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Also, seien wir mal ganz ehrlich: Wissen Sie noch, welcher Politiker 1967 Wissenschaftsminister in Österreich war? Nein?
Oder was Leichteres: Wer bekam 2002 den Nobelpreis für Chemie verliehen? Hilft es Ihnen vielleicht, wenn ich Ihnen sage, dass er Japaner war. Auch nicht?
Vor diesem Hintergrund wage ich nun zu behaupten, dass 30 Schüler einer Hauptschulklasse aus dem Jahre 1956, nach 35 Jahren anlässlich eines Klassentreffens noch genau wussten, wer der "Blumenküsser" war.

Ich war der Blumenküsser!

Es war an einem kalten Novembertag....so beginnen wohl alle spannenden Geschichten. Zwischen neun und zehn Uhr stand Biologie auf dem Stundenplan der 2a-Klasse einer oö. Hauptschule. Hauptschulen hatten damals noch ein besseres Image, als dies heute der Fall ist, versteht sich.
Unser Biologielehrer, ein spindeldürrer, vornübergebeugter, etwa 50jähriger Mann, durfte sich meist unserer besonderen Aufmerksamkeit erfreuen. Er verstand es, uns die Wunder der Natur in besonders plastischer Form zu offenbaren. Seine gestochene Druckschrift, bestehend aus nicht zusammenhängenden Einzelbuchstaben, wie auch seine vielfärbigen Kreidezeichnungen, die er mit seinen dunkelgelb gefärbten Raucherfingern auf die Tafel zauberte, sind mir noch in guter Erinnerung.
Er war immer bemüht, während seiner Rauchpausen am Gang, nicht in die Nähe des schwarzgekleideten Katecheten zu geraten. Hinter vorgehaltener Hand sprach man auch davon, dass er den Freimaurern angehöre, oder zumindest zugetan sei. Uns Schülern war zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht klar, auf welche Weise das vermeintliche "Baugewerbe" der Freimaurer und Biologie miteinander zu schaffen hätten und beließen es dabei.
Ein weiterer Umstand noch, machte diese Biologiestunden besonders interessant. Die zahlreiche Beiziehung der Exponate aus dem Lehrmittelzimmer. Dem Lehrer zu helfen, ausgestopfte Tiere und bunte Farbtafeln aus diesem Fundus zu holen, war eine besondere Auszeichnung. Es war aber auch Vertrauenssache. Undenkbar, einen präparierten Fisch aus Unachtsamkeit auf den Betonboden fallen zu lassen. Nur selten hatte ich das Glück, bei diesen Transporten aktiv mitwirken zu dürfen.

Da gibt es natürlich noch eine kleine Vorgeschichte zu erzählen, die meine Begeisterung für Tiere belegt. Irgendwie waren wir damals alle kleine Sammler. Die einen sammelten Autobilder, die auf den Säckchen der Brausepulver zu finden waren. Andere wieder Schokoladehülsen, die Gewinn versprachen. Meine Sammlerleidenschaft beschränkte sich auf Tierbilder. Diese farbenprächtigen, teilweise mit plastischer Hohlprägung versehenen, etwa 8 x 5 cm großen Tierbilder erhielt man im Papierhandel um einige Groschen. Diese Herrlichkeiten klebte ich in Alben, wobei ich streng zwischen Säugetieren, Vögeln und Fischen unterschied.

Um wieder zur besagten Biologiestunde zurückzukehren, bedarf es nun keiner Erklärung mehr. Schon mehrere Wochen nahmen wir die Tiergattung der Vögel durch. An diesem Tag kamen die tropischen Arten zur Sprache. Im Besonderen die kleinsten Vertreter dieser Spezies, die Kolibris.
Schon entrollte unser Lehrer eine äußerst farbenprächtige Lehrtafel, auf der ein im Schwirrflug schwebender Kolibri vor einer Orchideenblüte dargestellt war, wie er mit seinem langen dünnen Schnabel den süßen Nektar aus dem Blütenkelch saugte. Da durchfuhr es mich wie ein Blitz. Das gleiche Bild hatte ich in meiner Sammlung.
Und auf der Rückseite stand......

"Herr Fachlehrer, bitte das ist ein Blumenküsser".

Einen Augenblick war es totenstill in der Klasse. Dann erhob sich ein Gebrüll, als befände man sich in einem Tollhaus. Auch der sonst so besonnene Lehrer stimmte in dieses nicht enden wollende Gelächter ein.
Man kann sich vorstellen, wie die nächste und alle folgenden Pausen für mich verliefen. Heute würde man professionelle Hilfe durch einen Schulpsychologen beiziehn. Es war egal, was auch immer anstand, passierte oder vorfiel. Immer hieß es: Das war der Blumenküsser, schon wieder der Blumenküsser usw.
Da an ein Ende dieser Hänselei nicht zu denken war, ließ ich es irgendwann dabei bewenden.
Erst bei unseren Klassentreffen nach 35 Jahren wurde mir bewusst, wie berühmt ich eigentlich war....

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Publication Date: 07-16-2009

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