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Benni und der Kasper mit der Angel

„Das stimmt überhaupt nicht“, rief der sechsjährige Benni empört, riss die Mütze vom Haken und stürmte aus dem Haus.
„So eine Gemeinheit“, murmelte er während des Laufens vor sich hin, „taucht dieser blöde Tobias mit seiner Mutter bei uns auf, und behauptet, ich hätte ihn mit einem Messer bedroht. Dabei habe ich gar keins, und das Schlimmste ist, Mama glaubt diese Lügengeschichte.“
Wütend rannte er bis zum Waldrand. Dort ließ er sich unter seinen Lieblingsbaum, eine alte knorrige Eiche fallen.
Traurig stützte er den Kopf in die Hände und weinte bitterlich.
So merkte er natürlich nicht, dass die Mutter ihm ein Stück folgte, und als sie sah, dass er zu seinem Lieblingsplatz lief, beruhigt wieder ins Haus ging.
Benni indes konnte sich überhaupt nicht beruhigen, er schimpfte und weinte, als wolle er nie wieder aufhören.
Doch plötzlich hielt er inne, was war das? Da zog ihm doch tatsächlich jemand die Mütze vom Kopf. Erstaunt schaute er sich um und hörte eine lustige Stimme sagen:
„Hallo Benni, ich bin hier oben.“ Verwundert sah Benni hoch und traute seinen Augen nicht. Auf einem Ast seines Lieblingsbaumes saß ein kleiner Mann und lachte vergnügt. In seinen kleinen Händen hielt er eine Angel, an der baumelte Bennis Mütze. Und das komische war, er hatte die gleiche Mütze auf dem Kopf.
„Woher kennst du meinen Namen?“ fragte Benni verdutzt und konnte den Blick nicht abwenden, denn dieser kleine Mann sah gar zu wunderlich aus. Sein langer weißer Bart glitzerte wie Schnee in der Sonne, und das goldgelbe Jäckchen funkelte, als sei es über und über mit Edelsteinen besetzt. Auch die halblange blaue Hose und die weißen Schuhe und Strümpfe schillerten wie mit Diamanten übersät. Benni war ganz verwirrt von diesem Geglitzer.
Jetzt kletterte der kleine Mann geschickt den Baumstamm hinunter. Mit seiner Angel stand er nun vor Benni und lachte ihn so vergnügt an, dass der seine Sorgen schnell vergaß.
„Woher ich deinen Namen weiß? Nun, ich bin Kasper Kinderfreund, und wenn ein Kind Kummer hat, versuche ich, ihm zu helfen.“
„Ist das die Möglichkeit?“ staunte Benni, er konnte sich nicht satt sehen an diesem kleinen Kasper, der wirklich aussah, als sei er einem Puppentheater entlaufen.
„Was ist, du Träumer, kommst du mit? Ich möchte dir nämlich etwas zeigen.“
Benni nickte eifrig, na klar, wollte er mit. Da nahm der Kasper seine Mütze vom Kopf, reichte sie Benni, löste Bennis Mütze vom Angelhaken, setzte sie auf, rollte die Angelschnur ein und sagte:
„Na dann los. Bleib du immer schön an meiner Seite, hörst Du? Und wenn wir uns tatsächlich einmal aus den Augen verlieren, ziehst du einfach am Bommel meiner Mütze und schon bin ich da.“
„Am Bommel seiner Mütze soll ich ziehen? Komisch“, murmelte Benni und schaute nun doch ein wenig ängstlich auf seinen neuen Freund. Es war eigenartig, alles war klein und zierlich am Kasper, nur die große Nase passte nicht recht dazu.
„Alles ist klein und zierlich an dir, wieso ist deine Nase so groß?“ fragte Benni und erschrak, hoffentlich hatte er den Kasper nicht gekränkt. Doch der lachte fröhlich:
„Haha, was glaubst du, wie froh ich bin, dass meine Nase ist wie sie ist, denn sie ist ein wahres Wunderwerk. Soll ich dir mal zeigen, was sie alles kann?“
Der Kasper drehte an seiner großen Nase, und hastenichtgesehen erhob sich ein großer Berg vor ihnen. Noch ehe sich Benni wundern konnte, tippte der Kleine erneut an seine Nase, und ein eisernes Tor tauchte in der Felswand auf. Benni staunte mit offenem Mund und drehte aufgeregt die Mütze in seinen Händen.
„Nein, Benni, du musst die Mütze jetzt in Ruhe lassen, ich bin ja hier. Nur, wenn du mich aus den Augen verlierst, musst du daran ziehen. Wenn du sie fortwährend knetest, zwickt es mich. Also, nur daran ziehen, wenn du mich brauchst, klar?“
Benni konnte nur nicken, so durcheinander war er. Da lachte der Kasper und dreht erneut an seiner Nase. Benni sah ein wenig ängstlich, wie sich das große Tor öffnete. Der Kasper nahm ihn nun bei der Hand, und gemeinsam betraten sie einen riesigen Saal. Benni glaubte zu träumen, denn vor ihm ragten hohe weiße Wände auf, die glitzerten noch mehr als Kaspers Kleidung. Überall wallten zarte rosa Nebel wie Schleier, und hörte er nicht ganz leise Musik?
Sie kamen zu einem runden Torbogen, und als hindurchgingen, umfing sie plötzlich so strahlende Helligkeit, dass Benni die Auge schließen musste. Als er sie dann vorsichtig wieder öffnete, blieb er staunend stehen. Ein riesiger wunderschöner Garten lag vor ihnen, in dem viele unglaublich grüne Bäume standen. Weiße Wege führten durch dunkelgrüne Rasenflächen, und überall plätscherten Springbrunnen, aus denen Wasserfontänen in schillernden Farben heraussprühten. Wie Musik summte und surrte die Luft.

Vorsichtig betrat Benni hinter dem Kasper einen der weißen Wege und kam sich vor, als ob er auf Wolken ginge. Der Kasper sah ihn freundlich lächelnd an.
„Hier ist es schön, nicht wahr, Benni? Ich habe dich in diesen Garten geführt, um dir etwas zu zeigen. Komm!“ Er streckte die Hand aus und führte Benni zu einem kleinen Baum. Der hatte viele grüne, wohlgeformte Blätter, doch hier und da entdeckte Benni auch einzelne gelbe Blätter. Aber nur ganz wenige. Benni fühlte sich von dem Baum seltsam angezogen.
„Ja, Benni, merkst du es, das ist dein Bäumchen.“
„Mein Bäumchen?“ fragte er verwundert.
„Ja, das ist dein Baum der guten und auch schlechten Taten. Du siehst, dass er fast nur grün ist, und nun stell dir vor, wenn du deiner Mutter verzeihen könntest, dass sie dich heute ungerecht behandelt hat, dann würden ein paar schöne grüne Blätter nachwachsen. Weißt du Benni, auch eine Mutter kann sich mal irren, nicht wahr?“
Verwirrt hatte Benni zugehört, sein Ärger war längst verraucht und so nickte er heftig.
„Noch eins, Benni, sieh zu, dass die gelben Blätter nicht überhand nehmen, denn dann würde er in den unteren Bereich gebracht. Er brauchte dann ja nicht mehr soviel Licht und könnte im Dunklen stehen, wie leider so manch anderer Baum“, sagte der Kasper und schaute ein wenig traurig. „Darum sieh zu, dass dein Bäumchen diesen Platz nicht verliert, es liegt ganz allein bei dir.“
„Ja, das will ich wirklich“, versprach Benni, „ich will versuchen, bei allem, was ich tue, an meinen Baum zu denken.“
„Dann kann ja nichts mehr schief gehen“, lachte da der Kasper, „doch jetzt musst du zurück.“
Urplötzlich war es ganz neblig, und der Kasper war verschwunden, einfach so. Nun stolperte Benni auch noch und fiel in den rosa Nebel und fiel und fiel, als ob er flöge. Krampfhaft bemühte er sich, die Augen offen zu halten, doch sie klappten einfach zu.
„Aber die Mütze habe ich“, dachte er noch und schlief ein.
Als Benni aufwachte, lag er unter seinem Baum und die Mutter saß neben ihm.
„Kannst du mir verzeihen?“ fragte sie traurig, „vorhin waren Tobias und seine Mutter noch einmal da, Tobias gab zu, dass er die Messergeschichte nur erfunden hatte, weil du nie mit ihm spielst.“
Da strahlte unser Benni, und war richtig glücklich.
Er murmelte; "danke Kasper", und zur Mutter sagte er großmütig:
„Natürlich kann ich dir verzeihen, denn schließlich kannst du dich ja auch mal irren.“
Frohgemut ging er dann mit der Mutter ins Haus.
Und die Mütze? Nun, die legte er abends immer unter sein Kopfkissen, und am Morgen verstaute er sie in seinem Ranzen. So hatte er sie immer bei sich, und wenn wirklich einmal etwas passieren sollte, so brauchte er nur am Bommel der Mütze zu ziehen, und der Kaspar würde ihm helfen, das fühlte er genau.


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Text: Copyright by rosenjule
Publication Date: 04-06-2011

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Dedication:
Für Oliver und Sebastian

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