Erinnerungen an längst vergangene Jahre...
Das war zu der Zeit,
als ich noch bei meinen Eltern gewohnt habe
und eigentlich bestens dort aufgehoben gewesen wäre.
Eigentlich, andererseits aber auch nicht.
Zu eben jener Zeit habe ich
mit jeweils offenem Ende
die mir nach der Schule oder später der Arbeit
verbleibende Zeit beinahe ausschließlich
in meiner jeweiligen Stammkneipe verbracht.
Nicht, um mich zu besaufen -
dem Alkohol war ich nie sehr zugetan,
vielmehr dem Kaffee oder Espresso.
In eben diesen Lokalitäten
gab es jeweils einen Billardtisch.
Der war stets belagert
von einem, der sehr gut spielen konnte
und all jenen, die dachten,
dass sie gut genug wären,
den Tisch zu übernehmen.
Es war nämlich so üblich,
dass der jeweilige Gewinner
am Tisch geblieben ist,
also vom Spieler,
der sich auf einer Liste oder Tafel
eingetragen hatte, gefordert worden ist.
Klar,
dass es sich da nicht nur darauf beschränkte,
wer es schafft,
das Spiel für sich zu entscheiden.
Vielmehr spielte Geld eine große Rolle dabei.
So wie bei Kartenspielen ja auch,
die nicht nur
um des Spieles wegen gespielt werden.
Das war in diesen Kreisen eben so üblich.
Ich habe Billard nie „gelernt“,
war also in keinem Billardverein,
wo stundenlang geübt wird,
wie die Weiße anzuspielen ist.
Ich habe vieles nicht „gelernt“,
sondern es mir selbst beigebracht.
Durch Zusehen und Ausprobieren.
So kam es denn auch vor,
dass ich für längere Zeit mal
am Billardtisch geblieben bin -
komischerweise wollten die anderen
dann nicht gegen mich spielen,
was ich nicht verstanden habe.
War einer der „Topspieler“ am Tisch,
drängten sich die anderen richtig darum.
War ich am Tisch,
ließ die Begeisterung der anderen rasch nach.
Das ging dann immer so lange,
bis es mir tatsächlich zu blöd geworden ist
und ich ein Spiel absichtlich verloren habe,
um dem zu entkommen.
Dann war ich halt wieder Zuschauer.
Irgendwie war ich in diesen Kneipen
total fehl am Platze.
Ich habe meine Energien dafür gebraucht,
andere zu beobachten und zu versuchen,
sie zu imitieren,
um auch erfolgreich zu sein.
Das war nicht nur in den Kneipen so.
Damals war ich mir
nichts wert.
Damals habe ich mich
von der Meinung abhängig gemacht,
die andere von mir hatten.
Damals fühlte ich mich dann gut,
wenn ich anerkannt worden bin.
Da das mit der Anerkennung
z. B. beim Billard nicht funktionierte,
versuchte ich es anders.
Ich benahm mich „daneben“,
wollte die Rolle des Platzhirsches
dadurch einnehmen,
dass ich anderen Kneipenbesuchern
z. B. gegen die Schulter geboxt habe,
um meine körperliche Überlegenheit zu zeigen.
Wer lässt sich schon gerne
auf die Schulter boxen?
Tut ja auch weh -
mal ganz abgesehen davon,
wie man selbst
dann den anderen gegenüber dasteht.
Es gab also durchaus welche,
die dann zurückgeboxt haben.
Als Reaktion kam dann von mir das gleiche,
nur eben mit viel mehr Wucht.
Da war dann meistens Schluss,
weil es dem anderen zu heftig gewesen ist.
Ab und an
entwickelte sich das auch zu einem Gerangel,
bei dem ich nie unterlegen war.
In ein paar Kneipen,
in denen ich Stammgast war,
habe ich deshalb Lokalverbot erhalten.
Wer will schon so jemanden bei sich haben?
Ich habe das anders gesehen. Damals.
Das war mein Ding – etwas,
wogegen andere nichts tun konnten.
Etwas, in dem ich überlegen war.
Das war allerdings auch das einzige.
Worüber ich jedoch sehr froh gewesen bin,
da ich ja doch anerkannt worden bin.
So bin ich zu der Zeit ständig aufgetreten -
habe andere Gäste
zum Armdrücken aufgefordert
und immer gewonnen.
Das hatte zumindest zur Folge,
dass niemand auch nur den Versuch machte,
mich anzupöbeln oder zu verprügeln.
Das war meine Welt – so, wie ich sie empfand.
Das Recht des Stärkeren zählt.
In dieser Auslegung eben.
Im Laufe jener Jahre
habe ich in den Kneipen
denn auch Typen getroffen,
die drogenabhängig gewesen sind.
Die zum Kiffen entweder vor die Tür
oder aufs Klo gegangen sind.
Wobei das Kiffen noch Kleinkram gewesen ist.
Härtere Drogen waren genauso dabei -
Kokain, Heroin, die ganze Palette eben.
Den absoluten Höhepunkt
hat mal einer gebracht,
der durch das Dealen so viel Geld hatte,
dass er an seinem Geburtstag in der Kneipe
mehrere Tische nebeneinander stellen ließ,
um all seine Bewunderer und Bewunderinnen
so um sich zu haben.
Auf dieser Tischreihe
hat er eine Line ausgelegt,
von der seine special guests
dann schnupfen durften.
Diese Line war einige Meter lang...
Der Kneipenwirt hat das geduldet.
Hat die Tür zugesperrt
und ein Schild rangemacht,
auf dem „Geschlossene Gesellschaft“ stand -
ich nehme mal an, dass der Typ
ihm dafür auch das eine oder andere
hat zukommen lassen...
Damit hatte ich nichts zu tun,
das hat mich nicht interessiert.
Wohl habe ich mal einen Zug
von einem Joint genommen,
wenn es mir angeboten worden ist,
doch war ich nie im Besitz
von Gras, Shit, Kokain oder anderem.
Andere
hatten ständig wechselnde Freundinnen.
Ich keine einzige,
weil ich Frauen
nicht als Menschen gesehen habe.
Sondern nur als etwas zur Triebbefriedigung.
Romantisch war ich nicht, kein bisschen.
Das kehrte sich bei mir nach einiger Zeit
ins absolute Gegenteil um,
weshalb ich aber auch kein „Frauenschwarm“
geworden bin.
Nun war ich ein „Softie“ -
ein mitleiderregender Jammerlappen,
der keinerlei Anziehungskraft mehr ausübte.
Trotzdem
habe ich nach wie vor die gleichen Orte,
also meine jeweiligen Stammkneipen, aufgesucht.
Trotzdem habe ich mein Umfeld nicht geändert.
Trotzdem habe ich weiterhin versucht,
mit dem Kopf durch die Wand zu rennen -
wer das mal ausprobiert hat,
wird erkannt haben,
dass die Wand dabei immer der Sieger bleibt...
Bei mir hat es sehr lange gedauert,
bis ich zu dieser Erkenntnis kam.
Das nennt sich dann wohl
Entwicklung oder auch Reife.
Dazu geführt hatten unter anderem
diverse Polizeirazzien in diesen Kneipen -
ich konnte mich vorher immer verdrücken,
obwohl ich ja nichts zu verbergen hatte.
Ich wollte aber nicht aktenkundig werden,
weil meine Eltern davon erfahren hätten.
Das hätte nicht passieren dürfen,
da meine Eltern schließlich
meine Geldgeber waren,
mir all das finanziert haben.
Ein sehr wesentliches Erlebnis,
welches meine Entwicklung
in eben eine andere Richtung bedingte,
war ein Todesfall.
Das war in einer der Kneipen -
einer der „anderen“
kam an jenem Tag
ins Lokal getorkelt.
Das war bei ihm nicht verwunderlich,
weil er wohl nie nüchtern gewesen ist.
Er war kreidebleich im Gesicht
und sah einfach nur Scheiße aus.
Er hat sich in einer Ecke der Kneipe
auf eine Bank gesetzt -
nach kurzer Zeit legte er sich hin.
Auch das war nicht außergewöhnlich.
Das wurde es erst viel später,
als die Bedienung zu ihm hin ist,
um ihm automatisch ein Bier zu bringen.
Er hat wohl nicht auf sie reagiert...
Er war tot – infolge einer Überdosis.
Das gab dann ein Geplärre und Hektik im Lokal
und alle sind raus auf die Straße -
manche erst,
nachdem sie Vorräte vom Klo geholt hatten.
Ich bin auch raus,
fand das aber so interessant,
dass ich mich in der Nähe aufgehalten habe -
versteckt hinter parkenden Autos,
um das alles beobachten zu können.
Da war dann alles da -
Polizei, Notarzt, noch mehr Polizei
und schließlich ein Leichenwagen.
Die Kneipe
blieb danach lange Zeit geschlossen...
Und dieses Erlebnis
hatte mir die Augen geöffnet -
ich wollte damit nichts mehr zu tun haben.
Irgendwie war alles nur immer Routine,
hat mir auch nicht sonderlich viel Spaß gemacht.
Doch war ich Teil des Geschehens,
war immer dabei –
wenn auch nicht der Mittelpunkt.
Dieses Erlebnis hatte zur Folge,
dass ich mehr oder weniger
von einem Tag auf den nächsten
keinen Fuß mehr in eine Kneipe gesetzt habe.
Ob ich überhaupt noch Billard spielen kann,
weiß ich nicht –
habe es seit jenem Tag nicht mehr getan.
Eine Freundin
habe ich danach auch nicht gefunden,
lebe heute allein
in einer Zweizimmerwohnung
am Rande einer Großstadt.
Die Wohnung kostet sehr wenig Miete,
ist allerdings auch in einem recht maroden Zustand,
woran mich jedoch keine Schuld trifft -
sie war sehr heruntergekommen,
als ich hier eingezogen bin.
Das muss eben in Kauf genommen werden,
wenn die Miete sehr gering sein soll.
Das erinnert mich an ein Lied.
Es heißt „Mein Block“, ist von Sido
um beschreibt sein Leben in einer Gegend,
die dieser hier entspricht.
Ich arbeite hier in der Nähe
in einem Getränkeabholmarkt
und verdiene dabei so viel,
dass ich meinen Lebensunterhalt
davon bestreiten kann.
Meine Freizeit
verbringe ich nur in meiner Wohnung.
Und da
entweder vor dem Fernseher oder dem PC.
Meine Eltern leben beide nicht mehr,
Geschwister habe ich auch nicht.
Freunde oder Bekannte brauche ich nicht -
habe ja alles, was ich will.
Und so etwas wie das,
was ich damals ge- und erlebt habe,
möchte ich nicht wieder.
Schließlich habe ich jetzt einen Job
und führe ein unauffälliges Leben -
ich tue niemandem Böses
und mir auch keiner.
Was die Zukunft bringt,
weiß eh niemand.
Text: alle Rechte am Inhalt
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Publication Date: 06-13-2010
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Dedication:
für die fiktive Person,
um die es hier geht