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Prolog

Dem jungen Mann in der zerrissenen Jeans stand kalter Schweiß auf der Stirn.

 

Wieso nur konnte er keine vernünftige Arbeit finden? Dieser Job war auf Dauer keine Lösung und viel zu riskant. Was nützten ihm die paar Mäuse, wenn er irgendwann bei einem der Tests krepierte?

 

Dabei hatte ihm der Arzt mehrfach beteuert, die Tests wären harmlos, aber um ein Medikament auf seine Wirksamkeit zu testen, musste er zuerst von dem Erreger, den die neue Medizin bekämpfen sollte, infiziert werden.

 

Es hatte harmlos begonnen. Er hatte Grippeerreger verabreicht gekriegt, gewartet bis Kopfschmerzen und Fieber eingetreten waren und schließlich das neue Präparat eingenommen, um als menschliches Versuchskaninchen den Beweis zu liefern, dass die Medizin die Krankheit tatsächlich heilte und die Nebenwirkungen erträglich blieben.

 

Na ja, immerhin testeten sie keine Behandlungsmethoden gegen die Pest oder die Cholera. Dafür wären die paar hundert Mäuse, die er dafür bekam, zu wenig.

 

Aber es war einfach verdientes Geld, er musste sich ja nur das Zeug spritzen lassen, krank im Bett liegen und sich andauernd Blut abnehmen lassen. Immerhin konnte er so seine Miete bezahlen und sich etwas zu Essen kaufen.

 

Der Arzt besuchte ihn regelmäßig, aber er redete nicht viel. Die Zahlen, die auf dem Formular neben seinem Bett standen, interessierten ihn mehr, als sein Wohlbefinden.

 

Auf Dauer konnte das ja nicht gesund sein. Irgendwann waren seine Nieren kaputt und er krepierte daran, denn dagegen konnte man sich nicht impfen lassen.

Ballett

Der Wecker riss mich aus meinen Träumen. Ich setzte mich im Bett auf und lächelte.

 

Endlich war es wieder Montag, der beste Tag der Woche.

 

"Eileen, du bist das schrägste Mädchen, das ich kenne", hatte meine beste Freundin Anja neulich zu mir gesagt, "jeder freut sich, wenn endlich Freitag ist und das Wochenende in Sicht ist. Doch du freust dich das ganze Wochenende auf den Montag."

 

"Soll ich deswegen meinen Ballettunterricht auf den Freitag verlegen?" hatte ich geantwortet und wir waren in heftiges Gelächter ausgebrochen.

 

Anja kannte mich ganz genau. Seit der fünften Klasse waren wir unzertrennlich, teilten unsere Gedanken, Träume, Gefühle und Sehnsüchte miteinander und konnten wirklich über alles reden.

 

Sie war es, die mich tröstete und mich mit einem riesigen Berg Schokolade aufmunterte, wenn ich mal wieder Liebeskummer hatte, und ihr erzählte ich ausführlich, als ich das erste Mal mit einem Jungen geschlafen hatte und sie teilte mein Glück mit mir.

 

Anja war anders als ich, spontaner, selbstbewusster und immer gut gelaunt, während ich über zu viele Dinge grübelte und mir Dinge, die mich bedrückten, immer sehr zu Herzen nahm.

 

Im Gegensatz zu mir fand Anja Ballett langweilig.

 

 

"Wie kann man nur stundenlang üben, anmutig dazustehen?" hatte sie zu mir gesagt, als ich wieder einmal von meiner großen Leidenschaft geschwärmt hatte, "ich muss immer in Bewegung sein."

 

Leichtathletik war Anjas Sport, für den sie sich begeistert hatte. Sie lief schneller, als alle Mädchen, die ich kannte, und sie lief mal eben 10 Kilometer, wenn sie über irgendetwas nachdenken und ihre Gedanken ordnen musste.

 

Ich kletterte aus dem Bett und wollte ins Bad, doch meine Schwester Leah war mal wieder schneller gewesen. Sie brauchte immer ewig bis sie fertig war, ihre blonden Haare gestylt hatte und das Makeup ihr hübsches Gesicht perfekt in Szene setzte. Aber es lohnte sich für sie. Leah war sehr beliebt und ihr Freund Dominik war ganz sicher eine 'gute Partie'.

 

Das konnte dauern. Ich packte inzwischen meine Sachen zusammen. Am Vormittag hatte ich noch ein Seminar an der Uni, bevor ich meine Ballettstunde hatte.

 

* * *

 

Charles begrüßte mich herzlich, als ich schließlich im Ballettstudio ankam. Er war mein Tanzpartner und einer der wenigen Männer, die sich für Ballett interessierten. Er war talentiert und ebenso ehrgeizig wie ich.

 

"Alles klar bei dir, Zuckerschnecke?" fragte er mich, und ich versicherte ihm, dass alles okay und ich in bester Form war.

 

Ich zog mich um und wärmte mich auf, machte meine Dehnübungen und vergaß alles um mich herum.

 

Naomi, unsere Ballettlehrerin, kam und begrüßte mich.

 

"Lass uns anfangen", sagte sie, "wir müssen heute ein paar der Figuren trainieren, die letzte Woche nicht reibungslos funktioniert haben."

 

Ich nickte. Naomi kannte meine Schwachstellen nur zu gut und trieb mich unbarmherzig an, mich zu verbessern und sie auszumerzen.

 

Ob ich irgendwann so gut war, wie Caterina? Sie war Naomis erfolgreichste Schülerin und hatte die Aufnahmeprüfung in der Ballettschule Stuttgart bestanden, wo sie inzwischen zur Primaballerina aufgestiegen war. Wenn sie 'Schwanensee' tanzte, hielt ich den Atem an und malte mir aus, wie ich irgendwann ebenfalls auf der Bühne stehen und so wie sie tanzen würde.

 

Charles war etwa einen Kopf größer als ich und ein wirklich süßer Kerl. Keiner der dämlichen Vollpfosten, die mich umgaben, ständig nur Fußball im Kopf hatten und es als eine Art sportliche Disziplin betrachteten, ein hübsches Mädchen ins Bett zu kriegen, nur um damit zu prahlen.

 

Es gab nur zwei Gründe, wieso ich mich nicht in Charles verlieben konnte: er war schwul und hatte einen festen Freund, mit dem er zusammen war, und er war schwarz, was mich nicht weiter störte, aber Tante Ulrike hätte mich sofort enterbt, wenn ich mit einem Schwarzen nach Hause gekommen wäre.

 

Auf diese Weise konnten wir immerhin gute Freunde sein und miteinander tanzen. Und außerdem bestand dadurch keine Gefahr, dass ich mir irgendwann einen neuen Partner suchen musste, wenn es mit uns beiden doch nicht funktioniert hätte.

 

"Wo bist du mit deinen Gedanken, Eileen?" riss mich Naomi aus meinen Überlegungen, "die Coda des 'Pas de Deux' habe ich von dir schon sehr viel besser gesehen."

 

"Lass es uns noch einmal versuchen", schlug ich vor.

 

Wieder ertönte die Musik von Tschaikowskys 'Nussknacker' und wir begannen noch einmal von vorne, und dieses Mal war es viel besser.

 

Du musst dir abgewöhnen, an Jungs zu denken, wenn du tanzt, ermahnte ich mich selbst.

 

Wieso nur war es für mich immer so eine schreckliche Katastrophe, wenn ich mich in einen Kerl verliebte?! Entweder war er schwul, ignorierte mich oder es zeigte sich schnell, dass es ihn langweilte, wenn wir zusammen waren.

 

Oliver war so einer gewesen. Wir hatten uns gut verstanden, waren ein paarmal miteinander ausgegangen und ich hatte das Gefühl, dass ich für den nächsten Schritt bereit war. Ich hatte das Wochenende mit ihm verbracht und wir hatten miteinander geschlafen.

 

Doch wenn wir nicht miteinander im Bett waren, verbrachten wir unsere Zeit mehr oder weniger vor dem Fernseher, und bald war mir das für eine vernünftige Beziehung zu wenig gewesen.

 

"Eileen!!"

 

"Entschuldigung..!"

 

Mist, ich musste dringend etwas dagegen unternehmen. Wenn ich mich nicht einmal auf das Ballett konzentrieren konnte, war etwas Grundlegendes nicht in Ordnung und es musste etwas geschehen, um das zu ändern.

 

Ich nahm mir vor, mit Anja darüber zu sprechen und verbannte die Gedanken aus meinem Kopf.

 

 

Symptome

Am nächsten Tag hatte ich schreckliche Kopfschmerzen, einen trockenen Hals und fühlte mich total mies.

 

Ich stieg aus dem Bett und schlich in die Küche, schaltete die Kaffeemaschine ein und trank einen Schluck Wasser, bis der Kaffee durchgelaufen war.

 

Hatte ich mir jetzt auch noch zu allem Überfluss eine Erkältung geholt? Das passte jetzt gerade überhaupt nicht.

 

Nachdem ich Kaffee getrunken hatte, ging es mir etwas besser, doch ich fühlte mich noch immer müde und erschöpft. Ich beschloss, die Vorlesung am Vormittag zu schwänzen, und kroch wieder ins Bett.

 

Ich schlief bis zum Nachmittag und als ich erwachte, war mein Kopfweh nicht viel besser und meine Nase lief.

 

Anja rief mich an. "Schätzchen, was ist los mit dir?" fragte sie mich besorgt.

 

"Ach, ich hab mich erkältet."

 

Meine Stimme versagte, ich klang heiser und räusperte mich. Jetzt hatte ich auf einmal einen heftigen Hustenreiz, legte das Telefon zur Seite und

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Publisher: BookRix GmbH & Co. KG

Publication Date: 03-03-2023
ISBN: 978-3-7554-3414-6

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