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Mein Schwiegervater

Geboren wurde er im Sommer des Jahres 1936, als jüngstes von sieben Kindern, in einem kleinen Dorf, circa 20 km südlich von Köln. Seine Kindheit verbrachte er auf einem Bauernhof, diese war durch körperliche Arbeit und eine streng katholische Erziehung geprägt.

Dies alles erfuhr ich zwar nicht sofort, als ich ihn im Jahre 1982 kennenlernte, sondern durch seine Erzählungen im Laufe der Zeit. Vergessen werde ich wohl nie, als er mich gleich ziemlich am Anfang fragte, ob wir uns auch an den Äpfeln, der vielen Obstbäumen neben dem Sportplatz vergriffen hätten.

„Klar, denn geklaute Äpfel schmecken doch am besten“, antwortete ich ihm mit einem breiten Lächeln.

„Stimmt, da gebe ich dir recht“ und er fing an zu lachen.

 

Da ich meine halbe Kindheit, ebenso wie er, im gleichen Dorf verbracht hatte, fragte er mich, ob ich den oder den kenne. Ich kannte zwar einige Neffen von ihm, aber eher als Freunde meines Bruders, da sie gemeinsam Fußball spielten Da wären wir schon bei seinem größten Hobby, Fußball. Von Kindesbeinen an spielte er bis er schlussendlich seine Fußballkarriere in der Herrenmannschaft beendete. Ein weiteres Hobby, das ich nur aus weiteren Erzählungen kenne - waren Brieftauben er hegte dieses Hobby zusammen mit seinem jüngsten Sohn.

 

Sein Herz verlor er, als er seine Gerti traf und ihr sofort den Hof machte.

Da auch seine Schwiegereltern sehr katholisch waren, musste er sich noch ein Jahr lang nach der Standesamtlichen Trauung abends auf den Heimweg machen, erst als sie kirchlich getraut waren, änderte sich das und sie konnten ihre eigene gemeinsame Wohnung beziehen. Es dauerte nicht lange und er wurde ein sehr stolzer und liebevoller Vater seines Stammhalters. Drei Jahre später freute er sich ebenso über die Geburt seines zweiten Sohnes, der, wie er sehr naturverbunden wurde.

Das er ein großes Herz besaß, konnte man schon erkennen, dass er sein Baugrundstück teilte, damit die Eltern seiner Herzallerliebsten ebenso bauen konnten. Fast jeden Stein setzte er an seinem Eigenheim selber und pflanzte einen Baum. Genau das, was ein Mann machen sollte. „Ein Haus bauen, Baum pflanzen und ein Kind zeugen.“

 

Im Jahr 1986 wurde ihm sein erstes Enkelkind geboren und seine Freude darüber, war unendlich. Mit sichtlichen Stolz schob er den Kinderwagen und als die Kleine größer war, machte er unendliche Radtouren mit ihr und seiner Gerti. Da seine Schwiegertochter samstags in einer Metzgerei aushalf, freute er sich, wenn Klein Ina kam. Wie oft hat die Kleine sich zwischen die beiden gekuschelt, ich weiß es nicht mehr, aber bei seinen Erzählungen strahlte er überglücklich. Neun Jahre später wurde er wiederum Opa.

 

Als dann auch ich im Krankenhaus unser Kind zur Welt brachte und sie des Abends kamen, vergesse ich niemals den stolzen Blick, als er die Kleine sah und ich sie ihm in den Arm legte.

Im Frühjahr, unser Kind war gerade drei Jahre alt geworden, überraschte er sie mit einem Fahrrad, inklusive Stützräder. Noch in der Wohnung wurde das Gefährt ausprobiert und genauso zappelig wie die Kleine, war auch er. Bei ihrer ersten Fahrt bin ich nicht zugegen gewesen, doch als sie zurückkamen, meinte er:

„Sie rast ja wie eine Wilde, da brauchst du einen Strick, damit sie nicht das Weite sucht oder du kannst rennen!“

Gerannt bin ich nicht, ich habe mein Fahrrad genommen. Doch er staunte nicht schlecht, als sie ihm stolz erzählte, sie brauche keine Stützräder mehr. Natürlich vergaß sie zu erwähnen, dass ich ihr die Stützräder abmontiert habe, nachdem sie mehrmals in voller Fahrt meinte, ihre Füße hoch aufs Lenkrad zu stellen.

Als sein hinteres Grundstück zum Bauland wurde und eine Siedlung entstand, schenkte er seinem Sohn dieses Teilstück, auf dem wir dann im Jahre 2003 bauten. Da er inzwischen im Ruhestand war, überwachte er die Arbeiten und war sehr glücklich, nun sein jüngstes Enkelkind in der Nähe zu wissen.

 

Diese Nähe führte zwar dann und wann zu Spannungen, diese räumte er aber immer kurzfristig aus.

Zwar meinte er mal, ich solle die Mülltonne auswaschen, doch ich erklärte ihm kurz und bündig:

„Kann meinetwegen die Müllabfuhr machen, ich aber nicht“.

Als ich am nächsten Tag kam, war die Tonne ausgewaschen und ich konnte mein Grinsen nicht verbergen.

 

Auch er mochte unser Kaninchen namens Prinz Präsident Krümmel sehr und verwöhnte ihn ständig mit Leckereien. Auch war er sehr traurig als Krümmel verstarb.

 

Eines Tages wurde seine Stimme komisch und er suchte seinen Hausarzt auf, der ihn zur Uni-Klinik überwies. Dort stellten sie zu unser aller Entsetzen einen krebsbefallenen Lymphknoten fest. Sie überwiesen ihn unverzüglich in die Onkologie weiter, in der er keine drei Tage später aufgenommen wurde.

Eine Chemotherapie folgte und sie war glücklicherweise erfolgreich.

Nach dieser zunächst erfolgreichen Behandlung wurden ihm noch die Augen gelasert, allerdings nicht stationär. So brachte ich ihn oft zu den Untersuchungen oder holte ihn ab. Während dieser Fahrten witzelten wir herum und suchten gemeinsam nach den Hausnummern.

Jetzt fehlte nur noch eine neue Hüfte, denn seine Schmerzen wurden wieder größer, die während der Chemo, wie von Geisterhand verschwanden. Ich habe ihn während der Zeit nicht einmal jammern hören, er war immer zuversichtlich.

Doch die Hüfte musste wieder warten, denn bei einer Kontrolluntersuchung wurde in der Leber eine Metastase gefunden und eine weitere Chemotherapie eingeleitet. Diese sei nach den Erzählungen meiner Schwiegereltern erfolgreich verlaufen.

 

Während er auf einen Platz zur Hüft- OP wartete, begann er plötzlich wirres Zeug von sich zu geben, dass wir einen Krankenwagen riefen. Im Krankenhaus stellten sie fest, er habe einen Schlaganfall erlitten.

Doch meines Erachtens haben sie nicht viel unternommen, er baute rapide ab. Wir besuchten ihn, und nicht immer erkannte er uns. Unsere Tochter fragte er, ob sie auch die Pferde dort laufen sehe, sie folgte seinem Blick und schaute auf die hinter ihr stehende Wand.

„Nein Opa, dort nicht, aber vom Fenster aus, kann ich in der Ferne einen Reiter sehen.“

Sie schob ein wenig das Bett herum, damit er aus dem Fenster blicken konnte.

Das alles geschah, während wir mit dem Arzt sprachen und der anschließend eine Überweisung in eine Rehaklinik veranlasste.

Zwei Tage später wurde er verlegt.

Da ich gerade an diesem Tag beruflich im selben Ort tätig war, ging ich schnell noch in die Klinik hinein, damit ich gleich Zimmernummer und Station kannte, wenn ich am Nachmittag meine Schwiegermutter zu ihm brachte. Er wurde gerade eingeliefert, erkannte mich sofort und freute sich unheimlich.

Dort stellten sie fest, dass er in der vorrangegangen Nacht einen weiteren kleinen Schlaganfall hatte.

Einige Tage folgten und wir dachten es ginge nun bergauf, denn seine Aufmerksamkeit verbesserte sich etwas, doch dann erfolgte ein weiterer Anfall. Da diese Klinik auch ein Krankenhaus war - mit angeschlossener Reha - dachten wir, dass er dort gut aufgehoben sei.

Doch nach diesem Schlag erholte er sich nicht mehr, er lag nur noch teilnahmslos in seinem Bett.

Wenige Tage später, meine Schwiegermutter und ich waren dort, bat uns der Oberarzt zu einem Gespräch und teilte uns mit, dass er den Kampf verloren hätte, denn inzwischen hätten sich überall in seinem Körper Metastasen gebildet. Ganz vorsichtig fragte er uns, ob wir ihn in die Uni-Klinik verlegen lassen wollten, erklärte uns aber, dort würde er nur durch Maschinen am Leben gehalten. Oder ob wir ihn in Würde sterben lassen möchten.

Es war Samstag, der 13.12.2008, so gegen eins, wir saßen gerade beim Essen, das Telefon lag in der Küche. Ich nahm ab und wurde informiert, er sei ganz ruhig eingeschlafen.

 

Ich bin dankbar, dass ich ihn kennenlernen durfte, auch wenn er ab und zu aufbrausend war, doch egal was war, er war immer zur Stelle, wenn jemand Hilfe brauchte.

 

Einige Wochen später, es war fast dunkel und ich wollte hinüber zu meiner Schwiegermutter durch den Garten laufen. Es war etwas unheimlich denn rechts die dunklen Tannen und auch von links der mit Efeu bewachsene hohe Zaun, so lief ich mit der Taschenlampe bewaffnet durch diesen Gang. Plötzlich erstarrte ich, denn kurz bevor ich den Jägerzaum mit dem Törchen erreichte, sah ich ihn plötzlich vor mir: in seiner karierten Strickjacke und Kaninchen Krümmel auf dem Arm. Er lächelte mir zu, als wollte er mir sagen, uns beiden geht es jetzt gut.

 

Imprint

Text: Schnief
Images: eigenes Foto bearbeitet, M. Schauten
Publication Date: 11-07-2015

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