Marcus
1
Geliebter Afrikaner
von Barbara Schwarz
© 2013 by Barbara Schwarz, Berlin
Inhalt
Meine Geschichte
Schwarzer Ritter
Ein kurzer Blick
Der Idiot im Spiegel
Und da stand er
Meisterwerk der Evolution
Friss mich auf!
Kindersoldat Marcus
Zwei Nächte
Meine Geschichte
Mein Name ist nicht Barbara. Die Geschichte, die ich Ihnen zu erzählen habe, ist aber wahr, und ich muss mich und andere Beteiligte schützen. Ganz besonders Marcus. Wir reden hier von jemandem, der in seinem kurzen Leben sehr viel mitgemacht hat, und ich könnte nicht damit leben, wenn ihm etwas zustoßen sollte. Ich glaube, er wird nie völlig außer Lebensgefahr sein.
Bei der Beschreibung der Ereignisse und Personen werde ich mich strikt an die Wahrheit halten, allenfalls Ortsbezeichnungen werde ich ändern. Bitte halten Sie das nicht für übertrieben geheimnistuerisch, aber auch Freunde von mir spielen eine Rolle in der Geschichte, und ich will niemandes Vertrauen missbrauchen. Dennoch versichere ich Ihnen: Alle Ereignisse haben stattgefunden, genau so, wie ich es berichte. Mein Tagebuch hat dabei geholfen, aber es waren auch mit Sicherheit die unvergesslichsten Erfahrungen in meinem Leben.
Ich muss Sie warnen: Dieses Buch ist eine Liebesgeschichte, in der ich meine Gefühle in genau der Intensität schildere, in der ich sie erlebt habe – so weit das möglich ist. Das bezieht sich auch auf die Erotik. Der Mann, dem ich mich in dieser Geschichte hingebe, ist mehr als nur irgendein Liebhaber. Die Dinge, die er mit mir tut, und auch die Dinge, die ich mit ihm tue, gehen weit über „Liebe machen“ hinaus. Die dampfende Körperlichkeit, die tierische Gier, die Marcus in mir erweckt hat, ist unvergleichlich. Ich bin glücklich, dass ich diese Erfahrungen gemacht habe, und wünsche jeder Frau und jedem Mann, auch einmal diese Dimension des Glücks zu erfahren.
Um Ihnen meine Ekstase so erfahrbar wie möglich zu machen, ist die Schilderung dieser Passagen sehr detailliert und ungeschminkt. Wenn Ihnen dies Unbehagen bereitet, sollten Sie nicht weiterlesen. Ich kann vollkommen verstehen, wenn sich besonders die weibliche Leserin von allzu genauen Beschreibungen von gewissen Körperteilen und der intensiven Schilderung dessen, was man damit machen kann, etwas unangenehm berührt fühlt. Ich habe auch mal so gedacht. Hab schön meine Bestseller-Romane gelesen und die Heft-Liebesromane in meinem Kleiderschrank versteckt, wo sie niemand findet, und hab von der großen Liebe geträumt, bei der Sex nur in Zeitlupe und mit Weichzeichner stattfindet. Aber alles verändert sich in dem Moment, in dem man selber eine so glorreiche sexuelle Erfahrung macht, dass sämtliche Hemmungen einfach von einem abfallen. Bitte lesen Sie die Geschichte aus dieser weltoffenen Perspektive, und vergessen Sie nicht: Ich habe Sie gewarnt.
Alles geschah letztes Jahr, und zwar in Berlin. Ich lebe dort seit dreizehn Jahren, nachdem ich zum Studium an der Freien Universität hergezogen war.
Ich stamme aus dem Rheinland, einem kleinen Städtchen in der Nähe von Köln. Alle Städte in der Nähe von Köln sind sehr klein, weshalb die Kölner der Auffassung sind, es handle sich bei ihrer Heimat um eine Großstadt. Auch ich habe das lange geglaubt – bis ich nach Berlin kam. Erst da erkannte ich, dass es nicht reicht, einfach nur Nachbargemeinden einzuheimsen und die Bevölkerungszahl auf eine Million zu wuppen, um sich Großstadt nennen zu können. Ich werde Köln immer liebevoll in Erinnerung behalten – als ein gemütliches, aber hoffnungslos überambitioniertes Dorf.
Ich ging studieren, ohne ein Berufsziel vor Augen zu haben. Es ging strikt nach meinen Vorlieben: Deutsche Philologie, weil ich viel lese. Englische Philologie, weil ich gerne englisch lese. Und Kunstgeschichte, weil das echt einfach ist. Außerdem hat man damit immer was zu quatschen während einer Party oder eines Dates, und die anderen bewundern dich für deine faszinierenden Kenntnisse über ein in weiten Teilen komplett nutzloses Thema. Eigentlich finde ich ja, Kunst sollte keine Wissenschaft sein. Lasst die Leute doch einfach in Museen und Galerien gehen und selbst entscheiden, was ihnen gefällt.
Das Studium machte Spaß, und das lag auch daran, dass ich in einer so aufregenden Zeit nach Berlin gekommen war: Nachdem die Stadt von einem gutaussehenden, charmanten Schwulen repräsentiert wurde, erhielt Berlin plötzlich den Status einer supercoolen Weltmetropole, und alle wollten herziehen. Damals war sogar Kreuzberg noch bezahlbar – ich war freilich nach Friedrichshain gezogen, in eine WG mit ein paar ostdeutschen Mädels, von denen eine, Alexa, immer noch meine beste Freundin ist.
Es ist unglaublich, wie schnell sich diese Stadt in den vergangenen Jahren verändert hat. Größtenteils zum Guten, würde ich sagen. Klar steigen die Mieten, aber die sind nun mal der erste Indikator für steigende Lebensqualität. Man kann keine Stadt haben, in der es sich schön leben lässt, und gleichzeitig niedrige Mieten haben. Darüber streite ich mich manchmal mit Alexa und anderen Freunden. Vielleicht sehe ich das ja falsch, aber wer immer für einen Stadtteil wie Kreuzberg schwärmt, wie toll es doch dort ist, kann sich nicht wundern, wenn alle Welt dort wohnen will und infolge dessen die Mieten explodieren. Naja, ist nur meine Meinung. Kommen wir nun zum wirklich Wichtigen.
Ich habe erst in Berlin meine ersten Erfahrungen mit Männern gemacht. Ich war ziemlich hübsch, möchte ich behaupten, und vielleicht bin ich es sogar heute noch, auch wenn ich ganz schön zugenommen habe seitdem. Aber ich war zum einen ziemlich behütet aufgewachsen (das katholische Rheinland kann wirklich sehr konservativ sein, und meine Eltern machten da keine Ausnahme). Ich hatte einen festen Freund gehabt, aber der Gute stellte sich später als schwul heraus. Ich hab ihn trotzdem lieb, und ich halte ihm zugute, dass er es versucht hat. Aber damals tat es meinem Ego nicht sehr gut, dass er so wenige Ambitionen hatte, mir die Kleider vom Leib zu reißen.
In Berlin war ich fest entschlossen, das zu ändern. Ich ging auf Partys, tief ausgeschnitten und kurz berockt, und ich musste nie lange warten, bis ein Kommilitone sich meiner annahm. Aber auch wenn sie sich alle Mühe gaben und im Bett die reinsten Turnübungen veranstalteten, hatte ich nie das Gefühl, etwas besonders Tolles zu erleben. Nach einiger Zeit kam in mir der Verdacht auf, ich könnte lesbisch sein.
Das stellte sich jedoch schnell als Irrtum heraus. Alexa stellte sich fröhlich als Testobjekt zur Verfügung – ganz im Geiste des ostdeutschen Kükens, dass die neue Freiheit gefälligst in vollen Zügen zu genießen war, wozu war man denn marschiert und so weiter? Ja, ihre Eltern hatten sie mitgenommen auf die Montagsdemos, worauf sie sehr stolz war. Auch wenn sie zugab, dass sie damals keine Ahnung hatte, was das Ganze sollte.
Jedenfalls machten wir es uns schön in ihrem Bett gemütlich und fingen an, uns zu küssen und zu streicheln. Das ganze Experiment dauerte etwa zwei Minuten, dann war Schluss. Ich fühlte noch weniger als beim ungeschicktesten Mathematikstudenten – und das sollte was heißen. Alexa ging es genau so. Wir lachten, betranken uns anständig, schauten eine neue TV-Kuriosität namens Big Brother und waren uns einig: Dieser Stumpfsinn wird sofort wieder abgesetzt. So weit meine lesbische Karriere.
Irgendwann kam ich auf die Idee, dass es nicht an mir lag, sondern an den Jungs. Vielleicht waren die einfach zu unerfahren, um eine Vollfrau, als die ich mich sah, glücklich zu machen? Die Lösung musste also lauten: Erfahrene, reifere Männer.
Da gab es für mich zunächst das Problem zu überwinden, dass ich ältere Männer schon immer herzlich unattraktiv gefunden habe. Der Kontrast zwischen einem schlanken, geschmeidigen Mittzwanziger und einem in die Breite gehenden, Haare verlierenden Endvierziger war mir schon immer zu krass. Aber verdammt, Männer mit Erfahrung waren doch sicher in der Lage, meinen Körper in die richtigen Schwingungen zu versetzen?
Und so landete ich in den Armen von Richard. Er war Dozent, aber keiner von meinen, sein Fach war Physik. Er war fünfzehn Jahre älter als ich, was mir gerade noch akzeptabel erschien. Für mich fängt die Altersgrenze ungefähr da an, wo dein Partner ein Elternteil von dir sein Könnte. Fünfzehn ist okay, achtzehn ist grenzwertig, zwanzig ist pervers. Ich habe gesprochen.
Wir sahen uns ein paarmal in der Kantine und verstanden uns gut, dann kamen ein paar Dates, die sich deutlich von meinen vorherigen unterschieden: Restaurants mit Stoffservietten, Berliner Ensemble (das war zu der desaströsen Zeit der „Gemeinschafts-Intendanz“) und Staatsoper. Ich fühlte mich wie in den Adelsstand erhoben.
Was den Liebesakt betraf, konnte ich eine gewisse Verbesserung konstatieren. Richard wusste, was er tat, und er tat es mit dem Geschick und dem Eifer, zu dem er imstande war. Leider gab es da natürlich Grenzen: Was dem jugendlichen Liebhaber an Erfahrung fehlt, das fehlt dem älteren Gentleman an Stehvermögen. Und so fand ich mich irgendwann damit ab, dass frau im Leben Kompromisse eingehen muss.
Und so sagte ich sofort Ja, als Richard mich bat, seine Frau zu werden.
Mit dem Studium war ich fertig, und jetzt musste ich mich der Tatsache stellen, dass der Jobmarkt nicht gerade auf mich gewartet hatte. Die Regierung Kohl strich die Berlin-Hilfe, weil der große verfressene Fleischsack der Ansicht war, dass die Stadt ganz von alleine zu einer führenden Wirtschaftsmetropole werden würde. Es ist immer von Übel, wenn Politiker an ihre eigenen Lügen glauben. Tatsächlich brach die Berliner Wirtschaft, die schon zuvor aufgrund der Teilung nicht gerade weltbeherrschend gewesen war, komplett zusammen. Die Schuldenspirale wurde in Gang gesetzt, die Arbeitslosenzahlen explodierten – und es war klar, ich würde nur in Westdeutschland etwas finden. Und das konnte ich einfach nicht ertragen. Ich liebte Berlin (und liebe es immer noch) und wollte auf keinen Fall weg. Die Aussicht, einen Mann zu heiraten, der mir sympathisch war und über ein beträchtliches Vermögen verfügte, erschien mir wie eine Rettung.
Ich muss das erklären: Richard war nicht nur Physikdozent, seiner Familie gehörten auch mehrere Wohnhäuser in der Stadt, und er war Multimillionär. Nur für den Fall, dass Sie sich gewundert hatten über den extravaganten Lebensstil – so viel verdienen Uni-Professoren nun auch wieder nicht. Wir zogen in seine Villa in Dahlem, ein schönes Zehn-Zimmer-Haus im Jugendstil. Ich war durchaus bereit, dieses Haus als mein Zuhause für den Rest meines Lebens zu begreifen.
Nun, es hielt sieben Jahre.
Das ist ziemlich lang, im Nachhinein betrachtet. Gefühlsmäßig war nie viel zwischen uns los gewesen: Ich mochte ihn, fand ihn charmant und welterfahren, und so etwas beeindruckt ein Mädchen vom Lande, das ich ja tief im Inneren immer noch war. Und der luxuriöse Lebensstil war natürlich auch nicht zu verachten, wie ich offen gestehe. Was ihn anging, sah er in mir wohl in erster Linie eine gute Trophäe – ein hübsches junges Frauchen, das man vorzeigen konnte. Wir stritten uns fast nie, weil Richard sich nie auf eine Diskussion einließ. Die Dinge waren eben so, wie er sie sah, und ich sollte mal meinen kleinen Kopf nicht mit Dingen belasten, die außerhalb meines Horizonts lagen.
Ich hatte gedacht, dass er Kinder wollte, aber das stellte sich als Wunschdenken heraus. Er konnte Kinder nicht leiden, und es kümmerte ihn nicht weiter, wie ich das sah. Der große Bruch kam schließlich, als er mir mitteilte, dass er sich sterilisieren lassen würde. Der Termin war schon vereinbart. Noch am selben Abend zog ich aus.
Richard war überrascht, machte aber keinen ernsthaften Versuch, mich zur Rückkehr zu bewegen. Seine Partnerin musste einsichtig sein, mein Widerstand bedeutete für ihn nur Stress. Die Scheidung lief schnörkellos und ließ mich im Alter von dreißig Jahren mit einem schönen Haus im Stadtteil Britz und einem Privatvermögen von zwei Millionen Euro zurück.
Und so lebe ich seitdem. Ich bin selbst erstaunt, wie sich mein Leben bis heute entwickelt hat. Aber wissen Sie, die finanzielle Unabhängigkeit hat mich nie glücklich gemacht. Ich war immer noch jung und wusste nicht, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Es schien, als wäre es schon vorbei. Es gab nichts, das mich erfüllte.
Bis Marcus kam – und mich erfüllte.
Schwarzer Ritter
Es war eine laue Spätsommernacht. Ich kam von einem Mädelsabend bei Alexa, als ich die U-Bahn verließ. Meinen Wagen hatte ich natürlich zu Hause gelassen, denn Mädelsabend bei Alexa bedeutete Prosecco-Konsum auf Profi-Niveau. Ich war angenehm angesäuselt, als ich um etwa 2 Uhr als einzige die Rolltreppe nach oben bestieg.
Es wird eine Menge Unsinn über die öffentliche Sicherheit in Berlin gefaselt. Die lokale Presse überbietet sich
Publisher: BookRix GmbH & Co. KG
Publication Date: 07-30-2014
ISBN: 978-3-7368-2864-3
All Rights Reserved