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Der arme Knecht und der Kater

Es war einmal …

 

Ein alter Müller besaß eine prächtige Mühle. Alle Bauern aus der Umgebung ließen ihr Getreide dort mahlen und bescherten ihm einen bescheidenen Wohlstand. Da er weder Frau noch Kinder sein Eigen nannte, beschloss er, einen seiner drei Knechte zum Erben zu ernennen. Einfach so wollte er ihnen sein Vermögen aber nicht überlassen, deshalb knüpfte er eine Bedingung daran. Eines Abends rief er die drei zusammen und sprach:

„Ihr habt mir alle drei treu gedient, aber ich möchte meinen Besitz nicht teilen. Geht in die Welt hinaus und kommt mit einem Pferd zurück. Wer das beste bringt, soll die Mühle erben!“

 

Die drei Knechte machten sich sogleich auf den Weg. Die Aufgabe mochte sich einfach anhören, aber gute Pferde waren selten und teuer, besonders für Müllersknechte, die nicht eben einen üppigen Lohn erhielten. Müde von der Arbeit des Tages und der Wanderung, legten die drei sich schließlich in eine Höhle zum Schlafen. Doch Willi und Franz, die beiden älteren, hegten finstere Absichten. Heimlich vereinbarten sie, gleich gute Pferde zu erstehen und sich das Erbe zu teilen. So leise wie möglich standen sie noch vor dem Morgengrauen auf und schlichen sich davon, um ihr Glück zu versuchen. Dem jüngsten, den sie nur den „dummen Hans“ riefen, trauten sie ohnehin nicht zu, die Aufgabe des Müllers zu erfüllen.

„Er kann weiter als unser Knecht dienen, wenn die Mühle uns gehört“, flüsterte Willi.

„Gute Idee. Einer muss die Arbeit ja erledigen.“ Franz kicherte böse.

 

Hans wurde erst spät am nächsten Morgen von Sonnenstrahlen geweckt, die seine Nase kitzelten. Er reckte sich und bemerkte, dass seine Mitstreiter verschwunden waren. Hans wusste nicht, ob er sich freuen sollte, weil er die beiden Quälgeister los war, die ihm in der Mühle immer die schwersten Aufgaben zuschoben. Oder sollte er traurig sein, weil er nun alleine durch die Welt ziehen musste?

 

Zuerst einmal zog er Brot und Wurst aus seinem Proviantbeutel, um zu frühstücken. Der Duft lockte einen großen, buntgescheckten Kater an, der ihm schnurrend um die Beine strich. Als Hans sich niederließ, um zu essen, legte das Tier ihm sanft eine Pfote auf den Arm.

„Na, hast du Hunger, Katerchen?“, fragte Hans.

Der Kater nickte ganz ernsthaft, was Hans zum Lachen brachte. Er schnitt ein großzügiges Stück Wurst ab und hielt es ihm hin. Zierlich nahm das Tier es und verspeiste es im Nu.

Das Spielchen wiederholte sich mehrmals, bis Mann und Kater sich gesättigt fühlten.

 

Hans wusch sich an einem kleinen Bach, neugierig beobachtet von dem Kater. Die Pelznase setzte sich auf einen von der Sonne beschienenen Stein und putzte sich akribisch mit Zunge und Pfoten.

Als beide mit ihrer Morgentoilette fertig waren, kraulte Hans das weiche Fell seines neuen Freundes.

„So, Katerchen, nun muss ich weiter. Ich bin auf der Suche nach einem guten Pferd für meinen Dienstherren, den alten Müller. Wenn ich eines finde und ihm bringe, erbe ich seine Mühle und habe ausgesorgt.“

„Warte!“, erklang eine Stimme.

Hans erschrak zunächst und wollte seinen Augen und Ohren nicht trauen. Gesprochen hatte nämlich der Kater. Der lachte aus vollem Halse.

„Das hier ist ein Märchen! Da kommt es schon mal vor, dass Tiere sprechen, oder nicht?“

Dem konnte Hans nichts entgegensetzen.

„Hör zu, Müllersbursche, ich habe einen Vorschlag für dich!“, führte der Kater weiter aus. „Wenn du mir sieben Jahre als Knecht dienst, bekommst du zum Lohn einen prächtigen Hengst von mir. Einen besseren wirst du nicht finden auf der ganzen Welt!“

Hans überlegte einen Moment. Pferde kosteten viel Geld. Seine Geldbörse wog nicht viel und wenn er nicht zum Dieb oder Gauner werden wollte, würde es sehr schwierig werden, die Aufgabe des Müllers zu lösen.

Entschlossen streckte er seine Hand aus und mit einem Pfotenschlag besiegelte der Kater ihre Abmachung. 

Hans folgte dem Tier in sein verwünschtes Katzenschloss. Der Kater wies ihm eine Kammer mit einem bequemen Bett zu und versprach ihm drei gute Mahlzeiten am Tag.

Zuerst musste Hans einen großen Haufen Brennholz kleinhacken. Zu seinem Erstaunen sollte er dafür eine silberne Axt verwenden.

Nachdem er alles erledigt und die Holzscheite ordentlich aufgestapelt hatte, schickte der Kater ihn auf eine große Wiese. Diese sollte er mit einer silbernen Sense mähen. Dass er das Gras mit einer silbernen Gabel wenden und mit einem silbernen Rechen zusammentragen sollte, wunderte Hans schon nicht mehr.

Später bat der Kater ihn, eine kleine Hütte zu bauen. Natürlich erhielt Hans auch dafür Werkzeuge aus purem Silber.

 

Die sieben Jahre vergingen wie im Fluge. Tagsüber arbeitete Hans hart, stets ausgestattet mit silbernen Werkzeugen. Jedes für sich war kostbarer als alles, was ein armer Knecht in seinem ganzen Leben erarbeiten konnte. Doch Hans verschwendete nie einen Gedanken daran, sein Dienstversprechen gegenüber dem Kater zu brechen, eines der Arbeitsgeräte zu nehmen, fortzugehen und es zu verkaufen.

Schon bald wurde es zu einem liebgewonnenen Ritual, abends zusammen mit dem Kater zu speisen und danach am Feuer Geschichten zu tauschen.

 

Als es an der Zeit war, in die Mühle heimzukehren, führte der Kater Hans in den Stall des verwunschenen Schlosses. Hier standen zwölf herrliche, blank gestriegelte Hengste, einer schöner als der andere.

„Such dir einen aus!“, forderte der Kater Hans auf.

Der wanderte durch den Stall, streichelte hier eine weiche Nase und dort eine samtige Mähne. Schließlich entschied er sich für einen wunderhübschen Schimmel, der Feuer und Sanftmut zugleich ausstrahlte.

„Eine gute Wahl!“, lobte der Kater. „Dieser Hengst wird dich bis ans Ende der Welt tragen, ohne zu ermüden. Dabei ist er so freundlich, dass auch ein kleines Kind ihn reiten könnte.“

Hans freute sich und wollte losziehen, doch der Kater hielt ihn auf.

„Warte noch. Damit unser Handel gültig wird, musst du dieses verwunschene Schloss so verlassen, wie du es betreten hast: in deinem alten und zerschlissenen Arbeitskittel und ohne weiteren Besitz. Du darfst den Hengst nicht mitnehmen, doch ich verspreche, dass ich ihn dir in drei Tagen zur Mühle bringen werde.“

Hans dachte nach. Der Kater war ihm in den sieben Jahren ein guter Freund geworden und er würde ihn vermissen, wenn er wieder in der Mühle lebte. Dass der Kater ihn um den versprochenen Lohn betrügen wollte, konnte Hans sich nicht vorstellen. Doch selbst wenn es so wäre, dann würde er nicht mit weniger in seinen Taschen gehen, als er bei seinem Kommen darin gehabt hatte. Er hatte sieben gute Jahre erlebt und sie mit einem Freund geteilt.

Also streckte er wieder die Hand aus, der Kater legte seine Pfote hinein und besiegelte sein Versprechen.

 

Als Hans nach erstaunlich kurzer Zeit wieder in der Mühle ankam, freute sich der alte Müller sich, ihn zu sehen, obwohl er abgerissen wirkte und kein Pferd am Zügel führte. Willi und Franz aber lachten, bis sie sich die Tränen aus den Augen wischen mussten.

„Der dumme Hans!“, grölten sie. „Braucht sieben Jahre um heim zu finden und hat noch nicht einmal eine alte Mähre dabei.“

„Na, na“, schaltete sich der Müller ein. „Lasst Hans in Ruhe! Da er kein Pferd mitgebracht hat, muss ich mich nun entscheiden. Willi, du bist mit einem blinden Pferd zu mir gekommen; Franz, du mit einem lahmen. Ich werde ein paar Tage nachdenken, welches nun das bessere ist und wer von euch beiden somit die Mühle erbt.“

„Wartet noch, Herr“, bat Hans. „Ich habe mir in den letzten sieben Jahren einen prächtigen Schimmelhengst erarbeitet, um eure Aufgabe zu erfüllen. Er wird mir in drei Tagen von meinem Freund, einem sprechenden Kater, gebracht!“

Nun wurde der Müller ärgerlich. „Hans, du warst mir von meinen Knechten immer der liebste, weil du ein gutes Herz besitzt. Doch anlügen lasse ich mich nicht von dir. Sprechende Tiere? So ein Unsinn! Du kannst deine alte Kammer wiederhaben, aber essen wirst du in Zukunft bei den Gänsen im Stall, die schnattern genauso albern daher wie du gerade eben.“

Was Hans auch sagte, niemand glaubte ihm. Traurig zog er sich in den Gänsestall zurück und fragte sich, ob er sich alles nur eingebildet hatte.

Am Morgen des dritten Tages nach seiner Rückkehr jedoch näherte sich eine silberne Kutsche, vor die sechs prächtige Hengste gespannt waren. Nebenher trabte der Schimmelhengst, den Hans sich in dem verwunschenen Schloss ausgesucht hatte. Stolz schüttelte das prächtige Tier seine lange Mähne, in die kleine, silberne Glöckchen eingeflochten waren.

Willi und Franz klappten die Kiefer nach unten und dem Müller dämmerte, dass Hans ihn mitnichten angelogen hatte. „Hans, verzeih‘ mir, dass ich dir nicht geglaubt habe. Gleich morgen setzen wir beim Notar mein Testament auf. Du wirst die Mühle erben!“, erklärte der Müller.

 

Doch Hans hatte nur Augen für den schneidigen Prinzen, der aus der silbernen Kutsche stieg. Dessen Haar leuchtete feuerrot, wie der Pelz am Kopf des Katers, dem Hans sieben Jahre gedient hatte. Der Prinz trug ein feines, weißes Hemd, das genauso hell schimmerte, wie das seidige Brustfell seines vierbeinigen Freundes, und einen eleganten, schwarzen Mantel, der Hans an die glänzenden Haare auf dem Rücken des Katers erinnerte.

„Erkennst du mich?“, erkundigte sich der Prinz.

Hans lachte glücklich. „Schon auf vier Pfoten warst du mir der beste Freund, den man sich vorstellen kann. Aber in dieser Gestalt mag ich dich noch viel lieber.“

„Einst hat mich eine böse Hexe verflucht, doch deine Freundschaft hat mich erlöst. Willst du mir auf mein Schloss folgen und für immer an meiner Seite bleiben?“, fragte der Prinz.

Hans Augen leuchteten auf. Er nickte begeistert. Dem Prinzen wäre er bis ans Ende der Welt gefolgt und hätte dort mit ihm in einer kleinen Hütte gehaust, selbst wenn sie arm wie die Kirchenmäuse gewesen wären.

Mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht schnipste der Prinz mit den Fingern. Sofort verwandelte sich Hans‘ zerschlissener Kittel in einen schicken Anzug. Gemeinsam stiegen die beiden in die silberne Kutsche. Die Hengste zogen an und sie waren im Nu hinter dem Horizont verschwunden. Es geht das Gerücht, sie wohnten nun glücklich in einem Schloss voller Silber und Gold, das auf magische Weise dort entstanden ist, wo Hans einst im Auftrag des Katers die kleine Hütte baute.

 

Der alte Müller blickte der Kutsche hinterher, bis sie verschwunden war und sich selbst der Staub gelegt hatte. Seinen neuen, prächtigen Schimmel hielt er immer noch am Zügel. Der Hengst stupste ihn sanft mit der Nase an und schnaubte.

„Na, du? Bist du etwa auch ein verzauberter Prinz?“, fragte der Müller. Das Pferd zwinkerte, blieb aber stumm. Rasch schwang sich der Müller auf den Rücken des edlen Tieres.

„Wenn ihr fleißig arbeitet, wird die Mühle euch ernähren. Ich schenke sie euch.“

Mit diesen Worten an Willi und Franz wendete er seinen feurigen Hengst und galoppierte davon, unbekannten Abenteuern entgegen. Aber das ist eine andere Geschichte …

 

Fehlt noch was?

Ach ja! … Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute!

Imprint

Text: C.J. Rivers
Images: https://pixabay.com/de/photos/baum-katze-silhouette-mond-736877/; User Bessi; Bearbeitet
Publication Date: 11-03-2023

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