Fast acht Jahre hatte ich auf diesen Augenblick gewartet. Acht Jahre. Hatte mir nichts gegönnt,
hatte auf alles Unnötige verzichtet, ja, hatte mich mit meinem Geiz bei Freunden und Bekannten
sogar einige Male lächerlich gemacht. Hatte nur gespart, für diesen Augenblick, der nun endlich, nach ungeduldigem, langem warten, gekommen war.
Nun stand Sie vor mir. Ja, Sie, etwas von solch einer, wohlgeformten Schönheit konnte nur weiblich sein, hatte sie doch eine Ausstrahlung, die mir wärme durch die Adern fließen ließ und bei deren Anblick ich etwas empfand, was, ja, wenn ich es recht bedenke, erotische Erregung in mir
hervorrief.
Die Strahlen der Sonne brachen sich an ihrer glänzenden Oberfläche und auf eigentümliche Art, schien Sie mir zuzuzwinkern. "Ich gehöre zu Dir", glaubte ich sie flüstern zu hören. "Nimm mich, besitze mich und wir werden uns niemals wieder trennen. Auf ewig bin ich Dein!"
Ich verstand, hörte die ungesagten Worte und das Versprechen, welches in ihnen lag.
Ich war bereit für sie. Ab jetzt würden wir eins sein.
Lächelnd reichte mir der Verkäufer die Hand, dankte mir für das Vertrauen, das ich in ihn und das Unternehmen investiert hatte. Versprach uns auch in Zukunft stets mit Rat und Tat zur Seite zu
stehen. Dann endlich überreichte er mir die dünne Mappe mit den Dokumenten und legte mir den Schlüssel in die Hand, den ich sofort fest umschloss, so, als würde ich befürchten, dass er diesen umgehend wieder zurückfordern könnte. Doch sein lächeln wurde nur breiter, ließ weiße Zähne
aufblitzen, setzte sich fort in den kleinen Fältchen, die sich um seine Augen gebildet hatten.
Nein, kein zurückfordern war von ihm zu erwarten. Echt wirkende Freundlichkeit strahlte mir
entgegen. Spätestens in diesem Moment wusste ich, Sie und ich würden nun für immer
zusammengehören.
Langsam wendete ich mich ab von ihm und hin zu ihr. Noch immer brachen sich die Strahlen der Sonne auf ihrem rotglänzenden Lack und ich glaubte Sie lächeln zu sehen, auffordernd,
verheißungsvoll.
Suchend tasteten meine Finger über den eben überreichten Schlüssel. Fanden schließlich die kleine Erhöhung, die nachgab, als ich diese sanft niederdrückte.
Zweimal blinkte es kurz auf. "Komm, komm zu mir!", schien sie zu flüstern. Leise, lockend,
Erfüllung verheißend.
Jeden Schritt, den ich ihr näher kam, genoss ich, war doch jeder Schritt, ein Schritt zu ihr.
Liebevoll strich ich zärtlich über den samtenen Lack, bevor ich die Tür öffnete und mich schließlich in ihren Polstern niederließ und umschlungen wurde. Ich schloss die Augen, atmete den Duft ein. Neu und unverbraucht durchströmte er meine Lunge und erreichte schließlich meine Seele,
durchflutete diese mit tiefer Befriedigung und der Gewissheit, glücklich sein zu dürfen.
Nur leicht zitterten meine Finger, als ich meine Augen öffnete und endlich den Schlüssel in ihr noch jungfräuliches Schloss schob. Kurz leuchteten die Lampen an den Armaturen auf, bevor Sie meine Bemühungen mit leisem Schnurren, dankbar begleitete.
Meine rechte Hand suchte und fand schließlich den Knüppel. Sanft, aber entschieden legte ich den ersten Gang ein. Drückte leicht das Gaspedal durch, ließ die Kupplung kommen. Mit sanftem
zucken, begannen wir uns fortzubewegen. Der Asphalt unter uns gab den Takt der Bewegung vor.
Ein Blick auf die Armaturen verriet mir, ja, der Tank war voll. Unsere gemeinsame Reise konnte
beginnen.
Häuser, Straßen, Landschaften zogen an uns vorbei. Wir waren eins und ich mochte mich nicht
trennen, lenkte uns in die Richtung, die uns der blaue Pfeil zur Autobahn wies, die wir schon bald erreichten. Freiheit, Glück und tiefe Befriedigung durchströmte mich. Meine Hand wanderte zum Radio, schaltete dieses schließlich ein. Blaues Licht zeigte mir, dass es bereit war, uns zu
unterhalten. Ein kurzer Moment der Suche, dann erklang der Bolero von Maurice Ravel. "Wie passend", dachte ich. Der Hauch von Sünde, zufällig und doch wie auserwählt, gab mir das Gefühl der Rebellion. Entschieden drückte ich das Gaspedal durch. Der Drehzahlmesser kletterte hoch, blieb schließlich bei 3500 Umdrehungen pro Minute zitternd stehen. Im Wetteifer mit ihm, erklomm auch die Tachonadel ihren Höhepunkt.
Vom Innenspiegel schaute mir ein lächelndes Gesicht entgegen.
Ja, wir waren eins. Eins geworden durch Asphalt, Geschwindigkeit und der Lust an uns selbst.
Langsam nahm ich meinen Fuß vom Gaspedal. Lenkte vorsichtig vom grauen Band der Autobahn hinunter und hinauf auf den Rastplatz, der lockend heißen, frischen Kaffee versprach.
Vorsichtig steuerte ich Sie auf einen freien Parkplatz. Ließ Sie langsam ausrollen, entfernte mit
bedacht den Schlüssel aus dem Zündschloss und zog die Handbremse an.
Wie zum Abschied blinzelte sie mir noch einmal zu, als ich die Fahrertür schloss und wieder auf die kaum spürbare Erhöhung des Zündschlüssels drückte.
Ein Abschied, aber nur ein kurzer Abschied würde es sein, versprachen ihr meine Gedanken.
Langsam schlenderte ich über den Parkplatz, dem Rasthaus entgegen.
Ich hatte Glück, für uns noch einen Platz gefunden zu haben, denn voll war es. Dicht gedrängt
standen hier Auto neben Auto. So bunt wie ihre Farben, so bunt war auch die Auswahl der
unterschiedlichen Marken.
Viele der Fahrzeuge waren schon älteren Baujahres, einige aber schienen auch neu zu sein. So neu, wie Sie, doch keines kam ihrer Schönheit gleich.
Ich bestellte Kaffee, setzte mich an den einzig freien Tisch, den es zu geben schien. Langsam, mit kleinen Schlucken, nippte ich an dem heißen Getränk. Genoss das Gefühl der wärmenden
Flüssigkeit, die mir die Kehle hinunterlief.
Noch immer hielt ich den Schlüssel in meiner Hand. Drehte ihn, spielte damit, ließ ihn durch meine Finger gleiten und fühlte die Glut, die von ihm ausging. War es wirklich nur meine eigene
Körperwärme? Oder war es nicht doch auch ein wenig wärme von ihr?
In freudiger Erwartung, gleich wieder bei ihr sein zu dürfen, gleich ihre Schönheit, ihren Duft
genießen zu können, verließ ich schon bald das Gasthaus und schritt ihr eiligst entgegen.
Schon von Weitem sah ich ihn, wie er um Sie herumstrich. Wie er sich niederbeugte, seinen Kopf dicht an die Windschutzscheibe presste, schließlich die Hände schützend an die Augen legte, um besser in ihr innerstes schauen zu können.
Erkannte er ihre Schönheit?
Ich beschleunigte meine Schritte, hatte es eilig, Sie zu schützen.
Als er mich kommen sah, richtete er sich auf, kam mir ein Stück entgegen.
"Entschuldigen Sie", sprach er mich an, "Ist das Ihr Wagen?"
Ohne den Blick von mir abzuwenden, deutete er mit einer Handbewegung hinter sich. Auf Sie.
Ich gab keine Antwort, nickte nur bestätigend mit dem Kopf.
"Mir ist da leider ein kleines Missgeschick passiert", sagte er, sah mir dabei noch immer
unverwandt in die Augen.
Ich verstand nicht und musste ihn wohl fragend angeschaut haben, denn nun legte er mir eine Hand auf die Schulter und führte mich mit leichtem druck um den Wagen herum, deutete dann mit der
anderen Hand auf eine Stelle.
Erst jetzt sah ich es, doch begreifen konnte ich noch immer nicht. Dort, an der rechten Seite der Stoßstange erblickte ich ihn. Sah den Kratzer, der mir in all seiner Hässlichkeit entgegensprang. Zehn Zentimeter Hässlichkeit, die mir einen Stich versetzten, meine Seele in zwei Teile zerspringen ließ.
"Machen Sie sich keine Sorgen, mit ein wenig Lack ist der Schaden bald behoben und nicht mehr zu sehen", wie Hohn klangen seine Worte in meinem Schädel wieder. Begriff er nicht, was er getan hatte? Begriff er denn nicht? Wollte er nicht begreifen?
Ihre Schönheit hatte er zerstört, hatte aus ihr ein hässliches Wrack gemacht, hatte acht Jahre meines Lebens zu nutzloser Sinnlosigkeit verkommen lassen. Begriff er nicht, begriff er wirklich nicht?
Ich spürte, wie Zittern meinen Körper ergriff, hörte das rauschen in meinem Kopf, welches zu einem tobenden Orkan anwuchs.
Dann schlug ich zu.
Schlug zu, immer wieder schlug ich zu. Wollte den Hohn aus seinen Augen prügeln. Wollte mich, wollte Sie rächen. Wollte den Schmerz in mir zum ersterben bringen. Wollte nicht wahrhaben, was er getan hatte.
So gut wie keine Gegenwehr kam von ihm, zu sehr hatte mein Angriff ihn überrascht.
Meine Fäuste prasselten unaufhörlich auf ihn nieder, schließlich sackte er vor mir zusammen,
versuchte schützend seine Arme vor den Kopf zu halten. Immer wieder schlug ich zu, wieder und wieder. Sah erst das Blut aus seiner Nase, dann aus seiner aufplatzenden Lippe schießen, doch
hinderte mich das nicht daran, weiter auf ihn einzuschlagen. Die Haut über seinem rechten Auge schwoll erst an, um dann auch nachzugeben. Ein Schwall seines Blutes schoss mir entgegen,
besudelte meine, noch immer auf ihn einschlagenden Fäuste.
Dann bewegte er sich nicht mehr.
Wie leblos lag er vor mir, die Augen geschlossen.
Keuchend und nach Luft ringend, richtete ich mich auf. Der Sturm in meinem Kopf hatte
Nachgelassen. Geblieben war das stechen in meiner Lunge, der Schmerz in meiner Seele und das Unverständnis darüber, dass er nicht begreifen wollte.
Taumelnd stand ich auf, hielt mich an Ihr fest. Blickte auf meine Hände hinab, von denen sein Blut tropfte und sich mit dem rot des Lackes vereinigte.
Text: Ralf von der Brelie
Editing: Brigitte Rübsaat
Publication Date: 02-02-2015
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