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Prolog



Feuer und Rauch fraß sich immer höher.
Blitze zuckten durch pechschwarze Wolken und blutiger Regen viel auf die Erde.
Schreie schwangen in der Dunkelheit des aufkommenden Tages, ließen jene die es hörten nie mehr vergessen.
Doch kein Wesen auf Erden erkannte das wahre Geschehen. Niemand ahnte, was sich wirklich zutrug, hoch über den sich türmenden Wolken.
Keiner sah, woher der blutige Regen kam.
Und niemand konnte den Ursprung der Schreie erkennen.
Den hoch über den Wolken tobte ein Krieg, welcher wohl der grausamste und bitterste war, welcher je diese Welt berührte.
Denn es war ein Krieg zwischen den Engeln.
Und so stürzten sie mit Schwertern und Magie aufeinander und schlugen sich die reinen Flügel ab, bis die Wolken rot und schwer waren von ihrem Blut. Der Anführer der rebellierenden Engel war einer der ältesten.
Der Erste.
Sein Haar glänzte wie gesponnenes Mondlicht, seine ernsten Augen schienen aus flüssigem Gold gemacht. Dieser Engel hieß Lucifer und war der Schönste unter allen. Doch nun blickten seine Augen lodernd vor Zorn, während er mit harten Schlägen seine einstigen Freunde niederstreckte.
"Verräter!!!" erscholl eine Stimme, mächtig wie Donnergrollen. Blitze zuckten aus dem Himmel. Blut spritzte als zwei seiner Kameraden von ihnen durchbohrt worden. Schreiend gingen sie zu Boden.
"Du bist der Verräter," rief Lucifer zurück und riss das Schwert hoch um den nächsten Blitz abzuwehren. Funken sprühend glitt er an der glänzenden Seraphenklinge ab und stobt in die Reihen der Engel. Mähte Freude wie Feind mit grausamer Schönheit nieder.
Weitere Lichtblitze. Schmerz und Bäche aus Blut.
Die Reihen der Kämpfenden lichtete sich.
„Warum hast du dich von mir abgewannt Lucifer?,“erscholl die Stimmer erneut. „Du warst der Erste unter meinen Hütern. Der schönste Engel und mein Vertrauter."
"Eine Welt wie du dir erhoffst wird nie in Erfüllung gehen.„
"Doch sie wird. Ändere deine Meinung Lucifer oder du wirst mit den anderen Verrätern untergehen.“
Raschelnd entfaltete er die reinweißen Schwingen und flog hoch in die Wolken. Durchbrach den schwarzen Dunst und fluchte, als eine scharfe Klinge ihm den Arm aufriss. Blut benetzte die strahlenden Flügel.
"Verräter" erklang wieder die Stimme und diesmal sah man ihren Träger. Ein weiterer Engel, doch nicht mit weißen, sondern mit Flügeln wie aus Bergkristall und einer solch machtvollen Signatur, das sie Lucifer förmlich blendete. In seiner rechten Hand hielt er ein Schwert. Die Klinge benetzt mit seinem Blut.
"Gib auf Gott. Deine Zeit ist vorüber."
"Sie wird nie vorüber sein, Sünder“, war die Antwort und schon krachen diese zwei mächtigen Wesen mit wirbelnden Klingen aufeinander. Funken sprühten und flogen wie Sterne in den Rauch verhangenen Himmel als wollten sie diesen gar Konkurrenz machen.
Doch es gab keine Sterne in dieser Nacht. Nur Schmerz, Blut und Tod.
Wieder trafen die Schwerter aufeinander. Gottes goldene Augen verengten sich und Blitze zuckten herab und regneten auf den rebellierenden Engel.
Blut rann aus der Vielzahl seiner Wunden über das weiße Gewand. Der Herr des Himmels nutzte Lucifers schwäche und schlug ihm einen Flügel ab. Kraftlos sackte dieser auf die Knie. Gott ragte siegreich über ihm auf, das eigene gewandt immer noch weiß und rein wie frisch gefallener Schnee.
"Für deinen Verrat wirst du und deinesgleichen bezahlen. Ihr werdet aus dem Himmel verbannt. Verhasst von uns und der Welt. Euer Name soll nur Leid und Angst bringen. Gemieden von jedem Wesen sollt ihr sein. Nie mehr sollt ihr die Farbe des Himmels tragen.“
Lucifer blickte herab und sah wie seine Armee, unter der übermacht der Engel unterging, und sah mit Hass erfühltem Blick zu Gott auf.
„Niemals wirst du mich besiegen können."
„Das habe ich schon."
Lucifer brüllte, als die Wolken sich unter seinen Füßen auftaten und er fiel. Verzweifelt schlug er mit seinem verbliebenem Flügel doch es war aussichtslos. Auch andere Engel vielen aus dem Himmel und ihre entrissenen Federn folgten ihnen langsamer als würden sie noch immer zum Himmel hinauf streben und nur widerwillig ihre einstige Heimat verlassen wollen. Und mit jedem Meter, den er stürzte, wurde sein Flügel dunkler. Erst so rot wie der lodernde Hass in ihm und schließlich gar so schwarz wie sein Herz. Seine Augen einst so sanft wie flüssiges Gold, wurden rot wie das frisch vergossene Blut seiner Kameraden. Und seine Haare, heller als gesponnenes Mondlicht, wurden rot und schwarz wie die besudelten Wolken über ihm.
Sein Fall endete schließlich in einer Schlucht voller dornenspitzer Felsen. Nur wenige der Gefallenden überlebten den Sturz und hievten ihre zerschmetterten Körper auf. Lucifer blickte hinauf zum Himmel und hob die Hand. Es war ein Zeichen. Ein Zeichen an Gott, welches zeigen sollte, dass noch lange nichts entschieden war. Nicht solange noch der brennende Hass durch seine Adern floss.
"Lucifer."
Ein Engel, dessen kräftiger Oberkörper von tiefen Schnitten verunstaltet war, schleppte sich zu ihm rüber. Sein Atem ging pfeifend.
„Lucifer“, wiederholte er erneut. "Führe uns zum Sieg gegen Gott. Führe uns in eine Zeit in der wir die Herrschaft erlangen und nicht der Himmel“.
Der Ruf wurde von vielen aufgenommen, doch der gefallene Engel selbst konnte diese Zuversicht nicht teilen. Ihre zerstörten Flügel würden ihnen jegliche Freiheit nehmen. Doch einer der gefallenen Engel erhob sich und deutete auf die Leichen der anderen.
"Ihr Leben ist noch immer an ihren Körper gebunden, jetzt da Er ihnen das Weitergehen verwehrt. Lasst uns ihre Flügel nehmen und ihren Kriegswillen mit uns tragen bis ihre Seelen ihre Rache bekommen haben und Frieden finden".
Und so kam es das Sie den Leichen der Gefallenen die Flügel nahmen. Ihre innerliche Magie ließ sie wieder an der Stelle ihrer Fehlenden anwachsen. Und mit den Flügeln nahmen sie auch den Hass und die Macht der Toten in sich auf. Lucifer rief die Überlebenden zusammen und schaffte ihnen eine Welt weitab des Himmels in den Tiefen des Gesteines. Zwischen sengendem Magma und Schwarzem Fels errichtete er sein Reich.
Das Reich der Gefallenden und Verstoßenden.
Die Unterwelt.
Die Hölle.
Und von dort aus säte er Zwietracht und Missgunst unter den friedfertigen Wesen dieser Welt und kämpft seit jener Zeit mit Gott und den weiß-gefiederten Engeln über die Herrschaft der Erde. Denn sein Ziel, die Welt unter schwarzen Flügeln zu begraben, gab er nicht auf. So vermehrten sich diese gefallenen Engel und trugen seither den Namen der Dämon und Teufel. So waren es Verführer der Menschen mit bösartigen Zungen und zwieträchtigen Stimmen. Gott tat alles um seine Macht zu festigen und doch herrschte fortwährend Krieg zwischen dem Herrscher des Himmels und dem Heer der Finsternis. Bis eines Tages ein Funke genügte, um den Himmel erneut in blutrote Tränen zu tränken.

1. Mitternacht

 

 



»Ruby!…...Ruby !......RUBINIA!«
»Hngg!?«
Ich hob träge den Kopf vom Arm und sah meine beste Freundin Viktorica an. Es gab sicher einen wunderbar triftigen Grund, weshalb sie mich gerade so eindringlich betrachtete. Ich kam nur absolut nicht darauf.
»Miss Edens, ich hoffe Sie haben die Ruhe ihres kleinen Nickerchens genossen.«
Sofort hellwach lächelte ich meinen Religionslehrer an.
»Ich würde nie in Ihrem Unterricht schlafen. Was denken Sie von mir? Ich kann aber mit geschlossenen Augen besser Nachdenken.«
»Dann lassen Sie uns doch einmal an Ihren geistigen Errungenschaften teilhaben.«
»Ähmm …«
»Ich erwarte von Ihnen bis zur nächsten Stunde einen zehnseitigen Aufsatz über das Thema dieses Films.«
Die Tatsache, dass er all dies mit einem freundlichen Lächeln sagte, machte es auch nicht besser. Wieso schaffte ich es eigentlich jedes verfluchte Mal in Religion einzuschlafen? Ich meine es gab bei weitem langweiligere Fächer … Physik zum Beispiel. Kein Wunder das Herr Loreken langsam die Geduld mit mir verlor ….
»Also. Was meint Ihr dazu?«
»Wozu? Dass Ruby mal wieder Strafarbeiten bekommt?«, bemerkte der Junge zwei Reihen vor mir und erntete allgemeines Gelächter. Sein Name war Tobias und er war so was wie der Anführer der Jungen hier. Was also hieß, dass er der König der Idioten war. Mögen alle Idioten vor ihm niederknien.
»Man sollte geistige Duelle vermeiden, Tobi, besonders wenn man unbewaffnet ist.«
»Genug ihr zwei«, ermahnte Herr Loreken streng. »Natürlich meine ich den Krieg der Engel. Findet Ihr, dass unser Herr richtig gehandelt hat?«
»Also ich denke, dass er gerecht war. Er hat nach seinem Sieg die Überlebenden nur verstoßen. Er hätte sie auch alle umbringen können.«
»Sehr gut, Miss Fourel. Ja, es stimmt. Er hat sie verschont, obwohl er sicher wusste, dass Lucifer, oder Satan, niemals nachgeben würde in seinem Plan ihn zu stürzen.«
»Aber er hat sie aus dem Himmel geworfen, hunderte Meter in die Tiefe. Wer sagt denn, dass er nicht gedacht hat, dass sie dabei draufgehen?«
»Miss Edens, … Gott ist ein Wesen voller Güte. Er würde niemals eine Seele verdammen, solange es noch Hoffnung gibt.«
»Sie alle aus ihrer Heimat zu verdammen spricht aber auch nicht gerade von großer Kompromissbereitschaft.«
Viki stieß mich grob in die Rippen, sodass es mich ehrlich wunderte, dass sie mir bisher noch nichts gebrochen hat, aber ich schwöre es, irgendwann schaffte sie es sicher.
Gerade wollte der Lehrer zu einer weiteren Erklärung ansetzen, als die Klingel ihn unterbrach. Sofort wurden Sachen zusammen gepackt und niemand, einschließlich Viki und mir, verschwendete auch nur noch einen Gedanken an gefallene Engel, Dämonen oder was auch immer für Zeug. Es war einfach ein viel zu schöner Tag, um über eine Apokalypse zu sprechen. Bevor ich den Raum verließ, konnte ich gerade noch sehen, wie Herr Loreken den Kopf schüttelte und einen wehmütigen Blick an die Decke warf. Jede Wette, dass er Gott gerade fragte, womit er das alles verdient hatte. Na ja, wie sagten sie uns immer? Gott wusste jede Tat zu schätzen. Sicher würde mein Lehrer nach seinem Ableben einen Platz auf einer Wolke bekommen. Weit weg von der ungläubigen Schülerschar.
»Klappt das mit heute Abend?«
Ich wandte mich wieder meiner Freundin zu und hakte mich bei ihr unter.
»Klar, niemand würde meine Familie davon abhalten, zu dieser Premiere zu gehen.«
»Wieso gehst du eigentlich nicht mit hin?«
»Erwartest du ernsthaft, dass ich mir Fausts Neuaufführung antue? Ich fand die Alte schon grauenvoll. Die haben so viel geändert, dass es mit dem Stück nicht mal mehr groß was zu tun hat. Ich meine, kürzen ist ja gut und schön, aber dann bitte die Teile, die eh egal sind.«
»Du überforderst mich …«
Ich lachte und zog sie weiter. An die Blicke der Schüler hatte ich mich schon lange gewöhnt. Ein wenig konnte ich sie sogar verstehen. Viki und ich waren wie Sonne und Mond. Grundverschieden und doch unzertrennlich.
So glich Viktorica mit ihren langen, blonden Haaren, den sanften blauen Augen und der reinen, fast bleichen Haut einer Porzellanpuppe. Ihr liebevolles Wesen, sowie ihre freundliche, unkomplizierte Art brachten ihr viele Freunde ein. Die Typen an dieser Schule schienen es als persönliche Kränkung zu betrachten, wenn Viki nicht mindestens drei Liebeserklärungen am Tag bekam. Dass sie bisher alle ausgeschlagen hatte zeigte zudem, dass sie kein hirnloses Blondchen war.
Ich hingegen war da anders. Während Viki den Glanz eines sonnigen Frühlingstages besaß, konnte ich mich höchstens mit einer Neumondnacht vergleichen. Während ihre Haare gesponnenem Gold glichen, waren meine rabenschwarz. Sanft und zurückhaltend waren zudem sicher die letzten Worte, mit denen mich meine Familie beschreiben würde. Die Ersten wären so etwas wie hitzig und aufbrausend.
Um es auf den Punkt zu bringen, wo Viki der Prinzessinnen-Typ war, war ich eher die Räubertochter. Unzähmbar und um nichts verlegen. Na gut, sagen wir um fast nichts.
»Sag mal Ruby, wolltest du nicht mal ohne die Teile kommen?«
»Hng? Oh … ja, ich sagte aber nicht wann, oder?«
»Nein«, sie seufzte tief. »Aber ich finde, du musst sie nicht verstecken. Sie machen dich besonders.«
»Besonders was … mhn.«
Viki redete natürlich von meinen Augen. Jeder der mir nur einen kurzen Blick zuwarf, würde sagen sie waren braun. Unscheinbar, normal. Vielleicht würden manche noch einen Grünschimmer darin entdecken, wenn das Licht in einem ganz besonderen Winkel auftraf. Doch niemand würde ahnen, dass es lediglich farbige Kontaktlinsen waren. Und auch Viki wüsste es nicht, wenn sie es nicht ein Mal durch Zufall gesehen hätte.
Denn meine Augen waren rot.
Rot wie die untergehende Sonne an einem heißen Sommertag.
Es war ein seltener Fall von Albinismus. Bei einem reinen Albino besaßen Haare, Haut sowie Augen nicht die geringste Spur von Pigmenten. Genau so wie bei den süßen Kaninchen in der Zoohandlung. Bei mir war es aber ein klein wenig anders. Meine Haare waren schwarz und nein, ich hab sie nicht gefärbt. Ich war das was die Fachwelt als Halbalbino bezeichnete. Soweit ich wusste, war ich zurzeit die Einzige, die sich damit herumplagen konnte. Das war allerdings nicht der Grund dafür, dass ich Kontaktlinsen trug, es war eher, dass meine Augen dunkler waren als normal. Es machte die Leute nervös, wenn sie mit mir redeten.
»Wann bist du dann heute Abend da?«
»Mnhhh. Gegen sieben. Dann können wir noch was kochen, bis der Film anfängt.«
»Das heißt, du hast es immer noch nicht aufgegeben unsere Küche völlig zu zerstören?«
»Das war ein Unfall!«
»Ja, ja.«

 


Nach einer knapp zehn minütigen Fahrt mit dem Rad, war ich endlich zu Hause. Das altertümlich wirkende Gebäude im Landhausstil war einmal die reinste Ruine mit dem Charme einer vollen Mülltonne gewesen. Ein gutes Jahr hatte es gedauert um es zu dem zu machen, was es heute war. Ein Jahr, in dem wir oft Vater für seine Schnapsideen verfluchten und uns über jeden noch so kleinen Erfolg gefreut hatten.
»Willst du da anwachsen, Ruby?«
Ich blickte auf und sah meinen großen Bruder lässig am Türrahmen lehnen. Er war wohl das, was man als einen Mädchenschwarm bezeichnete. Das Lustige daran war, dass er nicht einmal irgendwas dafür tat, um sich diesen Titel zu verdienen. Aber vielleicht genügten ja seine unordentlichen akazienbraunen Haare, die hellblauen Augen und ein durchtrainierter Körper um idiotische Mädchen in einen Haufen sabbernder Hormone zu verwandeln. Ich beglückwünschte mich innerlich dafür, dass ich von solchen Rückentwicklungen bisher verschont geblieben war und grüßte ihn.
»Was machst du hier, David? Du willst sicher nicht nur das Begrüßungskomitee für deine Lieblingsschwester spielen.«
»Nun, erstens hab ich nur eine Schwester und diesbezüglich, unglücklicherweise, keine große Auswahl und zweites hat mich Mutter geschickt.«
»Und was will sie?«
»Ich glaube, du sollst ihr helfen was Passendes für heute Abend zu finden.«
»Oh mein Gott, das kann Stunden dauern.«
Mitleidlos zuckte mein lieber Bruder mit den Schultern. Ich konnte ihm deutlich ansehen, wie glücklich er darüber war, das nicht ertragen zu müssen.
»Dir fällt nicht spontan eine gute Ausrede ein, oder?«
»Dann sag doch einfach zum ersten Outfit ja.«
»Himmel! Verstehst du eigentlich irgendwas von Frauen? Wenn ich das tue, zieht sie noch hundert andere Outfits an, um einen Vergleich zu haben. Sage ich, das es scheiße aussieht oder schlage etwas vor, muss sie auch da andere Kombinationen testen. Wenn ich dann noch richtig großes Pech habe, kommt sie auf die Idee, dass in dem Laden, mindestens drei Stunden von hier entfernt, etwas hing, was ihr gefallen hatte. Dann werde ich dahin auch noch geschleppt mit dem sicheren Ende, das es a) nicht mehr da ist, oder b) doch nicht so toll war wie in ihrer Erinnerung. Am Ende zieht sie dann das an, was sie zuallererst probiert hatte.«
»Könntest du das ab der Mitte noch mal wiederholen?«
Ich stöhnte genervt und ging an ihm vorbei ins Haus. Grinsend folgte er mir in die Küche, wo ich einen Blick in den Kühlschrank warf.
»Im Grunde kann ich machen, was ich will. Wenn ich erst mal in ihren Klauen bin, lässt sie mich erst wieder gehen, wenn ihr los müsst.«
»Da hat man ja richtig Mitgefühl mit dir.«
»Tu nicht so.« Ich warf eine Packung Scheibenkäse nach ihm. Natürlich fing er sie mit der gleichen Lässigkeit auf, die mich in den Wahnsinn trieb.
»Weißt du was, David? Ich schlag ihr einfach vor, dass du eine viel größere Hilfe wärst. Mit den richtigen Worten bringe ich sie sicher dazu mir zuzustimmen, dass die Meinung eines jungen Mannes ein viel größeres Gewicht hat.«
Schneller als ich Mode sagen konnte stand David vor mir und hielt mich am Arm fest. »Das wagst du nicht!«
»Willst du es testen?«
Bevor sich diese kleine Auseinandersetzung vertiefen konnte, hopste mein Vater in dezent chaotischem Zustand in die Küche. Sein Jackett war falsch zugeknöpft, auf unerklärliche Weise trug er nur eine Socke, die farblich absolut gar nicht zu seinem Totengräberoutfit passen wollte und versuchte sich, allem Anschein nach, gerade mit seiner Krawatte zu erdrosseln.
David und ich tauschten einen Blick, der mehr aussagte als eine stundenlange Predigt des Papstes, bevor ich meinem Vater zu Hilfe eilte. Manchmal fragte ich mich wirklich, wie Mutter sich in so einen Chaoten verlieben konnte. Besonders, da sie das absolute Gegenteil zu ihm war.
»Lass mal Dad, bevor du dir noch wehtust.«
»Danke mein Schatz. Hey David, willst du dich nicht auch langsam mal fertigmachen?«
»Wir haben noch gut drei Stunden …«
»Ich hab ja auch langsam gesagt.«
David warf mir nur einen weiteren vielsagenden Blick zu und verschwand. Eine halbe Minute später hörte ich, wie die Tür zu seinem Zimmer ins Schloss fiel. Na wenigstens war einem von uns die Flucht gelungen. Innerlich vor mich hin grummelnd knöpfe ich meinem Vater das Jackett richtig, band seine Krawatte und machte ihn auf die einzelne Socke aufmerksam.
»Dank dir Liebes. Sag mal, du weißt nicht zufällig, wo meine Schuhe sind?«
Ich grinste. »Versuchs mal im Kleiderschrank.«
Keine Minute später hörte ich, wie Mom über ihn herfiel. Damit war ich wohl erst mal aus der Schusslinie. Vielleicht sollte ich jetzt ein schlechtes Gewissen haben, da ich meinen Vater in die Höhle des Löwen geschickt, oder ihn besser hineingestoßen hatte. Aber irgendwie wollten und wollten sich die Schuldgefühle einfach nicht einstellen. Ich wartete noch eine Minute, aber nichts. Grinsend schnappte ich mir eine Schale Pudding und stieg die Treppe hoch.
»Schon mal was von Anklopfen gehört?«, bemerkte David als ich, wie so oft, einfach in sein Zimmer spazierte und mich aufs Bett setzte.
»Du bist nur mein Bruder.«
»Ich hätte ja auch nichts anhaben können.«
»Mhh, gutes Argument. Vielen Dank, dass du dich um mein Augenlicht sorgst.«
»Dann hättest du aber wenigstens einmal in deinem Leben so etwas gesehen. Ich hab die Hoffnung ja schon längst aufgegeben, dass du jemals einen Freund bekommst. Nein warte, es gibt immer noch die Chance, dass du jemanden mit sehr geringen Anforderungen findest.«
»Treib es nicht zu weit.« Ich funkelte ihn wütend an und schob mir einen Löffel Pudding in den Mund. Manchmal hatte er so ein Glück mein Bruder zu sein. Diese Stellung verschaffte ihm das Privileg solche Aussagen zu überleben.
»Wenn du weiterhin so viel futterst, wirst du fett wie ein Schwein.«
»Wenn du weiterhin am Leben bleiben willst, dann solltest du den Mund halten.«
»Oink.«
»Jetzt reicht es! STIRB!«
Wütend sprang ich ihn an. Damit hatte er anscheinend nicht gerechnet, obwohl er es sicher besser hätte wissen müssen. Mit einem dumpfen Poltern landeten wir auf dem Boden. Unglücklicherweise besaß mein lieber Bruder einen winzigen Vorteil, der ihn in einem Gerangel dieser Art überlegen machte.
Er war ein Kerl.
Die körperliche Überlegenheit und wirklich nur die, sorgte dafür, dass er mich keine zehn Sekunden später auf dem Boden festnagelte.
»Wie oft willst du das eigentlich noch probieren? Langsam müsstest selbst du begriffen haben, dass du mir unterlegen bist.«
»Die Hoffnung stirbt zuletzt.«
Schweigend hob er eine Augenbraue und beobachtete meine fruchtlosen Versuche mich von ihm zu befreien.
»Was machst du eigentlich, wenn das ein Fremder tut? Glaubst du der ist so nett wie ich. Obwohl ich mir darum sicher keine Sorgen machen muss. Kleines Schweinchen.«
Wütend funkelte ich diesen Mistkerl an. Wieso musste ich eigentlich mit so etwas verwandt sein? Dann fiel mir etwas ein …
»Wieso lächelst du?«
»Schau.«
Gelangweilt sah er zur Seite. Ich grinste und warf die Puddingschüssel nach ihm. Die Tatsache, dass sie das Gerangel heil überlebt hatte, war wirklich nur auf meine fabelhaften Fähigkeiten zurückzuführen. Leider war dies das Ende ihrer Existenz.
Armer Pudding.
David hatte keine große Chance ihm auszuweichen, da er mich immer noch auf dem Boden festgenagelt hatte und so traf die Schüssel genau ins Schwarze. Knurrend schüttelte er den Kopf und die braune Creme dekorierte einmal gründlich sein Zimmer. Ich nutzte seine Unaufmerksamkeit und wandte mich aus seinem Griff.
»SIEG!«
Schon lag ich wieder auf dem Boden.
»Drehe deinem Feind niemals den Rücken zu, wenn du ihn nicht wirklich fertiggemacht hast.«
Trotz meiner Anstrengungen gelang es mir nicht, mich noch einmal zu befreien. Murrend sah ich ihn an. »Unentschieden.«
»Unentschieden?«
»Okay, du Mistkerl. Du hast gewonnen.«
»Geht doch.«
Er ließ mich los und ich setzte mich auf. »Musst du immer so grob sein? Kein Wunder, dass du keine Freundin bekommst.« Ich sah ihn vorwurfsvoll an und rieb mir mit einem Mitleid erhaschendem Schniefen die Handgelenke. Dabei war es nicht einmal so, dass er mir wirklich wehgetan hatte. Das tat er nie. Aber das musste ich ihm ja nicht direkt auf die Nase binden.
»Zeig mal.«
Während er sich meine Handgelenke besah lächelte ich leicht. Würden die Mädchen auch noch diese Seite an ihm kennen, könnte er sich wohl überhaupt nicht mehr retten.
»Was ist nun schon wieder? Du hast doch nicht noch ne Portion, oder?«
»Nein. Ich hab dich lieb.« Ich knuddelte ihn, wobei ich jedoch aufpasste mich nicht mit dem klebrigen Zeug vollzusauen.
»Was ist das jetzt wieder? Hast du was ausgefressen?«
»Wieso glaubst du eigentlich, dass ich immer etwas will, wenn ich mal nett zu dir bin?«
»Weil das meistens der Fall ist.«
Beleidigt drehte ich den Kopf beiseite und stand auf. Sein amüsierter Blick war mir nicht entgangen. Das war immer so. Und so zog ich ihn auf die Füße, als er mir die Hand reichte.
»Du solltest lieber Duschen gehen. Na, wer von uns ist jetzt das Schweinchen?«
»Was hab ich nur getan, dass ich dich verdient habe?«
»Hast schon Recht. Ich bin viel zu gut für dich.«
David seufzte, wie ein ausgebrannter Familienvater von mindestens vierzig Jahren und schmierte mir Pudding auf die Nase. »Deinetwegen darf ich noch mal duschen.«
»Das tut mir aber leid. Aber sieh es positive. Milchprodukte sollen wahre Wunder bei den Haaren bewirken.«
Bevor er auf die Idee kam, sich zu rächen, flüchtete ich mich in mein Zimmer und schloss die Tür. So würde ich eventuellen Racheakten entgehen, obwohl er jetzt sicher erst einmal eine Weile damit beschäftigt war, das süße Zeug aus seinen Haaren zu kratzen.
Vor mich hin grinsend warf ich einen Blick auf die Uhr. Viki würde in ungefähr zwei Stunden hier sein. Das gab mir noch genug Zeit meinen, nicht ganz freiwilligen, Aufsatz zu schreiben. Oder wenigstens damit anzufangen …
Zehn Seiten waren wirklich übertrieben.
Ich seufzte tief und betrachtete das weiße Blatt Papier, als mir aufging was die ganze Sache hier zu einem kleinen Problem werden ließ.
Ich hatte absolut nichts von diesem Film mitbekommen!
Hätten wir vorher nicht so ein Arbeitsblatt bekommen, wüsste ich nicht einmal, wie der Titel hieß. Frustriert ließ ich den Kopf hängen. Das war also der Plan dahinter gewesen. Mich hatte es schon gewundert, dass Herr Loreken sich nicht einmal auf die übliche Diskussion eingelassen hatte.
»Also muss ich ihn mir doch angucken.«
Mit ungefähr so viel Begeisterung wie ein Verurteilter der zum Henker ging, schaltete ich meinen Computer an und googelte nach dem Film. Meine heimliche Hoffnung, dass er nicht auf Youtube war, wurde zunichtegemacht.
»Ist denn alles gegen mich?«
Wie zur Bekräftigung fand ich keinen einzigen noch so kleinen Eintrag der mir eine Zusammenfassung des Filmes liefern konnte. Das Einzige, was ich wusste, weil es im Titel stand, war, dass es um Himmel und Hölle ging. Ach ja und wie die gefallenen Engel aus dem Himmel verbannt wurden. Hey, ich hatte ja doch mehr mitbekommen als ich dachte. Leider half mir das herzlich wenig. Und wie ich meinen Religionslehrer kannte, wollte er keine Zusammenfassung haben, sondern eine lang und breite Erklärung bezüglich meiner Meinung zu dem Thema.
»Ich will nicht …«
Mich in mein Schicksal fügend klickte ich den ersten Part an und hielt den Stift bereit, um mir Notizen zu machen, falls ich zwischendurch einen Geistesblitz haben würde. Zwei Stunden hatte ich, bevor Viki kam. Ich würde die Zeit nutzen.



»Ruby! Wir sind dann mal weg Liebes. Pass gut aufs Haus auf und denk dran, der Feuerlöscher ist unter der Spüle!«
Ich blinzelte zur Tür.
»Hng?«
Mein Blick wanderte weiter zum Wecker, welcher mir mit fröhlichen Leuchtziffern verkündete, dass es fünf vor sieben war.
»VERDAMMT, ICH BIN SCHON WIEDER EINGESCHLAFEN?!.«

 

 


Gereizt beobachtete ich Viktorica und wartete schon geschlagene fünfzehn Minuten, dass sie es endlich schaffte ihren Lachanfall auf die Reihe zu bekommen. Ich wusste es, ich hätte ihr nichts erzählen dürfen.
»Bist du bald mal fertig?«
Mühsam unterdrückte sie ihr Lachen und nickte. »Verzeih, aber das ist selbst für dich der Oberburner.«
»Ich mach das ja nicht mit Absicht. Vielleicht bin ich ja allergisch gegen Religion.«
»Klaaarrrrrr.«
Ich griff mürrisch nach der Einkaufstüte, welche Viki mitgebracht hatte, und warf einen Blick hinein. Allem Anschein nach, hatte sie ihre Drohung wahr gemacht. Sie wollte tatsächlich noch mal hier kochen. Nicht dass ich im Normalfall was dagegen hätte. Mich beunruhigte nur die Tatsache, dass sie bei ihrem letzten Kochversuch die halbe Küche niedergebrannt hatte. Klar, so was konnte passieren. Keine große Sache, wenn es nur zu heiß gewordenes Öl gewesen wäre, oder ein auf der Herdplatte vergessenes Handtuch. Das waren Unfälle die man einfach Pech nennen konnte. Viki hatte es jedoch geschafft, durch das bloße benutzen eines Mixers einen Großbrand auszulösen. War das nun Pech oder reine Unfähigkeit?
»Ich hab alles besorgt. Ich dachte daran, dass wir uns eine schöne Pizza machen.«
Das hieß sie wollte den Herd benutzen. Memo an mich selbst: Aufpassen! Nicht das am Ende noch das ganze Haus dran glauben musste. Meine Eltern waren zwar ziemlich tolerant, aber ich glaubte, dass ich es damit wohl endgültig schaffen würde ihren guten Willen überzustrapazieren.
»Klasse.«
Lachend zog Viki mich in die Küche. Während ich das Blech aus dem Schrank holte, räumte sie alles Mögliche an Zutaten raus. Neben dem normalen Zeug wie Tomaten, Paprika, Mais oder Salami förderte sie auch noch Scampi, Sardellen und Erdnussbutter aus der Tüte. Mit einem Blick auf die Erdnussbutter hob ich eine Augenbraue.
»Es ist lecker.«
»Viki, möchtest du mir vielleicht etwas sagen?«
»Quatsch. Ich sag ja auch nichts dazu, wenn du Philadelphia mit Nussnougatcreme isst.«
Schulterzuckend gab ich mich geschlagen. Es würde nichts bringen diese Ungläubige von dem göttlichen Geschmack von Philadelphia mit Nutella zu überzeugen. Man musste es einfach einmal probiert haben. Genau wie Obstgarten aufs Brot. Aber meine Probierfreude hörte auf, wenn man mir Erdnussbutter mit Fisch oder Gemüse andrehen wollte. Ich hab hatte auch meine Grenzen.
»Hast du schon entschieden, was wir uns ansehen wollen?«
»Wie wäre es mit Zombie Night 2?« Nachdenklich schlug sie mit dem Keramikmesser auf die unschuldige Tomate ein. »Oder Wrong Turn. Der soll auch gut sein.«
»Zombie Night 2? Ne Fortsetzung? Fortsetzungen sind immer scheiße. Schau dir Scream an.«
»Hellboy 2
»Der war nur gut, weil die Macher wussten, dass Fortsetzungen scheiße sind und was draus gemacht haben.«
Meine Freundin seufzte und verteilte das Gemüse auf dem Pizzateig. »Dann Anakonda? Oder The Cook
»Die Story in diesen ganzen Schlangen, Hai-, oder sonst was für Viecher-Filmen ist im Grunde auch immer dasselbe. Zu neunzig Prozent werden sie am Ende in die Luft gesprengt.«
»Statt die ganze Zeit zu sagen, was du nicht schauen willst, solltest du vielleicht selbst mal was vorschlagen.«
»Wie wäre es, wenn wir uns Friedhof der Kuscheltiere ansehen«
»Den alten Schinken?«
»Hast du ihn schon mal gesehen.«
»Nein, aber ich hab auf Gruselnet gesehen, dass er keine sonderlich guten Bewertungen hatte.«
»Vertrau mir. Stephen King ist ein Meister des Horrors. Zwar kommt ein Großteil der Filme nicht einmal annähernd an das Feeling im Buch heran, aber dieser ist richtig gut.«
»Na gut«, gab Viki schließlich nach. »Dann ist es beschlossen. Und danach bestehe ich auf Verliebt, verlobt, verrottet
»Abgemacht.«
Rundum zufrieden mit der abendlichen Planung nickten wir uns zu. Was gab es schöneres an einem Freitag, als einen Filmabend mit Pizza und der besten Freundin? Vielleicht die Tatsache, dass meine Familie nicht da war und wir uns so im Wohnzimmer breitmachen konnten. Das hieß nicht nur, dass der große Flatscreen in unserer Gewalt war, sondern auch Dolby Surround vom feinsten. Bujaaaa!
»Wie lange muss sie drin bleiben?«
Ich warf einen Blick auf die Packung und stellte den Timer des Backofens auf 30 Minuten bei 180 Grad. Dieser ganze Hightech-Kram konnte wirklich sehr praktisch sein.
»Ich hol dann nur noch das Knabberzeug aus dem Kel …« Oh! Telefon!
Mit wenigen Schritten schnappte ich mir mein Handy und sah aufs Display. »Du störst. Was willst du?«
»Mom bat mich nur darum mich zu erkundigen, ob die Küche, wahlweise das ganze Haus, noch steht.«
»Abgesehen von der Tatsache, dass Viki gerade brennend durchs Haus rennt, ist alles okay. Ich wollte sie gerade löschen. Aber mach dir keine Sorgen, wir sind doch gut versichert.«
»Ich hoffe für dich, dass das gerade Sarkasmus war.«
»Oh! Vielleicht sollte ich mich dann ja doch mit dem Löschen beeilen …«
Ich grinste, als David drohend ins Handy knurrte, dann ein Rauschen als anscheinend eine ganze Horde Menschen an ihm vorbeiliefen. »Das wird Mom sicher zutiefst beruhigen. Ich denke, in einer Stunde wird sie mich zwingen noch mal anzurufen.«
»Mh, dann könnte es zufällig sein, dass ich es nicht höre.«
»Tja, so was passiert schon mal.«
Kurz kabbelten wir uns noch am Telefon, bis er Schluss machen musste.
Während Viki schon mal in den Keller ging, um das Knabberzeug zu holen, packte ich das Handy ins Kühlfach und schloss die Tür. Da konnte es klingeln, bis es schwarz wurde. Ziemlich zufrieden mit der Lösung zur Beseitigung störender Nebengeräusche, holte ich zwei Schüsseln aus dem Schrank. Während Viki unsere Snackbar auffüllte, trieb ich aus den Untiefen unserer Schränke ein ganzes Bataillon an Getränken auf. Keine fünf Minuten später war alles für einen erfolgreichen Abend eingerichtet. Fehlte nur noch die Pizza.
Ungeduldig ging Viki vor dem Herd auf und ab.
Meinst du nicht wir, drehen einfach die Temperatur höher und verkürzen dafür die Zeit?«
»Nein.«
»Manoooo …«
Schmollend ließ sie sich auf den Boden plumpsen und taktierte die Pizza mit bösen Blicken. Als ob sie dadurch schneller gar werden würde. Manchmal zweifelte ich wirklich an uns. Wir mochten zwar achtzehn sein, aber benehmen taten wir uns selten so. Mich persönlich störte es nun nicht wirklich. Allerdings hatte eine Gemeinde von Menschen, die irgendwann einmal entschieden hatte, dass man mit achtzehn Jahren als erwachsen galt, etwas dagegen, wenn man sich nicht so einfügte. Da ich aber im Unterordnen nie wirklich gut war, ließ ich es bleiben. Ich tat nicht gerne so, als wäre ich jemand anders, nur um andere glücklich zu machen. Und wenn jemand damit ein Problem hatte, musste er es eben sagen. Es war nun eben so. Nur tote Fische schwammen mit dem Strom. Und ich hatte mich nun einmal dafür entschieden zu leben.
»Du, Ruby.« Viki´s Stimme riss mich aus den Gedanken.
»Hng?«
»Hat ...na ja … Also … hat Michael mal was über mich gesagt?«
»Nö. Was soll er denn ge …Oh! Das meinst du.«
Viki sah verlegen zur Seite und verbarg ihr Erröten hinter einem Vorhang aus goldblondem Haar. Es war, dass erste Mal, dass ich solch ein Verhalten bei ihr sah.
»Ich glaub, ich mag ihn.«
»Äh …«
Was sollte man auch in solch einem Moment sagen? Mir fiel gerade jedenfalls nichts Vernünftiges ein.
Michael war übrigens Davids bester Freund. Was hieß, dass er fast einen Hausschlüssel von uns hatte und ich ihn zu sechzig Prozent wohl als Bruder ansehen musste. Seltsam, dass meine Eltern noch nicht auf die Idee gekommen waren ihn zu adoptieren, so vernarrt wie sie in ihn sind. Zudem war Michael genauso beliebt bei den Mädchen wie mein lieber Bruder. Ich vermutete ja, dass es an diesen wunderschönen karamellfarbenen Augen lag, obwohl die langen dunkelbraunen Haare auch ihren Reiz hatten.
»Weißt du, ich komm mir total bescheuert vor, wenn er in meiner Nähe ist. Ich hab das Gefühl, ich rede dann nur Blödsinn.«
»Ist ja nicht so, als wäre das was ungewöhnliches.«
»RUBY!«
»Schon gut. Tut mir leid. Soll ich ihn mal für dich Fragen wie er dich findet?«
»Bloß nicht. Das hat ja was von der Grundschule wo man seine Freundin bittet, einem Jungen einen Zettel mit - willst du mit mir gehen - zu geben -
»Dann sag es ihm eben selbst.«
»Bist du verrückt?«
»Ein wenig, ja.«
Ich seufzte tief. Genau deshalb war ich froh, dass die liebe Liebe bisher einen weiten Bogen um mich gemacht hatte. Es erschien mir alles viel zu kompliziert. Und das konnte ich wirklich nicht gebrauchen. Ich hatte so schon genug zu tun, um nicht im alltäglichen Chaos unterzugehen. Wilde Hormone waren da wirklich das Letzte, was ich gebrauchen konnte.
»Nein, mal ernsthaft. Vielleicht solltest du es einfach mal langsam angehen. Wenn du dir sicher bist, dass du ihn wirklich liebst und nicht nur verliebt bist, kannst du immer noch zu ihm gehen.«
»Danke. Du sagst mir doch, wenn er was über mich sagt, ja?«
Lachend tätschelte ich ihr den Kopf. »Betrachte mich als internen Spion.«
Mit einem freudigen Lächeln knuddelte sie mich. Gott sei Dank rettete das energische Piepen des Backofens mein Leben, bevor Viki mich in ihrem Übermut noch zerquetschen konnte. Hatte sie überhaupt eine Ahnung wie stark sie war?
»Mach schon mal die DVD rein. Ich bin gleich da. Mit der Pizza.«
»Beeile dich, Ruby.«
Viki hopste aus der Küche um im Wohnzimmer den Rekorder zu massakrieren, während ich die Pizza aus dem Ofen holte und ihn ausschaltete. Gerade nahm ich ein Messer, um das Blech in handliche Stücke zu teilen, als sich mir die Nackenhaare aufstellten. Ein Gefühl, das mir eindeutig nicht behagte, jagte mir einen Schauer über den Rücken. Noch mit dem Messer in der Hand fuhr ich herum.
Niemand war hier.
Vorsichtig warf ich einen Blick in den Flur. Auch hier war nichts zu sehen.
»Viki?«
»Was?« Meine Freundin steckte ihren Kopf durch die Wohnzimmertür und war einen irritierten Blick auf das Messer in meiner Hand.
»Ähm … Nichts. Hat sich erledigt.«
Hab ich mir wohl nur eingebildet.
Viki zuckte mit den Schultern und verschwand wieder hinter der Tür. Ich blieb kurz wo ich war und wartete darauf, dass sich mein Unbehagen erneut meldete, doch nichts dergleichen geschah. Kopfschüttelnd wandte ich mich wieder dem Aufteilen der Pizza zu.
Wenige Minuten später hatten wir es uns vor dem Fernseher bequem gemacht, den Film eingelegt und waren zufrieden mit der Welt.

 


Die Quarzuhr verkündete mit freudigen Leuchtbuchstaben, dass es kurz nach Mitternacht war. Wir mussten bei der Hälfte des zweiten Films eingeschlafen sein. Während ich jedoch recht komfortabel auf dem Sofa lag, hatte es Viki irgendwie geschafft unter dem Couchtisch zu landen. Gerade überlegte ich, ob ich sie nicht wecken sollte, damit wir uns in mein Zimmer verkrümeln konnten, als ich stutzte.
Weswegen war ich eigentlich aufgewacht?
Alles war ruhig. Kein nächtlicher Autofahrer machte die Straßen unsicher. Nicht das leiseste Lüftchen schien durch die Bäume zu streifen. Ich hatte den Ausdruck zu ruhig immer für einen dieser abgedroschenen Sprüche für billige Hollywoodfilme gehalten. Unglücklicherweise traf genau das hier gerade zu. Ich hatte den Eindruck, als wären alle Geräusche urplötzlich eingefroren.
Ein Frösteln lief mir über die Arme und ich rutschte so leise wie möglich von der Couch, um Viki zu wecken. Sicher würde sie gleich über mich lachen und als ängstliches Hühnchen bezeichnen. Das war mir allerdings zehnmal lieber als diese Mordopfer-Stimmung.
»Viki. Hey, wach auf!«
Sie rührte sich nicht. Grob stieß ich sie an und erntete nicht einmal ein schlaftrunkenes Grummeln. Langsam wurde das gruselig. Ich überprüfte mit zitternden Fingern den Puls und atmete erleichtert aus, als ich ihn fühlte. Viki schien es super zu gehen. Wieso wachte sie dann nicht auf? Schlief ich vielleicht noch?
»Guten Abend.«
Ich hätte gerne gesagt, dass ich vollkommen cool den Kopf drehte, um den Fremden in Augenschein zu nehmen, welcher, wie aus dem Nichts, plötzlich mitten im Wohnzimmer stand. Die Wahrheit jedoch war, dass ich mit einem Schrei herumfuhr und das Erste waffenähnliche griff, dass ich finden konnte.
Die Fernbedienung.
»Keinen Schritt weiter oder ich werde sie benutzen.«
Überrascht blieb er wirklich wo er war. Okay, er hatte sich bisher nicht bewegt, aber das hieß bei potenziellen Mördern nichts.
»Guten Abend«, wiederholte er und ich fragte mich ernsthaft, ob er erwartete, dass ich in solch einer Situation an meine guten Manieren dachte. Anscheinend merkte er das auch.
»Du fragst dich sicher, was ich um diese Zeit hier mache?«
»Vielleicht weil du ein psychopathischer Irrer bist?«, schlug ich hilfreich vor.
»Nein, nein! Ich werde dir nichts tun!«
»Wirklich?« Wer's glaubt!
Irgendwie entwickelte sich das, wie in einem dieser schlechten Thriller wo der Mörder das Mädchen in Sicherheit wiegte, dann killte, um ihre Leiche als Zeichen für die schmalspurigen Ermittler hinterließ, nur um auf noch mehr Ermordete hinzuweisen. Mir war heute aber absolut nicht danach zu sterben, also würde ich sicher nicht kampflos das Zeitliche segnen. Sollte man ja im Übrigen sowieso nie tun.
Auf den Lippen des Fremden malte sich ein Lächeln, geradeso als wüsste er um meine Gedanken.
»Du bist wirklich groß geworden.«
»Klasse. Ein psychopathischer, irrer Stalker!«
Ich musste wirklich Glück haben. Was wollte er also? Mir seine ewige Liebe gestehen und wenn ich nicht ja sagte, mich umbringen und meine Leiche für irgendwelche perversen Sachen benutzen? Warnend hob ich die Fernbedienung.
»Irgendwie hab ich das Gefühl, ich habe falsch angefangen. Vielleicht sollte ich mich erst einmal vorstellen. Mein Name ist Lucifer.«
»Wie Satan? Der Lucifer?«
»Das ist der Name, den ihr Menschen mir einst gabt, aber ja, der.«
»Klar.« Der Typ war total bekloppt.
»Irgendwie habe ich das Gefühl, dass du mir nicht glaubst.«
»Doch! Doch!« Kein Wort!
Mit einem weiteren tiefen Seufzen, als wäre es unheimlich schwer zu ertragen, dass ich es anzweifelte, dass er etwas anderes als der verdammte Herrscher der Unterwelt war, sah er mich an. Ich nutzte die Zeit ihn genauer zu mustern. Er schien kaum älter als 25. Vielleicht auch 26, wenn ich bedachte, dass ich meistens ziemlich mies darin war andere einzuschätzen. Egal. Auf jeden Fall zu jung, um hier als potenzieller Vater und gefallener Engel vor mir zu stehen.
Seine Haare waren Schwarz-Rot gefärbt und ich fragte mich ehrlich, wie er diesen krassen Farbverlauf hinbekommen hatte. Vielleicht hatte ihm einer seiner dämonischen Diener dabei geholfen. Oder Halt, wahrscheinlich war es keine normale Haarfarbe, wie wir es als normale Sterbliche benutzen. Sicher war es das Blut von Säuglingen. Frisch geraubt in einer nebligen Nacht. …Okay, ich fing an zu eifern.
Mein Blick wanderte weiter zu seinem Gesicht. Die feinen Gesichtszüge wirkten offen und sanft. Das Lächeln hätte vielleicht freundlich gewirkt, wäre da nicht die Tatsache, dass er mein potenzieller Killer war.
Und dann sah ich seine Augen.
Augen, die ich schon so oft gesehen hatte.
Augen wie meine …
Fühlte er sich durch diese Tatsache mit mir verbunden? Weil er zufälligerweise auch ein Halbalbino war?
(Hahhh! Die Ärzte wussten anscheinend auch nicht alles. Pah! Von wegen die Einzige, welche zurzeit damit geschlagen war. Idiotenpack
»Ah, du hast es bemerkt«, er deutete auf seine Augen und lächelte, als rechnete er damit, dass ich ihn Freude heischend anfalle.
»Klasse. Nur weil du zufällig der, neben mir, einzige Halbalbino auf dem Planeten bist, bildest du dir doch hoffentlich nicht ein, dass ich jetzt irgendwas mit dir anfange. Das ist nur eine kleine genetische Sache, weißt du. Wir sind keine neue Megarasse.«
Der Typ glotzte, als wäre ich die diejenige, die nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte. Anscheinend hatte ich gerade seine Träume und Ideale zerstört. Ich weiß, ich sollte ein schlechtes Gewissen haben. Hatte ich aber nicht. Um es ganz genau zu nehmen, verlor ich langsam die Geduld, um diplomatisch zu bleiben.
»Irgendwie scheinen wir aneinander vorbeizureden«
»Wie wäre es, wenn du dann einfach mal damit anfängst, was du von mir willst?«
»Ich will eigentlich überhaupt nichts von dir. Ich möchte dir nur etwas sagen.«
»Und was?«
Sein Lächeln wurde sanft und er streckte mir eine Hand entgegen. »Ruby, ich bin dein Vater.«
Ich kann ja nicht sagen, was Luke Skywalker damals so aus der Fassung gebracht hatte. Waren es die Worte oder die Tatsache, dass auch sein, angeblicher Vater ein hohes Tier bei den Bösen war? Ich jedenfalls starrte ihn geschlagenen zehn Sekunden wortlos an und brach schließlich in schallendes Gelächter aus.
»Ja, klar. Hat Dav dich angeheuert, um mir die Puddingschlacht heimzuzahlen?« Ich stieß Viki mit dem Fuß an. »Du kannst wieder aufhören so zu tun, als würdest du schlafen.«
»Ich sage die Wahrheit.«
»Junge! Die Show ist vorbei. Du kannst wieder aufhören. Und nimm diese grässlichen Kontaktlinsen raus.«
Der Kerl fuhr sich mit leicht verzweifelter Geste durch die langen Haare. Wahrscheinlich war er etwas enttäuscht, dass die Farce nicht länger gehalten hatte. Mal ehrlich, wenn man so dick auftrug, war das wirklich zu erwarten. Eine große Karriere als Schauspieler hatte er auf jeden Fall nicht vor sich.
»Hey, wach endlich auf.« Ich stieß Viki erneut an.
»Sie wacht nicht auf, bis ich den Bann aufhebe.«
»Bann?«
»Ja, ich wollte ungestört mit dir reden. Ich ahnte, dass du die Sache nicht ganz … problemlos … aufnehmen würdest.«
Vielleicht war er ja doch irre?
»Okay, du bist also der Teufel? Und wo sind dann deine Ziegenbeine? Hörner und Fledermausflügel? Lass mich raten, die hast du in der Hölle vergessen?«
»Ich habe keine Ziegenbeine! Das sind nur Geschichten, die die Menschen erfunden haben.«
»Wie praktisch.«
»Durchaus. Es wäre sonst schwer sich unter ihnen zu bewegen.«
Hatte er meinen Sarkasmus gerade überhört? Wahrscheinlich, dies würde jedenfalls das Grinsen auf seinem Gesicht erklären. Himmel, langsam reichte es mir wirklich. Ich war müde und meine Freundin schien gerade im Koma zu liegen. Zudem stand ein Psycho, der Verdacht war noch nicht ganz verworfen, vor mir und behauptete, niemand anders als Satan zu sein. Wieso konnte ich nicht einmal einen normalen Tag haben?
»Beweis es.«
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn herausfordernd an.
Der »Teufel« sah mich an, zuckte dann schicksalsergeben mit den Schultern. Mit einem gelangweilten Blick starrte ich zurück, nur um keine zwei Sekunden darauf mit einem erschrockenem Schrei zurückzuweichen.
Die Luft flimmerte wie die Täuschung einer Fata Morgana. Sog Farben aus dem Nichts. Rot. Blau. Schwarz. Sie erschienen und verblassten, wie das Flackern von Kerzenflammen im Wind um dann …ich zuckte zurück, beobachtete mit offenem Mund, wie sich mitten aus dem Nichts ein paar nachtschwarze Schwingen entfalteten. Ein paar einzelne Federn segelten zu Boden, als er sie raschelnd anlegte. Kurz folgte ich ihrem Flug mit den Augen, bevor ich seine Hörner bemerkte. Elegant geschwungen wanden sie sich einmal um seinen Kopf.
»Das ist nicht möglich.«
»Doch. Ich bin Lucifer. Live und in Farbe.«
»Gleich damit das klar ist. Meine Seele kriegst du nicht. Komm in 50 Jahren mal wieder fragen.«
»Ich habe dir doch gesagt, dass ich dir nichts tue. Du bist meine Tochter.«
Abwehrend riss ich die Arme hoch, wie um seine Worte von mir zu stoßen.
»Definitive nicht! Erstens, ich habe einen Vater. Zweitens, Ihr, Sie, du, wie auch immer, könnt nicht einfach hier rein spazieren und mich als Tochter des Teufels abstempeln. Das Jugendamt ist sicher begeistert!«
»Natürlich ist er nicht dein richtiger Vater. Ich habe deine Mutter vor vielen Jahren kennengelernt und …«
»Danke, Einzelheiten möchte ich nun wirklich nicht hören.«
Der Teufel lächelte verständnisvoll und nickte. »Glaubst du mir nun?«
»Nein.«
»Könntest du nicht mal ein klein wenig Kooperation an die Nacht legen?«
»In solchen Dingen? NEIN!«
Ich schrie fast, was ein sehr deutliches Zeichen dafür war, dass ich langsam hysterisch wurde. Ich meine das ist sicher total verständlich, wenn man die momentane Situation bedachte.
»Und überhaupt. Wieso fällt es dir denn gerade heute ein dich mal hier blicken zu lassen?«
»Ich habe dich aus der Ferne beobachtet. Doch hätte ich mich früher gezeigt, wären die anderen auf dich aufmerksam geworden?«
»Die anderen? Wer? Hexen? Houdini? Elvis?«
»Engel.«
»… Klar.« Mein Leben wurde immer besser. »Und wieso zeigst du dich dann gerade jetzt?«
»Weil dein Erbe bald hervortreten wird. Nun werden die Engel dich jagen. Aber das werde ich nicht zulassen.«
»Ich werde sicher nicht in die Hölle ziehen oder so.«
»Nein, natürlich nicht. Noch nicht. Bis das Dämonenblut in dir nicht vollständig erwacht ist, würde dich auch nur eine Minute in der Unterwelt töten. Auch die Engel wissen das. Sie werden versuchen dich vorher in die Finger zu bekommen.«
»Ich werde also gejagt. Von Engeln? Dir ist schon bewusst, wie bekloppt das klingt, oder?« Meine eigentlich gut sortierte Realität ging gerade flöten und ich konnte ihr nur nachschauen.
Wieso bin ich heute überhaupt aufgestanden?
»Vor dir steht der Herrscher der Unterwelt und du findest DASS merkwürdig?«
Mit zitternden Händen lief ich hin und her und versuchte die kläglichen Reste meines Verstands zusammenzukratzen.
»Okay. Wir sagen denen einfach, dass ich keinen Bock auf den Mist habe. Ich bleibe ein ganz normales Mädchen und vergesse den ganzen Teufel-Engel-Scheiß.«
»Das wird leider nicht möglich sein, mein Kind.«
»HÖR AUF MICH SO ZU NENNEN!«
Überrascht sah er mich an, als im selben Moment die Birnen des Kerzenleuchters zersprangen. Lucifer warf einen kurzen Blick auf die Scherben und hob dann eine Augenbraue. »Glaubst du es jetzt? Deine Kräfte erwachen.«
»Oh Gott, ich dreh gleich durch.«
»Ich finde, du hast es bisher sehr gefasst aufgenommen.«
»Und wie vielen anderen hast du so etwas schon gesagt?«
»Keinem, du bist mein einziges Kind.«
»Und das soll ich dir glauben? Hallo! Du bist der Teufel.«
»Ich finde diese Bezeichnung sehr verletzend.«
Ungläubig starrte ich ihn an. Das konnte doch nur ein sehr realistischer Traum sein. Wo gab es das denn sonst, dass der Teufel vor einem stand und schmollte?
»Okay, tut mir leid. Wie soll ich dich den dann nehmen?«
»Vater.«
»Vergiss es …«
Leise vor sich hin lachend schüttelte er den Kopf. Na wenigstens fand das einer von uns hier lustig …
»Ah!«, er sah kurz zu mir herüber und murmelte ein paar Worte mit fremden, überraschend melodischen Klang. Augenblicklich erschien ein Päckchen in seiner Hand, in dem es verräterisch zischte. Mit einem breiten Lächeln reichte er es mir.
»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.«
Da stand ich nun. Hatte gerade erfahren das Lucifer, ja DER Lucifer, mein Vater war und bekam von ihm auch noch was zum Geburtstag. Ich glaube, ich wäre der Traum jedes Therapeuten. Und trotzdem überwiegten meine guten Manieren und ich nahm das Päckchen und murmelte meinen Dank. Mein … Vater - das hörte sich selbst unausgesprochen reichlich seltsam an - grinste breit und nickte mir ermutigend zu es auszupacken.
Ich schwor, wenn da irgendwas Widerliches drin war, würde er sterben. Hätten die Engel weniger zu tun.
Zögerlich löste ich die Schleife und ließ es fallen als schwarzer Rauch sich durch die winzigen Öffnungen drängte. Auf dem Boden sammelte es sich und manifestierte sich zu der Gestalt eines kleinen Welpen mit rot-schwarzem Fell.
Mir war schon klar, dass dieses Wesen sicher alles andere als ungefährlich war, auch wenn es mich gerade mit neugierigen Augen anblickte. Es würde Tod und Verderben mit Freuden unter die Menschen tragen. Ich wusste es und erlag trotzdem der puren Niedlichkeit dieses Geschöpfes.
»Sieht aus, als wäre das ein Punkt für mich.«
Ich warf meinem gehörnten Dad einen kurzen Blick zu und beobachtete dann wieder das kleine Fellbündel, welches nun neugierig an meinem Bein schnüffelte. »Was ist das?«
»Ein Höllenhund natürlich.«
Natürlich! Wie hätte ich es auch nicht wissen können? Immerhin wusste ich ja gerade mal zwei Minuten über mein Vermächtnis Bescheid, auf das ich nebenbei gut und gerne verzichten konnte. Von meinen sarkastischen Gedanken bekam Lucifer natürlich nichts mit. Oder zumindest hoffte ich das …
»Und wie bitte soll ich meiner Familie erklären, dass wir einen Höllenhund in der Wohnung haben?«
Ich sah die Reaktion meiner Eltern schon deutlich vor mir. Nachdem sie sich dann wieder beruhigt hatten, würden alle dabei helfen einen schönen, großen Scheiterhaufen im Garten zusammenzutragen. Mit mir als Ehrengast drauf! Dann würde Satan hier auftauchen und alles wäre perfekt. Na danke auch.
»Keine Sorge. Ich habe deine Eltern glauben lassen, dass sie ihn dir geschenkt haben.«
»Wo es hier ja soooo viele Höllenhunde gibt. Kann es sein, dass du etwas zu viel Schwefel im Hirn hast?«
»Sie halten ihn für einen Golden Retriever.«
»Oh … Okay.«
Mein neuer Vater seufzte erneut. Er tat dies recht häufig in der kurzen Zeit, die er hier war. Dabei müsste ich eigentlich diejenige sein die frustriert war. Er hatte gar kein Recht darauf. Ich meine, wie viele mussten schon die Nachricht verdauen, dass Satan die Vaterrolle übernehmen wollte?
Ich glaube nicht viele.
»Möchtest du ihm keinen Namen geben?«
»Hat das nicht Zeit? Ich stehe am Rande eines Nervenzusammenbruches. Nur falls es dir entgangen ist!«
Mit einem Lächeln nahm er den Hinweis zur Kenntnis und ignorierte ihn.
»Höllenhunde gehen eine enge Bindung mit ihrem Meister ein. Er wird dir ein treuer Freund und mutiger Beschützer sein. Selbst Engel müssen sich vor ihren Kräften hüten. Mit einem Namen knüpfst du ein Band zwischen euch, das niemand je durchtrennen kann. Namen haben Macht.«
Wieso fühlte ich mich gerade in irgendeinen Fantasyfilm verschlagen? Wo war meine schöne Wirklichkeit geblieben? Irgendwie musste ich dem Ganzen hier ein Ende setzten, um in mein ruhiges Leben zurückkehren zu können. Aber erst mal alles nacheinander.
»Ähm, wie nennt man denn Höllenhunde so? Auf Google findet man sicher keine Vorschläge.«
»Du musst seinen Namen fühlen.«
»Ach so. Klar.« Was bitte sollte ich tun?
Nachdenklich sah ich den jungen Hund an. Wenn ich ganz ehrlich war, fiel es mir schwer zu glauben, dass er je eine reißende Bestie werden würde. Konnte man sich Höllenhunde überhaupt wie in den Filmen vorstellen? Wenn ja, hoffte ich inständig, dass sie nicht wie in »Percy Jackson - Diebe im Olymp« aussahen. Auch ich hatte meine Grenzen.
»Wie wäre es mit Shy?«
Lucifer nickte zufrieden. Ich vermied es ihn darüber aufzuklären, dass es der Name einer meiner Lieblingscharakter aus einem Buch war. Ich finde, Teufel oder nicht, alles musste er nun wirklich nicht wissen.
Der Welpe hatte aufgehört an meinem Bein zu schnüffeln und sah mich mit schwarzen Augen an. Seine rote Zunge hing ihm schief aus dem Maul. Sie war vorne gespalten wie die einer Schlange.
»Na dann«, ich hob das kleine Geschöpf auf den Arm. »Willkommen in der Familie, Shy.«
Shy legte kurz den Kopf schief, als lausche er dem Klang seines neuen Namens. Dann wuffte er und mir schlug ein widerlicher Gestank wie nach faulen Eiern ins Gesicht. Das alleine würde wohl schon ausreichen um jeden Feind mit einem Geruchssinn in die Flucht zu schlagen.
Gott, verweste da ein Tier zwischen seinen Zähnen?
»Der Schwefelgeruch wird in ein paar Stunden verschwunden sein.«
»Klasse. Hättest du mich nicht vorwarnen können? Ich werde nie wieder was riechen können.«
»Nun werde nicht melodramatisch.«
Wütend starrte ich ihn an und ließ den Welpen wieder runter. Dieser machte sich sogleich nützlich und sabberte auf die teuren Designerschuhe meines dämonischen Vaters. Angewidert zog Lucifer den Schuh zurück. Grinsend ging ich in die Hocke und lobte meinen neuen Verbündeten ausgiebig. Das nächste Mal musste ich ihm beibringen die Teile auch noch anzuknabbern.
»Wieso hab ich das Gefühl einen Fehler gemacht zu haben?«
Mein Grinsen war ihm anscheinend Antwort genug. Wieder seufzte er, - bekam er das irgendwie bezahlt, oder so? - und warf einen Blick auf seine Uhr. Anscheinend verlangten noch wichtige Teufelsangelegenheiten nach ihm.
»Ich muss jetzt gehen, mein Kind. Aber ich werde mich bald wieder melden. Sei vorsichtig. Die Engel sind durchtriebene Geschöpfe und genauso grausam wie schön. Erzähle niemanden, wer du wirklich bist.«
»Als ob mir das irgendwer glauben würde«
Kurz lächelte er mich sanft an und war im nächsten Moment verschwunden. Es wäre viel einfacher gewesen, wenn ich das alles als Traum hätte abstempeln können. Als sehr realistischen Traum, den mir meine überdrehte Fantasie gespielt hatte. Leider war dem nicht so. Das zeigte mir schon allein der junge Höllenhund zu meinen Füßen. Trotzdem war mein Verstand nicht wirklich darauf ausgelegt all das zu begreifen. Es schien alles zu unwirklich um real zu sein. Und dass es doch wahr war, machte alles noch schlimmer.
Schweigend ging ich ins Bad und warf einen Blick in den Spiegel. Vertraute rote Augen blickten zurück. Ich hatte mich wohl geirrt. Meine Augen waren nicht so wie die untergehende Sonne an einem heißen Sonnentag.
Sie waren rot. Rot wie die ewigen Flammen der Hölle.


Neugirig wie es wietergeht?

 

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Imprint

Text: rubynia
Images: Ein ganz großes Dankeschön an sunshineandbirds für dieses geniale Cover ^-^ http://thy-darkest-hour.deviantart.com/art/Folded-Furry-Wings-Silver-325315919
Publication Date: 07-05-2012

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