Cover

Vierzig fehlende Tage

An meinen Einschulungstag im Jahr 1968 habe ich gar keine Erinnerungen mehr, nur das mir meine Patentante extra für diesen Tag ein Kleid in Rosa genäht hat.

Da ich ein Sandwichkind bin hat man auch prompt den Fotoapparat vergessen.

Dieses Foto gibt es nur, weil der Fotograf das Kind verwechselt hat und sicher habe ich auch keine zwei Schultüten erhalten, dafür einen roten ledernen Schulranzen.

 

Die ersten zwei Schuljahre vergingen und ich freute mich auf die Sommerferien, denn meine Eltern bauten gerade ich eigenes Haus.

Endlich Sommerferien und dann passierte es gleich am ersten Tag, beim Spielen wurde ich von einem Auto erfasst, besser gesagt, ich stolperte über die Bordsteinkante und fiel ins heran nahende Auto hinein. Mein Bruder lief schreiend nach Hause um meine Mutter zu informieren. Auf dem Weg ins Krankenhaus bin ich wohl im Krankenwagen aufgewacht, ein Mann sagte nur zu mir “Schlaf  ruhig weiter“. Da nächste Mal erwachte ich in einem Raum mit riesigen Säulen, bin dann aber wieder weg gewesen. Richtig wahrgenommen habe ich erst wieder meine Mutter, welche an meinem Bett saß und sich mit einem Arzt unterhielt. Einige Tage vergingen, als ein Zahnarzt  an meinem Bett erschien. Er sollte mir den abgebrochen Zahn, der wie eine Spitze stand  entschärfen. Man hielt mich mit zwei Mann fest, aber ich glaube mein Geschrei hörte man noch drei Etagen über mir, den er begann ohne Betäubung den Zahn zu begradigen. (Sicher könnt ihr euch vorstellen was passiert, wenn ich nur Zahnarzt höre).

Kurz vor Schulbeginn wurde ich endlich aus dem Streckverband des gesplitterten Oberschenkelhalsbruches nach endlosen fast sechs Wochen erlöst. Das Erste was ich unternahm, als die Ärzte und Schwestern aus dem Zimmer gegangen waren, war, raus aus dem Bett. Da ich aber nicht auf dem linken Bein stehen konnte, hüpfte ich auf dem Rechten durchs Zimmer. Sofort ging das Gezeter der älteren Frauen im Zimmer los. 

Meine Freude, endlich dieses elende Bett zu verlassen, dauerte aber nur einige Minuten und mein Bein wurde sofort wieder auf einer Schiene fixiert und  etwas hoch gelagert.

Ich weiß noch, dass ich dabei Rotz und Wasser geheult und ein ziemliches Theater veranstaltet habe, denn ich wollte doch so gerne beim Theaterstück, welches wir für die Erstklässler vor den Ferien einstudiert hatten, mitwirken. Mein kleiner Bruder wurde ja eingeschult.

Die Schule begann. Am Nachmittag besuchte er mich voller Stolz mit seinem neuen Ranzen, den er gar nicht abnehmen wollte.  Er versuchte mich zu trösten und meinte, dass meine Vertretung im Theaterstück grottenschlecht gewesen sei.

Obwohl am nächsten Tag gar kein Besuchstag war, staunte ich nicht schlecht, als meine Klassenlehrerin Frau Lange ins Zimmer trat. Sie erzählte mir, dass mich alle grüßen und überreichte mir Bilder, welche meine Klassenkameraden (innen) für mich gemalt hatten.

Damit ich nach meinem Krankenhaushalt nicht den Anschluss verliere, wollte sie mich öfters besuchen.

Ungefähr zwei Wochen später wurde ich  endlich von der Fixierung befreit und durfte mit kleineren  Gehübungen beginnen. Ich bekam so eine Art Frühstadium von dem heutigen Rollator, für mich war es damals eine Art Gehfrei mit Rollen, diesen benutzte ich, wenn niemand hinsah, als Roller.

Schelte erhielt ich dann, wenn sie mich dabei erwischten, wie ich durch den Flur der Station oder auf den Weg zum Schwesternzimmer damit flitzte.

In dem kleinen Krankenzimmer, in dem ich untergebracht war, standen zwar fünf Betten und ein Waschbecken, aber es gab keinen Tisch.  So durfte ich mich im Schwesternzimmer an den Tisch setzen, um meine Aufgaben zu machen.

Die Schwestern und Ärzte, welche ihren Dienst verrichteten, schauten mir über die Schulter. Sie halfen  oder erklärten mir, wenn ich etwas nicht verstanden habe.

Ich weiß noch genau, dass mein Lieblingsarzt Dr. Finger mit mir ständig das kleine einmal Eins übte. Egal wo ich ihn traf, er fragte mich ständig ab oder stellte mir Rechenaufgaben, welche ich dann lösen sollte.

Vier Wochen nach Schulbeginn wurde ich dann entlassen und die Schwestern sagten zu mir, dass sie schon aufs nächste Jahr freuten, wenn ich wieder bei ihnen wäre, denn dann sollten die so genannten Nägel in meinem Bein  wieder entfernt werden.

Zu meiner Freude hatte meine Mutter einige Tage später eine Party für mich und meine Freunde veranstaltet.

Ich fühlte mich wie im siebten Himmel und war unheimlich glücklich mit meinen Freunden nach so langer Zeit zu spielen.

Am Montag sollte ich zum ersten Mal wieder die Schule besuchen, meine Eltern hatten schon Gedanken gemacht, wie ich dort hinkomme, da ich noch nicht so weite Strecken laufen sollte.

Doch am Samstagabend bekam ich hohes Fieber und der Arzt stellte fest, dass ich Scharlach hätte. Ich wurde unter Quarantäne ins Schlafzimmer einquartiert und die Einzige, die dort hinein durfte, war meine Mutter. Nachdem es mir etwas besser ging habe ich die gemeinsame Zeit mit ihr genossen.

Nach insgesamt vierzig fehlenden Unterrichtstagen begann für mich wieder der Schulalltag und ich freute mich riesig darauf.

Imprint

Text: Schnief
Images: Schnief
Publication Date: 03-22-2014

All Rights Reserved

Next Page
Page 1 /