Warme Sommerluft, eine leichte Brise, die nach Blumen duftet, nach erhitztem Asphalt, nach trockener Erde. Grün in Grün, die großen Eichen wiegen sich im Wind, die Blätter reiben flüsternd aneinander, teilen sich Geheimnisse mit, die dem Betrachter verborgen bleiben. Sie haben schon viel gesehen, diese alten Eichen, mehrer Generationen wurden unter ihnen begraben. Mütter, Väter, Großeltern, Freunde, Kriegsgefallene, Unfallopfer, Selbstmörder, Menschen, die einer schweren Krankheit erlegen sind, Gläubige und Atheisten. Aufgewachsen in der Kleinstadt, in deren Mitte sich dieser stille Ort befindet, hier zur Schule gegangen, und zumeist auch wieder hier beigesetzt. Zumeist sind es die Alten, die hier ihre letzte Ruhe finden, nach einem erfüllten Leben. Oft haben sie ihre Kinder aufwachsen sehen, ihre Enkel.
Aber nicht alle.
Der, den sie heute zu Grabe tragen, hinterlässt keine Kinder, er war selbst fast noch eines, zumindest in den Augen derjeniger, die ihn heute betrauern. Und es sind die Eltern, nicht die Kinder, die heute vor einem gähnenden, schwarzen Loch stehen. Eine Familie, die nicht ihr ältestes, sondern ihr jüngstes Mitglied verloren hat.
Schwarz in Schwarz reiht sich Anzug an Anzug, ein dunkler Fleck, dunkel im hellen Grün des Sommertages, dunkel im Leben all derjeniger, die jemanden verloren haben, dessen Abwesenheit ein schwarzes Loch hinterlassen wird, ähnlich demjenigen, das jetzt den Eichenholzsarg verschluckt. Weiß blitzen die Taschentücher in dem schwarzen Meer, weiß, wie ein Hoffnungsschimmer, trocknen sie die Tränen und können sie doch nicht stillen.
Die Bäume blicken reglos auf die Szenerie herab, die sich vor ihren uralten Augen abspielt. Ein Anblick, den sie schon so oft erlebt haben, jedesmal derselbe, und doch jedes Mal völlig verschieden. Die Abläufe bleiben dieselben, die Reaktionen der Menschen ähnlich, wenn auch nicht gleich.
Da ist das Paar, das gemeinsam an den Sarg herantritt und drei weiße Rosen in die Dunkelheit wirft. Weiße Blüten auf dunklem Holz, bedeckt von dunkler Erde. Weiß auf Schwarz, Schwarz auf Weiß. Die Hand des jungen Mannes zittert, mit der Linken umklammert er fest die Hand seiner Frau. Eheringe blitzen golden in einem einzelnen Sonnenstrahl. Eine Weile verharren beide mit geschlossenen Augen dort vor dem offenen Grab, er schickt einen Abschiedsgruß gen Himmel, sie betet ein stummes Gebet, Gott möge seiner Seele gnädig sein, sie hoffe, er habe gefunden, was er gesucht habe. Die grünen Augen flehen um Antwort auf die einzige Frage, die alle bewegt und die doch niemand beantworten kann. Die braunen Augen bitten um Stärke, denn das Zittern der größeren Hand hat merklich zugenommen.
Das Paar wendet sich ab um Platz zu machen für die anderen, die sich verabschieden wollen. Ein paar Schritte weiter verschmilzt Schwarz in Schwarz. Die Arme umeinander gelegt, stützt der kleine Körper den großen. In guten wie in schlechten Zeiten, das haben sie sich vor nicht einmal einem Jahr gelobt. Wer hätte gedacht, dass die schlechten Zeiten so rasch ihre Aufwartung machen würden, und dass der Hochzeitsanzug so rasch wieder aus dem Schrank geholt werden würde, zu solch einem Anlass.
Da ist das Paar, das dem Sarg am nächsten steht und stumm die Beileidsbekundungen der Trauergäste entgegennimmt. Die Frau hält ein Bild in der Hand, das zuvor den Sarg geschmückt hat, eine Schwarz-Weiß-Fotografie eines lächelnden jungen Mannes. Tapfer schüttelt sie Hand um Hand, ein verlorener Ausdruck in den Augen, die Finger fest um den schwarzen Rahmen gekrallt.
Am Abend, als die Gäste schon lange auf dem Weg nach Hause sind, stehen diese beiden alleine vor dem frisch aufgeschütteten Erdhügel. Es scheint, als würden sie sich gegenseitig Halt geben, die Arme umeinander gelegt, stützt einer den anderen. Blumenkränze bedecken die nackte Erde, ein Zeichen der Hoffnug, bunte Farben auf schwarzem Grund.
Doch die Blumen werden welken, das Schwarz der Erde erneut zum Vorschein kommen,und am Ende wird das Grab in der Masse der Gräber des Friedhofes verschwinden. Eines von vielen. Dann wird ein Grabstein am anderen Ende stehen, dort, im Schatten der hohen Eichen.
Und die Eichen werden sich im Wind wiegen, Grün in Grün, und ihre Blätter werden sich flüsternd unterhalten, wenn sich wieder Schwarz in Schwarz Anzug an Anzug reihen wird. Vielleicht wird dann der Wind weiße Schneeflocken durch die Luft wirbeln, und die Schneeflocken werden sich, weiß wie ein Hoffnungsschimmer, auf dem schwarzen Grabstein niederlassen. Auf dem Grabstein im Schatten der Eichen. Auf dem Grabstein, der eine eigene Geschichte erzählen kann, so wie es jeder Grabstein kann, wenn man ihn zu lesen weiß. Die Geschichte eines Mannes, der viel zu früh gestorben ist. Die Geschichte eines jungen Menschen, der nach dem Sinn des Lebens suchte.
Text: (c) by Schneeflocke
Publication Date: 06-14-2010
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Dedication:
Für A.L.