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Hermann

Diese Geschichte nimmt ihren Anfang 17 Jahre vor Christi Geburt mit der Geburt eines Helden. Doch wie jeder Held, ist auch dieser anfangs ein einfacher Mensch. Nicht seine Geburt macht ihn zur Legende, sondern seine Taten angesichts des übermächtigen Feindes. Der Name dieses Mannes ist Hermann, Sohn des Stammesfürsten der Cherusker Segimer. Hermann wuchs zu einem jungen, lebhaften Knaben heran, der sich schon früh für die Geschicke des Krieges und der Politik der Welt interessierte. Sein Vater zeigte ihm schon in jungen Jahren den Umgang mit dem Schwert und Schild und lehrte ihn, immer die Umgebung im Auge zu behalten. Diese könnte ein wesentlicher Bestandteil zum Sieg sein. Sein jüngerer Bruder Friedrich wohnte diesem Unterricht, sobald er alt genug dafür war, bei. Hermanns Vater Segimer stand, wie sein Onkel Inguiomer, auf der Seite der Römer und führte die prorömische Partei der Cheruskern an. Man lebte zwar frei, war jedoch an Rom gebunden und kämpfte für Rom, wann immer sie es ihnen befahlen. Man stellte jedes Jahr mehrere Männer für Rom ab, die in der römischen Armee kämpften. Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis Hermann, wie auch Friedrich, eines Tages selbst zur römischen Armee eingezogen werden würden.

Im Alter von 8 Jahren begang Hermanns Kampftraining.

 

Wir schreiben das Jahr 7 v. Chr. Hermann kämpfte mit 2 älteren Männern. Sein Schwert flog herum, sein Schild wehrte die Angriffe ab. Er war flink, wenn man bedenkt, dass er ein Knabe von 10 Jahren war. Er war stark, hielt die Hiebe mit dem Schild auf und konterte mit seinem eigenen. Es gab keine richtige Arena, sondern man trainierte auf Feldwegen, da diese realistischer zu Schlachtfeldern seien.

Plötzlich wurde sie von einem Klatschen unterbrochen.

Hermann blickte auf. Er sah seinen Vater, in Begleitung von zwei anderen Männern, auf sich zukommen. Hermanns Kampfpartner stellten sich sofort nebeneinander auf und verneigten sich vor dem Fürsten.

„Vater!“, ergriff Hermann das Wort. Den anderen beiden Männern nickte er zu. Er hatte sie schonmal im Stammesgebiet gesehen, kannte aber weder Namen, noch sonst irgendwelche Einzelheiten. Der eine war etwas größer als der andere, beide waren kräftig gebaut. Während der größere einen Vollbart hatte, war der Bart des Kleineren eher gestutzt. Beide hatten kürzere Haare und harte Gesichtszüge.

„Mein Sohn!“, erwiderte Segimer und ging auf Hermann zu und umarmte ihn, „wie ich sehe bist du fleißig. Du wächst zu einem mutigen und starken Krieger deines Stammes heran.“

„Vielen Dank Vater!“, antwortete Hermann mit einer Verbeugung, „es freut mich diese Worte von dir zu hören.“

„Du hast sie dir verdient mein Sohn!“

„Vater“, sprach Hermann erfürchtigt und blickte die beiden Männer hinter seinem Vater an, die ihn begutachteten, „dürfte ich erfahren, wer diese beiden Männer sind, die dich begleiten.“

„Natürlich. Ich habe sie extra mitgebracht, damit du dich mit ihnen misst. Zeige mir die Früchte deines Trainings.“

„Aber Vater, ich habe den ganzen Tag schon trainiert, ich...“

„Auf dem Schlachtfeld kämpfst du möglicherweise Tag und Nacht und musst immer auf einen Angriff vorbereitet sein“, unterbrach ihn Segimer und zog sein Schwert, „dort gibt es keine Ausreden. Du kannst nicht sagen: „Ich bin müde“, denn dann wirst du von einem Schwert durchbohrt, du kannst nicht sagen: „Ich bin verletzt“, denn dann wirst du von einem Pfeil getroffen. Auf dem Schlachtfeld gibt es ein Gebot. SEI WACHSAM.“ Die letzten Worte gingen ein mit einem Schwerthieb, den Hermann gerade noch so zur Seite ablenken konnte, die Schwertspitze brachte ihm dabei jedoch einen Schnitt am Arm zu. „Es wird vorkommen, dass du gehandicapt in einen Kampf gegen mehrere Gegner gehen musst“, sprach Segimer weiter, „lerne mit dieser Situation umzugehen und siegreich aus diesem Kampf hervorzugehen.“

„Ich verstehe Vater.“

Hermann verband sich den Schnitt an seinem Arm, während sich die beiden Männer Schwert und Schild von Hermanns Trainingspartner übernahmen. Als alle fertig waren, gab Segimer das Zeichen zum Kampf. Beide Parteien kreisten wie Löwen umeinander herum, die bereit waren ihre Beute anzufallen, jedoch nur auf den richtigen Moment warteten. Hermann sah, wie sich beide ein Zeichen gaben und ihn einkreisten. Er behielt beide im Auge, wobei er sich auf den größeren der beiden konzentrierte, jedoch den Kleineren aus den Augenwinkeln weiter im Blick behielt. Hermann wechselte öfters zwischen beiden hin und her, sodass er einmal den Größeren und einmal den Kleineren genau im Blick hatte. Sie zogen weiter ihre Kreise und warteten nur auf den passenden Moment anzugreifen, Hermann hingegen begab sich in die verteidigende Position und wartete auf den Erstschlag, sein Schwert und Schild in Alarmbereitschaft versetzt. Plötzlich warf der Größere seinen Schild weg, während der Kleinere angriff. Hermann, im ersten Moment überrascht, durchschaute jedoch den Trick und blockte den Angriff. Nun griff auch der Größere Hermann an und er verteidigte sich gegen beide. Während er den einen mit dem Schild abwehrte, parierte er mit dem Schwert die Schwerthiebe des anderen, jedoch wurde er weiter zurückgedrängt. Plötzlich packte der Größere das Schild des Hermann und holte mit seinem Schwert aus. Hermann sah aus den Augenwinkeln, wie auch der Jüngere zum Schwerthieb ausholte. Hermann ließ sein Schild los, was den Größeren überraschte und drehte sich zur Seite und vollendete seinen Überraschungsangriff mit einem geradlinigen Faustschlag zum Kinn des Größeren, der daraufhin nach hinten stolperte. Er wandte sich blitzschnell zum Kleineren um, der noch überrascht von dem Angriff des Hermann war. Hermann stürmte nach vorne, stolperte jedoch über einen Stein der auf dem Weg lag. Blitzschnell erkannte der Kleinere die Lage und stürzte sich auf Hermann, blockierte seine Schwerthand mit seinem Schild und hielt ihm sein eigenes Schwert an die Kehle.

„GENUG, das reicht!“, ertönte plötzlich die Stimme Segimers.

Der Kleinere richtete sich auf und auch der Größere stellte sich zu seinem Partner und verbeugte sich vor dem Stammesfürsten. Hermann rappelte sich auf. Er blickte sich um, sah den Stein, hob ihn auf und warf ihn wutentbrannt weg. Er konnte es nicht fassen, dass so ein kleiner Stein, dieses Gefecht entschieden hatte. Er sah aus den Augenwinkeln, wie sein Vater zu den beiden Männern sprach, diese sich daraufhin verbeugten und von dannen zogen.

„Mein Sohn“, ergriff Segimer das Wort. Hermann blickte sich um und sah, wie sein Vater ihn zu sich heran winkte. Nachdem Hermann da war, sprach Segimer weiter. „Du hast dich gut geschlagen mein Sohn. Ich habe persönlich nicht damit gerechnet, dass du die Lage gut überblickst und dir den richtigen Moment für einen Gegenangriff ausgesucht hast.“

„Dennoch habe ich schlussendlich verloren.“

„Und du weißt auch, woran es lag, nicht wahr?“

„Ja, an diesem blöden Stein.“

„Nein, mein Sohn“, erwiderte Segimer kopfschüttelnd, „setz dich zu mir. Gut. Es ist wohl war, dass du über den Stein gestolpert bist, jedoch nicht der Stein, sondern dein fehlender Überblick über den Kampfplatz hat dir diese Niederlage eingebracht. Wir haben keine großen Technologien, wie die Römer sie haben, das einzige was wir haben ist unser Mut und unser Gehirn, welches uns Wotan gegeben hat. Wir müssen unsere Nachteile zu unseren Vorteilen umwandeln. Denk an unser Land. Kein Feind kennt unser Land, so wie wir es tun. Wir kennen jeden Stein, jeden Fluss, jeden Wald, jeden Boden, der auf unserem Land ist. Lerne die Natur einzusetzen, denn es gibt keinen größeren Gegner als die Natur. Bedenke, was der Winter mit den Feldern macht, bedenke, wie der Regen die Böden aufweicht. Du bist über diesen Stein gestolpert, weil du die Umgebung nicht im Auge behalten hast.“

„Ich verstehe Vater.“

„Willst du wissen, wer diese beiden Männer sind und wieso sie gegen dich kämpfen sollten?“

„Natürlich Vater!“

„Gut. Wie du weißt, haben wir die Pflicht, jedes Jahr Männer nach Rom zu entsenden, damit diese unter römischer Flagge kämpfen. Diese beiden Männern sind die tapfersten und stärksten, die wir dieses Jahr nach Rom schicken müssen. Ich wollte sehen, wie du dich gegen beide behaupten kannst und ich muss sagen, dass du mich nicht enttäuscht hast. Ich wusste jedoch, dass du zwar auf Feldern trainiert hast, diese jedoch eben waren und keine Hindernisse beherbergten. Deswegen habe ich beiden befohlen, dich solange zu umkreisen, bis ihr eine Stelle erreicht habt, die mit Hindernissen bespickt waren. Ich muss nämlich die beiden Männern nach Rom begleiten und sie dort dem Senat als Tribun übergeben. Trainiere deswegen weiter fleißig mein Sohn und diesmal bedenke die Umgebung.“

„Ich verstehe Vater. Es macht mich stolz, diese Worte aus deinem Mund zu hören und ich werde weiter tranieren, bis ich der stärkste Krieger dieses Dorfes geworden bin.“

„Ich bin mir sicher“, antwortete Segimer, aufstehend mit einem zugleich leicht traurigen, aber auch einem stolzen Lächeln, „dass du es schaffen wirst.“

 

Segimer reiste ab und Hermann trainierte weiter. Er war darauf erpicht, an allen möglichen Orten und unter allen möglichen Witterungsumständen zu trainieren. Er trainierte bei Schnee, bei Regen, unter extremer Hitze, im Wald, an Abhängen, an Flüssen und Bächen, auf unebenen Feldern. Er ging frühmorgens los und kehrte meist erst abends zurück. Er lernte nicht nur das Kämpfen mit dem Schwert, er lernte auch geschickt den Umgang mit Pfeil und Bogen. Er jagte für sich, sammelte Beeren und versorgte sich so den ganzen Tag. Abends kehrte er zurück zu seinem Bruder und seiner Mutter. Er entwarf Schlachtpläne, sah sich selbst schon als Feldheer, der jeden Feind besiegen konnte.

Eines Abends, nachdem Hermann wieder bis spät Abends trainiert hatte, kehrte er heim und fand Besuch vor. Es war sein Onkel Inguiomer, der wieder aus Rom zurückkehrte. Inguiomer stand, wie Hermanns Vater, auf Seiten der Römer und diente der prorömischen Partei der Cherusker. Er kehrte selten in die Heimat zurück, da er sein Leben an der Seite seines Heers verbrachte. Inguiomer war öfters mit seinem Heer an den Grenzen Germaniens stationiert und sollte dort die Grenzen gegen heranstürmende Feinde oder auch Feinde aus dem Inneren verteidigen. Meistens reiste er nur zwischen dem Stützpunkt seines Heeres und Rom hin und her oder wartete auf neue Einsatzbefehle. Dieses mal war er in Rom und erhielt den Befehl mit seinen Truppen sich im Westen von Gallien zu positionieren, da die Ortschaften öfters von Piraten überfallen worden waren. Er blieb nun eine Woche in seiner Heimat, bis er mit seinen Truppen wieder aufbrach. Alle blickten zur Tür als Hermann eintrat.

„Neffe“, erhob er freudestrahlend das Wort, „schön dich wieder zu sehen. Du bist gewachsen.“

„Danke Onkel“, erwiderte Hermann, ebenfalls freudestrahlend, „was für eine Überraschung, dich hier zu sehen.“

„Ja, ich habe schon deiner Mutter und deinem Bruder erzählt, dass ich den Befehl erhielt, nach Westen zu gehen und mich an der gallischen Küste einzufinden. Ich werde bis zum Ende der Woche hier sein und dann wieder aufbrechen.“

„Ich verstehe. Hast du etwas von Vater gehört?“

„Nein, leider nicht. Ich hab nur die Nachricht gehört, dass er schon in Rom angekommen sei. Er sollte demnach bald wieder zurückkehren.“

„Dies sind gute Nachrichten.“

„Ich hab von deiner Mutter gehört, dass du fleißig trainiert hast“, sagte Inguiomer mit einem Lächeln.

„Ja Onkel, täglich, von morgens früh bis spät abends. Ich möchte schließlich irgendwann ein genauso starker und mutiger Krieger werden, wie du und Vater es seid.“

„Ich bin mir sicher, dass wirst du. Wahrscheinlich wirst du irgendwann den Platz deines Vaters als Stammesfürst einnehmen. Und was ist mit dir“, fragte Inguiomer an Friedrich gewandt, „eiferst du deinem Bruder nach.“

„Leider“, ergriff Hermanns Mutter das Wort, noch bevor Friedrich darauf eine Antwort geben konnte, „sehe ich weder ihn, noch Hermann sehr oft. Friedrich zu meinem Glück aber noch öfters, da er im Dorf trainiert. Er eifert seinem großen Bruder sehr nach.“

„Ich bin aber noch nicht so gut, wie Hermann.“

„Das ist auch kein Wunder“, erwiderte Inguiomer und lächelte ihn an, „Hermann ist ein Jahr älter als du und trainiert schon länger. Doch auch du wirst, wie dein Bruder, ein Platz in der Geschichte einnehmen. Vertrau mir in diesem Punkt.“

„Vielen Dank, Onkel.“

„Vielleicht nimmt dich dein Bruder mal mit und ihr trainiert zusammen?“

„Ich hätte kein Problem damit“, antwortete Hermann mit Blick auf seinen Bruder, „ich bin sein Bruder und in Vaters Abwesenheit bin ich dafür verantwortlich, dass aus ihm ein vernünftiger Krieger des Stammes wird.“

„Da siehst du es Friedrich. Morgen gehst du in die Lehre von Hermann. Doch jetzt setz dich und iss Hermann, morgen wird wieder ein langer Tag.“

Hermann aß und genoß den Abend mit seiner Familie. Nach dem Essen wanderte er noch ein bisschen vor dem Haus hin und her. Er war mit Stolz erfüllt, dass sein Onkel ihm Verantwortung für eine Ausbildung zum Kämpfer übergab. Es wäre zwar nur einer, noch dazu sein eigener Bruder, jedoch wäre er sich dieser wichtigen Aufgabe bewusst. Er wusste, dass es seine Aufgabe war, ihn zu einem starken Krieger seines Stammes zu machen, der auf sich aufpassen konnte und der an der Seite eines Heeres kämpfen konnte oder, was noch besser wäre, ihn so zu formen, dass er sein eigenes Heer befehligen könnte. Er ertappte sich schon in Gedanken, wie er seinen Unterricht vorbereitete und Übungen mit seinem Bruder durchführte. Auf der anderen Seite kamen ihm Zweifel. Könnte er wirklich jemanden etwas beibringen, könnte er wirklich jemanden zu einem starken Krieger formen, der nicht sofort auf dem Schlachtfeld getötet werden würde, könnte er das?

„Na, in Gedanken versunken?“

Hermann schreckte auf und sah seinen Onkel an der Tür stehen. Er hatte einen Becher mit Wein in der Hand und blickte seinen Neffen an. Er kam zu ihm herüber.

„Onkel, ich habe mich gefragt, ob...“

„Ich kann mir schon vorstellen, was du dir denkst“, unterbrach ihn Inguiomer, „du fragst dich, ob du der Aufgabe gewachsen bist, deinen Bruder zu trainieren. Ich hab also Recht“, sprach er weiter, nachdem er Hermanns Blick vernommen hatte, „ich kann verstehen, dass dich diese Aufgabe verunsichert.“

„Woher Onkel?“

„Weil ich die gleichen Gedanken hatte, als ich beschloss deinen Vater zu unterrichten. Mein Vater gab mir die Aufgabe meinen Bruder zu trainieren, damit wir eines Tages stolze Krieger unseres Stammes werden sollten. Ich hab mich anfangs auch gefragt, ob ich der Aufgabe gewachsen sei.“

„Ich habe Angst Onkel. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich würde meinen Bruder gerne trainieren, die Schwierigkeit für mich liegt nur darin, die Ungewissheit zu haben, ob mein Bruder für den Ernstfall vorbereitet ist. Ich will ihn nicht neben mir auf dem Schlachtfeld sterben sehen.“

„Gewiss willst du dies nicht.“

„Ich würde mir ewig Vorwürfe machen, da es ja meine Aufgabe war, ihn auf diese Gefahren vorzu-bereiten. Ich hätte ihn im Kampf unterrichet, ich hätte ihm alle Taktiken erklärt. Falls er dann trotzdem sterben würde, würde ich mir dies, bei den Göttern, nie verzeihen.“

„Neffe. Ich erzähle dir jetzt etwas. Ich hatte genau die gleichen Gedanken, als ich in deiner Lage war. Ich ziehe mit Männern in den Krieg, jeder hervorragend ausgebildet worden, sei es von mir oder jemand anderem, dennoch müssen Leute sterben, da unsere Feinde ebenso ausgebildet werden. So verläuft der Krieg nun mal. Selbst wenn dieser Mann, mit dem ich an der Seite gekämpft habe, getötet werden würde, würde ich den selben Schmerz fühlen, wie, als wenn mein Bruder sterben würde.“

„Aber Onkel, dies ist doch nur ein Fremder für dich.“

„Nein, jeder Mann, der für mich an meiner Seite kämpft, ist wie ein Bruder für mich. Er vergießt sein Blut für mich, verlässt seine Frau und sein Kind für mich, zieht in ein fremdes Land für mich und das ohne zu wissen, ob er jemals wieder zurückkehren wird. Dieser Mann ist ebenso ein Bruder für mich, wie dein Vater einer ist. Kriege fordern Opfer, so weh es tut. Wir müssen diese Opfer annehmen und für diese weiterkämpfen. Die Gefallenen danken es uns nicht, wenn wir den Sieg nicht erringen. Die Gefallenen sind nicht stolz auf uns, wenn wir den Feind nicht in die Flucht schlagen. Ich verstehe deinen Gesichtspunkt, du bist noch jung, doch dein erster Feldzug wird dir diese Gedanken wieder in Erinnerung rufen. Wir sind nur Teil eines großen Ganzen. Wir sind nur einzelne Männer auf einem Schlachtfeld, doch unsere Einheit macht uns stark. Für dich wäre dieser Mann nicht wichtig. Dann erzähle ich dir mal die Wichtigkeit einer einzelnen Sache. Es gab mal ein Pferd, dieses Pferd hatte ein kaputtes Hufeisen, durch dieses kaputte Hufeisen konnte der Reiter keine Nachricht zum König überbringen und durch diese nicht überbrachte Nachricht verlor man den Krieg. Du siehst, was wertlos oder unerheblich erscheint, wird im Ganzen oder genauer betrachtet zu etwas Großem. Fällt dieser Mann weg, den du als unerheblich betrachtet, ist der Nebenmann eine leichte Beute, fällt auch dieser Mann bricht die Reihe ein, bricht die Reihe ein, fällt die Einheit, fällt die Einheit, geht der Krieg verloren. Du siehst, von einem einzelnen Mann kann viel abhängen.“

„Ich verstehe Onkel. Ich sehe dies ein, aber...“

„Nein Hermann“, widersprach ihm Inguiomer, „in diesem Punkt gibt es kein aber. Dein Bruder wird ausgebildet, gut ausgebildet, dessen bin ich mir sicher, er ist dein Bruder und daher erwarte ich, dass du alles in deiner Macht stehende tust, damit er gut genug wird. Ich hab schon gehört, dass du einer der Stärksten des ganzen Stamm bist, deswegen ist es nur natürlich, dass er bei einem der Stärksten trainiert. Wir sind kein großer Stamm und haben nicht viele Lehrer, um genau zu sein haben wir keine, da die starken Männer als Tribune nach Rom geschickt werden, demnach bist du der Beste, der für diese Aufgabe geeignet bist. Bedenke weiterhin, dass du sicher bist, dass er alles kann, wenn er bei dir in die Lehre geht, da du selbstverständlich weißt, was er alles kann und was nicht. Was würdest du dir für Vorwürfe machen, wenn jemand anderes ihn ausbilden würde und er dann fallen würde und nur durch einen Fehler, den du niemals gemacht hättest und ihm auf jeden Fall gezeigt hättest, wie man diesen Fehler unterbindet. Wärest du nicht darüber mehr verzweifelt?“

„Dem wäre so, denke ich.“

„Da siehst du es. Du hast die Fähigkeiten dazu, ansonsten hätte ich dich nicht gefragt, wenn ich nicht an dich glauben würde. Pass auf deinen Bruder auf, dann kann nichts passieren.“

„Onkel, es gibt noch etwas, was ich fragen wollte.“

„Frag mich, mein Junge.“

„Fürchtest du dich vor dem Krieg?“

Er überlegte kurz. „Es ist tatsächlich diese Furcht, die mich kämpfen lässt. Jeden Tag an der Front zu stehen und zu wissen, dies könnte dein letzter Tag sein, zu kämpfen, damit deine Lieben zu Hause ein sicheres Leben führen können. Diese Gedanken bringen mich dazu, jeden Tag mein Schwert in die Hand zu nehmen und gegen unsere Feinde zu kämpfen.“

„Wie war dein erster Feldzug?“

Inguiomer schwieg daraufhin erstmal eine kurze Zeit und nahm ein Schluck aus seinem Becher. Es fiel ihm wohl schwer, darüber zu reden und Hermann war es unangenehm diese Frage gestellt zu haben, doch als Inguiomer antwortete, war nichts von Traurigkeit zu hören.

„Die Frage ist schwer für mich“, antwortete er und bestätigte Hermanns anfänglichen Verdacht, „doch es ist selbstverständlich, dass du darauf eine Antwort willst und ich finde es nicht schlimm, dass du diese Frage gestellt hast. Doch da muss ich etwas weiter ausholen. Ich bin schon früh Soldat geworden, ich war damals 17 Jahre alt. Meine erste Schlacht war gegen einen anderen Stamm, es war nichtmal gegen ein anderes Reich, sondern gegen unsere Brüder aus Germanien. Den Grund der Schlacht wusste ich nicht, den wusste nur unser Anführer, Soldaten führen Befehle aus und stellen keine Fragen, dass war das erste, was einem beigebracht worden war. Die erste Nacht war ein leichtes Abtasten, auf unserer Seite fiel niemand, auf ihrer Seite auch nicht. Dennoch wurde gefeiert, als hätten wir den Sieg errungen. Vor allem die jungen Soldaten, zu denen ich auch zählte, waren sehr angetan. Ich sah die Älteren abweisend am Feuer sitzen, dachte mir im ersten Moment jedoch nichts dazu. Gewiss dachten sie über den morgigen Tag nach, wie wir den Gegner besiegen konnten, so dachte ich in jugendlichem Leichtsinn, später habe ich erfahren und verstanden, wieso. Der zweite Tag brach an und es herrschte wirklich Krieg. Wir kämpften in einer Einheit, dennoch wurden wir in Zweierteams eingeteilt, jeder sollte seinen Nebenmann beschützen. Ich wurde einem Mann zugeteilt, der schon einige Schlachten hinter sich hatte. Er war nicht sehr redselig, was eigentlich keiner der älteren war. Dann fing die Schlacht an. Ich weiß nicht, wie lange die Schlacht gedauert hat, kann es nicht mal schätzen, es prallten zwei ungefähr gleich starke Truppen aufeinander, wo keine erst einmal einen Vorteil zog. Es fielen Männer auf beiden Seiten, jedes Mal, wenn ein Mann fiel, wurde die Lücke geschlossen und es wurde weiter gekämpft. Es blieb keine Zeit für die Verwundeten. Ich war weiter hinten, sah meine Brüder auf dem Boden liegen, sah einen nach dem anderen fallen, konnte jedoch nichts tun. Ich war hilflos, hörte nur die Worte unseres Kommandanten, die ich nicht mal verstehen konnte. Ich hielt mich an meinem Mann, der wild entschlossen vorwärts rückte. Plötzlich stoppte der ganze Zug, der Kommandant schrie etwas, ich verstand es nicht, in Gedanken versunkend. Plötzlich wurde es dunkel, ich sah, wie ein Schild vor mich gestellt wurde, hörte nur ein Prasseln und wunderte mich, was es war. Ich sah zur Seite und stellte entsetzt fest, dass mein Partner, auf den ich aufpassen sollte, von Pfeilen getroffen war. Seine letzte Tat war es den Schild schützend vor mich zu halten, ohne Rücksicht auf sein eigenes Leben. Er gab sein Leben für meines, ich wollte mich um ihn kümmern, doch er griff nur nach meinem Arm und schrie, dass es für ihn eh zu spät komme und ich nur darauf achten sollte, dass die Reihe nicht zusammenbricht. Schweren Herzens, mit der Gewissheit, dass dieser Mann vermutlich noch leben könnte, wenn ich nicht gewesen wäre, schloß ich die Reihe und wir marschierten weiter, bis das Zeichen des Kommandanten für den Rückzug kam. Wir zogen uns zurück zu unserem Lager, versuchten die Verwundeten zu retten, welche noch zu retten waren. Mein Nebenmann war gestorben, genauso wie 78 weitere tapfere Männer. 79 tapfere Männer an einem Tag. Diese Zahl hat sich für immer in mein Gedächtnis eingebrannt. Diesen Abend lachte keiner mehr, keiner trank, keiner sang. Diesmal blieb alles still. Die Älteren schliefen, wir Jungen konnten es nicht. Zu groß war der Schock, den wir heute erlitten hatten. Am nächsten Tag erreichte uns zur frühen Morgenstunde ein Reiter und überbrachte unserem Kommandanten einen Brief. Wir werden nie erfahren, was in diesem Brief gestanden hatte, aber wir erhielten den Befehl uns zurückzuziehen. Niemand verstand es, ich bis heute nicht. Warum mussten denn 79 Männer sterben? Niemand klärte uns auf, niemand sagte uns, wieso unser Nebenmann sterben musste, wieso er sein Leben für sein Land und seine Brüder gab? Es war meine erste Schlacht und diese werde ich nie vergessen, denn durch eine Nachlässigkeit von mir, musste ein Mann sterben. Er hat mich beschützt, wir waren einander fremd. Ich habe diesem Mann vorher nie gesehen, konnte mich nicht einmal bedanken. Wieso hat er mich gerettet und nicht sich selbst, dass frag ich mich bis heute. Wir begruben die Toten alle zusammen, gemeinsam schaufelten wir die Erde aus, doch ich weiß nicht warum, war ich vielleicht eingebildet, ich vermag es heute nicht mehr zu sagen, wollte ich das Grab des Mannes, der sein Leben für mich gab, selbst schaufeln. Jeder der mir helfen wollte, schickte ich weg. Ich konnte mich nicht persönlich verabschieden und hoffte so, dass es wenigstens ein bisschen über meinen Schmerz hinweg helfen könnte. Und deswegen Neffe sage ich dir, dass in der Schlacht jeder dein Bruder ist, du gibst deinen Schild für einen der deinen, da wird nicht unterschieden, ob du einen Menschen besser kennst oder nicht, jeder dieser Männer ist schützenswert.“

„Ich verstehe Onkel, was du mir damit sagen willst.“

„Ich hoffe, du verstehst jetzt, wieso du diese Aufgabe annehmen sollst und dir keine Sorgen machen musst. Vergiss nicht, ihr seid alle Brüder, alle Söhne des Wotans. In der Schlacht zählt es nicht, was für eine Aufgabe du im Stamm einnimmst, wen du kennst, in der Schlacht sind wir alle gleich und jeder wird deinen Bruder beschützen, nicht nur du.“

„Danke Onkel, deine Worte haben mir geholfen, meiner Aufgabe mit Gewissheit nachzugehen und ich werde mich nicht drücken und diese Aufgabe gewissenhaft durchführen.“

„Das ist ein Wort, mein Junge. Ich hoffe du bist einverstanden, denn da ich noch bis zum Ende der Woche hier bin, würde ich mich gerne bis dahin als dein Lehrer zur Verfügung stellen und dir verschiedene Taktiken zeigen und dich auch im Kampf mit dem Schwert und Schild schulen. Wenn ich abreise, zeigst du dies deinem Bruder. Wärest du damit einverstanden?“

„Sehr sogar!“, erwiderte Hermann mit einem Lächeln.

„Dann ab mit dir jetzt ins Bett. Morgen wird ein harter Tag, da brauchst du deinen Schlaf.“

„Ich habe verstanden Onkel! Gute Nacht.“

„Gute Nacht, mein Junge.“

Inguiomer sah, wie sein Neffe im Haus verschwand. Er stand noch eine Weile draußen, trank seinen Wein aus und dachte über die Vergangenheit nach. Die Geschichte seines ersten Feldzuges, die Opfer seines Kameraden, dies alles löste in ihm eine lang vergessende oder eher verdrängte Traurigkeit aus. Ihm war klar, dass auch sein Neffe in jungen Jahren zur Armee stoßen wird, er hoffte, dass dieser besser vorbereitet sein würde, als er es war. Er blickte in den Himmel, sah einen Stern blinken, lächelte, hob seinen Becher, dankte seinem Retter von damals, trank etwas Wein und ging ins Haus. Er hoffte, dass sein Neffe sowas nicht durchmachen musste, war sich jedoch sicher, dass es eines Tages dazu kommen werden würde.

 

Der Nächste Tag

 

Hermann erwachte früh, die Sonne war noch nicht aufgegangen, doch obwohl er es gewöhnt war vor den anderen aufzustehen, war dies früher als gewöhnlich. In dieser Nacht hatte er ohnehin sehr unruhig geschlafen. Ihm ging das Gespräch mit seinem Onkel nicht aus dem Kopf, er ging mit diesen Gedanken schlafen, seine Träume drehten sich darum und auch nachdem er aufgewacht war, drehte sich noch immer alles um diese Unterhaltung. Er ging jeden einzelnen Punkt nochmals durch. Sein Onkel hatte Recht, empfand er, er dürfte sich nicht hinter großen Männern verstecken oder ihnen die Arbeit überlassen. Er müsste aus dem Schatten seines Onkels und seines Vaters hervortreten. Er ging zum Wasserkrug und wusch sich erst einmal sein Gesicht. Als das Wasser wieder ruhte, schaute er sich sein Gesicht genau an. Er dachte an nichts, sondern starrte nur sein Gesicht an. Er hatte das Aussehen seines Vaters geerbt, sein Bruder kam mehr nach der Mutter. Er hoffte inständig, dass dies nicht das einzigste war, was ihn mit seinem Vater verband. Er setzte sich hin und dachte an die bevorstehende Woche. Was wollte ihm sein Onkel wohl beibringen, was würde sich von seinem Training unterscheiden, wie sollte das Training in dieser Woche so sehr helfen, dass er seinem Bruder vorbereiten konnte? Würde sein Onkel ihn im Schwertkampf, im Nahkampf ohne Schwert, mit Pfeil und Bogen, oder mit etwas völlig anderem unterrichten? Bringt er ihm Taktiken bei? Will er lieber den Körper trainieren oder den Geist?

„Du bist schon wach?“, erklang plötzlich eine Stimme hinter ihm.

Hermann erschrak und lächelte, als er sich umblickte und seinen Onkel erblickte. „Guten Morgen, Onkel.“

„Guten Morgen Hermann. Konntest du nicht mehr schlafen?“ Er ging an Hermann vorbei zum Wasserkrug und wusch sich ebenfalls das Gesicht.

„Nein, Onkel.“

„Ich hab gehört, dass du gewöhnt bist, früh aufzustehen und schon loszuziehen, bevor dein Bruder und deine Mutter aufwachen, doch ich hätte gedacht, dass ich doch früher aufstehe und schon fertig sein würde, bevor du aufstehst.“ Er strich sich über seinen Bart.

„Es stimmt, Onkel, ich konnte einfach nicht mehr schlafe.“

„Ich bin mir sicher, dass du dir Gedanken darüber machst, was ich dir beibringen werde. Ich habe nicht viel Zeit, also muss ich es beschränken, aber ich hoffe, es wird dir helfen.“

„Ich bin mir sicher, dies wird es.“

„Also gut. Mach dich fertig, schnapp dir deinen Schild und dein Schwert und komm nach draußen, ich warte dort auf dich.“

Hermann stürmte zurück in sein Zimmer. Er schnappte sich seinen Schild, sein Schwert und seine restliche Ausrüstung, die er immer bei sich hatte. Zu dieser gehörten zwei Messer, eins länger und das andere ein wenig kürzer, ein Krug, Pfeil und Bogen, ein Beutel und seine Rüstung, die aus zwei Beinschienen und zwei Armschienen und einem Helm, den er von seinem Vater zum 10. Geburtstag bekommen hatte, bestand. Schutz für die Brust hatte er nicht, da für ihn, im Moment, sein Schild völlig ausreiche. Da er jeden Tag trainierte, war alles sofort griffbereit und er kam beinahe im selben Moment wieder hinaus aus seinem Zimmer, in welchem er hineingegangen war. Er lief hinaus und prallte beinahe mit seinem Onkel zusammen, der vor der Tür stand.

„Ruhig mein Junge. Es stimmt schon, dass ich euch am Ende der Woche wieder verlasse, aber ein bisschen Zeit haben wir ja schon.“

„Ich habe alles hier, Onkel.“

„Gut, ich hoffe, der Platz, an dem ich dich trainieren will, ist immer noch so unverändert, wie ich ihn verlassen habe. Komm. Wir haben einen weiten Weg vor uns.“

Hermann folgte seinem Onkel. Dieser war nur in seiner Alltagskleidung gekleidet, abgesehen von seinem Schwert, dass an seiner Seite hing, hatte er keinerlei Waffen bei sich. Hermann musste sich schon beeilen, um Schritt halten zu können. Hermann verlor jegliches Zeitgefühl. Die Sonne war schon aufgegangen, doch Inguiomer führte seinen Neffen immer weiter. Hermann sah neue Teile von Germanien, die ihm nie bewusst waren, dass es sie gibt. Sie marschierten über Felder, durchquerten Bäche, gingen durch den Wald. Hermann fragte sich langsam, was sein Onkel vorhatte und wohin er ihn führte. Er wollte fragen, traute sich jedoch nicht. Es musste schon ein besonderer Ort sein, wohin ihn sein Onkel führte, da er diesen langen Weg auf sich nahm. Seine Schulter fingen langsam an zu schmerzen. Das Gewicht seiner Ausrüstung, verbunden mit dem langen und zu Teilen schwierigen Weg, machten sich auf seinen Körper bemerkbar. Inguiomer blickte sporalisch immer wieder hinter sich, um sich zu vergewissern, dass sein Neffe immer noch da war. Er verlor aber keinen einzigen Ton, weder über das Ziel, noch über das Befinden seines Neffen. Der Wald, in dem sie gerade waren, erwachte langsam zum Leben, man konnte sehen, wie Tiere aus ihren Höhlen hervorkamen, Vögel anfingen zu sangen, auch das Licht der Sonne kam durch die Kronen der Bäume bis zu den beiden hindurch. Einzig die nachtaktiven Tiere waren schon verschwunden, es war Zeit, sich für die nächste Nacht auszuruhen. Es wäre schön gewesen, dies alles genießen zu können, wenn man seinen Zielort kennen und keine kiloschwere Ausrüstung mit sich tragen würde. Als Hermann schon der Gedanke gekommen war, dass sie wohl sicher bis zur Mittagsstunde das Ziel nicht erreichen werden würden, stoppte Inguiomer plötzlich. Hermann stoppte noch rechtzeitig, bevor er mit seinem Onkel kollidieren würde. Die Hand flitzte zum Schwert, er zog es nicht, war jedoch in Alarmbereitschaft. Er wusste nicht, weswegen sein Onkel so plötzlich gestoppt hatte, möglicherweise sei ein Feind in der Nähe gewesen.

„Wir sind da“, ergriff er plötzlich das Wort und riss Hermann aus seinen Gedanken. Er blickte über die Schultern zu seinem Neffen und zurück. „Du kannst deine Hand von deinem Schwert nehmen“, ergänzte er lächelnd.

Hermann zog seine Hand zurück und stellte sich neben seinem Onkel und betrachtete den Ort, zu dem ihn sein Onkel geführt hatte. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Ihm stockte der Atem, bei dem Anblick, der sich ihm bot. Es war wunderschön. Er hatte noch niemals etwas vergleichmäßiges gesehen. Er kannte seinen Stamm, den Wald hinter dem Dorf, die Straßen und die Felder, auf denen er selbst oft entlangging und trainierte, aber dies war neu für ihn. Es war eine kleine Lichtung, mitten im Wald, der Boden war überwuchert mit Pflanzen jeglicher Art, vom einfachen Gras bis hin zu großen Faunen wuchs alles kreuz und quer. Seitlich der Lichtung ragten die gigantischen Bäume, Linden waren es, in den Himmel. Die Sonne kam durch die gewaltigen Kronen der Bäume und tauchte die Lichtung in malerisches Grün. Es war hell und warm, ein Anblick, so Hermann, den nur die Götter geschaffen haben können. Er sah seitlich Eichhörnchen den Baum hochlaufen, bis zu ihrer Höhle. Er sah einen Vogel auf dem Ast auf der Mitte des Baumes sitzen und laut singen, wahrscheinlich rief er nach einer Partnerin. Er sah zwei Igel seitlich am Rande der Lichtung, weiter hinten konnte er ein Rehkitz beobachten, dass interessiert zu ihnen herüberschaute. Es kannte keine Menschen, da anscheinend wohl noch nie ein Mensch bis in dieses Gebiet vorgerückt worden war, auf jeden Fall nicht zu seinen Lebzeiten. Die Mutter war jedoch auch nicht weit, graste etwas weiter entfernt, jedoch immer mit einem wachsamen Auge auf ihr Junges. Hermann wandte sich zu seinem Onkel um.

„Onkel, wem gehört dieses Land?“

„Dies mein Junge ist eine gute Frage. Offen gestanden weiß ich es nicht, doch vermute stark, dass dies keinem gehört. Die Stämme sind bis hierhin wohl noch nicht vorgerückt und ich muss sagen, dass ich froh bin, diesen Ort nach all der Zeit immer noch im gleichen Zustand zu sehen.“

„Soll das heißen...“

„Ja. Ich war schonmal hier. Und zwar mit deinem Vater. Als wir noch kleiner waren, beschlossen wir für einige Zeit von zu Hause auszuziehen und uns unseren Platz in der Natur zu suchen. Wir hatten nur unsere Kleidung an uns, einen Krug, Seile, ein kleines Messer und ein Schwert. Ich hatte sicherheitshalber noch eine Axt eingepackt. Wir wanderten 2 Tage umher, schliefen nachts selbstverständlich. Wir suchten aber einen festen Platz, wo wir unser Lager aufschlagen konnten und dort auch möglicherweise trainieren und uns ernähren konnten. Nach dem zweiten Tag unserer Reise fanden wir diesen Ort. Die Lichtung war damals noch nicht so groß, wie du sie jetzt siehst, aber sie fasste schon ein paar Baumlängen. Wir wussten sofort, dass dies der Platz war, um uns niederzulassen. Wir legten unsere wenige Ausrüstung zur Seite und beschlossen und erstmal einen Unterschlupf zu bauen. Wir waren noch jung, 16 und 18 Jahre waren wir nur, wir hatten demnach nicht viel Erfahrung im Bau eines Hauses. Doch ich musste sagen, und dass jetzt ohne viel Eigenlob, dass wir es gut hinbekommen hatten. Froh konnten wir natürlich darüber sein, dass ich eine Axt eingebackt hatte, womit wir uns die nötigen Holzstücke abhacken konnten. Man konnte schon sagen, dass ich mehr vom Verstand abbekommen hatte, während dein Vater mehr Kraft zugeschöpft bekam. So bekamen wir eine Hütte zusammen, die nicht sehr ansehnlich, aber stabil war und einem genug Platz für zwei junge Burschen bot. Mit unseren Seilen banden wir die Holzstücke zusammen und legten uns, da es schon spät geworden war, erst einmal schlafen. Es war kühl in der Nacht geworden, wir froren ein bisschen in der Nacht, doch im Vergleich zu der Kälte, die wir die Nächte vorher erlebt hatten, war dies doch deutlich angenehmer. In den Nächten zuvor schliefen wir angelehnt an Bäumen.“

„Hattet ihr keine Angst? Vor irgendwelchen Tieren oder auch menschlichen Feinden?“

„In unserer ersten Nacht hatten wir tatsächlich etwas Angst. Wir wussten nicht, was uns erwartet, wir wussten nicht, in welchem Stammesgebiet wir waren. Wir hatten weniger Angst vor den Tieren, als vor Krieger anderer Stämme, die uns womöglich für Späher oder, was noch schlimmer gewesen wäre, Attentäter gehalten hätten. Doch nachdem wir nach dem zweiten Tag keine Feinde in die Quere gekommen sind, gingen wir davon aus, dass dieses Gebiet unbewohnt sei bzw. dass hier noch niemand vorgerückt war. Demnach konnten wir beruhigt schlafen. Vor den Tieren musst du keine Angst haben, solange du ihnen nichts tust, tun sie dir auch nicht. Wir wurden auf jeden Fall nie von einem Tier angegriffen. Und glaub mir, hier in der Natur sind viel mehr wir die Tiere.“

„Wie ging es weiter, nachdem ihr aufgestanden seit?“

„Morgens machten wir erstmal die Lichtung ein wenig leichter zum begehen. Du siehst, dass im mittleren Kreis Steine so gut wie rar sind. Diese haben wir entfernt. Weiterhin haben wir das wilde Gestrüpp, das anfänglich verstreut wuchs, entfernt und somit eine breite Fläche geschaffen, auf welcher wir alles getan haben, was wir uns vorgenommen hatten, in erster Linie war dies trainiert. Doch auch gemeinsam gegessen und abends am Feuer zusammengesessen haben wir. Die wenigen Steine, die du da siehst“, sagte er und zeigte auf etwas leicht abseits der Lichtung vor zwei großen Bäumen, „dort war unsere Feuerstelle. Dort saßen wir abends zusammen, tauschten uns über den Tag aus und aßen zusammen, was wir gejagt und gesammelt haben. Weiter hinten, du hörst es vielleicht noch, rauscht ein kleiner Bach vor sich hin. Dort haben wir klares Wasser bekommen, konnten uns waschen und hatten genug zum trinken. Pfeil und Bogen zum jagen stellten wir uns selbst her. Beeren sammelten wir in den Sträuchern neben dem Bach. Es fehlt einem hier an nichts“, er lachte kurz auf, „abgesehen von einer netten Dame, wie dein Vater oftmals betonte.“

Hermann lächelte. Was er früher von seinem Vater von Verwandten und Freunden seines Vaters gehört hatte, war dieser im Stamm bei den Frauen sehr beliebt gewesen, um es vereinfacht auszu-drücken. Nachdem er jedoch seine Mutter kennen gelernt hatte, wurde es ruhiger um seine Liebes-angelegenheiten.

„Die Waffen angefertigt und die Lichtung vorbereitet haben wir am ersten Tag und nach der ersten Nacht, nach unserer Ankunft. Am zweiten Tag begannen wir damit, wozu wir überhaupt hergekommen waren, mit dem Kampftraining. Wir haben trainiert, wie die Verrückten. Die Schwerter flogen, prallten an den Schildern ab. Wenn wir mal nicht gegeneinander kämpften, jagten wir, indem wir unsere neu angefertigten Waffen, wie Pfeil und Bogen, dafür einsetzten. Abends waren wir zu erschöpft, um noch etwas machen zu können. Wir aßen nur noch und legten uns dann schlafen. Die Götter wachten über uns und in der ganzen langen Zeit, in der wir da waren, stattete uns weder ein wildes Tier oder, was noch schlimmer gewesen wäre, ein Feind einen Besuch ab. Unsere Kämpfe veränderten sich im Laufe der Zeit, um genau zu sein, änderte sich am Ende eigentlich nur noch der Sieger. Wie ich dir ja schon erzählt hatte, war dein Vater der Mann mit der meisten Kraft, sodass anfangs er immer die Oberhand behielt. Es nervte mich ständig zu verlieren, es war nicht immer einseitig, doch gewinnen konnte ich nicht. Es war klar, dass es so nicht weiter-gehen konnte. Deshalb musste ich eine andere Lösung finden, wenn ich nicht durch Kraft gewinnen konnte, so musste ich mein Glück im Denken suchen und Strategien aufstellen. Bei den weiteren Kämpfen beobachtete ich genau meinen Bruder und unsere Umgebung. Ich verlor zwar, konnte aber wichtige Informationen aus diesen Kämpfen rausziehen. Eines Abends, nachdem mein Bruder schon zu Bett gegangen war, präparierte ich das Kampffeld. Nicht auffällig, ich veränderte nicht viel, ihm fiel es auch am nächsten Morgen nicht auf. Als er erwachte, kam ich schon vom Bach mit Wasser für uns beide zurück.

„Na“, begrüßte er mich spöttisch lächelnd, „bereit für eine weitere Niederlage?“

„Heute bist du es, Bruder“, erwiderte ich, „der eine Niederlage einstecken muss.“

„Ja, natürlich“, antwortete er kopfschüttelnd und lachend, „und das römische Reich wird schon bald untergehen.“

Er machte sich bereit, wusch sich schnell, aß etwas von gestern und zog sich an zum Kampf. Ich ging meine Taktik nochmal durch, versah mir nochmal das Kampffeld an und zog mein Schwert. Mein Bruder kam auf mich zu, zog sein Schwert und wir nahmen unsere Kampfhaltung an. Er stürzte auf mich zu und ich verteidigte mich. Es waren kräftige Schläge, die ich jedoch mühelos parieren konnte. Ich konzentrierte mich auf meinen Plan und wich weiter zurück.

„Was ist los, Bruder?“, rief er, „keine Lust mehr zu kämpfen?“

„Dein Hochmut wird dir den Sieg kosten, glaube es mir!“

Er lachte und rückte weiter vor. Es kam ein mächtiger Schwinger, der jeden hätte töten können, ich wich aus und machte einen Schritt zur Seite. Da war die Chance, genau hinter mir war der präparierte Stein, den ich in der Nacht dorthin gelegt hatte. Er griff weiter an, ich übersprang den Stein leichtfüßig, jedoch darauf achtend, dass er dies nicht bemerkt. Er hatte nichts gemerkt, war er ja nur auf seinen Angriff bedacht und hatte somit auch nichts von der Umgebung mitbekommen. Er stieß vor, trat gegen den Stein und kam ins Straucheln. Dies war die Chance auf die ich gewartet habe. Ich stieß daraufhin vor, blockte sein Schwert zur Seite, warf mich mit meinem ganzen Gewicht nach vorne, stieß ihn zu Boden, kniete mich auf ihn, fixierte seine Schwerthand mit meinem Fuß und hielt mein Schwert direkt vor seiner Brust.

„Verloren, Bruder.“

Er war geschockt, dass kannst du dir sicherlich vorstellen. Nie zuvor hatte er gegen seinen Bruder verloren und jetzt in so kurzer Zeit. Er verstand es nicht, dies war deutlich in seinem Gesicht zu lesen. Ich stand auf, reichte ihm die Hand, er nahm sie und ich zog ihn hoch.

„Ich verstehe es nicht“, sprach er, „was ist hier passiert. Ich spürte nur, wie ich gegen etwas stieß und dann ins Straucheln geriet, danach ging alles blitzschnell und ehe ich mich versehen konnte, lag ich auf dem Boden und du hattest die Möglichkeit, mich mit deinem Schwert zu durchbohren. Aber wieso das passiert ist, kann ich nicht sagen.“

„Ich kann es“, antwortete ich ihm, „aber dafür ist noch nicht die Zeit gekommen.“

Ich wollte, dass er es selbst begreift. Ich wollte, dass ihm klar wurde, wieso er verloren hatte, wieso ich plötzlich gewonnen hatte. Andererseits, und in dem Punkt war ich ziemlich eitel, wollte ich weiterhin gewinnen. Wir kämpften noch öfters, an diesem Tag, wie auch an den nächsten Tagen, er konnte mich jedoch nicht ein einziges mal mehr bezwingen. In einem Kampf war plötzlich der Boden nass, in einem anderen gab es ein Loch im Boden, über das er stolperte. Ihm fiel nie auf, dass es diese Kleinigkeiten waren, die mich ihn besiegen ließen. Drei Tage nach meinem ersten Sieg, nachdem die Stimmung meines Bruders ihren Tiefpunkt erreicht hatte, bat er mich, ihm endlich zu erzählen, wieso er gegen mich nicht gewinnen konnte.

„Bruder“, fing er an, „erzähl mir bitte, was ich falsch mache. Ich kann nicht mehr gewinnen, egal was ich tue. Wieso?“

„Es ist eigentlich ganz einfach“, antwortete ich lächelnd, was seine Stimmung nicht gerade anhob.

„Ich bitte dich, erzähl es mir“, erwiderte er fast schon flehend. Es war das erste mal in unserer langen Zeit, dass er mich anflehte, ich habe es damals so interpretiert, obwohl er dies niemals zugeben würde. Ich konnte meinen Bruder nicht weiter zappeln lassen, obwohl ich es gerne getan hätte.

„Bruder, ist dir bei unserem Kampf nichts aufgefallen?“

„Nein, sonst würde ich ja kaum fragen. Ich hatte die Oberhand, bis du plötzlich in einem Moment umgeschwenkt hast und ich im nächsten Moment schon besiegt auf dem Rücken lag. Wieso das so war, kann ich mir nicht erklären.“

„Auf was hast du denn geachtet, während wir gekämpft haben?“

„Eigentlich nur darauf, dich zu besiegen. Ich hab mich auf dich konzentriert, wie es ja auch richtig ist.“

„Und genau, dass war dein Fehler.“

„Wie meinst du das? Was ist falsch daran, auf seinen Gegner konzentriert zu sein? Es wurde uns doch so gelehrt.“

„Es ist wahr, es ist wichtig zu wissen, was dein Gegner gerade tut, doch der Kernpunkt ist, und so habe ich dich auch ständig geschlagen, dass du auf deine Umgebung achtest.“

„Meine Umgebung?“, fragte er verwirrt.

„Ja genau. Dir ist es nie aufgefallen und genau das war dein Problem. Dir ist nie aufgefallen, dass plötzlich ein Stein an einer Stelle war, wo dieser vorher nicht war, dass ein Loch im Boden war, obwohl wir uns doch eine ebene Stelle ausgesucht haben.“

„Du meinst...“

„Genau. Ich habe vor unseren Kämpfen, dass Kampffeld manipuliert. Es war mir klar, dass ich, aufgrund meiner geringeren Kraft nicht gegen dich gewinnen konnte, demnach musste ich mir etwas anderes überlegen. Ich musste etwas finden, wodurch dein Kraftvorsprung bedeutungslos werden würde. Und so, im Laufe der vorherigen Kämpfe mit dir, die ich verloren hatte, nahm ich persönlich sehr viel an Erfahrung mit, da ich dich beobachtet habe und dazu auch noch die Umgebung, auf die du gar nicht geachtet hast. So überlegte ich mir eine Strategie und hab sie daraufhin in die Tat umgesetzt, da ich abends, nachdem du schon zu Bett gegangen bist, das Kampffeld für den nächsten Tag vorbereitet habe. Während des Kampfes musste ich nur die passende Gelegenheit finden, dich in die Falle tappen zu lassen und diesen Gefallen hast du mir immer wieder getan.“

Dein Vater war sprachlos, nachdem er das gehört hatte. Ich konnte sehen, wie er die ganzen Kämpfe Revue passieren ließ, bis er zu den Stellen kam, als ich ihn jedes mal überwältigte. Er bekam den Mund vor Staunen gar nicht mehr zu. Er, der sich sicher war seine Gegner mit bloßer Muskelkraft besiegen zu können, musste feststellen, dass ihn eines Tages jemand überlegen war. Und dies nicht, wie er sonst angenommen hatte, durch größere Kraft, sondern nur durch die Tatsache, dass diese Person seinen Verstand eingesetzt hatte und nicht in erster Linie seine Kraft. Er hat den Geist vor die Kraft gestellt. Eine Tatsache, die dein Vater immer außen vor gelassen hat. Er schaute mich an und brachte keinen Ton heraus.

Hermann lauschte den Erzählungen seines Onkels sehr genau. Er kannte seinen Vater, doch sehr viele Sachen waren neu für ihn. Er wusste, dass sein Vater immer die Kraft vor dem Verstand gestellt hatte, darauf waren sein Bruder und er trainiert worden, jetzt jedoch erfuhr er, dass dieser Mann durch bloßes Wissen besiegt worden war. Konnte man auch so ganze Königreiche zum Einsturz bringen. Konnte man dadurch aus jeder Schlacht siegreich hervorgehen? Diese Fragen beschäftigten ihn und er stellte sie seinem Onkel.

„Dies ist schwer zu sagen“, antwortete sein Onkel nach einer kurzen Pause, „du musst nämlich immer sehen, dass jede Schlacht, jeder Zweikampf anders ist. Wie du gegen den einen kämpfst, ist nicht zwingend gleich, wie du den anderen bekämpfst. Um Königreiche zu Fall zu bringen, musst du erst einmal in der Lage sein, eine Armee führen zu können. Bedenk, dass du im Moment nicht mal ein richtiger Soldat bist; um jedoch eine Schlacht durch deine Taktik gewinnen zu können, musst du selbst erstmal der Kriegsführer deiner Armee sein, bedenke, dass ein einzelner Soldat nicht genug Macht hat, ein Königreich zu schlagen. Es ist zwar richtig, dass auch ein einzelner Soldat für den Sieg äußerst wichtig ist, doch ihr müsst als Einheit auftreten. Als Soldat bist du nur der Handlanger deines Königs oder, wie in unseren Falle, deines Stammesfürsten. Du hast nicht die Möglichkeit deine Kenntnisse über Taktiken kundzutun, geschweige den sie durchzuführen. Steige in der Armee auf, steige auf bis zum General, zum Schlachtenführer, dann wird deine Strategie deine Armee zum Sieg führen. Und sogar wenn du dies erreicht hast, ist das nicht gleichgestellt mit der Gewissheit des Ruhmes. Wie viele Generäle gab es schon, wie viele kennst du noch. An Hector aus Troja erinnert man sich, an Odysseus aus Ithaka, der mit seiner List die Trojaner besiegte, an Menelaos aus Sparta, an Cäser aus Rom, an Hannibal aus Karthago, der mit einer zahlenmäßigen Unterlegenheit an Soldaten, die Römer herausforderte und sie bezwang und nicht zu vergessen Alexander III. von Makedonien, der seine erste Schlacht mit 20 Jahren gewann und der Herrscher über das größte Reich der ganzen Welt wurde. Er, der ein zahlenmäßig überlegendes Heer nur aufgrund einer herausragenden Taktik besiegte, ging als jüngster Feldheer aller Zeiten in die Geschichte ein. Da siehst du mein Junge, dass nur wenige dazu auserwählt wurden, ihren Namen in die Geschichte eintragen zu lassen. Und es waren meist Feldherrn, keine Soldaten, vom großen Achilles mal abgesehen, die bekannt wurden. Wenn du etwas erreichen willst, und dafür sorgen willst, das die Welt deinen Namen über die Tausenden von Jahren, die noch kommen werden, nicht vergisst, dann werde ein Mann mit Macht.“

Er verfiel in Schweigen. Hermann, der die ganze Erzählungen mit ehrfürchtiger Miene gelauscht hatte, tat es ihm gleich. Beide saßen auf einem Felsbrocken, der am Rande der Lichtung lag. Die Sonne zog ihren Kreis, solange Inguiomer sprach. Dieser beobachtete jetzt einen Vogel, der auf einem Ast, nah der Baumkrone saß und als dieser wegflog, lächelte Inguiomer plötzlich.

„Weißt du mein Junge“, ergriff er wieder das Wort, „siehst du diesen Vogel da?“

Hermann nickte und verfolgte den Vogel mit seinem Blick, bis er außer Reichweite seines Blickfeldes war.

„Nimm dir diesen Vogel zum Vorbild. Nicht so, wie du jetzt denkst“, erklärte er, nachdem Hermman seinen Onkel einen fragenden Blick zugeworfen hatte, „es ist mir bewusst, dass du nicht fliegen kannst und auch nicht den Blick der Götter von oben hast, aber da du nicht fliegen kannst, musst du deine Umgebung genau kennen. Dieser Vogel kann nach oben fliegen, er hat die Möglichkeit die ganze Umgebung im Auge zu behalten, er kennt die Angriffsmöglichkeiten seiner Feinde und genau das musst du auch können. Du musst in der Lage sein, das komplette Kampffeld zu kennen, du musst wissen, wo dein Gegner angreifen wird, wo deine perfekte Verteidigungslinie aufgebaut werden sollte. Wo du deine Gegner in einen Hinterhalt locken oder ihn dort erwischen kannst. Wo dein Rückzugspunkt sein sollte. Ja, auch der Rückzug muss immer eine Option sein.“, fügte er hinzu, als Hermann schon vor Entrüstung antworten wollte. Inguiomer kannte nämlich die Einstellung Hermanns zum Rückzug. „Nur ein Narr kämpft eine Schlacht, die er nicht gewinnen kann. Wenn du weißt, dass du nicht gewinnen kannst, ist es besser, sich zurückzuziehen und sich neu zu formieren. Es ist dann offensichtlich, dass die Taktik die falsche war. Lieber den Rückzug antreten, als seine Armee ins Verderben zu schicken. Du, du ganz allein als Kriegsführer, bist für deine Armee verantwortlich, solltest du diese Schlacht überleben, muss du dich rechtfertigen, wieso ihr verloren habt und glaub mir, ich habe schon oft angesehen, wie sich Generäle noch auf dem Schlachtfeld selbst dafür gerichtet haben, was sie in der Schlacht falsch gemacht haben. Einige taten es wohl auch, aus der Angst, Sklaven zu werden, was natürlich im Falle einer Niederlage im Vergleich zum Tod meistens noch schlimmer gewesen wäre.“

„Ist die Sklaverei wirklich so schlimm?“

„Du kennst es nicht, da wir hier keine Sklaven haben, doch falls du mal nach Rom oder eine andere größere römische Stadt sehen solltest, wirst du sehen, wie grausam die Sklaverei wirklich ist. Man könnte die Sklaven mit dem Vieh vergleichen, doch das wäre noch übertrieben, da das Vieh deutlich angesehener ist, als die Sklaven. Bei meinen Besuchen in Rom gibt es keinen Ort, wo Sklaven nicht gebraucht werden. Die Haushaltssklaven, die dennoch, meistens aber auch nicht immer, genau den gleichen wertlosen Ruf haben, wie die anderen, müssen jedoch nicht die menschenunwürdigen Aufgaben erledigen, die andere tun. Falls du mal in eine römische Stadt kommen solltest und sehen solltest, wie die Sklaven behandelt werden, mache es ihnen nicht noch schwerer. Versprich es mir!“

„Ich verspreche es dir, Onkel.“

„Das ist mein Neffe, doch genug geredet. Ich hab dich hier nicht hingebracht, damit ich dir diesen Ort zeigen und dir meine Geschichten erzählen kann, denn das hätten wir auch zu Hause erledigen können. Ich wollte dich trainieren, zwar nur ein paar Tage, doch ich werde dir Strategien und Tipps beibringen, die dir sicherlich weiter helfen werden. Kraft trainierst du ja eigenständig, dies muss ich dir nicht zeigen, ich zeige dir Wege, wie du den Gegner mit Hilfe deiner Umgebung besiegen kannst. Doch es wird spät, sodass wir das auf morgen verschieben werden. Heute werden wir nur alles vorbereiten, die Hütte, die Feuerstelle und alles was wir zum Leben brauchen. Morgen beginnt das Kampftraining. Los mein Junge, zeig mir, was du kannst.“

Hermann stand auf. Er schaute sich nach geeigneten Holzstücken um, die er verwenden könnte. Hermann sah, wie sein Onkel sind an einen Baum lehnte.

Während Hermann arbeitete, saß Inguiomer an einen Baum gelehnt und beobachtete seinen Neffen ganz genau. Er erinnerte ihn sehr stark an seinen Bruder, nicht nur vom körperlichen, sondern auch vom geistigen. Für Segimer war es anfangs auch immer ein Graus sich zurück ziehen zu müssen und Inguiomer war sich sicher, dass er dies nicht gemacht hätte, wenn er selbst nicht mit in den Schlachten an der Seite seines Bruders gekämpft hätte. Meistens war es sein Geschick gewesen, welches die drohenden Niederlagen noch zu Siegen umgewandelt hatten. Die Anerkennung gebürte immer Segimer, was Inguiomer jedoch dankend annahm, da es ihm nicht so sehr auf den Ruhm ankam, da er lieber im Hintergrund bleiben wollte, um in Ruhe die Taktiken für die Schlacht vorzubereiten. Er war der Ältere, er erbte den Ruhm, so ist der Lauf der Dinge. Er hegte jedoch keinen Groll deswegen gegen seinen Bruder. Er wusste, er konnte sich auf ihn verlassen, wann immer es Probleme gab. So war es schon von Anfang an. Seitdem er sich erinnern konnte, war sein Bruder immer da, um ihn vor jeglichen Feinden zu beschützen. Ihm gebürt der Ruhm, diesen hat er sich von klein auf verdient, bei mir, wie auch bei den anderen.

„Fertig!“, rief Hermann und riss Inguiomer aus seinen Gedanken. Er begutachtete die Handwerkskunst seines Neffen und musste sich eingestehen, dass es ziemlich gut aussah, für die vorhandenen Materialien und das vorhandene Werkzeug. Man konnte es als Hütte identifizieren, sicherlich war es keine Glanzleistung, doch in der Kürze der Zeit und unter den Vorraussetzungen war es eine gelungene Arbeit. Wenn man außerdem anmerkt, dass sein Bruder und er eine Hütte aufgebaut haben, die von der Qualität her sich nicht sonderlich von dieser unterscheidet, rechnete er diese Leistung noch höher an, als sie generell schon war. Allein darauf auf das Potenzial zu schließen, welches in Hermann schlummern könnte, wäre zu früh, jedoch ist eine Begabung da, aus den wenigen Dingen, die man zur Verfügung hat, etwas großes herzustellen. Daraus ließe sich etwas machen, dessen war sich Inguiomer bewusst. Die Zeit war knapp, aber die Grundlagen könnte man ihm in der kurzen Zeit dennoch beibringen, da Talent vorhanden war.

„Gut gemacht Hermann. Sieht nach einer Hütte aus, man wird sicher darin schlafen können. So jetzt kommen wir zum nächsten Teil, die Feuerstelle vorzubereiten. Du weißt sicher, wie eine Feuerstelle

auszusehen hat, demnach muss ich dir keine Anleitung dafür geben. Vorbereite eine und geh danach auf die Jagd. Wir brauchen ja auch etwas, was wir über dem Feuer braten können.“

Hermann machte sich sofort auf dem Weg, passende Steine für einen Kreis herbeizubringen. Nachdem er dies erledigt hatte, machte er sich auf den Weg nach etwas essbaren zu suchen. Inguiomer lehnte sich wieder gegen den Baum, an dem er schon vorher gelehnt hatte und nickte tatsächlich nach einiger Zeit ein. Er hatte eigentlich vorgehabt, zu warten, bis Hermann zurückgekehrt wäre und horchte die erste Zeit lang nach jedem Geräusch, doch abgesehen, von ein paar Vögel, die hin und wieder zwitscherten, vernahm er nichts und so, auf Grund der Stille überkam ihn eine gewisse Müdigkeit und er schlief ein. Er konnte nicht genau sagen, wie lange es ungefähr war, doch als er aufwachte, prasselte ein Feuer direkt vor der Hütte und ein angenehmer Duft fuhr in seine Nase. Er sah Hermann vor dem Feuer sitzen, Fleisch auf zwei Stöcke gespitzt, diese immer wieder drehend, sodass das Feuer an jede Stelle das Fleisch röstete. Inguiomer stand auf.

„Ah, Onkel, bist du wach?“, fragte Hermann, nachdem er Inguiomer auf sich zugehen sah. Er drehte die Fleischstücke zur anderen Seite. „Warte noch einen kurzen Moment, dann können wir gemeinsam essen.“

„Wie ich sehe warst du fleißig, während ich geschlafen habe.“

„Ja, nachdem ich gesehen habe, dass du eingeschlafen warst, nachdem ich von der Jagd zurück gekommen war, hab ich mir gedacht, dass ich schonmal alles vorbereite, damit wir später nur noch essen können. Und dies habe ich daraufhin auch gemacht. Ich wollte dich wecken, nachdem ich alles fertig hatte, du bist aber früher aufgewacht.“

Inguiomer stand da und wusste nicht, was er sagen sollte. Er hatte seinen Neffen total unterschätzt. Er hatte nicht nur selbst alles weitere bedacht, sondern hatte es auch noch durchgeführt. Die Sonne war noch nicht einmal untergegangen, ihm fiel ein, wie schwer es damals war, zu zweit etwas zum essen zu organisieren, was nicht auf Sträuchern wuchs. Sie hatten damals für alles den ganzen Tag gebraucht und dieser Junge schaffte dies in deutlich geringerer Zeit. Inguiomer war klar, dass dieser Junge ein begnadeter Feldherr werden konnte und nun war er auch sicher, dass diese Woche dafür ausreichen würde, ihm alles notwendige dafür beizubringen.

Nachdem beide gegessen und getrunken haben, machten sich beide auf, schlafen zu gehen. Während Hermann wartete, bis Inguiomer in die Hütte hinein trat, lehnte dieser sich wieder gegen den Baum und machte es sich gemütlich.

„Onkel, willst du nicht in der Hütte schlafen?“

„Nein, mein Junge, du hast diese Hütte gebaut, du darfst darin schlafen. Ich ziehe es vor, unter dem Sternenzelt zu schlafen. Schlaf gut mein Junge.“

„Schlaf gut Onkel.“

Während Inguiomer sich langsam schlafen legte, kroch Hermann in seine Hütte, ging jedoch nicht schlafen. Er dachte über die Gedanken nach, die sein Onkel gemacht hatte, als er damit beschäftigt war zu jagen und zu essen. Es erfüllte ihn mit Stolz, so sehr von seinem Onkel respektiert zu werden, es herrschte nun jedoch auch Druck auf ihn, ob er tatsächlich in der Lage war, diese Erwartungen zu erfüllen. Hermann dachte über die Feldherren nach, die sein Onkel erwähnt hatte. Natürlich wäre er stolz, wenn sein Name in einem Atemzug genannt werden könnte mit Alexander, Hector, Hannibal, Cäsar. Er, ein wichtiger Name in der Geschichte, würde niemals wieder vergessen werden. Dieser Traum war geboren worden.

Am nächsten Morgen wachte Inguiomer schon früh auf, was er sah, überraschte ihn gänzlich. Hermann, der sich selbst eine Hütte gebaut hatte, lehnte gegen einen Baum und schlief. Er zog es vor, draußen zu schlafen, da er, Inguiomer, selbst auch darauf bestanden hatte. Was ein hervorragender Feldherr er wohl abgeben könnte. Ein Feldherr aus den eigenen Reihen, kein Tyrann, der von oben über seine Armee blickt und sie wie unwichtige Charaktere herumschickt. Hermann wäre ein Feldherr, der bei seiner Armee schläft, einer von ihnen wäre, so eine Armee kann mehr erreichen, als jede andere, könnte aus jeder Schlacht siegreich hervorgehen, sogar wenn der Feind zahlenmäßig weit überlegen ist, ein Band, wie das eines guten Feldherren zu seinen Soldaten, kann niemand bezwingen. Ein Ziel, dass auch Hermann für sich auserkoren hat. Inguiomer stand auf, schritt zu Hermann herüber und weckte ihn. Hermann wachte auch, war aber sogleich fit und sprang auf.

„Guten Morgen Onkel.“

„Guten Morgen Hermann. Es wird Zeit sich vorzubereiten, schnell was zu essen und sich dann auf das Training zu konzentrieren.“

„Verstanden.“ Hermann nahm den Krug und machte sich schnellen Schrittens zum Bach auf, um sich zu waschen, danach kehrte er mit dem Krug voller Wasser zurück zum Lager. Dort erwartete ihn sein Onkel und beide begannen zu frühstücken. Während beide aßen, kamen Hermann einige Gedanken. Was würde ihm sein Onkel beibringen? Würde das Training hart werden? Würde er sich mehr auf den Körper verlassen müssen oder doch auf den Geist? Ihm schwirrten die Fragen in seinem Kopf umher und er fasste den Entschluss sich einfach überraschen zu lassen.

„Wie dir sicherlich bewusst ist, haben wir nicht mehr viel Zeit. Höchstens vier Tage noch, bis wir zurück müssen und ich dann aufbrechen muss. Daher wollen wir keine Zeit verlieren und sofort anfangen. Bist du bereit?“

„Natürlich, Onkel.“

„Das erste, was wir machen werden, ist ein kleiner Schwertkampf. Wir nutzen dafür den Platz, den dein Vater und ich früher immer genutzt haben. Komm steh auf.“

Beide standen auf und gingen ein paar Schritte zum Kampffeld hinüber. Hermann und Inguiomer zogen beide ihre Schwerter. Beide blickten sich an und umkreisten sich, wie Tiger, die bereit waren, ihre Beute jeden Moment anzuspringen. Hermann überprüfte die Umgebung, die Punkte, die er von seinem Onkel gehört hatte und die sein Vater gänzlich ignorierte, wollte er richtig machen. Er suchte nach Versenkungen, nach Steinen, die im Weg standen, nach rutschigen Böden, er fand jedoch nichts. Es sollte wohl ein einfacher Schwertkampf werden, ohne Hinblick auf die Umgebung. Diese Übung kam für ihn ganz recht. Er war es gewöhnt gegen erwachsene Männer zu kämpfen, sodass er damit keine Probleme hatte. Er war es gewohnt den ersten Schritt zu machen und daher griff er auch an. Das Schwert flog mit lauten Gebrüll in Richtung Inguiomers. Dieser parierte diesen Schlag mit Leichtigkeit. Jeden Schwertschlag, den Hermann setzte, konnte mühelos von Inguiomer pariert werden. Hermann verlor, mit andauernder Kampfdauer, langsam die Geduld. Egal, welchen Angriff er startete, sein Onkel parierte jeden einzelnen Schlag und schien dabei nicht einmal Mühe zu haben. Hermann zweifelte an sich selbst. Wie war dies möglich? Er konnte mit den besten des Stammes mithalten, hatte jedoch überhaupt keine Chance gegen seinen Onkel. War sein Onkel wirklich so viel besser? Waren die anderen so schlecht oder haben sie ihn womöglich absichtlich gewinnen lassen, weil er der Sohn des Stammesfürsten war? Zu seinen Zweifeln mischte sich nun auch Wut. Er begann zu glauben, dass er so viel schlechter war. Er verlor die Konzentration für den Kampf und bekam die Konsequenzen sofort dafür zu spüren. Ehe er sich versah, spürte er eine Hand an seiner Schwerthand und eine kalte Klinge an seinem Hals.

„Du hast verloren, Neffe.“

Hermann kam zurück aus seinen Gedanken. Er bereute es zugleich, sich so leicht ablenken zu lassen. Die Wut, die er hatte, änderte sich. Während er zuerst vor allem Wut auf andere gehabt hatte, in erster Linie auf seine Trainingspartner, mischte sich diese mit Wut über sich selbst, dass er sich so leicht ablenken ließ und er dadurch den Kampf verloren hatte. Er blickte gen Boden, er wollte seinem Onkel nicht in die Augen sehen. Er spürte, wie die Klinge von seinem Hals genommen wurde und wie eine Hand auf seine Schulter gelegt wurde.

„Alles okay?“, fragte ihn sein Onkel.

„Ja, es ist alles okay“, erwiderte Hermann mit leicht vor Wut zitternder Stimme.

„Gut. Es hat also geklappt, wie ich wollte.“

Hermann blickte überraschend hoch und sah seinen fragend Onkel an. Er hatte alles erwartet, Aufmunterung, Enttäuschung, Mitleid, aber nicht das.

„Ich sehe, du bist überrascht. Ja, es ist genau das aufgetreten, was ich gedacht habe bzw. was ich gehofft habe. Ich sollte dich aufklären. Ich hab dich absichtlich lächerlich gemacht und wollte so deinen Missmut steigern. Ich wollte, dass du dir Gedanken dazu machst, wollte, dass du zweifelst, wollte dich vom Kampf ablenken. Und dies ist mir auch nach einiger Zeit des Kampfes gelungen. Während du anfangs noch voller Kampfeslust warst, ist diese mit zunehmender Dauer des Kampfes abgeflacht und du hast deinen Geist mit anderen Gedanken vollgepackt. Man hat die Wut in deinen Augen gesehen, weil du dich wahrscheinlich gefragt hast, wieso ich deine Angriffe mit so einer Leichtigkeit parieren konnte. Ich muss dir allerdings sagen, dass dies nicht so war, ich habe deine Schläge schon gespürt, es jedoch leicht aussehen lassen wollen. An deiner Reaktion kann ich ablesen, dass mir dies gelungen ist. Doch jetzt zurück zu der eigentlichen Übung. Wie dir sicher bewusst sein sollte, habe ich dies nicht gemacht, um dich lächerlich zu machen. Ich wollte testen, wie dein Kopf unter extremen Bedingungen arbeitet. Keine körperlichen, wie z.B. in einer Schlacht, jedoch mentale, wie die, die du gerade durchgemacht hast.“

„Ich verstehe, was der Sinn dieser Übung war.“

„Sehr gut. Wir haben jetzt herausgefunden, was das Problem ist, jetzt müssen wir der Lösung des Problems arbeiten. Auch dein Vater hatte dieses Problem, wenn er nicht mehr gewonnen hatte.“ Dieser Satz brachte wieder etwas Wut in Hermann hervor. Keine Wut auf seinen Onkel, er war nur da, um ihm zu helfen, was er sehr schätzte, sondern Wut auf sich selbst. Er hatte es immer geliebt, wenn ihn die Leute mit seinem Vater verglichen haben. Seinen mutigen Vater, der keine Gefahr gescheut hat, der keinem Kampf aus dem Weg gegangen war. Doch nun, durch das Kennen der Fehler seines Vaters und das er diese wiederholte, dies brachte die Wut in ihm hervor. Wut auf sich selbst, dass er bekannte Fehler wiederholte, einige versuchte zu minimieren, andere dafür hervortreten.

„Ich weiß, was wir tun werden, um dieses Problem zu bewältigen“, ergriff Inguiomer wieder das Wort, „du musst über jegliche Art von Worten oder Taten erhaben sein und dich nicht aus dem Konzept bringen lassen. Du wirst im Kampf sehen, wie ich es meine. Denk daran, deinen Geist zu leeren und sich nur auf den Kampf zu konzentrieren. Lass deinen Instinkt für dich kämpfen. Wirst du das schaffen?“

„Ich denke schon.“

„Gut, dann mach dich bereit, es geht weiter.“

Inguiomer und Hermann nahmen wieder ihre Kampfhaltung ein. Während Hermann noch überlegte, wie die Übung aussehen würde, griff Inguiomer schon an. Diesmal war es Hermann, der sich zu verteidigen hatte. Er parierte die Schläge gut, doch nur mit äußerster Mühe, während es wieder so aussah, als ob sein Onkel keine Schwierigkeit mit diesem Kampf hätte, was Hermann schon wieder einen leichten Stich versetzte.

„Was ist los mein Junge?“, ergriff sein Onkel mitten im Kampf das Wort, „ist es so schwer? Du wirst in dem Punkt, wie dein Vater, du hast keine Chance.“

Verdutzt über die Worte seines Onkels kämpfte Hermann weiter, doch die Gedanken schweiften ab. Wie meinte es sein Onkel? In welchem Punkt waren er und sein Vater gleich? Zorn erfüllte ihn, da er wieder so lächerlich dastand, sogar sein Onkel hatte ihm keine Chance eingeräumt.

„Wenn du so weiter machst, wird nichts aus dir“, sprach Inguiomer weiter.

Das konnte doch nicht sein, wieso war er so schwach. Er hatte den Worten von Inguiomer genau gelauscht, war sich sicher, alles verstanden zu haben, konnte dies aber nicht anwenden und wurde jetzt noch verspottet. Die Wut steigerte sich.

„Dieser Kampf ist gleich vorbei.“

Gleich vorbei, gleich vorbei! Sein Onkel hatte doch keine Ahnung. Er trainierte wie ein Verrückter, war dies alles umsonst? Das konnte doch nicht sein, wieso, wieso?

Mit den letzten Gedanken flog Hermann das Schwert aus der Hand. Er hatte gar nicht mehr wahrgenommen, wie locker das Schwert in seiner Schwerthand steckte, zu sehr hatte er sich ablenken lassen. Verdutzung mischte sich zu seiner Wut hinzu. Das Schwert fiel zu Boden und er erblickte das Schwert seines Onkels genau vor seiner Kehle. Er konnte Enttäuschung in den Augen seines Onkels erkennen, jedoch auch etwas Verständnis.

„Ich habe eigentlich nicht erwartet, dass du es beim ersten mal schaffst, ich bin zwar etwas enttäuscht, aber das hält sich noch im Grenzen. Im Gegenteil, wenn ich jetzt darüber nachdenke, wäre ich doch sehr überrascht gewesen, wenn du es geschafft hättest.“ Er nahm das Schwert von der Kehle Hermanns und setzte sich hin.

Was meinte sein Onkel? Worüber wäre er überrascht gewesen? Es war ein normaler Kampf, den sie auch vorher schon einmal bestritten hatten, er war einfach nicht gut genug gewesen.

„Setz dich hin mein Junge.“

Hermann setzte sich zu seinem Onkel. Die Wut schwand, es war jedoch immer noch eine gewaltige Menge da.

„Deinem Gesichtsausdruck zu urteilen, hast du den Sinn der Übung nicht verstanden, was sicherlich bedauerlich ist. Wahrscheinlich habe ich zuviel Erwartung in dich gesteckt. Ich sollte diese wohl runter schrauben“, sagte er, wodurch Hermanns Wut wieder gesteigert wurde. „vielleicht kommt es mir ja auch nur so vor. Hast du die Übung verstanden?“

„Nein, habe ich nicht“, erwiderte Hermann angesäuert. „Weder vorher, noch jetzt. Erklär es mir bitte.“

Inguiomer blickte seinen Neffen eine Zeit lang an, bevor er das Wort erhob.

„Es ist eigentlich ganz einfach“, sprach er, „diese Übung sollte deine Lockerheit hervorholen. Ich habe es dir schon vorher erklärt, dass dein Kopf das wichtigste in einem Kampf ist, du darfst dich von nichts von diesem ablenken lassen. Es ist egal, was passiert, ob dir jemand überlegen ist oder ob dich jemand erzürnt. Du musst dich auf jede erdenkliche Situation vorbereiten. Es ist möglich, dass die Angriffsreihe durch flüchtende Soldaten zusammenbricht, dann musst du diese Situation sofort erkennen und entsprechende Gegenmaßnahmen einleiten. Formiert euch neu oder fallt zurück, jede Kleinigkeit muss auf die Situation passend zurechtgeschnitten werden, du als Anführer trägst die Verantwortung dafür. Und indem ich dich wissentlich zur Wut gebracht habe, wollte ich testen, wie du in dieser Situation damit umgehst. Du hast dich ablenken lassen, hast dich nicht mehr auf den Kampf konzentriert und dadurch verloren. Schon beim ersten Kampf habe ich dich durch meine Kampfesart lächerlich gemacht und du hast daraufhin so reagiert, wie dein Vater. Ich hatte gehofft, dass du dies beim zweiten Mal abstellen könntest, musste mir aber eingestehen, dass es wohl nicht so war und deshalb hast du wieder verloren. Leere deinen Geist, habe nichts anderes als deine Taktik und den Zweikampf im Kopf. Das ist der Schlüssel zum Sieg.“

Hermann nickte. Die Wut, die er verspürt hatte, verflog. Er verstand den Gedanken seines Onkels und auch die Wichtigkeit dieser Übung. Er wollte es unbedingt besser machen.

„Also los Onkel“, ergriff er das Wort, „fangen wir nochmal an und diesmal wird das Ergebnis anders sein, das verspreche ich dir.“ Er stand auf.

Inguiomer nickte und stand ebenfalls auf. Er war bereit sich seinem Neffen wieder zu stellen, er war sich sicher, dass dieser Kampf anders ausgehen könnte, als die letzten beiden. Beide nahmen ihre Kampfpositionen ein, ihre Schwerter in Angriffsposition. Beide beäugten sich wieder, wie schon in den vorherigen Duellen. Hermann wartete, er wollte den Angriff auf sich zukommen lassen, er wollte derjenige sein, der reagiert. Beide umkreisten sich, wie zwei Raubtiere, die um ihr Revier kämpften und sofort zuschlagen würden, wenn der Gegner einen Fehler machen würde.

„Hast du Angst mein Junge?“, ergriff Inguiomer wieder das Wort. Hermann kannte die Taktik nun aber schon und ließ sich davon nicht ablenken. Er stellte sich taub, wollte seinen Onkel nicht in seinen Kopf vordringen lassen. Er war sich sicher, dass es gleich weiter gehen würde und er sagte demnach nichts, sondern kreiste weiter umher. „Hab ich dich so eingeschüchtert, dass du mich nicht einmal angreifen willst. Bist du etwa so ein Schwächling?“

Hermann spürte, wie die Wut versuchte sich Platz zu verschaffen. Dies musste er verhindern. Ein verfrühter Angriff könnte das Duell schon entscheiden. Hermann beschränkte seine Gedanken auf den Kampf und die Umgebung. Er war sich sicher, dass Inguiomer keinen Fehler im Kampf zeigen würde und er demnach nach einer Lösung außerhalb des Schwertes suchen musste, da kam ihm die Umgebung gerade recht, da ihn sein Onkel dies schon erklärt hatte. Da sein Onkel im Moment damit beschäftigt war, ihn niederzumachen, würde er hoffentlich unachtsam werden und weniger, wie es für ihn eigentlich typisch war, auf seine Umgebung achten. In dieser Kleinigkeit sah Hermann seine große Chance. Während sein Onkel weiter redete, verstummte die Stimme Inguiomers langsam für Hermann, sodass er zwar seinen Onkel reden sah, die Worte jedoch nicht verstehen konnte. Das war wohl das Geheimnis, welches sein Onkel ihm beibringen wollte. Hermann begutachtete seine Umgebung. Was waren seine Möglichkeit, um den Kampf zu seinem Gunsten zu entscheiden. Das Kampffeld war nicht präpariert worden und eine Möglichkeit um dies jetzt zu erledigen, bestand leider auch nicht. Inguiomer sprach weiter, doch das interessierte Hermann in diesem Moment am wenigsten. Solange dieser redete, bestand genug Zeit sich der Strategie zu widmen. Er überblickte das Kampffeld und plötzlich kam ihm die Idee, die Idee, die ihm den Sieg bringen würde. Er lächelte, was Inguiomer nicht entgang. Ein leichtes Lächeln flog nun auch über das Gesicht von Inguiomer und dieser griff an. Hermann parierte den Schlag und zog sich zurück. Inguiomer fing wieder an zu reden, was Hermann jedoch in keinster Weise störte, viel zu sehr war er mit seiner Strategie beschäftigt. Er bewegte sich geschwind, wich mehr aus, statt die Schwerthiebe weitestgehend zu parieren. Er sparte sich die Kraft und teilte sie sich gut ein. Der Kampf dauerte an, beide merkten, wie sie ins Schwitzen gerieten, Inguiomer jedoch mehr, da er neben den Bewegungen seiner Schritte, noch die Armbewegung durch die Schwertschwingungen hatte. Hermann merkte, wie die Bewegungen seines Onkels immer langsamer wurden, er war sich sicher, dass dieser Kampf ihm seinen Tribut zollte. Er wich aus, nach links, nach rechts, duckte sich rechtzeitig, wehrte einen Schwerthieb ab. Seine Verteidigung war nicht berechnungsfähig, sodass sich Inguiomer auch nicht darauf einstellen konnte. Hermann konnte mit Genuss feststellen, dass sich sein Onkel Mühe geben musste, soviel Mühe, wie sich selbst Inguiomer nicht hatte vorstellen können. Ein weiter Schwerthieb kam geflogen, Hermann wich aus und schlug sofort einen Haken zur anderen Seite, seine Zeit zum Angriff war gekommen, Inguiomer setzte einen Ausfallschritt, um Hermann zu attackieren, erwischte ihn jedoch nicht, sodass er in einer unangenehmem Lage feststeckte. Hermann sah seine Zeit für einen Gegenangriff gekommen, er griff an, was seinen Onkel überraschte und legte seine ganze Kraft in seine Schwerthand und schlug seinem Onkel sein Schwert mit solch einer Kraft aus der Hand, dass dieser nur verdutzt dreinblicken konnte, da schon im nächsten Moment Hermanns Schwert an seiner Kehle hing. Inguiomer war von diesem Ausgang, deutlich sichtbar, überrascht. Hermann nahm sein Schwert von der Kehle seines Onkels und lächelte ihn an.

„Tja, Onkel“, sagte er, nicht ganz ohne Stolz, „diesmal habe ich gewonnen.“

„Ich muss schon sagen“, erwiderte sein Onkel nickend, „dass mir dieser Kampf äußerst Spaß gemacht hat. Du hast gezeigt, dass du lernbegierig bist und die Ratschläge, die ich dir erteile, sofort versuchst in die Tat umzusetzen. Ich bin stolz auf dich und bedenkt man, in welch kurzer Zeit du dir dies angeeignet hast, ist das noch erstaunlicher.“

Hermann lächelte. Er war stolz auf sich selbst. Er hatte es seinem Onkel gezeigt und erhielt von diesem auch die Anerkennung, die er sich verdient hatte. Während er so stolz vor sich hin fantasierte, ließ sich Inguiomer nicht aus der Fassung bringen.

„Gut“, ergriff er wieder das Wort, „du hast die erste Übung erfolgreich beendet, gehen wir nun zur zweiten Übung über.“ Diese Worte holten Hermann blitzschnell in die Realität zurück und sein Lächeln verschwand so schnell, wie es gekommen war. Er verstand den Zeitdruck, den sie beide hatten, hatte aber gehofft, wenigstens eine kleine Pause machen zu können. Doch dafür, und er machte sich selber Mut mit diesen Gedanken, waren sie schließlich nicht hierher gekommen, er konnte sich ausruhen, wenn sie wieder zurückkehrten. Er war hochmotiviert und erwartete seine nächste Aufgabe.

„Ich bin bereit, Onkel. Worum geht es diesmal?“

„Um das Mittagessen“, antwortete Inguiomer ohne eine Miene zu verziehen, „ich sterbe langsam vor Hunger.“

Hermann stand wie vom Blitz getroffen da, er dachte jetzt würde eine anstrengende Übung kommen, die sein ganzes Können hervortreten lassen würde, stattdessen ging es um Essen. Er wollte sich gerade beschweren, als sich sein Magen meldete und selbst lautstark nach Essen rief.

„Ja, Essen hört sich nicht schlecht an“, fügte er leicht schüchtern hinzu.

Inguiomer machte sich auf zur Feuerstelle und setzte sich. Er blickte hinüber zu seinem Neffen.

„Alles klar, mein Junge. Dann kümmere dich mal um was essbares. Ich warte hier solange auf dich.“

Der alte Sack macht es sich wieder gemütlich, während ich arbeiten muss, dachte sich Hermann mürrisch. Aber egal, wenn ich allein hier gewesen wäre, müsste ich das auch machen. Also was solls.

Hermann machte sich auf den Weg. Er bemerkte, wie sich sein Onkel an der Feuerstelle gemütlich machte. Hermann schnappte sich Pfeil und Bogen, warf sich diese die Schulter und machte sich auf den Weg, um etwas zu Essen zu besorgen. Hermann trat von der Lichtung in den Wald hinein. Hier war er wieder ruhig, denn es galt, die Tiere nicht zu verscheuchen. Er kämmte sich durch das Geäst, bis er ein geeignetes Jagdobjekt gefunden hatte und er auf die passende Gelegenheit wartete, bis er dieses erlegen konnte. Mit der Beute über der Schulter brach er auf, um diese zurück zum Lager zu bringen, dann brach er noch auf, um Wasser für beide vom Bach zu holen. Nachdem er zurückgekehrt war, sah er schon, dass Inguiomer das Fleisch vorbereitete und das Feuer langsam zu brennen began. Wenigstens das hat er schon erledigt, dachte sich Hermann. Er wurde ungeduldig. Er wollte zwar etwas essen, jedoch wollte er auch weiter trainieren, damit er besser werden würde. Es dauerte noch ein bisschen, bis das Essen fertig war, doch Inguiomer sagte nichts, er prüfte ab und zu mal die Qualität des Fleisches, ansonsten saß er nur still da und auch beim Essen verlor er kein Wort. Hermann fragte sich, was mit seinem Onkel los war, normalerweise war er nicht zu stoppen, er redete gerne und viel, jetzt allerdings war er wohl in seinen Gedanken versunken und Hermann wollte ihn auch nicht aus diesen herausreißen. Sie aßen still zu Ende und Hermann wartete auf Anweisungen seines Onkels, die jedoch zuerst ausblieben.

„Okay, mein Junge“, ergriff plötzlich doch Inguiomer das Wort, „wir haben gut gegessen und getrunken, nun wird es Zeit sich etwas zu erholen. Wir legen uns ein bisschen hin und ruhen uns aus.“

Hermann verstand nun gar nichts mehr. Zuerst erzählte ihm sein Onkel, wieviel er ihm beibringen wollte und das die Zeit dafür gering war und jetzt sollten sie sich ausruhen. Erwartete sein Onkel wirklich von ihm, dass er seelenruhig hier liegen würde, obwohl er für sein Training weniger als 5 ganze Tage hatte.

„Onkel, bei allem Respekt...“, begann Hermann mit leicht vorwurfsvollem Ton.

„Doch bei deinem Tonfall und der Wortwahl zeigst du mir, dass du meine Entscheidung nicht akzeptierst. Wo liegt dein Problem?“

„Es ist kein wirkliches Problem, ich bin nur verwundert. Hast du mir nicht selbst gesagt, wie wenig Zeit wir haben und das wir unbedingt, die wenige Zeit nutzen müssen. Doch anstatt zu trainieren, faulenzen wir die meiste Zeit. Deswegen bin ich leicht verwundert.“

„Ich verstehe deinen Standpunkt. Doch ich will dir etwas dazu erzählen. Das du dich ausruhst, dass du rastet, ist äußerst wichtig für deinen Körper. Es bringt nichts den ganzen Tag zu trainieren, stell dir vor, du trainierst und wirst plötzlich angegriffen und kannst dich nicht wehren, weil du zu erschöpfst bist, du würdest sofort verlieren. Deswegen musst du wenigstens eine kurze Zeit am Tag deinem Körper eine Erholung geben, er wird es dir verdanken und dann bereit sein, deinen Anweisungen zu folgen.“

Hermann war erstaunt. Sie haben nichts gemacht und trotzdem hatte ihm sein Onkel wieder eine Lektion erteilt. Er war erstaunt, dass jede Kleinigkeit, und sei sie in seinen Augen noch so unwichitg, eine große Wirkung erzielen konnte. Er begann die Welt, vor allem die kämpferische Welt, mit ganz anderen Augen zu betrachten. Er war sich jetzt zu 100 % sicher, dass diese Woche ihm mehr vermitteln würde, als seine ganze bisherige Kampfausbildung. Es machte ihn froh, dass sein Onkel gerade ihn dafür ausersehen hatte, sein ganzes Wissen mit ihm zu teilen. Er nahm sich vor, nicht so schnell in Raserei zu verfallen, falls sein Onkel ihm wieder eine Lektion erteilen wollte.

„Ist okay mein Junge“, ergriff Inguiomer wieder das Wort, „du bist noch jung, aber wir haben nicht viel Zeit und diese Zeit müssen wir perfekt einteilen. So, und nun“, er legte sich an einen Baum, „wird es Zeit sich ein bisschen aufs Ohr zu hauen. Leg dich auch ein bisschen hin, wenn wir beide wieder fit sind, geht es weiter.“

„Ich verstehe Onkel“, antwortete Hermann und nickte. Er setzte sich vor seiner Hütte hin, lehnte sich an und bemerkte, wie Inguiomer schon die Augen schloss. Es ist komisch, dachte er, dass in der ganzen Zeit seines Trainings niemals so ein großes Augenmerk auf Taktik, Umgebung, Schlaf u.s.w. gelegt worden war. Er wusste zwar, dass Taktik wichtig war, er kannte die Geschichten von Hannibal, von Cäsar, von Alexander, doch auch die Tatsache der Notwendigkeit der Ruhe war in seiner Ausbildung nie zur Geltung gekommen. Sein schweißtreibendes Training war in erster Hinsicht darauf bedacht worden, schnell stärker zu werden, um in einem Zweikampf als Sieger vom Platz gehen zu können. Das auch ein körperlich unterlegender Gegner dennoch die Möglichkeit hätte, gewinnen zu können, war ihm nie in den Sinn gekommen. Schwächlinge, so er früher, hatten auf einem Kampffeld nichts zu suchen. Doch durch eine einfache Taktik, durch das Einsetzen der Umgebung, durch die einfache Tatsache, dass er vielleicht ausgeruhter war, dies alles gab ihm die Möglichkeit einen, vom optischen her, überlegenden Gegner besiegen zu können. Hermann war nicht müde, wollte jedoch versuchen, etwas zur Ruhe zu kommen. Die Idee seines Onkels, dessen war er sich sicher, würde seine Wirkung sicher nicht verfehlen. Er schloss die Augen, versuchte an nichts zu denken, löschte seine wirren Gedanken und kam zur Ruhe.

Plötzlich wurde er durch etwas kaltes an seinem Hals geweckt. Es fühlte sich, wie eine Klinge an. Blitzschnell war Hermann hellwach, sprang auf, zückte sein Schwert und war sofort in Angriffsposition. Er blickte sich um, erkannte aber schnell seinen Onkel, der sein Schwert herunter nahm und lächelte.

„Naja, gut“, ergriff er lächelnd das Wort, „deine Reaktion auf das Unbekannte ist schonmal gut. Auf diesen Punkt müssen wir nicht so einen großen Wert legen. Doch kein Grund zum entspannen. Wir haben noch viel vor uns.“

Hermann beruhigte sich wieder, blickte jedoch weiterhin umher. Sein Herz normalisierte sich wieder, jetzt im Nachhinein war es klar, dass sein Onkel ihn wecken würde, wenn sie angegriffen werden würden, doch, wenn er so überlegte, hätte es natürlich auch sein können, dass sein Onkel bereits ermordet worden wäre, doch daraufhin würde er sicherlich auch nicht mehr aufwachen können.

„Die Angst vor Attentätern“, sagte Inguiomer, „ist eine Angst, die immer allgegenwärtig ist. Es ist das Ziel eines jeden Gegners, den Anführer des Gegners zu eliminieren. Sicherlich hast du, wenn du eines Tages Anführer bist, was ich sicher bin, dass du einer wirst, deine Männer, die dich bewachen werden, doch auch in diesen Situationen musst du trotzdem wachsam sein, dein Schlaf muss ruhig sein, jedoch musst du trotzdem bei jedem kleinsten Geräusch sofort in Alarmbereitschaft sein, du weißt nie, ob deine Männer möglicherweise schon getötet worden sind. Du wirst aber noch herausfinden, wie das ist, möglicherweise auch in der Rolle des Verteidigers deines Anführers. Leibwache wirst du aber nur, wenn dir der Feldherr vertraut und wenn er dir vertraut, ist das der erste Schritt zu deinem Aufstieg im Militär.“

„Naja, ich bin der Sohn des Stammesfürsten“, erwiderte Hermann, „diese Aufgabe werde ich wahrscheinlich nicht tun müssen. Ich müsste wahrscheinlich verteidigt werden, wenn wir in die Schlacht ziehen würden.“

„Ja“, antwortete Inguiomer leise, „möglicherweise.“

 

Die Tage vergingen. Hermann trainierte fleißig, befolgte die Ratschläge seines Onkels, versuchte diese alle durchzuführen. Es war ein anderes Training, wie sein sonstiges, doch, wie schon vermutet, nahm er in diesem Training mehr mit, als in seinen bisherigen Trainingseinheiten. Er war sich sicher, dass diese Woche ihn zu einem besseren Krieger gemacht hat. Inguiomer betonte zwar immer wieder, dass er noch viel zu lernen hätte und er verfluchte die geringe Zeit, die sie hatten, doch er war auch über die gewaltigen Fortschritte von Hermann äußerst angetan. Er riet ihm immer wieder, diese Strategien und Tipps niemals zu vergessen und auch für sich selbst zu üben, sodass er diese Strategien auch in die Tat umsetzen könnte. Er sollte sich Taktiken ausdenken und diese ausführen, selbst bewerten, ob sie funktioniert hätten und ansonsten die Fehler analysieren und verringern, wenn nicht sogar ganz abstellen.

Der letzte Tag brach an. An diesem Tag war nicht mehr viel geplant. Sie wollten gemeinsam, dass gejagte Essen vom gestrigen Abend verspeisen, ihre Habseligkeiten einpacken und sich dann auf den Heimweg begeben. Selbst beim Essen waren Hermanns Sinne nun total geschärft, er achtete auf jedes Detail. Er bemerkte ein Knacken im Hintergrund, er drehte sich nicht um, da er schon aufgrund der Lautstärke des Geräusches einen menschlichen Feind ausschließen konnte, was eher wahrscheinlich war, und mit einem Schulterblick bestätigte er diesen Verdacht, dass ein kleines Tier auf einen Ast getreten war. Er blickte zurück. Sein Onkel lächelte.

„Ich sehe, dass diese Woche etwas gebracht hat und darauf bin ich stolz. Du hast große Fortschritte gemacht, die sich sehen lassen können. Übe weiterhin fleißig, sei weiterhin wachsam, geh deinen Weg. Wenn du dich weiterhin so entwickelst, wird dich keiner schlagen können und du wirst ein großartiger Feldherr sein.“

„Vielen Dank, Onkel.“

Beide aßen weiter. Nach dem essen, packte Hermann seine Tasche zusammen. Er ging nochmal zum Bach und brachte einen Krug mit frischen Wasser zurück, aus dem beide noch etwas tranken. Danach verstaute Hermann den Krug auch noch in seine Tasche und beide begannen sich auf den Heimweg zu machen. Hermann blickte noch einmal zurück an den Ort, der für einige Tage sein Zuhause gewesen war. Dieser Ort hatte etwas magisches und er versprach sich auf jeden Fall noch einmal an diesen Ort zurückzukehren, doch bis dahin wollte er etwas in seinem Leben erreicht haben. Er nahm einen Stein, der am Rande der Lichtung lag und steckte ihn sich in seine Tasche. Dieser Stein wird mich begleiten, versprach er sich, solange bis ich zu diesem Ort zurückgekehrt bin. Dieser Stein wird mich an mein Versprechen erinnern, dachte er, dass ich wieder kommen werde. Er drehte sich wieder um, beeilte sich ein bisschen, um zu seinem Onkel aufzuschließen und beide kehrten zum Dorf zurück.

 

Rekrutierung

Inguiomer und Hermann betraten wieder das Dorf. Hermann merkte gleich, dass die Stimmung anders war, als bei ihrem Verlassen. Sie wirkte bedrückt, er konnte jedoch nicht ausmachen, woran es lag. Man sah keinen einzigen Menschen auf der Straße, alle hatten sich wohl in ihre Häuser zurückgezogen. Hermann blickte sich um. Er konnte jedoch nicht ausmachen, wieso es so war. Es war Mittag und normalerweise herrschte ein reges Treiben auf den Straßen, doch davon war heute nichts zu sehen.

„Es ist still hier“, ergriff Inguiomer das Wort.

Hermann nickte. Ihm war nicht klar, warum. Normalerweise liefen Kinder auf der Straße, spielten etwas, Hausfrauen erledigten ihre Einkäufe, Männer trainierten für den Kampf, doch keine von diesen Gruppen war zu sehen. Es könnten Menschen an den Opferstellen sein, doch heute war kein Festtag für die Götter, soweit er wusste.

„Komm mein Junge, wir gehen nach Hause.“

Hermann nickte abermals und folgte seinem Onkel. Vor der Tür angekommen begutachtete Hermann das Haus. Es war nichts ungewöhnliches festzustellen. Weder hatte hier ein Kampf geherrscht, noch sah es aus, als hätten alle überstürzt das Haus verlassen. Hermann trat zur Tür und öffnete diese.

„Hallo! Mutter! Friedrich!“

Plötzlich war lautes Treiben im Haus. Seine Mutter und sein Bruder kamen aus einer Tür heraus und liefen auf ihn zu.

„Hallo, mein Junge. Es ist gut, dass du wieder da bist.“ Ihr Gesicht zeigte zwar ein Lächeln, doch ihre Stimme verriet Hermann, dass etwas vorgefallen war.

„Was ist los, Mutter?“

„Was soll den los sein?“

„Genau, dass frage ich dich. Du hast noch vor kurzem geweint, deine Stimme zittert immer noch ein wenig. Ich kann auch an dem Gesicht meines Bruders ablesen, dass auch dieser erschüttert ist. Die Frage, die mich nun beschäftigt, ist warum?“

„Das müssen wir nicht an der Tür regeln“, griff Inguiomer ein, „wir setzen uns hin und dann erzählst du uns, was hier vorgefallen ist.“

„Okay, kommt rein. Setzt euch.“

Nachdem alle Platz genommen hatten und Hermanns Mutter allen etwas zu trinken gereicht hatte, nahm auch sie Platz.

„Es passierte am gestrigen Tag“, begann sie nach einer kurzen Pause, „wir wussten nicht genau, wann ihr zurückkehren würdet. Wir bekamen hohen Besuch von einem römischen Gesandten.“

„Ihr habt WAS?!“, unterbrach sie Inguiomer.

Hermann fragte sich, wieso extra ein Gesandter aus Rom in ihr Dorf kommen würde, da schließlich sein Onkel auch bald wieder aufbrechen sollte und ihm schließlich sofort Informationen ausgehändigt werden würden, was in seiner Abwesenheit passiert sei. Wieso war nun extra ein Gesandter aus Rom gekommen? Betraf es seinen Vater, ist er gefallen und waren deswegen alle so deprimiert? Hat es mit seinem Onkel zu tun? Hat er sich von seiner Gruppe entfernt, ohne vorher mit einem Vorgesetzten darüber zu sprechen?

„Kamen sie wegen mir?“, sprach Inguiomer weiter.

„Nein, wegen dir kamen sie nicht“, antwortete Hermanns Mutter, „und auch nicht wegen deinem Bruder, meinen Mann.“

Inguiomer war verdutzt. „Wieso kamen sie denn dann?“

Auch Hermann war erstaunt. Wenn nicht wegen seines Vaters oder seines Onkels, weswegen ist der Gesandte gekommen. Diese beiden sind die einzigen im Dienst aus der eigenen Familie und wegen eines Fremden würde seine Mutter nicht solche Qualen leiden.

„Sie sind gekommen“, sprach sie mit leiserer Stimme weiter, „wegen Hermann und Friedrich.“

Das hatte gesessen. Hermann blickte Inguiomer an, dann seine Mutter, seinen Bruder und wieder Inguiomer. Was wollte das römische Reich von ihm? Er war noch ein Knabe, ohne sonderlich große Erfahrung? Er hatte weder etwas ungesetzliches getan und noch weniger sein Bruder. Weswegen wollten sie sie beide haben?

„Das verstehe ich nicht“, sprach Inguiomer. „Haben sie den gesagt, weswegen sie die beiden haben wollen?“

„Ja, dass haben sie. Beide sollen mit ihnen nach Rom kommen und dort leben.“

Hermanns Mutter verstummte und auch die anderen sagten kein Wort mehr. Hermann verstand die Welt nicht mehr. Wieso? Wieso sollten sie zwei junge Knaben mit nach Rom nehmen, beide konnten weder Latein, noch waren sie an den täglichen Ablauf in so einer großen Stadt gewöhnt. Getrennt von seiner Familie, seinem Stamm, möglicherweise würde Hermann das noch verkraften, aber was ist mit seinem Bruder? Er war noch nie weg von zu Hause, lebte ständig in den Armen seiner Mutter und diese wurde ihm nun entrissen. Hermann verspürte Wut und Hass auf die Römer, solch einen Hass, wie er selten bei ihm aufgetreten war. Er wusste, dass ihr Stamm Krieger nach Rom abstellen musste, verstand aber nicht, wieso es nun solch kleine Jungen sein sollten. Was versprach man sich in Rom davon?

Genau das war auch die Frage, die Inguiomer stellte.

„Ich weiß es nicht“, antwortete seine Mutter und brach wieder in Tränen aus, „auf diese Frage gab man mir keine Antwort, außer die Antwort, dass ich als Frau nicht so viel fragen sollte.“

Hermanns Wut steigerte sich. Er ballte die Hände zu Fäusten, so sehr, dass seine Fingerknöchel schon weiß wurden. Eines Tages, dachte er sich, werden die Römer für diese Taten büßen. Wahrscheinlich nicht morgen, nicht in einem Jahr, vielleicht sogar nicht in 10 Jahren, aber eines Tages werden sie den Tag verfluchen an dem sie uns beide unserem Stamm entrissen haben. Er hasste es seine Mutter weinen zu sehen, besonders, wenn es wegen einer Tatsache war, die ihn betraf. Seine Mutter, die Frau, die ihm das Leben schenkte, war einer der meistbedeutensten Personen für ihn. Nur noch sein Vater, sein Bruder und sein Onkel waren ihm noch von so einer Wichtigkeit. Er hasste es schon seinen Vater nicht so oft sehen zu können, doch jetzt würde er auch seine Mutter für eine lange Zeit nicht mehr zu Gesicht bekommen. Er knallte mit der Faust auf den Tisch. Alle erschraken und seine Mutter unterbrach ihre Weinerei.

„Jetzt reicht es mir“, ergriff er das Wort, „die Römer können doch nicht einfach machen, was sie wollen. Ja, es ist mir bewusst, dass sie über uns herrschen“, fügte er schnell hinzu, da sein Onkel ihn unterbrechen wollte, „aber das gibt ihnen nicht das Recht, uns wie ihre Sklaven zu behandeln. Unsereins unterscheidet sich nicht von den römischen Bürger. Unsere Kultur und unsere Sprache mag zwar verschieden sein, doch wir sind Menschen, da ist es egal, ob wir Germanen, Gallier, Römer oder was auch immer sind. Jedes Volk hat seinen Platz in der Welt und dieser darf keiner tilgen.“

„Gut gesprochen, mein Junge“, erwiderte Inguiomer, „ich sehe es genauso, doch leider haben wir nicht die Macht, dies zu ändern. Du allein kannst nicht die Meinung der ganzen Welt ändern.“

„Ist das nicht der Onkel, der mir gesagt hat, dass Sklaven auch Menschen sind“, unterbrach Hermann wütend seinen Onkel, „wo ist diese Einstellung geblieben. Beugst du dich einfach den Römern, die dich von einem Platz zum anderen hinbewegen, ohne auf dich zu achten? Hast du mir nicht gesagt, dass ein einzelner Mann wichtig ist? Wo ist diese Einstellung geblieben?“

„Ich weiß genau, dass es dir nicht passt“, erwiderte Inguiomer ruhig, er wollte das Hermann aufhörte zu schreien, „doch weder bist du im Moment in der Lage, noch bin ich im Moment in der Lage etwas dagegen zu tun. Es stimmt, dass ich dir gesagt habe, dass jeder einzelne Mann wichtig ist, ich hab dir aber auch gesagt, dass du erstmal etwas erreichen musst, um dann als Kriegsführer etwas gegen diese Ungerechtigkeit unternehmen zu können. Vorher bist du leider nicht dazu in der Lage.“

Hermann beruhigte sich wieder. Er verstand seinen Onkel, spürte jedoch immer noch seinen Hass gegen die Römer in sich lodern. Sie als Schweine zu bezeichnen, dachte er sich, wäre eine Undenkbarkeit, da die Schweine einander mehr abgewöhnen können, als die Römer den anderen Völkern. Dieses Volk wird noch eines Tages dafür bezahlen, was sie den anderen Völkern angetan haben. Sie werden sich wünschen, auf ihrem Fleckchen Erde geblieben zu sein.

„Wann müssen die beiden denn aufbrechen?“, fragte Inguiomer und riss Hermann aus seinen Gedanken.“

„Morgen werden sie gemeinsam mit euch in Richtung Südwesten aufbrechen und sich auf halbem Weg von euch trennen, um dann allein weiter in Richtung Rom zu ziehen.“ Sie brach wieder in Tränen aus.

Morgen war es schon so weit, dachte sich Hermann. Eine Nacht blieb ihnen noch, bis sie sich von ihrer Mutter verabschieden mussten. Er blickte seinen Bruder an. Dieser machte zwar einen gefassten Eindruck, doch Hermann war sich sicher, dass er, wenn er allein gewesen wäre, mit Sicherheit angefangen hätte zu weinen. Wie bei seiner Mutter, hasste er es aus, wenn sein Bruder weinte. Nicht selten hatte es Hermann dann mit mehreren Burschen aufgenommen, die seinen kleinen Bruder geärgert hatten, er verteidigte seinen Bruder, selbst dann, wenn er nicht im Recht war. Hermann stand auf.

„Wohin gehst du“, brachte seine Mutter hervor.

„Nirgendwohin. Ich möchte jetzt einfach nur ein bisschen allein sein.“

„Ich verstehe. Komm aber bald wieder zurück.“

Hermann nickte, drehte sich um und verließ den Raum. Er wanderte umher. Begutachtete nochmal das Dorf. Ging in jede Gasse, jeden Winkel betrachtete er nochmals. Es ist egal, wo ich hingehe, dachte er sich, meine Heimat werde ich niemals vergessen. Er nahm den Stein aus seiner Tasche. Ich hab geschworen, dass ich den Ort wieder besuche, wenn ich ein großer Feldherr geworden bin, hiermit schwöre ich weiter, dass ich dieses Dorf von der Knechtschaft der Römer befreien werde. So wahr mir die Götter helfen. Er blickte gen Himmel, der senkenden Sonne entgegen. Seine Augen wurden feucht. Plötzlich spürte er eine Hand auf seiner Schulter.

„Na, mein Junge, ist alles in Ordnung?“

Hermann wischte sich schnell die Tränen aus den Augen und drehte sich um und erkannte seinen Onkel. „Ja, es ist alles in Ordnung.“

„Es ist verständlich, dass du Angst hast, ich hatte eine ähnliche Angst, als ich losziehen musste und bedenkt man, dass du noch deutlich jünger bist, als ich damals, ist diese Angst noch begründeter. Doch ihr seit zu zweit. Denk daran, du bist nicht allein.“

„Es stimmt, aber genau das ist ja meine große Angst. Meinen Bruder in meine Probleme mit hineinzureißen. Ihn möglicherweise in Gefahr zu bringen. Es wäre womöglich leichter für mich gewesen, wenn ich wüsste, dass er hier in Sicherheit wäre.“

„Wäre er das?“

„Wie meinst du das?“, fragte Hermann erstaunt.

„Bist du sicher, dass er hier in Sicherheit wäre? Könntest du das garantieren?“

„Nein, aber...“

„Genau, du könntest es nicht. Du könntest nicht sagen, er wäre hier sicher. Denn man ist nirgendwo sicher, doch wenn er bei dir wäre, hättest du die Garantie, dass er sicher wäre. Du würdest auf ihn aufpassen, du könntest sicherstellen, dass ihm nichts passiert. Du würdest ihn beschützen und das ist auch der Grund, warum ich dich aufsuche. Ich hatte nämlich die Idee, dass du ihm dann alles beibringst, was ich dir in den paar Tagen beigebracht habe. Ich habe nämlich gedacht, dass ihr dafür genug Zeit hättet, doch leider habe ich diese neue Tatsache nicht bedacht. Deswegen musst du, wenn ihr in Rom seit, deine ganze Anstrengung auf euer Training legen. Bringe ihm alles bei, was du weißt, damit er dir kein Klotz am Bein ist, sondern du dich in der Schlacht stets auf ihn verlassen kannst. Verstehst du? Das ist wichtig!“

Hermann nickte. Für ihn stand auch ohne die Aufforderung seines Onkels fest, dass er auf seinen Bruder aufpassen würde und ihm alles beibringen würde, was er wusste. Er würde seinem Bruder unterrichten, sodass sie als gleichgestellte Kriegsherren gemeinsam Schlachten gewinnen würden. Für dieses Ziel würde er sein Leben einsetzen.

„Komm zurück ins Haus, wir werden zusammen essen.“

Hermann folgte seinem Onkel zurück zum Haus. Dort angekommen aßen alle gemeinsam. Die Stimmung war den Umständen entsprechend. Niemand sagte etwas und nach dem Essen saß man nur noch ein bisschen zusammen. Seine Mutter weinte zwar nicht mehr so heftig, aber man konnte deutlich spüren, wie nah ihr alles ging, was natürlich selbstverständlich war. Sie sagte nichts, wechselte den Blick nur immer wieder zwischen Hermann und Friedrich und schluckte oftmals. Hermann konnte seiner Mutter nicht in die Augen sehen. Er hasste es, nichts gegen ihr Leiden unternehmen zu können. Nach einiger Zeit konnte seine Mutter wohl nicht mehr, sie stand auf, umarmte ihre Söhne und wünschte ihnen eine gute Nacht und trat aus dem Zimmer. Man hörte sie aber schon kurz nachdem weinen. Hermann und sein Bruder wechselten einen kurzen Blick und beschlossen stillschweigend auch schlafen zu gehen. Hermann konnte nicht einschlafen. Geplagt von den Gedanken über die Abreise, gepaart mit dem Geschluchze seiner Mutter, raubte es ihm den Schlaf. Es war ihm klar, dass er Schlaf dringend nötig hatte, doch an diesen war nicht zu denken. Er wälzte sich hin und her. Dachte über die Vergangenheit nach und machte sich schon Gedanken um die Zukunft. Wie ist das Leben in Rom? Was sind seine Aufgaben? Kommt er als Sklave nach Rom oder als Bürger? Zu viele Fragen, zu wenig Zeit zum überlegen. Er wünschte sich dass diese Nacht niemals enden würde.

 

Am nächsten Tag stand Hermann früh auf. Schlussendlich hatte er es doch geschafft einzuschlafen, in Gedanken versunkend. Die Müdigkeit überkam ihn schließlich doch. Die Sonne war nicht mal aufgegangen. Er setzte sich auf. Blickte umher und ihm kamen die Tränen. Dies war seine letzte Nacht, gefolgt von den letzten Stunden, wer weiß, wann oder ob er überhaupt wiederkommen würde. Ob er seine Mutter jemals wiedersehen würde, seinen Vater, seinen Onkel, seinen Stamm? So saß er eine Weile, bis er aufstand und sich auf den Weg nach unten begab. Er wollte sein Gesicht waschen und dann am Tisch sitzen bleiben, bis die restlichen Familienmitglieder ebenfalls aufstehen würden. Nachdem er sich gewaschen hatte, führte sein Weg schnurstracks zum Tisch, er war aber überrascht, dort schon jemand sitzen zu sehen.

„Was machst du denn schon hier?“

Friedrich blickte auf und erkannte seinen Bruder. Friedrich wischte sich gerade noch die restlichen Tränen aus den Augen. Seine Augen waren blutunterlaufen und Hermann war klar, dass er die ganze Nacht geweint und kein Auge zugemacht hatte. Ihn traf es noch schlimmer, schließlich war er noch jünger als Hermann.

„Ich konnte nicht schlafen“, brachte Friedrich schluckend hervor, was Hermanns Vermutungen befestigten.

„Du denkst wahrscheinlich auch die ganze Zeit über unsere Abreise nach, nicht wahr?“

„Ja“, stieß Friedrich noch aus und brach danach wieder in Tränen aus.

Hermann ging zu seinem Bruder hinüber und drückte seine Hand auf seine Schulter. „Mach dir keine Sorgen“, erwiderte er, „du bist nicht allein in Rom. Ich werde immer bei dir sein. Das verspreche ich dir.“

Hermann wusste, dass wenn Friedrich solche Probleme mit ihrer Abreise hat, durfte er nicht genauso eine Schwäche zeigen. Er musste ein Vorbild für ihn sein, er musste jemand sein, auf den sich Friedrich immer verlassen konnte, so wie er es sein ganzes Leben schon konnte. Jemand zu dem er aufblickt, jemand zu dem er hingehen konnte, wenn etwas passiert wäre. Er durfte jetzt keine Schwäche zeigen, damit Friedrich nicht noch mehr verängstigt sein würde.

Friedrich blickte auf. „Hast du keine Angst, Bruder?“

Hermann zögerte kurz. „Angst“, fing er an, „darfst du niemals haben, merk dir das und selbst wenn du Angst haben solltest, lass sie dir niemals anmerken. Es ist keine Angst, die ich habe, sondern eher Respekt vor dem Unbekannten. Ich weiß, dass die Götter über uns wachen. So wahr es die Götter wollen, werden wir irgendwann nach Hause zurückkehren. Zeige diese Angst, die bei dir im Moment selbstverständlich ist, aber niemals den Römern, den diese Angst werden sie grundsätzlich immer ausnutzen.“

„Bruder, wirst du mich unterstützen bei dem was ich tue. Wirst du mir helfen, wenn es Probleme geben sollte, wirst du immer für mich da sein?“

„Wir sind Brüder, wir sind wie durch ein Band miteinander verbunden. Steh auf“, fügte er hinzu, wonach Friedrich aufstand und er ihn daraufhin umarmte, „ich schwöre es dir, du wirst Mutter, Vater und deine Heimat wiedersehen. So wahr ich hier stehe. Das verspreche ich dir.“

Friedrich lächelte. Es war das erste mal, das Hermann seinen Bruder lächeln sah, nachdem sie die Information bekommen hatten. Hermann war froh, dass Friedrich wieder lächeln konnten.

„Ich danke dir, mein Bruder!“

„Dafür gibt es nichts zu danken. Es ist selbstverständlich, dass ich meinen Bruder beschützen werde, dies ist eine Tatsache, eine Notwendigkeit, die jeder Bruder erfüllen muss. Wer seinen Bruder im Stich lässt, hat das Recht verloren, ihn seinen Bruder nennen zu dürfen. Ich werde immer in deiner Nähe sein. Ein Wort, ein Problem das du hast, und ich bin da. Das kannst du mir glauben.“

Friedrich lächelte und beide ließen voneinander ab. Ihm kamen wieder die Tränen, diesmal jedoch nicht aus Trauer, sondern aus Freude über die Worte seines Bruders. Hermann lächelte. Er war froh, dass Weinen seines Bruders in ein Lächeln umgewandelt zu haben. Beide setzten sich wieder hin und Friedrich schob seinen Bruder etwas zu trinken herüber. Beide tranken und schwiegen, die Stimmung war auf jeden Fall aber angenehmer, als bei Hermanns Eintreten. Die Tür öffnete sich und beide blickten zur Tür.

„Oh. Ihr beide seit schon wach?“, fragte Inguiomer.

„Ja, Onkel, wir beide konnten nicht schlafen.“

„Dachte ich mir schon, deswegen beschloss ich auch früher aufzustehen.“

Er nahm sich einen Krug mit Wasser und setzte sich ebenfalls an den Tisch. Er trank ein bisschen und blickte beide abwechselnd an.

„Es ist völlig verständlich, dass ihr Angst habt.“

Beide blickten ihren Onkel mit großen Augen an. War es so offensichtlich?

„Woher weißt du das?“, fragte Friedrich und stellte die Frage, die auch Hermann auf der Zunge lag.

„Es ist mir klar, dass ihr beide geweint habt. Friedrich mehr und Hermann weniger, man kann es aber noch gut sehen. Und der einzige Grund im Moment kann sein, dass ihr beide Angst vor dem Unbekannten habt, vor der neuen Herausforderung. Und das ist auch mein Tipp für euch. Seht es nicht als Strafe, sondern als neue Herausforderung, die ihr annehmen könnt, dann wird es euch wesentlich leichter fallen, diesen Ort hinter euch zu lassen. Es ist mir klar“, fügte er hinzu, als Friedrich schon seinen Mund geöffnet hatte, „dass die ersten Tage, wenn nicht Wochen schwer für euch sein werden, doch ihr seid zu zweit, was bedeutet, dass ihr immer einen haben werdet, der euch zuhören kann und euch versteht. Die Bindung, die ihr habt, kann euch keiner nehmen und deswegen werdet ihr euch unterstützen und es so gemeinsam schaffen, die sicherlich schwere Zeit zu überstehen.“

Hermann und Friedrich blickten sich an, dann zurück zu ihrem Onkel und nickten. Für Hermann war es sowieso klar, dass er seinem Bruder in jeder Situation helfen würde. Daran musste ihn sein Onkel nicht erinnern.

„Oh, ihr seit alle schon wach?“, sagte plötzlich eine Stimme. Alle blickten sich um und erkannten Hermanns Mutter an der Tür. „Dabei wollte ich das Essen vorbereiten und euch dann wecken kommen.“

Ihre Augen waren blutunterlaufen, was Hermann einen Stich im Herzen verpasste. Seine Mutter hatte bestimmt die ganze Nacht geweint. Sie wollte es kutschieren, was ihr jedoch nicht ganz gelang, doch niemand wollte sie darauf ansprechen, um möglicherweise die Trauer, welche sie sicherlich im Inneren immer noch hatte, wieder hervor zu holen. Während seine Mutter damit beschäftigt war, für alle etwas zum essen vorzubereiten, schwiegen die anderen Familienmitglieder. Jeder war in seinen Gedanken versunken. Jeder dachte über die bevorstehende Abreise nach. Hermann hasste seine Ohnmacht, nichts tun zu können. Doch egal, wie schwer die Lage auch war, sein Onkel hatte Recht. Er müsste sich auf das Bevorstehende konzentrieren und diese neue Herausforderung annehmen. Er durfte nicht seine Lage bedauern, sondern sie akzeptieren.

„Hier! Eine Kleinigkeit.“ Hermanns Mutter brachte das Frühstück an den Tisch. Sie hatte reichlich aufgetischt, beinahe jede typische Speise Germaniens, damit

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Publisher: BookRix GmbH & Co. KG

Publication Date: 03-23-2019
ISBN: 978-3-7487-0025-8

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