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Abschied von Freunden - Ein unvergessliches Silvester


Dieses Silvester werde ich niemals vergessen. Normalerweise feierte ich meine Silvesterabende bzw. Nächte damals fast immer gleich. Entweder ging ich auf eine Party oder tanzte in einer Disco in das neue Jahr. Silvester 1986 war anders.

Ich muss etwas zur Vorgeschichte schreiben.

Mein damaliger Lebenspartner und ich lernten im Jahre 1984 zwei ganz wundervolle Menschen kennen und wir freundeten uns schnell an. Rüdiger und Anke waren ein Paar mit Ecken und Kanten. In ihrer Nähe wurde es nie langweilig, denn oft zankten sie sich und genauso schnell vertrugen sie sich wieder. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass sie überhaupt nicht füreinander geschaffen waren. Später sollte mich dieses Gefühl nicht trügen. Sie waren beide sehr impulsiv, begegneten sich intellektuell auf Augenhöhe und ich hatte manchmal den Eindruck, sie würden einen ewigwährenden Paso Doble tanzen mit wechselnder Rollenverteilung.

Ihre Nähe suchte ich, weil ich fasziniert war von ihren so unterschiedlichen Persönlichkeiten. Beide waren tiefgründige und sehr, sehr herzliche Menschen, auf die absolut Verlass war. Im Laufe der nächsten zwei Jahre entwickelte sich zwischen uns eine innige Freundschaft. Es verging fast kein Wochenende, an dem wir uns nicht sahen. Ich erinnere mich gerne an unsere Spieleabende und an ein ganz besonderes Spiel, dessen Namen ich leider vergessen habe. Man zog eine Karte mit einer Frage und stellte diese meist sehr persönliche und auch zuweilen peinliche Frage einem Mitspieler seiner Wahl. Bei den beiden flogen dann meist wieder die Fetzen. Sehr beeindruckend für mich, wie zwei so gegensätzlich gepolte Menschen sich doch lieben konnten. Sie liebten sich und ich liebte sie. So wie man Freunde lieben kann. Mit Rüdiger verband mich eine innigere und besondere Freundschaft, weil sein Bruder Klaus mein allerbester Freund war (Seine Geschichte habe ich aufgeschrieben in dem Buch „ Erinnerungen“)

Im Oktober 1986 saßen wir bei einem gemütlichen Abendessen zusammen, als ich bemerkte, dass Anke etwas bedrückte. Als ich sie aufforderte, ihre bedrückte Stimmung zu erklären sprudelte es aus ihr heraus. Ihren Worten entnahm ich, dass Rüdiger und sie auswandern wollten in die USA. Eine spontane Idee von den Beiden. Alle Formalitäten seien geregelt und nun stünde ihre Wohnungsauflösung an. Ich hielt es zunächst für einen Scherz, aber als ich in Rüdigers Augen blickte, erkannte ich die Ernsthaftigkeit und Freude darin. Alles, was wir an Einwänden lieferten, wurde abgewiesen. Beide waren sich einig wie nie zuvor.

Los Angeles war ihr Ziel. Und dieses Ziel begann mit der Abfahrt aus Bremen am Hauptbahnhof am 1.1. 1987 um 0.45 Uhr.

Zuvor hatte ich bei der Wohnungsauflösung geholfen und viele Möbelstücke und Bilder gekauft. Ich wusste doch, dass beide mit enorm wenig Startkapital in die neue Zukunft reisen würden. Ein paar riesige Bilder (Drucke von Roy Lichtenstein) schlummern heute noch auf meinem Dachboden.

Dann nahte der Silvesterabend und ich fühlte mich nicht gut. Wir hatten vereinbart, dass wir keine große Abschiedsparty veranstalten würden, sondern im kleinen Kreise (wir vier und Klaus, Rüdigers Bruder) essen und danach unsere Freunde zum Bahnhof begleiten wollten.

Der Abend war trotz aller Wehmut zauberhaft. Ein Essen ohne Zankerei. Ja, auch das gab es.

Man merkte den Beiden ihre Anspannung und Nervosität an. Ständig schauten sie auf ihre Uhren. Ich wurde still und stiller. Ich hatte mich zwar damit abgefunden, dass ich meine besten Freunde in wenigen Stunden auf unbestimmte Zeit in meiner direkten Nähe verlieren würde, aber es tat sehr weh.

Wir machten Späße und gute Miene. „Wenn ich den Woody Allen treffe, dann bitte ich ihn um eine Autogrammkarte nur für Dich“ lachte Anke mich an.

Die Uhr zeigte fast 23 Uhr. Direkt nach Mitternacht mussten wir aufbrechen, damit die beiden rechtzeitig am Bahnhof sein würden. Ich weiß bis heute nicht, wer die Packung mit dem Bleigießen auf den Tisch legte. Normalerweise empfinde ich dieses Ritual kindisch und doof, aber damals war es irgendwie passend. Sämtliche Bleifiguren entsprachen nicht der Norm, welche auf der Packung beschrieben waren. Wusste ich doch „Alles Humbug“ dachte ich. Aber es lenkte ab. Es lenkte ab von meiner Traurigkeit. Wir lachten an diesem Abend sehr viel. Mir schien es aufgesetzt und aufgesetztes Lachen oder Lächeln sind mir bis heute ein Graus.

Der Zeiger der Uhr schien unerbittlich zu laufen. Ich holte die Flasche Sekt aus unserem Kühlschrank. Den ganzen Abend über tranken wir alkoholfreie Getränke und Kaffee. Damals sehr ungewöhnlich an einem Silvesterabend für mich.

Mitternacht….Draußen krachten die ersten Böller und wir fünf lagen uns in den Armen. Wir stießen an und nippten nur an den Gläsern.
Bis heute vergesse ich nicht dieses leise „wir müssen“ von Anke.

An diesem Neujahrsmorgen 1987 war es bitterkalt in Bremen. Wir fuhren in dem Auto meines Lebensgefährten zum Bremer Hauptbahnhof. Unsere Fahrt wurde begleitet durch Raketen, Böller und wunderschönen Leuchtsternen, die am Himmel zu sehen waren. Nie zuvor bin ich durch Bremens Straßen gefahren, während die Menschen draußen standen und das neue Jahr mit Raketen begrüßten.

Ich empfand es nicht schön. Wie konnte man das neue Jahr einläuten und mir die Menschen nehmen, die mir so viel bedeuteten.

Als wir am Bahnstieg standen, zog eine Eiseskälte durch meinen Körper. Hier und jetzt rächte es sich, dass ich die dünne Partybluse unter meinem Wintermantel trug. Noch zehn Minuten. Ich kämpfte mit meinen Tränen. Es begann zu schneien und so sah niemand meine Tränen, die sich mit den Schneeflocken auf meinem Gesicht verschmolzen.

Der Zug lief ein….“Meldet Euch“ und ich heulte los. Ich weinte hemmungslos an diesem Neujahrsmorgen an einem Bahngleis im Bremer Hauptbahnhof.

Während ich diese Zeilen schreibe, sehe ich mich heulend, frierend und dem Zug nachwinkend, bis er aus meinem Blickwinkel verschwand.

Ein halbes Jahr später hielt ich eine Autogrammkarte meines sehr geschätzten Woody Allen in den Händen.

Ein Jahr später hatten sie in den USA geheiratet und kurz darauf sind sie beide nach Deutschland zurückgekehrt.

Getrennt. Sie passten einfach nicht zusammen.

In all den vergangenen Jahren habe ich dieses Silvester nie vergessen.


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Images: Stock Fotos
Publication Date: 01-13-2013

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