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Kapitel 1

Failed kann hier https://www.amazon.de/dp/B06XCMYL5S/  bereits vorbestellt werden. Es erscheint am 5.3.2017

 

Viel Spaß dabei:


Kapitel 1



„Morgen, Louis! Na, miese Nacht gehabt? Warte es ab, der Tag wird noch schlechter.“

Na, toll. Wenn es etwas gab, was Louis Bauer die Laune noch mehr verderben konnte als lauwarmer To-Go-Kaffee mit zu wenig Zucker, einem Sprint zur S-Bahn, bei der er sich beinahe selbigen über die Jeans gekippt hätte und einen furzenden Sitznachbarn, dann war es Ingolfs hämisches Grinsen am Morgen noch ehe er seinen Arbeitsplatz erreicht hatte.

„Fick dich, Opossum!“ Louis zeigte ihm den Stinkefinger, verzog das Gesicht zu einer Grimasse.

„Dafür hast du doch sicher schon jemand anderen gefunden.“ Ingolf gab die obszöne Geste gnadenlos zurück. „Da liegt eine Meldung auf deinem Schreibtisch. Und der Chef hat gesagt, du sollst mit deinem Puschelschwanzarsch in einer Stunde in sein Büro hoppeln.“

„Besser einen Puschel als einen dünnen, langen Schwanz. Sag mal, Ingolf, ist dein Sack auch so haarig wie bei anderen Rattenwandlern?“

„Opossums sind keine Ratten, und das wirst du wohl nie rausfinden, Hoppler!“ Grinsend wandte Ingolf ihm den Rücken zu, während die anderen im Büro über das typische Morgengeplänkel nur die Köpfe schüttelten. Derbe Sprüche gehörten nun mal zur Tagesordnung in ihrer Abteilung. Schlechte Laune ebenso, denn jeder, der hier Dienst machte, tat das nicht freiwillig, sondern hatte für gewöhnlich bei einem Außeneinsatz der Shifter Force Mist gebaut.

Fluchend setzte Louis den Becher ab, warf sich schwungvoll in den quietschenden Drehstuhl, der prompt zu weit rollte und gegen Daphnes Tisch stieß, die ihn empört anzischte.

„Na, Gänschen? Auch nicht gut aus dem Bett gekommen? Fängt der frühe Vogel keinen Wurm?“ Louis versuchte sich an einem Lächeln, obwohl er die Sturmwolken über der scharfen Nase auf der gefurchten Stirn quasi schon heraufziehen sah.

„Musst du mir den Tag noch mehr verderben? Mann, ich muss diesen riesigen, dämlichen Berg Ablage hier drin in eurem Mief machen und draußen weht frischer Wind, scheint die Sonne. Noch zwei Wochen, dann darf ich endlich wieder in den Einsatz. Also behalt deine blöden Sprüche für dich. Ich denk an dich, wenn ich in den Himmel fliege und du deine Hasenköttel noch immer hier ablassen musst.“

„Autsch, dein Schnabel ist heute spitz.“ Seufzend rollte Louis sich zurück, bedachte die Frau mit den glatten schwarzen Haaren, die im Nacken zu einem Zopf gebunden waren, ein wenig zerknirscht. „Zwei Wochen nur noch? Mein Neid ist dir sicher.“

„Tja, der Vorteil, wenn man unverschuldet den Einsatz versemmelt hat, weil dieses dämliche Fenster zu war. Beim ersten Anfliegen war es noch offen. Konnte ich ahnen, dass die das schließen und ich Schnabel voraus dagegen knalle?“

„Sei froh, dass du nicht schwer verletzt, nur bewusstlos geworden bist und die Observation nicht bemerkt wurde“, erwiderte Louis, betrachtete den Umschlag auf seinem unordentlichen Schreibtisch argwöhnisch. Jemand hatte sehr sorgfältig die Mitte freigeräumt und ihn dort platziert. Zu allem Überfluss stand auch noch „Dringend!“ in roter Leuchtschrift darauf.

„Trotzdem scheiße gelaufen. Ich hätte ihnen nachfliegen und den Aufenthaltsort der Zielperson erfahren sollen, damit die Shifter Force One zum Einsatz kommen kann.“ Seufzend langte Daphne in eine Tüte mit grünen Bonbons und bot Louis ebenfalls eines an, der kopfschüttelnd ablehnte. „Was war bei dir eigentlich los? Da laufen ja die wildesten Gerüchte.“

„Pfft!“, schnaubte Louis, wog den Umschlag in der Hand und überlegte für einen rebellischen Moment, ob er den kläglichen Rest Kaffee darüber kippen sollte. Bekanntlich löste Kaffee jedoch keine Probleme, und ganz sicher keine, die von höchster Stelle kamen, wie er dem Emblem entnehmen konnte. Shifter Force One. Natürlich hatte das Symbol der Wandlersondereinheit die Form eines Wolfskopfes. Am liebsten hätte er das Teil mit den Zähnen zerfetzt und drauf gepinkelt.

„Es wurde überdramatisiert“, murmelte er, die Finger ruhten auf dem Siegel. Was würde ihn erwarten? „Nur weil dieser bescheuerte, räudige Köter zur unpassenden Zeit aufgetaucht ist.“ Zögernd fuhr der Zeigefinger über das Wachs und entschlossen brach er es auf. Schlimmer als diese verfluchte, langweilige Schreibtischarbeit konnte fast nichts sein.

„Den du lässig hakenschlagend hättest abhängen können, nachdem du den Microchip hattest“, ergänzte Daphne zynisch grinsend. „Oder dich artgerecht irgendwo verkriechen.“

„Hätte ich ja auch gerne versucht. Kann ich was dafür, dass das dämliche Viech Frischfleisch gewittert hatte und wie irre kläffend unter dem Fenster herumsprang? War ja klar, dass mein Zielobjekt in seinem geleckten Anzug hinschauen musste. Und wenn da nun mal ein Kaninchen im Büro sitzt …“

Giggelnd lachte Daphne und am Nebentisch fiel natürlich auch Torsten ein. Sogar Ingolf grinste herüber und Louis entblößte knurrend die Vorderzähne. Toll, keiner von ihnen war schließlich dabei gewesen, keiner hatte diesen Streuner da draußen herumhüpfen sehen, der seine Tarnung auffliegen lassen konnte, den ganzen Auftrag gefährdete. Und zudem zu diesen elendigen, dreitausendmal verfluchten Hundeartigen gehörte, die er mehr als alles andere hasste.

„So dumm muss man erst mal sein, von einem Hund beim Hochklettern bemerkt zu werden“, meinte Ingolf. „Schon mal was von Jagdinstinkt gehört?“

„Schon mal was von: ‚Angriff ist die beste Verteidigung’ gehört, Baumratte?“, konterte Louis, rieb sich das stoppelige Kinn und zerriss mit Wonne den Umschlag. Nicht, ohne den Brief vorher entnommen zu haben. Beileibe, noch mehr Ärger konnte er nicht gebrauchen.

„Weil gewöhnliche Karnickel auch aus dem Fenster im ersten Stock springen, direkt auf einem Hund landen, diesem die Ohren zerfetzen und ihn mit den Hinterpfoten vermöbeln, bis er winselnd das Weite sucht.“ Lachend schlug sich Torsten auf die dürren Oberschenkel.

„War halt ein verfluchter Feigling“, brummte Louis, spürte, wie auch in der Situation damals, die Wut in sich gären. Gut, dass der Hund geflohen war, sonst hätte er ihn in seinem Zorn vermutlich wirklich erledigt. Dabei war es nur ein echter Hund, der den Kaninchenbraten falsch eingeschätzt hatte. Verflucht sollten dessen karnivoren Instinkte sein.

„Und der Microchip?“, warf Torsten ein, legte den Kopf in seiner typischen Geste ein wenig zur Seite, als ob er lauschen würde.

„Guter Witz. Hätte ich auf den Tisch springen, direkt vor der Nase meines Zielobjekts dessen Aktentasche aufreißen, das Ding klauen und damit verduften sollen? Vielleicht hättest du ihn mit großen Bambiaugen darum gebeten, ich habe lieber Hackengas gegeben, ehe ich als deren Kaninchenbraten geendet hätte.“ Verstimmt entfaltete Louis den Brief, überflog den ersten Teil mit der offiziellen Anrede im Namen der Shifter Force. Interessant wurde es erst darunter. Im Büro wurde noch immer gekichert, bis eine tiefe Stimme aus der Ecke erklang: „Haltet mal die Füße still. Jeder, der dasselbe wie Louis erlebt hat, wäre auch ausgerastet.“

Langsam hob Louis den Blick, begegnete den braunen Augen von Marius, der ihn ohne Spott betrachtete. Augenblicklich pochte Louis´ Herz heftiger, die Finger wollten sich krümmen, der Schmerz schoss in seine Eingeweide wie hundert Messer und die Kehle lag im Würgegriff eines unsichtbaren Angreifers. Genau daran hatte er nicht erinnert werden wollen. Schon gar nicht hier oder von so einem.

„Ich brauch dein Mitleid nicht, Wiesel“, schnaubte er. „Kümmere dich um deinen Dreck.“

„Tja, unser Louis hasst alle Karnivoren und Omnivoren. Das schließt auch Wiesel ein“, vernahm er Torstens sanfte Stimme, bemühte sich jedoch, die Schrift zu lesen, obwohl seine Augen brannten und er das Gefühl hatte, ersticken zu müssen. Verdammt, dabei war Marius sicher kein schlechter Kerl, aber er hatte ihn auf dem ganz falschen Fuß erwischt. Wenn er daran dachte … Nein! Nicht daran denken, die Gefühle nicht hochkommen lassen. Ganz besonders nicht, wenn er gleich zum Chef musste. Der mochte ein Schaf sein, war aber ganz und gar nicht lammfromm.

Und was sollte dieser Scheiß hier bedeuten? Geheimer Auftrag? Er sollte sich schon mal über eine Firma in Berlin informieren. Genaueres bei der Besprechung? Was zur Hölle sollte das werden? Etwa ein neuer Außeneinsatz?

Rasch tippte Louis den Firmennamen ein, vage Erwartung verdrängte den Hass und Kummer vorerst. Wenn er nur ein paar Tage dem Mief des engen Büros entkommen durfte. Seit drei Monaten schob er Schreibtischdienst. Wie er es vermisste, unterwegs zu sein, das Zielobjekt ausfindig zu machen, die Beobachtung und auch den Nervenkitzel, wenn es um Besorgungen ging.

Die Shifter Force agierte weltweit in verschiedenen Abteilungen. Zugegeben, die Sektion Nordeuropa, mit Sitz in Berlin, war deutlich unbedeutender als die in den USA und anderen Ländern. Nichtsdestotrotz gefiel es ihm, wenngleich er seit dem Prozess konsequent alleine gearbeitet hatte und besonders den Kontakt zu jedem der karnivor veranlagten Agenten mied. Fleischfresser, die Karnivoren, gehörten natürlich zur Kategorie Eins der Wandler, während man die Allesfresser, die Omnivoren, in Kategorie Zwei stufte. Und ganz unten standen die Pflanzenfresser, die Herbivoren.

Als Vegetarier blieben sie ohnehin gerne unter sich, und in der Shifter Community waren sie diejenigen, die man für Drecksarbeit oder den Bürokram einsetzte. Kampfeinsätze, Gefahrensituationen jeder Art, waren ausschließlich den klassischen Wandlern vorbehalten. Wölfe, Löwen, Bären, Adler, die Elite der Wandler. Wie er sie verabscheute, diese arrogante Bande.

Schnaubend überflog Louis die Datenbanken. „Better World - Pharmazeutische Innovationen“, klang nichtssagend, und letztlich war alles, was er über die Firma herausfand, die, neben dem Hauptsitz in Berlin, noch ein paar Ableger in den USA, Australien und Japan hatte, nichts von Bedeutung. Kein Hinweis auf illegale Aktivitäten oder obskuren Handel. Vornehmlich Medikamente gegen Schmerzen wurden hergestellt, die Forschung bewegte sich zudem auf dem Gebiet besonderer Heilmittel für Schwangere. Und der Forschung an Embryonen. Auch nicht ungewöhnlich in diesem Sektor. Hm. Nachdenklich strich sich Louis die hellbraunen Haare zurück, klemmte sich eine Strähne hinter das Ohr. Wo war der Haken?

Ah Mist, beinahe hätte er die Zeit vergessen. Hastig sprang er auf, zupfte sich sein Hemd mit dem etwas zu schäbig wirkenden Sakko zurecht und strich sich die Haare zurück. Besonders eindrucksvoll oder gepflegt wirkte er sicher nicht, was daran lag, dass er schon eine ganze Weile wenig Wert darauf legte. Alles hatte sich verändert und da war diese Leere in ihm, die sich durch nichts ausfüllen lassen wollte. Zu viel Raum für Hass, das wusste er selbst, konnte jedoch nicht dagegen angehen.

„Lass dir so richtig den Karnickelarsch aufreißen. Darauf stehst du doch, Rammler“, flüsterte Ingolf ihm im Vorbeigehen zu, die spitze Nase, die gut zu seinem Opossum passte, bewegte sich hin und her. Verärgert ballte Louis die Faust, drängte mühsam den Wunsch zurück, diese Rattennase einzuschlagen. Blödsinn, denn er wusste auch, dass Ingolf im Grunde nur gerne provozierte, seine scheinbare Bösartigkeit eher gespielt war.

Verstohlen holte Louis Luft, während er an die Tür klopfte und brav das „Herein!“ abwartete.

„Sie wollten mich sprechen?“ Mist, seine Hände waren feucht und es gab keine Möglichkeit, sie unbemerkt abzuwischen. Hinter dem Schreibtisch nickte ihm sein Chef Balian Matuschewski zu, deutete auf den Stuhl rechts vor dem wuchtigen Schreibtisch, der nahezu ebenso viele Papierstapel aufwies wie Louis eigener. Wer war denn dieser geschniegelte Typ in dem Besuchersessel? Unverhohlen neugierig musterte Louis ihn.

„Ah, ich stelle vor: Trevor Trevorian, Leiter der Abteilung Übersee Shifter Force One. This is Louis Bauer, my agent for observation and other requests“, fuhr er mit einem derart entsetzlich deutschem Akzent fort, dass es Louis die Fußnägel aufrollte. Zwei Jahre Einsatz im amerikanisch und englischsprachigen Raum hatten ihn die Sprache lieben gelehrt. Es tat weh, wenn sie so vergewaltigt wurde.

„Es wird nicht nötig sein. Wir können uns auf Deutsch unterhalten“, unterbrach Trevorian mit einem breiten Lächeln. Sein schwarzer Anzug wirkte wie geölt, kein einziges Staubkorn, nicht ein Härchen darauf, die Schuhe glänzten weit mehr als Louis’ Spiegel daheim und der Handschlag, mit dem er ihn begrüßte, war fest.

Karnivore, er war sich ganz sicher und entsprechend rasch zog Louis seine Hand zurück.

„Ich bin erfreut, Sie kennenzulernen. Ich kenne Ihre Akte recht gut. Äußerst bemerkenswert für einen Kategorie Drei-Wandler. Beeindruckend, wie Sie den Einsatz in Bolivien damals erledigt haben. Respekt. Ebenso den in Mexiko. Dank der Information, die Sie uns beschafft haben, konnten wir die ganze Drogenbande auf einmal auffliegen lassen. Oh, und ich bedauere, was mit Ihrem Partner geschehen ist. Unschön, wenn dergleichen passiert.“

Arschloch! Musste er das zur Sprache bringen? Louis zwang sich zu einem unverbindlichen Lächeln, spürte, wie die Gesichtszüge einfroren.

„Ja, in der Tat war es sehr unschön, zusehen zu müssen, wie er von einem Wandler ohne jedes bisschen Selbstdisziplin zerfleischt wurde, der dann auch noch auf Bewährung freikam“, rutschte es Louis zischend heraus. Scheiß drauf, er konnte dabei seinen Mund einfach nicht halten.

„Herr Bauer, das ist hier kein Thema!“, warf Balian von der Seite ein, leichte Panik in der Stimme.

„Ihre Wut ist verständlich“, erwiderte Trevorian mit einem geschäftsmäßigen Lächeln, ließ sich in den Sessel zurücksinken. „Wir alle unterliegen nun mal Gesetzen und Entscheidungen, über die die Jury und Richter der Shifter Community befinden.“

Hart presste Louis die Kiefer zusammen, damit ihm kein unpassender Kommentar entkam, wohin diese elendigen Fleischfresser von Jury, und besonders der fette Richter, sich sein Urteil stecken konnte. Mühsam beherrscht setzte er sich aufrecht hin. „Was liegt an?“

„Es geht um ein neues Projekt, eine besondere Zusammenarbeit“, begann Trevorian, noch ehe Balian den Mund nur halb geöffnet hatte. „Sie werden einen neuen Agenten einarbeiten, den ich Ihnen zugeteilt habe. Zwar fehlt ihm noch ein wenig Erfahrung im direkten Einsatz, dafür war er der Beste seiner Ausbildungseinheit und verfügt über ausgezeichnete Fähigkeiten. Wir setzen viel Hoffnung in ihn und möchten, dass er sich zunächst im kleineren Rahmen bewährt.“

Na, großartig. Im Klartext: Er sollte einen arroganten, eingebildeten Frischling bemuttern. Das hatte ihm ja gerade noch gefehlt. Auf Arschlecken stand er nur im Bett.

„Dafür gibt es doch sicher geeignetere Agenten“, warf Louis ein, gab sich keine Mühe, die Ablehnung zu verbergen.

„Vermutlich. Nichtsdestotrotz hielt mein Vorgesetzter Sie für geeignet.“ Autsch, das klang so bissig wie es wohl gemeint war. Missmutig verzog Louis den Mund und krauste die Stirn. Sein Vorgesetzter? Also von wie weit oben kam dieser Befehl denn?

„Wusste gar nicht, dass ihr da drüben überhaupt wisst, dass es uns gibt“, entkam es ihm.

„Louis!“ Balians Wangen überzogen sofort hektische, rote Flecken, doch Trevorian beschwichtigte ihn mit einer entsprechenden Geste.

„Die Shifter Community ist recht unübersichtlich. Wir in der Shifter Force One kennen jedoch jeden unserer Agenten. Egal, wie unbedeutend sie sein mögen. Wie ich eingangs schon erwähnte, ist mir besonders Ihre Akte durchaus geläufig. Ihre Hartnäckigkeit, mit der Sie sich einen Job in der Shifter Force erarbeitet haben. Ebenso die zahlreichen Disziplinarverfahren. Und soll ich Ihnen etwas verraten?“ Trevorian beugte sich vor, legte die manikürt wirkenden Hände aneinander und sein Grinsen war so eindeutig Kojote, dass Louis instinktiv schauderte. „Genau deswegen fiel die Wahl auf Sie. Was unser neuer Agent noch lernen soll, ist es, ungewöhnliche Wege in Betracht zu ziehen. Sie haben in zahlreichen Situationen bewiesen, dass Sie wenig auf Verhaltensmuster und Verfahrensweisen geben und gerne improvisieren. Das ist eine ungewöhnliche, wenngleich nicht immer praktische oder gar gefällige Fähigkeit. Also, denke ich, dass unser Agent dabei viel lernen wird. Und sei es, dass all unsere Vorschriften und Verhaltensmuster für Wandler einen höheren Sinn haben.“

„Sagen Sie das auch dem Mörder meines Partners?“ Schnaubend starrte Louis Trevorian an. „Oberstes Gebot: Beherrsche den Wandler in dir. Zu jeder Zeit, an jedem Ort.“

„Dieses Gebot hat nie an Bedeutung verloren“, erwiderte Trevorian leise, erstaunlich eindringlich, schnitt Louis mit einer herrischen Geste das Wort ab und erhob sich. „Ich halte es für angemessen, dass Sie und unser Agent sich zunächst persönlich kennenlernen, und dafür sind diese Räumlichkeiten ungeeignet.“ Er griff in die Tasche seines Anzugs und zog eine Visitenkarte heraus, die er Louis hinhielt. Mit vor unterdrückter Wut minimal bebenden Fingern nahm Louis sie entgegen. Die Karte eines Restaurants.

„Sie werden unseren Agenten dort in einer Stunde treffen. Das Essen geht auf Spesenrechnung. Genießen Sie es.“

Und das war es? Verblüfft schaute Louis von einem zum anderen.

„Ihre Einsatzpläne werden Sie zukünftig unmittelbar von mir erhalten, Sie unterstehen fortan alleine meiner Abteilung, genauer gesagt, nur mir“, fuhr Trevorian fort, schnippte ein Staubkorn fort, das es gewagt hatte, sich auf seiner Schulter niederzulassen und ignorierte Balians überraschten Laut. „Unser Agent wird Sie auch mit dem Equipment vertraut machen, mit dem wir für gewöhnlich arbeiten.“

„Krallen und Zähne? Danke, die habe ich auch“, murmelte Louis, viel zu perplex, um es rebellisch klingen zu lassen. Verstand er das richtig? Es wurde einfach vorausgesetzt, dass er mit diesem ominösen Mister Eliteagentenpotential zusammenarbeitete?

Trevorian überhörte es geflissentlich, reichte ihm eine andere Karte mit dem Emblem der Shifter Force. „Hier haben Sie meine Kontaktdaten. Morgen, 12 Uhr, Besprechung in der Basis. Adresse steht dabei.“

„Ähm“, warf Balian ein, kratzte sich an der beginnenden lichten Stelle auf seinem Schädel.

„Ja?“ Au verdammt, Trevorian schaffte es, einen derart hochnäsigen Tonfall hinzubekommen, der Balian jeden weiteren Einwand abschnitt. Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte er Louis’ Chef, bis dieser den Kopf schüttelte, betreten auf seinen Schreibtisch starrte.

„Mein Einverständnis wird vorausgesetzt, oder?“, brachte Louis nur halb so sarkastisch hervor wie gedacht. Einerseits reizte es ihn, endlich dem Mief im Büro zu entkommen, die Neugierde auf diesen Superknaben wuchs ebenso wie auf die Frage, was wirklich dahintersteckte. Andererseits hasste er es, schlicht übergangen zu werden in der Entscheidung.

„Es ist nicht nötig. Vielleicht handhabt ihr in Europa das ja anders, bei uns ist dies ein Befehl von höchster Stelle, Agent.“ Oha, ja, Trevorian hatte scharfes Metall in der Stimme. Mit verärgert verzogenem Mund musterte ihn Louis. Scheiße, er würde sich gewiss nicht einschüchtern lassen, er war eben kein Karnickel, das vor der Schlange saß und vor Angst erstarrte. Er kratzte ihr die Augen aus.

Ehe er jedoch recht formulieren konnte, was er mit dieser Art von Befehl zu tun beabsichtigte, tippte sich Trevorian auch schon grüßend an die Stirn und wandte sich zur Tür.

„Lassen Sie unseren Agenten nicht warten. Unhöflichkeit ist schließlich ein rein amerikanisches Privileg.“ Zwinkerte der ihm etwa zu? Verblüfft schaute ihm Louis hinterher, als die Tür zufiel. In seiner Hand lagen die beiden Visitenkarten. Okay, er könnte sie jetzt in Balians Papierkorb pfeffern, seine Kündigung gleich dazulegen und verschwinden.

Oder zum Essen mit Mister Ominös gehen. Hm, natürlich ein Steakhouse. Wie amerikanisch. Wütend schürzte er die Lippen, überhörte Balians gemurmelte Entschuldigung und marschierte entschlossen los. Er hatte verdammten Hunger.

Kurzfristig überlegte Louis, ob er noch einen Abstecher in seine Wohnung machen sollte, um sich ein wenig … passabler zu präsentieren, verwarf den Gedanken jedoch grimmig. Der Eliteagent sollte ihn ruhig gleich richtig kennenlernen, und schließlich hatten sie kein Date, sondern ein Arbeitsessen.

Kapitel 2

 

Kapitel 2



Je näher er dem Steakhouse kam, desto sicherer wurde er sich, dass dies alles eine Art Test war. Aus irgendeinem Grund wollten diese Bürohengste, von denen vermutlich nicht mal einer mehr echte Eier besaß, ihn austesten. Seine Toleranzgrenze? Wie gut er sich im Griff hatte? Verdammt, er hatte nur ein einziges Mal je die Beherrschung verloren. Blut. Zu viel rotes Blut. Der Gestank steckte noch immer in seiner Nase, verschleierte den Blick.

Ja, er wusste noch, dass er das helle Pfeifen vernommen hatte, das immer schriller wurde, bis seine Ohren zu platzen drohten. Das harte Knacken von dünnen Knochen, der scharfe Geruch von Blut. Er wusste, dass er sich gewandelt, in Menschengestalt auf den Wolf gestürzt und mit bloßen Händen versucht hatte, ihm den Schädel einzuschlagen, zwischen dessen Kiefern die Überreste seines Partners hingen.

Sandro. Ein Pikawandler. Schüchtern, freundlich, manchmal ein wenig weltfremd wirkend. Sein Partner, sein Freund, sein Geliebter.

Seine Fäuste hatten den Wolf nicht einmal groß verletzt, nur der Treffer auf das Auge. Dennoch hatte er wie irre auf ihn eingeschlagen, die Bisse in Unterarme und Hüfte nicht einmal wahrgenommen. Erst der Einsatz von zwei anderen Wandlern hatte sie auseinandergebracht.

Zu spät. Sinnlos. Von Sandro existierten kaum noch Fellfragmente.

Louis taumelte, die Augen brannten und er musste sich halbblind an der nächsten Hauswand abstützen, Übelkeit, brennenden Schmerz und ätzende Kälte zurückdrängen. Nie würde er vergessen können. Nie verzeihen.

„Handlung im Affekt. Eine typische Wolfsreaktion. Bedauerlicher Vorfall.“ Wie gut er sich noch an die Stimme des Richters erinnerte, an jeden in der Jury, an das Gesicht des Mörders, der ihn nicht direkt ansehen konnte, dessen linkes Auge blind bleiben würde. Die einzige Strafe, die ihn nachhaltig begleiten sollte.

„Zwei Jahre auf Bewährung, Rückzug aus dem direkten Einsatz, psychologische Betreuung und Kontrolltraining.“ Oh ja, eine sehr harte Strafe. Scheiß Fleischfresser, die leckten sich doch solidarisch die Mäuler.

Sein Leben war leer und einsam ohne Sandro. Zwei Jahre waren sie Partner im Job und im Leben gewesen.

Blinzelnd schaute Louis hoch, rieb sich über das Gesicht, rang um Fassung. Die Erinnerung traf ihn jedes Mal heftig. Kategorisch hatte er jede Hilfe abgelehnt. Mit ihm war nichts verkehrt. Nur mit der Welt, in der ein Wolfswandler, der seinen Wolf nicht beherrschte, frei leben durfte, während sein Sandro tot war.

Da vorne war das Steakhouse. Er nahm den widerlichen Duft schon wahr, noch bevor er das Schild mit dem obligatorischen Rinderschädel entdeckte. Grimmig blinzelte er den letzten Rest Brennen aus den Augenwinkeln fort, ballte die Fäuste in den Taschen und fixierte die Eingangstür. Todsicher würde er sich vor diesem Greenhorn keine Schwäche erlauben. Und wie sollte er diesen Eliteagenten überhaupt finden? Weder hatte er einen Namen, noch eine Beschreibung? Wenn dies kein verdammter Test war, was war es dann?

Beinahe zu schwungvoll stieß er die Tür auf, versuchte den intensiven Bratengeruch zu ignorieren und schaute sich sorgfältig um. Es war früh fürs Mittagessen, nur wenige Gäste anwesend. Hm, seltsam, an keinem Tisch saß jemand alleine und von den anderen sah auch keiner nach einem Agenten der Shifter Force aus. Kurz versicherte er sich, dass er das richtige Restaurant gewählt hatte, nahm kurzentschlossen an einem Tisch an der Seite Platz, von wo aus er den Eingang beobachten konnte.

Na klasse, Neuagent Elitearsch verspätete sich. Das fing ja gut an. Ob er wollte oder nicht, das machte ihn durchaus sympathischer. Grimmig lächelnd bestellte er ein Bitter Lemon, winkte indes ab, als der Kellner ihm die Karte zuschob. „Mein Geschäftspartner fehlt noch. Und er ist fürchterlich wählerisch, wissen Sie? Ich warte lieber, bis er ausgesucht hat, sonst muss ich mir wieder Vorwürfe anhören. Schwule Kerle können solche Zicken sein.“ Süßlich lächelte er den jungen Kellner an, lachte innerlich, als dessen Wangen sich prompt ein wenig röteten und er ihn überrascht musterte.

„Selbstverständlich“, erwiderte er geschäftsmäßig und Louis freute sich schon diebisch darüber, wie pikiert er den unbekannten Agenten aufgrund dieser Informationen nun behandeln würde. Tja, wer zu spät kam, durfte sich nicht beschweren.

Grübelnd schaute er aus dem Fenster, die Finger spielten mit dem Bierdeckel. Wie lange sollte er warten? Ja holla, was kam denn da gerade vorbeigeschlendert? Wow, das war ja mal ein scharfer Typ. Gebräunte Haut, relativ groß, die Arme genau im richtigen Verhältnis bemuskelt, um attraktiv und nicht aufgepumpt zu wirken. Das dunkle T-Shirt brachte die Statur wunderbar zur Geltung, die Jeans saß tief auf Hüften, die Louis’ Fantasie sofort anregten. Dazu rundeten Cowboystiefel den lässigen Look ab. Oh Mann, was für ein Schnuckel. Hellbraune, fast blonde Haare, die in weichen Wellen vorne bis zum Kinn, hinten bis in den Nacken fielen und das markante Gesicht einrahmten. Der Traumtyp wandte den Kopf, schaute ein wenig nach oben, und Louis stockte der Atem, als er entschlossen auf den Eingang zutrat und die Tür öffnete.

Nee oder? Das durfte nicht wahr sein. Leider doch, denn der feuchte Traum auf zwei überaus wohlproportionierten Beinen marschierte direkt auf ihn zu, ein Lächeln auf den zauberhaften Lippen, das Louis’ Lenden auf eine harte Probe mit der Kontrolle über seine tierischen Instinkte stellte. Scheiße!

„Louis Bauer?“

Dreitausend Mal verdammt, was für eine rauchige, absolut hammergeile Stimme. Das war doch zum Verrücktwerden. Viel zu zaghaft nickte Louis, gefangen in dem Anblick makelloser Zähne und sinnlicher Augen, in deren dunkelblauen Tiefen er versinken wollte. Das war nicht fair, das war grausam. Wer hasste ihn so sehr, ihm diesen karnivoren Leckerbissen vor die Nase zu setzen?

„Jepp, bin ich“, brachte er halbwegs anständig hervor, riss sich entschlossen von dem Anblick der kleinen Grübchen los, die das Lächeln auf das Gesicht des Agenten zauberte.

„Freut mich sehr. Ich bin Cosmo Baldwin. Verzeihung, dass es etwas länger gedauert hat, ich bin die Großstadt nicht gewohnt und hatte ein wenig Mühe, die richtige Straße zu finden.“ Cosmo nahm ihm gegenüber Platz, reichte ihm nach kurzem Zögern die Hand.

Verdammt, verdammt, verdammt. Dieser Name. Man konnte ihn erstklassig stöhnen, und diese charmante Art, sich über die Lippen zu lecken, der feste Händedruck und das Spielen der Muskelstränge am Arm. Dieser leichte amerikanische Akzent war göttlich. Mann, er würde gleich anfangen zu sabbern. Reiß dich am Riemen, Rammler!

„Oh Verzeihung, der Ausweis.“ Mit einer beiläufigen, in Louis’ schmelzendem Hirn jedoch äußerst erotischen Bewegung, zog Cosmo den Ausweis der Shifter Force hervor und legte ihn auf den Tisch. Lange Finger, braungebrannt, sehnig. Diese Hände würden sich so gut anfühlen, wenn sie hart zupackten.

Guck nicht auf die Hände! Den Ausweis!

„Okay, und meiner.“ Louis nestelte seinen hervor, legte ihn neben den anderen. Ein grüner Punkt oben in der Ecke. Kategorie Drei-Wandler: vollkommen harmlos. Natürlich hatte Cosmo einen roten Punkt auf seinem Ausweis. Kategorie Eins: gefährlich. Aber warum war der Punkt bei ihm zusätzlich rot umrandet? Ehe er nachfragen konnte, steckte Cosmo den Ausweis auch schon wieder ein, lenkte Louis erneut mit seinen Bewegungen ab.

„Hast du schon bestellt? Oh, Verzeihung, in Deutschland ist es nicht üblich, sich zu duzen, nicht wahr?“, unterbrach Cosmo seine Gedanken, das Lächeln wirkte echt, dennoch fragte sich Louis unwillkürlich, ob er ihn verarschen wollte und genau merkte, wie er bei ihm ankam. Umso wichtiger, dass er sich zusammenriss.

„Üblicherweise siezt man sich, wenn man sich noch nicht kennt. Der Ältere kann jedoch das ‚Du‛ anbieten, wenn es ihm angemessen erscheint.“ Louis räusperte sich, überlegte nur einen Lidschlag lang, ob er auf dieser Art Arschlochschiene bleiben sollte und verwarf es. „Also okay, ich bin Louis. Schon gut.“ Cosmos Lächeln war wie Benzin auf die glühenden Kohlen seiner Lenden. Scheiße Mann, er musste sich ablenken.

„Bitte, bestell dir gerne etwas Totes. Für mich tut es ein Salat.“ Nur kein zu blutiges Steak, fügte Louis in Gedanken hinzu, zwang das prompte Gefühl von Übelkeit zurück, zusammen mit allen erotischen Anwandlungen.

„Dann tut es das für mich auch“, erwiderte Cosmo überraschenderweise, winkte den Kellner heran, der sich mit skeptischem Blick näherte und ihre Bestellung aufnahm. Louis konnte nicht einmal sein übertrieben auf Abstand gehaltenes Verhalten genießen, in seinem Kopf drehte sich alles und er verfluchte sich, Trevorian, die Organisation und das Schicksal. Scheiß drauf, er würde sich nicht von seinen Trieben blenden lassen. Was auch immer hier mit ihm abgezogen wurde, da war was faul dran.

Er nippte an seinem Bitter Lemon und schaffte es, den vagen Groll wieder mehr in den Vordergrund treten zu lassen, der ihn seit jenen Ereignissen treu begleitete. Nichts war so abtörnend wie die Vorstellung, einem weiteren potentiellen Mörder seinesgleichen gegenüberzusitzen. Und überhaupt: Der Kerl war das Abziehbild eines amerikanischen Wonderboys. Akademie? Elite? Ja sicher, all das war er, und ausgerechnet so ein Hochglanzbild aller Wandlerideale platzierte man direkt vor seine Karnickelnase und erwartete, dass sie zusammenarbeiteten? Was zur Hölle sollte er ihm zeigen, was er nicht viel besser wusste?

„Also?“, begann Louis, als der Kellner ihnen zwei Salate vorsetzte, Cosmo sein Wasser hinstellte und rasch wieder verschwand. „Was soll das hier werden?“

„Werden?“ Über die erhobene Gabel mit einem Blatt grünstem Salat schaute Cosmo ihn mit seinen verboten sexyen Augen an. „Hat Trevorian dich nicht instruiert? Wir sollen als Partner zusammenarbeiten. Hat er dir wirklich nichts davon erzählt?“

„Partner? Es gibt exakt zwei Gründe, warum jemand wie du und jemand wie ich völlig inkompatibel sind“, bemerkte Louis bewusst rüde, während er ein Möhrenstück mit Genuss verschlang.

„Inkompatibel?“ Ein guter Schauspieler schien Cosmo auch noch zu sein, oder war er wirklich so unschuldig wie er aussah? Nie im Leben.

„Grund eins: Ein Karnickelwandler wie ich, gehört zu der untersten Schicht in unserer Wandlergesellschaft. Wir sind gerade mal gut genug, hinter euch her zu wischen, die Verwaltung zu machen, vielleicht mal in harmlosen Bereichen zu spionieren, wo ein Löwe schlicht zu auffällig wäre. Oder auch jemanden abzulenken, ganz eventuell Informationen zu sammeln und zu stehlen. Niedere Arbeiten, an denen sich kein anderer die edlen Pfoten verbrennen will. Kampfeinsätze, Geheimaufträge in Krisengebieten, alles, was gefährlich und prestigeträchtig ist, überlässt man ganz sicher nie einem von uns. Dafür seid ihr ja da: Die Elite der Wandlerwelt, die beliebten und geachteten Löwen, Jaguare, Wölfe, Bären, Adler und andere. Womit wir zum zweiten und viel entscheidenderen Grund kommen.“ Tief holte Louis Luft, spürte die vertraute Bitterkeit in sich und schaffte es, die Worte mit genau diesem Gefühl in Cosmos verblüfftes und attraktives Gesicht zu werfen: „Du bist ein Fleischfresser. Du stehst in der Nahrungskette weit über mir und allen anderen Herbivorwandlern. Wir sind Beute und du ein Jäger, aber nie im Leben Partner.“ Wut ließ Louis die Gabel heftig in den Salat stoßen. Seine Finger wollten sich zu Fäusten ballen, und auch wenn er diesen Mund nur zu gerne küssen, über das kantige Kinn lecken würde, so gerne wollte er ihm auch die Faust ins Gesicht rammen.

„Verstehe“, sagte Cosmo leise, in einem Tonfall, der Louis von seinem Salat aufsehen und ihn mit gerunzelter Stirn mustern ließ. Was war das? Echtes Verständnis? Oder gar Mitleid?

„Ich weiß, was mit deinem Partner geschehen ist, und deine Gefühle sind berechtigt.“

Verdammt, Mitleid! Wenn er eins nicht ausstehen konnte, dann dieses geheuchelte Verständnis.

„Hast du brav deine Hausaufgaben gemacht? Prima. Gab es noch einen Kurs Psychologie für Anfänger an der Akademie? Dann stecke dir alle hohlen Phrasen sonst wohin“, zischte Louis, funkelte Cosmo an. „Gewöhnliche Kaninchen sind vielleicht lieb und nett. Ich bin keins davon, weder lieb noch kuschelig. Ich scheiß auf nett!“

„Nein, du bist ein Audubon-Baumwollschwanzkaninchen“, korrigierte ihn Cosmo murmelnd, wirkte betreten.

„Ah, sehr gut. In Hausaufgaben gibt es eine glatte Eins. Wenn du über mich Bescheid weißt, dann weißt du auch, was ich von Deinesgleichen halte. Und auch wenn meine Art üblicherweise nicht zu den Karnivoren gehört, ich würde diesem Wolf noch immer gerne ein Messer in die Kehle stoßen. Oder sie ihm mit den Zähnen aufreißen.“ Täuschte er sich oder war das ein flüchtiges Lächeln? Verdammt, es war schwer, wütend und zynisch zu bleiben, wenn Wahnsinnsaugen ihn auf diese Weise ansahen.

„Hör zu: Keine Ahnung, was das hier werden soll und warum du amerikanischer, geschniegelter Elitewandler hier auftauchst und plötzlich einen auf ‚Best Friend‘ mit einem von den Lowest Dogs machst, aber die Sache stinkt gewaltig, dafür habe ich ein feines Näschen.“ Verdammt, das war eindeutig ein Lächeln, dieser Cosmo nahm ihn nicht ernst. „Je mal einen Blick auf die Gehaltsabrechnung geworfen? Sozialleistungen? Altersabsicherung? Invalidenabsicherung? Gehörte wohl nicht zu deinen Hausaufgaben. Gibt es nämlich für uns nicht. Erst ab Kategorie Eins. Wir sind entbehrlich. Da hätte ein so helles Köpfchen schnell erkannt, dass wir Wandler in einer Drei-Klassen-Gesellschaft leben: Fleischfresser, Allesfresser und am Ende der Liste die dummen Pflanzenfresser. Und ich muss nicht einmal Hausaufgaben machen, um zu erkennen, dass du einer dieser Wolfswandler bist. Also vergiss gleich alles, was das Wort Partner beinhaltet. Wir stehen nicht auf derselben Stufe.“

„Nicht wirklich.“ Cosmo schüttelte den Kopf, ließ die Locken seiner Haare tanzen. Sichernd sah er sich um, beugte sich ein wenig näher: „Adler. Weißkopfseeadler, um genau zu sein.“

„Scheiße, siehste!“ Verächtlich schürzte Louis die Lippen, sein Hasenherz pochte heftiger. Raubvogel! Na großartig. Wenn er an diese Krallen dachte … „Das amerikanisches Wappentier. Oh Mann, eine Nummer kleiner ging’s wohl nicht? So, dann überlege mal mit deinen scharfen Instinkten, was Deinereiner so allgemein gerne speist. Und du denkst echt, ich würde bei dieser Farce mitmachen?“ Tief holte Louis Luft, fühlte sich elend, überraschend erschöpft und enttäuscht.

„Eher Fisch. Du musst dich ganz sicher nicht vor mir fürchten“, sagte Cosmo leise. „Kontrolle ist ein wesentlicher Bestandteil der Ausbildung und …“

„Ja. Das habe ich gesehen. Live und blutig.“ Augenblicklich wurde Louis’ Kehle eng und er hatte Mühe, zu atmen, die Wut aufrecht zu halten. Als ob sie wie Dampf entwichen wäre und er innerlich hohl und leer zurückgeblieben wäre. Ohne Sandro, ohne jemanden, den er so wie ihn lieben konnte.

„Louis …“ Waren das Finger auf seiner Hand? Hatte Cosmo wahrhaftig die Hand auf seine gelegt in einer zugleich berührenden, wie verwirrenden Geste? Und wie er ihn ansah. Als ob er wahrhaftig seinen Schmerz fühlen würde, als ob er wirklich nachempfinden könnte … Und auch wenn Louis seine Hand hastig zurückziehen wollte, es gelang ihm nicht.

„Ja, ich habe meine Hausaufgaben für diesen Fall gemacht, und falls es von Interesse ist, ich habe um dich als Partner gebeten.“ Viel zu intim, viel zu zweideutig klang das, und Louis riss seine Hand zurück, schob kämpferisch den Unterkiefer vor, bleckte die Zähne und bekam dennoch nichts heraus. Noch immer fühlte sich sein Handrücken warm an. Zauber menschlicher Nähe, die er schon zu lange entbehrt hatte.

„Und mir war nicht bewusst, welche Kluft zwischen den Wandlern besteht. Für mich waren bisher alle Shifter unserer Community gleichberechtigt, lediglich eingesetzt in ihren Spezialgebieten. Jetzt, wo du es sagst, fällt mir jedoch die Diskrepanz der Artenverteilung durchaus auf. Davon wusste ich bisher nichts.“

Schnaubend schüttelte Louis den Kopf, glaubte ihm kein Wort. Das war doch Schmeichelei, der Versuch, ihn zu umgarnen. „Du wusstest nichts davon? Auf welcher Insel hast du bisher gelebt?“

„Jarvis-Island. Das liegt im Pazifik, gehört zu Line Island.“

Mit offenem Mund starrte Louis ihn an. Der verarschte ihn doch. Oder? Aber es wirkte echt. Cosmo wirkte echt. Und anders, als alle anderen Kategorie Eins-Wandler, denen er je begegnet war.

„Was?“, brachte er heraus.

„Jarvis Island, etwa in der Mitte zwischen Hawaii und den Cookinseln. Aber ich denke, wir besprechen das alles besser nicht hier, sondern bei …“ Zwischen Cosmos Lippen blitzte die Zungenspitze hervor, leckte kurz über die Oberlippe und er beugte sich näher heran. „Einem Spaziergang? Zeigst du mir eure Stadt?“

„Verdammt, in welchem Kurs wurde denn Nettigkeit unterrichtet?“, stieß Louis perplex hervor, schüttelte irritiert den Kopf. Konnte es sein, dass Cosmo wirklich kein Arschloch war? Oder war das Wunschdenken? „Du weißt schon, wie deine Einladung klingt? Wenn du meine Akte kennst, wirst du auch wissen, dass ich schwul bin. Solche Details dürften dort auch vermerkt sein.“ Damit war das auch gleich raus. Thema abgehakt.

„Damit habe ich kein Problem“, meinte Cosmo schulterzuckend, winkte den Kellner heran und erneut blitzte diese Zungenspitze verführerisch hervor, Verdammt, verdammt, verdammt. Louis fühlte sich heiß und kalt zugleich und er hatte absolut keine Ahnung, wie er sich verhalten sollte.

„Jarvis-Island? Wirklich?“, hakte er nach, als die Tür des Steakhouses sich hinter ihnen schloss. Cosmo faltete den Restaurantbeleg sorgfältig zusammen und steckte ihn ausgerechnet in die hintere Hosentasche seiner Jeans, lenkte Louis’ Blick auf seine begehrenswerte Kehrseite.

„Ja, genau. Die Insel gilt als unbewohnt, weshalb sie ein idealer Stützpunkt der Shifter Force ist. Dort gibt es ein geheimes Ausbildungszentrum und eine Forschungseinrichtung, alles unterirdisch und gut getarnt. Das Gebiet wird zudem regelmäßig durch die United States Coast Guard patrouilliert und niemand darf ohne Genehmigung die Insel betreten“, erzählte Cosmo, während sie nebeneinander die Straße entlanggingen.

„Sind das nicht diese Inseln, auf denen Vogelscheiße abgebaut wurde?“

„Richtig. Da lagern auch noch Berge von Guano.“

„Super, in der Scheiße musst du dich ja so richtig heimisch gefühlt haben.“ Okay, das klang härter als es beabsichtigt war, Louis tat jedoch nichts, um es abzumildern. Geheimes Ausbildungszentrum? Also nicht die klassische Akademie, die die Kategorie Eins-Wandler für gewöhnlich besuchten? Hatte Cosmo deswegen den roten Punkt mit Kreis drumherum? Was verbarg sich dahinter?

„Nicht wirklich“, bemerkte Cosmo, klang ein wenig abwesend. „Es war eher …“ Sichernd schaute er sich um. „Sagt dir der Firmenname‚Better Life‛ etwas?“

„Ich wurde vor ein paar Stunden dazu verdonnert, mich über die schlau zu machen. Scheinen eine weiße Weste zu haben, was ich jedoch von keiner Pharmaziefirma glaube.“ Stirnrunzelnd betrachtete Louis Cosmo von der Seite. Er war nicht viel größer als er selbst, die Schultern natürlich breiter, die Arme muskulöser. Ja, diese Nase passte zu einem Adlerwandler.

„Nun, sie sind der Grund, warum wir zusammenarbeiten. Die Firma betrieb dort das Testzentrum zusammen mit der Shifter Force“, erklärte Cosmo, hatte die Stimme deutlich gesenkt, während sie ein paar Stufen zur Spree hinabstiegen. Louis hatte kein bestimmtes Ziel, sie liefen einfach immer der Nase nach, mieden die größeren Straßen. Am Flussufer war es angenehm menschenleer.

„Was? Seit wann arbeiten die mit einem Pharmazieunternehmen zusammen?“ Nun war Louis wirklich verblüfft.

„Offiziell erforschen sie im Auftrag der Shifter Force die genetischen Voraussetzungen der Wandler. Du weißt schon: Warum gibt es uns überhaupt? In welchem Stadium der Embryoentwicklung wird aus einem normalen Menschen ein Wandler? Und welche Gene bestimmen, welche Art Wandler? Und warum treten die Symptome dafür erst mit Eintritt der Pubertät auf?“ Cosmos Blick glitt über die glitzernde Wasserfläche und seine Züge verhärteten sich für einen kurzen Augenblick, ehe er sich abrupt zu Louis umwandte und ihn direkt fixierte. „Niemand außer Trevorian, seinem Vorgesetzten, unserem Team, dir und mir weiß bisher von der Sache. Es ist ein ungeheurer Verdacht, aber ich habe dort so einiges mitbekommen und kann dir versichern, dass es wahr ist. Es gab Bestrebungen in ‚Better Life‛, ein Serum zu entwickeln, mit dem man die Wandlung direkt beeinflussen kann. Und zwar nicht nur, in welche Art man sich wandelt, sondern auch, ob diese Wandlung vom Willen gesteuert wird oder … von außen.“

„Wie bitte? Das ist ein schlechter Scherz?“

„Nein, ist es leider nicht. Sie haben teilweise Erfolg gehabt und verschiedene Mittel entwickelt. Besonders problematisch war allerdings ein Serum, das bewirkt, dass der Wandler sich nicht zurückwandeln kann, schlimmer noch, es nicht mehr will. Er wird und bleibt ein Tier und scheint alles Wandlerverhalten zu verlieren. Auch die Kontrolle.“

Wandler, die in ihrer tierischen Gestalt gefangen blieben? Verdammt, das war kein schöner Gedanke.

„Ob diese Forschungen von der Firmenleitung und den Verantwortlichen der Shifter Force abgesegnet waren, ist nicht sehr wahrscheinlich, jedoch konnten wir das noch nicht endgültig klären. Auf jeden Fall sind vor einiger Zeit die Resultate dieser Experimente, alle Formeln und Unterlagen verschwunden. Zusammen mit zwei Wissenschaftlern und drei Wandlern des Ausbildungszentrums.“

„Und das vor den Spürnasen der Shifter Force?“, hakte Louis misstrauisch nach. Das klang alles reichlich fantastisch. Geheime Ausbildung … Was Cosmo wohl gelernt hatte? Wie war er dort hingekommen?

„Direkt vor deren Nase. Wir waren am Ende zu siebt in diesem geheimen Ausbildungszentrum und drei der Agenten sind seither ebenso spurlos verschwunden.“ Cosmos Kiefer mahlten, sein Blick glitt über Louis’ Schulter zurück auf das Wasser. „Einen haben wir in Arizona wiedergefunden. Zumindest wissen wir, dass es sich um den Agenten handelte, der Chip am Hals war da. Er selbst wusste es wohl nicht mehr, war nur ein Schakal, verhielt sich wie alle anderen.“

„Scheiße!“ Nicht, dass Louis seine Karnickelseite nicht durchaus hin und wieder sehr schätzte, besonders, wenn es um Schnelligkeit und den Hörsinn ging, nichtsdestotrotz war er lieber als Mensch unterwegs. Die Vorstellung, in seinem tierischen Selbst gefangen zu sein und nicht wieder zurückzukönnen, war nicht sehr erbaulich.

„Seither häufen sich die Fälle ehemaliger Agenten weltweit, die nur noch als Tiere existieren. Kannst du dir vorstellen, was ein Löwenwandler in einem Hochhaus inmitten von Chicago anrichten kann?“

„Komm schon. Von solchen Vorfällen hätten doch sogar wir hier am Ende der Nachrichtenkette gehört“, wandte Louis skeptisch ein. „Abgesehen von der Normalowelt, kann man derartige Vorfälle doch in der Shifter Community nicht auf Dauer geheim halten.“

„Die Führung der Shifter Force hat natürlich alles vertuscht, sogar intern. Offiziell ist besagter Löwe aus einer Privathaltung ausgebrochen und sie haben ihn in Notwehr erschossen.“

„Doppelte Scheiße!“ Geräuschvoll stieß Louis die Luft aus. „Was läuft da?“

„Genau das herauszufinden, ist jetzt unser Auftrag. Genau genommen gibt es uns gar nicht. Trevorian leitet den geheimen Einsatz, mit zwei Jarvis-Agenten, mir und … dir“, schloss Cosmo, lächelte ihn schief an. „Wenn du dich natürlich gar nicht damit abfinden kannst, mit mir zusammenzuarbeiten, dann müssen wir jemand anderen finden.“

„Warum ich? Ich meine, es gibt doch sicher jede Menge Kategorie Eins-Schnüffler, die den Job erledigen können? Außer euch Jarvis-Typen.“ Erneut keimte Argwohn in Louis auf und er musterte Cosmo eindringlich. Die Art und Weise, wie dieser ihn anschaute … er wurde nicht recht schlau daraus.

„Dein Profil sagte mir zu. Deine Vorgehensweise, die Entschlossenheit. Du bist unauffällig genug, Kaninchen gibt es schließlich fast überall. Und es sollte jemand sein, der nicht aus der Kategorie Eins stammt, denn bisher wurden nur solche Wandler Opfer“, erklärte Cosmo. „Und am besten ein Deutscher, der die Sprache und Gepflogenheiten kennt, weil die Firma ihren Sitz in Deutschland hat.“

„So? Mein Profil gefiel dir? Auf PlanetRomeo würde ich da ja dahinter eine Anmache versteckt sehen“, gab Louis zurück, konnte nicht anders, musste plötzlich grinsen. Alles, was Cosmo ihm bisher über den Fall erzählt hatte, wenn es denn den Tatsachen entsprach, reizte ihn. Scheiß Neugierde, aber das war so ein Fall, nach dem er sich schon immer die Pfoten geleckt hatte. So viele Fragen, so viele Geheimnisse.

„Nun, es stand natürlich nicht dabei, wie temperamentvoll du sein kannst“, bemerkte Cosmo mit einem Zwinkern, fuhr sich mit gespreizten Fingern durch die lockigen Haare. „Also würdest du uns helfen, diese Sache aufzudecken? Es könnte sein, dass es sehr gefährlich wird, wir in einige brenzlige Situationen geraten. Es könnte die gesamte Zukunft der Shifter Force davon abhängen.“

„Das ist jetzt echt unfair“, meinte Louis. Er fühlte sich plötzlich vergnügt und unternehmungslustig wie schon lange nicht mehr. Gut, da war die Tatsache, dass er mit diesem feuchten Traum auf zwei Beinen zusammenarbeiten musste, der zudem ein schnöseliger Kategorie Eins-Wandler war. Egal, der Rest war einfach zu verlockend. „Das sind mindestens zwei Gründe, die es mir unmöglich machen, das Angebot auszuschlagen. Okay, wo fangen wir an?“

Cosmos Lächeln wischte auch den letzten Rest Ärger fort, breitete sich in ihm mit prickelnder Wärme aus und machte ihm nur zu bewusst, dass er chronisch untervögelt war, wenn er schon einen Adlerwandler ansabberte. Scheiße peinlich.

„Morgen treffen wir uns mit Trevorian und den anderen in der Basis. Bis dahin … Zeigst du mir mehr von Berlin? Ich war gut sieben Jahre auf dieser Insel und habe ein wenig Nachholbedarf, was Zivilisation angeht.“ Erneut wirkte Cosmo ein wenig verlegen, stopfte sich in einer sehr jungenhaft anmutenden Geste die Hände in die hinteren Hosentaschen. Oh ja, er war noch recht jung, das wurde Louis plötzlich bewusst.

„Sieben Jahre nur den Anblick von einem Haufen Vogelscheiße? Oh Mann, und ich dachte immer, ich hätte eine miese Aussicht von meinem Wohnzimmerfenster und der Geruch der Mülltonnen im Hinterhof wäre schlimm. Hm, okay, dann lass uns losziehen. Als erstes holen wir uns ein Eis. Und ich schwöre dir, es wird das Beste sein, was du jemals gegessen hast“, bestimmte Louis, stutzte erneut: „Sieben Jahre? Was treibt man sieben Jahre unter einem Haufen Korallen und Guano?“

Cosmos Lächeln wirkte geheimnisvoll, vielleicht auch ein wenig wehmütig. „Wenn das Eis so gut ist, wie du versprochen hast, werde ich es dir verraten.“

„Dann los. Das Eis ist so gut, dass du mir sogar verraten würdest, auf welches Starfoto du das allererste Mal gewichst hast.“ Lachend stieß Louis ihn in die Seite, zog Cosmo am Arm mit sich. Böser Fehler. Braungebrannte Haut, mit glänzenden Härchen darauf, unter denen straffe Muskeln spielten, war zu gefährliches Terrain. Hastig ließ er los, winkte ihm stattdessen, ihm zu folgen. Eis war genau richtig zum Abkühlen, wenn das Blut heiß in den Unterleib strömte. Oh Mann, heute Nacht würde seine Hand gut zu tun bekommen.

Kapitel 3

 

Kapitel 3



Gähnend streckte Louis sich, rieb sich verschlafen über das Gesicht. Wie spät war es? Oh, erst 9 Uhr, genug Zeit. Wie überaus angenehm, dass ihn heute Morgen kein Weckerklingeln aus dem Schlaf gerissen hatte, er nicht in der überfüllten S-Bahn in das muffige Büro musste. Stattdessen würde er sich um 11:30 Uhr mit Cosmo bei Starbucks treffen und ihn zur Basis begleiten.

Cosmo … Tja, dank diesem Sahneschnittchen hatte er eine recht erschöpfende, nur teilweise befriedigende Nacht verbracht. Ohne Zweifel, seine Libido hatte starken Nachholbedarf, wenn ihn nur die Vorstellung eines sexy Adlerwandlers derart auf Touren bringen konnte. Und das lag nicht nur an dem fantastischen Aussehen, sondern an Cosmos gesamter Art. Wie er sich bewegte, kleine Gesten, sein Lächeln, das Stirnrunzeln, ein verlegenes Kauen auf der Unterlippe.

Sieben Jahre hatte er also auf einem gottverlassenen Korallenatoll verbracht und nichts anderes zu tun gehabt, als ein verdammter Elitewandler zu werden. Oh Mann, er wäre dabei ausgerastet.

„Seit du vierzehn bist?“, hatte Louis ihn ungläubig gefragt, als Cosmo davon erzählte, wie man seine Veranlagung entdeckte und er in das Spezialprogramm aufgenommen wurde.

„Die Fähigkeit, sich zu wandeln, tritt in der Regel bei Erreichen der Pubertät ein.“ Bedächtig nickte Cosmo, schleckte in einer viel zu erotisch wirkenden Geste das Eis ab, sodass sich Louis auf der Stelle wünschte, zu einer Kugel Vanilleeis zu werden. Diese Zunge!

„Ja, so haben sie es auch bei mir entdeckt. Meine Eltern waren reichlich verwundert, dass da plötzlich ein Karnickel im Zimmer rumhopste. Aber besser als ein Bär. Ich glaube, das hätte sie viel mehr geschockt“, meinte Louis, dachte mit vager Wehmut an den Abschied zurück. Fünfzehn war er gewesen und noch hatten seine Eltern nicht bemerkt, dass seine sexuellen Präferenzen nicht bei Brüsten lagen. Da war die Sache mit der Wandlung deutlich interessanter. Ihr Sohn war etwas Besonderes, einer der seltenen Wandler, und dann ernüchternder Weise leider nur Kategorie Drei.

Wie bei vielen anderen Wandlern auch, war der Kontakt nach Eintritt in die Shifter Community abgebrochen. Kontakte waren nicht erwünscht und wurden gegebenenfalls unterbunden, denn es sollte so wenig Berührungspunkte wie möglich mit den anderen Menschen geben. Am besten sollten sie vergessen, dass es ihre Spezies gab. Die entdeckten Wandler wurden mit einem Chip im Hals versehen, ihr genetischer Fingerabdruck gespeichert. Danach verschwanden sie aus dem Leben der normalen Menschen. Und verloren all ihre üblichen Rechte. In der Shifter Community galten andere Regeln.

Anfangs hatte Louis wirklich noch davon geträumt, ein aufregendes Leben mit gefährlichen Einsätzen, spannenden Reisen zu geheimnisvollen Orten zu erleben. Bis die Ernüchterung eintrat, dass er als Kategorie Drei nun mal von den allermeisten wirklich guten Jobs ausgeschlossen war. Das hatte ihn nicht daran gehindert, sich rigoros einen Platz im Kampftechnikkurs zu erobern und notfalls lautstark gegen jede Art von Diskriminierung vorzugehen, die ihn von seiner Wunschausbildung abhielt. Teilweise war es ihm sogar gelungen, und er hatte sicher mehr von der Welt der Kategorie Eins-Wandler mitbekommen, als je einem anderen von ihnen vergönnt gewesen war.

Auch deshalb war er schließlich in der Special Needs, der Unterabteilung der Shifter Force, gelandet und man hatte ihm durchaus interessante Spionageeinsätze zugedacht. Zwei Jahre lang war er in Süd- und Mittelamerika eingesetzt worden, hatte viel Vorarbeit in den Slums und Drogenfarmen für Razzien geleistet, von denen er indes ausgeschlossen blieb. Dort hatte er auch Sandro kennengelernt, der vornehmlich administrative Aufgaben in der Basis erfüllte. Zaghaft hatte sich zwischen ihnen mehr entwickelt und war schließlich zur Liebe erblüht. Seine erste große Liebe.

Wäre da nur nicht dieser verdammte Einsatz gewesen, ihr größter Erfolg. Eigentlich wären sie beide gar nicht in Gefahr geraten. Louis hatte den Auftrag, sich ins Haus zu schleichen, die Hintertür zu öffnen und war anschließend zu ihrem Versteck zurückgehoppelt, wo Sandro in Pikagestalt auf ihn wartete. Sein Pfeifen war das Signal für den Einsatz gewesen. Als kurz darauf der Transporter mit dem Einsatzteam eintraf, sprangen die Agenten von der Ladefläche, wandelten sich sofort und stürzten los. Bis auf diesen Wolfswandler, der plötzlich orientierungslos zu werden schien, mit einem Knurren auf sie zusprang und sich Sandro schnappte.

Verdammt! Nein, er wollte nicht mehr daran denken. Schon gar nicht, wenn er sich voll und ganz auf diesen neuen Job konzentrieren sollte. Missmutig drückte Louis sein Gesicht ins Kissen, versuchte mit aller Macht, die schrecklichen Bilder zurückzudrängen.

Das Risiko, die Kontrolle über die tierischen Instinkte zu verlieren, bestand bei jedem Wandler. Genau deswegen wurden sie alle darauf geschult, die Kontrolle zu behalten. Gerade alle Kategorie Eins-Wandler. Tja, dumm nur, wenn ihnen diese versagte.

Mit einem tiefen Seufzen rollte Louis sich aus dem Bett, ging duschen und versuchte, sich alle Gedanken an Cosmos sexy Körper fortzuspülen. Nachdem er nach Deutschland zurückgekehrt war, hatte es, bis auf ein paar halbherzige Versuche, seine sexuellen Bedürfnisse in den Gayclubs der Stadt zu befriedigen, keiner mehr geschafft, ihn auf diese Weise zu interessieren.

Cosmo war auch nicht besser als all die anderen Fleischfresser. Auch wenn er erotische Fantasien beflügeln mochte, er blieb ein Adler mit Raubtierinstinkten. Besser, er versuchte gar nicht erst, mehr in ihm zu sehen. Und dann waren da ja noch die anderen vom Team, die er heute treffen würde.

Cosmo hatte nicht viele Worte über sie verloren, lediglich, dass zwei davon zum Ausbildungsprogramm gehört hatten. „Du wirst sie kennenlernen“, hatte er abgewunken, als Louis nachfragte. „Und sie beißen nicht.“ Na, dessen war er sich ganz und gar nicht sicher.

Pünktlich um 11:30 Uhr betrat er das Starbucks Café und entdeckte Cosmo an einem Tisch, von wo er ihn offen anlächelte. Er schien der einzige der Gäste zu sein, der nicht in ein Smartphone starrte oder am Laptop tippte.

Louis nickte ihm zu, holte sich jedoch erst mal einen Cappuccino. Nicht, dass Cosmo auf die Idee kam, er würde sich zu sehr freuen ihn zu sehen oder es gar eilig haben, die anderen und die Basis zu sehen. Okay, das war reichlich kindisch und wenig professionell. Gemessenen Schrittes kam er danach zu dem Tisch, setzte sich und nickte Cosmo erneut zu. „Alles fit, wie ich sehe.“

„Der ständige Lärm ist gewöhnungsbedürftig“, meinte Cosmo, lächelte eindeutig noch immer zu charmant. Verdammt, wie sollte er es schaffen, ihn weiterhin nicht leiden zu können, wenn er schlicht so … nett war? Es klappte nicht, selbst wenn er sich den scharfen Schnabel, Krallen und die Adleraugen vorstellte, von denen in Cosmos menschlicher Form so rein gar nichts zu erkennen war.

„Man gewöhnt sich dran“, brummte Louis, nippte an seinem Becher, auf dem „Losis“ stand. Irgendwo tief in seinem Magen versteckte sich ein leicht nervöses Flattern und er versuchte es durch eine gewisse Morgenmuffeligkeit zu tarnen.

„Ich hole mir eben noch einen Donut, soll ich dir was mitbringen?“ Cosmo erhob sich ihm gegenüber und Louis’ Blick blieb zwangsläufig direkt an seiner Körpermitte hängen. Scheiße auch, wenn er sich vorstellte, was sich da unter diesem Stoff abzeichnete …

„Verdammt!“ Feuchte Hitze traf sein Bein und hastig stellte Louis den Becher ab, wischte die Spuren des Getränks rasch von der Hose. So ein Mist! Wie peinlich, da war er wohl zu sehr abgelenkt gewesen von der Beule vor seiner Nase. Verdammte Rammlerinstinkte.

„Verzeihung, war ich zu schnell? Ich wollte dich gewiss nicht erschrecken“, brachte ein sichtlich bestürzter Cosmo hervor, reichte ihm sogleich zaghaft eine Serviette. Glaubte der echt, er hätte Angst vor ihm und sich deswegen erschreckt, als er so plötzlich aufstand? Louis wusste nicht, ob er lachen oder seufzen sollte. Egal wie, der wahre Grund war peinlicher.

„Bin wohl noch nicht ganz wach“, murmelte er, rieb den Fleck, so gut es ging, heraus. Zum Glück nur auf dem Bein, nicht etwa an anderer exponierter Stelle. „Bring mir mal so ein Zuckerteilchen mit.“

Scheiße, er musste echt besser auf seine Gedanken achten, sonst blamierte er sich fürchterlich und fand sich schneller in Balians Büro wieder als ihm lieb war.

„Hier, der ist vegan, haben sie mir versichert.“ Ausgesprochen behutsam reichte Cosmo ihm den Donut, den Louis sich mit einem genervten Augenrollen schnappte.

„Vegetarier, nicht Veganer. Ich mag Gebäck“, grummelte er, kam sich schäbig vor und fügte rasch ein versöhnliches „Danke“ hinterher. „Und hör mit dem Getue auf. Ich habe keine Angst vor dir oder einem deiner Kumpelwandlern. Ich kann mich gut meines Pelzes erwehren. Also, wollen wir?“ So war es besser, mit Schwung drauflos gehoppelt. Angriff war immer die beste Verteidigung.

Stumm nickte Cosmo und Louis war sich nicht ganz sicher, ob er ihn verärgert hatte. Mann, der Kerl versuchte, echt nett zu ihm zu sein und er benahm sich wie ein Arschloch. Alles nur, weil seine dämliche Libido beim Anblick dieses braungebrannten Leckerhappens Amok lief.

Ein Linksträger. Verdammt sollte er sein.

So recht fiel ihm auch nichts ein, um die latente Spannung zwischen ihnen aufzulockern, während sie nebeneinander durch die Straßen liefen und schließlich vor einem unscheinbaren Wohnhaus stehen blieben. Aus seiner Hosentasche zog Cosmo einen Schlüssel hervor und öffnete die Eingangstür.

„Ein Schlüssel? Keine geheimnisvolle Hightechkarte mit blinkenden Lichtcodes und Retinascanner?“, fragte Louis mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Kann man zu leicht knacken. Dieser Schlüssel ist besser, Herman hat ihn gefertigt“, erklärte Cosmo, zeigte ihm das Metallteil, während sie durch einen muffig riechenden Flur schritten. Er sprach den Namen englisch aus, was irgendwie viel schöner klang.

Okay, das war kein gewöhnlicher Schlüssel. Im Metall waren kleine Vertiefungen und Rillen, die wie eine Art Schrift aussahen.

„Ein verschlüsselter Schlüssel?“

„Mehr noch. Ein genetisch codierter, verschlüsselter Schlüssel“, gab Cosmo schmunzelnd zurück. „In seinem Innern verbirgt sich Hightech. Nur ohne blinkende Lichter.“

„Raffiniert.“ Neugierig schaute Louis zu, wie Cosmo den Schlüssel in das Schloss einer schäbig wirkenden Holztür schob. Ihm kam der Gedanke, dass es recht lächerlich war, einen solchen Spezialschlüssel zu verwenden, wenn man doch die Holztür leicht einschlagen konnte. Ein Pfeifen erklang und die Tür sprang auf, zeigte ihm auch sofort, dass er sich geirrt hatte. Was von außen wie Holz wirkte, war Stahl, dick wie ein Unterarm, der geräuschlos aufschwang und in einen hell erleuchteten Gang führte, an dessen Wänden reichlich kitschige Tierbilder hingen.

„Du musst dich ausweisen“, meinte Cosmo, deutete auf eins davon mit einem Hirsch und schob seinen Ausweis in einen kaum sichtbaren Schlitz zwischen Gemälde und Rahmen. Louis zuckte zusammen, als die Augen des Hirsches grün aufleuchteten, zog seinen Ausweis hervor und wiederholte die Prozedur. Auch ihm schenkte der Hirsch einen grünen Augenaufschlag. Sofort pochte sein Hasenherz stärker, als er Cosmo durch den Gang folgte, der sich zu einem größeren Raum öffnete, aus dem das vage Summen von Servern, gemurmelte Stimmen, ein helles Lachen und metallisches Klirren erklang.

Weiß war die dominierende Farbe der Wände und Einrichtung. Das indirekte weißblaue Licht leuchtete den gesamten Raum gut aus, spiegelte sich in den Glasflächen der Tische wider. Zumindest dort, wo sie nicht mit Papieren, Werkzeugen und einem herrlich bunten Durcheinander von Stoffen und diversen Gegenständen dekoriert waren. Mehrere große Monitore erhoben sich an der gegenüberliegenden Wand, und auf der linken Seite öffnete sich der Raum zu einem großen Trainingsbereich, der hell ausgeleuchtet und auf der linken Seite von diversen blinkenden Geräten eingerahmt wurde. Beim Anblick der gepolsterten Wände, der Matten auf dem Boden, der zahlreichen Traininsgswände und Seile fühlte sich Louis sofort an die Akademie erinnert. Dies war wie die Miniaturausgabe der gigantischen Trainingshalle dort.

„Willkommen beim Team. Jungs, das ist Louis Bauer“, stellte Cosmo ihn vor, seine Stimme füllte den Raum und ließ die Anwesenden sofort aufschauen. Die gesamte rechte Seite des fensterlosen Raums nahmen Server ein, zwischen denen eine schmale Tür wie reingequetscht wirkte. Ein bärtiger, großer, breitschultriger Mann, mit einer wahren Mähne aus schwarzen Locken, rollte auf seinem Stuhl herum, hob winkend die linke Hand. Zu einer legeren, ausgewaschenen Jeans, trug er ein einfaches blaues T-Shirt, aus dessen Ärmeln der Stumpf eines Armes zu sehen war, der nur bis zum Ellenbogen ging.

„Ah, da kommt ja unser Hoppler“, begrüßte er Louis mit breitem amerikanischen Akzent, volltönender Stimme und einem Augenzwinkern. Er entblößte dabei makellose, weiße Zähne.

„Er ist endlich da?“ Von einem Schreibtisch in der Mitte erhob sich ein schlanker Mann, dessen braune, stoppelkurze Haare den Eindruck des kantigen Gesichts mit harten Linien noch verstärkten. Unter dem hellen Grau seines T-Shirts schoben sich rankende Tattooblätter die sehnigen Arme entlang. Nackte Füße verursachten klatschende Geräusche, als er näher kam, die Hände in die hinteren Hosentaschen steckte und Louis aus braunen Augen aufmerksam musterte.

„Hallo Puschelschwanz!“, begrüßte ihn ein farbiger Mann, der aus dem hinteren Teil des Trainingsbereiches herankam. Glänzende Muskeln sprengten fast den Stoff des Hemdes und sein gutmütig wirkendes Gesicht, eingerahmt von kurzen, krausen, schwarzen Haaren, überzog ein ebensolcher Schweißfilm.

„Hallo, und woher weißt du so genau, wie mein Schwanz ausschaut? Hatten wir schon mal das zweifelhafte Vergnügen?“, gab Louis kess zurück, versuchte unwillkürlich, alle Männer im Blick zu behalten und ihre Gefährlichkeit einzuschätzen.

„Wir beide nicht, aber von hinten schauen Betthäschen doch alle gleich aus“, gab der Mann mit einem lauten Lachen zurück, bei dem seine Augen vergnügt blitzten. Auch er sprach mit einem leicht amerikanischen Akzent.

„Als ob du aus reichhaltiger Erfahrung sprechen würdest“, warf der Mann mit der wilden Mähne quer durch den Raum. „Hallo Louis. Willkommen bei uns. Ich bin Carlos. Und glaub ja nicht, dass der Muskelberg weiß, wovon er spricht. Wenn einer stockhetero ist, dann dieser Klops. Aus unerfindlichen Gründen findet er es aber cool so zu tun, als ob er schwul wäre. Vermutlich, weil er noch nie bei einer Frau landen konnte. Keine Sorge, bisher sind das alles nur Fantasien unterbeschäftigter Hormone.“

„Pass auf deine klebrige Zunge auf“, schnaubte der Muskeltyp und drohte Carlos mit dem Mittelfinger.

„Nimm sie nicht so ernst“, murmelte Cosmo von der Seite, wirkte ein wenig betreten. „Sie reden immer so. Das ist übrigens Herman the German, unser Wissenschaftler.“ Er deutete auf den Mann mit den Tattoos, der ruckartig eine Hand aus der Hose zog und sie Louis reichte.

„Genie trifft es eher. Alles, was du hier bestaunen kannst, stammt aus meinem genialen Hirn. Freut mich.“ Sein Händedruck war fest und angenehm.

„Herman the German? Wie der Wrestler?“, hakte Louis perplex nach. Herman verzog die schmalen Lippen, während die anderen kicherten.

„Was erwartest du bei diesen unzivilisierten Amiboys schon? Ich habe mich irgendwann an den Namen gewöhnt. Immerhin sprechen sie unsere Sprache ganz leidlich. Deutsch war, neben Französisch, Japanisch, Spanisch und Italienisch, ein Pflichtfach.“

„Hey, ich bin Jamie“, stellte sich nun auch der muskulöse Farbige vor, grinste Louis offen an. „Willkommen bei ‚Failed‘.“

„‘Failed‘?“

„Jepp, das sind wir: Die Misslungenen.“ Jamie kniff ein Auge zu, legte den Kopf schief und musterte Cosmo. „Hast du es ihm noch nicht gesagt?“

„Ich glaube, er hat mir vieles noch nicht gesagt“, warf Louis ein, kurz bevor Cosmo ein entschuldigend klingendes: „Nein, war noch nicht der richtige Moment“, hervorbrachte.

„Ach, sag nicht, Cosmo, du denkst, der kleine Hasi verpisst sich gleich wieder vor Schreck?“ Carlos rollte auf seinem Stuhl zum nächsten Tisch, von dem ein Summen erklang, drückte ein paar Tasten und das Summen erlosch.

„Solange er uns keine Hasenköttel in den Ecken dalässt …“, brummte Jamie, leckte sich über die Lippen und schnappte sich ein Handtuch aus dem wilden Chaos auf einem anderen Tisch.

„Für gewöhnlich bin ich stubenrein, also, was hat das zu bedeuten?“ Louis wusste nicht recht, wie er diese Typen einzuschätzen hatte. Carlos und Jamie waren definitiv Wandler mit seltsam verwirrenden Signalen, bei Herman war er sich nicht sicher. Kein Raubtier auf jeden Fall.

„Oh Mann!“ Herman zeigte ein übertriebenes Augenverdrehen. „Mach kein solches Geheimnis draus, Cosmo. Wenn er mit euch zusammenarbeiten soll, wäre es sinnvoll, er weiß, wer und was ihr seid.“

„Und das wäre?“ Langsam wurde Louis unruhig. Was für Geheimnisse gab es hier, was hatten diese Agenten zu verbergen?

„Hat Cosmo dir erzählt, dass wir alle in Jarvis waren?“, begann Carlos, erhob sich und schlenderte heran. Der Farbe seiner Haut und der Gesichtsform nach, floss in seinen Adern eine Menge Latinoblut. Was wohl mit seinem Arm passiert war?

„Hat er. Ist euch allen zu viel Guano auf den Schädel geknallt? Oder habt ihr das Zeugs geraucht?“, fragte Louis, vermied den Blick auf Cosmo, der nach wie vor an seiner Seite stand, vielleicht minimal von ihm abgewichen war. Warum? Was befürchtete er? Dass ihm nicht gefiel, was er erfuhr?

„Ich mag ja Hasis Humor“, kam es kichernd unter dem Handtuch hervor, mit dem sich Jamie das Gesicht abwischte. Louis bleckte als Antwort nur die Zähne. Hasi nannte ihn sonst niemand ungestraft.

„Jarvis war ein Trainingszentrum für besondere Wandler“, erklärte Herman. „Da du mit den ganzen genetischen Codes, chemischen Formeln und vielfältigen Strukturen eh nichts anfangen kannst, bringe ich es gleich auf den Punkt: Carlos, Jamie und Cosmo sind so etwas wie mutierte Weiterentwicklungen. Ihre Fähigkeiten gehen über die gewöhnlicher Wandler hinaus. Wenn wir vom Standard ausgehen, dass von zehntausend Kindern vielleicht ein Wandler dabei ist, dann sind ihre genetischen Voraussetzungen weitaus seltener. Vielleicht bei einer Chance von einer zu fünfzig oder auch einhundert Millionen. Heißt im Klartext: Dass ein solcher Wandler geboren wird, kommt in der Statistik etwas vor der Wahrscheinlichkeit, dass ein neuer Messias auftaucht. Und bisher hat niemand herausgefunden, warum das so ist. Oder warum es euch Wandler überhaupt gibt. Theoretisch seid ihr gar nicht möglich. Wobei es dazu ja einige diskussionswürdige Theorien gibt, bezüglich embryonaler Entwicklungsstadien, die …“

„Komm zum Punkt“, murmelte Cosmo ungeduldig, trat nun doch an Louis vorbei und schritt zu einem Schreibtisch, gegen den er sich rückwärts lehnte, die kräftigen Arme vor der Brust verschränkt.

„Ja, ja. Also diese genetische Kombi ist höchst selten, schwer ausfindig zu machen und noch längst sind nicht alle Faktoren erforscht. Und dann muss es nicht einmal dazu kommen, dass die vollständige Wandlung eintritt. In Jarvis wurde diese Art von Wandlern gesammelt und gesondert ausgebildet. Bisher sind zwölf Fälle dieser Voraussetzungen bekannt …“

„Zwölf? Cosmo erwähnte nur sieben Agenten“, unterbrach ihn Louis, versuchte zu ignorieren, wie viel nackte Haut Jamie zeigte, während er sein verschwitztes Hemd gegen ein knallenges T-Shirt austauschte. Dabei stand er nicht sonderlich auf diese Art Muskelmasse, aber Kerl war nun mal Kerl.

„Ja, zwölf. Es gab Fehlschläge und Verluste.“ Mit zwei Fingern kratzte sich Herman am Hinterkopf. „Einige Agenten haben die sekundäre Wandlung nicht geschafft und gingen ein. Ich möchte aber betonen, dass nicht ich der verantwortliche Betreuer war und … Nun ja, sieben Agenten absolvierten schließlich erfolgreich das gesamte Programm.“

„Mehr oder weniger“, warf Carlos ein. „Hör auf zu labern, Herman. Ich zeig es ihm, das ist einfacher.“ Er erhob sich und winkte Louis, ihm zum Trainingsbereich zu folgen. Argwöhnisch beäugte Louis ihn, als er auf einer Matte stehen blieb und ihn angrinste. „Komm schon, Kaninchenbraten steht bei mir nicht auf dem Speiseplan. Oh? Ist das etwa eine Fliege da auf deiner Schulter?“

Es ging so schnell, dass Louis wie angewurzelt stehen blieb. Carlos sprang hoch, schrumpfte in sich zusammen, eine lange Zunge schnellte hervor und streifte Louis’ Ohr, ehe er als Chamäleon auf der Matte landete.

„Scheiße!“, stieß Louis aus, sprang erschrocken jedoch viel zu spät zurück. Sicher, er hatte einige Wandlungen gesehen, selten jedoch eine, die so schnell erfolgte. Und was zur Hölle war mit den Klamotten passiert? Die wandelten sich nicht, man musste sie vorher ablegen. Nirgends war eine Spur davon. Da hockte nur das Chamäleon. Ein dreibeiniges. Grinsend.

„Was geht hier ab? Was ist mit dem Stoff passiert?“, fragte Louis misstrauisch, behielt einen sorgfältig berechneten Abstand bei, als die anderen herankamen und reichlich hämisch schmunzelten. Sein Hasenherz klopfte hoch oben im Hals und all seine Instinkte rieten ihm hakenschlagend zur Flucht.

„Du meinst mein edles T-Shirt und die knackige Jeans? Echtes Shiftex. Übrigens entworfen und entwickelt von Herman selbst.“

„Verdammt!“, brachte Louis hervor, starrte Carlos an, der sich während eines Wimpernschlags zurückgewandelt hatte und vollständig bekleidet war.

„Sorry fürs Erschrecken, aber der Gag ist einfach zu gut.“ Lachend leckte sich Carlos über die Lippen, strich das T-Shirt glatt.

„Eine meiner genialsten Erfindungen“, bestätigte Herman, legte den Kopf schief, rieb sich über das Kinn. „Ich fand es recht mühsam und zeitraubend, dass unsere Agenten sich jedes Mal ausziehen mussten. Also erfand ich Shiftex. Dieses Material hat ein Gedächtnis. Nahezu derselbe enzymatische Mechanismus, der die Wandlung auslöst, wirkt auf das Material und wandelt es in eine kleine Kapsel unter der Haut, kaum größer als der implantierte Mikrochip. Äußerst praktisch. Ich könnte in der Shifter Community ein Vermögen damit verdienen und hätte ja schon den passenden Werbetext: Shiftex - ihr wandelbares Textil. Passt sich stets ihrer Tierform und Gattung an. Flexibilität und Funktionalität in einer Faser vereint. Tja, nur die Vielfalt der Formen lässt noch ein wenig zu wünschen übrig.“

„Und das Design“, bemerkte Carlos.

„Und manchmal kratzt es und kneift im Schritt nach der Wandlung zurück“, ergänzte Jamie und kratzte sich genau dort.

„Das liegt eher an deinen ewig dicken Eiern“, brummte Cosmo, der sich ein wenig im Hintergrund hielt.

„Und nun sperr mal deine Löffel beziehungsweise die Augen auf, Louis. Ist hier ja nicht gerade meine bevorzugte Umgebung.“ Carlos verbeugte sich, schaute sich seufzend um, entblößte die Zähne und begann eine Melodie zu summen, die wie die zu einem Film klang. War das nicht die Titelmelodie von: „Der weiße …?“

Mit dem letzten Ton wandelte sich Carlos in genau das: einen weißen Hai. Mit nur einer Flosse. Unbeholfen kippte er zur Seite, ruderte ein paar Augenblicke auf der Matte herum, ehe er sich wieder zurück wandelte. Sprachlos starrte Louis ihn an, nicht sicher, ob er seinen Augen trauen konnte. Wie ging das denn? Zwei Wandlungen? Noch nie hatte er davon gehört.

„Meine zweite, ein wenig bissigere Seite“, meinte Carlos. „Wie gesagt, nicht mein Element hier. Aber Karnickel sind für gewöhnlich vor mir sicher.“

„Du kannst dich in zwei Tiere verwandeln? Scheiße, wie geht das denn?“, brachte Louis reichlich perplex hervor. In seinem Nacken kribbelte es seltsam, Arme und Beine zuckten.

„Nicht nur er.“ Jamie trat auf die Matte, schob Carlos energisch zur Seite und schmunzelte. „Okay, Häschen. Mach dir aber nicht gleich ins Höschen.“ Das Schmunzeln schrumpfte, wurde zu einem felligen Maul, und in kaum mehr als einem Sekundenbruchteil stand ein ausgewachsener Berglöwe vor Louis, der eindeutig ebenfalls schmunzelte. Und lange, scharfe Zähne hatte. Und Krallen.

Ob er wollte oder nicht, seine Füße trugen ihn zwei Schritte zurück, und es fiel Louis schwer, dem Fluchtinstinkt nicht nachzugeben. Gleich darauf stand wieder Jamie vor ihm, nickte ihm zu.

„Die eine Seite“, bemerkte er, schrumpfte plötzlich zusammen, bis auf der Matte ein kleines Grauhörnchen saß und ihn keck anschaute. Fassungslos schüttelte Louis den Kopf. Das gab es doch nicht. Wandler der Kategorie Eins und der minderwertigen Kategorie Zwei in einer Person? Langsam erahnte er, was mit dem Misslungen gemeint sein könnte.

„Pass immer gut auf deine Nüsse auf.“ Statt des Grauhörnchens stand Jamie wieder vor ihm, tippte sich grüßend an die Stirn und amüsierte sich offensichtlich köstlich über Louis’ Verblüffung.

„Okay, also ihr könnt euch tatsächlich in zwei Arten von Tieren verwandeln. Krass. Übrigens: Das ist auch mal ein netter Puschelschwanz.“

Laut lachte Jamie auf, hieb sich auf den Oberschenkel und deutete mit beiden Zeigefinger wie Pistolenläufe auf Louis. „Ich mag deinen Humor wirklich. Und nun kommt das Beste. Bereit?“

„Leg los.“ Gespannt schaute Louis ihn an. Was würde nun wohl kommen? Verblüfft blinzelte er, als sich Jamie in das Grauhörnchen wandelte, welches gleich darauf zum Berglöwen wurde und zurück ins Grauhörnchen. So schnell, dass das Augen kaum zu folgen vermochte.

„Das ist …“ Louis rang nach Worten und zuckte hilflos die Schultern. Er war überwältigt. Sprachlos. Fassungslos.

„Absoluter Wahnsinn? Ja, dachte ich das erste Mal auch“, bemerkte Herman. „Duowandler. Jeder der Jarvis-Agenten kann sich in zwei verschiedene Arten verwandeln.“

„Bis auf Cosmo“, warf Carlos ein, trat zur Seite und stieß Cosmo an, der nun plötzlich in den Fokus geriet. Ein unsicherer Blick streifte Louis, dann schaute er betreten zu Boden.

„Ja, der Streber. Der bringt es auf satte fünf.“

„Fünf?“ Ungläubig riss Louis die Augen auf. Unvorstellbar. Das war absolut unmöglich. Oder?

„Na los, Großer, nicht so schüchtern. Zeig dich auch mal“, lockte Jamie, winkte Cosmo heran, der sich indes sichtlich unwohl zu fühlen schien und nur zögernd folgte. Die Schultern hingen leicht herab und er mied Louis’ Blick. Hatte er noch immer die Sorge, er würde ihn erschrecken? Nach allem, was er hier zu sehen bekommen hatte?

„Cosmo hier“, Herman legte beide Hände von hinten auf Cosmos Schultern, „war unsere größte Überraschung und der amerikanische Traum eines Shifters schlechthin: Elitekämpfer, Klassenbester in fast allen Bereichen. Ich meine, wenn ich davon sprach, dass Duowandler sehr selten sind, dann kommt sein genetischer Code quasi einem Wunder gleich und dürfte absolut einmalig sein. Und dann noch ein Seeadler, das Wappentier der USA als Primärwandler. Wow, was meinst du, wie die in Jarvis bis hoch in die höchste Shifter Leitung ausgeflippt sind. Jeah, und dann trat auch noch die sekundäre Wandlung nach Wunsch ein.“

„Muss ich ihm nicht zeigen“, murmelte Cosmo, schüttelte Hermans Hände ab und hob das Kinn an, suchte nun doch Louis’ Blick. „Alligator. Du weißt sicher, wie die aussehen.“

„Krokodilkaiman. Zu schüchtern, ihm deine Schuppen, Beißerchen und den zackigen Schwanz zu zeigen?“ Kichernd stieß Jamie Cosmo in die Seite und wich rasch einer abwehrenden Bewegung aus.

„Was denn noch?“, hakte Louis nach. Er hatte das Gefühl, in etwas gefangen zu sein, was nicht ganz real sein konnte. Was hatten denn nur Cosmos verunsichert wirkende Blicke auf sich? Er wurde aus ihm nicht schlau.

„Jubel und Fanfaren! Mit der tertiären Wandlung bekamen wir ein weiteres amerikanisches Symbol: Groß und stark und reichlich haarig.“ Mit den Händen vollführte Herman ausladende Gesten. Als Cosmo jedoch nicht reagierte, zuckte er die Schultern. „Ein waschechter 856 Kilogramm schwerer Bison. Ha!“

Louis’ Mund blieb offen stehen. Ein Kategorie Drei-Wandler? Cosmo war all das in einer Person? Völlig abgefahren. Moment. Drei. Er konnte sich in fünf Tiere verwandeln?

„Fünf? Echt fünf?“

„Tja, unser Eliteagent, wie du siehst. Los Cosmo, sei nicht so bescheiden. Willst du es ihm nicht zeigen?“ Spöttisch grinste Jamie, rümpfte gleich darauf die Nase und beugte sich ein wenig vertraulich zu Louis. „Superwandler, nur ohne Kryptonit halt. Vielleicht ging es deswegen daneben? Er kann ein wenig anrüchig werden in seiner vierten Form.“ Die anderen lachten, nur Cosmo stand da, starrte auf seine Füße.

„Ich gebe dir einen Tipp, Hoppler. Schwarz und weiß und ziemlich plüschig. Wenn du ihn ärgerst, steht sein Schwanz und er präsentiert dir sein Hinterteil. Aber statt dich zu mehr einzuladen, blendet er dich vielleicht mit fiesen Stinkbomben. Ob man nun will oder nicht, er gehört auch zu den Tieren Amerikas. Nur zu denen, die man nicht so gerne hat“, warf Carlos ein.

„Ein … Stinktier? Ein Skunk?“ Überrascht stieß Louis die Luft aus.

„Ja“, erwiderte Cosmo. War es ihm etwa peinlich? Nun, sie suchten sich ihre Wandlerform schließlich nicht aus, sie schien recht zufällig und auch nicht gebietsbezogen aufzutreten. Aber fünf Formen? Fünf Tierinstinkte? Das war viel.

„Was denn noch?“, wagte Louis zu fragen, dem der Kopf schwirrte.

„Nicht so wichtig“, wollte Cosmo abwiegeln. „Die Gestalt nehme ich ohnehin selten an und außerdem sollten wir …“

„Mensch, Cosmo, mach nicht so ein Drama draus“, schimpfte Carlos, packte ihn am Arm, als er sich abwenden wollte. „Wir haben keine Geheimnisse voreinander, und wenn Louis zu unserem Team gehören soll, sollten wir auch keins vor ihm haben. Also, sagst du es ihm oder soll ich?

„Schon gut.“ Energisch entzog sich Cosmo seinem Griff, verschränkte die Arme vor der Brust und starrte Louis an. Genauer gesagt fixierte er eher einen Punkt hinter Louis.

„Natürlich ein Wolf. Allerdings nur ein Mähnenwolf. Die sind harmloser, keine Hetzjäger und …“ Verschämt lächelte er, fügte ein sehr leises „Tut mir leid“ hinzu.

Der meinte echt, nach der Eröffnung, sich in einem extrem schrägen Team von Multiwandlern wiederzufinden, zu wissen, dass sein neuer Partner sich in fünf Tiere verwandelt konnte, schockte es ihn noch, dass eins davon ein verhasster Wolf war? Deswegen also der rote Punkt mit Kreis drumherum auf seinem Ausweis?

„Tja, schätze mal, du kannst nichts dafür“, bemerkte Louis, gab sich Mühe, besonders lässig zu klingen, was ihm angesichts der Tatsachen doch ein wenig schwerfiel. „Und warum die ‚Misslungenen‛? Mir scheint, Multiwandler sind alles andere als misslungen. Da eröffnen sich doch ganz andere Möglichkeiten, die Shifter Force One Oberen müssen sich doch sämtliche Pfoten abgeleckt haben.“

„Nun ja“, druckste Carlos herum, wedelte mit seinem Armstumpf. „Zwei Tiere in sich zu tragen, bedeutet, zwei zu kontrollieren, was nicht jedem gelingt. Mein Hai wollte Menschenfleisch kosten.“

„Wie bitte? Du hast dich selbst …?“ Fassungslos starrte Louis ihn an. Mit der verbliebenen Hand fuhr sich Carlos durch die schwarze Mähne, schmunzelte nickend.

„War wohl zu hungrig und die Wandlung noch nicht sicher getrennt. Die eine Hälfte wollte Hai werden, die andere … War keine glückliche Kombi. Eigentlich mag er kein Menschenfleisch. Tja und damit war ich raus aus dem Eliteprogramm: Failed.“

„Und bei dir?“, wandte sich Louis an Jamie, der plötzlich ebenfalls verlegen wirkte, sich kurz in den Daumen biss.

„Unter Stress kann ich es nicht kontrollieren. Dann wandle ich mich im Sekundentakt hin und her. Leider unbrauchbar für das Eliteprogramm. Also: Failed.“

„Bei dir, Cosmo?“

Schweigen breitete sich aus, Cosmo starrte noch immer auf einen Punkt hinter Louis, die anderen schienen nicht recht mit der Sprache herausrücken zu wollen.

„Also eigentlich …“, begann Herman. Ein leises Scharren erklang und alle wandten die Köpfe. Durch den Gang kam Trevorian heran, wie zuvor in diesen makellosen Anzug gekleidet, frisch rasiert und mit einem Lächeln, das auf Louis triumphierend wirkte.

„Cosmo ist das Gegenteil von Failed. Er gehört dennoch zum Team, weil er nicht nur der Beste in seiner Ausbildung war, sondern weil unsere Einheit aufgrund seines Einsatzes und seiner Informationen überhaupt erst gegründet wurde“, erklärte Trevorian, tippte sich grüßend an die Stirn. Die anderen erwiderten den Gruß, Louis spürte sofort, den Respekt, den sie ihm entgegenbrachten.

„Außerdem hat er uns allen den Arsch gerettet“, warf Jamie ein. „Offiziell sind wir nämlich allesamt mausetot und liegen ersoffen am Meeresgrund.“

„Korrekt. ‚Failed‛ existiert eigentlich gar nicht, deswegen können wir frei operieren“, bestätigte Trevorian. Das klang zu seltsam, weckte sofort Louis’ Argwohn.

„Moment, ich erinnere mich, dass da jemand gestern was von ‚Befehl von höchster Stelle‘ gefaselt hat. Ich kann mich natürlich täuschen, aber die Stimme klang ganz nach Ihrer.“

„Das ist korrekt. Es geht hier allerdings um höchst vertrauliche interne Ermittlungen. Du, und alle anderen bei ‚Failed‛, erhalten die Befehle direkt von mir und ich unterstehe einem Vorgesetzten der Shifter Force One, der offiziell natürlich nichts von der Existenz dieser Einheit weiß. Unter mir werden übrigens Befehlsverweigerungen und Übertreten der Kompetenzen nicht geduldet. Außer natürlich, um zu stoppen, was auch immer ohne Wissen der Shifter Force derzeit umgesetzt wird.“ Trevorians verschlagenes Kojotenlächeln missfiel Louis noch immer. Das war ein Kerl, vor dem man sich echt hüten musste.

„Jetzt fühlte ich mich vollumfänglich aufgeklärt, danke“, murmelte er leicht verärgert.

„Am besten, lässt du dich zunächst einmal von Herman neu einkleiden. Derweil kümmere ich mich um den neuen Ausweis und alle anderen Details. Cosmo und die anderen werden dich auf den bisherigen Informationsstand bringen. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass nichts von unserer Einheit und dem hier Besprochenen nach außen dringen darf?“

„Versteht sich von selbst“, murmelte Louis, überlegte, was wohl passieren würde, wenn er jetzt noch einen Rückzieher machte und beschloss wohlweislich, es nicht auszutesten. Außerdem … Verdammt, das klang nach einem Abenteuer, Gefahrensituationen und Dutzend Geheimnissen ganz nach seinem Geschmack.

Kapitel 4

 

Kapitel 4



„Also, was ist mit den anderen passiert? Mit den Duowandlern in Jarvis. Einige sind hops gegangen, drei von euch sind nun hier. Mal abgesehen von dem Schakal auf Abwegen, was ist mit den anderen geschehen?“ Louis bewegte probeweise die Beine, machte ein paar Kniebeugen und musterte sich mit nacktem Oberkörper im Spiegel. Jepp, die Jeans saß wie eine zweite Haut. Nun gut, nicht ganz so eng, immerhin war sie recht kleidsam. Der Stoff fühlte sich völlig normal an. Krasse Erfindung.

„Wir vermuten, dass nur zwei überlebt hat“, meinte Cosmo, musterte ihn recht eindringlich von Kopf bis Fuß, fuhr plötzlich zusammen, als ihre Blicke sich im Spiegel trafen und wandte den Kopf, als ob er ertappt worden wäre. Louis überlief ein Schauder. Moment, hatte der ihn gerade abgecheckt? Es sah fast danach aus. Oder überlegte der Wolf, dass Karnickel in Jeans ein leckerer Snack für zwischendurch war? In Louis’ Brustkorb klopfte das Herz ein paar Takte schneller bei dem Gedanken, dass Cosmo ihn nicht nur auf diese Weise vernaschen wollte. Hey, immerhin war da ja auch ein Bisonbulle. Oh Mann, behalte deine Gedanken lieber bei dir, ermahnte er sich, dennoch stieg die Körpertemperatur sofort an.

„Es gab … Probleme.“ Seufzend fuhr sich Cosmo durch die Haare, reichte Louis das T-Shirt. Flüchtig berührten sich ihre Finger und Louis summte das Blut in den Ohren. Verdammt, dieser Superwandler hatte echt eine gefährliche Wirkung auf ihn. Zudem waren sie ganz alleine. Die anderen werkelten weiter in dem großen Raum. Cosmo hatte ihm derweil die hinteren Räume gezeigt, die neben der großen Umkleide, die in ein Ausrüstungslager überging, aus Wohnräumen, einer Gemeinschaftsküche und Duschen bestanden. Eine Tür führte zum Fuhrpark, in dem natürlich zwei schwarze Geländewagen standen. Was sonst.

„Soll heißen?“

„Eine lange Geschichte. Vor etwa einem Jahr gab es eine Neustrukturierung in Jarvis. Wir wurden von Tobias Goodman, dem Leiter, darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Firma ‚Better Life‛ das Zentrum fortan mit drei Wissenschaftlern unterstützen würde. Neben Herman noch Dr. Quintus, selbst ein Löwenwandler, mit seiner Assistentin. Mittlerweile wissen wir, dass Dr. Quintus davon besessen war, die Wandlung zu beeinflussen und dass er teils offen, teils verdeckt mit verschiedenen Seren experimentierte. Er wollte gerade an den Duowandlern ein Serum testen, womit man das zweite Tier der Wandlung bestimmen konnte. Da dies nicht offiziell genehmigt wurde, hat er es wohl heimlich gemacht. Diese Agenten, die bei der Wandlung gestorben sind …“ Tief holte Cosmo Luft, verzog verärgert die Nase. „Sie waren Teil eines freiwilligen Testprogramms. So wie ich.“

„Moment. Die haben an den Wandlern rumexperimentiert? Und das ging schief?“, hakte Louis nach und drehte sich um.

„Nicht in jedem Fall. Bei Zweien konnten sie tatsächlich die Wandlung in die gewünschte Art erreichen. Bei den anderen …“ Cosmo schaute sich rasch um, doch sie waren noch immer alleine in dem Raum. „Fuck, Louis, ich habe ihre Leichen gesehen. Da waren Teile gewandelt und andere nicht, die Tierarten völlig gemischt mit Menschengenen. Nur war das nicht das, was sie letztlich getötet hat.“ Seine Stimme war immer leiser geworden und instinktiv schob sich Louis näher heran, spürte die Betroffenheit und kämpfte mit dem Impuls, nach Cosmos Hand zu greifen. Sie zu halten. Dieser braungebrannte Traumtyp wirkte plötzlich hilflos, die Lippen bebten, der Blick war fahrig. Was hatte ihn so entsetzt? Was hatte er ansehen müssen? Was war in Jarvis passiert?

„Sie wurden erschossen. Man hat uns natürlich etwas anderes erzählt, aber ich bin später in dem Kühlraum gewesen und habe es mit eigenen Augen gesehen. Aber das war leider erst nachdem …“ Er stockte, ließ sich schwer auf eine der Bänke fallen und vergrub vornübergebeugt die Hände in den Haaren. Die Geste wirkte derart verzweifelt und mutete für ihn so eigentümlich an, dass sich Louis neben ihn setzte, den Arm schon erhoben, um ihn um diese kräftigen Schultern zu legen. Doch er ließ ihn sinken. Das erschien ihm dann doch eine zu vertrauliche, eine zu intime Geste. Etwas trug Cosmo in sich, eine Last, die schwer war. Vielleicht konnte er sie mit ihm teilen, verstehen, was in ihm vor sich ging. Louis’ Hände waren feucht und er verspürte ein fernes Magengrummel, zu welchem Bild sich diese Puzzleteilchen zusammensetzen würden, von denen er gerade mal den Rahmen kannte.

Tief sog Cosmo die Luft ein, straffte den Rücken und wandte ihm den Kopf zu. Nicht zum ersten Mal, wurde sich Louis bewusst, dass er noch recht jung war. Jünger als er selbst. Unerfahrener und unschuldig. Oder interpretierte er zu viel hinein? Was war Beobachtungsgabe, was von seiner Libido gesteuert?

„Ein Aufbauserum haben sie gesagt. Etwas, was uns die Wandlung erleichtern würde. Zu dem Zeitpunkt war ich nur einer von den Duowandlern, keiner ahnte, dass da mehr Tiere in mir verborgen waren. Nur der Seeadler, und die sekundäre Wandlung sollte unter der Aufsicht von Dr. Quintus und Goodman stattfinden. Ich glaube im Nachhinein, außer denen und der Assistentin wusste keiner, was er uns verabreicht hat. Da waren diese Käfige. Sie benutzten die, weil es halt auch Wandler gab, die beim ersten Mal das Tier nicht kontrollieren konnten und niemand gefährdet werden sollte. Natürlich war ich aufgeregt, ich hatte schon ein paar Mal vorher dieses Zwicken und Ziehen gespürt, du weißt schon, kurz bevor man sich wandelt, und dabei immer das Gefühl gehabt, ich müsse mit den Füßen aufstampfen. Ich hatte es keinem vorher erzählt, aber ich war recht sicher, dass da ein Huftier in mir steckte.“

„Womit du ja recht hattest.“ Louis bemühte sich um ein schiefes Lächeln, die Spannung in der Luft gefiel ihm ganz und gar nicht.

„Ja, aber das war es nicht, in was ich mich wandelte. Es war ein Krokodilkaiman. Und das war genau das, was Dr. Quintus hatte haben wollen. Einen Alligator.“

„Der wird einen Freudentanz aufgeführt haben“, bemerkte Louis, versuchte mit dem lockeren Tonfall die Schatten aufzuhellen, die Cosmo zu umgeben schienen. Oh Mann, dieser Kerl von Mann wirkte gerade wie ein Häufchen Elend, und selbst das sprach ihn auf zwei Ebenen an. Emotional seinen eindeutigen Helferkomplex und ebenso sexuell die gelegentlich dominante oder auch fürsorgliche Seite. Er mochte ein Karnickel sein, aber in der Liebe wurde er durchaus zum Löwen. Falsche Gedanken. Ganz falsch.

„Klar, er war völlig aus dem Häuschen. Vor allem, weil ich während der Wandlung Anzeichen für ein weiteres Tier zeigte. Kurz war Fell in meinem Nacken erschienen und damit offenbarte sich die Möglichkeit, dass ich nicht nur ein Duo- sondern ein Multiwandler sein könnte. Fälschlicherweise schloss Dr. Quintus jedoch, dass es das Serum war, welches dies bewirkte. Das Serum und mein Blut.“

Hart stieß Cosmo den Atem aus, schaffte ein vages Lächeln, was wunderbar schüchtern wirkte und Louis’ Herz schmachtend einen Salto vollführen ließ. Krokodilzähne, schuppige Haut, ein Maul, das mehr als ein Kaninchen auf einmal verschlingen konnte. Die Vorstellung half auch nicht und Louis konnte nur hoffen, dass dieses Shiftex elastisch genug im Schritt war.

„Also gab er dir mehr davon?“, argwöhnte Louis, wurde durch ein knappes Nicken bestätigt.

„Eigentlich hätte er erst Rücksprache halten, eine Testreihe genehmigen lassen müssen. Im Raum waren zwei Offiziere der Shifter Force und Herman, der dritte Wissenschaftler, und obwohl er protestierte, segnete Goodman ab, dass eine weitere Wandlung eingeleitet wurde. Vermutlich waren sie alle neugierig, keiner hatte je zuvor einen Multiwandler gesehen. Das war eine Sensation.“

Zitterten etwa Cosmos Hände? Der Drang, sie in die seinen zu nehmen, wurde fast überwältigend. So nahe und einander so fern.

„Ich habe es nicht gleich mitbekommen, der Kaiman war noch ungewohnt, als er mir die nächste Spritze setzte. ‚Sie werden sehen, er wird sich in einen Wolf wandeln. Genau wie Sie es wünschen‛, meinte er zu Goodman noch, und plötzlich hatte ich das Gefühl zu schweben, war nicht wirklich ich selbst. Meine Beine wollten rennen, mein Kopf mit Hörnern zustoßen, mit dem Maul zuschnappen, die Flügel ausbreiten und …“ Cosmos Lippen zuckten, verlegen fuhr er sich durch das Haar. „Na ja, was Skunks halt gerne tun. Und dann war da noch dieses Knurren in der Kehle. Alles zugleich, und nichts davon wollte irgendwie richtig passen. Ich dachte, es zerreißt mich.“

„Die Phase, bei der die anderen draufgegangen sind, vermute ich. Wenn sie beide Tiere auf einmal werden wollten und es nicht kontrollieren konnten“, sprach Louis seine Gedanken laut aus. „Und in dir waren fünf Tiere. Dann kam also der Büffel?“

„Ähm nein. Die Reihenfolge, die Herman dir genannt hat, entspricht nicht ganz der tatsächlichen Abfolge. Er beschönigt das gerne für die Akten. Ist auch nicht so wichtig. Dr. Quintus wollte einen Wolf und es kam ein … Skunk.“

Unwillkürlich musste Louis lachen, stellte sich den Wissenschaftler vor, wie dessen Gesicht ausgesehen haben musste, als anstatt eines prächtigen Grautiers ein Stinktier im Käfig saß.

„Du kannst dir vorstellen, dass weder er noch Goodman davon begeistert waren.“ Ein zaghaftes Lächeln erschien auf Cosmos Gesicht, vertrieb ein wenig die Schatten. „Keiner von ihnen.“

„Wer wäre das schon? Also ehrlich, nichts gegen dich, aber dreh mir ja nicht den Hintern zu, wenn du eine Stinkbombe absetzen willst. Sonst gerne.“ Lachend klopfte Louis Cosmo auf die Schulter, wurde sich plötzlich bewusst, wie nahe sie nebeneinander saßen, dass ihre Oberschenkel sich berührten. Sollte er abrücken? Ja, verdammt, und zwar schnell, denn diese Wärme, diese Nähe, das war gar nicht gut für seine Libido. Die verspürte womöglich Anwandlungen von Frühlingsgefühlen. Nur fühlte sich der vage Körperkontakt viel zu gut an.

„Dr. Quintus war selbstverständlich enttäuscht, war sich jedoch sicher, den Wolf noch hervorzuholen und wollte die Dosis weiter erhöhen. Das war der Moment, wo Herman eingeschritten ist und wissen wollte, was genau er mir da eigentlich verabreichen würde und ob das abgesprochen sei. Sie begannen sich zu streiten und ich war noch immer in meiner Skunkgestalt, zu verwirrt, und auch wenn ich gewollt hätte, ich konnte mich einfach nicht zurückwandeln. Das muss die Wirkung des Serums gewesen sein, welches die Wandlung fixiert. Es war wohl nur eine geringe Dosis, sie reichte allerdings aus, mich in der Gestalt zu halten. Das Ganze geriet plötzlich außer Kontrolle, als Herman immer lauter wurde, einen sofortigen Abbruch verlangte. Dann ist Dr. Quintus ausgerastet.“

„Steckten die Typen der Shifter Force etwa da mit drin?“, riet Louis ins Blaue hinein, auf seine Schnüffelinstinkte war meist Verlass.

„Oh ja! Zumindest Goodman.“ Überrascht musterte Cosmo ihn. „Es gab einen Kampf, sie schlugen Herman nieder, betäubten ihn und schalteten den anderen Offizier mit einem Genickschuss aus. Ich weiß noch, wie Goodman mich ansah. Nie werde ich diese Augen vergessen, kalt und hart und gierig. Er wies Dr. Quintus an, fortzufahren, er würde sich sofort um den Rest kümmern, es sei schließlich alles für diese Art von Fall vorbereitet. Und dann verschwand er aus dem Raum. Ich konnte in der Tierform nicht einmal protestieren.“

„Scheiße auch“, entkam es Louis, der versuchte sich vorzustellen, wie Cosmo in dem Käfig, in seiner Tiergestalt, gefangen war und hilflos zusehen musste.

„Obwohl auch seine Assistentin meinte, es wäre ein hohes Risiko, mir noch mehr zu verabreichen, kam Dr. Quintus mit der Spritze heran. Da geriet ich in Panik und …“

„Sag nicht, du hast ihn vollgespritzt?“ Louis stieß ein schnaubendes Lachen aus.

„Beide. Mitten ins Gesicht. Volle Ladung.“

„Oh verdammt!“ Lachend schlug Louis ihm auf den Oberschenkel, prustete los bei Cosmos breitem Grinsen, was herrlich spitzbübisch wirkte.

„Mann, das muss furchtbar gestunken haben. Sind sie geflüchtet und du konntest entkommen?“

„Leider nein. Sie haben geröchelt und gekotzt und sind aus dem Raum raus, leider war der Käfig ja noch immer zu. Und ich kam einfach nicht in meine menschliche Gestalt zurück. Ich konnte mich nach einer Weile zwar in den Kaiman und auch in den Adler wandeln, aber in keiner Form kam ich aus dem Käfig heraus. Und ehrlich: Als Skunk war der Gestank besser zu ertragen. Keine Ahnung, wie lange ich da saß, ein paar Stunden müssen es gewesen sein.

Tja, bald darauf kam Goodman mit Atemmaske rein. Noch ehe ich ihm eine Ladung verpassen konnte, traf mich schon der Betäubungsschuss und die Lichter gingen aus. Ich landete irgendwie in einem Lagerraum, ein Tuch über dem Käfig. Keine Ahnung, wie lange ich weggetreten war. Ich habe sie nebenan gehört, Goodman redete auf Dr. Quintus ein und ich bekam alles mit. Sie führten dann ein Telefonat und jemand befahl ihnen, die Mission abzubrechen, alle Spuren zu beseitigen, die erfolgreichen Probanden zu betäuben und von der Insel zu schaffen. Ein Hubschrauber war auf dem Weg. ‚Was ist mit dem Rest?‛, fragte Goodman und der Typ am Telefon sagte: ‚Keine Zeugen. Lösen Sie die vorbereitete Sprengung aus, fluten Sie den gesamten unteren Trakt. Es wird ein bedauerlicher Unfall sein. Und bringen Sie mir den Multiwandler unversehrt.‛ Scheiße, ich musste mich so zusammenreißen, dass sie nicht merkten, dass ich wach war. Zumal ich Hermans Füße sehen konnte. Der lag gefesselt neben dem Käfig, bewegte sich jedoch immerhin. Er war wohl zu wertvoll, um ihn auszuschalten.“

„Verdammt. Wer war denn dieser Scheißer?“ Wut kochte in Louis hoch. Was für eine feige, miese Sache lief da ab? War das also alles geplant gewesen? Jemand wurde in Jarvis eingeschleust, um die Duowandler für eigene Zwecke zu präparieren? Und der Leiter selbst steckte da mit drin?

„Noch haben wir seinen Namen nicht herausgefunden. Aber das werde ich.“ Dieselbe Wut sprach aus Cosmos Worten, er erhob sich, wanderte ein paar Schritte und setzte sich wieder neben Louis. „Ich schob regelrecht Panik, als sie weg waren. Jarvis, die anderen Agenten, das war mein Zuhause, meine Kameraden und Freunde. Auf keinen Fall durfte ich zulassen, dass ihnen etwas passiert. Und ich steckte in diesem verfluchten Käfig fest. Ich wurde so wütend, sprang immer wieder gegen die Stäbe und plötzlich ging es, ich konnte mich wandeln. Der Bison hat den Käfig regelrecht gesprengt.“

„Knapp 900 äußerst wütende Kilogramm Lebendgewicht. Hach, ich wäre zu gerne Zuschauer gewesen. Hast du sie auf die Hörner genommen?“ Schmunzelnd leckte sich Louis über die Lippen, er konnte sich das gut vorstellen.

„Als erstes habe ich mich zurückgewandelt, Herman befreit und ihn da raus geschafft. Ich wusste nicht, wer mit ihnen gemeinsame Sache macht, nur, dass ich mich immer auf Carlos, Jamie und auch Cinderella verlassen konnte. Wir hatten die Ausbildung zusammen absolviert, bis sie nach der Sekundärwandlung aussortiert wurden.“ Cosmo starrte auf seine Fußspitzen, irgendwo im großen Raum hörte man Jamie fluchen und Carlos lachen.

„Cinderella?“, hakte Louis nach. Sicher, es gab auch weibliche Wandler, warum also keine Duowandlerin?

„Ein Spitzname. Sie gehörte zu den Ausbildern. Katzenwandlerin. Sie hat es leider nicht raus geschafft“, stieß Cosmo hervor und Louis verbiss sich jede weitere Frage dazu, der Schmerz war deutlich herauszuhören. War da mehr gelaufen? Für gewöhnlich galt auch bei den Wandlern ein striktes Verbot, etwas mit Ausbildern oder Lehrern anzufangen. Wenn er sich jedoch die Abgeschiedenheit dieser Insel so vorstellte und Cosmo, strotzend vor Kraft und voll im Saft stehend … Nein. Das war kein passender Moment, er sollte sich auf die Erzählung konzentrieren und diesen dummen Anflug diffuser Eifersucht einfach runterschlucken.

„Herman hatte ich in den Vorraum zu den Kühlkammern gebracht und dort habe ich dann auch die Leichen entdeckt. Herman war ebenso entsetzt wie ich, denn er war bei deren Wandlung nicht dabei gewesen, wusste nicht, was abgelaufen war. Oh Mann, er hat geflucht, aber er war nur Wissenschaftler, kein ausgebildeter Kämpfer, daher ließ ich ihn dort. Es gelang mir, ungesehen in den nächsten Trakt zu kommen und Carlos und Jamie zu warnen. Da hörten wir auch schon die Explosion. Dann brach das Chaos aus.“

Geduldig wartete Louis, bis Cosmo weitersprach, die Stimme recht emotionslos, die wahren Regungen spiegelten sich vor allem in seinen Augen wider.

„Wir mussten runter zum Wohntrakt, die anderen saßen unten in der Falle, es gab nur einen Ausgang. Doch auf dem Weg kamen uns Goodman und zwei Duowandler mit gezogener Waffe den Gang entgegen. Verdammt, das waren Pietro und Sammy, Kameraden von uns. Sie drohten, uns zu erschießen, wenn ich mich nicht ergeben würde. Da gingen auch schon die Sirenen los, sie begannen, den unteren Trakt zu fluten und das Wasser stieg schnell. Ich musste an ihnen vorbei, wenn wir die anderen retten wollten und griff an.“

„Als Adler? Damit bist du sicher am schnellsten und bietest wenig Angriffsfläche“, vermutete Louis, gespannt lauschend.

„Genau. Ich riss Pietro die Waffe weg, warf Sammy um. Ein Schuss vom Goodman streifte mich, da zermalmte ich schon Pietros Braunbärarm zwischen den Kaimankiefern. Oh Mann, der schrie wie am Spieß und wandelte sich in einen jaulenden Hund, der versuchte wegzulaufen. Mein Mähnenwolf war schneller, erwischte noch sein menschliches Bein. Jamie gelang es, Sammy als Puma anzugreifen, ein paar Tatzenhiebe zu verteilen, ehe er sich ins Grauhörnchen verwandelte und vor dem Gebiss des Löwen um sein Leben rennen musste. Die Zunge von Carlos’ Chamäleon machte Goodman kurzfristig blind, sodass er nicht schießen konnte. Als ich zum Mähnenwolf wurde, wandelte er sich in eine Schlange und jagte davon.“

„Gute Reflexe. Und der Löwe?“ Gebannt hörte Louis zu, ballte solidarisch die Fäuste.

„Gab auch Fersengeld, man hörte schon das Wasser von unten rauschen und die Schreie. Die restlichen Wandler von Jarvis waren alle unten gefangen. Wir haben sie laufen gelassen.“ Cosmo holte Luft, presste die Lider zusammen und fuhr fort: „Mein Büffel hat die zwei Türen nach unten einfach weggefegt, nur die zum Wohntrakt war zu stabil, ich bekam sie nicht auf. Das Wasser stieg immer weiter. Mann, ich habe beinahe zu lange gebraucht, um zu kapieren, dass ich als Mensch ja den Code kannte.“

„Du hast es aber doch geschafft“, warf Louis ein, Bewunderung machte sich in ihm breit. Wäre er selbst nicht vor den Wassermassen geflüchtet? Schwer zu sagen, er hatte nie solche Verbindung zu seinen Kameraden gehabt. In der Ausbildung war er immer ein Außenseiter, ein Einzelkämpfer gewesen.

„Carlos und ich tauchten immer wieder nach unten, schleppten raus, wen wir fanden, und für einige kamen wir rechtzeitig. Was mit den anderen war, weiß ich leider nicht. Die Explosion hat ein Loch in die Außenwand gerissen und viele wurden ins Meer gezogen. Trevorian meinte zwar, es war niemand mehr am Leben im Trakt, aber ich … Vielleicht sagt er das auch nur, damit ich mich nicht schlecht fühle.“ Schief lächelte Cosmo, strich die Haare zurück und klemmte sich eine Strähne hinter das Ohr. „Herman hat sechs Personen beobachtet, die in den Hubschrauber stiegen, also werden es drei unserer Duowandler gewesen sein, die sie mitgenommen haben: Pietro, Sammy und Matthew.“

„Püh, Drama pur. Also das ist passiert. Wie seid ihr denn von der Insel gekommen? Blöde Frage, du bist geflogen, richtig? Den ganzen Weg bis zum Festland?“, vermutete Louis, es schien einfach zu gut zu Cosmo zu passen. Ein Superheld in Wandlerform.

„Ja. Anders ging es nicht. Carlos kann als Hai zwar schwimmen, es wäre aber zu gefährlich gewesen mit der einen Flosse über so eine Entfernung. Wir retteten an Ausrüstung was ging und ich holte Hilfe. Da ich nicht wusste, wem ich trauen konnte, rief ich Trevorian an. Er war derjenige, der mich nach Jarvis gebracht hatte und er war auch Cinderellas Ausbilder gewesen, sie hat immer große Stücke auf ihn gehalten. Tja, und da sind wir nun und versuchen, rauszufinden, wer dahintersteckt und was sie vorhaben.“

Cosmo entließ die letzten Worte zusammen mit einem langen Atemzug, wurde sich wohl plötzlich auch der Nähe bewusst und sprang fast hastig auf.

„Dieser Schakal, den wir gefunden haben, das war Matthew, einer der Duowandler. Was mit Pietro und Sammy geschehen ist, keine Ahnung.“

„Denkst du wirklich, die wussten von nichts? Die haben doch alles mitbekommen. Auch, dass die anderen sterben würden“, wandte Louis skeptisch ein.

„Keine Ahnung, was man ihnen erzählt hatte, sie führten sicher nur Befehle aus“, meinte Cosmo nachdenklich. „Sie waren Agenten, sie gehorchten Befehlen.“

„Befehle? Wenn dir jemand befiehlt, lass es zum Beispiel Trevorian sein, deine ehemaligen Kameraden zu töten, sie ersaufen zu lassen, würdest du es tun? Also mich könnte so ein Befehlshaber mal gepflegt am Arsch lecken!“, stieß Louis schnaubend aus, bekam ein herrlich verschmitztes Lächeln, dass ihm schlagartig weitere Worte ausgingen.

„Und genau deswegen bist du dabei“, murmelte Cosmo, fuhr wie ertappt zusammen und grinste. „Ach übrigens: Willkommen bei ‚Failed‛.“

 

Soweit die Leseprobe. Ich hoffe, es hat euch gefallen und freue mich über Feedback. Das Ebook kann vorbestellt werden und erscheint am 5.3.2017 hier: https://www.amazon.de/dp/B06XCMYL5S/

Eure Rih

Imprint

Text: CPR
Images: CPR/Juliane Schneeweiss unter Verwendung von Bildmaterial von www.pixabay.de
Editing: Nicole Hehr, Doris Lösel
Publication Date: 02-28-2017

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