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Strandgut


Strandgut

Das Meer rauschte. Zu ihren Füssen schäumten immer wieder kleine Gischt Wellen auf. Sie liebte es, am Strand spazieren zu gehen. Es war kalt,aber sie fror nicht. Ihre Gedanken flossen dahin. Jäh blieb sie stehen.

Das Meer hatte etwas Glitzerndes an Land gespült. Vor ihren Füssen lag eine Flasche. Sie sah alt aus, sehr alt. Als hätte sie jahrelang im Meer verbracht und nun bereit dafür, angekommen zu sein. Hin und her wurde sie getragen von den Wellen. Bis sie am Strand liegen blieb.

Sie hob die Flasche auf. Ihr entwich ein Seufzen, welches nur sie wahr zu nehmen schien.

Sie war 12 Jahre alt, die Bombeneinschläge zerstörten nicht nur ihr Elternhaus. „Kinderlandverschickung“ und sie sah den Weizen blühen. Karotten auf ihrem Teller ließen ihr Gesicht rosig werden. Sie liebte es, die Kaninchen im Stall zu füttern.

Im Turnunterricht war sie unschlagbar. Es zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht, als sie das Staunen der Mitschüler sah. Nur sie beherrschte den perfekten Dreisprung.

Sommersprossen. Sie schämte sich und wünschte sich ein Mittel dagegen. Voller Scham nahm sie das bewundernde Lächeln „ihres“ Kurts wahr, den sie heimlich liebte.
Kurt sah sie nach der Schule nie wieder. Die Suche nach ihren Eltern hatte sie eingestellt.

„ Hey Mr. Banjo“ drang aus dem Radio und sie warf einen Blick zum Kleiderschrank. Das Kleid aus Chiffon hatte sie selbst genäht in vielen, vielen Abendstunden. Aufgeregt fieberte sie der Tanzveranstaltung entgegen. Zum ersten Mal benutzte sie einen Lippenstift.

Der Abend war aufregend. Ihre Augen schlossen sich, als sie Werners Lippen spürte.

Kinderlachen durchzog die kleine Wohnung mit Ofenheizung. Ihre Tochter hatte Geburtstag. Drei Jahre wurde sie alt und der weiße Plüscheisbär war fast größer als sie. Blitzende Kinderaugen sahen sie an.

November 1960. Ihre Wehen setzten ein, als sie beide Willy Brandts Rede im Fernsehen verfolgten. Sie musste ihren Werner förmlich vom Bildschirm weg reißen, um mit ihr ins Krankenhaus zu fahren. Als sie in den Kreissaal geschoben wurde, versprach ihr Mann ihr, dass der kleine Mann nicht Willy getauft werden würde.

Sie musste laut lachen und sah sich um, ob niemand sie beobachtete an diesem Strand mit einer Glasflasche in der Hand.

„Ich bringe heute jemanden zum Abendessen mit“ verkündete ihr Sohn ganz stolz. Sie sah in ein Gesicht voller Sommersprossen und schmunzelte in sich hinein. Ihr Sohn hatte eine gute Wahl getroffen.
Sie war froh, dass sie ihren Sohn wenigstens einmal im Jahr zu Weihnachten sah, wenn er aus London nach Hause kam.

„Oma, Oma“….vier Kinderhände zerrten an ihrem Rock. „Schau mal, was wir können“
Die alten Schaukeln im Garten knarrten beängstigend. Ihre Tochter kam auf sie zu und beruhigte sie. „Die Schaukeln hielten schon damals“ sagte ihre Tochter und sie musste lachen.

Den Millenniumwechsel verbrachte sie alleine. Nur zum Friedhof ging sie und legte seine Lieblingsblumen auf das Grab.

Als das neue Jahrzehnt anbrach, klingelte pausenlos ihr Telefon und sie nahm das Lachen ihrer Kinder in ihr Herz auf.
Ihren Kindern und Enkelkindern ging es gut. Ihr auch.

„So hässlich hätte ich sie mir nicht vorgestellt“ Wie ein kleines Mädchen kicherte sie hinter vorgehaltener Hand und schaute zu ihrer Freundin. Ihr kam es wie eine Sünde vor, dass sie im Louvre stehend über eines der berühmtesten Gemälde der Welt lästerte. Die Reisen mit ihrer Freundin gaben ihr Lebensfreude und hielten sie jung.

Sie drückte die Flasche ganz nah an ihr Herz und dann lächelte sie. Behutsam legte sie die Flasche auf den Strand zurück und sah, wie die Brandung mit ihr spielte.
Die Novembersonne zauberte eine letzte Lichtreflektion auf die Flasche, bevor sie endgültig von den Wellen getragen im Meer verschwand.

In dieser Nacht schlief sie friedlich ein.

© Satura/Ute Look

Imprint

Text: Satura./ Ute Look
Publication Date: 04-13-2012

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Dedication:
Diese Geschichte widme ich allen Menschen, die ihr Leben mit dem Wort "Danke" beschreiben würden.

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