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Das Abendessen

Das Feuer im Kamin loderte verlockend und sein Knistern hüllte den Raum ein. Auf dem Tisch standen zwei Gedecke und Sektflöten. Er wusste, dass sie Prosecco liebte. Eine schöne Kerze zierte die Mitte des Tisches und das Essen war auch bereits fertig und kühlte in der Küche ein wenig aus. Jeden Moment sollte sie klingeln. Seine Traumfrau. Tamara. Er hatte sie vor einiger Zeit im Internet kennen gelernt. Tamara und er hatten sich auf Anhieb verstanden. Sie teilten gemeinsame Interessen, hatten den gleichen Musikgeschmack und mochten beide Actionfilme. Er konnte sein Glück kaum fassen, denn Tamara war auch noch atemberaubend schön. Bisher hatte er nur Pech mit Frauen gehabt. Die Schönen hatten alle eine Macke oder waren eingebildet und materiell eingestellt. Er war reich, fuhr einen Sportwagen und sah auch ganz gut aus. Aber Tamara wusste das nicht, noch nicht. Er wollte ihr heute Abend die Wahrheit über sich erzählen. Doch vorher wollte er wissen, ob seine Traumfrau sich auch mit ihm treffen würde, wenn er ein ganz normaler Typ wäre. Und so hatte er sich für Tamara vom erfolgreichen Unternehmensberater in einen stinknormalen Buchhalter verwandelt. Er vertraute den Frauen nicht mehr, nachdem er ein paar schlechte Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht gemacht hatte. Aber bei Tamara hatte er ein gutes Gefühl. Sie lachten über die gleichen Dinge und er freute sich ungemein auf das Essen mit ihr. Bisher hatten sie nur telefoniert und sich noch nie persönlich gegenüber gestanden. Ramon war so aufgeregt, dass er feuchte Hände und Herzklopfen bekam, als es endlich klingelte. Während sie mit dem Aufzug nach oben zu seinem Loft fuhr, stellte er das Essen auf den Tisch, befüllte die Gläser mit dem Prosecco und legte leise Musik auf. Das zaghafte Klopfen an seiner Wohnungstür zeigte ihm, dass nun unausweichlich der Moment der Wahrheit gekommen war. Ramon räusperte seine Kehle frei und öffnete erwartungsvoll die Tür. Innerlich erstarrte er zur Salzsäule, versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen. Die Tamara, mit der er stundenlang telefoniert und gelacht hatte, sah dieser Frau, die ihn schüchtern anblickte, nicht mal ansatzweise ähnlich. Tapfer schluckte er seine Enttäuschung herunter und bat sie herein. Nahm ihr den Mantel ab, der eine tadellose Figur ans Licht brachte und hängte ihn an die Gaderobe. "Dankeschön", kam es von ihr in der ihm vertrauten Stimmfarbe und er war froh, dass er wohl immerhin tatsächlich mit ihr selbst telefoniert hatte. Wortlos schob er ihr einen Stuhl zurück und sie nahm Platz. Ramon setzte sich ihr gegenüber und sah sie an. "Wie viele Filter musste sie wohl benutzt haben, um ihr Gesicht derart zu verändern?", fragte er sich sarkastisch, schämte sich aber gleich für seinen Gedanken. Sie war ja nicht hässlich, hatte ihn jedoch absolut getäuscht. Das glatte, brünette Haar war in Wirklichkeit eine rotblonde Lockenmähne, die für sie wahrscheinlich kaum zu bändigen war. Die tiefgründigen, dunklen Augen waren in der Realität giftgrün und blickten ihn neugierig an. Er war so sauer! Als sie ihn jedoch zaghaft anlächelte, schämte er sich erneut für seine bösen Gedanken. Obwohl er doch Recht hatte, denn sie war nicht die Schönheit, die er heute Abend erwartet hatte. Sie lächelte offen.

"Ich weiß", sagte sie dann, "ich bin nicht diese Schönheit, die du zum Essen eingeladen hast." Sie nahm ihre Gabel in die Hand und grinste verschmitzt. "Hunger habe ich aber trotzdem mitgebracht." Ramon, der ein vollendeter Gentleman war, rügte sich gedanklich selbst und befüllte Tamaras Teller mit einer Portion seiner legendären Lasagne, die er nach einem Rezept seiner Oma zubereitet hatte. Danach nahm er sich selbst etwas davon und beide begannen wortlos zu essen. Ramon fielen die unzähligen Sommersprossen auf, die Tamaras Gesicht zierten. Einige davon sahen aus wie kleine Sterne, fand er. Dennoch konnte er seine Enttäuschung nicht verbergen.

"Was hast du dir dabei gedacht?", fragte er sie deshalb geradeheraus und ließ seine Gabel sinken. In aller Seelenruhe aß sie das schmackhafte Mahl zuende, legte die Gabel ab und sah ihm in seine blauen Augen. 

"Ich habe nur die Frau kreiert, die du haben wolltest", sagte sie dann mit einer beängstigenden Ruhe in der Stimme. Ihre anfängliche Schüchternheit schien verflogen. Ramon sah sie fassungslos an. "Jetzt bin ich also Schuld?"

"Das habe ich nicht gesagt, aber du hast während unserer zahlreichen Telefonate den Typ Frau beschrieben, den du ganz klar bevorzugst: 'Brünett bis dunkle, lange, glatte Haare und dunkle, warme Augen'. So in etwa hast du dich ausgedrückt."

Ein bitteres Lachen kroch aus Ramons Kehle. "Und dann hast du dich entschlossen, dich einfach in diese Frau zu verwandeln mithilfe von Filtern?"

Ein Schatten huschte plötzlich über ihr Gesicht. Sie leerte ihren Prosecco in einem Zug und sah Ramon an. Ihre grünen Augen blickten traurig. Ramon beschlich ein ungutes Gefühl und er verspürte den bescheuerten Drang, sie trösten zu wollen. Das wäre ja noch schöner! Tamara schüttelte den Kopf. "Nein, diese wunderschöne Frau gibt es tatsächlich. Sie ist real."

In Ramon keimte so etwas wie Hoffnung auf, er konnte sich nicht dagegen wehren. "Und wer ist das? DU ja offenbar nicht."

"Das ist eine langjährige Freundin von mir, Elisa. Sie weiß nicht, dass ich dir ein Bild von ihr geschickt habe, statt von mir. Aber sie weiß, wie du aussiehst. Und du gefällst ihr."

Ein Ziehen ging durch Ramons Bauch und sein Körper fing an zu kribbeln. Er musste diese Schönheit unbedingt kennen lernen. Koste es, was es wolle. Aber wie sollte er das anstellen, ohne Tamara zu verletzen. Und war das überhaupt möglich? Wahrscheinlich nicht und deshalb sagte er es geradeheraus: "Kann ich Elisa kennen lernen?"

Unerwartet gefasst erwiderte Tamara: "Das entscheide ich nach diesem Abend. Elisa war lange meine beste Freundin und ich möchte nicht, dass sie ein Arschloch datet."

Ramons Augen wurden groß wie Golfbälle. Hatte sie wirklich Arschloch gesagt? Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn angriffslustig an. Diese Handlung ließ ihre Oberweite hervorblitzen und Ramons Blick schoss sofort dorthin. Das Ziehen in seinem Bauch verstärkte sich. Unvermittelt trat Tamaras Schüchternheit wieder in den Vordergrund, denn sie rückte instinktiv alles wieder zurecht. "Schade," dachte Ramon und wider Erwarten stellte sich tatsächlich so etwas wie Neugier, gepaart mit Vorfreude auf den bevorstehenden Abend ein. Das überraschte ihn selbst, denn er stand absolut nicht auf rotes Haar. Hoffte aber inständig, dass er das bei ihren Telefonaten niemals erwähnt hatte. Das letzte Gespräch war noch nicht lange her gewesen. Ihm wurde gerade bewusst, wie intim und erregend es gewesen war und dass es in einem Höhepunkt endete. Sein kleiner Freund pochte freudig in der Anzughose bei dem Gedanken daran. Ramon war so verwirrt, dass er peinlich berührt aufstand und in die Küche ging, um das Dessert, eine zarte Mousse au Chocolat, zu holen.

"Wow", stieß Tamara beeindruckt aus, "du hast extra meine Lieblingsnachspeise zubereitet?"

Bei einem Telefonat hatte sie ihm davon erzählt und das fiel ihm heute Morgen wieder ein. Es freute ihn, dass sie positive Worte dazu fand, denn das war er nicht gewohnt. Die Frauen aßen meist nicht viel, weil sie auf ihre Linie achten mussten und schon gar keinen Nachtisch. Jetzt war er gespannt, ob sie die Köstlichkeit auch tatsächlich essen würde, denn das war eine Kalorienbombe sondergleichen. Abwartend sah er Tamara an. Die sich sogleich den Löffel schnappte und den ersten ganz langsam in den Mund schob. Ihre grünen Augen blitzten auf, als die Mousse au Chocolat auf ihre Geschmacksnerven traf. Sie gab sogar ein wohliges Stöhnen von sich, als die süße Masse ihre Kehle hinunter wanderte. Ramon war begeistert, konnte sich nicht dagegen wehren. Gebannt sah er ihr weiter zu, bis die Desserschale völlig leer war, was er sehr bedauerte, denn es war ein Fest, ihr beim Schlemmem zuzusehen. Wie ihr vollen, roten Lippen den Löffel umschlossen, herrlich. Ein Gedanke schoss ihm in den Kopf: Dass es sein Luststab war, der da in ihrem Mund verschwand. Er spürte die Schamröte in seinem Gesicht ob der Bilder in seinem Kopf, und zwar ganz deutlich. Falls Tamara etwas davon bemerkt haben sollte, tat sie ziemlich cool.

"Eine tolle Frau", dachte Ramon und lächelte versonnen. "Was ist los?", holte sein Gegenüber ihn zurück ins Hier und Jetzt. "Denkst du an Elisa?"

Er seufzte, denn nun war sein sexuelles Gedankenspiel geplatzt wie eine Seifenblase.

"Willst du noch mehr vom Nachtisch?", fragte er sie statt einer Antwort. Tamara rieb sich den nicht vorhandenen Bauch und stöhnte satt. "Nein, lieber nicht, sonst werde ich süchtig nach dem Zeug und platze aus allen Nähten."

Sie lachten zusammen, zum ersten Mal an diesem Abend hatten sie miteinander gelacht. Irritiert und wortlos blickten sie sich eine Weile in die Augen. Um dann fast gleichzeitig aufzuspringen, sich in die Arme zu fallen und gierig zu küssen. Dieser süß schmeckende Schokokuss entfachte bei beiden unwillkürlich Lust auf mehr und sie schlangen stöhnend die Arme umeinander. Küssend lotste Ramon Tamara in sein Schlafzimmer und ließ sich mit ihr zusammen auf das große Bett sinken. Zwischen den weichen Laken ließen sie ihrer Begierde aufeinander und der Leidenschaft, die sie gleichermaßen gepackt hatte, freien Lauf. 

Als sie zwei Stunden später außer Atem, befriedigt und kuschelnd unter der Decke lagen, sah Tamara Ramon lange an.

"Hast du mir nicht auch etwas zu beichten?", fragte sie. Ertappt errötete er und räusperte sich. "Ich weiß nicht, was du meinst." Natürlich wusste er genau, worauf Tamara anspielte. Er war, was seine eigene Person betraf, ebenfalls nicht ehrlich zu ihr gewesen. Sein Reichtum sollte diesmal keine Rolle spielen und deshalb hatte er sein Vermögen verschwiegen. Doch im Grunde war es ja egal, da er Tamara ohnehin nicht wiedersehen würde und Elisa kennen lernen wollte. Doch er fragte sich nun, woher Tamara zu wissen schien, dass er auch etwas vor ihr verbarg. Offenbar konnte sie Gedanken lesen, denn sie klärte ihn umgehend auf.

"Elisa kennt dich offenbar, Ramon. Sie hat mir gestern Abend erzählt, dass du reich bist und einen schnittigen Sportflitzer fährst. Und da habe ich mir gedacht, okay, dann sind wir quitt, weil ich auch nicht ehrlich war im Bezug auf mein Aussehen. Eigentlich wollte ich nach ihrer Info nämlich gar nicht mehr zu diesem Date erscheinen."

Erneut errötete Ramon an diesem Abend. "Scheiße, scheiße, scheiße!", schoss es ihm durch den Kopf. Er war entlarvt. Aber woher kannte Elisa ihn? Tamara löste sich aus der warmen Umarmung und zog sich an. Sehr zu Ramons Leidwesen, wie er irritiert feststellen musste.

"Komm", forderte sie ihn auf, ging zurück in den Wohnbereich und setzte sich wieder an den Esstisch. Er schlüpfte in seine Klamotten und folgte ihrer Aufforderung. Gespannt und neugierig sah er sie an. Ramon fragte sich, ob sie nach dem Sex immer so gut aussah. Diese vollen, roten Lippen, die strahlenden Augen und die geröteten Wangen standen ihr richtig gut. Am liebsten würde er schon wieder mit ihr...

"Elisa hat eine gute Freundin. Verena. Klingelt da was bei dir?", ließ Tamara ihn von Wolke 7 auf den harten Boden der Realität plumpsen. Verena. Und ob er sich an diese rassige Schönheit erinnerte. Leider nicht nur positiv. Ihr gemeinsames Date war ein Desaster gewesen. Sie war überheblich, eingebildet und hatte die ganze Zeit über Geld geplappert. 

"Wie ist es möglich, dass Elisa gleichzeitig mit dieser Verena befreundet sein kann und mit dir?", fragte er, statt auf Tamaras Frage zu antworten. 

"Was soll das denn heißen? Lenk nicht ab!"

Aus einer Eingebung heraus nahm er Tamaras Hand.

"Du bist einfach so völlig anders als Verena. Deshalb bin ich verwundert. Und ja, ich hatte ein einziges Date mit ihr. Sie hat mir ganz ungeniert gezeigt, was ihr wichtig ist."

Tamaras Augen verengten sich und wirkten nun wieder eher giftgrün. Ihr Blick ging Ramon durch und durch. Schroff entzog sie ihm ihre Hand.

"Und du? Hast du ihr etwa nicht zu verstehen gegeben, dass der Abend bei dir im Bett enden sollte?"

Erneut wurde Ramon an diesem Abend verlegen.

"Stimmt, ich war nicht abgeneigt, Sex mit ihr zu haben. Sie ist eine attraktive Erscheinung. Aber der Preis dafür war mir dann doch zu hoch."

Ramons Stimme klang plötzlich unerwartet traurig und Tamara horchte auf. "Was meinst du damit?"

"Verena hatte mir damals einen Deal angeboten, auf den ich aber nicht eingegangen bin."

"Einen Deal? Was für einen Deal?"

"Sie hat mir ihren Körper gegen finanzielle Zuwendung angeboten, um es niveauvoll auszudrücken", sagte Ramon bitter.

"Sex gegen Geld?" fragte Tamara fassungslos. "Oh je..."

Dann stand sie unvermittelt auf, holte ihren Mantel, zog ihn über und schaute Ramon eindringlich an.

"Alles hat zwei Seiten, das habe ich heute Abend gelernt. Ich habe Verena genau so eingeschätzt, das aber niemals laut ausgesprochen, aus Rücksicht auf Elisa", sagte sie dann und ging zur Tür. In diesem Moment wurde ihm klar, warum Elisa nicht mehr Tamaras beste Freundin war. Diesen Platz hatte wahrscheinlich Verena nun eingenommen. Er konnte gar nicht fassen, wie unterschiedlich die beiden zu sein schienen.

"Es war ein wirklich schöner Abend mit dir, Ramon. Und ich wünschte, wir hätten uns unter anderen Umständen kennen gelernt."

Ein Schatten huschte über ihr hübsches Gesicht.

"Aber wenn wir beide direkt ehrlich zueinander gewesen wären, dann hätte dieser schöne Abend wohl vermutlich niemals stattgefunden." 

Mit einem Mal nahm ein unangenehmes Gefühl Besitz von Ramon und er stand auf. Tamara griff zur Türklinke und das merkwürdige Gefühl verstärkte sich. Während sie die Klinke herunterdrückte sagte sie: "Ich werde Elisa mitteilen, dass du sie gern kennen lernen möchtest. Mach's gut, Ramon." 

Blitzschnell war er bei ihr an der Tür.

"Und das war es jetzt mit uns?", fragte er und schaute tief in ihre smaragdgrünen Augen.

"Ich denke schon", erwiderte sie zaghaft. "Oder willst du dir zwei Frauen gleichzeitig aufhalsen?"

Ramon lachte bitter auf: "Gott bewahre!"

Er war verwirrt über seine eigenen Gefühle. Tamara war überhaupt nicht sein Typ und eigentlich wollte er doch unbedingt Elisa kennen lernen. Auf der anderen Seite hatte er noch nie solch einen lockeren Abend mit einer Frau erlebt, geschweige denn so viel Spaß und so intensiven Sex gehabt. Elisa war längst in weite Ferne gerückt. Tamara stand jetzt ganz dicht vor ihm und sein Herz begann heftig zu klopfen. Ramon schielte auf ihre vollen Lippen, die er schon wieder nur zu gerne küssen wollte. Tamara ging es ebenso, ihre Augen glänzten verräterisch. Sein Herz sprach eine deutliche Sprache und er vertraute darauf, obwohl er Angst hatte. Offensichtlich wusste es schon vor seinem Verstand, dass Tamara die Eine sein könnte. Auf jeden Fall war sie es wert, den nächsten Schritt zu wagen. Er wollte nicht, dass sie geht und sein Herz auch nicht. Und als Tamara in seine Arme sank, wusste er, dass es ihr ebenso ging. 

 

Ende

 

 

 

Imprint

Text: Alle Rechte bei der Autorin
Cover: google
Publication Date: 12-29-2023

All Rights Reserved

Dedication:
Mein Beitrag zum Erotik-Wettbewerb Dezember/Januar 2023/2024

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