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Ich und Frau Mustermann oder Frau Mustermann und ich (01/2007)

Als ich den Text »Einkaufen, wie ich will« fertiggeschrieben hatte, kam mir eine faszinierende und zugleich naheliegende Idee – ich sollte zum ALDI-Markt in der Müllerstraße gehen, einen Umschlag mit dem Text bei mir tragen, schauen, ob Frau Mustermann da ist und Kassendienst hat und ihr den Umschlag aushändigen.
Sogleich machte ich mir aber Gedanken darüber, wie sie den Text aufnehmen würde?
War sie nicht die schüchterne Frau, als die ich sie beschrieben hatte, sondern eine feurige, vor Selbstbewußtsein strotzende Frau? Wie würde sie die Aussage: »Ich liebe schüchterne Frauen, denn bei denen muß man sich nicht so anstrengen, um sie zu beeindrucken.« bewerten? Würde sie das als Beleidigung auffassen? Als Geringschätzung ihres selbstbewußten Charakters? Dann dachte ich daran, daß es ja eine doch beeindruckende Anmache war, wenn ich ihr den Text auf diese Weise zukommen ließ. Das würde sie sicherlich honorieren und die Textstelle mit den schüchternen Frauen als Ironie betrachten und sich in mich verlieben oder mich zumindest interessant finden, da ich ein so humorvoller Mann war.
Was aber war mit Herrn Majakowski, dem Filialleiter? Würde er die Übergabe beobachten, herbeieilen und den Umschlag zerreißen, weil er doch was gegen Beziehungsangelegenheiten auf der Arbeit hat? Oder würde er denken, ich sei ein Agent eines anderen Discounters und wolle Frau Mustermann bestechen und abwerben? Hatte er was gegen Agenten anderer Discounter, die seine Kassenkräfte abwerben wollten?
So etwas hatte ich an ihm noch nicht beobacht, aber es war gut möglich.
Ich träumte regelrecht davon, Frau Mustermann den Umschlag zu geben und malte mir die schönsten Folgen aus. Dazwischen ein paar schlechte Folgen, den ich war zu sehr Realist, als das ich mich kopflos in eine Wunschvorstellung verrannte. Nach einer Weile kam noch ein weiterer negativer Faktor hinzu, der die ganze Absicht zu vereiteln drohte – ich konnte das einfach nicht tun. Ich hatte zuviel Bammel vor den schlechten Folgen, zu sehr Angst, daß sie mir den Umschlag wieder zurückgeben würde, weil sie mich unattraktiv fand. Dann kam ich auf die rettende Idee – jemand anderes würde den Umschlag für mich übergeben. Jemand, der ohne Angst war, jemand, der selbstsicher und beeindruckend auftreten konnte, jemand, der ohne Sorge war – Frank Sorge.
Da ohnehin Donnerstag war, konnte ich ihm den Umschlag nach der Show geben und er würde den Job gleich morgen für mich erledigen.
Ich schrieb unter den Text noch handschriftlich: Willst du mehr über mich erfahren? Donnerstags um 21 Uhr im Laine-Art, Liebenwalder Straße 39 bei den Brauseboys. Dort bin ich der Superstar.«
Gut, das letztere stimmte leider nicht. Aber die Post ging ja an Frau Mustermann und ich würde sie sofort darüber aufklären, wenn wir uns kennenlernten. Die anderen Brauseboys würden davon ja nichts erfahren.

Nach der Show sprach ich Frank an:
»Sag mal, Frank, könntest du diesen Umschlag morgen im ALDI Müllerstraße bei Frau Mustermann an der Kasse abgeben?«
»Ja, kann ich machen.«
Was ich an Frank so schätzte, war seine Diskretion. Er hinterfragte nie etwas, sondern machte es einfach.
Am nächsten Tag rief mich Frank an und teilte mit, daß er den Umschlag an Frau Mustermann übergeben habe. Sie sei etwas irritiert gewesen und habe gefragt, ob er mit Kreditkarte zahlen wolle. »Mann, die geht ja ran, kann ich dir sagen«, urteilte Frank zum Schluß und legte auf. Ich war elektrisiert. Dann war der Spruch mit der Kreditkarte doch ein eindeutiges Angebot gewesen! Sie wollte mich! Ich war ihr Typ! Aber zu Frank hatte sie das jetzt auch gesagt! Ich verlor die Hochstimmung wieder. Eine Weile später besserte sich meine Laune, nachdem ich einen Haufen Dartpfeile auf das Foto von Frank geworfen hatte, das an der Wand gegenüber hing. Ich mußte mal ein neues dranhängen. Mein Selbstvertrauen stieg, als ich mich zuletzt entschloß, für den nächsten Donnerstag vorbereitet zu sein. Ich würde ein anderer Robert sein als sonst! Ich würde ihr zeigen, daß ich ein attraktiver, humorvoller Poet war, sensibel, geistreich und so weiter.

Am Donnerstag darauf erschien Frau Mustermann tatsächlich im Laine-Art. Ohne den ALDI-Dienstkittel sah sie noch schöner aus. Sie bezahlte vorne an der Kasse, wo heute Hinark Dienst tat, weil Frank moderierte und setzte sich in die zweite Reihe. Ich zog aus dem Rucksack die Hüllen mit den speziellen Texten, die ich für heute vorbereitet hatte. Die üblichen Verelendungs-, Depressions- und mit furchtbaren Männerphantasien durchzogenen Texte hatte ich an diesem Abend zuhausegelassen. Statt dessen hatte ich ein paar Poeme über Sommerwinde, die über ein Blumenfeld streichen, von Tau benetzte Pflanzen am Morgen, Karma, Yin Yang, lebhafte Träume, Tarotkarten und weiteren Kram vorbereitet.
Das meiste hatte ich aus dem Internet herauskopiert, weil ich selbst so etwas nicht schreiben konnte. Ich würde es Frau Mustermann irgendwann mal gestehen.
Nach der Show geschah dann das unerwartete.

1.)
Frau Mustermann stand auf und ging vorne zum Kassentisch, wo jetzt Frank saß, weil er durch seine Attraktivität einen besonderen Kaufanreiz für Bücher und CDs bot. Sie kam nicht zu mir, sondern ging zu ihm. In dem Moment erkannte ich den Fehler, den ich so unwissend begangen hatte. Natürlich mußte sie davon ausgehen, daß Frank den Text geschrieben hatte! Ich spielte in ihrer Wahrnehmung überhaupt keine Rolle! Vom Bühnentisch aus beobachtete ich entsetzt, wie Frau Mustermann begann mit Frank zu flirten und er ging auch noch auf ihr Spiel ein. Sie unterhielten sich angeregt, während ich verdattert da saß und ihnen zuschaute. Nach einer Weile änderte sich das Verhalten von Frank. Er wurde reservierter, schaute öfter auf die Handyuhr und verabschiedete sich schließlich rasch und kam zum Tisch.
Frau Mustermann wirkte beleidigt und verschwand.
»Na toll, Robert«, sagte Frank, als er am Tisch ankam und begann, seine Sachen zusammenzupacken. »Ist ja irgendwo nett, daß du mich verkuppeln willst, aber wie du sicherlich mitbekommen hast, lebe ich in einer soliden, glücklichen Beziehung. Ich ziehe demnächst sogar mit meiner Freundin zusammen in den Wedding, wie du bestimmt schon weißt. Du bist echt ein toller Verkuppler, sage ich dir. Die Erika ist total sauer, bei der brauchst du dich nicht mehr blicken zu lassen. Der hast du wirklich den Abend versaut. Dir sage ich kein Tschüß, du Kaplan-Döner.«
Sprach es, packte seine Sachen und verschwand. Ich blieb zurück und verdammte mich für mein Versagen. Immerhin, aber das war kein wirklicher Trost, wußte ich jetzt, wie Frau Mustermann mit Vornamen hieß.
Vielleicht, so entschloß ich mich einen Moment später, würde ich einen neuen Text über Erika Mustermann schreiben und ihn diesmal selbst überreichen.

2.)
Frau Mustermann stand auf und ging vorne zum Kassentisch, wo jetzt Frank saß, weil er durch seine Attraktivität einen besonderen Kaufanreiz für Bücher und CDs bot. Sie kam nicht zu mir, sondern ging zu ihm. In dem Moment erkannte ich den Fehler, den ich so unwissend begangen hatte. Natürlich mußte sie davon ausgehen, daß Frank den Text geschrieben hatte! Ich spielte in ihrer Wahrnehmung überhaupt keine Rolle!
Sie stellte sich vor Frank und begann wütend auf ihn einzureden. Frank, dieser überaus diskrete Mensch, versuchte freundlich zu bleiben, lächelte sie auf seine charmante Weise an und versuchte auf sie einzugehen. Doch die Situation eskalierte.
Sie begann, Bücher und CD´s vom Tisch zu nehmen und auf Frank zu schmeißen. Ich schaute genauer hin. Gott sei Dank griff sie nach alten, unverkäuflichen CD´s und Büchern.
So entstand, nach meinem Eindruck, kein großer Sachschaden, abgesehen vom Schaden an Frank, der von ihr regelrecht zu Boden beworfen wurde. Dann kreischte sie noch, hob den Tisch an und ließ ihn auf Frank niederstürzen. Dann verließ sie das Laine-Art.
Einen Moment später kämpfte sich Frank aus den Trümmern unseres Verkaufstisches und kam, ungewöhnlich aggressiv wie mir schien, nach vorne.
»Na toll, Robert«, sagte er. »Was muß das wohl für ein Text in dem Umschlag gewesen sein? Das war jetzt das vierte Mal in den letzten Monaten, das ich für dich zu irgendeinem Weddinger Discounter gerannt bin und irgendeiner Frau Mustermann, Frau Gölden, Frau Sawinzki oder Frau Müller Umschläge von dir überreicht habe. Jedes Mal das gleiche. Was war es diesmal? »Ich liebe schüchterne Frauen, denn bei denen muß man sich nicht so anstrengen, um sie zu beeindrucken.« Erika hat sich über den Text total aufgeregt und dachte, ich hätte den geschrieben. Es ist jedes Mal dasselbe. Ich mache das nicht mehr mit. Such dir einen anderen oder mache es mal selbst und trage die Verantwortung dafür. Aua, mein Kopf.«
Sprach es, packte seine Sachen und verschwand. Ich blieb zurück und verdammte mich für mein Versagen. Immerhin, aber das war kein wirklicher Trost, wußte ich jetzt, wie Frau Mustermann mit Vornamen hieß.
Vielleicht, so entschloß ich mich einen Moment später, würde ich einen neuen Text über Erika Mustermann schreiben und ihn diesmal selbst überreichen.

Imprint

Publication Date: 09-24-2008

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Dedication:
Natürlich Frau Mustermann, der Verkäuferin im ALDI in der Filiale Müllerstraße in Berlin-Wedding. Zugleich eine Hommage an meinen Kollegen Frank Sorge von der Lesebühne "Die Brauseboys".

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