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Wehmut

 Vor kurzer Zeit erlebte ich den zweiten Schulabschluss in meinem Leben.Zwar war es dieses Mal nicht meiner, doch wie von Geisterhand, meldeten sich beim Schulabschluss meiner Tochter die eigenen Erinnerungen. Die Zeit vor dem Abschluss unterscheidet sich gegenüber meinem von damals im Jahr1978, doch in vielen Dingen.

 

So grub ich in meinen Erinnerungen, ob es bei uns vielleicht eine Motto-Woche gab, in der man sich an fünf Tagen unterschiedlich verkleidet in die Schule begab.

Durften wir dabei einen Karnevalszug veranstalten, komplett mit einem Karnevalswagen, in der die Lehrer sich ebenso beteiligten? Sicher nicht.

Oder hätten sich unsere Lehrer inklusive der Schulleitung beim Motto „Aerobic“ in den Fluren beteiligt? Wären wir auf den Gedanken gekommen und hätten diesen dann auch noch in die Tat umgesetzt, in irgendwelche Klassen zu platzen, um dort die Lehrer und Schüler zum Mitmachen zu animieren? Sicher nicht.

Das Motto hieß „Wir erstürmen die Schule im Alter“ - verkleidet und bewaffnet mit Stock, Rollator oder gar im Rollstuhl, um dabei festzustellen, wie schwer und mühselig Hindernisse erklimmt werden müssen und das alles im Schneckentempo? Sicher nicht!

 Selbstverständlich durften wir auch unsere Lehrer nicht mit Wasserpistolen oder Wassergewehren taufen, so dass verschiedene Lehrer bereits am Vortag Ersatzkleidung im Lehrerzimmer hinterlegen mussten. So manche Peinlichkeiten werden dann auch noch per Video oder im Bild festgehalten. Nein, das gab es bei uns nicht!

Auch wäre es unmöglich gewesen, dass am letzten Tag die Aula geöffnet wurde, in der dann diverse Stufen teilnehmen durften, als die Abschlussschüler ihre Lehrer gewaltig durch den Kakao zogen oder gar in einem Zustand einer durchgezechten Nacht erschienen. Wobei die Lehrkörper heutzutage aber auch weltoffener kontern können: „Ihr seht beschissen aus und stinkt bestialisch“, als sie in einen Unterricht platzten. Die Schüler gafften den gewissen Lehrer eine Sekunde an.

„Hat jemand Deo?“, riefen sie kurz entschlossen im Chor. Im nächsten Augenblick wurden sie eingesprüht und verschiedene Deo-Duftnoten übertönten wohl den bestialischen Geruch.

„Ist es jetzt besser?“, fragten sie frech.

„Ja“

Auch das hätten wir uns nie erlauben dürfen!

 

 An all diese Dinge kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern, unsere Schultage verliefen eigentlich fast bis zum letzten Schultag normal, eben geprägt durch den Unterricht. Zwar unternahmen wir in den letzten Wochen den einen oder anderen Ausflug oder besuchten ein Theaterstück mit dem Klassenlehrer. Zusammen mit unseren Fachlehrern verbrachten wir die letzten Stunden mit Kaffee und Kuchen, in denen die eine oder andere Anekdote zum Besten gegeben wurde.

Kurz vor dem letzten Schultag lud uns unser Hugo (Klassenlehrer), der eigentlich A. Schäfer hieß, zu sich in seinem Garten ein. Es wurde ein tolles Grillfest, in der wir die gemeinsame Zeit Revue passieren ließen.

 

Da wir aus verschiedenen Ortsteilen unserer Stadt kamen und so die ersten fünf Jahre auf vier verschiedene Klassen verteilt waren, holten einige Mitschülerinnen ihre alten Klassenfotos der fünften Klasse hervor. Dabei stellten wir fest, aus der damaligen 5 a, mit ihren 35 Schülern und Schülerinnen, besuchten nur noch Christof und Toni, Daria und ich die 10. Klasse. Alle vier hatten dieses Jahr erfolgreich abgeschlossen.

Selbstverständlich verursachte mein Kippeln mit dem Stuhl und dem anschließenden Klatsch mitten auf der Bühne bei der Karnevalsveranstaltung oder der Besuch bei Madame Tussauds in London herzhaftes Gelächter. Aber nicht nur an meine Missgeschicke, sondern ebenso an all die der Anderen wurde sich erinnert.

 

Dann der Abschlussgottesdienst, getrennt nach Konfessionen, der gemeinsam mit den Neuner-Abschlussklassen abgehalten wurde. An diesem Gottesdienst, der an einem Freitagvormittag stattfand, nahmen sehr wenige Eltern teil. Im Anschluss machten wir uns entweder auf dem Rad oder zu Fuß auf den Weg zurück zur Schule. In der Aula hielt nur der Schulleiter eine kurze Ansprache. Weder der Bürgermeister, noch der Pflegschaftsvorsitzende oder sonstige Lehrer waren anwesend, nur unsere Klassenlehrer wünschten uns viel Erfolg für unser zukünftiges Leben.

 

Nach der kurzen Ansprache wurden gruppenweise die vier Neuner- Klassen aufgerufen und ihnen die Abschlusszeugnisse überreicht.

Wir, die beiden 10er Abschlussklassen, wurden dagegen zu zweit aufgerufen. Als der Klassenlehrer uns das Zeugnis mit ein paar netten Worten überreichte, wünschte uns dieser viel Erfolg im Berufsleben und das unsere persönlichen Wünsche in Erfüllung gehen mögen.

Viele wurden damals ja mit diesen dummen Sprüchen dann in die Arbeitswelt geschickt: „Jetzt beginnt der Ernst des Lebens. Die Spielerei ist nun zu Ende. - Halte dein vorlautes Mundwerk. - Denk daran, Lehrjahre sind keine Herrenjahre.“

Da einige von uns aufs Gymnasium wechseln wollten, erinnere ich mich noch an Hugos Worte, jedenfalls sinngemäß, „Ihr schafft das! Wenn ihr Hilfe braucht, kommt, wir helfen euch!“

 

Kommt wirklich Wehmut auf, wenn man sein Abschlusszeugnis erhält?

Oder ist es vielleicht vielmehr der mögliche Verlust der bisher gekannten Gemeinschaft über die vielen gemeinsamen Jahre hinweg.

Was ist mit den Freundschaften, verlieren wir sie, oder bleiben sie bestehen?

Die Regelmäßigkeit des Schulalltags und die Ferienzeiten.

Der Druck vor Klassenarbeiten oder das sorglose Leben.

 

Da ich gern zur Schule gegangen bin, mich in meiner Klasse wohl gefühlt hatte, war es komisch, als ich die letzten Schritte durch die Gänge des Schulgebäudes machte. Ein seltsames Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus.

Wie wird es werden?

Finde ich noch einen Ausbildungsplatz?

Was wird von mir erwartet?

Verlieren sich im Laufe der Zeit Freundschaften?

So einiges ging mir damals noch durch den Kopf.

 

Am nächsten Abend fand ein gemeinsamer Abschlussball für alle Schulabgänger ab. Damals, im Jahre 1978 war der Abschlussball noch eine Schulveranstaltung, selbstverständlich bestand das Büfett wie immer aus den Spenden der Eltern. Heutzutage dagegen ist der Ball keine Schulangelegenheit mehr. Die Schüler müssen selbst eine Örtlichkeit (oder in Neudeutsch „Lokation“) suchen und für die Kosten aufkommen. Als mein Kind jetzt ihr Abitur ablegte, hatte sich im Vorfeld ein Komitee gebildet und nach einer Lokation Ausschau gehalten. Sie schafften es, durch Kuchenverkauf, Abi-Partys, Kreative Abende, Spenden und Platzkartenverkauf, dass sie sich den Gürzenich in Köln anmieten konnten. Nur für die Getränke mussten die Gäste selbst aufkommen.

 

Zurück zu 1978: einige meiner Mitschülerinnen fieberten unserem Abschlussabend seit Wochen entgegen, denn sie freuten sich, das erste Mal in ihrem Leben, ein Ballkleid tragen zu können. Ich hatte keins, bei mir zu Hause hatte niemand Verständnis für solch einen Unsinn. So zog ich mir etwas Nettes an, als ich mich allein auf den Weg zur Aula machte.

Trotz allem wurde es ein lustiger Abend, wir scherzten und tanzten und hatten viel Spaß. Anscheinend empfanden einige Eltern meiner damaligen Mitschüler genau wie meine zu Hause. Und ich war froh, nicht die Einzige zu sein, deren Eltern nicht anwesend waren. Das war nicht schön, aber es war halt so!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Imprint

Text: Schnief
Images: Kostenloses Bild aus dem Netz
Publication Date: 06-23-2015

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