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Prolog


Ihm war langweilig.
Mühsam unterdrückte Lucifer ein Gähnen und versuchte, zumindest den Anschein zu erwecken, er würde den Ausführungen seines Generals mit Interesse folgen. Vermutlich ging es den anderen Acht genauso. Sie alle wussten, was in den letzten Tagen geschehen war und niemand war dumm genug, darin weniger zu sehen als er.
Den Beginn eines Krieges.
Der Start der Apokalypse.
Lucifer seufzte. Der Laut genügte, um Astaroth mitten im Satz das Wort abzuschneiden. Für den Bruchteil einer Sekunde war nur das leise Rascheln von Flügeln zu hören, dann ergriff Lucifer das Wort.
»Ich denke, wir alle wissen, was passiert ist.«
»Du meinst, dass deine Tochter den 2. großen Krieg angezettelt hat?« Leviathans Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. »Liegt wohl in der Familie.«
»Es war nicht Lapis Schuld«, bemerkte der Herr Abaddons und zuckte locker mit den Schultern. »Das habe ich ganz allein verbockt.«
»Wegen ihr.« Leviathan lachte. »Das erste Mal wegen Lilith, nun wegen deiner Tochter. Was hast du nur immer mit den Frauen, Lucifer?«
Der Angesprochene hob zur Antwort nur eine Augenbraue und bedachte seinen Freund mit einem belustigten Blick.
»Hör nicht auf ihn, Luc«, warf eine Dämonin mit gefährlichem Grinsen ein. »Er ist nur neidisch, weil sein Kind uns nicht diesen Spaß beschert hat.«
»Es war meine Entscheidung.«
Wie erwartet ignorierte Ruha ihn einfach und sprach weiter. »Ich hätte nur einen winzig kleinen Verbesserungsvorschlag.«
»Sprich.« Vermutlich würde er es gleich bereuen.
»Würdest du das nächste Mal die Güte besitzen und Astaroth noch ein bisschen weiter werfen?«
Augenblicklich entbrannte ein Streit zwischen seinen Freunden. Oder eher zwischen einem Teil von ihnen. Ruha und Astaroth warfen sich in Freundlichkeit verpackte Bissigkeiten an den Kopf. Lucifer und die anderen ließen sie machen. Seit wie vielen Jahren ging das zwischen den Beiden nun schon so? Er hatte irgendwo zwischen den Jahrhunderten den Überblick verloren. Schon damals im Himmel waren die beiden explosiv gewesen und später, ohne den Maulkorb des himmlischen Liedes, waren sie eine Zeit lang kaum zu bändigen gewesen. Er und ein paar der Anderen hatten mindestens genauso lange eine Wette am Laufen, wann die beiden endlich zusammen im Bett landeten. Anders konnte man diese aggressive Stimmung zwischen ihnen wohl kaum erklären.
Mit leiser, stummer Belustigung ließ der Herr der Unterwelt seinen Blick über seine Freunde wandern. Astaroth, Ruha, Leviathan, Belial, Ghilan, Namrael, Forcas, Vine und Mephistopheles. Sie waren die Ersten damals im Himmel gewesen, welche sich ihm anschlossen. Seine engsten Freunde, die bereit waren, alles aufzugeben, als er sie darum bat. Als er ihnen seinen Plan vor die Füße legte, einen nie dagewesenen Krieg zu beginnen. Sie alle waren ihm gefolgt, hatten ihr Leben aufs Spiel gesetzt und waren gefallen. Gemeinsam hatten sie diesen Ort erschaffen. Und nun bahnte sich ein weiterer Krieg an und er hegte nicht den geringsten Zweifel daran, dass sie auch diesmal hinter ihm stehen würden. Hinter ihm und auch hinter seiner Tochter.
»Genug! Flirtet später weiter.« Den bösen Blick von Astaroth ignorierend, wandte er sich an Belial. »Also was gibt es Neues von unseren gefiederten Lieblingsfeinden?«
»Sie werden dreist. Ganze Schwärme von Thronen ziehen durch die Stadt.«
»Damit habe ich gerechnet.« Wie zu erwarten, bekleckerten sich die unteren Ränge nicht mit Einfallsreichtum. »Sie suchen meine Tochter. Diese Mistkerle wissen, dass sie verletzt ist.«
»Nur, dass sie sich nicht aufs Suchen beschränken. Uns kam zu Ohren, dass sie einzelne Schattenwesen angegriffen haben.«
»Glaubst du, die Tauben hielten die Opfer etwa für Wächter?«
Belial schüttelte nur den Kopf. »Dann wären sie wirklich dämlich. Also noch dämlicher als üblicherweise. Kein Wächter würde sich von einem plumpen Throne entlarven lassen. Nein«, er schüttelte nochmals den Kopf, wobei sich ein paar silbergraue Strähnen an seinen gekrümmten Hörnern verfingen. »Die Scharmützel zielen darauf ab, unsere Moral zu schwächen und Unruhe zu stiften.«
»Habt ihr die Warnungen noch nicht versandt?«
»Sie sind noch am selben Tag von den Boten überbracht worden.«
»Aber?«
Belial setzte zu einer Antwort an, aber es war Mephistopheles, der mit der Faust auf den Tisch schlug. »Ihnen ist die Sache scheißegal! Diese Dummköpfe denken, es wäre nicht mehr als sonst. Kleine Gefechte zwischen den Rängen. Sie verstehen den Ernst der Lage einfach nicht. Idioten!« Erneut schlug er mit seiner Pranke auf den Tisch. Der Stein gab ein unwilliges Knirschen von sich. »Als hätten sie alle einen verdammten Todeswunsch!«
»Beruhig dich Mephisto, du machst den Tisch kaputt.« Ruha verschränkte die Arme hinter dem Kopf und lehnte sich zurück. »Außerdem kannst du es ihnen kaum verdenken. Sie sind alle zu jung. Der große Krieg ist für sie zu nichts mehr, als einer Gruselgeschichte verkommen.«
»Wie wär's, Lucifer, du könntest ihnen mal einen Besuch abstatten.« Leviathans Grinsen ließ ihn erahnen, was sich der Herr der Unterwelt von solch einem Besuch versprechen konnte. Nasse Hosen, stinkende Angst und sein General in der ersten Reihe.
»Ihre Einstellung wird zum Problem werden, sobald es zum Schlimmsten kommt.« Einem Schatten gleich löste sich Caym von der Wand und trat neben Lucifer. Ein wenig belustigt beobachtete dieser, wie die Höllengeneräle verstummten. Er wusste, dass ihre Reaktion mehr auf Überraschung beruhte, als auf wirklichem Respekt. Der Todesengel stand im Rang unter ihnen und allein, dass er ihn an diesem Treffen hatte teilnehmen lassen, stieß so manchen seiner Freunde sauer auf. Manchmal waren sie schon ein eifersüchtiges Pack. Wäre die Situation nicht so ernst, würde er sich darüber freuen, sie mal wieder erfolgreich geärgert zu haben. So jedoch …
»Wenn wir Maria ausschalten können, wird das kein Problem mehr sein«, warf Ruha ein und fixierte den Todesengel mit kühlen, schwarzen Augen.
»Das ist ein großes wenn.« Caym erwiderte den Blick der Dämonin. »Im Grunde tun die Tauben nichts anderes, als wir es ebenso bei Lapis versuchen. Wir verstecken sie, säen falsche Gerüchte und lauern auf den Tag, an dem sie ihr Menschsein weit genug abgelegt hat, damit wir sie zu uns holen können. Anders als bei Lapis, besteht bei Maria jedoch die große Chance, dass diese sich artig in Watte packen lässt.«
»Mein Kind hat eben Charakter.« Lucifer zuckte bei den Worten des Todesengels nur leicht mit den Schultern. Was erwarteten sie bei solchen Eltern? Lilith, seine wunderschöne, heißblütige Gefährtin, hatte lieber Verbannung und Tod gewählt, als sich zu Adams williger Zuchtstute machen zu lassen. Und er, ihr Vater, war voller Hass und Rachsucht in einen nie dagewesenen Krieg gezogen. Nahm man das alles zusammen, konnte seine süße Lapis wirklich nichts gegen ihre rebellische Ader.
»Es würde ihr und uns guttun, wenn sie davon etwas weniger hätte.«
»Achte auf deine Worte, Todesengel!« Ruha fletschte förmlich die Zähne. »Oder ich reiß dir deine vorlaute Zunge raus!«
»Genug ihr zwei.« Er warf seinen Freunden einen scharfen Blick zu. »Hört auf euch wie zwei Imp um Küchenabfälle zu streiten.«
»Aber …«
»Gibt es inzwischen Hinweise zu ihrem Aufenthaltsort?« Vine unterbrach Ruha und warf ihr einen warnenden Blick zu. Es gab Wichtigeres zu besprechen, sagte dieser Blick. Den Todesengel konnte sie auch später noch rupfen. Lucifer seufzte und warf einen hilfesuchenden Blick an die Decke. Was gäbe er nicht für einen kleinen Angriff auf seine Grenzen. Ein paar Dutzend Engel, die er schmoren könnte, würden seine Laune wirklich heben. Engelsblut hatte einfach diese Wirkung auf ihn.
Belial schüttelte nur den Kopf. Es gab keine. Die Engel hüteten sich davor, Fehler zu machen, und Marias dreckige Magie trug ihren Teil dazu bei. Am liebsten würde er Mephistopheles Beispiel folgen und den Tisch in seine Einzelteile zerlegen, doch der warnende Blick von Ruha ließ ihn nur verärgert mit den Flügeln rascheln. Diesen Tisch schien sie diesmal noch mehr zu lieben, als den Letzten. Den hatte er, außer sich vor Zorn, zertrümmert, als er erfahren hatte, dass seine Lapis diesen dummen Handel mit dem Seraph eingegangen war. Ruha hatte damals fast zwei Wochen nicht mehr mit ihm geredet. Dabei hätte es schlimmer kommen können. Mephistopheles wurde von ihr, wegen eines ähnlichen Vergehens, einst fast ein Jahrzehnt geschnitten.
»Shunthothe …«, Lucifer fragte sich, ob er der Einzige war, welcher die Verachtung in der Stimme des Todesengels bemerkte. » … ist noch immer auf Spezialmission, um sie zu finden. Unter dem Schutz des Striga dürfte ihr vorerst keine Gefahr drohen.«
»Wenn sie nicht türmt.«
»Wenn sie nicht türmt«, wiederholte Caym und verzog leicht die Mundwinkel. Fast hätte Lucifer aufgelacht. Mit ihrer sturköpfigen Art waren sich der Todesengel und seine Tochter durchaus ein wenig ähnlich. Und sie hatte definitiv einen bleibenden Eindruck bei ihm hinterlassen. Nicht durch den magischen Schlag, den er hatte einstecken müssen. Nein, das war für ihn kaum ein Kratzer gewesen. Schmerzhaft, aber nichts, was seiner Magie ernsthafte Probleme bereitet hätte. Es lag allein an der Tatsache, dass sie trotz aller Widrigkeiten bis zum Ende bereit gewesen war, den Engeln die Zähne zu zeigen.
Es war sehr, sehr lange her, dass der Himmel nach Angst gerochen hatte.
»Caym, du wirst Shunthothe noch zwei weitere Todesengel an die Seite stellen. Konzentriert euch auf diese Stadt.«
»Ihr glaubt, sie ist noch hier?«
»Ich weiß es sogar.« Seine roten Augen wurden kalt. »Lapis hat mir erzählt, dass Maria denkt, sie wäre besessen«. Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem freudlosen, unterkühlten Lächeln. »Und wenn die Engel ihr Püppchen unter Kontrolle halten wollen, dann werden sie alles tun, um dieses Lügenmärchen noch eine Weile aufrecht zu halten.«
Und wenn sie dieses Mädchen fanden, dann würde er höchstselbst dafür Sorge tragen, dass für tausend Jahre kein Gras mehr an der Stelle wuchs, an dem sie zugrunde ging.
»Astaroth bitte schick du noch einmal Warnungen an die Fraktionen der Schattenwesen.« Er warf seinem General einen Seitenblick zu. »Und diesmal sorg dafür, dass sie es auch ernstnehmen!«
»Sehr wohl.«
»Und was ist mit uns?«
»Ist das nicht klar?« Lucifer erwiderte Ruhas gefährliches Lächeln. »Ihr holt mir dieses Ungeziefer aus der Luft.«

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Publication Date: 06-10-2021

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