Als ich den Park im Monat Mai betrete, offenbart sich mir, dass sich der Winter endgültig aus dieser Welt zurückgezogen hat. Die dünne Eisschicht, die für Monate den Ententeich bedeckte und das Leben darin unter sich einschloss, die Fische darin sanft in den Schlaf wiegend, schmolz bereits Ende März. Im April gab es hier und da noch kalte Tage, an denen der Schnee aus den Wolken herabrieselte und den kleinen Park mit seinem weißen Kleid bedeckte. Doch der eisige Winter hatte bereits deutlich an Kraft verloren und konnte dem bevorstehenden Frühling, der sich mit aller Macht gegen ihn durchzusetzen versuchte, nicht standhalten. Innerhalb weniger Augenblicke hatte sich der Schnee in klares Wasser verwandelt, das den Erdboden durchtränkte und die Pflanzen erfrischte, woraufhin unzählige bunte Blumen ihre Knospen zu öffnen begannen.
Ich setze mich auf eine hölzerne Bank unter der Trauerweide und betrachte die Enten, wie sie wild schnatternd im Teich umher schwimmen. Abwechselnd tauchen sie ihre Köpfe unter Wasser, wobei sie ihre Schwänzchen in die Höhe strecken. Sie haben Nachwuchs bekommen, dem sie nun das Schwimmen beibringen. Einige der kleinen Entenküken gehen bereits mutig ins Wasser und paddeln eilig ihren Eltern hinterher. Andere ziehen es vor, am Ufer zu bleiben und ihren Geschwistern aus einer sicheren Entfernung zum Wasser zuzuschauen. In ihrem Wesen lässt sich jedoch bereits ein Anflug von Neugier für das Treiben ihrer Brüder und Schwestern erkennen. Es ist gewiss, dass sie bald ihre Angst vor dem Unbekannten vergessen und hinaus schwimmen werden, um den Teich für sich zu entdecken.
Heute ist ein besonders heiterer Frühlingstag. Die Sonne scheint vom blauen Himmel herab und wärmt mein von den kalten Wintertagen verkühltes Gemüt. Ihre Strahlen dringen bis in mein tiefstes Inneres vor und füllen meine Seele mit ihrem Licht. Still und in mich gekehrt sitze ich auf der Holzbank und genieße es, hier zu sein, an diesem friedvollen Ort, der meinem Geist neue Klarheit schenkt und mich meine Sorgen vergessen lässt. Wie eine der Frühlingsblumen, mit denen der Park geschmückt ist, blühe ich auf und lächele der Welt, die mich umgibt, aus tiefstem Herzen zu.
In diesem Moment streift mein Blick die Bank auf der gegenüberliegenden Seite des Teichs, auf der eine ältere Dame mit weißem Haar Platz genommen hat. Ihren Rollator hat sie sorgfältig neben sich abgestellt und macht nun ein Päuschen, um von ihrem Spaziergang auszuruhen und in der Sonne zu entspannen. Ebenso wie ich, schaut sie eine Zeit lang den Enten im Teich zu, wie sie miteinander um die Wette schwimmen, und nimmt die wundersame Stille dieses zauberhaften Frühlingstages in sich auf.
Dann hebt sie langsam ihren Kopf und blickt zu mir hinüber. Wir lächeln über das Wasser hinweg einander zu. Trotz ihres hohen Alters wirkt die ältere Dame im strahlenden Licht der Maisonne so jung und frisch wie eine zarte Blume, die gerade zum ersten Mal ihre Knospen geöffnet hat, um die Wesen dieser Welt mit ihrer Schönheit zu erfreuen.
Eine leichte Brise streift meine Haut und lässt, begleitet von den wundersamen Gesängen der vielen kleinen Parkvögel, eine zauberhafte Melodie in meiner Seele erklingen. Es ist ein Lied von friedvoller Verbundenheit, das mein Innerstes mit der Außenwelt verbindet.
Eins ist gewiss: Solange ich tief in mich hinein horche und dem Lied meiner Seele Gehör schenke, lebt der Frühling mitsamt seiner farbenfrohen Blütenpracht bis in alle Ewigkeit unaufhaltsam in mir weiter.
Text: © Träumerin
Images: © Träumerin
Cover: © Träumerin
Publication Date: 04-14-2022
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