu sein, was man selbst gerne wäre. Sogar sein Aussehen ist einfach hinreißend.

Aber dass er sie ignoriert ist überhaupt nicht seinem Bild entsprechend. Es zeigt ihr, dass er sie nicht mehr der breiten Masse zuschreibt. Es zeigt ihr mehr als Worte, dass sie Freunde sind. Und darüber freut sie sich. Sehr sogar.

Aber sie fühlt sich so einsam. So allein. Dass er sie ignoriert schmerz mehr als irgendetwas anderes. Zerschmetternd, schneidend, stechend sticht der Gedanke in sie ein, dass er sie auf immer missachten könnte. Sie weiß, dass er sie nicht braucht. Sie weiß, dass er sein Leben einfach weiterleben kann. Doch sie kann es nicht. Nicht mehr. Ohne viel getan zu haben, ohne viele Worte oder Zuneigungen hat sie ihn zu ihrer Stütze, zu ihrem Halt, zu ihrem sicheren Hafen gemacht. Er ist ihr Zufluchtsort, wenn es ihr schlecht geht. Wenn sie Phoebe sieht oder an ihren Vater denkt, bleibt der tiefe Schmerz des Verrats aus, sobald sie daran denkt, dass sie zu ihm kann. Dass sie mit ihm darüber reden kann. Dass er sie nicht mit Mitleid und nett gemeinten Worten überschüttet, sondern einfach da ist. Sein Schweigen ist komfortabler als alle beruhigenden Umarmungen ihrer Freunde.

Oh Merlin. Trocken schluchzend schlägt sie ihre Hand vor dem Mund um das Geräusch zu ersticken. Was soll sie bloß tun? Sie will und kann nicht mit dem Wissen leben Tom aus ihrem Leben durch ihre… ihre Torheit vertrieben zu haben. Was hat sie sich dabei nur gedacht?
Gar nichts. Gar nichts hat sie gedacht.  Sie hat einfach aus einem Impuls heraus gehandelt, ohne sich Gedanken über die Konsequenzen zu machen.

Langsam zieht sie die Hand wieder von ihrem Mund. Sie muss mit ihm reden. Sie muss ihn um Vergebung bitten. Sie ist dazu bereit alles zu geben, alles hinzunehmen, solange es ihn zurück in ihr Leben bringt.

Hektisch springt sie nun von ihrem Sessel im Gemeinschaftsraum hoch und eilt aus dem Turm um ihn zu finden.

Ihre Füße tragen sie zielsicher in die Bibliothek, an den Ort, wo sie sich vor Weihnachten am liebsten aufhielt. Und sie liegt mit ihrer Vermutung richtig. Er sitzt an einen Tisch in der Nähe eines Fensters, dessen hereinfallendes Licht ihn noch dunkler erscheinen lässt, wenn man dagegen blickt. Langsam und leise geht Emilienne auf die dunkle Gestalt zu. Am liebsten würde sie unentdeckt bleiben, bis sie bei ihm ist, aber er hebt schon den Kopf, als sie noch nicht einmal das erste Viertel der Regalwand, die sie noch trennt hinter sich gebracht hat. Wie angewurzelt bleibt sie stehen und sieht den jungen Slytherin wie ein ängstliches Reh an. Sie kann auf die Distanz auf Grund der schlechten Lichtverhältnisse seine Mimik nicht erkennen, als er sich erhebt und sich ihr zuwendet. Seine große Gestalt füllt das schmale Fenster vollkommen aus, sodass durch das matte Licht etwas absolut surreales an ihm haftet, als er auf sie zukommt. Es ist in der Haltung seiner Schultern, in der Art wie er sich bewegt, in der Neigung seines Kinns. Sein Gesicht, erleuchtet durch das schwindende Licht, ist der Inbegriff kalter Schönheit. Seine blassen Wangen, seine hohen Wangenknochen, der sanfte Schwung seiner Lippen erinnert sei so sehr an ihre Romanhelden, die sie all die Jahre durch das Papier angehimmelt hat. Alles an ihm zeugt von Kraft, Kontrolle und Eleganz.

Ihr Mund ist trocken, als er vor ihr stehen bleibt. Nervös leckt sie sich über die Lippen, als sie sein Gesicht nach einer Regung absucht. „Es tut mir leid“, flüstert sie tonlos und senkt den Blick, da sie der Härte seines Blickes nicht gewachsen ist.

„Was tut dir leid.“ Seine Stimme klirrt vor Kälte und beschert ihre eine furchtsame Gänsehaut.

„Mein ungehöriges Verhalten die letzten Tage. Bitte vergib mir.“ Ihre Lider flattern in ängstlicher Erwartung zu.

Sie hört nicht wie er sich bewegt, sie fühlt keinen Luftzug, als er sich bewegt und sie brutal gegen das Regal zu ihrer Rechten drückt. Der Aufprall presst die Luft aus ihren Lungen. Hektisch schnappt sie nach Luft, bis seine Hand ihr schmerzhaft den Hals zu drückt. Seine andere Hand drückt ruckartig ihren Kopf hoch, der durch die grobe Behandlung geräuschvoll gegen das solide Holz in ihren Rücken kracht, während sein Körper ihren bewegungsunfähig an das Regal pinnt.

Mit ihren Händen versucht sie seinen starren Griff von ihrem Hals zu lösen, doch er scheint ihre Versuche gar nicht wahrzunehmen.

„Für dein Verhalten müsste ich dich zahlen lassen, Sullivan“, zischt er sie von oben herab an, ehe er sie abrupt loslässt und einen Schritt zurück tritt. Sie sinkt in sich zusammen, sobald sein Körper sie nicht mehr aufrecht hält und greift nach Luft schnappen an ihren schmerzenden Hals.

„Aber für dieses Mal lasse ich das Warnung genug sein. Ich denke du hast mich auch so hinreichend verstanden.“  Mit einer lässigen Geste rückt er den Kragen seines weißen Hemds zurecht.

Mit tränenden Augen sieht sie zu ihm auf und nickt.

„Ich kann dich nicht hören“, spottet er leise und sieht auf sie herab.

„Ich habe verstanden“, quetscht sie zwischen zwei tiefen Atemzügen heraus. Ihre Stimme klingt schwach und gepresst. Genauso wie sie sich fühlt.

„Gut“, meint er noch trocken und scheint ihr nach kurzer Überlegung die Hand hin zu halten, die sie zögerlich ergreift um sich hochziehen zu lassen. „Setzt dich und störe mich nicht beim Lesen. Nichts was du zu sagen haben könntest, wäre spannender als das Buch und du willst doch nicht das ich ungehalten werde?“ Fragend hebt er eine Braue, bevor er sich zum Gehen wendet. Emi macht sich schleunigst daran wahr los ein Buch aus dem Regal zu picken und ihm zu folgen.

Sie ist zu glücklich, da er wieder  mit ihr spricht, um zu realisieren, was so eben passierte. Nur mühsam unterdrückt sie das breite, euphorische Grinsen, welches sie zu übermannen droht.

Er spricht wieder mit ihr! Sie kann es kaum fassen.

So leise wie möglich setzt sie sich zu ihm an den Tisch und schlägt ihr Buch auf. Ein Geschichtsbuch über die Erbauung von Gringotts. Na Klasse, genau ihr Metier. Aber sie traut sich nicht noch einmal aufzustehen um ein neues Buch zu holen.

Auch will sie es gar nicht. Endlich ist sie nicht mehr allein. Endlich ist sie nicht mehr isoliert. Endlich fühlt sie sich wieder befreit. Als könne sie wieder frei atmen. Als hätte er, Tom, eine Glock über ihr entfernt und sie ins Leben zurück gebracht. Sie könnte weinen vor Freude. Große hysterisch glückliche Schluchzer sitzen in ihrer Kehle, die sie mühsam unterdrückt, da er sicherlich wütend werden würde. Er könnte sie dann wegschicken, wo sie ihn doch gerade erst wiederbekommen hat. Das würde sie nicht verkraften. Bestimmt nicht.


Abends läuft sie schweigend neben ihm her zum Abendessen. Sie hat ihn nicht einmal angesprochen. Nicht einmal gestört. Sie hat schlicht seine Nähe genossen, das fürchterlich langweilige Buch gelesen und seinem gleichmäßigen Atem gelauscht. Ihr geht es besser als die letzten Tage, nicht einmal ihr schmerzender Hals kann daran etwas ändern. Merlin sei Dank hat sie ihren Ravenclawschal dabei gehabt, den sie sich um den Hals gewickelt hat, damit niemand die Male seiner Hand sehen kann. Sie will nicht schuld daran sein, wenn er Ärger kriegt. Nein, niemals. Niemals.

 

Belustigt beobachtet er wie sie den Schal um ihren Hals wickelt. Hat sie vergessen, dass sie eine Hexe ist? Sie könnte die Male einfach verschwinden lassen.

Sie hat abgenommen. Das ist ihm heute früh gleich aufgefallen. Ihre Wangen sind hohl, was ihre blauen  Augen noch größer wirken lässt. Er mag ihre Augen. Sie sind so gegensätzlich zu den seinen. Hell und klar. Warm und unschuldig.

Etwas, das ihn sehr verwundert. Wieso mag er ihre Augen? Wieso hat er sie überhaupt wahrgenommen? Er könnte keinem anderen Menschen dem er je begegnet ist eine Augenfarbe zu ordnen. Nicht einem. Aber ihre Augen haben ihn verfolgt, wenn er in der Bibliothek, in seinem Zimmer saß und etwas zu ihr sagen wollte – und sie nicht da war. Jetzt, wo er ihr jederzeit befehlen kann, dass sie ihn ansehen soll, nimmt er sich fest vor, dass er ihren Blick bewahren wird. Mit allen Mitteln.

Er sieht ihr an das sie gelitten hat. Dummes Ding. Sie hätte ihn nie ignorieren dürfen, dann hätte er sie nicht bestrafen müssen. Dann ginge es ihr jetzt besser.

Er wird sie wohl auch vor sich selbst beschützen müssen. Dummes Ding. Wenigstens wird sie diesen Fehler nie wieder machen.

Kapitel 27

 

Glück ist kein Geschenk der Götter, sondern die Frucht innerer Einstellung.

Erich Fromm

 

Mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht reibt sie sich die Augen. Was ein wundervoller Morgen! Sonnenstrahlen tanzen durch das Zimmer, da sie die Vorhänge nicht zugezogen hat und tauchen den Raum in einen warmen Ton.

Beschwingt steht sie auf und geht an den Kleiderschrank um einen warmen Ravenclawpullover und andere Kleidungsstücke herauszuholen, bevor sie leise summend ins Bad geht und sich für den Tag fertig macht.

Tom hat sie gestern noch zu ihrem Gemeinschaftsraum gebracht, nachdem sie zusammen in der Großen Halle essen waren. Endlich hat sie ihn wieder. Sie kann es noch gar nicht fassen. Sie hat Tom wieder.

Immer und immer wieder wiederholt sie diesen Satz in ihrem Kopf. Sir hat ihn wieder. Sie darf ihn gleich beim Frühstück treffen. Und danach werden sie in die Bibliothek gehen. Merlin ist sie glücklich. Sie kann es selbst kaum fassen.

Mit flinken Fingern wickelt sie ihren Schal um ihren Hals, da man die Male von gestern an ihrem Hals noch sehr gut sehen kann. Doch sie verschwendet keinen zweiten Gedanken daran. Das ist ein geringer Preis dafür, dass er wieder in ihrem Leben ist.

Nie hätte sie gedacht, dass sie jemals auch nur ansatzweise so für jemanden empfinden kann. Das, dass einzige, das für sie zählt seine Gegenwart ist.

Mit einen zufrieden Seufzen macht sie sich auf den Weg nach unten. Der Tag kann beginnen.

 

Sie gehört ihm. Endlich. Endgültig.

Strahlend kommt sie mit ihrem dicken Schal in der Großen Halle auf ihn zu und setzt sich auf den freien Platz neben ihn, den sich niemand zu nehmen getraut seit er den Hufflepufferstklässler zwar höflich, aber bestimmt darauf aufmerksam gemacht hat, dass der Platz Emilienne gehört. Dabei ist sie an diesem Tag nicht gekommen. Und die nächsten auch nicht und dann hatte er das Frühstück immer verlassen ehe sie kam.

„Guten Morgen, Tom“, strahlt sie ihn an und greift nach der Teekanne, die er ihr galant reicht, da sie nicht hinkommt.

„Guten Morgen“, grüßt er zurück, was mit einem weiteren strahlenden Lächeln belohnt wird.

Ein Gefühl tiefer Zufriedenheit kommt in ihm auf. Sie gehört ihm.

Anfangs hätte sie ihn herausgefordert, wenn er sie wie gestern behandelt hätte, jetzt beschwert sie sich nicht einmal. Sie ist bereit. Bereit von ihm geformt zu werden. Sie wird seine Dark Lady und jederzeit zu seiner Verfügung abrufbar sein. Ein Lächeln umspielt seine Lippen.

Heute wird alles beginnen.

 

Emi freut sich unglaublich darüber, dass Tom heute so nett zu ihr ist und ihr auf dem Weg zur Bibliothek die Hand auf den Rücken legt. Einträchtig schweigend gehen sie durch die Gänge und durch die Bibliothek bis zu ihrem Platz. Dort rückt er ihr den Stuhl zurecht und setzt sich ihr gegenüber.

Wortlos holt er dann ein kleines Tütchen aus seiner Tasche und legt es leicht lächelnd zwischen ihnen ab. Fragend hebt sie eine Augenbraue. „Bedien‘ dich“, fordert er sie Richtung Tüte deutend auf.  Neugierig greift sie nach dem weißen Papier und öffnet es. Zartbitterschokolade liegt in der Tüte. Breit grinsend sieht sie zu ihm auf. „Wann hast du die denn gekauft?“, fragt sie sich ein Stück nehmend.

 „Ich bestellte sie vor Weihnachten“, teilt er ihr mit. Sie nickt.

„Du wirst wir jetzt zu hören“, befiehlt er und lehnt sich in seinen Stuhl zurück. Sie nickt erneut.

Er fängt an zu reden und sie folgt gebannt jedem Wort, welches seine Lippen verlässt.

Manche Menschen können weltbewegende Sachen sagen und niemand hört ihnen zu, andere Menschen können die unsinnigsten Dinge erzählen und die Menschen hängen an ihren Lippen. Tom gehört zu zweiten Sorte. Er hat Charisma. Charisma und Intelligenz sind die gefährlichsten Waffen, die die Menschheit je gesehen hat. Tom sieht obendrein gut aus und schöne Menschen werden vor der breiten Masse immer idolisiert.

Sie ist sich der Tatsache, dass er der gefährlichste Mensch, dem sie je begegnet ist sehr wohl bewusst. Sie weiß es ganz genau, denn sie merkt, dass sie ihm vollkommen verfallen ist. Weich und geschmeidig wie Samt umschmeichelt seine Stimme ihre Sinne. Sie kann nicht aufhören seiner Stimme zu lauschen. Sie kann nicht aufhören ihn anzusehen. Emi wird zum ersten Mal bewusst, dass sie verloren ist. Verloren an ihn und sie kann nicht einmal über den Verlust ihrer Unabhängigkeit trauern, zu sehr ist sie von ihm eingenommen.

Er erzählt ihr von seinen Zielen, seinen Visionen, seinen Traum für diese Welt. Er spinnt um ihren Verstand ein Netz aus schönen Worten, die sie nicht an der Wichtigkeit des reinen Blutes und der uneingeschränkten Macht der schwarzen Magie zweifeln lassen. Mit schönen, wohl ausgesuchten Worten nimmt er sie mit auf seinen Pfad und sie begleitet ihn all zu willig.

Es wird schon dunkel, als er aufhört zu reden und sie zufrieden anlächelt. Sie erwidert das Lächeln leicht verträumt. Nie hätte sie gedacht, dass sie noch glücklicher sein könnte, als heute Morgen. Aber jetzt, jetzt wo er sie ins Vertrauen gezogen hat, Vertrauen in SIE gesetzt hat… Sie könnte tanzen vor Glück.

„Nach den Ferien stelle ich dich meinen… Freunden vor“, teilt er ihr mit und erhebt sich. „Es ist schon spät, lass uns essen gehen.“

Sie nickt und merkt zum ersten Mal seit Stunden, dass sie nichts zu Mittag gegessen hat außer ein kleines Stück Schokolade. Sie würde sich gerne für sein Vertrauen bedanken, weiß aber nicht, was sie sagen soll, was sie tun soll. Sie hat nichts Gleichwertiges zu erzählen, was sein Vertrauen ausgleichen würde. Sie wird sich einfach besonders viel Mühe darin geben ihm alles recht zu machen, damit sie ihn nicht enttäuscht. Ihre Freundinnen werden es schon verstehen, wenn sie kaum noch Zeit für sie haben sollte. Sie wissen sicherlich, dass sie es nicht überleben würde, wenn Tom sie noch einmal nicht beachten würde. Noch einmal sauer auf sie wäre.

Sie wird alles machen, was er von ihr verlangt, solange er sie in seiner Nähe behält. Wie konnte sie sich anfangs nur gegen ihn wehren?
Nein, Moment. Wie kann sie sich jetzt nicht mehr gegen ihn wehren? Wie kann sie sich so klein machen?

Sie weiß doch wie gefährlich er ist.  Ist sie denn vollkommen verrückt geworden? Sie bleibt stehen. Seit wann in Merlins Namen ist sie so abhängig? Wann ist sie so abhängig geworden? Wie hat er das geschafft. Sie starrt auf Toms Gestalt, die sich gerade zu ihr umdreht.

„Kommst du?“ Fragend sieht er sie an. Sie nickt um keinen Aufstand zu machen, hält aber Abstand zu ihm, damit sie besser denken kann.

Das ist nicht sie. Absolut nicht.

Sie sieht zu Tom rüber. Sein perfektes, ausdrucksstarkes Profil lässt ihre Knie ganz weich werden, trotz ihres Entsetzens über ihre Willenlosigkeit. Sie geht wieder näher an ihn heran, was er mit einem kleinen Lächeln belohnt. In ihrem Bauch fängt es an zu kribbeln. Es ist ein verräterisches Kribbeln, ein unkontrollierbares Gefühl, dass in ihr jeglichen Form des Wiederstandes schmelzen lässt. Erst recht, wenn sie sich an das Gefühl erinnert, als sie ohne ihn war. Eine Erinnerung, die sie vergessen lässt, dass sie nie willenlos sein wollte. Sachte lässt sie die Außenseite ihrer Hand gegen die seine stoßen. Er lächelt auf sie herab und sie beschließt das ihr alles egal ist, solange sie das Lächeln wieder geschenkt bekommt.

In der Großen Halle angekommen setzt sie sich nah genug neben ihn, dass sich die Knie streifen. Er legt kurz seine Hand auf ihren unteren Rücken, bevor er sie sichtbar auf den Tisch legt. Und sie fühlt sich zum ersten Mal seit langen sicher.

Epilog

Wenn man vom Guten oder Bösen spricht, so ist es von dem was ein Mensch gut oder böse nennt.

Carl Gustav Jung

 

 

 

Lächelnd verabschiedet sie sich von ihren Freundinnen. Sie weiß nicht, ob sie Lächeln oder Weinen soll. Hogwarts war jahrelang ihr zuhause, hier hat sie Freunde gefunden, gelernt, gelacht, geweint. Hier hat sie Tom kennen gelernt. Hier hat sie ihn gehasst, verachtet und dann lieben und bewundern gelernt.

Eigentlich wundert sie sich über die Herzlichkeit des Abschieds ihrer Freundinnen. Die letzten Monate war sie hauptsächlich mit Tom anzutreffen. Tom, dem sie hoffnungslos verfallen ist. Dem sie hoffnungslos ins Netzt gegangen ist. Tom, der sie verzaubert hat. Ihr Handeln und Denken drehen sich ständig um ihn. Um ihn allein.

Alles andere ist bedeutungslos geworden. Ihre Zukunftswünsche, ihr Vater, ihre Freunde.

Sie hat sich vollkommen verloren.

Er hat sie vollständig eingenommen.

 

 

Imprint

Publication Date: 02-14-2015

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